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Die langgezogenen Pfiffe, der schwarzen Loks mit den riesigen roten Rädern,
die im engen Tal vielmals widerhallten, hatten schon als kleines Kind meine Aufmerk-
samkeit erregt. Wenn sie den Kyllburger Tunnel in Richtung Erdorf verließen und
unterhalb des „Hahns“, mit wehender weißer Mähne, dem Wilsecker Tunnel
zustrebten, oder aus Trier kommend, vor dem Einfahrsignal stehen blieben und
lautstark, mit abblasenden Sicherheitsventilen, vom Fahrdienstleiter ihr Recht auf
Einfahrt in den Bahnhof Kyllburg forderten, konnte alle Arbeit, alles Spielen, warten.
Dann gehörte ich ihnen und war ihnen schutzlos ausgeliefert.
Freilich verstand ich damals noch nichts von solchen Dingen. Für mich stand
fest, dass die Dampfloks mir zuriefen: „He du! Schau mal her zu mir rüber! Sehe ich
nicht wunderschön aus?!“ Das alles konnte man auf unserer kleinen Bergwiese, im
Flur „Hinter Kyllburg“ erleben, wenn die Eltern dort für Karnickel und Ziegen Gras
mähten, Heu machen, oder im Spätsommer Äpfel und Birnen pflückten. Bei der
anschließenden Fahrt heim, auf dem Leiterwagen, nach Malberg war ich dann stets
der Lokführer und das Rattern der Räder auf dem Kopfsteinpflaster im Dorf erinnerte
ein wenig an das Auspuffknallen der Dampfmaschinen auf Rädern. Auf halber Stecke
wurde oft in der Schenke Thul „Wasser“ gefasst; bevor es dann mit frisch gestärkten
„Loks“ vorbei an der Bruchsteinmauer, mit ihren vielen kleinen Treppchen zum
Neidenbach runter und über die Bogenbrücke durch den „Julenecken“ zur
Hauptstraße und endlich nach Hause ging.
Ich mochte so um vier Jahre alt gewesen sein. An diesem kalten, nebligen
Novembermorgen weckte mich meine Mutter in aller Herrgottsfrüh und sagte, dass
ich mich anziehen soll, weil wir heute nach Trier fahren würden. Für ihre Eile hatte
ich so gar kein Verständnis. Schließlich war ich immerhin schon mal in Kyllburg
gewesen und das war ja zu jener Zeit, als man sich die Autos im Dorf noch an einer
Hand abzählen konnte, doch eine kleine Weltreise. Das Anziehen gestaltete sich
dann wohl etwas schwierig und auch langwierig. Anders kann ich mir nicht erklären,
dass ich kurzerhand beim Schopf gepackt und angekleidet wurde. Die feinen Sachen
gefielen mir gar nicht. Darin durfte man nicht spielen und außerdem war heute kein
Sonn- oder Feiertag, an dem man sich in so etwas einzwängen musste und den
ganzen Tag in diesem unbequemen Zeug ausharren. An gewöhnlichen
Wochentagen, und ein solcher war heute, trug man „in meinen Kreisen“ eine
Texashose; heute würde man Jeans dazu sagen! Auch Mama hatte die
obligatorische Kittelschürze abgelegt und sich in ihren Sonntagsstaat, ein rotes
Kostüm –so etwas trug man damals- geworfen und machte sich fein.
Schließlich war es doch geschafft, nur die Schnürsenkel der schwarzen
Lackschuhe (damals sehr modern) bereiteten mir letzte Probleme. Das Binden
derselben hatte ich mir von den Erwachsenen abgeschaut. Nur leider waren die alle
Rechtshänder und ich bin Linkshänder und da ist halt nun mal alles seitenverkehrt.
So blieb es nicht aus, dass meine Schleifen zu Knoten wurden, die sich dank meiner
damals schon recht beachtlichen Kraft, nur sehr schwer lösen ließen.
