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2 Kohlenhydrate, Lipide
und Aminosäuren
Georg Löffler

2.1 Kohlenhydrate – 22
2.1.1 Klassifizierung und Funktionen – 22
2.1.2 Monosaccharide – 22
2.1.3 Disaccharide – 25
2.1.4 Oligosaccharide und Polysaccharide – 26

2.2 Lipide – 32
2.2.1 Klassifizierung und Funktionen – 32
2.2.2 Fettsäuren – 33
2.2.3 Glycerolipide – 35
2.2.4 Sphingolipide – 37
2.2.5 Isoprenlipide – 38
2.2.6 Lipide in wässrigen Lösungen – 39

2.3 Aminosäuren – 45
2.3.1 Klassifizierung und Funktionen – 45
2.3.2 Proteinogene Aminosäuren – 45
2.3.3 Nichtproteinogene Aminosäuren – 48
2.3.4 Säure-Baseneigenschaften von Aminosäuren – 48

Literatur – 53
22 Kapitel 2 · Kohlenhydrate, Lipide und Aminosäuren

> > Einleitung

Lebende Organismen synthetisieren und verwerten Kohlenhydrate, Lipide und Aminosäuren. Die Funktionen dieser Verbin-
dungen sind vielfältig.
2 Kohlenhydrate kommen als rasch metabolisierbare Substrate oder Speicherstoffe hoher Energiedichte vor. Sie sind Gerüst-
substanzen, bilden wichtige Komponenten der extrazellulären Matrix und sind Bestandteil vieler Proteine.
Triacylglycerin sind die energiedichtesten Speicherverbindungen. Die amphiphilen Phospholipide und Sphingolipide bil-
den Membranstrukturen von Zellen. Wegen ihrer Fähigkeit zur Polymerisation sind Isoprene zur Bildung der besonders um-
fangreichen Gruppe der Isoprenlipide imstande. Zu diesen gehören u.a. fettlösliche Vitamine, Cholesterin, die von Cholesterin
abgeleiteten Steroidhormone sowie die für die Fettverdauung wichtigen Gallensäuren.
Als D-Aminocarbonsäuren sind Aminosäuren formal Derivate von Fettsäuren. Von den etwa einhundert bekannten Amino-
säuren kommen lediglich 20, die sog. proteinogenen Aminosäuren, in Proteinen vor. Außer dieser wichtigen Funktion dienen
Aminosäuren als Stickstofflieferanten bei Biosynthesen, liefern das Substrat für die Gluconeogenese, und bilden als sog. bio-
gene Amine wichtige Signalstoffe.

2.1 Kohlenhydrate ranten dienen. Daneben werden Polysaccharide in tieri-


schen und pflanzlichen Zellen als Energiespeicher ver-
2.1.1 Klassifizierung und Funktionen wendet.
Polysaccharide sind in der extrazellulären Matrix der
Kohlenhydrate oder Saccharide sind mengenmäßig die Gewebe aller höheren Lebewesen der entscheidende Be-
häufigsten von Lebewesen synthetisierten Verbindungen standteil und unter anderem für deren Differenzierung zu-
unseres Planeten. Im Vergleich zu Lipiden und Amino- ständig. Außerdem ist eine große Zahl von Proteinen mit
säuren ist das Prinzip ihrer Struktur vergleichsweise ein- spezifischen Oligosaccharid-Strukturen ausgestattet, die
fach, da sie alle Abkömmlinge von Verbindungen der Bedeutung für die Proteinfunktion haben. Im Wesentlichen
Grundstruktur handelt es sich hierbei um Membranproteine sowie sezer-
nierte Proteine.
(HCOH)n

sind, wobei n t 3 sein muss. 2.1.2 Monosaccharide

! Je nach ihrer Zusammensetzung werden Kohlenhydrate


Bezüglich ihrer Umsatzraten und ihrer quantitativen Be-
in Monosaccharide sowie Di-, Oligo- und Polysaccharide
deutung spielen die Hexosen und Pentosen im Stoffwech-
eingeteilt.
sel die größte Rolle. Außerdem kommen in geringem Um-
Monosaccharide. Monosaccharide sind durch Hydrolyse fang als Zwischenprodukte des Hexosemonophosphatweges
nicht mehr weiter zerlegbare Kohlenhydrate. Formal han- der Glucose (7 Kap. 11.1.2) der aus der 4-C-Atomen beste-
delt es sich um Aldehyde bzw. Ketone mehrwertiger Alko- hende Zucker Erythrose sowie der aus 7-C-Atomen beste-
hole, also um Aldosen bzw. Ketosen. Wegen des gehäuften hende Zucker Seduheptolose, jeweils in Form von Phos-
Vorkommens asymmetrischer C-Atome gibt es eine große phorsäureestern, vor (7 Abb. 11.9 in Kap. 11.1.2).
Zahl von stereoisomeren Formen von Monosacchariden
! Hexosen sind wichtige Bestandteile von Nahrungskoh-
(Einzelheiten 7 Lehrbücher der organischen Chemie).
lenhydraten.

Di-, Oligo- und Polysaccharide. Dank der besonders reak- Die für den tierischen Stoffwechsel wichtigsten Hexosen
tionsfähigen Aldehyd- bzw. Ketogruppen von Monosac- sind in . Tabelle 2.1 und . Abbildung 2.1 zusammengestellt.
chariden haben diese die Fähigkeit, weitere Monosacchari- Unter ihnen kommt der Glucose die größte Bedeutung zu
de mit Hilfe glycosidischer Bindungen (7 Kap. 2.1.2) anzu- (7 Kap. 11; 7 Kap. 17):
lagern und auf diese Weise eine Vielzahl der verschiedensten 4 Fast alle mit der Nahrung aufgenommenen Kohlen-
Verbindungen zu bilden. So entstehen u.a. Di- bzw. Oligo- hydrate müssen in Glucose umgewandelt werden, be-
saccharide bzw. als Makromoleküle die Polysaccharide. vor sie unter Energiegewinn abgebaut werden können
4 Alle im Organismus vorkommenden Monosaccharide
! Kohlenhydrate sind Energielieferanten, Energiespeicher
können aus Glucose synthetisiert werden
und Strukturbestandteile.
4 Das Kohlenstoffskelett der Glucose kann als Ausgangs-
Die Funktionen von Kohlenhydraten sind außerordentlich material für die Synthese der nichtessentiellen Amino-
vielfältig. Schon lange ist bekannt, dass sie nahezu allen Or- säuren (7 Kap. 13.4.2) sowie der Lipide (7 Kap. 12) ver-
ganismen als rasch zur Verfügung stehende Energieliefe- wendet werden.
2.1 · Kohlenhydrate
23 2

. Tabelle 2.1. Biochemisch wichtige Hexosen (Auswahl)


Name Vorkommen und biologische Bedeutung
D-Glucose Fruchtsäfte; Bestandteil von Stärke, Glycogen,
Saccharose, Lactose.
Wichtigstes vom Organismus verwertetes
Monosaccharid; Blutzucker
D-Galactose Bestandteil der Lactose.
Wird vom Organismus in Sphingolipide und
Glycoproteine eingebaut. Abbau nur nach
Umwandlung in Glucose möglich
D-Mannose Bestandteil von tierischen und pflanzlichen
Glycoproteinen.
Dient zur Adressierung lysosomaler Proteine.
Abbau erst nach Umwandlung in Glucose
D-Fructose Fruchtsäfte; Bestandteil der Saccharose; Biosyn-
these aus Glucose in verschiedenen Geweben;
Abbau erst nach Umwandlung in Glucose, in der
Leber jedoch direkter Abbau möglich

! Pentosen sind Bestandteile von Nucleotiden und Nuc-


leinsäuren.
. Tabelle 2.2 fasst die häufigsten vorkommenden Monosac-
charide mit 5-C-Atomen zusammen. Pentosen werden
nicht in größeren Mengen mit der Nahrung aufgenommen,
sondern im Verlauf des Glucosestoffwechsels intrazellulär
synthetisiert und dann als wichtige Bestandteile von Nuc-
leotiden und Nucleinsäuren verwendet (7 Kap. 19.1).
! Die OH-Gruppen von Monosacchariden werden in
vielfältiger Weise modifiziert.

Alle Hexosen und Pentosen können vielfältig modifiziert


werden, wie es in . Abbildung 2.2 am Beispiel der Glucose
dargestellt ist:
4 Hydroxylgruppen von Monosacchariden können ver-
estert werden (7 Lehrbücher der organischen Chemie).
Von biochemischem Interesse sind die Phosphorsäure-
ester, da intrazellulär hauptsächlich phosphorylierte
Monosaccharide umgesetzt werden (7 Kap. 11.1.1)
. Abb. 2.1. Häufige Monosaccharide. Die in Form ihrer E-Anome-
4 Durch Oxidation der endständigen –CH2-OH-Gruppe ren dargestellten Monosaccharide werden nicht nur zur Energiege-
von Monosacchariden entstehen Uronsäuren, die u.a. winnung abgebaut, sondern auch zum Aufbau von Oligo- und Poly-
Bestandteile wichtiger Polysaccharide sind (7 Kap. sacchariden verwendet
2.1.4). An Glucuronsäure werden ausscheidungspflich-
tige körpereigene sowie auch körperfremde Substan-
zen gekoppelt 4 Die durch den Ringschluss gebildete halbacetalische
Hydroxylgruppe am C-Atom 1 von Monosacchariden
. Tabelle 2.2. Biochemisch wichtige Pentosen (Auswahl) ist besonders reaktionsfähig und geht die glycosidische
Name Vorkommen und biologische Bedeutung Bindung ein
D-Ribose Vorkommen in Nucleinsäuren; Biosynthese 4 Durch Reduktion am C-Atom 1 entstehen aus Mono-
aus Glucose; Strukturelement von Coenzymen sacchariden die entsprechenden mehrwertigen Alko-
und RNA hole (aus Glucose Sorbitol, aus Mannose Mannitol
D-Desoxyribose Vorkommen in Nucleinsäuren; Biosynthese usw.)
aus Glucose; Strukturelement der DNA 4 Durch Oxidation am C-Atom 1 wird die glycosidische
D-Ribulose Stoffwechselzwischenprodukt im Glucose- Hydroxylgruppe zum Lacton dehydriert, das durch
abbau über Pentosephosphatweg
Wasseranlagerung in die entsprechende Carbonsäure
D-Arabinose, Vorkommen in Proteoglycanen übergeht. Diese wird i. Allg. durch die Endung -on ge-
D-Xylose
kennzeichnet (aus Glucose entsteht Gluconsäure)
24 Kapitel 2 · Kohlenhydrate, Lipide und Aminosäuren

. Abb. 2.2. Die wichtigsten Derivate der α-


D-Glucose. a Durch Mutarotation entsteht E-D-
Glucose. b Durch Reduktion am C-Atom 1 ent-
steht Sorbitol. c Durch Oxidation am C-Atom 6
2 entsteht Glucuronsäure (Glucuronat). d Durch
Veresterung der OH-Gruppe am C-Atom 6 mit
Phosphorsäure entsteht Glucose-6-phosphat.
e Ersatz der Hydroxylgruppe am C-Atom 2 durch
eine Aminogruppe führt zum Glucosamin.
f Glucosamin kann an der Aminogruppe acety-
liert werden, sodass N-Acetylglucosamin ent-
steht. g Durch Oxidation am C-Atom 1 entsteht
Gluconolacton, welches hydrolytisch zu Gluco-
nat gespalten werden kann

4 Aminozucker entstehen durch den Ersatz einer Hydro- 4 Handelt es sich dagegen um Nichtkohlenhydrate, so
xylgruppe durch eine Aminogruppe. Bei den physio- entstehen Substanzen, die als O- bzw. N-Glycoside be-
logischerweise vorkommenden Aminozuckern Gluco- zeichnet werden
samin, Galactosamin und Mannosamin ist die Ami- 4 Die Verbindung wird nach dem die glycosidische
nogruppe mit dem C-Atom 2 des Monosaccharids Bindung eingehenden Zucker benannt (Glucosid,
verbunden. Häufig ist die NH2-Gruppe acetyliert. Die Galactosid usw.), der Nichtkohlenhydratanteil der
Aminozucker und ihre N-acetylierten Derivate kom- entstehenden Verbindung wird auch als Aglycon be-
men in verschiedenen Glycoproteinen, als Bestandteile zeichnet
der Proteoglykane, in bakteriellen Zellwänden sowie im
Chitin vor Der D- und E-Anomerie bei den Monosacchariden ent-
spricht die α- und β-Isomerie bei den Glycosiden. Aller-
! Die halbacetalische Hydroxylgruppe am C-Atom 1 von
dings ist hier nicht mehr das Phänomen der Mutarotation
Monosacchariden ist besonders reaktionsfähig.
(7 Lehrbücher der organischen Chemie) möglich, da die
Analog der Bildung eines Vollacetals kann die halbacetali- Hydroxylgruppe am C-Atom 1 durch den angelagerten Rest
sche Hydroxylgruppe am C-Atom 1 von Monosacchariden verschlossen ist (. Abb. 2.3).
mit OH- bzw. NH2-Gruppen unterschiedlichster Verbin-
! Glycosidische Bindungen kommen häufig in Verbin-
dungen unter Wasserabspaltung reagieren, wobei Glyco-
dungen mit besonderen biologischen Funktionen vor.
side gebildet werden:
4 Stammt die OH-Gruppe von einem weiteren Mono- Viele der im Tier- und Pflanzenreich vorkommenden O-
saccharid, so entstehen Di- oder Polysaccharide und N-Glycoside gehören zu den biologisch wirksamsten
2.1 · Kohlenhydrate
25 2

. Abb. 2.3. Entstehung von α-Methylglucosid und β-Methyl-


glucosid. D- und E-Glucose stehen durch Mutarotation miteinander
im Gleichgewicht. Durch Umsetzung mit Methanol entsteht unter
den entsprechenden Bedingungen D- bzw. E-Methyl-Glucosid, die
. Abb. 2.5. Struktur des Streptomycins. Das aus Streptomyces
allerdings nicht mehr ineinander überführt werden können
gewonnene Antibiotikum besteht aus den beiden Zuckern N-Methyl-
L-Glucosamin und Streptose. Diese ist mit dem modifizierten Inositol
Streptidin verknüpft. Die glycosidischen Bindungen sind rot hervorge-
hoben

Aglycon ist ein Stickstoff-haltiges Inositol, als Zucker


finden sich die verzweigte Streptose und das N-Methyl-
L-Glucosamin

2.1.3 Disaccharide

! Disaccharide entstehen durch Knüpfung einer glycosi-


dischen Bindung zwischen zwei Monosacchariden.

. Abb. 2.4. Struktur des Herzglycosids Strophantin g (Ouabain). Disaccharide entstehen dadurch, dass eine glycosidische
Die pharmakologisch wirksame Komponente ist das Pflanzensteroid Bindung zwischen der besonders reaktionsfähigen glycosi-
Digitoxigenin. Mit einer glycosidischen Bindung ist dieses an das dischen Hydroxylgruppe am C-Atom 1 eines Monosaccha-
Monosaccharid L-Rhamnose geknüpft rids mit einer Hydroxylgruppe eines weiteren Monosaccha-
ridmoleküls geknüpft wird.

