You are on page 1of 58

28

28 Funktion der Nieren


und Regulation des Wasser-
und Elektrolyt-Haushalts
Armin Kurtz

28.1 Die Niere – 895


28.1.1 Durchblutung der Niere – 895
28.1.2 Aufbau und Funktion der Glomeruli – 896
28.1.3 Aufbau des Harnkanalsystems – 899
28.1.4 Reabsorption von Elektrolyten und Wasser – 899
28.1.5 Reabsorption von Monosacchariden, Peptiden und Aminosäuren – 905
28.1.6 Säure-Basen-Transport der Tubulusepithelien – 906
28.1.7 Transport von Protonen und Hydrogencarbonat – 906
28.1.8 Ausscheidung harnpflichtiger Substanzen – 909
28.1.9 Energiegewinnung in der Niere – 909
28.1.10 Die Niere als endokrines Organ – 910

28.2 Der Endharn (Urin) – 914


28.2.1 Eigenschaften des Urins – 914
28.2.2 Chemische Zusammensetzung des Urins – 914
28.2.3 Pathobiochemie des Urins – 915
28.2.4 Harn- und Nierensteine – 916

28.3 Der Wasserhaushalt – 917


28.3.1 Wasserbilanz – 917
28.3.2 Hormonelle Regulation des Wasserhaushalts – 918
28.3.3 Pathobiochemie des Wasserhaushalts – 920

28.4 Der Natriumhaushalt – 921


28.4.1 Natriumbilanzierung – 921
28.4.2 Hormonelle Regulation des Natriumhaushalts – 922
28.4.3 Pathobiochemie des Natriumhaushalts – 926

28.5 Der Kaliumhaushalt – 928


28.5.1 Regulation des Kaliumhaushalts – 928
28.5.2 Pathobiochemie des Kaliumhaushalts – 929

28.6 Der Calcium- und Phosphathaushalt – 930


28.6.1 Calciumhaushalt – 930
28.6.2 Phosphathaushalt – 932
28.6.3 Hormonelle Regulation des Calcium- und Phosphatstoffwechsels – 933
28.6.4 Pathobiochemie des Phosphat- und Calciumhaushalts – 938
28.7 Der Magnesium- und Sulfathaushalt – 939
28.7.1 Magnesiumhaushalt – 939
28.7.2 Schwefelhaushalt – 941

28.8 Der Säure-Basen-Haushalt – 942


28.8.1 Notwendigkeit der Konstanthaltung der Protonenkonzentration – 942
28.8.2 Entstehung von Säuren im Stoffwechsel – 942
28.8.3 Verteilung der Protonen zwischen Intra- und Extrazellulärraum – 943
28.8.4 Puffersysteme – 944
28.8.5 Regulation der Protonenkonzentration – 945
28.8.6 Pathobiochemie des Säure-Basen-Haushalts – 946

Literatur – 950
28.1 · Die Niere
895 28

> > Einleitung

Die Nieren scheiden endogen gebildete organische wasserlösliche Stoffwechsel-Endprodukte, anorganische Stoffe sowie exo-
gen zugeführte, nicht abbaubare Substanzen wie Medikamente oder Vitamine aus. Sie dienen darüber hinaus der Erhaltung
der Konstanz der Extrazellulärflüssigkeit, regulieren Volumen und Osmolarität der Körperflüssigkeiten durch selektive Reab-
sorption oder Ausscheidung von Ionen und Wasser. Sie greifen durch Ausscheidung überschüssiger Säuren und Basen im Zu-
sammenwirken mit den Lungen in das Säure-Basen-Gleichgewicht ein. Darüber hinaus sind die Nieren an der Regulation des
Blutdrucks, der Erythropoiese und des extrazellulären Calciumspiegels beteiligt und synthetisieren wichtige Verbindungen wie
Glucose und γ-Aminobutyrat. Die Funktion der Nieren steht in engem Zusammenhang mit den Regelsystemen, die für den
Wasser- und Elektrolythaushalt verantwortlich sind.
Für die Regulation des Wasserhaushalts und des Natrium- und Kaliumstoffwechsels sind die Hormone Vasopressin, Aldo-
steron und das atriale natriuretische Peptid von besonderer Bedeutung. Ihr Ziel ist es, Natrium- und Kaliumverluste gering zu
halten und eine ausgeglichene Wasserbilanz zu erreichen.
Für die Regulation des wichtigen Calciumstoffwechsels stehen drei Hormone zur Verfügung, das Parathormon, das
D-Hormon sowie das Thyreocalcitonin.

28.1 Die Niere Regulationsorte der Nierendurchblutung sind. Die physio-


logischen Regulationen von afferentem und efferentem
28.1.1 Durchblutung der Niere Widerstand sind dahingehend ausgerichtet, den Blutdruck
innerhalb der Glomeruluskapillaren und den Blutfluss-
Die Durchblutung der Niere bewirkt eine ausreichende durch die Glomeruluskapillaren konstant zu halten.
Versorgung mit Nährstoffen, gleichzeitig bestimmt sie Folgende Faktoren sind dabei von Bedeutung:
aber auch das zur Filtration gelangende Blutvolumen. Zu- 4 Die Autoregulation der Nierendurchblutung bewirkt,
dem beeinflusst die Nierenmarkdurchblutung noch die dass sich der renale Perfusionwiderstand in einem
Salz- und Wasserreabsorption. Beim Erwachsenen erhal- Druckbereich von ca. 70–180 mmHg parallel mit dem
ten im Normalfall beide Nieren zusammen ca. 20–25% Perfusionsdruck ändert und somit der renale Blutfluss
des Herzminutenvolumens in Ruhe, d.h. ca. 1,0–1,2 l Blut (RBF = 'P/R) in diesem Bereich konstant bleibt (. Abb.
pro Minute, was einer sehr hohen spezifischen Gewebe- 28.1, Einzelheiten 7 Lehrbücher der Physiologie)
durchblutung von 4 ml u min–1 u g–1 entspricht.
! Die Nierenrinde ist wesentlich besser durchblutet als
das Nierenmark.

Die Blutversorgung des Nierenmarks erfolgt nur über die


efferenten Arteriolen derjenigen Glomeruli, die tief in der
Rinde, nahe an der Rinden-Mark-Grenze (juxtamedullär)
liegen. Diese Arteriolen gabeln sich, ziehen geradlinig und
unverzweigt als vasa recta in Richtung Pyramidenspitze
und übernehmen so die Versorgung des Parenchyms der
Außen- und Innenzone des Marks. Wegen dieses speziellen
Verteilungssystems fließen mehr als 90% des renalen Blut-
stroms nur durch die Nierenrinde, womit das Mark, welches
immerhin mehr als 60% der Nierenmasse ausmacht, ent-
sprechend wenig Blut erhält.
! Die Nierendurchblutung wird über die Widerstände der
afferenten und efferenten Arteriolen reguliert.

Der renale Blutfluss (RBF) wird von der treibenden Blut- . Abb. 28.1. Abhängigkeit des renalen Blutflusses (RBF) und
druckdifferenz ('P) zwischen A. und V. renalis und dem der glomerulären Filtrationsrate (GFR) vom Druck in der Nieren-
gesamten intrarenalen Gefäßwiderstand R bestimmt: arterie. Im oberen Bildteil ist schematisch die Druckabhängigkeit des
inneren Durchmessers von afferenten Arteriolen sowie die Bedeutung
des transmembranären Calciumeinstroms durch L-Typ-Calciumkanäle
dargestellt. Eine druckabhängige Reduktion des Innendurchmessers
Die für die Nierendurchblutung bestimmenden Gefäß- um 25% führt dabei zu einem 3-fachen Anstieg des präglomerulären
widerstände werden hauptsächlich von den afferenten und Strömungswiderstands (Hagen-Poiseuille-Gesetz) und bewirkt damit
efferenten Arteriolen gebildet, welche daher die wichtigsten, eine Konstanz von RBF und GFR
896 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

4 Regulation durch Neurotransmitter, die aus den sympa- der Basalmembran an der Außenseite der Kapillaren und
thischen Nierennerven freigesetzt werden. Noradre- den Schlitzen zwischen den Fußfortsätzen der Podozyten
nalin führt über α1-Rezeptoren und Aktivierung des besteht (. Abb. 28.2), wird in den Glomeruli aus dem Blut-
Phospholipase-C-(PLC)-Signalwegs zur Gefäßkon- plasma der Primärharn abgefiltert und über die als Trichter
traktion und damit zur Widerstandserhöhung, wäh- wirkende Bowman-Kapsel dem Harnkanalsystem zuge-
rend Dopamin über D-1-Rezeptoren und Aktivierung leitet. Die Poren der Endothelzellen (Durchmesser 50–
des cAMP-Signalwegs die Arteriolen relaxiert und 100 nm) verhindern den Durchtritt von Blutzellen. Die
damit den Widerstand senkt. Bei stärkerer Aktivierung dreischichtige 300 nm dicke Basalmembran enthält Lami-
der Nierennerven überwiegt die konstriktorische Wir- nin, Fibronectin und Kollagen-Typ IV und stellt einen me-
kung des Noradrenalins, was dazu führt, dass im Kreis- chanischen Filter für Stoffe dar, deren relative Molekül-
laufschock die Niere durch den Blutdruckabfall bei masse größer als 400 kDa ist. Je 2 Kollagen IV-Monomere
gleichzeitigem Anstieg des Nierenperfusionswider- assoziieren am C-Terminus und jeweils 4 Monomere am
stands sehr schlecht durchblutet wird, was ein akutes N-Terminus. Durch diese Assoziation bildet sich ein supra-
Nierenversagen nach sich ziehen kann molekulares Maschenwerk aus (7 Kap. 26.2.2). Die Tripel-
4 Die afferenten und efferenten Widerstände werden helix des Kollagens IV wird aus unterschiedlichen D-(IV)-
auch von einer Reihe von parakrinen Faktoren und von Ketten aufgebaut. Insgesamt sind bisher 6 Varianten der
Hormonen beeinflusst. So erhöhen Angiotensin II, D-(IV)-Ketten bekannt. Eine dieser Ketten, die D-III(IV),
Serotonin, Endotheline und Thromboxan über den findet sich nur in der Basalmembran der Nierenglomeruli,
PLC-Signalweg den Widerstand, während PGE2, PGI2 der Lungenalveolen und einigen anderen Basalmembranen.
über den cAMP-Signalweg und atriales natriuretisches Das erklärt warum bei einzelnen Erkrankungen, die mit
Peptid (ANP) sowie das aus dem Endothel freigesetzte Schädigungen der Basalmembran einhergehen, bevorzugt
28 Stickoxid (NO) über den cGMP-Signalweg den Gefäß- Lungen und Nieren betroffen sind. Die Fortsätze der Podo-
widerstand erniedrigen zyten stehen mit verbreiterten Füßchen direkt auf der Ba-
salmembran und lassen zwischen sich Schlitze frei, welche
in vivo schmäler als 5 nm sind. Der effektive Porenradius
28.1.2 Aufbau und Funktion der Glomeruli des Glomerulusfilters beträgt etwa 1,5–4,5 nm. Damit kön-
nen im Prinzip Moleküle mit einer Masse bis zu 5 kDa un-
! In den Glomeruli werden wasserlösliche Plasmabe- gehindert filtriert werden (. Tabelle 28.1). Darunter fallen
standteile nach ihrer Größe und Ladung als Primärharn Stoffwechselendprodukte wie Harnstoff, Kreatinin, Harn-
abfiltriert. säure etc., aber auch für den Körper wertvolle Substanzen
wie Wasser, Monosaccharide, Aminosäuren, Peptide, Elek-
Aufbau eines Glomerulus. Die 1–1,5 Millionen Glomeruli trolyte etc.
(. Abb. 28.2) in jeder Nierenrinde verbinden das Blutgefäß-
mit dem Harnkanalsystem. Sie haben einen Durchmesser Filtration nach Ladung. Die Fußfortsätze der Podozyten
von 150–300 μm und bestehen aus ca. 30 miteinander ver- sind von einer dicken negativ geladenen neuraminsäu-
bundenen Kapillarschlingen, die sich aus einer afferenten rereichen Glycocalix (Hauptprotein Podocalixin, Mw
Arteriole aufteilen. Ein Glomerulus enthält 3 Zelltypen: 144 kDa) überzogen, welche die Moleküldurchlässigkeit
4 gefensterte Endothelzellen, welche die Kapillarschlin- durch die Filtrationsschlitze noch zusätzlich hinsichtlich
gen innen auskleiden der Ladung der Stoffe beeinflusst. Damit spielt für die Fil-
4 Podozyten, welche mit langen fußförmigen Fortsätzen trierbarkeit neben der mechanischen Einschränkung durch
außen auf den Kapillarschlingen aufsitzen und die Molekülgröße auch die Nettoladung der Moleküle eine
4 Mesangiumszellen im Inneren des Glomerulus, welche
der mechanischen Halterung und Stützung der Kapil- . Tabelle 28.1. Glomeruläre Filtrierbarkeit biologischer Moleküle
larschlingen dienen Molekül Molekülmasse Glomeruläre
(Da) Filtrierbarkeit
Im Rahmen von immunologischen Abwehrprozessen kön- Wasser 18 100%
nen die Mesangiumszellen stimuliert werden, worauf sie
Harnstoff 60 100%
über Expression von MHCII-Komplexen (7 Kap. 34.2.2)
Glucose 180 100%
zur Antigenpräsentation fähig werden und große Mengen
an Cytokinen (z.B. IL-1E, TNF-D) bilden. Diese Vorgänge Insulin 5500 99%
spielen eine Rolle bei intraglomerulären Entzündungsvor- Myoglobin 16000 75%
gänge (z.B. Glomerulonephritis). Ovalbumin 43500 22%
Hämoglobin 64000 3%
Filtration nach Molekülgröße. Durch einen dreilagigen Fil-
Albumin 66248 1%
ter, der aus dem fenestrierten Endothel im Kapillarinneren,
28.1 · Die Niere
897 28

. Abb. 28.2. a Schematische Darstellung eines Nierenglomeru- produzierenden Epitheloidzellen in der Wand der afferenten Arteriolen
lus mit juxtaglomerulärem Apparat. Der juxtaglomeruläre Apparat im Einmündungsbereich in das Glomerulus und die tubulären Macula
besteht aus 3 Zelltypen, die alle miteinander in Kontakt stehen. Dies densa-Zellen, welche den Endabschnitt der dicken aufsteigenden
sind die extraglomerulären Mesangiumzellen, die sich zwischen der af- Henle-Schleife (. Abb. 28.3 in Kap. 28.1.3) bilden. (Aus Schmidt et al.
ferenten und efferenten Arteriole nach außerhalb erstrecken, die renin- 2000) b Schematische Darstellung der glomerulären Filtermembran

wichtige Rolle. Moleküle mit negativer Ladung treten Aufgrund einer Druckdifferenz zwischen dem Kapillar-
schwerer als solche mit positiver Ladung in die Schlitze inneren und der Bowman-Kapsel werden ca. 20% des
zwischen den negativ geladenen Podozytenfortsätzen ein. durchfließenden Plasmavolumens als wässriger, zellfreier
Das ist funktionell besonders bedeutsam für die Protein- und eiweißarmer Primärharn abfiltriert. In beiden Nieren
filtration, da die Plasma-Eiweißmoleküle in der Regel eine eines Erwachsenen werden zusammen pro Minute im
negative Überschussladung tragen, was neben ihrer Größe Normalfall ca. 125 ml Plasma-Ultrafiltrat als Primärharn
die Filtrierbarkeit zusätzlich reduziert. erzeugt. Dieser Wert wird als glomeruläre Filtrationsrate
(GFR) bezeichnet.
! Mehrere Sicherungsmechanismen sorgen für eine Da die Nierenfunktion des Menschen auf eine gleich
Konstanz der glomerulären Filtration. bleibende Filtrationsleistung (GFR) ausgelegt ist, haben
898 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

28

. Abb. 28.3. Anordnung der Nephronsegmente und des Sam- Teil; 2 proximaler Tubulus, gerader Teil; 3 dünne absteigende Henle-
melrohrsystems in den verschiedenen Nierenzonen. Zu beachten Schleife; 4 dünne aufsteigende Henle-Schleife; 5 dicke aufsteigende
ist die charakteristische Ultrastruktur der jeweiligen Tubulusabschnit- Henle-Schleife; 6 Macula densa; 7 distaler Tubulus, gewundener Teil;
te, insbesondere die Ausbildung des Bürstensaums zur Oberflächen- 8 Verbindungstubulus; 9 corticales Sammelrohr (Hauptzelle); 10 inner-
vergrößerung und die Größe und Dichte von Mitochondrien als Aus- medulläres Sammelrohr (Hauptzelle). (Modifiziert nach Kaissling u.
druck aerober Energiegewinnung. 1 proximaler Tubulus, gewundener Kriz aus Seldin u. Giebisch 2000)
28.1 · Die Niere
899 28

sich verschiedene Mechanismen entwickelt, die möglichen das Nierenbecken einmünden. Die Nephrone eines Men-
Schwankungen der GFR entgegensteuern: schen haben je nach Länge der Henle-Schleife eine Gesamt-
4 Die Autoregulation der Nierendurchblutung (7 o.), länge von 3–4 cm, die Sammelrohre sind im Mittel noch
welche auf einer myogenen Reaktion der afferenten 2 cm lang.
Arteriolen (. Abb. 28.1) und dem tubulo-glomeru-
! Der Extrazellulärraum der Niere ist kompartimentiert.
lären Feedback (TGF) beruht. Dabei setzen die Macula
densa Zellen des juxtaglomerulären Apparates (. Abb. Das Harnkanalsystem durchzieht zweimal die Nierenrinde
28.2) bei erhöhtem Salztransport (infolge erhöhter und zweimal das Nierenmark und wechselt dabei jeweils
GFR) ATP frei. Dieses wird durch die 5c-Ektonucleo- die Umgebungsbedingungen im Extrazellulärraum: Zwi-
tidase in Adenosin gespalten, welches wiederum die schen Rinde und Mark bestehen wesentliche Unterschiede
afferenten Arteriolen konstringiert (A1-Rezeptoren) in den O2-Partialdrucken (. Abb. 28.4). Wegen der relativ
4 Bei Abfall des Nierenarteriendrucks sezernieren Epi- geringen Durchblutung des Nierenmarks nimmt die O2-
theloidzellen des juxtaglomerulären Apparats am glo- Versorgung von der Nierenrinde bis zur Papille hin ab.
merulären Ende der afferenten Arteriolen das ge- Dementsprechend findet man die höchsten mittleren O2-
speicherte Renin, welches über eine Reaktionskaskade Drucke in der Rinde (ca. 80 mmHg), die dann zur Papillen-
(Renin-Angiotensin-System, 7 u.) zur Bildung von An- spitze bis auf 10 mmHg abfallen.
giotensin II führt. Angiotensin II erhöht den arteriellen Zwischen Rinde und Mark bestehen auch wesentliche
Blutdruck und konstringiert in der Niere präferentiell Unterschiede in der Osmolarität des Interstitiums, welche
die efferenten Arteriolen. Beide Ereignisse zusammen in der Rinde 290 mosmol beträgt und bis zur Papillenspitze
führen zu einem Wiederanstieg des hydrostatischen auf 1300 mosmol/l ansteigt (. Abb. 28.4). Die Erhöhung
Drucks in den Glomeruluskapillaren und damit zur der Osmolarität beruht je zur Hälfte auf einem Anstieg der
Aufrechterhaltung der GFR interstitiellen NaCl und Harnstoffkonzentration. Dieser
Osmolaritätsgradient ist für die Wasserresorption in der
Niere essentiell (zu seiner Entstehung 7 Lehrbücher der Phy-
28.1.3 Aufbau des Harnkanalsystems siologie).