In der Dämmerung ging es über den „Messenweg“ nach Kyllburg. Es herrschte
ein, für die damalige Zeit, reger Autoverkehr und wir mussten uns hinter den weißen
Randsteinen mit den schwarzen Streifen am Abhang zur Kyll durchzwängen, um
nicht überfahren zu werden. An den vielen Wallnussbäumen, welche die Straße
talseitig säumten, blieben wir des öfteren stehen. Ihre Stämme waren so dick, dass
wir auf die Fahrbahn mussten um sie zu umgehen. Rechts führte kein Weg vorbei;
steil fällt das Gelände zum Fluß ab, ein schmaler Uferstreifen bildet die Grenze zum
Das ganze Jahr über ging es zur Feldarbeit auf den Flur zwischen Malberg und
Mohrweiler. Da mussten auch wir Kinder schon nach Kräften mit anpacken. Das war
damals nichts außergewöhnliches und für uns gehörte das mit zum Leben. Doch
zwischendurch durften mein Bruder und ich uns auch mal eine längere Pause
gönnen, und während sich die Erwachsenen nach Butterbrot und Kaffee aus dem
Feldgeschirr am Ackerrand ausruhten, liefen wir für eine Stunde ein Stück in
Richtung Sankt Thomas zum „Hasenknopp“, wo man einen herrlichen Blick über das
tiefeingeschnittene Kylltal mit dem „strengen Hals“ und dem Dechentunnel hatte. Der
Berghang war vor vielen Jahren, so wie meist in Kyllburg, Malberg und St. Thomas,
Heute denke ich noch oft an die Geschichte, die Opa früher manchmal vom
Bahnbau erzählte, als die Trasse durch den Annenberg verlaufen und ein Bahnhof
„Kyllburg – Malberg“ im Wiesental entstehen sollte. Die Malberger Schöffen aber
wehrten sich, weil durch den Dampf der Loks der Hopfen einginge! Wahrheit? –
Dichtung? – Wer will es heute beweisen?
Ich erinnere mich auch noch gerne der Herbsttage, an denen man, von der
anderen Talseite hinterm Berg, die Loks pfeifen hörte, wenn sie, aus St. Thomas
kommend, in den Dechentunnel einfuhren. Dann wusste die Oma, dass nun große
Kälte kam, denn die Lok hörte man nur bei Ostwind pfeifen.
In Begleitung meines Bruders ging ich, wenn es Arbeit und Zeit erlaubten, zum
Kyllburger Bahnhof. Hier verbrachten wir oft ganze Tage bis zur Dämmerung. Dort
lernte ich die verschiedenen Baureihen zu unterscheiden. In den ersten Jahren liefen
noch Jünkerather 39er, die preußische P 10 vor einem D-Zug. Sie wurden bald durch
01vom Bw Ehrang; der großen deutschen Schnellzugdampflok schlechthin, ersetze,
die mit ihren fast 24 m Länge und einem Gewicht von 171 t bei zweidrittel vollen
Vorräten den Boden erzittern ließ. Vor Güterzügen liefen BR 50, manchmal eine
41er, die auch vor Personenzügen anzutreffen war. Seltener ließen sich die
mächtigen 44er mit ihrem Dreizylindertriebwerk zu sehen. Und dann war da noch die
preußische P 8, Baureihe 38, das „Mädchen für alles“; das Aschenputtel. Es gab
wohl keine Zuggattung vor der sie nicht anzureffen gewesen wäre. Was war damals
alles auf Schienen zu sehen. Wer nur das triste Bild des heutigen Fahrzeugparks
kennt, kann sich keine Vorstellung von der Vielfalt des Eisenbahnbetriebs in der
Vergangenheit machen.
Doch immer mehr Dieselloks machten sich im „Revier“ der geliebten Dampfer
breit. V 100 und 180 traten an ihre Stelle und bliesen ihre giftigen Abgase in die Luft.
In jener Zeit konnten sich meine Eltern nur alle drei Jahre einen Sommerurlaub, fern
ab von zu Hause erlauben. In den anderen Jahren wurden emsig auf dieses Ziel
gespart. Zwei Wochen dauerte diese schönste Zeit des Jahres und es wurde
natürlich mit der Bahn gefahren. Damals war es üblich mindestens eine halbe
Stunde vor Abfahrt des Zuges im Bahnhof zu sein, so als ob er jemals auch nur eine
Minute vor Plan gefahren wäre. Mit der 215 ging die Reise bis Trier, von dort mit ein
bisschen Glück dampfgeführt über die Moselbahn bis Koblenz. Die Fahrt verlief
weiter von einer E-Lok gezogen, über Mainz und Wiesbaden, in die Nähe von
Würzburg, wo in einem kleinem Städtchen eine Schwester meines Vaters einen
großen Bauernhof bewirtschaftet. Meine Mutter war während der ganzen Reise
vollkommen orientierungslos, und alleingelassen, wäre sie wohl noch heute auf der
Fahrt. Sie verließ sich in allem voll auf meinen Vater, der anders als sie, im Stande
war einen Fahrplan zu lesen und den richtigen Bahnsteig zu finden. Ich erinnere
1978 begannen meine Lehrjahre. An eine Arbeit bei der geliebten Eisenbahn
war in diesen Jahren nicht zu denken. Mein Vater war nur ein einfacher Arbeiter und
ohne die nötigen Kontakte ging gar nichts. Die Wirtschaftskrise warf ihre ersten
Schatten bereits voraus und so war man froh überhaupt eine Lehrstelle zu
bekommen. So begann ich eine Lehre als Maurer bei der Bitburger Brauerei.