Substanzen und werden infolgedessen zum Teil als Phar- Disaccharide vom Maltosetyp. Disacchariden vom Malto-
maka verwendet (7 Lehrbücher der Pharmakologie): setyp liegt die Struktur der Maltose zugrunde (. Abb. 2.6).
4 Zu den N-Glycosiden gehören vor allem die Nucleotide Die Bindung ist hier zwischen dem glycosidischen C-Atom
und Polynucleotide, die als Coenzyme bzw. informa- 1 eines Zuckermoleküls und der Hydroxylgruppe des C-
tionstragende Makromoleküle wichtige Funktionen Atoms 4 des zweiten Glucosemoleküls geknüpft. Dement-
haben (7 Kap. 5.1.1) sprechend ist Maltose ein D-Glucosyl-(1o4)-glucosid und
4 Herzwirksame Glycoside sind von großer Bedeutung enthält eine α-1,4-glycosidische Bindung. Das Molekül ent-
für die Therapie der Herzinsuffizienz. . Abbildung 2.4 hält noch eine glycosidische Hydroxylgruppe. Es zeigt des-
zeigt die Struktur von Strophantin g (Ouabain). Das wegen die Fähigkeit zur Mutarotation und kann weitere
Aglycon ist das Pflanzensterol Digitoxigenin, dessen glycosidische Bindungen eingehen.
Seitenkette als 5-gliedriges ungesättigtes Lacton vor- Ein anderes, ernährungsphysiologisch wichtiges Di-
liegt. Digitoxin geht eine glycosidische Bindung mit saccharid dieses Typs ist die Lactose (E-Galactosyl-
dem Zucker L-Rhamnose ein (1o4)-glucosid). Lactose ist das wichtigste Kohlenhydrat
4 Streptomycin ist ein aus verschiedenen Streptomyces- der Milch (menschliche Muttermilch: 5–7 g Lactose/
Arten gewonnenes Antibiotikum (. Abb. 2.5). Sein 100 ml).
26 Kapitel 2 · Kohlenhydrate, Lipide und Aminosäuren

! Polysaccharide setzen sich aus einer großen Zahl glyco-


sidisch verknüpfter Monosaccharide zusammen.

Polysaccharide sind Verbindungen, die sich aus einer gro-


2 ßen Zahl von Monosacchariden zusammensetzen, wobei
das schon bei den Disacchariden verwendete Bauprinzip
der Verknüpfung über glycosidische Verbindungen beibe-
halten wird. Man unterscheidet zwischen
4 Homoglycanen, die nur ein Monosaccharid als Bau-
stein enthalten und
4 Heteroglycanen, in denen eine Reihe unterschiedlicher
Monosaccharide zum Aufbau verwendet werden
! Stärke, Glycogen, Cellulose und Dextran sind aus-
schließlich aus Glucose aufgebaute Homoglycane.

Stärke. Stärke ist das wichtigste pflanzliche Homoglycan.


Sie wird in Form von Stärkekörnern in vielen Pflanzen ab-
gelagert und enthält zwei Bestandteile, die Amylose (20–
30%) und das Amylopectin (70–80%):
4 Amylose ist ein aus mehreren tausend Glucoseresten
bestehendes Kettenmolekül (. Abb. 2.7a). Die Glucose-
reste sind wie bei der Maltose durch D (1o4)-glycosi-
dische Bindungen verknüpft. Dadurch ergibt sich eine
schraubenförmige Windung des Amylosemoleküls mit
. Abb. 2.6. Struktur wichtiger Disaccharide
ca. 6 Glucoseeinheiten pro Schraubengang
4 Amylopectin besteht ebenfalls aus D- (1o4)-glyco-
Disaccharide vom Trehalosetyp. Trehalose ist ein in Pilzen sidisch verknüpften Glucoseresten. Es enthält jedoch
und Hefen vorkommendes Disaccharid. Bei ihr sind die gly- zusätzlich Verzweigungsstellen über die Hydroxylgrup-
cosidischen Hydroxylgruppen am C-Atom 1 zweier Gluco- pe am C-Atom 6 (D(1o6)-glycosidische Bindung);
sereste miteinander verknüpft. Aus diesem Grund sind die . Abb. 2.7c). Da sich die Seitenketten ihrerseits wieder
Gruppeneigenschaften von Monosacchariden, die auf der verästeln können, bilden sich stark verzweigte Riesen-
besonderen Reaktionsfreudigkeit der glycosidischen Hydro- moleküle. Im Amylopectin kommt es im Mittel bei je-
xylgruppe beruhen, verschwunden (Mutarotation, reduzie- dem 25. Glucoserest zu einer Verzweigung. Die mole-
rende Eigenschaften, Fähigkeit zur glycosidischen Bildung). kulare Masse des Amylopectins ist mit etwa 106 Da sehr
Das für die menschliche Ernährung wichtigste Disaccharid hoch
aus dieser Gruppe ist die Saccharose (sucrose) (. Abb. 2.6).
Saccharose ist D-Glucosyl-(1o2)-E-fructosid. Glycogen. Glycogen ist das tierische Reservekohlenhydrat.
In seiner Struktur entspricht es weitgehend dem Amylo-
pectin, allerdings ist es mit einer Verzweigung pro 6–
2.1.4 Oligosaccharide und Polysaccharide 10 Glucoseresten noch stärker verzweigt (. Abb. 2.7b,c).
Die Molekülmasse des Glycogens kann zwischen 1u106
! Oligosaccharide sind Verbindungen, die 3 bis maximal und 20u106 Da schwanken. In besonders hoher Konzen-
20 glycosidisch verknüpfte Monosaccharide enthalten. tration kommt Glycogen in der Leber (maximal 10 g/100 g
Frischgewicht) und im Muskel (ca. 1 g/100 g Frischge-
Freie Oligosaccharide kommen im Pflanzenreich vor; im wicht) vor. Über den Stoffwechsel des Glycogens orientiert
Tierreich trifft man sie nur in geringen Konzentrationen an. 7 Kap. 11.2.
Eine Ausnahme machen die vier bis sechs Monosaccharide
enthaltenden Oligosaccharide der Milch, welche die charak- Cellulose. Cellulose ist die auf der Erde am weitesten ver-
teristischen Strukturen des Kohlenhydratanteils der Blut- breitete organische Substanz. Sie besteht aus Glucosemole-
gruppenglycoproteine enthalten und in geringen Mengen külen, die E-1,4-glycosidisch miteinander verknüpft sind.
auch im Urin ausgeschieden werden. Infolge der E-glycosidischen Bindungen liegt das Molekül
In gebundener Form haben Oligosaccharide dagegen als fadenförmiges Kettenmolekül vor, das lange Fasern
als Bestandteile der Glycoproteine (7 u.) und der Ganglio- ausbildet, die durch Wasserstoffbrückenbindungen ver-
side eine weite Verbreitung. Sie werden bei den Heteroglyca- knüpft sind. Cellulose ist die wichtigste pflanzliche Stütz-
nen besprochen (7 u.). substanz.
2.1 · Kohlenhydrate
27 2

Dextrane. Dextrane sind aus Glucose bestehende Ho-


moglycane, die vor allem in Bakterienmembranen vorkom-
men. Die Glucosereste sind 1,6-glycosidisch verbunden.
Verzweigungsstellen kommen in 1,2-, 1,3- oder 1,4-glyco-
sidischen Bindungen vor. Dextrane werden vor allem als
Molekularsieb bei der Dextrangel-Chromatographie
(7 Kap. 3.2.1) verwendet. Außerdem dient Dextran als Blut-
plasmaersatz bei starken Blutverlusten.
! Heteroglycane sind Oligo- bzw. Polysaccharide aus
mehreren unterschiedlichen Monosaccharid-Bau-
steinen.

Heteroglycane enthalten neben verschiedenen einfachen


Monosacchariden auch von diesen abgeleitete Verbindun-
gen wie Aminozucker und Uronsäuren. Gelegentlich han-
delt es sich um verzweigte Moleküle. Fast ausnahmslos
treten Heteroglycane in covalenter Verknüpfung, meist mit
Proteinen, aber auch mit Lipiden auf. Heteroglycane wer-
den eingeteilt in
4 Glycoproteine
4 Proteoglycane
4 Peptidoglycane
4 Glycolipide

. Tabelle 2.3 fasst wichtige Eigenschaften von Heteroglyca-


nen zusammen.
! Glycoproteine sind überwiegend Export- und Membran-
proteine.

Glycoproteine sind Proteine, an die über glycosidische Bin-


dungen Oligosaccharide aus 2 bis maximal 20 verschie-
denen Monosacchariden geknüpft sind.
Glycoproteine sind sehr weit verbreitet. Als Regel gilt,
dass alle Exportproteine sowie Membranproteine Glyco-
proteine sind oder wenigstens während ihrer Biosynthese
die Stufe von Glycoproteinen durchlaufen haben. Von der
großen Zahl der aus dem menschlichen Plasma isolierten
Plasmaproteine tragen nur Albumin und Transthyretin
(Präalbumin) keine Zuckerreste.
Bezogen auf die Masse kann der Kohlenhydratanteil
der Glycoproteine weniger als 5% (Immunglobulin G)
bis zu 85% bei Blutgruppensubstanzen variieren.
Die biologische Aktivität von Glycoproteinen wird vor
allem durch das zugrunde liegende Protein bestimmt. Bei-
spiele sind
4 Strukturproteine (z.B. Kollagen)
4 Enzyme (z.B. Ribonuclease, Amylase, Acetylcholin-
esterase, Glucocerebrosidase)
4 Transportproteine (z.B. Caeruloplasmin, Transferrin)
4 Peptidhormone (z.B. Luteinisierungshormon, Follikel-
stimulierendes Hormon)
4 Immunglobuline
. Abb. 2.7. Aufbau von Stärke und Glycogen. a Amylose, b Glyco- 4 Fibrinogen
gen c Ausschnitt eines Amylopectin- bzw. Glycogenmoleküls mit 4 Blutgruppenantigene
einer Verzweigungsstelle
28 Kapitel 2 · Kohlenhydrate, Lipide und Aminosäuren

. Tabelle 2.3. Einteilung der Heteroglycane


Bezeichnung Kohlenhydrat Nichtkohlenhydrat Funktion
Glycoproteine Oligosaccharide aus 2–20 verschiedenen Verschiedenste Proteine Vielseitig, vom Protein abhängig
2 Monosacchariden
Proteoglycane Glycosaminoglycane mit sich wieder- Einfach aufgebaute Proteinskelette Bildung der extrazellulären Matrix
holenden Disacchariden; Molekül- (core protein)
masse 2 u 103 bis 3 u 106 Da
Peptidoglycane Disaccharid aus N-Acetylglucosamin Peptide aus 4–5 Aminosäuren Bildung der bakteriellen Zellwand
und N-Acetylmuraminsäure
Glycolipide Oligosaccharide Ceramid, Diacylglycerin Bauteile zellulärer Membranen,
Polyprenole Zwischenprodukt bei der Glyco-
proteinbiosynthese

! Die Heteroglycanketten sind in N- bzw. O-glycosi- 4 Der innerste Zucker der O-glycosidisch an Seryl- oder
discher Bindung an die jeweiligen Proteine geknüpft. Threonylreste gebundenen Oligosaccharide ist meist
ein N-Acetyl-Galactosamin, an welches weitere Sac-
In den Glycoproteinen eukaryoter Zellen kommen als charidreste geknüpft sind
Monosaccharidbausteine vor: 4 Der innerste Zucker der N-glycosidisch an Asparagi-
4 Glucose nylreste gebundenen Oligosaccharide ist ein N-Acetyl-
4 Galactose Glucosamin. Auf dieses folgt ein weiteres N-Acetyl-
4 Mannose Glucosamin. Danach verzweigt sich je nach Typ des
4 N-Acetylglucosamin Oligosaccharids die Zuckerkette, die Mannose-, Galac-
4 N-Acetylgalactosamin tose, N-Acetyl-Glucosamin-, Neuraminsäure - bzw.
4 L-Fucose Fucosereste enthält
4 Neuraminsäure
Über Biosynthese und Funktion von Glycoproteinen
Die covalente Verknüpfung zwischen Kohlenhydratanteil 7 Kapitel 17.3.
und Peptidkette erfolgt dabei:
! Glycosaminoglycane sind lange, unverzweigte Hetero-
4 in N-glycosidischer Bindung über Asparaginylseiten-
glycanketten aus repetitiven Disaccharideinheiten.
ketten (. Abb. 2.8a)
4 in O-glycosidischer Bindung über Hydroxylgrup- Im Gegensatz zu den meist verzweigten Oligosaccharid-
pen der Threonyl- oder häufiger Serylseitenketten Ketten der Glycoproteine bestehen Glycosaminoglycane
(. Abb. 2.8b) sowie aus langen, unverzweigten Heteroglycanketten, die aus sich
4 im Kollagen über Hydroxylysin wiederholenden identischen Disaccharideinheiten zusam-
mengesetzt sind (. Tabelle 2.4, . Abb. 2.10). Diese Disac-
. Abbildung 2.9 stellt einige typische Strukturmerkmale der charide bestehen immer
N- bzw. O-glycosidisch gebundenen Oligosaccharide von 4 aus einem Hexosamin bzw. dessen N-acetyliertem De-
Glycoproteinen dar: rivat sowie
4 aus einer Uronsäure, meist Glucuronsäure

Zusätzliche Sulfatgruppen sind über Esterbindungen mit


verschiedenen Hydroxylgruppen der Monosaccharide ver-
knüpft. Eine ältere, heute weniger gebräuchliche Bezeich-
nung für Glycosaminoglycane ist Mucopolysaccharide.
Keratansulfat enthält statt einer Uronsäure Galactose
! Mit Ausnahme der Hyaluronsäure sind alle Glycosami-
noglycane an spezifische Proteine gebunden.