! Die verschiedenen Funktionen der Niere sind jeweils


! Die spezielle Struktur des Tubulussystems bestimmt die
verschiedenen Tubulussegmenten zugeordnet.
Ausscheidungsfunktion der Niere.
Die verschiedenen Tubulusabschnitte haben jeweils spe-
Im Primärharn befinden sich nicht nur ausscheidungs- zifische Funktionen zu erfüllen. Entsprechend werden die
pflichtige Verbindungen sondern auch Moleküle, welche dafür notwendigen Funktionsproteine auch streng lokal
für den Körper noch sehr wertvoll sind. Dazu gehören Mo- exprimiert. Das gilt nicht nur für die zelluläre Expression
nosaccharide, Aminosäuren, Oligopeptide, Salze und na- als solche (. Abb. 28.5), sondern auch für die subzelluläre
türlich auch Wasser. Entsprechend findet sich im Anschluss Lokalisation der Funktionsproteine, wobei deren selektiver
an jeden Glomerulus ein Kanalsystem (Tubulussystem), Einbau entweder in die luminale oder basolaterale Zell-
dessen Aufgabe die Rückresorption der wertvollen Stoffe membran das Funktionsverhalten der verschiedenen Tubu-
und die möglichst effiziente Eliminierung der giftigen luszellen bestimmt. Das wird beispielsweise bei der tubu-
Stoffwechselendprodukte ist. lären Natriumresorption deutlich, für die die verschiedenen
Das System der Harnkanälchen besteht aus den Ne- Tubuluszellen unterschiedliche luminale Transportsysteme
phronen und aus dem Sammelrohrsystem, die sich onto- entwickelt haben, während sie als Gemeinsamkeit alle in
genetisch separat entwickeln (. Abb. 28.3). der basolateralen Membran die Na+/K+-ATPase enthalten,
Ein Nephron besteht aus: mit welcher sie aus der Tubulusflüssigkeit eintretendes
4 dem Glomerulus Natrium wieder in die Blutbahn zurückpumpen.
4 der Bowman-Kapsel
4 dem proximalen Tubulus
4 der Henle-Schleife 28.1.4 Reabsorption von Elektrolyten
4 der Macula densa und Wasser
4 dem Konvolut des distalen Tubulus sowie dem
4 geraden Verbindungstubulus Wegen der Größe der glomerulären Filtrationsrate erbrin-
gen die Nieren eine gewaltige Leistung bei der notwendigen
Zwischen 8–10 Nephrone münden in die einzelnen Sam- Reabsorption von Elektrolyten und Wasser. Hieran sind
melrohre, die aus der Rinde in Richtung Papillenspitze zie- die verschiedenen Abschnitte des Nephron in unterschied-
hen. In der Innenzone des Marks konvergieren alle Sam- lichem Ausmaß beteiligt (. Tabelle 28.2). Die Reabsorption
melrohre zu immer größeren Röhren bis hin zu den 10– von Wasser und Natrium-Ionen macht mengenmäßig den
20 Ductus papillares einer Pyramide, welche schließlich in größten Anteil aus.
900 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

28

. Abb. 28.4. Profil des Sauerstoffdrucks (oben) und der Osmolarität (unten) im Interstitium der verschiedenen Nierenzonen

. Tabelle 28.2. Reabsorptionsleistung der verschiedenen Abschnitte des Nephrons


Gesamt Reabsorbiert in
(mol/24 h)
Proximalem Henle-Schleife Distalem Tubulus
Tubulus
Dünnem Teil Dickem, auf- Sammelrohr
steigendem Ast
Na+ 23 65% 25% 9%
+
K 0.7 80% 10%
2+
Ca 0.2 65% 25% 9%
Mg2+ 0.1 15% 70% 10%
Cl– 19 65% 25% 10%
HCO3– 4.3 80% 10% 10%
4
H2O 10 65% 18% 10%
28.1 · Die Niere
901 28

. Abb. 28.5a–o. Zonal spezifische Expression von Membran- boxylat-Cotransporter (SDCT2); h Glutamat-Transporter; i Kationen-
transport-Proteinen in der Rattenniere. Der Nachweis der Expres- Transporter (DCT1); j Harnstofftransporter (UT3); k Natrium-Calcium-
sion der jeweiligen Proteine erfolgte durch in situ Hybridisierung. Austauscher; l Harnstofftransporter (UT2); m Harnstofftransporter
a Natrium-Glucose-Cotransporter (SGLT2); b Natrium-Hydrogencar- (UT1); n Glutamat-Transporter (GLAST); o Kontrolle. Der Balken in (o)
bonat Cotransporter; c Natrium-Vitamin-C-Cotransporter (SVCT1); bezeichnet eine Länge von 2 mm. (Nach Berger et al. aus Seldin u.
d Peptid-Transporter (PEPT2); e Natrium-Dicarboxylat-Cotransporter Giebisch 2000)
(SDCT1); f Natrium-Glucose-Cotransporter (SLGT1); g Natrium-Dicar-
902 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

28

. Abb. 28.6. Die Mechanismen der Natriumresorption in den ATP-abhängige, offene Symbole sekundär aktive oder passive Trans-
verschiedenen Tubulusabschnitten. Geschlossene Symbole geben portvorgänge wieder. AS = Aminosäuren (Einzelheiten 7 Text)

! Über 99% des filtrierten Natriums werden im Tubulus- ren oder Säureanionen (7 u.) oder durch Antiport mit
system reabsorbiert. Protonen. Der Na+/H+-Austauscher befördert pro ein-
tretendem Na+-Ion ein Proton aus der Tubuluszelle in die
Das glomerulär filtrierte Na+ (23 mol/Tag) wird zu etwa Tubulusflüssigkeit (. Abb. 28.7). Der Mechanismus der
65% im proximalen Tubulus, zu 25% in der aufsteigenden Regenerierung der für den Na+-Transport benötigten Pro-
Henle-Schleife, zu 7% im distalen Tubulus und zu 3% im tonen ist in . Abb. 28.8 dargestellt und entspricht einem
Verbindungstubulus/Sammelrohr rückresorbiert. Im Nor- gleichartigen Transportsystem im Ileum (7 Kap. 32.2.4).
malfall werden weniger als 1% des filtrierten Natriums mit Eine nicht selektive passive Na+-Resorption im proximalen
dem Urin ausgeschieden (. Abb. 28.6). Tubulus erfolgt zusätzlich durch den starken parazellulä-
Allgemeine Triebkraft für die Na+-Resorption ist das ren Wasserfluss (solvent drag,7 u.). Die Na+-Resorption im
zelleinwärts gerichtete Konzentrationsgefälle für Natrium proximalen Tubulus wird durch Angiotensin II stimuliert
zwischen der Tubulusflüssigkeit und der Tubuluszelle. (7 Kap. 28.1.10).
Dieses Konzentrationsgefälle wird durch die Aktivität der
Na+/K+-ATPase (7 Kap. 6.1.5) erzeugt, welche in der baso- Dünner aufsteigender Teil der Henle-Schleife. Hier wird
lateralen Membran der Tubuluszellen lokalisiert ist. Natrium passiv reabsorbiert. Diese Tubuluszellen besitzen
Der Mechanismus der Na+-Aufnahme in die Tubulus- eine hohe Chloridpermeabilität wegen zahlreicher Chlorid-
zellen hängt von deren Lokalisation ab: kanäle (ClC-Ka, chloride channel-kidney a) in der lumi-
nalen und basolateralen Membran. Da die Interzellularkon-
Proximaler Tubulus. Hier erfolgt die apikale Na+-Aufnah- takte in diesem Tubulusabschnitt für Kationen permeabel
me hauptsächlich durch Symport mit Glucose, Aminosäu- sind, diffundiert aufgrund eines starken Konzentrations-
28.1 · Die Niere
903 28

. Abb. 28.7. Modell der Membranintegration des Na/H-Austau- das C-terminale cytosolische Ende. In der Zellmembran bilden wahr-
schers-1 (NHE-1). Die Zylinder stellen die transmembranären Do- scheinlich zwei Antiportmoleküle ein Dimer. (Verändert nach Ritter M
mänen dar. Die für den Ionentransport verantwortlichen Domänen et al. Cell Physiol Biochem 2001)
sind rot hervorgehoben. Die Regulation der Aktivität erfolgt über

gradienten zwischen der aufkonzentrierten Tubulusflüssig- Seite. Dabei entsteht bei diesem Transport eine negative
keit und dem Interstitium NaCl passiv aus der Tubulusflüs- Überschussladung im Interstitium. Diese Potentialdifferenz
sigkeit in das Interstitium. treibt Kationen (Na+, Mg2+, Ca2+, NH4+) parazellulär in das
Interstitium.
Dicker aufsteigender Teil der Henle-Schleife. Na+ wird
hier über einen Na+/K+-2Cl–-Symport in der luminalen Konvolut des distalen Tubulus. Natrium wird über einen
Membran resorbiert. Über zahlreiche Kaliumkanäle in der luminalen NaCl-Symport reabsorbiert, wobei auch hier
luminalen Membran diffundieren die über den Cotrans- das Konzentrationsgefälle für Natrium zwischen der Tubu-
port in die Zelle eintretenden K+-Ionen zum größten Teil in lusflüssigkeit und der Tubuluszelle die Triebkraft für den
die Tubulusflüssigkeit zurück und stehen somit wieder für Cotransport liefert. Na+ wird basolateral hinausgepumpt
den Cotransport zur Verfügung. Die Cl–-Ionen verlassen und Chlorid verlässt die Zelle über einen KCl-Symport. Das
mittels Diffusion die Zelle über spezifische Chloridkanäle hierfür benötigte K+ rezirkuliert über die Aktivität der
(ClC-Kb, chloride channel-kidney b) und zu einem gerin- Na+/K+-ATPase.
geren Teil über einen KCl-Symport an der basolateralen
Überleitungsstück und Sammelrohr. Die Na+-Reabsorp-
tion erfolgt über spezifische Na+-Kanäle in der apikalen
Membran der Hauptzellen, während K+ im Gegenzug durch
apikale K+-Kanäle aus der Hauptzelle in die Tubulusflüs-
sigkeit diffundiert. Da basolateral über die Na+/K+-ATPase
Na+ aus der Zelle und K+ in die Zelle gepumpt werden, fin-
det in den Hauptzellen somit netto eine Natriumresorption
und eine Kaliumsekretion statt. Die Zahl und Aktivität der
Na+-Kanäle und der Na+/K+-ATPase in den Hauptzellen
wird durch das Nebennierenrindenhormon Aldosteron
(7 u.) gesteigert.
! Filtriertes Wasser wird zu 99% wieder reabsorbiert.

Das glomerulär filtrierte Wasser (180 l/Tag) wird zu etwa


. Abb. 28.8. Regenerierung von Protonen für den Na+/H+-Aus-
65% im proximalen Tubulus, zu 18% in der dünnen ab-
tausch im proximalen Tubulus bei gleichzeitiger Hydrogencar-
bonat-Resorption. CAII = Carboanhydrase II, im Cytosol lokalisiert; steigenden Henle-Schleife und im Konvolut des distalen
CAIV = Carboanhydrase IV, mit einem GPI-Anker in der Membran des Tubulus und zu 10% im Verbindungstubulus/Sammelrohr
Bürstensaums verankert rückresorbiert (. Abb. 28.9). Im Normalfall wird daher nur
904 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

28

. Abb. 28.9. Die Mechanismen der Wasserresorption in den verschiedenen Tubulusabschnitten. AP = Aquaporin (Einzelheiten 7 Text)

weniger als 1% des filtrierten Wassers mit dem Urin ausge- ebenfalls gut wasserdurchlässig. Da durch die Elektrolyt-
schieden. Durch die transzelluläre Resorption von Natrium Resorptionsaktivität der vorgeschalteten wasserimper-
und anderen osmotisch wirksamen Molekülen (z.B. Mono- meablen dicken aufsteigenden Henle-Schleife die Tubulus-
saccharide, 7 u.) im proximalen Tubulus sinkt die Osmo- flüssigkeit hypoton (100 mosmol/l) wurde, strömt im dis-
larität der Tubulusflüssigkeit gegenüber dem Niereninter- talen Tubulus zum Osmolaritätsausgleich Wasser aus dem
stitium ab. Zum Osmolaritätsausgleich strömt nun Wasser Tubulus in das Interstitium und wird so resorbiert.
aus dem Tubuluslumen in das Interstitium. Dies geschieht Die Einstellung der endgültigen Urinosmolarität er-
zum einen transzellulär durch spezifische Wasserkanäle folgt über die Hauptzellen des Verbindungstubulus und des
(Aquaporin 1) in der Membran der proximalen Tubulus- Sammelrohrs. Die Sammelrohre tauchen auf ihrem Wege
zellen und zum anderen parazellulär durch die Interzellu- von der Rinde (in den Markstrahlen) an die Papillenspitze
larverbindungen zwischen den Zellen Bei diesem starken in Regionen zunehmender Osmolarität ein (. Abb. 28.4).
parazellulären Wasserfluss werden gleichzeitig Ionen (z.B. Da der aus dem distalen Tubulus in das Sammelrohrsystem
Na+, K+, Ca2+, Mg2+ und Cl–) entsprechend ihrer Konzen- geleitete Harn plasma-isoton ist, entsteht mit zunehmender
tration mitgerissen (solvent drag) und so resorbiert. Passage durch das Sammelrohrsystem ein immer größerer
Das Tubulusepithel des dünnen absteigenden Teils der osmotischer Gradient zwischen dem Niereninterstitium
Henle-Schleife enthält spezifische Wasserkanäle (Aquapo- und der Tubulusflüssigkeit und damit ein zunehmender
rin 1) und ist daher gut wasserdurchlässig. Da das Intersti- Sog auf das Wasser im Tubuluslumen. Die Interzellularkon-
tium des Nierenmarks und der Papille hyperton gegenüber takte im Sammelrohr sind wasserimpermeabel. Deshalb
dem Plasma ist (. Abb. 28.4), wird im Bereich der dünnen kann das Wasser nur transzellulär durch die Zellen aus dem
absteigenden Henle-Schleife Wasser aus der Tubulusflüs- Tubulus in das Interstitium diffundieren.
sigkeit entzogen, wodurch der Harn konzentriert wird. Wie Die Diffusion durch die luminale und basolaterale
stark, hängt von der Länge der Schleife ab. Das Epithel des Membran erfolgt durch Aquaporine (7 Kap. 6.1). In der
Konvoluts des distalen Tubulus in der Nierenrinde ist luminalen Membran der Hauptzellen findet man Aqua-
28.1 · Die Niere
905 28

porin 2, in der basolateralen Membran die Aquaporine 3


und 4 (. Abb. 28.10). Die Anzahl der luminalen Aquapo-
rin-2-Kanäle limitiert die transzelluläre Wasserdiffusion.
Der Einbau der Aquaporinkanäle in die luminale Membran
wird vor allem durch das Antidiuretische Hormon (ADH
oder Synonym: Vasopressin) reguliert (. Abb. 28.11). Dabei
erhöht es in der apikalen Membran der Sammelrohr-
epithelien die Zahl der Wasserkanal (Aquaporin 2)-Mole-
küle, indem es eine Translokation von präformierten aber
funktionslosen Wasserkanälen, die sich in intrazellulären
Vesikeln befinden, in die apikale Plasmamembran indu-
ziert. Diese Wirkung wird durch den V2-Rezeptor vermit-
telt. Ähnlich wie der V1-Rezeptor gehört er zu den G-Pro-
tein gekoppelten Rezeptoren. Im Gegensatz zu diesem ist er
jedoch an die Adenylatcyclase gekoppelt.
Bei optimalem Wasserdurchfluss durch die Sammel-
rohrzellen kann der Harn fast die Osmolarität des Nieren-
interstitiums annehmen, welche an der Papillenspitze bis zu
1300 mosmol/l beträgt. Je geringer die Wasserdurchlässig-
keit der Sammelrohrzellen ist, umso weniger Wasser wird
reabsorbiert, umso weniger konzentriert ist der Endurin
. Abb. 28.10. Modellvorstellung zur Struktur eines Aquaporins
und umso größer ist das produzierte Urinvolumen (Diure- (AP-1). Die Aquaporine bestehen aus 6 Transmembrandomänen
se). Die osmotische Konzentration des Urins kann dabei (1–6). Die Verbindungsschleifen zwischen den Domänen 2 und 3
auf 50 mosmol/l absinken. ADH kontrolliert so mit seiner sowie 5 und 6 tauchen teilweise in die Lipiddoppelschicht ein und
Aktivität ca. 10% der glomerulär filtrierten Wassermenge. bilden darin jeweils eine halbe Pore. Durch Zusammenlagerung der
Bei maximaler ADH-Sekretion kann das Urinvolumen auf beiden Halbporen entsteht dann ein Wasserkanal aus hydrophilen
Aminosäuren. (Modifiziert nach Agre et al. aus Seldin u. Giebisch 2000)
etwa 0,7 Liter pro Tag reduziert werden (maximale Anti-
diurese), während bei starker ADH-Suppression das Urin-
volumen auf 20 Liter pro Tag ansteigen kann (maximale
Diurese).

28.1.5 Reabsorption von Monosacchari-


den, Peptiden und Aminosäuren

! Filtrierte Monosaccharide werden in der Regel im proxi-


malen Tubulus vollständig reabsorbiert.

Die für die Reabsorption von Monosacchariden benötigten


Transportsysteme sind in der luminalen und basolateralen
Membran lokalisiert. Glucose wird aus dem Primärharn
über luminale Na+-gekoppelte Cotransporter SGLT1 und
SGLT2 (sodium dependent glucose transporter) in die pro-
ximale Tubuluszelle transportiert (. Abb. 6.8). SGLT1 und
SGLT2 unterscheiden sich nicht nur in ihrer Struktur, son-
dern auch hinsichtlich ihrer Lokalisation, ihrer Transport-
affinität und Transportkapazität. Im Anfangsbereich des
proximalen Tubulus dominiert dabei der SGLT2, der ein
Glucosemolekül zusammen mit einem Na+-Ion transpor-
. Abb. 28.11. Wirkungsmechanismus von Vasopressin (V) an
tiert. Mit diesem Transportsystem, welches eine hohe
den Sammelrohrepithelien der Nieren. Über V2-Rezeptoren (V2-R)
Kapazität aufweist, kann mit vergleichsweise niedrigem kommt es zu einem Anstieg der zellulären cAMP-Konzentration. Diese
Energieaufwand (1 Na+) bereits der Großteil der Glucose löst über unbekannte Mechanismen eine Translokation von Wasser-
resorbiert werden. Da die Glucosekonzentration in der Tu- kanälen aus intrazellulären Vesikeln in die Plasmamembran aus. PKA =
bulusflüssigkeit durch die Resorption immer weiter absinkt, Proteinkinase A
müssen die Cotransport-Triebkräfte stärker werden, um
906 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

Glucose weiter zu resorbieren. Dies wird dann durch den Charakters häufig an Plasmaproteine gebunden sind und
SGLT1 bewerkstelligt, der ein Glucosemolekül zusammen deshalb glomerulär nicht filtriert werden können, stellt die
mit zwei Na+-Ionen transportiert. Dieses Monosaccharid- tubuläre Sekretion den Haupteliminationsmechanismus
transportsystem hat zwar eine hohe Affinität für Glucose, dar. Ebenso werden endogene Kationen, wie z.B. Cholin,
kommt jedoch in geringerer Menge vor und hat deswegen biogene Amine etc. im proximalen Tubulus in der Regel
eine niedrigere Transportkapazität. SGLT1, der auch die sezerniert. Dazu werden die organischen Kationen mittels
Glucoseresorption im Darm vermittelt, wird vor allem im des polyspezifischen Uniporters OCT2 (organic cation
Endabschnitt des proximalen Tubulus exprimiert und sorgt transporter) basolateral in die Zelle aufgenommen und
dafür, dass im Normalfall die gesamte filtrierte Glucose luminal über einen polyspezifischen Kationen/Protonen-
aus dem Primärharn rückresorbiert wird. Die luminal auf- Antiporter abgegeben.
genommene Glucose verlässt die proximale Tubuluszelle
basolateral wieder mittels des spezifischen (Natrium-unab- Säureanionen. Anorganische (z.B. Phosphat etc.) aber
hängigen) Uniporters GLUT2 (7 Kap. 11.4.1). auch kleine organische (z.B. Acetat etc.) Anionen wer-
Die tubuläre Resorption von Galactose erfolgt ebenfalls den normalerweise mittels Na+-gekoppelten Cotransport-
über den SGLT1. Fructose hingegen wird luminal über ei- Systeme (Na+-Mono(Di)carboxylat-Cotransporter, Na+-
nen Na-unabhängigen Uniporter (GLUT5) in die proximale Phosphat-Cotransporter etc.) über die luminale Membran
Tubuluszelle transportiert. aufgenommen und in den Zellen des proximalen Tubulus
angereichert. Durch die basolaterale Membran werden
! Filtrierte Proteine, Peptide und Aminosäuren werden
diese Anionen mit Hilfe passiver Transportsysteme wieder
fast vollständig resorbiert.
ausgeschleust.
Trotz der weitgehenden Impermeabilität des glomerulären Zahlreiche größere Anionen, dazu zählen oft auch
28 Filters gelangen täglich einige Gramm Albumin und eine Medikamente, werden über den proximalen Tubulus in den
Reihe anderer Proteine in das Primärfiltrat. Albumin wird Harn sezerniert. In diesem Fall werden die Anionen baso-
wie auch andere Proteine mittels des Megalinrezeptors lateral mittels des polyspezifischen Anionenaustauscher
(7 Kap. 23.2.2) über clathrinabhängige Endozytose in die OAT1 (organic anion transporter) in den proximalen Tubu-
proximale Tubuluszelle aufgenommen und darin lysosomal lus hineintransportiert und luminal über einen anderen
abgebaut. Anionentransporter ausgeschleust.
Größere Peptide werden über Endozytose (Pinozytose)
in die proximale Tubuluszelle aufgenommen und darin in Spezifität der Transportsysteme. Die Transportsysteme,
Lysosomen in einzelne Aminosäuren zerlegt. Oligo- und welche die renale Sekretion von organischen Säuren und
Polypeptide werden durch Peptidasen des Bürstensaums Basen vermitteln, sind polyspezifisch, das heißt, sie akzep-
in Bruchstücke zerlegt und dabei entstehende Di- und Tri- tieren Substanzen unterschiedlicher Struktur als Substrat
Peptide über einen protonengekoppelten Transport direkt und unterscheiden nicht zwischen körpereigenen Subs-
in die proximale Tubuluszelle aufgenommen. tanzen oder Fremdstoffen. Da alle Transportsysteme ein
Freie Aminosäuren, welche entweder durch glomeru- begrenztes Transportmaximum haben, kann durch Fremd-
läre Filtration oder durch luminalen Proteinabbau in den stoffe wie z.B. Medikamente die Sekretion von körper-
proximalen Tubulus gelangen, werden dort vollständig re- eigenen Abfallstoffen vermindert werden, was zur Akku-
absorbiert. Anionische (Glutamat, Aspartat) und neutrale mulation dieser Stoffe im Körper führen und entsprechende
Aminosäuren (Alanin, Glycin etc.) werden durch verschie- Krankheitserscheinungen auslösen kann.
dene luminale Natrium-gekoppelte Cotransportport- Eine besondere Rolle spielen diese Zusammenhänge bei
systeme aufgenommen, kationische (Arginin, Glutamin, der Entstehung und der Therapie der Gicht (7 Kap. 19.4.1).
Lysin, Ornithin) Aminosäuren und Zystin werden über
Natrium-unabhängige Transportsysteme resorbiert.
Durch diese sehr effektiven Rückresorptionsmechanis- 28.1.7 Transport von Protonen
men wird die Proteinurie im Endurin unter 30 mg pro Tag und Hydrogencarbonat
gehalten.
! Protonensekretion und Hydrogencarbonatresorption
sind miteinander gekoppelt und erfolgen im proxima-
28.1.6 Säure-Basen-Transport len Tubulus und im Sammelrohr.
der Tubulusepithelien
Im Stoffwechsel des Menschen entstehen täglich je nach
! Organische Basen und Säuren können im proximalen
Nahrungszusammensetzung 50–100 mmol nichtflüchtige
Tubulus sowohl resorbiert wie auch sezerniert werden.
Säuren, deren Protonen über die Niere ausgeschieden
Organische Kationen. Für die Ausscheidung zahlreicher werden müssen. Dafür stehen drei Mechanismen zur Ver-
kationischer Medikamente, die wegen ihres hydrophoben fügung:
28.1 · Die Niere
907 28