Lehrjahre sind keine Herrenjahre! Dieser alte weise Spruch bewahrheitete sich im
vollem Umfang. War etwas in der Bauabteilung schiefgelaufen, war in der Regel der
„Stift“ daran schuld; selbst wenn er an jenem Tage gar nicht im Betrieb gewesen war.
Ein Polier, der Mätti, der auch in Malberg wohnt, erwies sich als Freund, und nahm
sich meiner an. Er duldete keine Ungerechtigkeiten und stand mir oft zur Seite; ein
wahrer Freund.
Jeden zweiten Monat musste ich, für drei bis vier Wochen, in die Aubildungs-
werkstatt des Bauhauptgewerbes nach Kenn bei Trier. Also fuhr ich täglich mit dem
Uwe aus Neidenbach, dem das Schicksal das gleiche Los zugeteilt hatte, mit dem
Zug bis nach Ehrang. Dann liefen wir zu Fuß mit einigen Kumpeln, die in Ehrang und
Speicher zugestiegen waren, bis zur Mündung der Kyll in die Mosel, dann ging es
weiter über die lange Brücke der B 50 ans andere Flussufer. Dann hatten wir unser
Ziel fast schon erreicht. Am Abend führte uns der gleiche Weg zurück. Während
meine Kollegen die Heimfahrt regelmäßig verschliefen, musste ich alles, was der
damalige Bahnbetrieb und die Landschaft boten, genau besehen. Nun konnte mir
niemand mehr verbieten aus dem Fenster zu schauen. Die wichtigsten Punkte prägte
ich mir damals ein; ja ich wusste gar die Meereshöhen der einzelnen Bahnhöfe und
die Länge der neun Tunnel zwischen Kyllburg und Ehrang. Da meiste davon ist mir
heute entfallen. Doch die Reihenfolge weiß ich noch. Kyllburg 271 m.ü.NN Kyllburger
Tunnel, Wilsecker Tunnel, der längste auf der Eifelbahn. Gleich hinter der Wilsecker
Schlucht biegt die Strecke wieder ins malerische Kylltal. Dort stand die untere
Fließemer Mühle, die heute der Autobahnbrücke der A 60 gewichen ist. Es folgen
Erdorf – Mettericher Tunnel, Haltepunkt Hüttingen, Philippsheim, wo dereinst die
Schmalspurbahn nach Binsfeld ihren Anfang nahm. Es kommen der Philippsheimer
Tunnel, mit der riesigen Statue eines Uhus auf der Portalskrone und Friedrich-
Ein Ereignis ist in meinem Gedächtnis haften geblieben, als wäre es erst gestern
geschehen. Es war ein lauer Abend, Ende Mai 1979. In den Dörfern saßen alte
Leutchen auf der Bank vor ihren Häusern, philosophierten über ihr langes Leben und
genossen die letzten Sonnenstrahlen. Die Lok hatte sich tapfer bis nach Phillipsheim
gegen den Berg gestemmt. Doch der schwierigere Teil lag erst noch vor ihr. Die
letzten Reisenden hatten den Zug verlassen, krachend fielen die eisernen Türen in
die Schlösser. Der Fahrdienstleiter hatte den Fahrweg gestellt, Das Ausfahrsignal
zeigte „zwei Flügel“ Hp 2 Langsamfahrt. Der Zugführer gab Achtungspfiff und hob die
„Kelle“, als Abfahrauftrag. Der Lokführer hob den Arm zum Zeichen das er
verstanden hat, und verschwand wieder im Führerstand.