Mit Ausnahme der Hyaluronsäure sind die Heteroglycan-


ketten der Glycosaminoglycane an sog. core-Proteine ge-
. Abb. 2.8. In Glycoproteinen vorkommende Verknüpfungen
bunden, und werden deswegen als Proteoglycane bezeich-
mit der Oligosaccharidkette. a N-glycosidische Bindung zwischen
dem Asparaginylrest der Peptidkette und einem N-Acetylglucosamin. net. Die Verknüpfung der repetitiven Disaccharideinheiten
b O-glycosidische Bindung zwischen einem Serylrest der Peptidkette an die zugehörigen Peptidketten erfolgt O-glycosidisch
und N-Acetylgalactosamin über ein Serin und beginnt mit der Zuckersequenz: Xylose-
2.1 · Kohlenhydrate
29 2

. Abb. 2.9a–d. Strukturen typischer


O- bzw. N-glycosidisch verknüpfter
Oligosaccharide von Glycoproteinen.
a Struktur aus dem Sialoglycoprotein der
Erythrozytenmembran des Menschen.
Eine gleichartige Struktur kommt auch
im Kininogen vor. b Struktur einer im
Mucin vorkommenden Oligosaccharid-
kette. c high-mannose-type-Oligosaccha-
rid aus Eialbumin. d Komlexe Oligosac-
charidkette, die in vielen Glycoproteinen
nachweisbar ist. Nana = N-Acetyl-Neura-
minsäure. Die Ziffern geben die Lokalisa-
tion und Richtung der glycosidischen
Bindungen an

Galactose-Galactose-Glucuronat, an die sich die Disaccha- ronsäure durch L-Iduronsäure ersetzt ist. Dermatansulfate
ridkette anschließt. finden sich in großen Mengen in der Haut, im Bindegewebe
Die wichtigsten in Proteoglycanen nachweisbaren Gly- und in den Herzklappen.
cosaminoglycane sind:
Keratansulfat. Keratansulfat ist ein Glycosaminoglycan, bei
Chondroitinsulfate. Chondroitinsulfate erreichen Moleku- dem anstelle der Uronsäuren Galactosylreste vorkommen.
larmassen zwischen 20 und 50 kDa. Sie kommen unter an-
derem in großen Mengen im Knorpel vor, wo sie bis zu 40% Heparin und Heparansulfat. Wichtige Glycosaminoglyca-
des Trockengewichtes ausmachen. ne sind schließlich Heparansulfat und Heparin, bei denen
im Gegensatz zu den anderen Glycosaminoglycanen Disac-
Dermatansulfat. Dermatansulfat unterscheidet sich von charide auch durch D-glycosidische Bindungen verknüpft
den Chondroitinsulfaten dadurch, das 10–20% der Glucu- sind. Ihre Molekularmasse beträgt etwa 5–30 kDa. Heparin

. Tabelle 2.4. Disaccharide der Glycosaminoglycane


Molekülmasse Hexosen Stellung des Bindung Vorkommen
(Da) Sulfats
Hyaluronsäurea 1–3 u 106 N-Acetylglucosamin, – β(1 o 4) Synovialflüssigkeit,
Glucuronsäure β(1 o 3) Glaskörper, Nabelschnur
Chondroitin-4-Sulfat 2–5 u 104 N-Acetylgalactosamin, 4 β(1 o 4) Knorpel, Aorta
(Chondroitinsulfat A) Glucuronsäure β(1 o 3)
Chondroitin-6-Sulfat 2–5 u 104 N-Acetylgalactosamin, 6 β(1 o 4) Herzklappen
(Chondroitinsulfat C) Glucuronsäure β(1 o 3)
Dermatansulfat 2–5 u 104 N-Acetylgalactosamin, 4 β(1 o 4) Haut, Blutgefäße,
(Chondroitinsulfat B) Iduronsäure oder α(1 o 3)b Herzklappen
Glucuronsäure β(1 o 3)
Heparin 0,5–3 u 104 Glucosamin, 3, 6, N α(1 o 4) Lunge, Mastzellen
Glucuronsäure oder β(1 o 4)
Iduronsäure α(1 o 4)b
Heparansulfat 2–10 u 103 Glucosamin oder N α(1 o 4) Blutgefäße, Zelloberfläche
(Heparitinsulfat) N-Acetylglucosamin, 3,6 β(1 o 4)
Glucuronsäure oder α(1 o 4)b
Iduronsäure 2
Keratansulfat 5–20 u 103 N-Acetylglucosamin, 6 β(1 o 3) Cornea, Nucleus pulposus,
Galactose 6 β(1 o 4) Knorpel
a
Eine Bindung von Hyaluronsäure an Protein ist nicht nachgewiesen.
b
Diese glycosidische Bindung der L-Iduronsäure entspricht sterisch der β-glycosidischen Bindung der D-Glucuronsäure, wird jedoch wegen
der L-Konfiguration der Iduronsäure als α-glycosidisch bezeichnet.
30 Kapitel 2 · Kohlenhydrate, Lipide und Aminosäuren

kein als Skelett dienendes Protein enthält und deswegen


nicht zu den Proteoglycanen gezählt wird.
! Proteoglykane sind wichtige Bestandteile der extrazel-
2 lulären Matrix.

Proteoglycane kommen ausschließlich in der extrazellu-


lären Matrix vor und ihre Variabilität ist für deren funktio-
nelle Vielfalt verantwortlich (7 Kap. 24.1). Sie haben die
Fähigkeit zu assoziieren und geordnete Strukturen auszu-
bilden (7 Kap. 24.4). Dabei spielen sowohl die Glycosami-
noglycan-Ketten als auch die core-Proteine eine wichtige
Rolle:
4 Entscheidende Eigenschaften aller Proteoglycane wer-
den durch die strukturellen Besonderheiten der Glyco-
saminoglycane geprägt. Infolge der Häufungen von
negativen Ladungen wirken sie als Polyanionen. Sie
tragen deswegen wesentlich zu den Ladungsverhältnis-
sen an Zelloberflächen bei und sind imstande, die un-
terschiedlichsten Moleküle reversibel zu binden. Neben
Wasser gehören hierzu u.a. Kationen (Ca2+, Mg2+), Pep-
tidhormone (7 Kap. 26.1, 26.2, 27.7) oder Cytokine (z.B.
transforming growth factor β (TGFE), 7 Kap. 25.7.2)
4 Inzwischen sind auch die den verschiedenen Proteogly-
canen zugrunde liegenden core-Proteine näher charak-
terisiert worden. Sie bilden eine umfangreiche Genfa-
milie aus mehr als 100 Mitgliedern. Sie erlauben die
Einteilung von Proteoglycanen in verschiedenen Grup-
pen, die wichtige Funktionen im Rahmen von Wachs-
tums- und Differenzierungsvorgängen wahrnehmen
(7 Kap. 24.4)

Störungen in der normalen Verteilung der Synthese sowie


des Abbaus von Proteoglycanen führen zu schweren Ab-
normitäten.
! Peptidoglycane sind Bestandteile der Zellwand von
Bakterien.

Unter den verschiedenen Bestandteilen der bakteriellen


. Abb. 2.10. Struktur der wichtigsten Glycosaminoglycane. Um
eine bessere Übersicht über die räumliche Struktur zu ermöglichen, Zellwand ist das für das Überleben der Bakterien wichtigs-
wurde zur Darstellung der pyranoiden Ringe die den natürlichen te das Peptidoglycan Murein, das auch als Glycopeptid
Verhältnissen näher kommende Sesselform gewählt. Die funktionel- oder Mucopeptid bezeichnet wird. Murein findet sich mit
len Gruppen sind rot hervorgehoben wenigen Ausnahmen in allen Prokaryoten. Es ist ein einzi-
ges, sehr großes Makromolekül, welches eine käfigartige
ist als einziges Glycosaminoglycan kein Bestandteil der ex- Hülle um die Bakterien bildet.
trazellulären Matrix (7 u.), sondern wird in Mastzellen ge- Grundbaustein des Mureins ist ein aus N-Acetylglu-
speichert. Es wirkt gerinnungshemmend (7 Kap. 29.5.3) cosamin und N-Acetylmuraminsäure bestehendes Di-
und steigert die intravasale Lipoproteinhydrolyse durch saccharid (. Abb. 2.11a). Formal ist Muraminsäure ein
Aktivierung der Lipoproteinlipase (7 Kap. 12.1.3). 3-O-Ether des Glucosamins mit Lactat. An der Carboxyl-
gruppe jedes Lactatrestes hängt ein Tetrapeptid, das über
Hyaluronsäure. Hyaluronsäure nimmt unter den Glycosa- die ε-Aminogruppe eines Lysylrestes mit einem Penta-
minoglycanen eine Sonderstellung ein. Sie besteht aus lang- glycinpeptid verknüpft ist. Verbindungen zwischen dem
kettigen, unverzweigten Molekülen aus bis zu 25.000 Disac- terminalen Alanin der Tetrapeptide und den Pentaglycin-
charideinheiten (Molekülmasse ca. 1–4u103 kDa) und ist peptiden führen zur Quervernetzung der Polysaccharid-
damit wesentlich größer als andere Glycosaminoglycane. ketten und zur Bildung eines netzförmigen Riesenmoleküls
Sie unterscheidet sich von diesen auch dadurch, dass sie (. Abb. 2.11b).
2.1 · Kohlenhydrate
31 2

überwiegend als Membranbestandteile vorkommen und


spezifische Funktionen ausüben. Je nach der in ihnen vor-
kommenden Lipidstruktur unterscheidet man
4 Sphingoglycolipide
4 Polyprenolglycolipide
4 Glyceroglycolipide

Sphingoglycolipide. Grundbaustein der Sphingoglyco-


lipide ist das Ceramid, an das glycosidisch Saccharidketten
angeheftet werden (7 Kap. 2.2.4).

Infobox
Analytik von Kohlenhydraten
Indische, chinesische und japanische Ärzte kannten
schon vor mehr als 2000 Jahren eine Krankheit, die
süßen Harn erzeugt. Es wurde beobachtet, dass dieser
süße Urin den Hunden schmeckte, Fliegen wurden
angelockt und man nannte die Krankheit »Honigharn«.
Der Ausdruck »Diabetes« (griechisch: das Hindurchge-
hende) wurde von Aretheios aus Kappadokien (81–128
n. Chr.) in den medizinischen Sprachgebrauch einge-
führt, um die großen Harnmengen, den Harndrang und
das häufige Wasserlassen zu charakterisieren. Das Prü-
fen des süßen Geschmacks von Diabetikerharn wurde
noch im 20. Jahrhundert den Studenten in der Vorle-
sung eindrucksvoll demonstriert. Der Professor ließ sich
ein mit Harn gefülltes Glas reichen, steckte einen Finger
hinein, zog die Hand wieder zurück und kostete am
Finger. Es ging alles ziemlich schnell und die Zuschauer
waren fassungslos. Erst später wurde geklärt, was ge-
schehen war. Der Professor hatte den Zeigefinger in das
Uringlas gesteckt, aber seinen Mittelfinger abge-
schleckt. Niemand im Zuhörerkreis hat das bemerkt.
Die heute gebräuchlichen Verfahren zum Glucose-
nachweis in Körperflüssigkeiten verlangen vom Unter-
sucher weniger Einsatz und sind deutlich weniger
. Abb. 2.11. Struktur des Mureins. a Ausschnitt aus dem repetiti-
störanfällig. Die Glucosebestimmung erfolgt im All-
ven Disaccharid aus N-Acetyl-Glucosamin und N-Acetyl-Muraminsäu-
re. R = Peptidkette b Schematische Darstellung der Mureinstruktur.
gemeinen mit Hilfe optisch-enzymatischer Tests
Die Vernetzungsstellen sind rot hervorgehoben. G = NAc-Glucosamin; (7 Kap. 4.2.5), meist mit Hilfe von Hexokinase und
M = NAc Muraminsäure Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase:
Glucose + ATP o Glucose-6-phosphat + ADP

Muraminsäureketten werden spezifisch durch Mura- Glucose-6-phosphat + NADP+ o


minidase gespalten. Dieses auch als Lysozym (7 Kap. 4.3) 6-Phosphogluconat + NADPH + H+
bezeichnete Enzym ist im Tierreich weit verbreitet. Es findet Messgröße ist dabei die spezifische Absorption von
sich v.a. in der Nasenschleimhaut und der Tränenflüssig- NADPH bei 340 nm (7 Abb. 4.8 in Kap. 4.2.5).
keit und hat die Aufgabe, die mit der Luft eindringenden Gemische von komplexen Kohlenhydraten können
Mikroorganismen zu zerstören. Wichtige Antibiotika, z.B. durch dieselben Techniken, die auch bei der Trennung
Bacitracin und Penicillin, entfalten ihre bakteriostatische von Proteinen und Aminosäuren eingesetzt werden,
Wirkung durch eine Hemmung der Mureinbiosynthese getrennt werden. Für die Identifikationen der einzelnen
(7 Kap. 17.2.7). Bestandteile von komplexen Kohlenhydraten eignet
sich die Kernresonanz-Spektroskopie sowie die Mas-
! Glycolipide sind Membranbestandteile.
senspektroskopie (7 Lehrbücher der biochemischen
Als Glycolipide werden Verbindungen von meist komplex Analytik).
aufgebauten Oligosacchariden mit Lipiden bezeichnet, die
32 Kapitel 2 · Kohlenhydrate, Lipide und Aminosäuren

Polyprenolglycolipide. Sie spielen eine wichtige Rolle nimmt diese Aufgabe das sehr ähnlich aufgebaute
bei der Biosynthese der Polysaccharide bakterieller Zell- Baktoprenol.
wände sowie der Oligosaccharide von Glycoproteinen
tierischer Zellen. Die hierfür benötigten Oligosaccharide Glyceroglycolipide. Der Lipidanteil der v.a. in Bakterien
2 werden nämlich zunächst auf Polyprenole und von die- und Pflanzen vorkommenden Glceroglycolipide besteht
sen erst auf die Akzeptorpeptide bzw. Proteine über- aus Diacylglycerin. Seine freie OH-Gruppe ist in glycosidi-
tragen. In tierischen Geweben ist das verwendete Poly- scher Bindung mit Oligosacchariden unterschiedlicher
prenol das Dolichol (7 Kap. 2.2.5), bei Prokaryoten über- Größe verknüpft.

In Kürze
Alle Kohlenhydrate leiten sich von Aldehyden bzw. Keto- dabei entstehenden Verbindungen werden Glycoside
nen mehrwertiger Alkohole ab, die als Aldosen bzw. Keto- genannt. Wird die glycosidische Bindung zwischen 2 Mo-
sen bezeichnet werden. Sie sind imstande, miteinander nosacchariden geknüpft, entstehen Disaccharide (Maltose,
Verbindungen einzugehen und auf diese Weise Makro- Lactose, Saccharose).
moleküle zu bilden. Im Einzelnen unterscheidet man Saccharide aus 3–20 Monosacchariden werden als Oligo-
4 Monosaccharide saccharide, solche mit mehr als 20 als Polysaccharide be-
4 Disaccharide zeichnet:
4 Oligo- und Polysaccharide 4 Homoglycane enthalten nur ein einziges Monosaccha-
rid
Von besonderer Bedeutung im Stoffwechsel sind: 4 Heteroglycane dagegen mehrere unterschiedliche
4 Hexosen (Glucose, Galactose, Mannose, Fructose) Monosaccharide
4 Pentosen (Ribose, Desoxyribose, Ribulose, Xylose)
Das wichtigste tierische Homoglycan ist das Glycogen.
Monosaccharide können unter Ausbildung glycosidischer Heteroglycane kommen in Glycoproteinen, Proteogly-
Bindungen mit OH- bzw. NH2 -Gruppen reagieren. Die cananen und im Murein der bakteriellen Zellwand vor.