. Abb. 28.12. Schaltzellen Typ A und B. a Protonen-sezernierende/ nung der Mitochondrien und der oberflächenvergrößernden Mikro-
Hydrogencarbonat-reabsorbierende Schaltzelle Typ A. b Hydrogen- villi hingewiesen. (Modifiziert nach Kaissling und Kriz aus Seldin u.
carbonat-sezernierende/Protonen-reabsorbierende Schaltzelle Typ B. Giebisch 2000)
Links: Funktionsschema. Rechts: Ultrastruktur. Es sei auf die Umord-

4 Na+/H+-Austausch im proximalen Tubulus. Bei der dem Extrazellulärraum zu (. Abb. 28.12b). Zugrunde
Sekretion der Protonen in den Urin wird in der pro- liegt wiederum eine intrazelluläre Bildung von Hydro-
ximalen Tubuluszelle CO2, das entweder aus dem gencarbonat und Protonen. Das Verhältnis von Typ-A-
Stoffwechsel der Zelle selbst stammt bzw. aus der Tubu- zu Typ-B-Schaltzellen ist dabei variabel, da sie ineinan-
lusflüssigkeit oder dem Blut entnommen wird, unter der übergehen können. Je höher die Protonenkon-
Katalyse des Enzyms Carboanhydrase II in Hydro- zentration im Blut ist, umso höher ist die Zahl der
gencarbonat und Protonen umgewandelt. Während protonensezernierenden Typ-A-Zellen und umge-
letztere im Austausch gegen Natrium in die Tubulus- kehrt
flüssigkeit diffundieren, tritt Hydrogencarbonat im 4 Desaminierung von Glutamin im proximalen Tubu-
Cotransport mit Natrium (Stöchiometrie 3:1) in den lus. Glutamin wird in den perivenösen Zellen der Leber
Extrazellulärraum (. Abb. 28.8). Die intrazelluläre unter Energieaufwand durch die Glutaminsynthetase
Kohlensäureproduktion ist dabei direkt abhängig vom aus Glutamat unter Verbrauch von NH3 und H+ syntheti-
pCO2. Je höher der pCO2 in der Zelle, umso mehr Pro- siert (7 Kap. 13.1.2). Glutamin wird von der Leber in die
tonen werden sezerniert und Hydrogencarbonat-Ionen Zirkulation abgegeben, wo es mit 600–800 mmol/l die
reabsorbiert. Sinkt der pCO2, dann sinken ebenfalls weitaus höchste Plasmakonzentration aller Aminosäu-
die Protonenausscheidung und die Hydrogencarbonat- ren erreicht. Es wird glomerulär filtriert und im proxi-
resorption malen Tubulus mit anderen Aminosäuren resorbiert.
4 Protonen- und Hydrogencarbonatsekretion im Sam- Zusammen mit der zusätzlichen Aufnahme aus dem
melrohr. Schaltzellen des Typs A im Sammelrohr se- Blut steht dem proximalen Tubulus damit Glutamin in
zernieren Protonen in den Urin (H+-ATPasen) und beträchtlichem Umfang zur Desaminierung zu Glu-
führen Hydrogencarbonat dem Extrazellulärraum zu tamat zur Verfügung (. Abb. 28.13). Das entstehende
(. Abb. 28.12a). Schaltzellen des Typs B sezernieren NH4+ enthält damit ein Proton, welches dem Leber-
Hydrogencarbonat in den Urin und führen Protonen stoffwechsel entnommen wurde. Durch eine weitere
908 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

Urin-pH von 5,5 werden etwa nur 5 mmol H+ pro Tag in


freier Form ausgeschieden. Dass die täglich produzierte
Menge Protonen dennoch ausgeschieden werden kann, ist
auf die Anwesenheit von Puffern im Urin zurückzuführen,
die die sezernierten Protonen wegfangen und damit die
weitere Protonensekretion in Gang halten.

Dihydrogenphosphat-Hydrogenphosphat-System. Dieses
Puffersystem weist im Glomerulumfiltrat eine annähernd
gleiche Konzentration wie im Plasma auf (1 mmol/l) und
liegt beim pH-Wert des Glomerulumfiltrats (7,40) zu 80%
. Abb. 28.13. Verknüpfung von Glutaminabbau und Protonen- als Hydrogen- und zu 20% als Dihydrogenphosphat (Ver-
ausscheidung. (Einzelheiten 7 Text) hältnis 4:1) vor. Aufgrund der günstigen Lage seines pKc-
Werts mit 6,80 (pH = pKc ± 1 bei nichtflüchtigen Puffer-
systemen!) eignet es sich vorzüglich zur Urinpufferung.
Desaminierung von Glutamat zu D-Ketoglutarat ent- Erst bei einem pH-Wert von 4,5 ist nahezu das gesamte
steht dann ein weiteres NH4+. Sein Proton entstammt Hydrogenphosphat durch Aufnahme von Protonen nach
der Protonierung der D-Aminogruppe des Glutamats der Gleichung
und ist damit auch dem Stoffwechsel entzogen worden.
Die Bereitstellung von Glutamin seitens der Leber und
die Desaminierung von Glutamin in der Niere sind
28 pH-abhängig: Beide Prozesse werden bei einem Anstieg in Dihydrogenphosphat umgewandelt. Auf diese Weise
der Protonenkonzentration aktiviert und bei einem Ab- werden bis zu 50% der Protonen im Urin von diesem Puf-
fall entsprechend blockiert. Bei schwerer Azidose kann fersystem aufgenommen.
die Niere pro Tag 300–400 mmol NH4+ produzieren; Durch Titration des Urins mit Base (NaOH 0,1 mol/l)
allerdings benötigt sie für die erforderliche Anpassung wird diese Pufferung – in vitro – rückgängig gemacht und
mehrere Tage. NH4+-Ionen werden von der dicken auf- damit die abgepufferten Protonen quantitativ erfasst. Die-
steigenden Henle-Schleife auch anstelle von K+ mit dem ser als titrierbare Acidität des Urins bezeichnete Anteil be-
Na+/K+/2Cl–-Cotransporter resorbiert und so im Nie- trägt beim Gesunden zwischen 10 und 40 mmol/24 h.
renmark akkumuliert, von wo sie direkt in das Sammel- Die titrierbare Acidität des Urins steigt bei Säurebelas-
rohr diffundieren und so zum Teil zumindest den Weg tung spontan an.
durch die Rinde abkürzen
Ammonium-/Ammoniak-System. Eine weitere Pufferungs-
! Die Ausscheidung von Protonen über den Urin erfor-
möglichkeit ist die Bildung von Ammoniak, die im Gegen-
dert effektive Puffer.
satz zu der des Phosphatpuffersystems in den Tubuluszellen
Die Nieren des Menschen können so täglich bis zu erfolgt. Da die Konzentration von Ammoniak im Extrazel-
1000 mmol (1 mol) Protonen ausscheiden bzw. 300– lulärraum und damit auch im Glomerulumfiltrat aufgrund
400 mmol einsparen. Die Nierentubuli sind imstande, die der entgiftenden Aktivität der Hepatozyten sehr niedrig ist,
Wasserstoffionenkonzentration im Urin bis auf das 1000– muss das von den Tubuluszellen in den Urin freigesetzte
fache zu erhöhen, von 40 nmol/l (der Konzentration im Ammoniak aus anderen Quellen stammen. Wesentlicher
Blut und Glomerulumfiltrat) auf 40000 nmol/l (der Kon- Ammoniakdonator ist die Aminosäure Glutamin, die in
zentration im Urin bei einem pH von 4,4). Diese 0,04 mmol/ verschiedenen Geweben (Muskulatur, Gehirn, Leber) aus
l sind jedoch nur ein sehr geringer Teil der täglichen Pro- Glutamat und freiem Ammoniak gebildet wird, in den Ex-
duktion. Sollte die tägliche Bildung von durchschnittlich trazellulärraum übertritt und von den Tubuluszellen aus
60 mmol Protonen in der Tagesmenge von 1,5 l Urin aus- dem arteriellen Blut entnommen wird. Das in den Zellen
geschieden werden (entsprechend 40 mmol/l Urin), dann des distalen und proximalen Tubulus sowie der Sammel-
müsste ein Urin mit einem pH-Wert von 1,4 gebildet wer- rohre durch enzymatische Hydrolyse aus Glutamin freige-
den. Tatsächlich wird aber ein Urin-pH-Wert von 4,5 (Re- setzte Ammoniak diffundiert in das Lumen und wirkt dort
gelbereich 4,5–8,2) nicht unterschritten, weil die Protonen- als Protonenakzeptor nach der Gleichung
pumpen im Sammelrohr nur maximal gegen eine H+-Kon-
zentration von 30 mmol/l (pH 4.5) arbeiten können.
Folglich können die anfallenden Protonen nur zum ge-
ringen Teil in freier Form, sondern hauptsächlich nur in Das entstandene Ammoniumion kann aufgrund seiner La-
gebundener (gepufferter) Form im Endharn ausgeschie- dung die Tubulusmembran nicht permeieren und verbleibt
den werden (7 Kap. 28.2.1). Bei einem durchschnittlichen daher im Urin.
28.1 · Die Niere
909 28

Die NH4+-Ausscheidung beträgt beim Gesunden etwa erscheinungen und später zur vollen Ausbildung des kli-
30–50 mmol/24 h. Während das Phosphatpuffersystem auf nischen Bilds, zur Urämie.
eine Säurebelastung sofort anspricht, steigt die Ammonium- Neben der Erhöhung der harnpflichtigen Substanzen
ausscheidung erst innerhalb mehrerer Tage allmählich an. lassen sich regelmäßig Fehlregulationen des Wasser- (Was-
Sie kann dafür jedoch erheblich stärker gesteigert werden serretention, Anstieg der Plasmaosmolarität durch Harn-
als die titrierbare Acidität und Werte bis zu 500 mmol/24 h stoff), Elektrolyt- (ungenügende Kaliumausscheidung) und
erreichen. Ammoniak eignet sich besonders als Puffer, da des Säure-Basen-Haushalts (verminderte Protonenaus-
es als Endprodukt des Stickstoffstoffwechsels in nahezu scheidung) beobachten. Diese Veränderungen, sowie das
unbegrenzter Menge zur Verfügung steht. Es wird zwar Auftreten von Urämietoxinen wie Guanidinen, Phenolen
in Aminierungsreaktionen (Glutamatdehydrogenase- und und Aminen, führen zu gravierenden Störungen des Zell-
Glutaminsynthetasereaktion) teilweise wieder fixiert (wie stoffwechsels (z.B. Hemmung der mitochondrialen ATP-
Kohlendioxid in Carboxylierungsreaktionen), in der tie- Bildung).
rischen Zelle gibt es jedoch keine Nettofixierung dieser Die Behandlung der chronischen Niereninsuffizienz
Endprodukte. Bei Säurebelastungen – wie z.B. bei länger besteht in der Entfernung der Urämietoxine und harn-
dauerndem Hunger, der mit einer Ketoazidose einhergeht pflichtigen Stoffe sowie der Korrektur der Elektrolytentglei-
– wird deshalb mehr Stickstoff in Form von Ammoniak als sungen durch Dialyseverfahren wie Hämo- oder Peritoneal-
in Form von Harnstoff ausgeschieden. dialyse. Durch die Entwicklung immer spezifischerer und
Der pK-Wert des Ammonium-/Ammoniak-Puffer- nebenwirkungsärmerer Immunsuppresiva ist die Nieren-
systems liegt mit 9,40 relativ ungünstig zum pH-Wert des transplantation zur Erfolg versprechendsten Therapieform
Glomerulumfiltrats. Somit müsste dieser Puffer in einem der Niereninsuffizienz geworden.
geschlossenen System schlecht wirken. Da jedoch durch
die Tubuluszellen ständig Ammoniak nachgeliefert wird,
liegt der Puffer praktisch in einem offenen System vor. 28.1.9 Energiegewinnung in der Niere
Dem Urin können hohe Säuremengen zugeführt werden,
ohne dass sich der pH-Wert wesentlich ändert, weil in ! Die Natriumresorption determiniert wesentlich den
wässriger Lösung das Verhältnis von Ammonium-Ionen Energieverbrauch der Niere.
(NH4+) zu Ammoniak-Gas (NH3) sehr hoch ist (100:1 bei
pH 7,40). Die Zellen des proximalen Tubulus, der dicken aufstei-
genden Henle-Schleife und des Konvoluts des distalen Tu-
bulus besitzen eine hohe Dichte an Mitochondrien, welche
28.1.8 Ausscheidung harnpflichtiger palisadenartig an der basalen Zellmembran angeordnet
Substanzen sind. Dieser Mitochondrienreichtum ist ein Hinweis auf
den hohen Bedarf an oxidativ erzeugter Energie in Form
Die Eliminierung im Stoffwechsel entstehender toxischer von ATP. 80% des Energieumsatzes wird zum Betrieb der
Substanzen ist eine wichtige Funktion der Niere. Die dabei Na+/K+-ATPase verwendet, welche in der basalen Mem-
beteiligten Mechanismen sind in . Tabelle 28.3 zusammen- bran sitzt und den für den Natriumtransport wichtigen
gestellt. transzellulären Natriumgradienten erzeugt und aufrecht
erhält. Entsprechend korreliert der Energieverbrauch der
! Bei Niereninsuffizienz steht eine verminderte Ausschei-
Niere mit der tubulären Na+-Resorption (. Abb. 28.14), da
dungsfunktion im Vordergrund.
alle luminalen Na+-Aufnahmesysteme von diesem Gra-
Ist die Ausscheidungsfunktion beider Nieren aufgrund dienten abhängig sind. Weil die tubuläre Na+-Resorption
einer Erkrankung oder Schädigung chronisch einge- von der filtrierten Na+-Menge abhängt, wird der Energie-
schränkt, so kommt es zunächst zu einem Anstieg der verbrauch der Niere von der glomerulären Filtrationsrate
harnpflichtigen Substanzen ohne allgemeine Vergiftungs- (GFR) bestimmt.

. Tabelle 28.3. Die Mechanismen der Eliminierung der im Stoffwechsel entstehenden toxischen Substanzen
Verbindung Entstehung Mechanismus der Ausscheidung Ausscheidung/24 h
Ammoniak Aminosäurestoffwechsel Tubuläre Desaminierung von Glutamin; Ausscheidung als 20–50 mmol
Ammoniumionen
Harnstoff Harnstoffzyklus Glomeruläre Filtration, tubuläre Reabsorption 300–600 mmol
Harnsäure Purinabbau Glomeruläre Filtration, tubuläre Sekretion u. Reabsorption 2–12 mmol
Oxalat Abbau von Glycin Glomeruläre Filtration, tubuläre Sekretion u. Reabsorption 0,11–0,61 mmol
Kreatinin aus Kreatinin Glomeruläre Filtration 8–17 mmol
910 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

im proximalen Tubulus hat allerdings nachteilig zur Folge,


dass diese Zellen unbedingt auf Sauerstoff zur Energiege-
winnung angewiesen sind. Sie reagieren deshalb sehr emp-
findlich auf eine unzureichende Sauerstoffversorgung.
In den nachgeschalteten Tubulusabschnitten wird dann
Glucose verstoffwechselt und dabei nimmt die Aktivität des
Glycolysestoffwechselwegs zum distalen Nephron hin zu.
Der proximale Tubulus ist hingegen zur Gluconeoge-
nese fähig. Hierfür nutzt er die Aminosäure Glutamin, aus
welcher 2-mal NH3 abgespalten (Glutaminase und Glutamat-
dehydrogenase) wird und D-Ketoglutarat entsteht, welches
als Ausgangssubstrat für die Gluconeogenese dient.

28.1.10 Die Niere als endokrines Organ

Renin-Angiotensin-System (RAS). Renin ist eine Aspartyl-


protease mit einer Molekülmasse von ca 40 kDa. Es wird als
enzymatisch inaktive Vorstufe (Prorenin) von den Epithe-
. Abb. 28.14. Sauerstoffverbrauch der Niere in Abhängigkeit loidzellen des juxtaglomerulären Apparats synthetisiert
von der Natriumresorption und darin in Speichergranula verpackt. In diesen Vesikeln
28 wird es durch Proteolyse zu Renin aktiviert, welches durch
! Die Sauerstoffversorgung der Niere ist inhomogen. regulierte Exozytose aus den Zellen ausgeschleust wird. Das
Prorenin umgeht die teilweise Einschleusung in die sekre-
Die Niere erzeugt ATP hauptsächlich durch oxidative torischen Vesikel und wird konstitutiv sezerniert, weshalb
Phosphorylierung. Bei normaler GFR liegt der O2-Ver- im Plasma des Menschen im Gegensatz zu anderen Säugern
brauch bei 0,06 ml u min–1 u g–1. Da die Durchblutung mit sogar mehr Prorenin als Renin vorkommt.
4 ml u min–1 u g–1 recht hoch ist, braucht die Niere damit Für Renin kennt man nur ein Substrat, nämlich das
nur ca 7% (0,015 ml O2/ml Blut) des antransportierten Sauer- Glycoprotein Angiotensinogen (Molekülmasse ca. 60 kDa),
stoffes zu extrahieren, wodurch der Sauerstoffdruck im das hauptsächlich in der Leber, daneben aber auch vom
Nierenvenenblut mit etwa 60 mmHg noch sehr hoch bleibt. Fettgewebe gebildet wird. Renin spaltet im Plasma vom An-
Diese Luxusdurchblutung darf aber nicht darüber hin- giotensinogenmolekül ein N-terminales Dekapeptid ab,
wegtäuschen, dass die Sauerstoffversorgung innerhalb der das Angiotensin I, welches durch das angiotensin-I-conver-
Niere recht inhomogen ist und die O2-Drucke im schlecht ting-enzyme (ACE) um zwei Aminosäuren zum Oktapeptid
durchbluteten inneren Nierenmark bis auf 10 mmHg ab- Angiotensin II (AngII) verkürzt wird. Wegen ihrer hohen
sinken (. Abb. 28.5). Entsprechend ist der spezifische O2- Aktivität an converting enzyme spielen die Lunge und die
Verbrauch in der Papille (0,004 ml u min–1 u g–1) um den Niere eine besonders wichtige Rolle (. Abb. 28.15).
Faktor 20 niedriger als in der Rinde (0,09 mlumin–1 u g–1). Das menschliche ACE ist über eine C-terminale, hydro-
phobe, D-helicale Region in der Plasmamembran vieler
! Fettsäuren und Ketonkörper sind die Hauptsubstrate
Zellen, vor allen Dingen von Endothelzellen und glatten
für die renale Energiegewinnung.
Muskelzellen verankert. In geringer Aktivität lässt sich
Die quantitativ bedeutsamsten Substrate für die oxidative ACE auch im Plasma nachweisen. Es wird von einem Gen
Phosphorylierung in der Niere sind Acetoacetat, β-Hydro- von 21 kb Größe codiert, welches aus der Duplikation eines
xybutyrat und Fettsäuren. Glucose spielt hierbei eine ge- Vorläufergens entstanden sein muss, da es 2 alternative
ringere Rolle, da der für die Glucosenutzung notwendige Promotoren enthält:
Glycolysestoffwechselweg im proximalen Tubulus fehlt, der 4 Die unter Benutzung des 5c-gelegenen Promotors abge-
hinsichtlich seiner Zellmasse und seines Energieumsatzes lesene mRNA codiert für das somatische ACE, welches
in der Niere dominiert. Dadurch fehlt dem proximalen Tu- ein Molekulargewicht von 170 kDa hat und zwei funk-
bulus allerdings auch das Pyruvat, welches normalerweise tionelle Domänen mit je einem aktiven Zentrum ent-
nach Decarboxylierung als Acetyl-CoA in den Citratzyklus hält. Die Aminosäuresequenz am aktiven Zentrum
zur oxidativen Energiegewinnung eingespeist wird, wes- entspricht derjenigen einer Zinkprotease
halb Acetyl-CoA aus der E-Oxidation der Fettsäuren oder 4 Außer diesem somatischen ACE gibt es noch ein Keim-
dem Abbau von Ketonkörpern gebildet wird. zell-ACE, welches in reifen Spermatiden exprimiert
Das Fehlen des glycolytischen Stoffwechselwegs, und wird, und welches für die männliche Fertilität wichtig
damit der Möglichkeit der anaeroben Energiegewinnung ist. Es entsteht dadurch, dass der zweite Promotor des
28.1 · Die Niere
911 28

dafür, dass AT2-Rezeptor-vermittelte Wirkungen die Blut-


druckwirkungen des AT1-Rezeptors abschwächen.
! Die Aktivität des Renin-Angiotensin-Systems (RAS) wird
durch Rückkopplung reguliert.