Mit lärmendem Motor setzte sich die 215 langsam in Bewegung. Wir fuhren
vorbei an den Leuten, die den Zug hier verlassen hatten und nun in einer langen
Prozession dem Dorf zustrebten, und bogen wieder in das Streckengleis ein. Meine
Kollegen dösten, nach dem täglichen Feierabendbier, friedlich vor sich hin, und ich
genoss die Fahrt durch die blühende Natur. Saftig standen die Wiesen, Wildblumen
erstrahlten als bunter Teppich in der Abendsonne. Nur ein kurzes Stück waren wir
gefahren, als der Zug plötzlich und ohne erkennbaren Grund, durch eine scharfe
Bremsung zum Stehen gekommen war. Ein Signal, das die Fahrt hätte hemmen
können, gab es auf diesem Streckenabschnitt nicht. Hatte vielleicht jemand die
Notbremse gezogen? Das abrupte Halten hatte gar meine Kumpel geweckt. Was war
geschehen? Schnell hatte ich die obere Hälfte des Fensters herabgelassen und
blickte in beide Richtungen am Zug entlang. Erst konnte ich nichts ungewöhnliches
feststellen, aber dann erkannte ich doch den Grund für unseren außerplanmäßigen
Halt. Ein ausgewachsener Braunbär saß auf den Hinterbeinen nur wenige Meter vor
der Lok und patschte seine vorderen Tatzen zusammen. Nun waren in jener Zeit
selbst in der Eifel die freilebenden Bären schon lange ausgerottet. Des Rätsels
Lösung war, dass wir uns auf Höhe des Tierparks Gondorf, direkt unterhalb des
Bärengeheges, befanden und Meister Petz hatte es irgendwie geschafft zu flüchten.
Viele Jahre sind seit damals ins Land gegangen. Vieles könnte ich noch
berichten. Von der Murre, die 1982 in der Wilsecker Schlucht abging und von der V
100, die sich wie auf einem Keil, in Schlamm und Geröll mit ihrem Personenzug, vor
der Tunnelkrone wiederfand. Ab 1985 wichen die Form- den Lichtsignalen und die
einst weit verzweigten Gleisanlagen der Bahnhöfe nach und nach einem reichen
Distelbestand. An Stelle der schön gestalteten Güterschuppen wurden kastengleiche
Einkaufsmärkte gebaut. Und die einst ungeliebten Dieselloks, die das Ende der
Dampfloks brachten, weichen allmählich den Triebwagen. Anstatt die Strecke wieder
durchgängig zweigleisig auszubauen, setzte man Neigetechnikzüge ein. Der Erfolg
war das der Triebwagen den Fahrzeitgewinn in Kyllburg ganze elf Minuten lang
aufbrauchen durfte, bis der Gegenzug zur Kreuzung einlief. Das ist schon wieder
Geschichte. Die Neigetechnik ist von deutschen Gleisen fast überall verschwunden.
Über die ungezählten Nebenbahnen verlaufen heute Radwege. Wer kennt noch
Erdorf – Igel, Gerolstein – Prüm – Pronsfeld – St. Vith oder Waxweiler, Daun
-Wengerohr - Bernkastel oder das „Saufbähnchen“ Trier – Bullay. Es kommen keine
schweren Güterzüge mehr vom Rheintal über Ahrweiler nach Lissendorf und von dort
weiter an die Saar oder nach Luxemburg. Während anderswo über Wiederinbetrieb-
nahme stillgelegter Strecken nachgedacht wird, feiert man in der Eifel jeden Meter
Gleis der rausgerissen wird. Zuletzt waren das die Strecke Jünkerath – Losheim oder
die alte Eisenbahnbrücke in Bitburg.
Geblieben ist nur die „arg gerupfte“ Eifelhauptbahn Köln – Trier. Auch hier
verläuft ein Radweg auf Teilstücken mit auf dem Bahndamm, über Brücken und
durch Tunnel. Auch ich gehöre zu den „Frevlern“, die in heutiger Zeit die neuen
Radwege befahren. Heute schnaufen und keuchen die Menschen, früher die
Dampfloks den Berg hinan.
Vieles aus der alten Zeit ist verschwunden. Nur selten fährt eine Dampflok mit
Sonderzug durchs Kylltal. Die Berghänge „Hinter Kyllburg“ und der „Hasenknopp“
sind zugewachsen und verwildert. Nur noch selten findet sich im Dickicht eine Stelle,
von der man auf die Bahnlinie sehen kann. Der Bach in Malberg ist seit 1970
zubetoniert. Kein Fisch findet mehr den Weg im November zu seinen Laichgründen.
Der Boden im Kanal bietet keinen Halt, so gleiten sie zurück in die Kyll. Die
Walnussbäume auf dem „Messenweg mussten einem Gehweg weichen. Die Eifel hat
vielerorts ihren Reiz verloren.
Inzwischen fahre ich in Süddeutschland selbst Lok. Eine Fahrt auf der Eifelbahn
blieb mir bislang verwehrt. Von Zeit zu Zeit setze ich mich in Kyllburg in den Zug
nach Trier, schließe die Augen und dann höre ich das Stampfen der Dampfzylinder;
schöne alte Dampflokzeit, schöne alte Eifelbahn!
Vieles ist neu, aber ist es auch immer besser?