2.2 Lipide . Tabelle 2.5a. Klassifizierung der Lipide


Nicht hydrolysierbare Lipide
2.2.1 Klassifizierung und Funktionen
Fettsäuren und Isoprenderivate Steroide
! Eine Klassifizierung von Lipiden beruht auf dem Vor- Derivate Terpene

handensein von Esterbindungen. Fettsäuren Retinol Cholesterin


Prostaglandine Phyllochinone Steroidhormone
Eine gebräuchliche Klassifizierung für die chemisch sehr Tocopherol D-Vitamine
unterschiedlichen Lipide teilt diese in zwei Hauptgruppen Dolichol Gallensäuren
ein, die einfachen, nicht durch Alkalibehandlung hydroly-
sierbaren Lipide und die zusammengesetzten, Esterbin-
dungen enthaltenden und damit hydrolysierbaren Lipide . Tabelle 2.5b. Klassifizierung der Lipide
(. Tabelle 2.5). Hydrolysierbare zusammengesetzte Lipide
Zu den nicht hydrolysierbaren Lipiden gehören: Acylreste Verestert Weitere Bezeichnung
4 Fettsäuren und mit Komponenten
4 Isoprenderivate, deren wichtigste Vertreter Terpene 1 Langkettigen – Wachse
und Steroide sind Alkoholen
1–3 Glycerin – Acylglycerine
Die hydrolysierbaren Lipide enthalten immer 1–3 Fett-
1–2 Glycerin-3- Serin, Phospho-
säurereste (Acylreste), die mit einem Alkohol verestert Phosphat Ethanolamin, glyceride
sind. Als Alkohole kommen infrage Cholin, Inositol
4 Glycerin 1 Sphingosin Phosphorylcholin, Sphingolipide
4 Glycerin-3-phosphat Galactose,
4 Sphingosin Oligosaccharide
4 Cholesterin 1 Cholesterin – Cholesterin-
ester
! Lipide dienen der Energiespeicherung, dem Membran-
aufbau und der Signaltransduktion.
2.2 · Lipide
33 2

. Abb. 2.12. Aufbau von gesättigten


und ungesättigten Fettsäuren. Die Ab-
bildung zeigt die funktionellen Gruppen
von Fettsäuren, die Möglichkeiten der
Zählung der einzelnen C-Atome und die
Regeln zur Festlegung der Position von
Doppelbindungen

Lipide haben eine Vielzahl von Funktionen, besonders bei 2.2.2 Fettsäuren
4 der Energiespeicherung
! Fettsäuren bestehen aus einer Kohlenwasserstoffkette
4 beim Aufbau von Membranen und
und einer Carboxylgruppe.
4 bei der Signalvermittlung
Fettsäuren sind Bausteine von Acylglycerinen, Phosphogly-
Energiespeicherung. Lipide sind ein wichtiger Nahrungs- cerinen, Sphingolipiden und Cholesterinestern. Als un-
bestandteil. Die Fettverbrennung ergibt im Vergleich mit veresterte sog. freie Fettsäuren kommen sie in den Gewe-
anderen Nahrungsstoffen die höchste Energieausbeute ben in geringen Mengen vor, im Blutplasma beträgt ihre
(39,7 kJ/g Fett) (7 Kap. 21.1). Neben ihrem energetischen Konzentration etwa 0,5–1 mmol/l. . Abbildung 2.12 zeigt
Wert haben Nahrungslipide auch deshalb Bedeutung, den allgemeinen Aufbau von Fettsäuren. Sie enthalten
weil sie die essentiellen Fettsäuren und die fettlöslichen 4 entsprechend ihrer Biosynthese aus Acetylresten meist
Vitamine Retinol, Calciferol, Tocopherole sowie Phyllo- eine gerade Anzahl von C-Atomen
chinone enthalten (7 Kap. 23.2). 4 eine Carboxylgruppe sowie
Im tierischen Organismus findet sich die höchste Lipid- 4 im Falle von ungesättigten Fettsäuren eine oder meh-
konzentration im Fettgewebe. Hier werden Triacylglyceri- rere Doppelbindungen
ne als Energiespeicher, zur Wärmeisolierung (subkutanes
Fettgewebe) oder als Druckpolster (Fett der Nierenlager, In der chemischen Nomenklatur werden Fettsäuren nach
der Fußsohle, der Orbita) gespeichert. Durch die Fettspei- den analogen Kohlenwasserstoffen mit gleicher Kettenlän-
cherung im Fettgewebe ist über längere Zeit die Unabhän- ge benannt. So heißt beispielsweise eine gesättigte Fettsäure
gigkeit von der Nahrungszufuhr gewährleistet. mit sechs C-Atomen Hexansäure, eine mit 18 C-Atomen
Ein Erwachsener speichert etwa 10.000 g Fett (bei Octadecansäure. Für die meisten Fettsäuren sind jedoch
Übergewicht wesentlich mehr!), aber nur maximal 500 g Trivialnamen üblich, die häufig den Organismus oder das
Kohlenhydrate in Form von Glycogen. Gewebe wiedergeben, aus dem die Fettsäure ursprünglich
isoliert worden ist (. Tabelle 2.6).
Membranaufbau. Eine besondere Bedeutung haben Phos-
! Ungesättigte Fettsäuren enthalten eine oder mehrere
phoglyceride, Sphingolipide und Cholesterin, da aus ih-
Doppelbindungen.
nen die Lipidphase der Plasmamembran und der intrazel-
lulären Membranen, z.B. der Mitochondrien, der Lyso- Mehr als die Hälfte der in tierischen bzw. pflanzlichen Zel-
somen und des endoplasmatischen Retikulums gebildet len vorkommenden Fettsäuren enthalten eine oder mehre-
wird (7 Kap. 6.1.2). re Doppelbindungen. . Abbildung 2.12 gibt die Regeln für
die Benennung gesättigter und ungesättigter Fettsäuren
Signalvermittlung. Lipide sind an die Regulation des Stoff- wieder:
wechsels, des Wachstums und der Differenzierung beteiligt. 4 Die Kohlenstoffatome von Fettsäuren werden, begin-
Die Steroidhormone der Nebennierenrinde und der Go- nend mit der Carboxylgruppe, mit arabischen Ziffern
naden (7 Kap. 27.3, 27.4) sind ebenso Lipide wie Prosta- nummeriert
glandine und Leukotriene, die als Gewebshormone weit 4 Ein alternatives Zählverfahren benennt die einzelnen
verbreitet sind (7 Kap. 12.4.2). Darüber hinaus sind Lipide CH2-Gruppen von Fettsäuren mit griechischen Buch-
an der Signaltransduktion beteiligt. staben. Die der Carboxylgruppe benachbarte CH2-
Gruppe wird mit D bezeichnet, die nächstfolgende mit
E usw. Die CH3-Gruppe am Ende einer Fettsäure ist
immer das Z-C-Atom
34 Kapitel 2 · Kohlenhydrate, Lipide und Aminosäuren

. Tabelle 2.6. Wichtige Fettsäuren


A. Gesättigte Fettsäuren: Summenformel CnH2n + 1COOH
Trivialname Chemischer Name Formel Mol.-Gew. Vorkommen
2 Essigsäure Ethansäure C2H4O2 60,0 Endprodukt des bakteriellen Kohlenhydratabbaus;
als Acetyl-CoA im Intermediärstoffwechsel
Propionsäure Propansäure C3H6O2 74,1 Endprodukt des bakteriellen Kohlenhydratabbaus;
als Propionyl-CoA im Intermediärstoffwechsel;
Endprodukt beim Abbau ungeradzahliger Fettsäuren
n-Buttersäure Butansäure C4H8O2 88,1 In Fetten, z.B. Butter
Isovaleriansäure Isopentansäure C5H10O2 102,1 Als Isovaleryl-CoA Intermediat beim Abbau verzweigt-
kettiger Aminosäuren
Myristinsäure Tetradecansäure C14H28O2 228,4 Anker für Membranproteine
Palmitinsäure Hexadecansäure C16H32O2 256,4 Bestandteil tierischer und pflanzlicher Lipide
Stearinsäure Octadecansäure C18H36O2 284,5 Bestandteil tierischer und pflanzlicher Lipide
Lignocerinsäure Tetracosansäure C24H48O2 368,6 Bestandteil der Cerebroside und Sphingomyeline
B. Einfach ungesättigte Fettsäuren: Summenformel CnH2n – 1COOH
Trivialname Chemischer Name Formel Mol.-Gew. Vorkommen
Crotonsäure trans-Butensäure C4H6O2 86,1 Als Crotonyl-CoA Metabolit beim Fettsäureabbau
Palmitoleinsäure cis-'9-Hexadecensäure C16H30O2 254,4 In Milchfett und Depotfett, Bestandteil der Pflanzenöle
Ölsäure cis-'9-Octadecensäure C18H34O2 282,5 Hauptbestandteil aller Fette und Öle
Nervonsäurea cis-'15-Tetracosensäure C24H46O2 366,6 In Cerebrosiden
C. Mehrfach ungesättigte Fettsäuren
Trivialname Chemischer Name Formel Mol.-Gew. Vorkommen
Linolsäurea '9,12-Octadecadiensäure C18H32O2 280,4 In Pflanzenölen und Depotfett
a 9,12,15
Linolensäure ' -Octadecatriensäure C18H30O2 278,4 In Fischölen
5,8,11,14
Arachidonsäure ' -Eicosatetraensäure C20H32O2 304,5 In Fischölen, Bestandteil vieler Phosphoglyceride
a
Essentielle Fettsäuren.

4 Die Stellung einer Doppelbindung in einer Fettsäure doch eine Reihe wichtiger Funktionen erfüllen, müssen sie
wird durch ein Delta angegeben ('). So bezeichnet '3 mit der Nahrung zugeführt werden und werden deshalb
eine Doppelbindung zwischen den C-Atomen 3 und 4 auch als essentielle Fettsäuren bezeichnet (. Tabelle 2.6,
einer Fettsäure (. Abb. 2.12). Die '9 -Position kommt mehrfach ungesättigte Fettsäuren). Eine wichtige essentielle
bei den ungesättigten Fettsäuren tierischer und pflanz- Fettsäure ist die Linolsäure oder '9,12-Octadecadiensäure
licher Zellen relativ häufig vor mit 18 C-Atomen. Die zweite Doppelbindung ist hier 12 C-
4 Sind zwei oder mehr Doppelbindungen in einer Fett- Atome von der Carboxylgruppe entfernt und liegt demzu-
säure enthalten, so sind diese immer durch zwei C-C- folge 6 C-Atome vor dem endständigen Z-C-Atom. Man
Bindungen getrennt, es handelt sich also um isolierte rechnet die Linolsäure daher auch zu den Z-6-Fettsäuren.
Doppelbindungen Eine ebenfalls essentielle Fettsäure ist die Linolensäure
4 Die Doppelbindungen in ungesättigten Fettsäuren fi- ('9,12,15-Octadecatriensäure). Sie findet sich vorwiegend in
xieren die räumliche Anordnung der Kohlenstoffkette. maritimen Organismen und wird wegen der spezifischen
Wenn gleichartige Substituenten auf derselben Seite der Position der am weitesten von der Carboxylgruppe ent-
Doppelbindungen liegen, spricht man von cis-Isome- fernten Doppelbindungen auch zur Gruppe der ω-3-Fett-
rie, andernfalls von trans-Isomerie. Fast alle in der Na- säuren gerechnet (über die ernährungsphysiologische Be-
tur vorkommenden ungesättigten Fettsäuren liegen in deutung Z-6- und Z-3-Fettsäuren 7 Kap. 21.5.3).
der cis-Form vor Wichtige Fettsäurederivate sind Prostaglandine,
Thromboxane und Leukotriene. Sie entstehen aus mehr-
Wegen des Fehlens einer entsprechenden Enzymausstat- fach ungesättigten Fettsäuren, besonders der Arachidon-
tung können mehrfach ungesättigte Fettsäuren, welche säure (20 C-Atome) und werden deswegen auch als Eiko-
Doppelbindungen enthalten, die mehr als 9 C-Atome von sanoide (eikosa = griech. 20) bezeichnet. Wegen ihrer Wir-
der Carboxylgruppe entfernt sind, vom tierischen Organis- kung auf den Zellstoffwechsel in geringsten Konzentrationen
mus nicht synthetisiert werden (7 Kap. 12.4.1). Da sie je- (10–10–10–8 mol/l) werden sie zu den Gewebshormonen
2.2 · Lipide
35 2

gerechnet. Über Biosynthese, Struktur und Wirkungsweise Dementsprechend findet man beispielsweise einen beson-
der Eikosanoide 7 Kapitel 12.4.2. ders hohen Anteil an mehrfach ungesättigten Fettsäuren
mit besonders niedrigem Schmelzpunkt im subkutanen
Fettgewebe von Meeressäugern. Ein gutes Beispiel hierfür
2.2.3 Glycerinlipide ist der Waltran.
! Phosphoglyceride sind Derivate des Glycerin-3 Phos-
Glycerinlipide enthalten als gemeinsame Struktur den
phats.
dreiwertigen Alkohol Glycerin. Wenn wenigstens eine der
drei Hydroxylgruppen des Glycerins mit Fettsäuren ver- Phosphoglyceride sind die mengenmäßig bedeutendsten
estert ist, handelt es sich um Acylglycerine. Membranbestandteile tierischer Gewebe (7 Kap. 2.2.6). Sie
zeichnen sich durch folgende Strukturmerkmale aus:
! Bei Triacylglycerinen sind alle drei Hydroxylgruppen
4 Wie bei Triacylglycerinen ist das Rückgrat der Phos-
des Glycerins mit Fettsäuren verestert.
phoglyceride der dreiwertige Alkohol Glycerin
Sind alle drei Hydroxylgruppen des Glycerins mit Fettsäu- 4 Zwei der Hydroxylgruppen des Glycerins sind mit lang-
ren verestert, spricht man von Triacylglycerinen (Triglyce- kettigen Fettsäuren verestert, die dritte mit Phosphor-
riden) (. Abb. 2.13): säure. Aus diesem Grund können Phosphoglyceride
4 Sind alle drei Hydroxylgruppen des Glycerins durch auch als Derivate des Glycerin-3-phosphats angesehen
dieselbe Fettsäure besetzt, handelt es sich um einfache werden
Triacylglycerine (z.B. Tristearoylglycerin, Tripalmitoyl- 4 Phosphatidsäure (Phosphatidat, . Abb. 2.14) ist der
glycerin). Gemischte Triacylglycerine sind allerdings, einfachste Vertreter der Phosphoglyceride, der jedoch
besonders in tierischen Geweben, wesentlich häufiger. nur in Spuren in den Geweben vorkommt. Alle anderen
Hier sind die drei Hydroxylgruppen des Glycerins mit Phosphoglyceride sind Phosphorsäurediester, da der
Fettsäuren verschiedener Kettenlänge und unterschied- Phosphatrest der Phosphatidsäure mit einem weiteren
lichem Sättigungsgrad verestert. Mehrfach ungesättigte Alkohol verknüpft ist
Fettsäuren finden sich häufig in der Position 2
4 Monoacyl- bzw. Diacylglycerine (nur eine oder zwei Wie aus der . Abbildung 2.14 hervorgeht, wird das
der drei OH-Gruppen des Glycerins verestert) kom- C-Atom 2 durch die Veresterung der Hydroxylgruppen 1
men in geringen Mengen in den Geweben vor, als Zwi- und 3 des Glycerins mit verschiedenen Substituenten
schenprodukte beim Auf- und Abbau der Triacylgly- asymmetrisch. Alle natürlichen Phosphoglyceride gehören
cerine der L-Reihe an.
Von besonderer Bedeutung für den Aufbau von Mem-
In der höchsten Gewebskonzentration kommen Triacylgly- branen (7 Kap. 18) sind Phosphatidylcholin, Phospha-
cerine im Speicherfett des Fettgewebes vor. Die Zusammen- tidylethanolamin, Phosphatidylserin und Phosphatidy-
setzung der Triacylglycerine ist von großer Bedeutung für linositol (. Abb. 2.14).
ihre Konsistenz:
4 Je länger die Kohlenwasserstoffketten der Fettsäure- Phosphatidylcholin. Phosphatidylcholin (Lecithin) ist
reste sind, umso höher liegt der Schmelzpunkt der mengenmäßig das häufigste Phosphoglycerid. Es ist ein
Triacylglycerine Phosphorsäurediester der Phosphatidsäure mit dem Ami-
4 Je mehr Doppelbindungen die Fettsäurereste in Triacyl- noalkohol Cholin.
glycerinen enthalten, umso niedriger liegt der Schmelz-
punkt Phosphatidylethanolamin und Phosphatidylserin. Beide
Phosphoglyceride entsprechen strukturell dem Phosphati-
dylcholin, jedoch ist das Cholin durch Ethanolamin bzw.
Serin ersetzt.