Die wesentliche physiologische Funktion des RAS von Er-


wachsenen besteht in der Erhöhung oder Normalisierung
eines erniedrigten Extrazellulärvolumens oder Blutdrucks.
Dabei kommt dem Renin eine Schlüsselfunktion zu:
4 Seine Freisetzung wird durch einen Blutdruckabfall in
den afferenten Arteriolen der Niere und durch eine Re-
duktion des Extrazellulärvolumens (z.B. bei Natrium-
mangel) stimuliert (. Abb. 28.16a)
4 Weiterhin stimulieren Adrenalin und Noradrenalin
. Abb. 28.15. Biosynthese und Abbau von Angiotensin II. Die (E1-Rezeptoren) und Dopamin (D1-Rezeptoren) die
Umwandlung von Angiotensin I in Angiotensin II erfolgt vor allen an
Reninfreisetzung über die Aktivierung des cAMP-
den Gefäßendothelien durch das angiotensin converting enzyme (ACE)
Signalwegs (. Abb. 28.16b). Entsprechend führt auch
eine Aktivitätssteigerung der sympathischen Nieren-
ACE-Gens benutzt wird und führt zu einer ACE-Form, nervenfasern zu einer Stimulation der Reninsekretion,
die nur über ein aktives Zentrum verfügt was erklärt, warum Stresssituationen mit einer ver-
stärkten Reninsekretion einhergehen
AngII als das eigentliche Hormon des Systems, entfaltet 4 Die blutdruck- und volumensteigernde Wirkung des RAS
verschiedene biologische Wirkungen, die in der Kontrolle wird dadurch begrenzt, dass ein erhöhter Blutdruck bzw.
des Extrazellulärvolumens und des Blutdrucks zusam- Salzüberschuss die Reninfreisetzung wieder hemmt
menmünden. AngII löst in glatten Gefäßmuskelzellen eine 4 Auch AngII selbst hemmt im Sinne einer direkten
Kontraktion aus, was in verschiedenen Gefäßgebieten zu negativen Rückkopplung über AT1-Rezeptoren die
einer Vasokonstriktion und damit zu einer Erhöhung des Reninfreisetzung (. Abb. 28.16a), was sich auch daran
Kreislaufwiderstands führt. Diese rasch einsetzende Er- erkennen lässt, dass die Behandlung mit AT1-Rezeptor-
höhung des Kreislaufwiderstands führt so zu einem un- blockern oder ACE-Inhibitoren zu einer deutlichen
mittelbaren Anstieg des Blutdrucks. Durch verschiedene Steigerung der Reninsekretion führt
Mechanismen bewirkt AngII weiterhin eine Zunahme des
Natriumbestands und damit auch des Extrazellulärvolu- Auf zellulärer Ebene wird die Reningenexpression durch
mens (7 Kap. 28.2.3). cAMP und durch Calcium (Phosphatidylinositolweg) ge-
genläufig reguliert (. Abb. 28.16b).
! An der Signaltransduktion von Angiotensin II sind AT1-
und AT2-Rezeptoren beteiligt. ! Pathobiochemisch ist nur die Hypersekretion von Renin
relevant.
Alle Angiotensin II-Wirkungen werden über Angiotensin
II-AT1-Oberflächenrezeptoren vermittelt. Sie gehören Ein durch eine primäre Renin-Überproduktion und -Über-
zur Familie der G-Protein gekoppelten Rezeptoren (7 Kap. sekretion hervorgerufenes Krankheitsbild entwickelt sich
25.6). Ihre Effekte beruhen auf einer Aktivierung des Phos- bei einseitiger Stenose der Nierenarterien. Die dabei herab-
phatidylinositolkaskade und damit auf einer Erhöhung gesetzte renale Durchblutung löst in der befallenen Niere eine
der intrazellulären Calciumkonzentration und Stimula- massiv gesteigerte Reninproduktion und -freisetzung aus, die
tion der Proteinkinase C (7 Kap. 25.4.5). AT1-Rezeptoren zu einer Steigerung der Angiotensin-II-Konzentration im
können außerdem die Adenylatcylase sowie bestimmte Blut und aufgrund der vasopressorischen Wirkung dieses
K+-Kanäle hemmen und damit Zellen depolarisieren. In Hormons zur massiven Hypertonie führt. Bei Patienten mit
zahlreichen (vor allem fetalen) Geweben finden sich als essentieller Hypertonie (ca. 95% aller Hypertonie-Formen!)
weitere Isoform der Angiotensin-Rezeptoren die AT2-Re- sind zwar erhöhte Reninkonzentrationen im Plasma eher
zeptoren. AT1- und AT2-Rezeptoren sind in der Amino- selten, trotzdem führt eine Behandlung mit ACE-Hemm-
säuresequenz zu 34% identisch. Die physiologische Be- stoffen meist zu einer sehr deutlichen Absenkung des Blut-
deutung und der Signaltransduktionsmechanismus des drucks, woraus man auf die Existenz lokaler Renin-Angio-
AT2-Rezeptors sind noch nicht eindeutig geklärt. Beim tensin-Systeme (z.B. in der Gefäßwand, Herz etc.) schließt.
Erwachsenen wird der AT2-Rezeptor im Areal von Haut-
verletzungen besonders stark exprimiert. Man nimmt da- Erythropoietin. Das Cytokinhormon Erythropoietin (EPO)
her an, dass er eine Rolle bei der Wundheilung spielt. Beo- ist der zentrale hormonelle Regulator der Erythropoiese.
bachtungen an AT2-Knockout-Mäusen sprechen weiterhin Daneben mehren sich die Befunde, dass EPO zusätzlich in
912 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

28
. Abb. 28.17. Abhängigkeit der Plasmakonzentration von Erythro-
poietin von der Hämoglobinkonzentration des Bluts bei Nieren-
gesunden und Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz

Zielzellen nicht benötigt. Er ist aber sehr wichtig für die


biologische Halbwertszeit und damit für die Verfügbarkeit
von EPO. EPO wird in der Niere, Leber und im Gehirn
gebildet. Während es vom Föten hauptsächlich noch in der
Leber produziert wird, bilden ab dem Kindesalter die Nie-
ren ca. 90% des gesamten EPO im Körper. In der Niere wird
EPO von speziellen Fibroblasten zwischen den proximalen
Tubuli in der Nierenrinde gebildet.
Für die EPO-Bildung ist der O2- Gehalt des Bluts ent-
. Abb. 28.16. Regulation von Reninsynthese und Reninsekretion scheidend. Eine verminderte O2-Zufuhr zur Nierenrinde
in renalen juxtaglomerulären Epitheloidzellen. a Regulation der
stimuliert die EPO-Bildung, eine erhöhte O2-Zufuhr un-
Reninsekretion durch negative Rückkopplung. b Antagonistische
Regulation der Reningenexpression und Reninsekretion durch Adre- terdrückt sie. Entsprechend führen arterielle Hypoxie
nalin (über -Adrenorezeptoren) und Angiotensin II (über AngII-AT-1- und Anämie abhängig vom Schweregrad zu Steigerun-
Rezeptoren). Aktivierung der Adenylatcyclase (AC) und der damit gen der EPO-Produktion und EPO-Plasmaspiegeln, wobei
verbundene Anstieg von cAMP stimuliert die Reningentranskription bis zu 10000-fache Erhöhungen gegenüber dem Normwert
und die Reninsekretion, während eine Aktivierung der Phospholipase
C (PLC) und die damit verbundene Stimulierung der Proteinkinase C
gemessen werden können. Ein O2-Überangebot an die
(PKC) und den Anstieg der cytosolischen Calciumkonzentration Renin- Niere, z.B. bei Polyzythämie, führt zu einer Hemmung der
gentranskription und Reninsekretion hemmt EPO-Produktion. Zwischen der Hämoglobinkonzentration
und der Plasma-EPO-Konzentration ergibt sich so ein in-
ischämischen Geweben (Gehirn, Herz) protektiv wirkt. Im verser Zusammenhang (. Abb. 28.17). Die EPO-Bildung in
Rahmen der Erythropoiese wirkt es als Mitogen, als Differen- den peritubulären Fibroblasten wird direkt vom Gewebe-
zierungsfaktor und als Überlebensfaktor für erythroid deter- sauerstoffdruck reguliert, welcher vom Verhältnis des O2-
minierte Vorläuferzellen im Knochenmark (7 Kap. 29.1). Antransportes zu O2-Verbrauch bestimmt wird.
EPO ist ein Glycoprotein mit einer Molekülmasse von Die EPO-Bildung ist dabei die Folge einer verstärkten
30 kDa, wovon 16 kDa auf den Proteinanteil und 14 kDa Transkription des EPO-Genes. Diese wird durch den Trans-
auf den Kohlenhydratanteil entfallen. Der Kohlenhydratan- kriptionsfaktor HIF (hypoxia-inducible factor) ausgelöst,
teil (v.a. die terminalen Sialinsäuren) wird für die Interak- der als Heterodimer aus einer D- und einer E-Untereinheit
tion von EPO mit seinem zur Familie der Cytokinrezeptoren besteht. Beide Untereinheiten werden ständig mit kons-
zählenden Rezeptor auf der Zelloberfläche der erythroiden tanter Rate synthetisiert, die Stabilität des HIF-D-Proteins
28.1 · Die Niere
913 28

ist jedoch abhängig vom O2-Druck. Bei höheren O2-


Drucken wird HIF-D durch eine O2-abhängige Prolinhy-
droxylase hydroxyliert. Dies ist ein Signal zur verstärkten
Ubiquitinylierung mit anschließendem Abbau im Protea-
som (7 Kap. 9.3). Mit verminderter Verfügbarkeit von O2
(sinkender pO2) nimmt daher die Ubiquitinylierung von
HIF-D ab, weshalb es weniger rasch abgebaut wird. Damit
steigt seine Konzentration in der Zelle, es wird mehr aktiver
HIF gebildet und die Transkriptionsrate des EPO-Genes
wird gesteigert (. Abb. 28.18).
Zusätzlich hemmt eine O2-abhängige Asparaginhydro-
xylierung noch das Transaktivierungspotential von HIF-D.
Dieser Mechanismus der O2-abhängigen Modulierung
von HIF ist in vielen Körperzellen zu finden und dient
den Zellen zum Schutz vor Sauerstoffmangelzuständen. HIF
aktiviert nämlich nicht nur die Bildung von EPO, sondern
auch die Bildung von z.B. Glucosetransportern, glycolyti-
schen Enzymen und Gefäßwachstumsfaktoren (VEGF).
Bei degenerativen Nierenerkrankungen ist die Regula-
. Abb. 28.18. Transkriptionsregulation des Erythropoietingens
tion der EPO-Bildung deutlich gestört. Augenfällig wird durch den Hypoxie-induzierbaren Faktor (HIF). (Einzelheiten
dieser Defekt bei Betrachtung der Beziehung zwischen der 7 Text)
Hämoglobinkonzentration und der Plasma-EPO-Konzen-
trationen. Die für den Nierengesunden charakteristische bleibt. In der Folge bildet sich eine immer ausgeprägtere
inverse Beziehung zwischen der Hämoglobinkonzentration Anämie aus, welche charakteristisch für chronische Nieren-
und der EPO-Konzentration ist beim chronisch Nierenkran- erkrankungen ist, und als renale Anämie bezeichnet wird.
ken dahingehend verändert, dass die kranken Nieren bei Menschliches EPO wird mittlerweile gentechnisch herge-
Anämie nicht vermehrt EPO bilden (. Abb. 28.17), weshalb stellt und steht so zur effektiven Therapie der renalen Anä-
eine kompensatorische Stimulation der Erythopoiese aus- mie zur Verfügung.

In Kürze
Die Niere besitzt ein streng organisiertes Blutgefäßsystem, 4 zur Resorption oder Sekretion anorganischer und
das die Glomeruli speist. An diesen entspringt ein speziell organischer Säuren und Basen.
aufgebautes Tubulussystem, das den filtrierten Primär-
harn zum Endharn aufbereitet und über das Sammelrohr- Der interstitielle Osmolaritätsgradient zwischen Mark und
system dem Nierenbecken zuleitet. Rinde ist die Voraussetzung für die Harnkonzentrierung
In den Glomeruli wird der Primärharn als Ultrafiltrat des im dünnen absteigenden Teil der Henle-Schleife und im
Blutplasmas gewonnen. Die Filtrationsrate des Primärharns Sammelrohr.
hängt vom effektiven Filtrationsdruck und der filtrierenden Der distale Tubulus resorbiert aktiv über 30% des
Kapillaroberfläche ab. Die Zusammensetzung des Primär- filtrierten NaCl, sowie Ammonium, Calcium, Magnesium
harns wird von der Filtereigenschaft des Glomerulus nach und Wasser. Im konvergierenden Sammelrohrsystem wird
Molekülradius und Molekülladung bestimmt. die Endzusammensetzung des Harns festgelegt.
Die tubuläre Natriumresorption bestimmt hauptsäch-
Im proximalen Tubulus werden: lich den Energieverbrauch der Niere. Die Energiegewin-
4 über 60% des filtrierten Wassers, Kochsalzes und nung erfolgt in der Rinde primär aerob, im Mark zuneh-
Kaliums resorbiert, mend auch anaerob, weil die Sauerstoffversorgung des
4 filtrierte Glucose und Aminosäuren vollständig und Nierenmarks wesentlich schlechter als die der Rinde ist.
Hydrogencarbonat zu über 90% resorbiert sowie
4 Ammoniak und Protonen in Form von Ammonium- Die Niere ist ein endokrines Organ:
ionen ausgeschieden. 4 Mit der Bildung und Freisetzung von Renin, kontrolliert
die Niere die Aktivität des Renin-Angiotensin-Aldos-
Der proximale Tubulus hat die Fähigkeit: teron-Systems, das wesentlich zur Regulation des Blut-
4 zur Gluconeogenese, nutzt selbst aber keine Glucose drucks und des Extrazellulärvolumens beiträgt.
sondern Fettsäuren zur oxidativen Energiegewinnung 4 Mit der Bildung von Erythropoietin steuert die Niere
und essentiell die Neubildungsrate von Erythrozyten.
914 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

28.2 Der Endharn (Urin) durch bakterielle Zersetzung von Harnstoff in Ammoniak
(Ureasereaktion) stechend. Ein Obstgeruch weist auf die
28.2.1 Eigenschaften des Urins Ausscheidung von Aceton hin (Diabetes mellitus). Urin
schmeckt bitter und salzig.
! Der gesunde Mensch bildet in Abhängigkeit vom Alter
! Der Urin ist bei normaler Kost sauer.
und Geschlecht täglich zwischen 500 und 2000 ml Urin.
Mit der pH-Messung (Normalbereich pH 5,6–7,0) werden
Das Urinvolumen wird durch die Flüssigkeits- und Nah- nur die freien Protonen bestimmt, die weniger als 1% der
rungsaufnahme sowie durch extrarenale Flüssigkeitsabgabe von den Nieren täglich zu eliminierenden Wasserstoffionen
mit Schweiß (Klima!), Atmung und Stuhl (Durchfälle) be- ausmachen und somit keinen quantitativen Aufschluss
einflusst. Man spricht von einer: über die Nierenleistung vermitteln. Daher müssen die
4 Oligurie bei einem Harnvolumen von weniger als »titrierbare Säure« sowie die Ammoniumionenkonzen-
400 ml/24 h (16 ml/h) tration bestimmt werden. Bei der titrierbaren Säure han-
4 Anurie bei einem Harnvolumen von weniger als delt es sich um diejenige Menge von Basenäquivalenten, die
100 ml/24 h (4 ml/h) und benötigt werden, um den Urin auf einen pH-Wert von 7,4
4 Polyurie bei einem Harnvolumen von mehr als zu bringen. Diese Menge entspricht damit praktisch den
2,5 l/24 h phosphatgebundenen Protonen im Urin (ca 30 mmol/l).
Die im NH4+ gebundenen Protonen werden – wegen des
Stickstoffreiche Kost erhöht die Urinausscheidung, da beim hohen pK-Werts dieser Verbindung von 9 – damit nicht
Abbau der Aminosäuren Harnstoff gebildet wird, dessen erfasst (sog. nicht titrierbare Säure). Nach längerem Stehen
Ausscheidung über die Nieren Lösungsvolumen erfordert, wird Urin durch die Aktivität harnstoffspaltender Bakte-
28 wohingegen das beim Fettsäuren- und Kohlenhydratabbau rien (7 o.) alkalischer.
freigesetzte Kohlendioxid mit der Atemluft abgeatmet wer-
den kann.
Das spezifische Gewicht in g/l hängt von Konzentration 28.2.2 Chemische Zusammensetzung
und Art aller gelösten Stoffe ab. Es liegt bei ausgeglichener des Urins
Flüssigkeitsbilanz zwischen 1015 und 1022 (H2O = 1000),
sinkt bei extremer Harnverdünnung auf 1001 (50 mosm/l Die chemische Zusammensetzung des Urins wird durch
H2O) und steigt bei extremer Konzentrierung bis auf etwa Menge und Zusammensetzung der Nahrung (pflanzliche
1040 (1300 mosm/l H2O). und/oder tierische Kost) sowie Alter und Geschlecht be-
stimmt (. Tabelle 28.4). Da die Konzentration der gelösten
! Normaler Urin ist stroh- bis bernsteingelb.
Stoffe im Laufe eines Tages erhebliche Schwankungen zei-
Die wichtigsten Urinfarbstoffe sind die beiden Urochrome gen kann (z.B. die Phosphatausscheidung), sind für quanti-
A und B, die sich spektralphotometrisch trennen lassen tative chemische Analysen Durchschnittsproben des 24-h-
und 25 bzw. 70% des Harnfarbwerts ausmachen. Von un- Urins erforderlich. Der täglich von den Nieren ausgeschie-
tergeordneter Bedeutung ist der Gehalt an Uroerythrin dene Urin enthält durchschnittlich etwa 60 g (50–72 g)
(etwa 4%). Urochrom und Uroerythrin entstammen dem Trockensubstanz. Die im Urin vorkommenden Substanzen
Hämabbau. werden eingeteilt in solche, die physiologischerweise ausge-
Die Farbe wird durch die Konzentration an gelösten schieden werden (normale Harnbestandteile), und solche,
Stoffen, durch pathologische Bestandteile, Arznei- und Nah- die nur infolge von Krankheiten nachgewiesen werden
rungsmittel beeinflusst. Die 3 klinisch wichtigsten Ursa- können (pathologische Harnbestandteile).
chen eines roten Urins sind Hämaturie, Hämoglobinurie
! Die meisten ausgeschiedenen organischen Stoffe ent-
und Porphyrinurie. Bilirubin färbt den Urin dunkel-
halten Stickstoff.
braun.
Medikamentös und alimentär bedingte Urinverfär- Außer den in . Tabelle 28.4 genannten harnpflichtigen Subs-
bungen sind ziemlich häufig. Zahlreiche Pharmaka und tanzen enthält Urin:
einige Nahrungsmittel bzw. deren Metaboliten können 4 Nitrat: Diese Substanz ist im Urin stets in geringen
einen roten Urin verursachen. Grün gelbliche Fluoreszenz Mengen vorhanden und stammt aus dem Abbau von
des Urins wird sehr häufig nach Einnahme von Multivi- NO. Da bestimmte Bakterien Nitrat in Nitrit umwan-
taminpräparaten, die Riboflavin enthalten, beobachtet. deln, dient der Nitritnachweis im Urin (mit Teststrei-
fen) als Hinweis für eine bakterielle Besiedelung der
! Frisch gelassener Urin riecht aromatisch.
Harnwege
Der Harngeruch kann nach dem Genuss mancher Speisen, 4 Freie Aminosäuren: Der normale Urin kann 1–3 g
Gewürze und Arzneimittel verändert werden (z.B. durch Aminosäuren/Tag enthalten. Bei Lebererkrankungen
Knoblauch und Spargel). Der normale Harngeruch wird steigt die Ausscheidung sehr stark an (Entfall der Puf-
28.2 · Der Endharn (Urin)
915 28