Phosphatidylinositol. Im Phosphatidylinositol, dem eine


besondere Bedeutung im Rahmen der Signaltransduktion
zukommt (7 Kap. 25.6.3), ist der Phosphorsäurediester mit
dem zyklischen sechswertigen Alkohol Inositol geknüpft.

Lysophosphoglyceride. Unter Einwirkung von Phospholi-


pasen entstehen aus Phosphoglyceriden durch Abspaltung
. Abb. 2.13. Tripalmitoylglycerin als Beispiel für ein Triacylglyce-
einer Fettsäure die entsprechenden Lysophosphoglyceride.
rin. Die Fettsäurereste (Acylreste) sind grün, der Glycerinanteil blau Der bekannteste Vertreter dieser Gruppe ist das Lysophos-
dargestellt phatidylcholin, welches schon in geringen Mengen hämo-
36 Kapitel 2 · Kohlenhydrate, Lipide und Aminosäuren

. Abb. 2.14. Aufbau von Phosphoglyceriden. Zwei der drei Hydro- beim Phosphatidat in Form eines Diesters mit weiteren Alkoholen
xylgruppen des Glycerin-3-phosphats sind mit langkettigen Fettsäu- verknüpft ist. Die Ketten der Fettsäuren sind für die hydrophoben, die
ren verestert (zur Vereinfachung in der Abbildung 2 Palmitylreste). Die übrigen Teile der Phosphoglyceride für die hydrophilen Eigenschaften
dritte Hydroxylgruppe ist mit Phosphorsäure verestert, welche außer verantwortlich

lytisch wirkt, d.h. eine Auflösung der Erythrozytenmemb-


ran bewirkt. Phospholipasen, die zur Bildung von Lyso-
phosphoglyceriden führen können, kommen u.a. in
Schlangengiften vor und sind mit ein Grund für die Gefähr-
lichkeit dieser Gifte (7 Kap. 18.1.2).

Glycosyl-Phosphatidyl-Inositol-Anker. Glycosyl-Phos-
phatidyl-Inositol-Anker oder GPI-Anker sind wichtige
Membranbestandteile, die auf der Grundstruktur des Phos-
phatidylinositols basieren (. Abb. 2.15). Sie dienen der Ver-
ankerung von Rezeptoren oder Enzymen, z.B. der Acetyl-
cholin-Esterase (7 Kap. 9.2.4) oder der alkalischen Phos-
phatase (7 Kap. 9.2.4), in der Membran. Für den Aufbau des
GPI-Ankers werden Glucosamin und 3 Mannosen mit gly-
cosidischen Bindungen an das Inositol geknüpft, das mit
einer dritten Fettsäure verestert sein kann. Die terminale

. Abb. 2.15. Aufbau von GPI-Ankern. Diese Verankerung von 7


Proteinen in der Membran erfolgt durch ein Phosphatidylinositol-
Molekül, an welches ein Tetrasaccharid aus Glucosamin und 3 Man-
noseresten geknüpft ist. Der terminale Mannoserest trägt ein Ethanol-
aminphosphat, welches mit einer Säureamidbindung mit dem C-
Terminus des jeweiligen Proteins verbunden ist. Dieses Grundgerüst
ist bei den verschiedenen GPI-Ankern modifiziert. R1 = ein weiterer
Fettsäurerest, der mit der OH-Gruppe am C-Atom 3 des Inositols
verestert ist; R2 = die erste Mannose kann zusätzlich mit Phosphoetha-
nolamin, Galactose oder N-Acetyl-Galactosamin verknüpft sein;
R3 = die zweite Mannose kann zusätzlich einen Phosphoethanolamin-
rest tragen; R4 = ein weiterer Mannoserest
2.2 · Lipide
37 2

. Abb. 2.16. Struktur des Cardiolipins . Abb. 2.17. Aufbau von Plasmalogenen

Mannose trägt einen Phosphoethanolaminrest, der mit Ceramid, das einfachste Sphingolipid (. Abb. 2.18).
dem der C-Terminus des jeweiligen Proteins mit einer Säu- Vom Ceramid leiten sich weitere Sphingolipide ab
reamidbindung verbunden ist. Die Mannosereste können 4 Sphingomyeline tragen an der endständigen Hydroxyl-
weitere Ethanolamine und andere Saccharide tragen. gruppe des Ceramidanteils einen Phosphorylcholin-
oder einen Phosphorylethanolaminrest (. Abb. 2.19).
Cardiolipin. Cardiolipin oder Diphosphatidylglycerin ist
ein besonders in Mitochondrienmembranen in hoher Kon-
zentration vorkommendes Phosphoglycerid (. Abb. 2.16).
Auch hier ist das Rückgrat des Moleküls ein Glycerin, bei
dem die Hydroxylgruppen der C-Atome 1 und 3 mit je ei-
ner Phosphatidsäure verestert sind.

Plasmalogene. Plasmalogene stehen strukturell dem Phos-


phatidylcholin- bzw. dem Phosphatidylethanolamin nahe.
Sie machen z.B. mehr als 10% der Phospholipide des Ge-
hirns und der Muskeln aus. Der Unterschied zu den eigent-
lichen Phosphoglyceriden beruht darauf, dass am C-Atom
1 des Glycerins anstelle einer Fettsäure ein Fettsäurealde-
hyd als Enolether gebunden ist. Die zweite, als Ester gebun-
dene Fettsäure ist immer ungesättigt. Als stickstoffhaltige
Alkohole dienen in der Regel Ethanolamin oder Cholin
(. Abb. 2.17).

2.2.4 Sphingolipide

Den Sphingolipiden liegt strukturell der Aminodialkohol


Sphingosin (. Abb. 2.18) zugrunde: . Abb. 2.18. Sphingosin und Ceramid. Sphingosin besitzt neben 2
4 Wenn die Aminogruppe des Sphingosins mit einer Hydroxylgruppen eine Aminogruppe. Geht diese eine Säureamid-Bin-
Fettsäure in Säureamidbindung verknüpft ist, entsteht dung mit einer, meist ungesättigten, Fettsäure ein, entsteht Ceramid
38 Kapitel 2 · Kohlenhydrate, Lipide und Aminosäuren

bevorzugten Bausteinen des Nervengewebes, insbeson-


dere der grauen Substanz des Gehirns. Sie finden sich
daneben aber auch in den Membranen anderer Zellen.
. Abbildung 2.20 zeigt den Aufbau des Gangliosides
2 GM-1 als Beispiel für diese etwa 60 Mitglieder umfas-
sende Gruppe von Sphingolipiden

2.2.5 Isoprenlipide

Der Grundbaustein der Isoprenlipide ist das Isopren (2-


Methyl-1,3-Butadien) (. Abb. 2.21a). Durch Kondensa-
tion mehrerer Isoprenreste entstehen einkettige Moleküle,
welche die Grundlage einer großen Zahl von Naturstoffen
bilden.
! Isoprenoide entstehen durch mehrfache Kondensation
von Isoprenresten.

Isoprenoide sind Kondensationsprodukte von Isopren-


resten:
4 Terpene sind Verbindungen aus 10 C-Atomen, die for-
mal durch Kondensation zweier Isoprenreste entstan-
den sind. Viele pflanzliche ätherische Öle gehören in die
Gruppe der Terpene
4 Sesquiterpene sind Verbindungen mit 15 C-Atomen,
die aus drei Isoprenen zusammengesetzt sind
4 C20-Verbindungen werden als Diterpene bezeichnet,
C30-Verbindungen als Triterpene
. Abb. 2.19. Struktur von Sphingomyelin und Cerebrosid. Durch
Verknüpfung einer Hydroxylgruppe des Ceramids mit Phosphorylcho- Isoprenoide mit besonderer Bedeutung für den tierischen
lin oder Phosphorylethanolamin entsteht Sphingomyelin. Cerebrosi- Organismus sind die fettlöslichen Vitamine Retinol, Toco-
de enthalten stattdessen Galactose oder Glucose
pherol sowie Phyllochinon (7 Kap. 23.2).
Ebenfalls ein Isoprenderivat ist das aus 19 Isoprenein-
Häufig kommen ungesättigte Fettsäuren vor, u.a. die heiten bestehende Dolichol (. Abb. 2.21b), das auch in
Lignocerinsäure mit 24 C-Atomen und ihre ungesättig- phosphorylierter Form als Dolicholphosphat vorkommt. Es
ten Derivate. Der Name Sphingomyelin leitet sich vom dient bei der Biosynthese von Glycoproteinen im endoplas-
typischen Vorkommen dieser Lipide in den Myelin- matischen Retikulum dazu, die synthetisierten Oligosac-
scheiden des Nervengewebes ab charidketten in den Membranen des endoplasmatischen
4 Cerebroside (. Abb. 2.19) kommen in besonders hoher Retikulums zu verankern (7 Kap. 17.3.2, 9.2.4).
Konzentration im Zentralnervensystem vor, finden sich
! Steroide entstehen durch Zyklisierung des Triterpens
jedoch auch in anderen Geweben. Im Gegensatz zum
Squalen.
Sphingomyelin ist bei ihnen die terminale Hydroxyl-
gruppe des Ceramids glycosidisch an das C-Atom 1 Steroide sind ähnlich wie die Isoprenoide Derivate des Iso-
einer Galactose oder Glucose gebunden (Galactosyl- prens, da sie durch Zyklisierung des Triterpens Squalen
bzw. Glucosyl-Cerebrosid). Untereinander unterschei- entstehen. Chemisch leiten sie sich vom Cyclopentano-
den sich Cerebroside besonders durch die Fettsäure- Perhydrophenanthren (Syn.: Gonan, Steran, . Abbil-
reste dung 2.22a) ab.
4 Sulfatide sind Cerebroside, bei denen der Glycosylrest Formal sind alle in tierischen Geweben vorkommenden
am C-Atom 3 mit Schwefelsäure verestert ist Steroide Derivate des Cholestans (. Abb. 2.22b). Choleste-
4 Ganglioside enthalten anstelle eines Monosaccharids rin, das Ausgangspunkt für die Biosynthese aller in tieri-
einen komplexen, häufig verzweigten Oligosaccharid- schen Organismen vorkommenden Steroide (7 u.) ist,
rest, der glycosidisch an das Ceramid gebunden ist. Als unterscheidet sich vom Cholestan durch eine Hydroxyl-
Kohlenhydratreste werden Glucose, Galactose, Galac- gruppe am C-Atom 3 des Rings A sowie durch eine Dop-
tosamin und N-Acetylneuraminsäure (Sialinsäure) pelbindung zwischen den C-Atomen 5 und 6 des Rings B
(7 Kap. 17.2.2) verwendet. Ganglioside gehören zu den (. Abb. 2.22c).
2.2 · Lipide
39 2

. Abb. 2.20. Struktur des Gangliosides GM-1

Anstelle des Cholesterins enthalten Pflanzen v.a. E-Si- 4 Es ist die Muttersubstanz für die Biosynthese der
tosterol, das sich von diesem nur durch seine aliphatische zahlreichen Steroidhormone, die in der Nebennie-
Seitenkette unterscheidet (. Abb. 2.22d). Über die Pro- renrinde sowie in den Gonaden gebildet werden
bleme bei der Resorption von Cholesterin und E-Sitosterol (7 Kap. 27.3, 27.4)
7 Kap. 32.2.2). 4 Es ist der Ausgangspunkt für die Biosynthese der D-
Hormone (D-Vitamine) (7 Kap. 23.2.2)
! Cholesterin kommt in beträchtlicher Menge in allen
4 Es ist der Ausgangspunkt für die Biosynthese der für
tierischen Zellen vor.
die Verdauungsvorgänge unerlässlichen Gallensäuren
Cholesterin hat eine Reihe wichtiger Funktionen: (7 Kap. 32.1.4)
4 Es ist Bestandteil aller zellulärer Membranen mit Aus-
nahme der mitochondrialen Innenmembran Von besonderem pharmakologischem Interesse sind die
vielen Pflanzensteroide, die neben Hydroxylgruppen auch
Äther- und Lactongruppierungen enthalten können und
häufig als Glycoside vorkommen. Beispiele hierfür sind die
Herzglycoside (. Abb. 2.4).

2.2.6 Lipide in wässrigen Lösungen

! Triacylglycerine sind apolar und in Wasser unlöslich.

Triacylglycerine mit langkettigen Fettsäuren, die den


Hauptteil des sog. Speicherfettes des Fettgewebes darstellen,
sind wasserunlöslich, da alle drei Hydroxylgruppen des
. Abb. 2.21. Isopren und Isoprenoide. a Isopren (2-Methyl-1,3-
Glycerins verestert sind. Aus diesem Grund sind sie nicht
Butadien) ist der Grundbaustein der Isoprenoide; b Dolichol entsteht imstande, an wässrigen Grenzflächen geordnete Strukturen
durch Kondensation von 19 Isoprenresten (7 u.) auszubilden.
40 Kapitel 2 · Kohlenhydrate, Lipide und Aminosäuren

. Abb. 2.22. Strukturen von Steroiden. a Cyclopentano-Perhydrophenanthren (Syn. Gonan, Steran); b Cholestan; c Cholesterin; d E-Sitosterol

Im Gegensatz zu den Triacylglycerinen verfügen 4 An Wasser-Luft-Grenzschichten breiten sich amphi-


Mono- bzw. Diacylglycerine über freie Hydroxylgruppen. phile Lipide in Form von monomolekularen Filmen
Diese sind deswegen z.B. imstande, an Grenzflächen Mi- aus, in denen der polare Anteil des Moleküls ins Wasser
zellen zu bilden und spielen eine wichtige Rolle bei der ragt, während sich die hydrophoben Kohlenwasser-
Emulgierung von Lipiden während der duodenalen Re- stoffreste zur Luft hin orientieren (. Abb. 2.23a)
sorption (7 Kap. 32.2.2). 4 Eine ähnliche Orientierung findet sich an Wasser-Öl-
Grenzschichten, wobei der polare Anteil dem Wasser
! Phosphoglyceride und Sphingolipide bilden an Grenz-
zugewandt ist, während die apolare, hydrophobe Grup-
flächen oder in Wasser geordnete Strukturen aus.
pe in der Ölphase steckt
Im Gegensatz zu den Triacylglycerinen enthalten Phospho- 4 In bestimmten Konzentrationsbereichen ordnen sich
glyceride und Sphingolipide viele geladene bzw. polare amphiphile Lipide in wässrigen Lösungen in Form
Gruppen: von Mizellen an. Die hydrophoben Fettsäureketten
4 Alle Phosphoglyceride tragen eine negative Ladung an sind dabei gegeneinander gerichtet und nach außen
der Phosphatgruppe (pK’ = 1–2) zur wässrigen Phase hin durch die polaren hydro-
4 Phosphatidylethanolamin und Phosphatidylcholin ha- philen Anteile der Moleküle abgeschirmt. Andere
ben bei physiologischem pH eine positive Ladung am Lipide, die selbst nicht in der Lage sind Mizellen zu
Stickstoff bilden (Triacylglycerine, Cholesterin) können sich an
4 Wegen der zusätzlichen Carboxylgruppen besitzt Phos- polare Lipide assoziieren und bilden so gemischte
phatidylserin zwei negative und eine positiv geladene Mizellen (. Abb. 2.23b). Diese sind eine entscheiden-
Gruppe de Voraussetzung für die Lipidresorption im Duo-
denum
Ähnliche Eigenschaften haben die geladenen »Kopfteile« 4 Amphiphile Lipide, speziell Phosphoglyceride und
des Sphingomyelins. Kohlenhydratreste von Phosphoglyce- Sphingolipide können darüber hinaus sog. Doppel-
riden und Sphingolipiden haben zwar keine elektrische La- schichten oder bilayers (. Abb. 2.23c)ausbilden. Dieses
dung, sind jedoch wegen ihrer vielen Hydroxylgruppen Phänomen beruht auf der Tatsache, dass sich die hydro-
polar und ebenfalls hydrophil. phoben Kohlenwasserstoffketten der Fettsäurereste ge-
Da die sowohl bei den Phosphoglyceriden als auch den geneinander orientieren, während die hydrophilen Tei-
Sphingolipiden vorkommenden Kohlenwasserstoffketten le sich zur wässrigen Phase hin ausrichten
der langkettigen Fettsäuren hydrophob sind, gehören 4 Werden Lipiddoppelschichten mit Ultraschall behan-
Phosphoglyceride und Sphingolipide zu den sog. amphi- delt, so entstehen Liposomen (. Abb. 2.23d), die auf-
philen Verbindungen. Für sie ist typisch, dass in einem grund ihrer strukturellen Ähnlichkeit mit zellulären
Molekül sowohl hydrophobe als hydrophile Regionen vor- Membranen leicht mit den Plasmamembranen vieler
kommen. Zellen fusionieren können. Liposomen werden aus die-
Amphiphile Lipide ordnen sich an Grenzflächen oder sem Grund gelegentlich mit an sich nicht membran-
im Wasser in typischer Weise an (. Abb. 2.23): gängigen Wirkstoffen beladen und auf diese Weise als
2.2 · Lipide
41 2

. Abb. 2.23. Möglichkeiten der Anordnung von amphiphilen benen Teile der Phospholipidmoleküle stellen die hydrophilen Be-
Lipiden. a in Grenzschichten, b–d im Wasser. Die (rot) hervorgeho- reiche, die (schwarz) gezeichneten die hydrophoben Bereiche dar

Vehikel benutzt, sodass Arzneimittel, Enzyme, DNA 4 In die zelluläre Membranen bildenden Lipiddoppel-
u.a. in den intrazellulären Raum transportiert werden schichten sind Membranproteine (7 Kap. 6.1.2) einge-
können lagert
4 Die jeweilige Fettsäurezusammensetzung bestimmt die
! Lipiddoppelschichten sind die Grundstruktur aller
sog. Fluidität und damit die Eigenschaften biologischer
zellulären Membranen.
Membranen
Die strukturelle Grundlage aller zellulären Membranen 4 Die Verteilung der einzelnen amphiphilen Lipide ist
sind Lipiddoppelschichten, die im Wesentlichen aus folgen- nicht statistisch sondern asymmetrisch und damit an
den amphiphilen Lipiden bestehen: spezifische Membranfunktionen angepasst
4 den Phosphoglyceriden Phosphatidylcholin, Phos-
phatidylethanolamin, Phosphatidylserin, Phosphat- Membranproteine. Der Proteingehalt verschiedener zellu-
idylinositol lärer Membranen schwankt zwischen 20% bei Myelinmem-
4 den Sphingolipiden Sphingomyelin und Glycosphin- branen und 80% bei der mitochondrialen Innenmembran.
golipiden sowie Im Prinzip lassen sich drei Typen von Membranproteinen
4 Cholesterin. Die mitochondriale Innenmembran ist unterscheiden (. Abb. 2.25),
die einzige zelluläre Membran, in der Cholesterin nicht 4 Integrale Membranproteine gehen vollständig durch
vorkommt Membranen hindurch. Sie besitzen hierzu sog. Trans-
membrandomänen, welche reich an hydrophoben
. Abbildung 2.24 gibt eine schematische Darstellung des Aminosäuren sind und so die nötigen Wechsel-
Aufbaus einer Lipiddoppelschicht wieder. wirkungen mit der Lipidphase der Membranen ermög-
Trotz dieses, auf den ersten Blick relativ einfachen Auf- lichen. Strukturell bestehen Transmembrandomänen
baus zellulärer Membranen aus einer sehr begrenzten An- aus D-Helices bzw. seltener E-Faltblättern. Integrale
zahl von amphiphilen Molekülen ist deren funktionelle Membranproteine lassen sich nur unter Zerstörung der
Vielfalt beeindruckend. Hierfür sind vor allem drei Phäno- Membran aus dieser lösen, aggregieren dann aber leicht
mene verantwortlich: und verlieren ihre biologische Aktivität
42 Kapitel 2 · Kohlenhydrate, Lipide und Aminosäuren

. Abb. 2.24. Lipidstruktur einer Zellmembran. Die schematische der besonders cholesterinreich ist und in dem die Phospho- und
Darstellung zeigt die asymmetrische Verteilung von Phospholipiden Sphingolipide viele gesättigte Fettsäurereste enthalten. Im raft sind
und Sphingolipiden auf den beiden Seiten einer Lipiddoppelschicht außerdem zwei lipidverankerte Proteine dargestellt (nach Simons, K
und stellt darüber hinaus einen Ausschnitt aus einem »lipid raft« dar, 2001)

4 Periphere Membranproteine sind nur mit einer Hälfte Membranproteine ermöglichen u.a.:
der Lipiddoppelschicht assoziiert. Sie können relativ 4 als Kanäle oder Carrier den Transport von Molekülen
leicht aus der Membran gelöst werden und behalten durch die Membran
dabei ihre biologische Aktivität 4 als Rezeptoren die Signaltransduktion durch Signal-
4 Lipidverankerte Membranproteine sind durch moleküle
covalente Verknüpfung mit Lipiden in Membranen 4 als Cadherine oder Integrine Zell-Zell- bzw. Zell-
verankert. Als derartige Lipide kommen Isopreno- Matrixkontakte
idreste, Fettsäurereste und GPI-Anker infrage (7 Kap.
2.2.3) Membranfluidität. Bei tiefen Temperaturen sind die Alkan-
ketten der Fettsäurereste von Membranen dicht gepackt
Membranproteine sind meist Glycoproteine (7 Kap. 17.2). und maximal gestreckt. Bei Temperaturerhöhung kommt
Die Kohlenhydratketten befinden sich immer auf der zum es zu einem scharfen Phasenübergang, bei dem die Abstän-
extrazellulären Raum gerichteten Seite der Membran. de der Ketten sich vergrößern und die Beweglichkeit der
2.2 · Lipide
43 2

. Abb. 2.25. Assoziation von Proteinen


mit Membranen. a Transmembranproteine;
b periphere Membranproteine; c lipidver-
ankerte Membranproteine; e blau = Kohlen-
hydratseitenketten

Membranlipide deutlich zunimmt. Diese Erhöhung der lung in den Membranen sind spezifische z.T. ATP verbrau-
Membranfluidität wird auch als Schmelzen bezeichnet, chende Proteine erforderlich (Flippasen, 7 Kap. 18.2.3).
die zum Schmelzen benötigte Temperatur als Schmelz- Interessanterweise besteht nicht nur eine asymmetri-
punkt. sche Lipidverteilung zwischen den beiden Blättern der
Der Schmelzpunkt biologischer Membranen liegt Lipiddoppelschicht, sondern auch innerhalb eines Blat-
zwischen 10 °C und 40 °C. Er steigt mit zunehmender Ket- tes. Mit dem Begriff lipid rafts (engl. raft = Floß) werden
tenlänge und abnehmender Zahl der Doppelbindungen Membranareale beschrieben, bei denen besonders das äu-
der Fettsäureanteile. Darüber hinaus wird der Schmelz- ßere Blatt der Membran reich an Sphingolipiden mit gesät-
punkt durch Natrium-, Kalium- und Calciumionen sowie tigten langkettigen Fettsäuren ist. Dies erleichtert den Ein-
auch durch Membranproteine verändert. Cholesterin als bau von Cholesterin in diese Bereiche, wodurch sich eine
wichtiger Bestandteil tierischer Membranen lagert sich dichtere Packung der Lipidphase gegenüber den anderen
zwischen die Alkanketten der Fettsäurereste, wobei seine Bereichen der Membran ergibt (engl. liquid ordered in den
OH-Gruppe in Richtung der hydrophilen Kopfgruppen rafts gegenüber liquid disordered in den anderen Berei-
der Phospholipide orientiert ist (. Abb. 2.24). Es ver- chen). Rafts umfassen einige tausend Lipidmoleküle, ha-
breitert den Temperaturbereich, in dem das Schmelzen ben einen Durchmesser von etwa 50 nm und schwimmen
der Membranen erfolgt und erhöht so die Stabilität von wie Inseln oder »Flöße« in der Lipidphase der Membran
Membranen. (. Abb. 2.24, 2.26).
Von besonderem Interesse ist, dass eine Reihe hydro- Einige Proteine haben eine hohe Affinität zu rafts. Zu
phober organischer Verbindungen sich in die Lipidphase ihnen gehören Caveolin (7 u.), Flotilline, GPI-verankerte
biologischer Membranen einlagern kann und auf diese Proteine, kleine und heterotrimere G-Proteine, Proteinki-
Weise deren Eigenschaften ändert. Zu ihnen gehören unter nasen der src-Familie, EGF-, PDGF-, Endothelin-Rezepto-
anderem eine Reihe gasförmiger Narkotika, z.B. das Halo- ren, Adapter-Proteine (Grb2), Proteinkinase C, und die
than. p85-Untereinheit der PI 3-Kinase. Viele der mit rafts asso-
ziierten Proteine sind an der Signaltransduktion beteiligt.
Asymmetrie der Membran. Bei genauer Untersuchung der Eine derzeit diskutierte Hypothese ist, dass besonders die
Lipidzusammensetzung von zellulären Membranen fällt Ligandenbindung an Rezeptoren zum Verschmelzen ein-
auf, dass die einzelnen, eine Membranstruktur ausbilden- zelner rafts und zur Bildung funktioneller Einheiten, sog.
den amphiphilen Lipide asymmetrisch verteilt sind. So fin- Signalosomen, führt.
det sich z.B. in der Plasmamembran im äußeren Blatt der Wegen ihrer geringen Größe sind rafts schwer nach-
Doppelschicht bevorzugt Sphingomyelin, Glycosphingoli- zuweisen. Für eine besondere Form der rafts trifft dies
pide und Phosphatidylcholin, im inneren Blatt dagegen allerdings nicht zu. Sie enthalten ein als Caveolin be-
Phosphatidylethanolamin, Phosphatidylserin und Phos- zeichnetes Protein, welches Cholesterin bindet und in der
phatidylinositol. Cholesterin findet man dagegen auf bei- Membrandoppelschicht Haarnadelstrukturen ausbildet.
den Seiten der Plasmamembran. Diese polymerisieren, was zur Ausbildung von Membran-
Ein spontaner Wechsel eines Membranlipids von einer invaginationen führt, die Caveolae genannt werden
Seite der Membran auf die andere ist ein sehr seltenes Er- (. Abb. 2.26). Sie können unter Vesikelbildung abgeschnürt
eignis. Für die Erzeugung der Asymmetrie der Lipidvertei- werden und sind an wichtigen zellbiologischen Phänome-
44 Kapitel 2 · Kohlenhydrate, Lipide und Aminosäuren

nen wie z.B. Fettsäuretransport, Cholesterintransport, vesi-


kulärer Transport (Endozytose, Transzytose), Signaltrans-
duktion, Proliferation aber auch Zelltransformation be-
teiligt.
2
Infobox
Analytik von Lipiden
Da Lipide wasserunlöslich sind, erfordert ihre Extrak-
tion aus Geweben und die anschließende Fraktionie-
rung die Anwendung organischer Lösungsmittel. Ester-
bzw. Amid-gebundene Fettsäuren können durch Be-
handlung mit Alkali (Verseifung) abgetrennt und an-
schließend analysiert werden.
Für die Auftrennung der einzelnen Komponenten
von Lipidgemischen verwendet man Absorptionschro-
matographie, wobei die stationäre Phase sehr häufig
Silikagel (Kieselsäure, SiOH4) ist. Als mobile Phase die-
nen Gemische unterschiedlicher organischer Lösungs-
mittel.
Einzelne Lipide werden anhand ihrer Beweglichkeit
bei derartigen chromatographischen Verfahren identi-
fiziert, ein apparativ aufwendigeres, aber wesentlich
empfindlicheres modernes Verfahren ist die Massen-
spektroskopie von Lipiden (7 Lehrbücher die bioche-
mischen Analytik).