ausgeschiedenen Sulfats liegen als konjugiertes Sulfat


. Tabelle 28.4. Organische Bestandteile des Urins
(z.B. Phenole und Steroide) vor und werden deshalb
Tägliche Ausscheidung
als Ätherschwefelfraktion bezeichnet. Die übrigen
Harnstoff 0,33–0,58 mol schwefelhaltigen Verbindungen wie Cystein, Taurin
(abhängig von der Aminosäurezufuhr)
und Thiocyanat werden unter dem Begriff Neutral-
Harnsäure 2–11 mmol schwefel zusammengefasst
(abhängig von der Nahrungszufuhr)
4 Hormone und Vitamine: Im Urin vorkommende dia-
Kreatinin 8–17 mmol gnostisch wichtige Hormone sind Adrenalin, Noradre-
Frauen: 88–222 μmol/kg Körpergewicht
nalin, Steroide, Gonadotropine, Serotonin bzw. deren
Männer: 160-280 μmol/kg Körpergewicht
Abbauprodukte (Vanillinmandelsäure, 17-Hydroxy-
Kreatin 54–135 μmol
und 17-Ketosteroide, 5-Hydroxyindolessigsäure). Von
Aminosäuren 1–3 g den Vitaminen sind – in Abhängigkeit von der zuge-
Glucose bis 1,1 mmol führten Menge – hauptsächlich die wasserlöslichen
Ketonkörper 30–150 mmol B-Vitamine und Vitamin C vertreten
δ-Aminolävulinat unter 45 μmol
4 Phosphat: Die Ausscheidung von Phosphat ist nah-
rungsabhängig und tageszeitlichen Schwankungen
Porphobilinogen unter 10 μmol
unterworfen. Im Glomerulumfiltrat liegt Phosphat –
Koproporphyrine unter 280 μg wie im Blutplasma – bei einem pH-Wert von 7,4 zu 80%
Uroporphyrine unter 20 μg als Hydrogenphosphat und zu 20% als Dihydrogen-
Proteine 3–40 mg phosphat vor. Verschiedene Krankheitszustände gehen
D-Amylase 100–2000 U/l mit einer Erhöhung (Hyperparathyreoidismus, 7 Kap.
28.6.4) bzw. Erniedrigung (Hypoparathyreoidismus,
7 Kap. 28.6.4) der Phosphatausscheidung einher
ferfunktion der Leber!) und kann zum Auskristallisie-
ren von Leucin und Tyrosin führen
4 Aminosäurederivate (Hydroxyprolin, Methylhistidin 28.2.3 Pathobiochemie des Urins
und Pyridinolin-Derivate): Hydroxyprolin ist fast
ausschließlich im Kollagen vorhanden. Da das beim Pathologische Urinbestandteile sind nach Schädigungen
Kollagenabbau freigesetzte Hydroxyprolin nicht für der Nieren (Permeabilitätsänderung der glomerulären
die Biosynthese dieses Bindegewebeproteins reutilisiert Kapillarmembran bzw. Einschränkung der Tubulusfunk-
werden kann, sondern entweder zu Kohlendioxid und tion) oder bei pathologischer Erhöhung der Plasmakonzen-
Wasser oxidiert (85–90%) oder in den Urin ausgeschie- tration eines Stoffes (Überlaufmechanismus) nachweisbar.
den wird (10–15%), dient es als Indikator für einen
! Eine pathologische Proteinausscheidung tritt bei ent-
veränderten Bindegewebestoffwechsel. Die Hydro-
zündlichen und degenerativen Nierenerkrankungen auf.
xyprolinbestimmung wird zunehmend durch die Be-
stimmung der Pyridinolin-Abbauprodukte ersetzt Bei Nierenerkrankungen, welche auch die glomeruläre Fil-
(7 Kap. 24.2). 3-Methylhistidin, ein Bestandteil von terfunktion miterfassen, wird mehr Protein filtriert als in
Aktin und Myosin, gibt Informationen über den Mus- der proximalen Tubuluszelle maximal reabsorbiert werden
kelproteinumsatz (7 Kap. 30.2.2). Weitere stickstoff- kann. Entsprechend wird vermehrt Eiweiß im Endurin aus-
haltige Substanzen sind Hippursäure (0,1–1,0g/24 h), geschieden.
N-haltige Phenole und Indican (4–20 mg/24 h). Unter Proteinurie versteht man entweder eine Gesamt-
4 Proteine: Je nach angewandter Untersuchungsmetho- ausscheidung von mehr als 150 mg Protein in 24 Stunden
de können 3–40 mg Protein im 24-h-Urin nachge- oder eine Abweichung vom Verteilungsmuster der physio-
wiesen werden. Sie bestehen zu 2/3 aus Plasmaprote- logisch im Harn vorkommenden Proteine.
inen (Albumin 60%, Immunglobuline und andere Eine Sonderstellung nimmt die Mikroalbuminurie
Globuline jeweils 20%) und zu 1/3 aus Gewebsprote- ein. Eine erhöhte Albuminausscheidung in den Urin von
inen. Glycoproteine (Mucine) stammen aus der Schleim- 20–300 mg/24 h weist auf glomeruläre Schäden bei Dia-
haut der Blase und kommen ebenfalls im normalen betikern hin. Als nephrotisches Syndrom wird eine große
Urin vor Proteinurie mit mehr als 3,5 g pro Ausscheidung in 24 Stun-
4 Schwefelhaltige Substanzen: Der mit dem Urin ausge- den bezeichnet. Beim Plasmocytom ist das Bence-Jones-
schiedene Schwefel besteht im Wesentlichen aus an- Protein nachweisbar.
organischem Sulfat. Da dieses beim Abbau der Amino- Einschränkungen der Reabsorptionsleistung können
säuren Methionin und Cystein entsteht, wird seine täg- ebenfalls zur Proteinurie führen. Am bekanntesten hierfür
lich ausgeschiedene Menge (von 3–60 mmol/d durch sind genetisch bedingte Funktionsveränderungen von Ami-
die zugeführte Proteinmenge bestimmt. Etwa 10% des nosäuretransportern, welche zur Aminoazidurie führen.
916 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

! Die renale Glucoseresorption hat ein Transportmaxi- Muskelverletzungen (»Crush-Syndrom«; quetschen, engl.
mum; Glucosurie weist fast immer auf einen Diabetes to crush) in den Urin übertreten. Bei intravasaler Hämolyse
mellitus hin. tritt Hämoglobin in den Urin über sobald die Haptoglo-
binbindungskapazität des Plasmas 7 Kap. 29.6.3) und die
Das Auftreten von Monosacchariden im Urin wird als Reabsorptionskapazität der Tubuli für Hämoglobin über-
Melliturie bezeichnet. Die wichtigste und häufigste Mellit- schritten werden. Das ist in der Regel bei Hämoglobin-
urie ist die Glucosurie (7 Kap. 26.4.1). Ausscheidungen an- konzentrationen über 1,2 g/l der Fall.
derer Monosaccharide (Fructose, Lactose, Galactose, Pen-
tosen) haben wegen ihres seltenen Auftretens nur geringe Porphyrinurie. Das Vorkommen von Uroporphyrinen so-
Bedeutung. wie vermehrter Mengen von Koproporphyrinen im Urin
Die tubuläre Rückresorption von Glucose erfolgt über wird als Porphyrinurie bezeichnet (7 Kap. 20.2). Die nor-
eine begrenzte Zahl von Transportmolekülen. Wenn die male Koproporphyrinausscheidung im Urin beträgt 90–
filtrierte Glucosemenge die maximale Transportkapazität 430 nmol (60–280 mg)/24 h.
der Na+-gekoppelten Symportsysteme überschreitet, er- Über die Anwesenheit von Bilirubin, Urobilin und
scheint Glucose im Endharn (Glucosurie) und geht damit Urobilinogen und ihre Beziehung zur Gelbsucht informiert
dem Körper verloren. Das geschieht, wenn die Glucosekon- 7 Kapitel 20.
zentration im Plasma (Normalwert 5 mmol/l) und damit
auch im Primärharn 10 mmol/l überschreitet (sog. Nieren-
schwelle). 28.2.4 Harn- und Nierensteine
! Nahrungskarenz führt zur Ketonurie.
! Zwei Drittel aller Harnsteine sind Oxalatsteine.
28 Die normalerweise geringe Ausscheidung (3–15 mg/24 h
bzw. 30–150 mmol/24 h) der Ketonkörper (Aceton, Acet- Die Konzentrationsleistung der Nieren bei der Bildung des
acetat, E-Hydroxybutyrat) ist erhöht im Hungerzustand, Urins ermöglicht die Ausscheidung mancher Stoffe in rela-
bei Diabetes mellitus, während der Schwangerschaft und tiv hoher Konzentration. Dabei hängt die Löslichkeit derar-
bei einigen Alkaloseformen. Bei kohlenhydratarmer und tiger Verbindungen weitgehend von der Protonenkonzen-
fettreicher Kost sind aufgrund der erhöhten Lipolyserate tration des Urins ab, da die Wasserstoffionen des Lösungs-
ebenfalls Ketonkörper im Urin nachweisbar. mittels die Dissoziation gelöster Stoffe und damit deren
Die frühzeitige Diagnose der diabetischen Ketonurie ist Löslichkeit bestimmen (je polarer, desto wasserlöslicher).
wichtig, da sie eine Stoffwechselentgleisung anzeigt. Die Unter bestimmten Umständen stellt der Urin für eine Reihe
Bestimmung muss mit frisch gelassenem Urin sofort durch- von Verbindungen, v.a. Calciumoxalat und Calciumphos-
geführt werden, da Acetacetat spontan zu Aceton decar- phat, eine übersättigte Lösung dar. Citrat und einige Urin-
boxyliert, das flüchtig ist. proteine (7 u.) verhindern normalerweise das Ausfallen
dieser Verbindungen und die Bildung von Steinen. Bei
! Rotverfärbung des Urins tritt bei Hämoglobinurie, einem verminderten Gehalt des Urins an diesen Regula-
Hämaturie und Porphyrien auf. tionsfaktoren und entzündlichen Veränderungen von Nie-
ren und Harnwegen kommt es jedoch in Nieren (Nephro-
Hämaturie. Treten Erythrozyten in den Urin über, so liegt lithiasis), der Harnblase oder Harnröhre (Urolithiasis)
eine Hämaturie vor. zu Ablagerungen und zur Bildung kleinerer oder größerer
Steine oder Konkremente. Da die Zusammensetzung des
Hämoglobinurie. Freies Hämoglobin kann nach schwerer Urins weitgehend durch die aufgenommene Nahrung be-
Hämolyse oder schweren Verbrennungen, Myoglobin nach stimmt wird, ist es wichtig, die chemische Zusammenset-

. Tabelle 28.5. Zusammenstellung häufiger Nierensteine

Bezeichnung Konkremente aus Ursache Häufigkeit (%)

Calciumoxalat-Steine Calciumoxalat und Hypercalciurie, Hyperoxalurie (selten) 70


Calciumphosphat

Struvit-Steine Magnesium-Ammonium- Harnwegsinfekte mit harnstoffspaltenden Mikroorga- 15


phosphat nismen. Dadurch gesteigerte Ammoniakbildung mit
alkalischem Urin

Harnsäuresteine Harnsäure Hyperuricosurie wegen gesteigertem Purinabbau (Gicht) 10


oder erhöhtem Zellumsatz bei Hyperacidität des Urins

Cystinsteine Cystin Cystinurie selten


28.3 · Der Wasserhaushalt
917 28

zung der Harn-(Nieren-)Steine zu kennen, um durch eine gen sich manchmal im inneren Harnröhrenostium und
entsprechende Diät ihrer weiteren Bildung entgegenwirken lösen so eine Kolik aus.
zu können. Die häufigsten Steinformen sind in . Tabel- Verschiedene Nierenproteine hemmen die Steinbil-
le 28.5 zusammengestellt. dung. Nephrocalcin, ein saures Glycoprotein, das die
Die Steine kommen selten in reiner Form vor, 90% ent- Aminosäure J-Carboxyglutamat enthält, hemmt die Bil-
halten einen oder mehrere zusätzliche kristalline Bestand- dung von Calciumoxalatsteinen. Ähnlich wirkt das Tamm-
teile. Außerdem sind immer Proteine und Glycoproteine, Horsfall-Glycoprotein. Uropontin, ebenfalls von den
die etwa 3% des Gesamtgewichts des Steins ausmachen, Nieren gebildet, hemmt das Wachstum von Calciumoxalat-
vorhanden. kristallen. Möglicherweise begünstigen Konzentrations-
Nierensteine gelangen oft in den Harnleiter und kön- veränderungen derartiger Proteine die Entwicklung von
nen dort eine Kolik auslösen. Kleinere Blasensteine verfan- Steinen.

In Kürze
Der gesunde Mensch bildet in Abhängigkeit von Alter Der Urin enthält normalerweise keine Glucose. Eine
und Geschlecht täglich 500–2000 ml sauren Urin, der Glucosurie weist deshalb fast immer auf einen Diabetes
normal stroh- bis bernsteingelb ist und aromatisch mellitus hin.
riecht. Bei Hungerzuständen steigt die Konzentration von
Der Urin enthält in höherer Konzentration die was- Ketonkörpern im Urin (Ketonurie) an.
serlöslichen Endprodukte des Eiweißstoffwechsels, die Rotverfärbung des Urins tritt bei Hämoglobinurie,
damit stickstoffhaltig sind. Die Proteinausscheidung Hämaturie und Porphyrien auf.
über den Urin ist normalerweise sehr gering, nur bei Durch Auskristallisieren von Salzen im Urin entstehen
entzündlichen und degenerativen Nierenerkrankungen Harnsteine, wovon die häufigsten Oxalatsteine sind.
tritt eine pathologische Proteinausscheidung (Protein-
urie) auf.

28.3 Der Wasserhaushalt Innerhalb des Körpers lassen sich 2 Wasserräume


unterscheiden, nämlich der größere Intrazellulärraum
28.3.1 Wasserbilanz (60–65% des Körperwassers) und der kleinere Extra-
zellulärraum (35–40% des Körperwassers). Der Extra-
! Das Körperwasser verteilt sich auf verschiedene Kom- zellulärraum lässt sich weiter unterteilen in den inter-
partimente. stitiellen Raum (75% des Extrazellulärvolumens), das
Blutplasma (25% des Extrazellulärvolumens) und die
Da das Fettgewebe im Vergleich zu anderen Körpergeweben transzelluläre Flüssigkeit (z.B. Liquor cerbrospinalis
einen sehr viel geringeren Wassergehalt besitzt, sollte das etc.), die aber nur etwa 1 Liter beim Erwachsenen aus-
Körperwasser eigentlich auf die fettfreie Körpermasse macht.
(lean body mass) bezogen werden. Bei einer großen Zahl
! Die Wasserzufuhr dient der Kompensation obligater
von Säugetieren einschließlich des Menschen beträgt der
und nichtobligater Wasserverluste.
Wassergehalt der fettfreien Körpermasse konstant 72–74%
(. Abb. 28.19). Da das Körperwasser mit der Isotopendi- Der Mensch kann wochenlang auf die Zufuhr von Nah-
lutionsmethode gut bestimmt werden kann, lässt sich diese rungsstoffen verzichten, jedoch nur wenige Tage auf die von
Beziehung zur Berechnung des Körperfettgehalts ver- Wasser und Elektrolyten. Die Wasserbilanz eines 70 kg
wenden: schweren Erwachsenen ist in . Tabelle 28.6 zusammenge-
stellt. Damit sie ausgeglichen ist, muss die Zufuhr die Was-
serverluste kompensieren. Dabei ist zu beachten, dass fast
40% der Wasserverluste als Wasserdampf über die Lungen
und die Haut erfolgen. Hierdurch gehen etwa 25% der
Bezieht man den Wassergehalt auf die Gesamtmasse, so ist Wärmeproduktion des Körpers verloren. Dieser obligate
dieser im Wesentlichen vom Körperfett abhängig, das je Wasserverlust spielt eine Rolle bei der Regulation der Kör-
nach Geschlecht und Lebensalter schwankt. Bei Säuglin- perwärme und nimmt auch bei hochgradigen Flüssigkeits-
gen macht das Körperwasser noch etwa 75% der Körper- verlusten nur wenig ab.
masse aus, beim erwachsenen Mann etwa 60%, und bei der Im Organismus entsteht Wasser bei der mitochon-
erwachsenen Frau etwa 50% (wegen eines höheren Fettge- drialen Oxidation der Nahrungsstoffe (Biooxidation). Die
websanteils). Oxidation von 100 g Fett liefert 107 ml, die von 100 g
918 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

. Tabelle 28.6. Tägliche Zufuhr und Verlust von Wasser beim


Erwachsenen

Wasserzufuhr ml Wasserverlust ml

Trinken (Wasser 1200 Urin 1400


und Getränke) (500–1600) (600–1600)

Wasser der 900 Lungen 900


Nahrungsstoffe (800–1000) und Haut (850–1200)
(Gehalt: 60–97% (Perspiration)
Wasser)

Oxidationswasser 300 Faeces 100


(200–400) (50–200)

Insgesamt 2400 2400


(1500– (1500–3000) . Abb. 28.19. Beziehung zwischen Körperwasser und fettfreier
3000) Körpermasse bei verschiedenen Säugern. (Daten nach Wang Z
et al. 1999)

Kohlenhydraten 55 ml und die von 100 g Protein 41 ml 28.3.2 Hormonelle Regulation


Wasser. Die vom Menschen täglich gebildete Menge Oxi- des Wasserhaushalts
dationswasser beträgt etwa 300 ml. Der darüber hinaus-
28 gehende Teil der Wasserbilanz muss durch Getränke ! Das antidiuretische Hormon (ADH) ist das zentrale
und den Wassergehalt der Nahrungsmittel ausgeglichen Hormon in der Regulation des Wasserhaushalts.
werden.
In die Bilanz gehen die 5–10 l Verdauungssekrete, Als blutdrucksteigerndes, antidiuretisches Peptid kommt
die in den Magen-Darm-Trakt abgegeben werden, nicht im Hypophysenhinterlappen das aus 9 Aminosäuren beste-
mit ein, da sie schließlich wieder reabsorbiert werden. Sie hende antidiuretische Hormon, ADH (Synonym: Vaso-
sind aber beim Erbrechen oder bei Durchfällen von Be- pressin oder Pitressin) vor (. Abb. 28.20). Die Cysteine in
deutung. den Positionen 1 und 6 bilden eine Disulfidbrücke. Ein sehr
ähnliches, ebenfalls im Hypophysenhinterlappen vorkom-
! Die Regulation des Wasserhaushalts erfolgt hauptsäch-
mendes Peptidhormon ist das Ocytocin. Es unterscheidet
lich durch Osmoregulation.
sich vom Vasopressin lediglich in 2 Aminosäuren. Das
Der Wasserhaushalt des Körpers wird über die Osmolarität Phenylalanin des Vasopressins ist im Ocytocin durch Isoleu-
der Extrazellularflüssigkeit geregelt, die normalerweise bei cin ersetzt, das Arginin durch Leucin. Ocytocin ist die wich-
ca. 290–295 mosmol/l liegt und deren Konstanz vom Kör- tigste zur Uteruskontraktion führende Substanz und wird
per angestrebt wird. Entscheidend für die effektive Os- infolgedessen im Rahmen der Geburtshilfe verwendet. Au-
molarität im Extrazellulärraum sind vorwiegend Na- ßerdem führt es zu einer Kontraktion der glatten Muskula-
triumionen, welche in einer Konzentration von 140 mmol/l tur der Brustdrüse, wodurch es zur Milchexkretion kommt.
vorliegen, zusammen mit Chlorid- und Hydrogencar-
! ADH (Vasopressin) wird als Prohormon im Hypothala-
bonat-Anionen. Die Osmolarität im Intrazellulärraum
mus gebildet.
entspricht der des Extrazellulärraums. Im Intrazellulär-
raum sind die Träger der effektiven Osmolarität im Wesent- Vasopressin wird – wie Ocytocin – in den neurosekreto-
lichen Kaliumionen und die organischen Phosphate bzw. rischen Neuronen der paraventrikulären Kerne des Hypo-
die Proteine. thalamus gebildet. Das Vasopressin-Gen (. Abb. 28.21) ist
Die Osmolarität wird ständig durch die Osmorezep- ein Polyprotein-Gen, welches aus 3 Exons und 2 Introns
toren des Hypothalamus kontrolliert, die Änderungen der besteht. Die nach Transkription und Entfernung der In-
Osmolarität des Extrazellulärraums mit hoher Sensitivität trons entstehende mRNA codiert für Prä-Provasopressin.
erfassen. Nach Abtrennung der N-terminalen Signalsequenz entste-
Diese regeln die Wasseraufnahme und -ausscheidung hen Provasopressin und aus diesem durch weitere limitierte
derart, dass die Osmolarität im Extrazellulärraum konstant Proteolyse das N-terminal gelegene Nonapeptid Vasopres-
bleibt, sodass sich im Normalfall Wasseraufnahme und sin, ein als Neurophysin II bezeichnetes Protein sowie ein
-ausscheidung die Waage halten. Glycoprotein. Das Ocytocin-Gen ist sehr ähnlich aufgebaut
und codiert für ein über weite Bereiche homologes Prä-
proocytocin. Aus ihm entstehen Ocytocin sowie Neuro-
physin I. Eine zum Glycoprotein des Vasopressinpräkur-
28.3 · Der Wasserhaushalt
919 28