. Abb. 2.26. Organisation von rafts und Caveolae in Membranen.


a rafts sind reich an Cholesterin und Sphingolipiden und bilden eine
relativ geordnete Phase in der Lipiddoppelschicht. b Caveolin – Mono-
mere verfügen über eine Bindungsdomäne für Cholesterin (blau), mit
der sie in die Membran eingebaut werden und oligomerisieren. Dies
führt zur Ausbildung von Caveolae und gegebenenfalls zur Abschnü-
rung von Vesikeln (nach Razani et al. 2002)

In Kürze
Lipide können nach dem Vorhandensein von Esterbin- Wichtige Funktionen von Lipiden sind:
dungen eingeteilt werden. 4 Bereitstellung von Substraten für die Energiege-
Zu den Lipiden ohne Esterbindungen gehören winnung
4 Fettsäuren sowie deren Abkömmlinge wie Prostag- 4 Speicherung von Energie, vor allem in Form von
landine, Thromboxane und Leukotriene Triacylglycerinen
4 Isoprenlipide wie Cholesterin und seine Abkömm- 4 Aufbau von Membranen, vor allem durch Phospho-
linge, die Vitamine A, K sowie viele andere Natur- glyceride, Sphingolipide und Cholesterin sowie
stoffe 4 Bereitstellung von Signalmolekülen, vor allem
Steroidhormonen, Prostaglandinen, Leukotrienen,
Lipide mit Esterbindungen werden nach dem zugrunde Thromboxanen
liegenden Alkohol eingeteilt. Man unterscheidet:
4 Acylglycerine
4 Phosphoglyceride
4 Sphingolipide
4 Cholesterin-Ester
2.3 · Aminosäuren
45 2
2.3 Aminosäuren 4 Durch Decarboxylierung entstehen aus Aminosäuren
die entsprechenden Amine (7 Kap. 13.3.4), die häufig als
2.3.1 Klassifizierung und Funktionen Signalmoleküle dienen
4 Aminosäuren sind Stickstoff-Lieferanten für die Bio-
! Aminosäuren sind Derivate gesättigter Carbonsäuren. synthese N-haltiger Verbindungen

Aminosäuren sind Derivate von Carbonsäuren, die an dem


der Carboxylgruppe benachbarten D-C-Atom eine Amino- 2.3.2 Proteinogene Aminosäuren
gruppe tragen. Sie sind also α-Amino-Carbonsäuren
(. Abb. 2.27). Der bei den einzelnen Aminosäuren variable Mit dem Begriff proteinogene Aminosäuren werden dieje-
Teil, der ihnen unterschiedliche Größe, chemische Reak- nigen Aminosäuren bezeichnet, die für die Protein-
tivität, Ladung und Molekularmasse verleiht, heißt Seiten- biosynthese verwendet werden (nicht die in Proteinen
kette und ist in . Abbildung 2.27 durch ein »R« gekenn- vorkommenden Aminosäuren, da diese posttranslational
zeichnet. modifiziert werden können). Proteinogene Aminosäuren,
Da viele Aminosäuren schon lange bekannt sind, wer- die in unterschiedlicher Häufigkeit in Proteinen vorkom-
den sie mit Trivialnamen bezeichnet, während die chemi- men, zeichnen sich durch ein breites Spektrum unter-
schen Bezeichnungen (z.B. D-Amino-Propionat für Alanin schiedlicher Seitenketten aus. . Abbildung 2.28 sowie . Ta-
usw.) ungebräuchlich sind. Für die proteinogenen Amino- belle 2.7 fassen wichtige Eigenschaften dieser Aminosäuren
säuren (7 u.) sind Dreibuchstaben-Abkürzungen üblich, zusammen.
für die Notierung längerer Proteinsequenzen auch Ein-
! Die Einteilung der proteinogenen Aminosäuren erfolgt
buchstabensymbole (. Abb. 2.28).
nach den Eigenschaften ihrer Seitenketten.
! Aminosäuren sind Bausteine der Proteinbiosynthese,
Nach Aufbau und Eigenschaften der Seitenketten, die
sie liefern Kohlenstoff für die Gluconeogenese, Stick-
weitere funktionelle Gruppen (OH-, SH-, Carboxyl- oder
stoff für Biosynthesen und bilden Signalmoleküle.
Guanidinogruppen) enthalten können, werden proteino-
Aminosäuren haben vielfältige Stoffwechselfunktionen: gene Aminosäuren (. Abb. 2.28) eingeteilt in:
4 20 der über 100 bekannten Aminosäuren dienen bei
allen bekannten Lebewesen zum Aufbau der Proteine. Neun Aminosäuren mit apolaren Seitenketten. Zu den
Diese Aminosäuren werden auch als proteinogene Aminosäuren mit apolaren Seitenketten gehören:
Aminosäuren bezeichnet. Viele Organismen benutzen 4 Aminosäuren mit aliphatischen Seitenketten: Glycin,
darüber hinaus die erst während der Proteinbiosyn- Alanin, Valin, Leucin, Isoleucin, Methionin und Prolin.
these aus Serin gebildete Aminosäure Selenocystein, Diese leiten sich direkt von den entsprechenden Fett-
sodass man eigentlich von 21 proteinogenen Amino- säuren ab (Glycin ist D-Amino-Acetat, Alanin D-Ami-
säuren sprechen muss no-Propionat usw.)
4 Die anderen Aminosäuren spielen im Stoffwechsel zwar 4 Aminosäuren mit aromatischen Seitenketten: Phenyl-
eine wichtige Rolle, werden jedoch nicht für die Prote- alanin und Tryptophan
inbiosynthese verwendet. Derartige Aminosäuren wer-
den auch als nichtproteinogene Aminosäuren be- Sieben Aminosäuren mit ungeladenen polaren Seiten-
zeichnet ketten. Zu dieser Gruppe von Aminosäuren gehören:
4 Der Abbau der meisten Aminosäuren liefert Kohlen- 4 Asparagin und Glutamin mit einer Säureamid-Gruppe
stoff für die Biosynthese von Glucose (Gluconeogene- in der Seitenkette
se), weswegen diese auch als glucogene Aminosäuren 4 Serin, Threonin und Tyrosin mit einer OH-Gruppe in
bezeichnet werden. Ein kleinerer Teil der Aminosäuren, der Seitenkette
die ketogenen Aminosäuren, wird zu Zwischenpro- 4 Cystein und Selenocystein mit einer SH- bzw. SeH-
dukten abgebaut, die nicht für die Gluconeogenese, Gruppe in der Seitenkette
wohl aber für die Biosynthese von Fettsäuren, Keton-
körpern oder Cholesterin verwendet werden können Fünf Aminosäuren mit geladenen polaren Seitenketten.
Hierzu gehören.
4 Aspartat und Glutamat mit einer Carboxylgruppe in
der Seitenkette
4 Histidin mit einer Imidazolgruppe in der Seitenkette
4 Lysin mit einer ε-Aminogruppe in der Seitenkette,
und
. Abb. 2.27. Allgemeine Struktur der α-Aminosäuren. (R = Seiten- 4 Arginin mit einer Guanidinogruppe in der Seiten-
kette) kette
46 Kapitel 2 · Kohlenhydrate, Lipide und Aminosäuren

. Abb. 2.28. Die proteinogenen Aminosäuren. Die Aminosäuren Unter den Formeln stehen jeweils die Trivialnamen sowie die 3- und 1-
sind nach chemischen Eigenschaften ihrer Seitenketten geordnet. Buchstaben-Abkürzungen

! Die Hydrophobizität der Aminosäure-Seitenketten ist +4.5 für die hydrophobste Aminosäure Isoleucin bis –4.5
eine wesentliche Determinante für Struktur und Funk- für die hydrophilste Aminosäure Arginin. Bei einem Ver-
tion von Proteinen gleich mit . Abbildung 2.28 fällt auf, dass sich 6 der 9 Ami-
nosäuren mit apolaren Seitenketten durch einen positiven
Für Struktur und biologische Aktivität von Proteinen ist Hydropathie-Index auszeichnen, also besonders hydro-
deren Wechselwirkung mit dem meist wässrigen Lösungs- phob sind. Umgekehrt sind alle 5 Aminosäuren mit gelade-
mittel von großer Bedeutung. Diese wiederum hängt we- nen Seitenketten besonders hydrophil. Proteinregionen, an
sentlich von der Art und Sequenz der Seitenketten der Ami- denen diese Aminosäuren gehäuft vorkommen, werden für
nosäuren ab, aus denen sich das Protein zusammensetzt. In Wechselwirkungen mit einer wässrigen Umgebung verant-
. Tabelle 2.7 sind 20 proteinogene Aminosäuren nach ih- wortlich sein, Regionen mit hydrophoben Aminosäuren
rem Hydropathie-Index geordnet. Dieser ist ein relatives werden dagegen bevorzugt an Stellen des Proteins lokali-
Maß für Hydrophobizität einer Aminosäure. Er variiert von siert sein, an denen Wasser keinen Zutritt haben soll.
2.3 · Aminosäuren
47 2

. Tabelle 2.7. Wichtige Eigenschaften von 20 proteinogenen Aminosäuren


Aminosäure Abkürzungen Molekülmasse Häufigkeit in pI Hydropathie-
(Da) Proteinen (%) Index
Isoleucin Ile I 131 5,8 6,02 4,5
Valin Val V 117 6,6 5,97 4,2
Leucin Leu L 131 9,5 5,98 3,8
Phenylalanin Phe F 165 4,1 5,48 2,8
Cystein Cys C 121 1,6 5,07 2,5
Methionin Met M 149 2,4 5,74 1,9
Alanin Ala A 89 7,6 6,02 1,8
Glycin Gly G 75 6,8 5,97 –0,4
Threonin Thr T 119 5,6 5,87 –0,7
Serin Ser S 105 7,1 5,68 –0,8
Tryptophan Trp W 204 1,2 5,89 –0,9
Tyrosin Tyr Y 181 3,2 5,66 –1,3
Prolin Pro P 115 5,0 6,48 –1,6
Histidin His H 155 2,2 7,59 –3,2
Asparagin Asn N 132 4,3 5,41 –3,5
Glutamin Gln Q 146 3,9 5,65 –3,5
Aspartat Asp D 133 5,2 2,97 –3,5
Glutamat Glu E 147 6,5 3,22 –3,5
Lysin Lys K 146 6,0 9,74 –3,9
Arginin Arg R 174 5,2 10,8 –4,5
Die Aminosäuren sind in der Tabelle nach ihrem Hydropathie-Index geordnet. Dieser variiert zwischen 4,5 für die Aminosäure mit der größten
Hydrophobizität und –4,5 für diejenige mit der geringsten (Daten nach Kyte, J. and Doolittle, R.F., J. Mol. Biol., 157: 105–132 (1982).

! Außer Glycin besitzt jede Aminosäure wenigstens ein


asymmetrisches Kohlenstoffatom.

Bei allen Aminosäuren mit Ausnahme von Glycin trägt das


D-C-Atom vier unterschiedliche Liganden und bildet des-
wegen ein Asymmetriezentrum. Dies ist in . Abbildung 2.29
am Beispiel des L- bzw. D-Alanins dargestellt. Aufgrund der
tetraedrischen Anordnung der Bindungsorbitale am D-C-
Atom kommen zwei Formen des Alanins vor, die unterein-
ander nicht durch Spiegeln zur Deckung gebracht werden
können. Beim L-Alanin steht in der üblichen Darstellungs-
weise die Aminogruppe links vom D-C-Atom, wenn die
Carboxylgruppe nach oben zeigt. Alle proteinogenen Ami-
nosäuren sind L-α-Aminosäuren. Es ist nicht bekannt, wa-
rum von allen Organismen der Erde für den Proteinaufbau
nur L-D-Aminosäuren (und für den Aufbau von Nuclein-
säuren nur Nucleotide mit Zuckern aus der D-Reihe) ver-
wendet werden.
Einige D-D-Aminosäuren (D-Alanin, D-Glutamin)
kommen in bakteriellen Zellwänden und außerdem als Be-
standteile mancher Antibiotika und Pilzgifte vor.

. Abb. 2.29. Die beiden optischen Isomeren der Aminosäure


Alanin
48 Kapitel 2 · Kohlenhydrate, Lipide und Aminosäuren

2.3.3 Nichtproteinogene Aminosäuren 4 das durch Phosphorylierung der Hydroxylgruppe ent-


stehende Phosphotyrosin
Als nicht proteinogene Aminosäuren werden diejenigen 4 das durch Hydroxylierung von Lysin bzw. Prolin entste-
Aminosäuren bezeichnet, die nicht unmittelbar für die hende δ-Hydroxylysin bzw. γ-Hydroxyprolin
2 Biosynthese von Proteinen verwendet werden. Im Prinzip 4 das durch Methylierung von Histidin entstehende 3-
lassen sie sich in Aminosäuren einteilen, die Methylhistidin
4 im Proteinverband modifiziert werden und nach Prote- 4 das durch J-Carboxylierung entstehende γ-Carboxy-
inhydrolyse isoliert werden können sowie glutamat
4 solche Aminosäuren, die bei Stoffwechselreaktionen
auftreten, die nichts mit Proteinbiosynthese zu tun Insgesamt sind heute über 100 Aminosäurederivate in Pro-
haben teinen bekannt. Die meisten derartigen Seitenkettenmodi-
fikationen sind irreversibel. Reversible Modifikationen
! Einzelne Aminosäuren werden nach dem Einbau in
haben meist regulatorische Bedeutung, z.B. die Phosphory-
Proteine derivatisiert.
lierung von Serin-, Threonin- und Tyrosinresten in Protei-
Eine Reihe von Aminosäuren sind Derivate der proteinoge- nen (7 Kap. 25).
nen Aminosäuren, die erst nach deren Einbau in Proteine
! Viele nichtproteinogene Aminosäuren haben wichtige
durch entsprechende Modifikationen gebildet werden. Sie
Stoffwechselfunktionen.
können danach durch chemische Verfahren isoliert wer-
den. Beispiele hierfür sind (. Abb. 2.30): In der . Tabelle 2.8 findet sich eine Auswahl aus den über
4 die nach Phosphorylierung der Hydroxylgruppe entste- 100 Aminosäuren, die nicht in Proteine eingebaut werden,
henden Aminosäuren Phosphoserin und Phospho- sondern Stoffwechselfunktionen haben. Es handelt sich
threonin (nicht dargestellt) sehr häufig um Derivate der proteinogenen Aminosäuren,
welche vor allem eine Rolle spielen
4 bei der Biosynthese von Harnstoff (7 Kap. 13.5.2)
4 als Zwischenprodukte im Stoffwechsel der proteinoge-
nen Aminosäuren (7 Kap. 13.4) und
4 als Vorstufen niedermolekularer Verbindungen (Pig-
mente, biogene Amine (7 Kap. 13.3.4))

2.3.4 Säure-Baseneigenschaften
von Aminosäuren

! Aminosäuren sind Ampholyte.

Da Aminosäuren Protonen aufnehmen und abgeben kön-


nen, verhalten sie sich wie Basen und Säuren und zählen
damit zur Gruppe der Ampholyte:
4 die Aminogruppen von Aminosäuren sind schwache
Basen. In aliphatischen Aminen z.B. der Seitenkette von
Lysin (R - NH2 + H +  R - NH3+ ) besitzen sie einen
pK-Wert von etwa 10,5 (Definition des pK-Wertes
7 Kap. 1.2.5 (. Tabelle 2.9))
4 Carboxylgruppen von Aminosäuren sind schwache
Säuren. Als Endgruppe von Carbonsäuren, z.B. Seiten-
kette von Glutamat (R - COOH  R - COO − + H + )
weisen sie einen pK-Wert von etwa 4,5 auf
4 Bei D-Amino-Carbonsäuren liegen die Amino- und
Carboxylgruppe am selben C-Atom. Durch die
Wechselwirkung der beiden funktionellen Gruppen
wird die Azidität der Carboxylgruppe auf pK-Werte
zwischen 1,7 und 2,4 erhöht und die Basizität der
Aminogruppe auf pK-Werte zwischen 9 und 10,5 er-
niedrigt
. Abb. 2.30. Derivate proteinogener Aminosäuren
2.3 · Aminosäuren
49 2

. Tabelle 2.8. Beispiele nichtproteinogener D- (sowie E- und J-) Aminosäuren


Aminosäure (Trivialname) mit chemischen Namen, Strukturformel
Entstehung und Bedeutung im Zellstoffwechsel
+

Ornithin (α, δ-Aminovalerianat) OOC – CH – CH2 – CH2 – CH2 – NH3
entsteht durch Abspaltung der Guanidinogruppe von Arginin; +
NH3
ist Zwischenprodukt bei der Harnstoffbiosynthese

Homocystein (α-Amino-γ-Mercaptobutyrat) OOC – CH – CH2 – CH2 – SH
entsteht durch Abspaltung der Methylgruppe von Methionin; +
NH3
ist Zwischenprodukt des Methioninstoffwechsels

5-Hydroxytryptophan (α-Amino-β-(5-hydroxy)-Indolylpropionat) OH

entsteht durch Hydroxylierung von Tryptophan; OOC – CH – CH2
+
ist Vorstufe von Serotonin, einem Gewebshormon NH3 N
H

3,4-Dihydroxyphenylalanin (α-Amino-β-(3,4-dihydroxy)-Phenylpropionat)

entsteht durch Hydroxylierung von Tyrosin; OOC – CH – CH2 OH
ist Vorstufe von Melanin, einem Pigment in den Haaren und der Haut +
NH3
OH

β-Alanin (β-Aminopropionat) CH2 – CH2 – COO –

entsteht durch Abspaltung der α-Carboxylgruppe von Aspartat; +


ist Teil von Pantothensäure (Coenzym A) NH3

γ-Aminobutyrat CH2 – CH2 – CH2 – COO–


entsteht durch Abspaltung der α-Carboxylgruppe von Glutamat; +
NH3
ist Überträgerstoff im Gehirn

. Tabelle 2.9. pK-Werte und isoelektrische Punkte von Alanin, Aspartat und Lysin
Aminosäure Art der Seitenkette pK-Werte Isoelektrischer Punkt
= arithmetisches Mittel von
+ +
α-COOH α-NH3 γ-COOH ε-NH3
+
Alanin Aliphatisch 2,35 9,69 – – α-COOH und D-NH3 = 6,02
Aspartat Carboxylgruppe enthaltend 2,09 9,82 3,86 – α-COOH und γ-COOH = 2,97
+
Lysin Aminogruppe enthaltend 2,18 8,95 – 10,53 α-NH3+ und ε-NH3 = 9,74

Außer den Amino- und Carboxylgruppen kommen als wei- gung an vielen enzymatischen Reaktionen widerspiegelt
tere dissoziable Gruppen vor (7 Kap. 4.3).
4 die Sulfhydrylgruppe von Cystein Aus der Henderson-Hasselbalch-Gleichung (7 Kap.
(R - SH  RS − + H + ; pK - Wert 8 − 9) 1.2.6) kann bei Kenntnis des pK-Wertes für jeden pH-Wert
4 die Hydroxylgruppe von Tyrosin der Dissoziationsgrad einer schwach sauren Gruppe er-
(R - OH  RO − + H + ; pK - Wert 10,1) rechnet werden (. Abb. 2.31). Im Fall des Alanins liegen
4 die Guanidinogruppe von Arginin 4 bei pH 1,0 beide funktionellen Gruppen (pK-Werte in
(R = NH2 +  R = NH + H + ; pK - Wert 12, 5) . Tabelle 2.9) in der protonierten Form vor, Alanin ist
4 die Iminogruppe des Pyrrolidinringes von Prolin also ein Kation
(R = NH2 +  R = NH + H + ; pK - Wert 10, 6) 4 Bei pH 6,02 ist die Carboxylgruppe vollständig dissozi-
iert und deprotoniert, die Aminogruppe bleibt dagegen
Die pK-Werte der genannten funktionellen Gruppen sind unverändert protoniert. In dieser Form wird eine Ami-
weit vom physiologischen pH-Wert entfernt, weswegen nosäure auch als Zwitterion bezeichnet. Der pH-Wert,
diese Gruppen nur in einer Form, protoniert oder nicht in dem die Aminosäure keine Nettoladung trägt und
protoniert vorliegen. Anders ist dies beim Histidin, da es deshalb auch nicht im elektrischen Feld wandert, heißt
als einzige Aminosäure eine dissoziable Gruppe besitzt, isoelektrischer Punkt (IP). Bei Alanin ist der IP das
deren pK-Wert etwa 6 beträgt und damit in die Nähe arithmetische Mittel der pK-Werte der Carboxyl- und
des physiologischen pH-Bereiches kommt. Die Imidazol- Aminogruppe. Die isoelektrischen Punkte anderer
seitenkette des Histidins ändert ihren Dissoziationsgrad Aminosäuren finden sich in . Tabelle 2.7
bei physiologischen pH-Werten und nimmt daher in Pro- 4 Bei pH 11,0 befinden sich beide Gruppen in deproto-
teinen eine Sonderstellung ein, die sich an der Beteili- nierter Form, Alanin liegt also als Anion vor
50 Kapitel 2 · Kohlenhydrate, Lipide und Aminosäuren

. Abb. 2.31. Dissoziationsverhalten der Carboxyl- und Aminogruppen von Alanin, Aspartat und Lysin bei verschiedenen pH-Werten

Aus . Abbildung 2.31 und . Tabelle 2.7 geht weiter hervor, 4 die Trennung von Aminosäuregemischen durch Chro-
dass Aminosäuren bei physiologischem pH-Wert (in Kör- matographie an Ionenaustauscherharzen und vor al-
persäften pH 7,4, im Cytosol der Körperzellen pH 6,0–7,0) lem
überwiegend die geladenen funktionellen Gruppen enthal- 4 die Struktur und die Funktion von Proteinen (7 Kap. 3
ten. Deshalb wird diese Form für die Darstellung der Ami- und 4)
nosäuren gewählt.
Infobox
! Die Titrationskurven für Aminosäuren setzen sich aus
Nachweisreaktionen von Aminosäuren
denen ihrer funktionellen Gruppen zusammen.
Bei Störungen des Aminosäurestoffwechsels sowie
Die Titrationskurve von Alanin ist aus den Titrationskur- proteinanalytischen Fragestellungen kommt es darauf
ven der Carboxyl- und Aminogruppe dieser Aminosäure an, das Vorhandensein und die Konzentration einzelner
zusammensetzt, die jeweils den charakteristischen Verlauf Aminosäuren zu bestimmen. Nachweisverfahren für
schwacher Säuren zeigen (. Abb. 2.32). Aminosäuren können
Aminosäuren mit mehreren dissoziablen Gruppen zei- 4 spezifisch für einzelne Aminosäuren sein oder
gen entsprechend kompliziertere Kurven. Aus . Abbil- 4 die Summe aller in einer Probe vorhandenen Ami-
dung 2.31 und 2.32 sowie . Tabelle 2.9 geht hervor, dass die nosäuren erfassen
Dissoziation der beiden Carboxylgruppen von Aspartat in
einem Bereich zwischen pH 1 und pH 6,6 abläuft. Bei die- Nur für sehr wenige Aminosäuren existieren spezifische
sem Vorgang ändert sich der Dissoziationsgrad der Amino- Nachweisverfahren, so z.B. der Nachweis der Phenol-
gruppe nicht, weswegen der isoelektrische Punkt von As- gruppe im Tyrosin oder der Sulfhydrylgruppe im Cystein.
partat dem arithmetischen Mittel der beiden pK-Werte der Wichtiger als die spezifischen Nachweisverfahren
Carboxylgruppen entspricht. für Aminosäuren sind solche, die auf der Derivatisie-
Für Lysin gilt das Entsprechende. In dem Bereich, in rung der funktionellen Gruppen am D-C-Atom beru-
dem die Dissoziation der Aminogruppen stattfindet, bleibt hen. In aller Regel handelt es sich um Reaktionen mit
die D-Carboxylgruppe in der dissoziierten Form. Sie nimmt der -NH3+-Gruppe, die zu fotometrisch nachweisbaren
deshalb keinen Einfluss auf den isoelektrischen Punkt. Produkten führt. Besondere Bedeutung haben die
Umsetzung mit Dansylchlorid bzw. Ninhydrin
! Viele Eigenschaften von Aminosäuren sind pH-abhängig.
(. Abb. 2.33).
Die Protonierung funktioneller Gruppen von Aminosäu- Die Verwendung jeder der beiden Methoden zum
ren ist von Bedeutung für: quantitativen Nachweis einzelner Aminosäuren setzt
4 chemische und biochemische Reaktionen, die Amino- die Abtrennung dieser Aminosäuren aus den meist
säuren eingehen können, beispielsweise bei Nachweis- vorliegenden Aminosäuregemischen voraus.
methoden
2.3 · Aminosäuren
51 2

Infobox
Chromatographische Methoden zur Trennung
von Aminosäuren
Chromatographische Verfahren beruhen auf der unter-
schiedlichen Affinität der zu trennenden Stoffe eines
Gemisches zu zwei verschiedenen Phasen, die nicht
oder nur im begrenzten Umfang miteinander mischbar
sind. Eine der Phasen, die stationäre Phase, ist an einen
festen Träger gebunden, die andere mobile Phase ist in
Bewegung. Dadurch stellt sich immer wieder ein neues
Gleichgewicht zwischen beiden Phasen ein, was zu
einer Trennung des Stoffgemisches führt. Je nach Art
der Kräfte, die bei der Entstehung der Gleichgewichte
wirken, lassen sich Verteilungs-, Absorptions-, Ionen-
austausch- und Hohlraumdiffusionschromatographie
unterscheiden, nach der Anordnung des Trägermate-
rials Dünnschicht- bzw. Säulenchromatographie
(. Abb. 2.34).
Die Trennung von Aminosäuregemischen erfolgt
meist durch Ionenaustauschchromatographie oder
Umkehrphasen-Flüssigkeitschromatographie.

Ionenaustauschchromatographie. Ionenaustauscher
sind polymere Kunstharze, die aus Elektrolytlösungen
Ionen im Austausch gegen eigene Ionen gleicher La-
dung aufnehmen und bei Änderung des pH-Wertes der
Umgebung wieder abgeben können. Sie finden unter
anderem Anwendung bei der Wasserenthärtung oder
in der klinischen Medizin bei der Behandlung von Stö-
rungen des Ionenhaushaltes (7 Kap. 28.5.2).
Zur Trennung von Aminosäuregemischen werden
meist Kunstharze mit Sulfonsäuregruppen (HSO3–)
benutzt. Wegen ihrer negativen Ladung können sie
mit Kationen Salze bilden und heißen deswegen auch
Kationenaustauscher. Da Aminosäuren im sauren
. Abb. 2.32. Titrationskurven der Aminosäuren Alanin, Aspartat 6
und Lysin

. Abb. 2.33. Derivatisierung von Ami-


nosäuren mit Dansylchlorid (a) bzw.
Ninhydrin (b). Die entstehenden Derivate
können fluorimetrisch bzw. colorimetrisch
nachgewiesen werden
52 Kapitel 2 · Kohlenhydrate, Lipide und Aminosäuren

. Abb. 2.34. Prinzip der Verteilungs-


chromatographie. Das Beispiel stellt die
Verteilungschromatographie als Dünn-
schichtchromatographie dar. Das Stoffge-
misch wird zunächst auf die Dünnschicht-
2 platte mit der stationären Phase aufgetra-
gen und anschließend in einen Trog mit
der mobilen Phase gestellt. Diese wandert
nun an der Dünnschichtplatte hoch, wobei
die verschiedenen Komponenten des
Substanzgemisches je nach ihrer Affinität
zur stationären Phase langsamer als die
Lösungsmittel transportiert und auf diese
Weise aufgetrennt werden

Milieu als Kationen vorliegen (7 o.) binden sie an Katio- phobe Substanzen covalent gebunden sind, als Träger der
nenaustauscher. Durch Elution mit Puffern von steigen- stationären Phase. Die mobile Phase besteht aus einer
dem pH und steigender Salzkonzentration können pufferhaltigen wässrigen Lösung, die mit einem wasserlös-
Aminosäuren schrittweise von dem Kationenaustauscher lichen organischen Lösungsmittel gemischt ist. Das Ami-
eluiert werden. Sie nehmen nämlich bei jeweils für jede nosäuregemisch wird in wässriger Phase auf die Trennsäu-
Aminosäure typischen pH-Werten die Zwitterionenform le gegeben. In Abhängigkeit von der jeweiligen Hydropho-
an, bei der sie vom Ionenaustauscher nicht mehr gebun- bizität der Aminosäureseitenkette werden Aminosäuren in
den werden. Die schrittweise eluierten Aminosäuren der stationären Phase zurück gehalten. Die Auftrennung
werden meist mit der Ninhydrinmethode nachgewiesen. kommt dadurch zustande, dass sich die Aminosäuren auf
Für die Auftrennung von Aminosäuregemischen durch Grund ihrer hydrophoben Eigenschaften unterschiedlich
Ionenaustauschchromatographie stehen entsprechende in den beiden Phasen verteilen und damit mit unter-
Automaten zur Verfügung. schiedlicher Geschwindigkeit durch die Säule wandern.
Die Verteilung der Aminosäuren kann zusätzlich dadurch
Umkehrphasenflüssigkeitschromatographie. Die beeinflusst werden, dass der hydrophile Charakter der
Umkehrphasenflüssigkeitschromatographie (englisch: mobilen Phase während des Laufes durch kontinuierliche
reversed phase liquid chromatography (RPLC)) ist wegen Erhöhung des Anteils des organischen Lösungsmittels
der besonderen Trennschärfe und Empfindlichkeit ein verändert wird. Für die Auftrennung von Aminosäuregemi-
sehr gut etabliertes Verfahren zur Auftrennung von Ami- schen durch RPLC werden die Aminosäuren meist vor der
nosäuregemischen. Bei der RPLC dienen in eine Chroma- Auftrennung derivatisiert, z.B. mit Phenylisothiocyanat
tographiesäule gepackte Kieselgelteilchen, an die hydro- (7 Kap. 3.2.3)

In Kürze
Formal sind Aminosäuren Derivate von Fettsäuren, die am Die Funktionen von Aminosäuren sind vielfältig:
D-C-Atom eine Aminogruppe tragen. Nach der Wasserlös- 4 Die 20 proteinogenen Aminosäuren stellen die Baustei-
lichkeit ihrer Seitenketten kann zwischen hydrophilen ne aller Proteine dar
und hydrophoben Aminosäuren unterschieden werden. 4 Nichtproteinogene Aminosäuren entstehen entweder
Bei neutralem pH liegt die Carboxylgruppe von Amino- durch Modifikation von Aminosäureresten in Proteinen
säuren deprotoniert als Anion und die Aminogruppe bzw. nehmen an den verschiedensten Stoffwechsel-
protoniert als Kation vor. Nichtessentielle Aminosäuren Vorgängen teil (Harnstoffzyklus)
können im Organismus synthetisiert werden, essentielle 4 Aminosäuren dienen als Stickstoff-Lieferanten für eine
Aminosäuren jedoch nicht, weswegen die letzteren mit Reihe von Biosynthesen
der Nahrung zugeführt werden müssen. 4 Durch Decarboxylierung von Aminosäuren entstehen
Amine, die als Signalmoleküle dienen
Literatur
53 2
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