. Abb. 28.20. Chemische Struktur des Nonapeptids Vasopressin. verknüpft, sodass eine zyklische Struktur entsteht. Im Ocytocin sind
Die Cysteinreste in Position 1 und 6 sind durch eine Disulfidbrücke Phenylanalin durch Isoleucin und Arginin durch Leucin ersetzt

sors analoge Verbindung kommt beim Ocytocin nicht vor. Renale Wirkungen. Über V2-Rezeptoren wirkt ADH durch
Man nimmt an, dass das Vasopressin- und Ocytocin-Gen eine Stimulierung der Wasserrückresorption im Sammel-
von einem gemeinsamen Vorläufer-Gen abstammen. Die rohrsystem der Niere (7 Kap. 28.1.4).antidiuretisch. Da die
Neurophysine dienen als Trägerproteine für Vasopressin Halbwertszeit des zirkulierenden ADH als Peptidhormon
bzw. Ocytocin während ihres Transports vom Ort der Bio- ca. 5 Minuten beträgt, wirken sich Änderungen der ADH-
synthese entlang entsprechender Axone in den Hypophy- Freisetzung schnell auf die ADH-Konzentration im Plasma
senhinterlappen, dem Ort ihrer Sekretion. Über die Funk- aus. So kann der Organismus sehr rasch auf Änderungen
tion des C-terminalen Glycoproteins ist nichts bekannt. des Wasserbestands bzw. der Osmolarität reagieren und
verhindern, dass es zu unerwünschten Volumenänderun-
! ADH (Vasopressin) wirkt vasokonstriktorisch über
gen des Intrazellulärraums kommt.
V1-Rezeptoren und fördert die renale Wasserrück-
resorption über V2-Rezeptoren. ! Die ADH-Freisetzung wird durch eine Erhöhung der
Plasmaosmolarität, eine Verringerung des Extrazellulär-
Gefäßwirkungen. ADH (Vasopressin) löst über V1-Rezep-
volumens und durch Hormone stimuliert.
toren eine Kontraktion der glatten Muskelzellen der Blut-
gefäße aus. Das bewirkt einen Blutdruckanstieg durch die Die Freisetzung von ADH aus dem Hypophysenhinterlap-
Erhöhung des Kreislaufwiderstands. Die V1-Rezeptoren pen wird durch osmotische und nichtosmotische Signale
gehören zur Familie der G-Protein gekoppelten Rezeptoren gesteuert:
und sind an die Phosphatidylinositol-Kaskade gekoppelt, 4 Die Plasmaosmolarität ist für die ADH-Sekretion von
ihre Aktivierung führt also zu einer Erhöhung der cyto- besonderer Wichtigkeit. Die Schwelle für die ADH-
solischen Calciumkonzentration. Freisetzung liegt bei ca. 275–280 mosmol/l, weshalb
920 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

Auslösung des Durstgefühls liegt nur 5–10 mosmol über


der für die ADH-Freisetzung. Dadurch wird vermieden,
dass es zu einer Erhöhung des osmotischen Drucks über
den physiologischen Bereich (290–295 mosmol/l) kommt.

28.3.3 Pathobiochemie des Wasser-


haushalts

Abweichungen des Wassergehalts vom Normalwert be-


zeichnet man als Dehydratation bzw. Hyperhydration.
Dabei ist zu unterscheiden, ob es sich um isotone Verän-
derungen (Osmolarität bleibt normal) oder um hypo- bzw.
hypertone Abweichungen handelt. Da hauptsächlich die
Natriumkonzentration die Osmolarität des Extrazellulär-
raums bestimmt, definiert sie auch die Zuordnung der
. Abb. 28.21. Genstruktur und Biosynthese von Vasopressin. De- bzw. Hyperhydratation. Isotone Veränderungen des
Das Vasopressin-Gen enthält 2 Introns und 3 Exons. Nach Transkrip- Wassergehalts treten in der Regel sekundär zur Veränderung
tion und posttranskriptionaler Prozessierung codiert die mRNA für
des Natriumhaushalts auf. Sie werden deshalb in 7 Kapitel
das Präpro-Vasopressin, das posttranslational durch Entfernung der
Signalsequenz sowie Spaltung zu Vasopressin, Neurophysin II und 28.4 beschrieben. Nichtisotone Veränderungen gehen bei
einem C-terminal gelegenen Glycoprotein prozessiert wird. Arginin- Wasserverlust (ohne Natriumverlust) in der Regel mit einer
28 Vasopressin (AVP) ist ein Nonapeptid (rot) Hypertonizität (Hypernatriämie, Na+ >150 mmol/l), bei
Überwässerung (ohne zusätzliche Natriumzufuhr) mit einer
Hypotonizität (Hyponatriämie, Na+ <135 mmol/l) einher.
auch bereits im Normalzustand ADH sezerniert wird.
Ein Anstieg der Osmolarität um nur 1% führt bereits Dehydration bei Hypernatriämie. Sie entsteht durch den
zu einer messbaren Zunahme der ADH-Sekretion. Der Verlust hypotoner Körperflüssigkeiten bei gleichzeitig un-
osmotische Druck wird kontinuierlich in verschiede- zureichender Wasserzufuhr.
nen Bereichen des Hypothalamus durch spezifische Beispiele hierfür sind:
Osmorezeptoren erfasst, deren Signale auf die ADH 4 starkes Schwitzen (Schweiß ist hypoton!)
produzierenden Zellen des N. suprapopticus und N. 4 Wasserverlust über die Atemwege bei anhaltender
paraventricularis weitergegeben werden. Auch diese Hyperventilation (z.B. bei Höhenaufenthalt)
selbst sind an der Osmorezeption beteiligt 4 anhaltender Durchfall bzw. Erbrechen
4 Der Füllungszustand des Extrazellulärraums bzw. der 4 anhaltende Produktion eines hypotonen Harns (z.B. bei
Blutdruck beeinflusst die ADH-Freisetzung über Baro- Diabetes insipidus, Verabreichung von Diuretika etc.)
sensoren. Dadurch kann unabhängig von der Osmo-
larität eine Steigerung der ADH-Produktion bei signi- Wegen der hohen Membranpermeabilität für Wasser ver-
fikantem Volumenmangel und/oder Blutdruckabfall mindert sich bei einer solchen hypertonen Dehydrata-
ausgelöst werden. Eine Überfüllung des Extrazellulär- tion nicht nur der Extrazellulärraum, sondern auch ent-
raums bzw. ein Blutdruckanstieg wirkt sich dagegen sprechend der Intrazellulärraum, d.h. die Körperzellen
dämpfend auf die ADH-Freisetzung aus. Hierfür ge- schrumpfen. Besonders empfindlich auf Volumenände-
nügen bereits Wasserdefizite oder Wasserzufuhr von rungen reagieren dabei Neurone, weshalb im klinischen
0,3–0,5 l Beschwerdebild Störungen des Zentralnervensystems im
4 Angiotensin II aktiviert die ADH-Sekretion durch ei- Vordergrund stehen. Rasche Dehydratation kann so zu Be-
nen direkten Effekt auf die Zellen des N. supraopticus wusstseinstrübung bis hin zu Koma und Tod führen.
und N. paraventricularis Wenn sich die hypertone Dehydratation langsam ent-
4 Am Hypophysenhinterlappen stimulieren Acetylcholin, wickelt, können Hirnzellen durch zusätzliche Bildung von
Nikotin und Morphin die ADH-Freisetzung, Adrenalin Osmolyten (z.B. Inositol) ihre intrazelluläre Osmolarität
und Ethanol sind dagegen Hemmstoffe erhöhen und so ihr Volumen weitgehend konstant halten.
Wassermangel und der damit assoziierte Anstieg der
! Das Durstgefühl wird von Osmorezeptoren vermittelt.
Plasmaosmolarität führen normalerweise zu einer maxi-
Auch das Durstgefühl wird wesentlich über hypothala- malen ADH-Freisetzung und in Folge zur maximalen Anti-
mische Osmorezeptoren ausgelöst, die jedoch nicht genau diurese, sowie parallel dazu zu einer Aktivierung des
lokalisiert sind. Angiotensin II wirkt ebenfalls fördernd auf Durstgefühls. Durch die Kombination von renaler Wasser-
die Entwicklung des Durstgefühls. Die Schwelle für die retention und oraler Wasseraufnahme können Flüssig-
28.4 · Der Natriumhaushalt
921 28

keitsdefizite und die damit verbundene Erhöhung der an, was bei raschen Änderungen ein lebensgefährliches
Osmolarität in kurzer Zeit ausgeglichen werden. Hirnödem hervorrufen kann.
Beim Diabetes insipidus centralis kann die Neuro- Eine gravierende Einschränkung der renalen Wasser-
hypophyse kein ADH mehr sezernieren (z.B. Tumoren ausscheidung beobachtet man bei einer allgemeinen Ein-
oder idiopathisch). Als Folge des fehlenden ADH-Effekts schränkung der exkretorischen Nierenfunktion (Nieren-
auf die Wasserreabsorption in der Niere werden große insuffizienz) oder bei pathologisch gesteigerter ADH-Se-
Volumina hypotonen Harns ausgeschieden, wobei im kretion.
Extremfall Werte bis zu 40 l/Tag beobachtet wurden. Die Ein mit gesteigerter ADH-Sekretion einhergehendes
Behandlung der Erkrankung erfolgt durch Vasopressin- Krankheitsbild (SIADH: syndrome of inappropriate anti-
substitution. diuretic hormone secretion) findet sich relativ häufig. Es
Der ADH-resistente Diabetes insipidus renalis ist eine kommt besonders bei kleinzelligen Bronchialkarzinomen,
seltene, meist X-chromosomal vererbte Krankheit. Bei ihr aber auch bei anderen Karzinomen (Pankreas-, Duodenal-,
liegt der Defekt in den Tubulusepithelien, die entweder Blasenkarzinom, Lymphosarkom, Morbus Hodgkin) vor
keinen intakten Vasopressin-Rezeptor besitzen oder Muta- und wird durch eine ektopische Vasopressinsekretion der
tionen in den Aquaporinen tragen, wodurch die Sammel- genannten Tumoren verursacht. Darüber hinaus kann das
rohre selbst bei sehr hohen ADH-Konzentrationen die Krankheitsbild auch als Folge einer Reihe zentralnervöser
Wasserresorption nicht steigern können. Erkrankungen auftreten. Bei den Patienten findet sich eine
Unfähigkeit, einen hypotonen Urin auszuscheiden. Dies
Hyperhydratation bei Hyponatriämie. Sie entwickelt sich führt zur Flüssigkeitsretention und infolge der dadurch
bei übermäßiger Zufuhr von hypotonen Flüssigkeiten (z.B. ausgelösten Verdünnung zur Hyponatriämie. Die Patienten
Wasser, Infusionen) wenn gleichzeitig die renale Wasser- haben eine ausgeprägte Natriurese, die nicht durch Na-
ausscheidung vermindert ist. Durch den Abfall des osmo- triuminfusionen sondern nur durch Verringerung der Flüs-
tischen Drucks im Extrazellulärraum schwellen die Zellen sigkeitszufuhr reduziert werden kann.

In Kürze
4 Der Wassergehalt des Körpers sinkt mit zunehmen- scheidung aufeinander abgleicht. Die Sekretion von
dem Lebensalter und ist bei Männern höher als bei ADH wird wesentlich von der Osmolarität und dem
Frauen Extrazellulärraum-Volumen bestimmt
4 Die Wasserräume des Körpers gliedern sich in den 4 Übermäßige Wasserverluste bzw. Zufuhr von hypo-
größeren Intrazellulärraum und den kleineren Extra- tonen Flüssigkeiten können zu Dehydratation bzw.
zellulärraum, welcher auch das Plasmavolumen Hyperhydratation führen
umfasst 4 Bei isotonen Veränderungen des Wasserbestandsverän-
4 Der Wasserhaushalt des Körpers wird vor allem durch dert sich auch parallel der Natriumbestand des Körpers.
ADH reguliert, welches die orale Wasseraufnahme Entsprechend ist die Regulation des Wasserhaushalts eng
(über das Durstgefühl) und die renale Wasseraus- mit der Regulation des Natriumhaushalts verflochten

28.4 Der Natriumhaushalt dem täglichen Bedarf. Dabei enthält die täglich zugeführte
Nahrung selbst selten mehr als 200 mmol Natrium, der Rest
28.4.1 Natriumbilanzierung wird in Form von Tafelsalz (Kochen und Würzen) aufge-
nommen.
! Über 90% des Körpernatriums befinden sich in freier Die Ausscheidung erfolgt im Wesentlichen über den
oder gebundener Form im Extrazellulärraum. Urin und liegt in Abhängigkeit von der zugeführten Menge
bei 100–150 mmol/24 h. Die Ausscheidung unterliegt einem
Der Gesamtnatriumbestand des Menschen liegt bei 55– 24-Stunden-Rhythmus.
60 mmol/kg Körpergewicht, welches sich zu 95% auf den Eine geringe Menge (5 mmol/24 h) wird auch über den
Extrazellulär- und zu 5% auf den Intrazellulärraum verteilt. Stuhl ausgeschieden. Die Verdauungssäfte enthalten zwar
Davon befinden sich 30–40% des Natriums in gebundener viel Natrium, da sie aber normalerweise im Darm reabsor-
Form im Knochen, weshalb nur 60–70% des Körperna- biert werden, geht dem Organismus kein Natrium verloren.
triums rasch austauschbar sind (. Tabelle 28.7). Störungen der Reabsorption (Durchfälle) können dagegen
Die obligaten täglichen Natriumverluste betragen bei zu Natriumverlusten führen.
normaler Schweißproduktion weniger als 3 g NaCl pro Tag. Über die Haut geht bei starkem Schwitzen Natrium ver-
Normalerweise führt man mit der Nahrung täglich 5–20 g loren (20–80 mmol/l). Dabei nimmt die Natriummenge
NaCl (80–320 mmol) zu. Diese Menge liegt damit über mit steigendem Schweißvolumen zu.
922 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

. Tabelle 28.7. Daten zum Natriumstoffwechsel

冎 冎
Verteilung von Natrium im Organismus mmol/kg Prozentualer Anteil
Körpergewicht an der Gesamtmenge
Plasma 6,5 11,2
Interstitielle Flüssigkeit, Lymphe 16,8 29,0
Sehnen und Knorpel 6,8 11,7
Transzelluläre Flüssigkeit 1,5 2,6
Knochen (gesamte Menge) 25,0 43,1
Knochen (austauschbare Menge) 8,0 13,8
im Extrazellulärraum (austauschbar) 39,6 68,3
im Extrazellulärraum (gesamt) 56,6 97,6
Gesamtmenge
im Intrazellulärraum 1,4 2,4
im Organismus 58,0 100,0
Natriumkonzentration des Blutplasmas 140 mmol/l
Normalbereich 135–145 mmol/l
Tägliche Ausscheidung mit dem Urin 100–150 mmol
Tägliche Zufuhr mit der Nahrung 70–350 mmol

28
! Eine Erhöhung der Natriumausscheidung erfordert oft Angiotensin II. Dieses aus Angiotensinogen gebildete Pep-
auch eine Erhöhung der Wasserausscheidung. tid ist das eigentliche Hormon des Renin-Angiotensin-
Systems. Seine biologischen Wirkungen sind:
Die natriumkonservierenden Mechanismen sind wie bei 4 zentrale Auslösung von Durstgefühl und Salzappetit,
allen terrestrischen Lebewesen sehr effektiv, sodass es was die Salz- und Wasserzufuhr in den Körper erhöht
unter physiologischen Bedingungen und bei normaler (7 Kap. 31.3.2)
Kost nicht zu einem signifikanten Natriummangel kom- 4 Steigerung der ADH-Freisetzung aus dem Hypophy-
men kann. Da die durchschnittliche Natriumzufuhr deut- senhinterlappen, welches die Wasserreabsorption in
lich über dem obligaten Natriumverlust liegt (7 o.), ist die den Sammelrohren der Niere erhöht (7 Kap. 31.3.2)
Konstanz des auch das Extrazellulärvolumen bestim- 4 Steigerung der Natriumresorption direkt am proxi-
menden Natriumbestands des Organismus an die fortlau- malen Tubulus
fende renale Elimination von überschüssigem Kochsalz 4 Stimulation der Bildung des Mineralocorticoidhor-
gebunden. Dabei ist zu bedenken, dass wegen der Harn- mons Aldosteron in der Zona glomerulosa der Neben-
stoffausscheidung bei maximaler Konzentration des End- nierenrinde
harns (1200 mosmol/l) die Konzentration von NaCl im
Endharn höchstens 200 mmol/l (entspricht 400 mosmol/l) Der biochemische Mechanismus der Angiotensin II-Wir-
betragen kann. Entsprechend können höhere NaCl-Men- kung beruht auf den Angiotensin II-Rezeptoren AT1 und
gen nur über ein erhöhtes Urinvolumen ausgeschieden AT2, die zu den G-Protein gekoppelten Membranrezep-
werden, was natürlich auch eine erhöhte Trinkmenge an toren gehören (7 Kap. 25.6)
freiem Wasser erfordert (7 o.).
! Aldosteron ist das wichtigste Mineralocorticoid des
Menschen.
28.4.2 Hormonelle Regulation Aldosteronbiosynthese. Die Mineralocorticoide 11-Des-
des Natriumhaushalts oxycorticosteron und Aldosteron werden aus Cholesterin
synthetisiert (. Abb. 28.22). Durch Oxidation am C-Atom
Die Regulation der Natriumkonzentration des Intrazellu- 3 und Verschieben der Doppelbindung entsteht Proges-
lärraums erfolgt über die Na+/K+-ATPase (7 Kap. 6.1.5), teron, durch Hydroxylierung an den Positionen 21E, 18E
die des Extrazellulärraums über das Renin-Angioten- und 11E wird daraus 18-Hydroxycorticosteron. Das beim
sin Aldosteron-System und das atriale natriuretische Menschen wichtigste Mineralocorticoid, das Aldosteron,
Peptid. wird aus 18-Hydroxycorticosteron durch Oxidation der
Hydroxylgruppe am C-Atom 18 gebildet. Die dabei ent-
! Das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) stehende Aldehydgruppe, welche dem Aldosteron seinen
sorgt für eine Zunahme des Natriumbestands. Namen gibt, kommt der Hydroxylgruppe am C-Atom 11 so
28.4 · Der Natriumhaushalt
923 28

nahe, dass sich eine Halbacetalform des Aldosterons aus-


bilden kann, in der es in wässriger Lösung bevorzugt vor-
liegen dürfte. Durch Hydroxylierung in Position 11E wird
11-Desoxycorticosteron zum Corticosteron.
! Mineralocorticoide fördern die Natriumretention in
der Niere.

Aldosteronwirkungen. Mit Ausnahme der Androgene


steigern alle Corticosteroidhormone, besonders jedoch die
Mineralocorticoide, die Rückresorption von Natrium-
ionen in den Verbindungstubuli und Sammelrohren der
Niere. Parallel zur gesteigerten Natriumretention kommt es
zu einer gesteigerten Ausscheidung von Kalium-, Wasser-
stoff- und Ammoniumionen, was zu einer Abnahme der
Kaliumkonzentration im Serum führt. Auch in den Schweiß-
drüsen, den Speicheldrüsen sowie im Intestinaltrakt wird
die Ausscheidung von Natriumionen verlangsamt.
In ihrer Wirksamkeit auf den Mineralstoffwechsel un-
terscheiden sich die einzelnen Steroidhormone der Neben-
nierenrinde beträchtlich voneinander. Aldosteron ist 1000-
mal wirksamer als Cortisol und ungefähr 35-mal effektiver
als 11-Desoxycorticosteron.
! Aldosteron wirkt über einen Rezeptor aus der Super-
familie der Steroidhormonrezeptoren.

Der molekulare Wirkungsmechanismus des Aldosterons


ähnelt dem der anderen Steroidhormone der Nebennieren-
rinde. Das Hormon wird in die Zelle aufgenommen und
bindet an einen cytosolischen Rezeptor, der zur Superfami-
lie der Steroidhormon-Rezeptoren gehört (7 Kap. 25.3.1).

. Abb. 28.23. Molekularer Mechanismus der Aldosteronwirkung


. Abb. 28.22. Biosynthese der Mineralocorticoide 11-Desoxy- auf die Tubulusepithelien. Aldosteron (A) bindet an ein Rezeptor-
corticosteron und Aldosteron. Für die Biosynthese des Aldosterons protein (R), das nach Konformationsänderung im Zellkern die Trans-
ist eine Hydroxylierung an den Positionen 21, 18 und 11 des Proges- kription spezifischer Gene induziert. Es kommt damit zur gesteigerten
terons notwendig. Vgl. hierzu die Hydroxylierung bei der Biosynthese Biosynthese eines Natriumkanals, der Na+/K+-ATPase sowie verschie-
des Cortisols (7 Kap. 27.3.3) dener mitochondrialer Enzyme. (Einzelheiten 7 Text)
924 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

Eine besonders hohe Konzentration von Aldosteron- Aldosteron. Folgende Faktoren sind für die Regulation der
rezeptoren findet sich in den corticalen Abschnitten der Aldosteronbiosynthese und Sekretion von besonderer Be-
Sammelrohre, darüber hinaus im Colon und den Schweiß- deutung:
drüsen, was auf diese Organe als besondere Zielgewebe für 4 AngII stimuliert über AT1-Rezeptoren die Aldosteron-
die Mineralocorticoidwirkung hinweist. biosynthese und -sekretion. ACTH (7 Kap. 27.3.1) hat
Wie aus der . Abb. 28.23 hervorgeht, gelangt der Mi- dagegen nur eine geringe Bedeutung
neralocorticoid-Rezeptor-Komplex nach entsprechender 4 Jeder Anstieg der Plasma-Kaliumkonzentration stellt
Aktivierung in den Zellkern und beeinflusst dort die Ex- einen starken direkten Reiz für die Aldosteronsynthese
pression spezifischer Gene. Das führt in Natrium-reabsor- dar (7 u.)
bierenden Zellen zur vermehrten Expression 4 Zu einem Sistieren der Aldosteronbildung und Sekre-
4 eines in der apikalen Zellmembran gelegenen Natrium- tion kommt es dagegen, wenn die Natriumretention
kanals (ENaC) durch die Nieren bzw. die Kaliumausscheidung ansteigt
4 der Na+/K+-ATPase sowie und es zu einer Erhöhung des extrazellulären Volumens
4 einer Reihe von Enzymen des Citratzyklus, welche bei gleichzeitigem Kaliumverlust kommt
wahrscheinlich einen gesteigerten Substratdurchsatz
! Das atriale natriuretische Peptid senkt den Natriumbe-
und damit eine vermehrte Bereitstellung des für den
stand des Körpers.
Transport benötigten ATP ermöglichen
Die Funktion von Mineralocorticoiden und ADH besteht in
Spironolactone. Sie sind eine Gruppe von Aldosteron-ana- der Natrium- und Wasserretention. Damit regulieren sie eine
logen Verbindungen, die über einen C-17-Lacton-Ring speziell für terrestrische Lebewesen essentielle Funktion. Ein
verfügen (. Abb. 28.24). Sie wirken als Mineralocorticoid- antagonistisches, natriuretisch wirkendes Hormon ist das
28 Antagonisten und werden als solche auch bei der Be- vor allem im rechten Vorhof des Herzens synthetisierte, gespei-
handlung des primären Hyperaldosteronismus eingesetzt. cherte und sezernierte atriale natriuretische Peptid (ANP).
Ihr Wirkungsmechanismus beruht darauf, dass sie Al-
! ANP wird in den Herzvorhöfen als Prohormon gebildet.
dosteron kompetitiv vom cytoplasmatischen Rezeptor
verdrängen. Der dabei gebildete Rezeptorantagonist-Kom- ANP-Biosynthese und Sekretion. Das atriale natriuretische
plex kann aber nicht die zum Übertritt in den Kern not- Peptid (ANP) wird in myoendokrinen Zellen des Herz-
wendige Konformationsänderung (Aktivierung) durch- muskels synthetisiert und in Sekretvesikeln gespeichert, die
machen, weswegen die Änderung der Genexpression un- sich vorwiegend im rechten Vorhof, daneben aber auch im
terbleibt. linken Vorhof und nur ganz vereinzelt im Herzkammer-
gewebe befinden. Die . Abb. 28.25 gibt einen Überblick
! Die Bildung von Angiotensin II und von Aldosteron
über die ANP-Biosynthese.
wird hauptsächlich durch die Größe des Extrazellulär-
volumens reguliert.

Angiotensin II. Die Freisetzung des Renins als Schlüssel-


regulator des Renin-Angiotensin-Systems wird durch
eine Reduktion des Extrazellulärvolumens (z.B. bei Na-
triummangel) stimuliert. Ein expandiertes Extrazellulär-
volumen bei Salzüberschuss bewirkt eine Hemmung der
Reninfreisetzung und damit eine Hemmung der AngII-
Bildung.

. Abb. 28.25. Biosynthese des natriuretischen Atriumpeptids


(ANP). Das zugehörige Gen besteht aus drei Exons und zwei Introns.
Die Exons codieren für ein Präpro-ANP aus 151 Aminosäuren. Dieser
. Abb. 28.24. Struktur des Aldosteronantagonisten Spironolac- Präkursor trägt C-terminal das aus 28 Aminosäureresten bestehende
ton. Man beachte die Lactonstruktur an der Seitenkette des Rings D ANP (. Abb. 28.26)
28.4 · Der Natriumhaushalt
925 28

. Abb. 28.26. Schematische Darstellung der Struktur natriureti- brücke zwischen 2 Cysteinen und 15 dazwischengeschalteten Amino-
scher Peptide. Pro-ANP ist der Vorläufer für ANP und Urodilatin. BNP säuren entsteht. (Modifiziert nach Forsmann et al. (1998) Histochem
und CNP werden von eigenen Genen codiert. Charakteristisch für die Cell Biol 111:335)
natriuretischen Peptide ist die Ringstruktur, die durch eine Disulfid-

4 Das Gen für ANP (beim Menschen auf Chromosom 1) auch noch in anderen Organen wie Gehirn, Nebenniere
enthält 3 Exons und 2 Introns und Niere gefunden. Dabei spalten die Sammelrohrzellen
4 nach Transkription und posttranskriptionaler Prozes- der Niere spezifisch ein 32 Aminosäure umfassendes Peptid
sierung entsteht aus ihm die Prä-Pro-ANP-mRNA, wel- vom Carboxyterminus des Pro-ANP ab, das als Urodilatin
che für ein Protein mit 151 Aminosäuren codiert bezeichnet wird. ANP und Urodilatin zeigen dieselben bio-
4 Abtrennung des N-terminalen, aus 25 Aminosäuren logischen Wirkungen (7 u.), haben aber eine unterschied-
bestehenden Signalpeptids führt zum Pro-ANP mit 126 liche biologische Stabilität. So erscheint Urodilatin wesent-
Aminosäuren, welches in Vesikel gepackt wird lich resistenter als ANP gegenüber einer proteolytischen
4 Vom Carboxyterminus des Pro-ANP wird ANP als Degradation durch die neutrale Endopeptidase zu sein, die
ein 28 Aminosäuren umfassendes Peptid abgespal- gerade in der Niere in hoher Aktivität vorkommt. Neben
ten. Hierfür ist die membrangebundene Serinprotease dem ANP (sog. Typ-A der natriuretischen Peptide gibt es
Corin verantwortlich mit BNP (B-Typ) und CNP (C-Typ) noch 2 weitere natriure-
tische Peptide, die wesentliche Struktur- und Funktions-
Da die Primärstruktur von ANP für die bislang unter- ähnlichkeiten mit ANP besitzen (. Abb. 28.26). Sie werden
suchten Säuger praktisch identisch ist, scheint das ANP- von jeweils eigenen Genen codiert, aber im gesunden Her-
System in der Evolution hoch konserviert zu sein. In we- zen im Vergleich zu ANP nur minimal exprimiert. Ihre phy-
sentlich geringerem Ausmaß als im Herzen wird Pro-ANP siologische Bedeutung ist noch nicht geklärt.
926 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

Der auslösende Reiz für die ANP-Sekretion ist ein Rezeptoren für natriuretische Peptide ANP sind in
Anstieg des Vorhofdrucks, der zu einer Wanddehnung einer Reihe von Geweben, wie z.B. den Nierenglomerula,
und damit Dehnung der Myozyten führt. Über einen Sammelrohrzellen und den medullären und papillären Vasa
calciumabhängigen Prozess führt eine solche Dehnung recta der Nieren gefunden worden, daneben aber auch im
dann zur Sekretion von ANP. Der Anstieg des Vorhofdrucks Zentralnervensystem, der Nebennierenrinde sowie Gefäß-
kann durch eine Expansion des Extrazellulärvolumens muskel- und Endothelzellen. Man kennt derzeit 3 Rezep-
(Plasmavolumen) z.B. durch vermehrte Kochsalzzufuhr, toren, welche als A-, B- und C-Rezeptor bezeichnet werden.
aber auch durch Hormone wie ADH, Katecholamine oder Der A-Rezeptor ist selektiv für ANP und BNP, der B-Re-
Angiotensin II, ausgelöst werden. zeptor für CNP und der C-Rezeptor bindet alle 3 Peptide.
Der A- und B-Rezeptor sind membrangebundene Guanyl-
! ANP relaxiert Blutgefäße und fördert die renale Natri-
atcylasen (7 Kap. 25.9.2), deren Aktivierung zu erhöh-
um- und Wasserausscheidung.
ten cGMP-Konzentrationen in den Zielgeweben führt
ANP-Wirkung. ANP hat wie alle natriuretischen Peptide (. Abb. 28.27). Der C-Rezeptor vermittelt keine derzeit be-
folgende Wirkungen: kannte Signalwirkung. Man nimmt an, dass es sich dabei
4 Eine Relaxation der glatten Muskulatur der Arteriolen. um einen sog. clearance-receptor handelt, der die natriure-
Dies senkt den arteriellen Gefäßwiderstand und wirkt tischen Peptide bei hohen Konzentrationen abfischt und
damit blutdrucksenkend einer endosomalen Degradation zuführt. Dieser Mechanis-
4 Der vasodilatierende Effekt ist auch an den renalen prä- mus trägt so zur Elimination der natriuretischen Peptide
glomerulären Blutgefäßen sehr ausgeprägt. Dies führt bei, die hauptsächlich aber durch proteolytischen Abbau
zu einer Erhöhung der glomerulären Filtrationsrate durch eine Metalloproteinase, die neutrale Endopeptidase
und zu einer Steigerung der Nierenmarksdurchblutung, (NEP), in Lunge, Leber und Niere erfolgt. Eine neue Stra-
28 was prinzipiell die renale Wasser- und Salzausschei- tegie bei der Behandlung von Kreislauferkrankungen (v.a.
dung erhöhen kann Bluthochdruck) beruht auf der pharmakologischen Hem-
4 Über luminale Rezeptoren an den Sammelrohren der mung dieser Endopeptidase, wodurch die Konzentration
Nierenpapillen vermindert ANP direkt die Natrium- der zirkulierenden vasodilatierenden natriuretischen Pep-
und Wasserresorption tide erhöht werden kann.
4 ANP hemmt die Aldosteronfreisetzung sowohl durch
einen direkten Effekt auf die Nebennierenrinde als auch
indirekt durch Hemmung der Reninfreisetzung 28.4.3 Pathobiochemie des Natrium-
haushalts
In der Tat scheint diese Wechselwirkung mit dem Renin-
Angiotensin-Aldosteron-System sehr bedeutsam für die ! Ein Natriumüberschuss entsteht durch eine auto-
Wirkung zu sein, da man eine deutliche natriuretische Wir- nome Sekretion von Aldosteron oder als Folge von
kung von ANP nur bei einem stimulierten Renin-Angio- Ödemen.
tensin-Aldosteron-System beobachten kann. Möglicher-
weise ist Urodilatin für die renalen Wirkungen wesentlich Primärer Hyperaldosteronismus (Conn-Syndrom). Er wird
bedeutsamer als ANP selbst. durch Adenome oder Karzinome der die Mineralocorti-

. Abb. 28.27. Aktivierung des A-Typ-Rezeptors für natriuretische an die Extrazellulärdomäne führt zur Homodimerisierung des Rezep-
Peptide durch ANP. Der Rezeptor besteht aus einer Extrazellulär- tors, wodurch ATP an die kinaseähnlichen Domänen bindet. Dies führt
und Transmembrandomäne, einer intrazellulären kinaseähnlichen dann zur Aktivierung einer Guanylatcyclaseaktivität
und einer intrazellulären Guanylatcyclasedomäne. Bindung von ANP
28.4 · Der Natriumhaushalt
927 28

coide produzierenden Zellen der Nebennierenrinde verur- zu einer Salz- und Wasserretention, welche die einge-
sacht. Das Krankheitsbild ist durch die Wirkung patho- schränkte Pumpfunktion des Herzens noch weiter ver-
logisch erhöhter, autonom sezernierter Mineralocorticoide, schlechtert.
meist Aldosteron, geprägt. Typischerweise findet sich bei
! Natriumüberschuss und Ödeme können mit Hemm-
den betroffenen Patienten eine erhöhte Natriumretention
stoffen des Renin-Angiotensin-Aldosteron-System
bei gesteigerter Kaliumausscheidung. Der letztere Effekt
beseitigt werden.
des Aldosterons bewirkt eine Hypokaliämie mit Folge-
erscheinungen wie Müdigkeit, Muskelschwäche u.a. Die Klinisch machen sich Ödeme bemerkbar, wenn ca. 3–4 l
gesteigerte Natriumretention führt zu einer gleichzeitigen Flüssigkeit in das Interstitium eingelagert wurden. Das
Wasserretention und damit zur Ausbildung von Ödemen, erfordert eine zusätzliche Retention von 0,5 mol NaCl oder
häufig mit Hypertonie. mehr, was ein Anzeichen für eine unangemessen hohe Ak-
tivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-System ist.
Sekundärer Hyperaldosteronimus. Dieser tritt oft bei ge- Aus diesem Grunde werden bei erhaltener Nierenfunktion
neralisierten Ödemen auf. Grundlagen für deren Entste- Ödeme häufig mit Diuretika oder Antagonisten des Renin-
hung können sein: Angiotensin-Aldosteron-Systems behandelt. Seine Hem-
4 eine eingeschränkte renale Ausscheidung von Natrium mung gelingt mittlerweile therapeutisch sehr gut mit spe-
wie z.B. bei terminalem Nierenversagen zifischen Blockern der AngII-AT1-Rezeptoren oder durch
4 eine Erhöhung des kapillären hydrostatischen Drucks Hemmer des angiotensin-I-converting-enzyme, welche die
wie z.B. bei Herzinsuffizienz, Flüssigkeitsübertritt ins Bildung des biologisch aktiven AngII verhindern.
Interstitium und damit einer Reduktion des Plasma-
! Durch Salzverlust kann rasch ein Natriumdefizit ent-
volumens
stehen.
4 eine Abnahme des kapillären kolloidosmotischen
Drucks durch Proteinverlust (nephrotisches Syndrom) Natriummangelzustände führen aus osmotischen
oder eingeschränkte Neubildung von Albumin (Hun- Gründen zu einer Verringerung des Extrazellulärraums
gerzustände, Lebercirrhose). Bei der Lebercirrhose und damit auch des Plasmavolumens. Entsprechend ist
löst die Erhöhung des Portalvenendrucks zusätzlich die Füllung des Kreislaufsystems vermindert und es
die Bildung von lokalen Ödemen im Bauchraum (As- kann sich ein hypovolämischer Kreislaufschock ent-
zites) aus wickeln.
Ursachen dafür können sein:
Die mit den generalisierten Ödemen einhergehende Hypo- 4 Verluste aus dem Magen-Darmtrakt durch Erbrechen
volämie löst entsprechende gegenregulatorische Maßnah- oder Durchfall (Darminfektionen wie z.B. Cholera)
men zur Wiederherstellung des Volumens aus und führt zur 4 Starke Schweißproduktion: Bei einer Schweißproduk-
Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems. tion von >3 l/Tag muss zusätzlich Natrium angeboten
Durch die verstärkte AngII- und nachfolgend stimulierte werden, da die in der Nahrung enthaltene Menge an
Aldosteronbildung entwickelt sich daraus ein sekundärer Kochsalz (ca. 10 g/Tag) den Verlust nicht mehr kom-
Hyperaldosteronimus. pensiert
4 Hypoaldosteronismus: Eine verminderte Biosynthese
Reninhypersekretion. Eine unregulierte Mehrsekretion und Sekretion von Mineralocorticoiden, speziell von
von Renin und damit einhergehende Aktivierung des Aldosteron, ist ein relativ seltenes Krankheitsbild. Es
Renin-Angiotensin-Systems kann ebenfalls zu einer Erhö- entwickelt sich im Verlauf einer allgemeinen Neben-
hung des Natriumbestands führen. Eine klassische Situa- niereninsuffizienz (Morbus Addison) sowie gelegent-
tion hierfür stellt die Nierenarterienstenose dar (7 o.). Ein lich beim adrenogenitalen Syndrom (7 Kap. 27.3.10).
vor allem nächtlich auftretender Abfall der Nierenperfusion Die Folge derartiger Krankheitsbilder besteht in einem
bei Herzinsuffizienz führt ebenfalls zu einer Steigerung Salzverlustsyndrom mit Hyponatriämie und Hyperkali-
der Reninfreisetzung und Aktivierung des Renin-Angio- ämie
tensin-Systems. Dies führt bei den Patienten in der Folge 4 Unkontrollierter Einsatz von harnfördernden Mitteln
928 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

In Kürze
Der Natriumbestand des Körpers wird vor allem über die Sammelrohr, begleitet von einer ADH-bedingten Wasser-
Kontrolle des Extrazellulärvolumens reguliert. Eine Ab- retention.
nahme des Volumens aktiviert über arterielle Presso- Ein Anstieg des Natriumbestands des Körpers und da-
rezeptoren den Sympathikus, was in der Niere direkt die mit verbunden eine Vergrößerung des Extrazellulärvolu-
Na+-Reabsorption fördert und über eine Stimulation mens hemmt die:
der Reninsekretion das Renin-Angiotensin-Aldosteron- 4 Reninsekretion und damit die Angiotensin II-Bildung
System aktiviert. 4 Aldosteronproduktion und
Auch die Aktivierung der Niederdruckrezeptoren 4 ADH-Sekretion
(in Hohlvenen und Herzvorhöfen) stimuliert das Renin-
Angiotensin-Aldosteron-System über eine verstärkte Ein Anstieg des Drucks im Niederdrucksystem aktiviert in
Reninsekretion. Parallel dazu wird ADH freigesetzt und den Herzvorhöfen die Freisetzung von ANP, welches die
das Durstgefühl ausgelöst. Ausscheidung von Natrium und Wasser in der Niere stimu-
Die durch Angiotensin II induzierte Bildung von liert.
Aldosteron fördert die renale Natriumresorption im

28.5 Der Kaliumhaushalt die Kaliumausscheidung durch die Nieren problemlos auf
500 mmol/24 h steigern lässt. Etwa 10% der täglichen
28 28.5.1 Regulation des Kaliumhaushalts Kaliumausscheidung erfolgt im Intestinaltrakt.
Die Gesamtkaliummenge des Körpers liegt bei 40–
! Das Körperkalium befindet sich zu 98% im Intrazellulär- 50 mmol/kg Körpergewicht (d.h. 3,5 mol bei einer Person
raum. mit 70 kg), wovon sich 98% im Intrazellulärraum befinden.
Die intrazelluläre Kaliumkonzentration liegt bei durch-
Kalium ist in mehrfacher Hinsicht ein biochemisch-phy- schnittlich 140 mmol/l. Die Kaliumkonzentration des
siologisch sehr bedeutsames Ion. Es bestimmt wesentlich Blutplasmas beträgt demgegenüber im Mittel nur 4 mmol/l
das Membranpotential und damit das elektrische Verhalten (Normbereich 3,5–5,5 mmol/l), sodass der Gesamtbestand
von Zellen. Weiterhin aktiviert es eine Reihe von Enzymen. an extrazellulärem Kalium nur 60–80 mmol beträgt (. Ta-
Es ist außerdem wichtig für die Regulation des Zellvolu- belle 28.8).
mens wie auch für die zelluläre pH-Regulation.
Den obligaten Kaliumverlusten in Höhe von 25 mmol/ ! Enterale Kaliumaufnahme, Verschiebungen von Kalium
24 h steht eine durchschnittliche Nahrungszufuhr von zwischen dem Intra- und Extrazellulärraum sowie
50–150 mmol/24 h gegenüber. Dieser nahrungsbedingte die renale Kaliumausscheidung sind die wesentlichen
Kaliumüberschuss muss eliminiert werden, wobei sich Determinanten der Plasmakaliumkonzentration.

. Tabelle 28.8. Daten zum Kaliumstoffwechsel


Verteilung des Kaliums im Organismus mmol/kg Prozentualer Anteil

冎 冎
Körpergewicht an der Gesamtmenge
Plasma 0,2 0,4
Interstitielle Flüssigkeit, Lymphe 0,5 1,0
Sehnen und Knorpel 0,2 0,4
Knochen (gesamte Menge) 4,1 7,6
Transzelluläre Flüssigkeit 0,5 1,0
im Extrazellulärraum 5,5 10,4
Gesamtmenge im Intrazellulärraum 48,3 89,6
im Organismus 58,0 100,0
Kaliumkonzentration des Blutplasmas 4,0 mmol/l
Normalbereich 3,5–5,5 mmol/l
Tägliche Ausscheidung mit dem Urin 60–80 mmol
Tägliche Zufuhr mit der Nahrung 50–150 mmol (Durchschnitt 65 mmol)
28.5 · Der Kaliumhaushalt
929 28

Kaliumaufnahme. Das Membranpotential der meisten


Körperzellen hängt wesentlich vom elektrochemischen
Gleichgewichtspotential (Nernst-Potential) für Kalium
und damit vom Verhältnis der intra- und extrazellulären
Kaliumkonzentrationen ab (7 Lehrbücher der Physiologie).
Wegen der stark unterschiedlichen Konzentrationen von
Kalium im Intrazellulärraum (ca. 140 mmol/l) und Extra-
zellulärraum (ca. 4 mmol/l) können bereits quantitativ
geringe Relativverschiebungen von Kaliumionen zwischen
den beiden Kompartimenten das Verhältnis der Konzen-
trationen und damit das Membranpotential stark be-
einflussen. Besonders empfindlich auf solche Verände-
rungen reagieren dabei elektrisch erregbare Gewebe wie
Nerven- oder Muskelzellen. Am Herzmuskel resultieren
daraus Störungen der Erregungsbildung und -fortleitung
im Herzen, die lebensbedrohlich (Kardioplegie!) sein
können. Entsprechend müssen die intrazellulären und
extrazellulären Kaliumkonzentrationen sehr genau regu- . Abb. 28.28. Abhängigkeit der Plasma-Aldosteronkonzentration
von der Plasma-Kaliumkonzentration. (Modifiziert nach Guyton,
liert werden. Textbook of Medical Physiology. Saunders 1986)
Nach der Resorption wird mit der Nahrung aufgenom-
menes Kalium zum größten Teil in den Intrazellulärraum
überführt, wobei das während der Nahrungsaufnahme 4 Da die Aktivität der Kaliumkanäle im Sammelrohr auch
aus der Bauchspeicheldrüse freigesetzte Insulin eine wich- durch die Protonenkonzentration reguliert wird, führt
tige Rolle spielt (7 Kap. 26.1). Es stimuliert die Na+/K+- eine Alkalose zu verstärkten Kaliumverlusten und eine
ATPase-Aktivität in Leber und Muskel, die dadurch zu- Azidose zu einer Verminderung der Kaliumsekretion
sätzlich Kalium aufnehmen. Der im Extrazellulärraum ver- und damit zur Kaliumretention
bleibende Rest des Nahrungskaliums wird unmittelbar 4 Der Harnfluss im Sammelrohr beeinflusst ebenfalls
über die Nieren ausgeschieden. So wird eine Überflutung die Kaliumausscheidung. Je höher der Harnfluss, umso
des Extrazellulärraums mit Kalium und damit eine Hyper- mehr Kalium kann ausgeschieden werden. Bei niedri-
kaliämie und in der Folge eine Depolarisation von Zell- gen Harnflussraten akkumuliert Kalium in der Tubulus-
membranen vermieden. flüssigkeit, wodurch der Ausstrom aus den Sammel-
Wenn die Insulinwirkung abklingt, verlässt das Kalium rohrzellen gebremst wird
langsam die Zellen und wird über die Nieren ausgeschie-
den. Angesichts dieser Wirkung von Insulin wird die Hy-
perkaliämie bei entgleistem Diabetes Typ1 verständlich 28.5.2 Pathobiochemie des Kalium-
(7 Kap. 26.4.1). haushalts

Renale Kaliumausscheidung. Die renale Kaliumausschei- Da Kalium ganz vorwiegend intrazellulär lokalisiert ist,
dung wird durch folgende Faktoren reguliert: lassen Bestimmungen der Plasmakaliumkonzentration keine
4 Aldosteron reguliert die renale Kaliumausscheidung verlässlichen Abschätzungen des Gesamtkörperkaliums
indirekt, da es über die Steigerung der Natriumre- zu. Indirekten Aufschluss hierüber gibt die Messung von Ka-
absorption die Kaliumausscheidung erhöht. Erhöhte lium im Erythrozyten. Störungen des Kaliumhaushalts beru-
Plasmakonzentrationen von Kalium stimulieren dabei hen meist auf Störungen der renalen Kaliumausscheidung.
die Sekretion von Aldosteron aus der Nebennierenrinde
(. Abb. 28.28). Die aldosterongesteuerte Kaliumaus- Hyperkaliämie. Hyperkaliämien, die durch einen Anstieg
scheidung in den Verbindungstubuli und Sammel- der Plasmakaliumkonzentration über 5,5 mmol/l gekenn-
rohren der Niere kann in einem weiten Bereich unter- zeichnet sind, sind meist ein Zeichen einer unzureichenden
schiedlichen enteralen Kaliumaufnahmen angepasst Nierenfunktion (Niereninsuffizienz). Weiterhin kann auch
werden, ohne dass es zu pathologischen Änderungen eine ungenügende Produktion von Aldosteron (Hypoaldos-
der Plasmakaliumkonzentration kommt, weil sich die teronismus), eine vermehrte Freisetzung aus dem Gewebe
renale Kaliumausscheidung bis auf 500 mmol/Tag bei Verletzungen oder Hämolyse zu einer Hyperkaliämie
steigern lässt (vgl. eine mittlere tägliche Aufnahme von führen. Auch ausgeprägte Azidosen gehen mit einer Hyper-
65 mmol). Bei erhöhter Kaliumzufuhr steigt unter der kaliämie einher (. Abb. 28.29).
Wirkung von Aldosteron die Na+/K+-ATPase-Aktivität Eine Hyperkaliämie macht sich zuerst im EKG durch
und die Kaliumsekretionsrate in den Sammelrohren eine Veränderung des Kammerkomplexes (»hohe T-Welle«)
930 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

Ionenaustauscherharzen kann die intestinale Resorption


von Kalium gehemmt werden.

Kaliummangel und Hypokaliämie. Bei kaliumarmer Er-


nährung kann die tägliche renale Kaliumausscheidung bis
auf ca. 8–10 mmol/Tag herabgesetzt werden. Voraussetzung
für die Entwicklung eines Kaliummangels sind daher in
der Regel neben einer reduzierten Zufuhr auch starke Ver-
luste über die Niere oder den Magen-Darm-Trakt (Diar-
rhoe). Im Plasma liegt eine Hypokaliämie bei einen Kalium-
Wert <3,5 mmol/l vor. Massive Essstörungen, wie z.B. bei
Anorexia nervosa, aber auch Fehlernährung bei Alkoholis-
mus, können die Kaliumzufuhr wesentlich vermindern.
Ursachen für eine verstärkte renale Ausscheidung sind
. Abb. 28.29. Verschiebung von Kaliumionen zwischen Intra- Hyperaldosteronismus oder massive Salzverluste durch
(IZR) und Extrazellulärraum (EZR) bei Änderungen der Protonen-
konzentration des Extrazellulärraums
Diuretika bzw. durch kongenitale genetische Salzverlust-
syndrome, wie das Bartter-Syndrom oder das Liddle-Syn-
drom (7 o.). Chronischer Kaliummangel führt zu degene-
bemerkbar; am Herzen treten Arrhythmien, bis hin zum rativen Veränderungen im Myokard und am Skelettmuskel,
Herzstillstand auf. Bei bedrohlicher Hyperkaliämie kann die funktionelle Störungen, wie Muskelschwäche und Para-
durch die gleichzeitige Verabreichung von Insulin und lyse, zur Folge haben. Hypokaliämie zeigt im EKG cha-
28 Glucose Kalium aus dem Extrazellulärraum in den Intra- rakteristische Veränderungen, so z.B. ein Abflachen der
zellulärraum verschoben werden. Mit der oralen Gabe von T-Welle und Auftauchen der sog. U-Welle.

In Kürze
Kalium ist mengenmäßig das Hauption des Intrazellulär- Der Mensch nimmt mit der Nahrung mehr Kalium auf
raums. als er obligat abgibt. Entsprechend wird Kalium über die
Da das Membranpotential der meisten Körperzellen Nieren reguliert ausgeschieden. Ein wichtiger Regulator
vom Verhältnis der intra- und extrazellulären Kaliumkon- dabei ist das Nebennierenrindenhormon Aldosteron, des-
zentration abhängt, ist es lebenswichtig, dass die relativ sen Produktion invers zur Plasmakaliumkonzentration re-
niedrige extrazelluläre Konzentration von Kalium in guliert wird und das die Kaliumausscheidung in der Niere
engen Grenzen gehalten wird. stimuliert.
Insulin stimuliert die Aufnahme von Kalium in die Störungen des Kaliumhaushalts sind häufig mit Stö-
Zellen und senkt dadurch akut die Kaliumkonzentration rungen des Säure-Basen-Haushalts vergesellschaftet.
im Extrazellulärraum.

28.6 Der Calcium- und Phosphat- Blutgerinnung. Als freies Ion ist Calcium durch Bildung
haushalt von Komplexen mit Phospholipiden und Gerinnungs-
faktoren (Bindung an J-Carboxyglutamylgruppen, 7 Kap.
28.6.1 Calciumhaushalt 23.2.4) an der Aktivierung des extra- und intravaskulären
Systems der Blutgerinnung beteiligt (7 Kap. 29.5.3).
! Calcium ist an vielen zellulären Vorgängen beteiligt.
Stabilisierung des Membranpotentials. Die extrazelluläre
Knochenmineralisierung. Gemeinsam mit anorganischem Calciumkonzentration beeinflusst die neuromuskuläre Er-
Phosphat (7 u.) bildet Calcium in Form einer dem Hydro- regbarkeit dahingehend, dass kleinere Membranpotentials-
xylapatit ähnlichen Struktur den anorganischen Anteil des änderungen nicht zur Auslösung eines Aktionspotentials
Knochens sowie des – prinzipiell gleich aufgebauten – Den- führen. Sinkt die Calciumkonzentration nur wenig unter
tins und Schmelzes der Zähne (7 Kap. 24.7.1). Neben der den Normwert, so stellt sich eine neuromuskuläre Überer-
mechanischen Funktion, die der Knochen als Stützgewebe regbarkeit bis zu tetanischen Krämpfen ein.
erfüllt, dient das Knochengewebe auch als Speicherorgan
für Calciumionen, aus dem es bei Calciummangel mobili- Zellaktivierung. Die Calciumkonzentration im Cytosol der
siert werden kann. Etwa 1% des Calciumpools der Knochen meisten Säugetierzellen beträgt im Ruhezustand weniger
ist zu diesem Zweck verfügbar. als 10–7 mol/l. Da die extrazelluläre Konzentration an freien
28.6 · Der Calcium- und Phosphathaushalt
931 28

Calciumionen bei etwa 1,7 u 10–3 mol/l liegt, besteht damit einem ständigen Auf- und Abbau unterliegt, befinden sich
an der Plasmamembran ein etwa 10000-facher zelleinwärts 99% des Körpercalciums. Der Rest des Körpercalciums ist
gerichteter Calciumgradient. Der gesamte Calciumgehalt auf den Extra- und Intrazellulärraum verteilt.
der Zelle und der Pool des austauschbaren Calciums sind
hingegen viel höher als es die cytosolische Calciumkon- Calcium im Blut. Erythrozyten enthalten sehr wenig Cal-
zentration vermuten lässt. Wäre z.B. das gesamte zelluläre cium, da sie dieses ständig aus ihrem Inneren herauspum-
Calcium ionisiert und gleichmäßig in der Zelle verteilt, pen (7 Kap. 29.2.1). So findet sich das gesamte Calcium im
so würde die intrazelluläre Calciumkonzentration etwa Blutplasma, und zwar in drei Fraktionen:
2–10 mmol/l betragen und damit sogar über der Konzen- 4 Ionisiertes Calcium. Da es durch die Kapillarmembran
tration im Extrazellularraum liegen. Da durch die zahl- in den interstitiellen Raum übertreten kann, wird es
reichen Phosphat-übertragenden Prozesse ständig freies auch als diffusibles Calcium bezeichnet
anorganisches Phosphat im Cytosol der Zelle entsteht, 4 Proteingebundes Calcium. Es kann die Kapillarmem-
würde sich das freie Calcium – wenn es in so hohen Kon- bran nicht passieren (nichtdiffusibles Calcium). Albu-
zentrationen vorläge – mit dem Phosphat zu einem un- min, aber auch Fetuin, ein spezielles, Calcium-binden-
löslichen Komplex verbinden, wie es im Knochen zu beo- des Protein, spielen hierbei eine große Rolle
bachten ist. Daher sind über 90% des Zellcalciums nicht 4 Komplexiertes Calcium. Es macht nur eine kleine
ionisiert, sondern befinden sich als Calciumphosphat- Menge aus, die wahrscheinlich als Citrat- und Phos-
Komplex in den Mitochondrien oder an Proteine gebunden phatkomplex vorliegt, und die in dieser Form in den
im endoplasmatischen Retikulum. interstitiellen Raum übertreten kann
Als Zellaktivierung bezeichnet man die Anregung einer
Zelle zur Ausübung ihrer spezifischen Funktionen, z.B. Die . Abb. 28.30 zeigt das Verhältnis der einzelnen Frak-
Muskelkontraktion, Nervenleitung, Sekretion, Ionentrans- tionen, die miteinander im Gleichgewicht stehen. Die
port, Stoffwechselfunktionen etc. Bei vielen dieser Prozesse Calciumkonzentration liegt normalerweise zwischen 2,2
besitzt Calcium eine Signalfunktion, da es als second mes- und 2,6 mmol/l (8,8–10,4 mg/100 ml). Obwohl sich mit
senger bei der Signaltransduktion durch extrazelluläre weniger als 1% des Gesamtbestands nur ein sehr gerin-
Signalmoleküle wirkt (7 Kap. 25.4.5). Dabei steigt die ger Teil des Körpercalciums im Blutplasma befindet, und
cytosolischen Calciumkonzentration um den Faktor 10– obwohl die tägliche Aufnahme und Ausscheidung im
100 an. Hierfür stehen prinzipiell 2 Möglichkeiten zur Ver- Stuhl und Urin wie auch die Ablagerungen im Knochen
fügung, nämlich: großen Schwankungen unterliegen, wird die Plasma-
4 Einstrom von Calcium aus dem Extrazellulärraum konzentration von Calcium bemerkenswert konstant ge-
oder halten.
4 Mobilisierung intrazellulärer Calciumspeicher
! 99% des Körpercalciums befinden sich im Knochen.

Calciumbedarf. Der tägliche Bedarf an Calcium liegt bei


20 mmol (0,8 g) beim Erwachsenen, bei 37,5 mmol (1,5 g)
in der Schwangerschaft und Lactation, bei 25 mmol (1,0 g)
für Kinder und bei 30 mmol (1,2 g) in der Adoleszenz.

Intestinale Resorption. Das Ileum ist quantitativ der we-


sentliche Resorptionsort für Calcium, wobei Vitamin D ein
entscheidender Regulator ist (7 Kap. 23.2.2).
Von der täglich zugeführten Menge werden 25–40%
resorbiert. Je niedriger die Calciumzufuhr ist, desto hö-
her ist die prozentuale Resorption und umgekehrt. Das
Ausmaß der Calciumresorption fällt mit zunehmendem
Alter ab. Die intestinale Calciumresorption kann durch
in der Nahrung enthaltene Verbindungen, wie Phytin-
säure (z.B. im Hafer) und Oxalsäure (z.B. im Spinat),
die schwer lösliche Calciumkomplexe bilden, beeinflusst
werden.

Verteilung im Organismus. Der Gesamtbestand des Or- . Abb. 28.30. Die einzelnen Fraktionen des Plasmacalciums.
ganismus beträgt 400 mmol/kg Körpergewicht (ca. 28 000 Dargestellt sind die Mittelwerte von 29 Normalpersonen. (Nach Moore
mmol beim Erwachsenen mit 70 kg). Im Knochen, der EW (1970) J Clin Invest 49:318)
932 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

Der freie (ionisierte) Anteil des Plasmacalciums ist der 28.6.2 Phosphathaushalt
biochemisch entscheidende. Die Nebenschilddrüsen reagie-
ren durch Sekretion von Parathormon auf Änderungen ! Phosphor ist im Organismus als anorganisches oder
des ionisierten Calciums (Regulation der extrazellulären organisches Phosphat vorhanden.
Calciumkonzentration, 7 Kap. 28.6.3).
Die Bindung des Calciumions an die Carboxylat- und Zusammen mit Calcium ist Phosphat der Hauptbestandteil
Phosphatgruppen der Plasmaproteine ist pH-abhängig des anorganischen Anteils des Knochengewebes (Knochen-
(Dissoziation dieser Gruppen): mineral). Zusätzlich ist es in Form organischer Phosphat-
4 Eine Erhöhung der Protonenkonzentration des Bluts verbindungen (Nucleinsäuren, Phosphoproteine [Phos-
(Azidose) führt zu geringerer Dissoziation dieser phorylierung und Dephosphorylierung von Proteinen],
schwach sauren Gruppen, sodass weniger Calcium ge- Phospholipide, Zwischenprodukte des Kohlenhydratstoff-
bunden werden kann wechsels [Hexose- und Triosephosphate; 2,3-Bisphospho-
4 Eine Verringerung der Protonenkonzentration (Alka- glycerat] sowie Adenosintriphosphat und Kreatinphosphat)
lose, 7 Kap. 28.8.6) bedingt eine vermehrte Bindung von praktisch in jeder Zelle des Organismus zu finden. In
Calcium an Plasmaproteine der Zelle entsteht bei Reaktionen mit Adenylattransfer (z.B.
Aktivierung von Fett- und Aminosäuren und Biosynthese
Auch Änderungen der Proteinkonzentration der Bluts von Carbamylphosphat) und bei der Bildung von cAMP
(7 Kap. 29.6.4) gehen mit einer entsprechenden Änderung Pyrophosphat, das durch Pyrophosphatasen zu Ortho-
der Konzentration an freien Calciumionen einher. Die phosphat hydrolysiert wird.
Calciumkonzentration in der interstitiellen Flüssigkeit be- Als Dihydrogenphosphat-Hydrogenphosphat-System
trägt etwa 1,75 mmol/l (7 mg/100 ml), im Liquor cerebro- wirkt Phosphat als Puffer im Intrazellulärraum (pKc = 6,80!),
28 spinalis zwischen 1,12 und 1,24 mmol/l (4,5–6 mg/100 ml). Blutplasma und Urin (titrierbare Säure).
Diese Werte entsprechen ungefähr der Konzentration des
! Phosphat- und Calciumstoffwechsel sind eng ver-
ionisierten Calciums, da das an Plasamproteine gebundene
bunden.
Calcium nicht frei diffusibel ist.
Phosphatbedarf. Der tägliche Phosphatbedarf beträgt
Ausscheidung. Calcium wird im Wesentlichen über die 25–30 mmol (800–900 mg). Milchprodukte, Getreide und
Nieren ausgeschieden. Das nichtproteingebundene Cal- Fleisch sind die besten Quellen.
cium (60%) wird glomerulär filtriert. Etwa 90% der glome-
rulär filtrierten Ca2+-Menge wird im proximalen Tubulus Intestinale Resorption. Phosphat wird im Jejunum wie im
und der dicken aufsteigenden Henle-Schleife vorwiegend proximalen Tubulus der Niere (7 Kap. 28.1.6) im Cotrans-
parazellulär und ohne Regulation resorbiert. Die Regula- port mit 2 Na+ durch die luminale Membran resorbiert. Das
tion der Calciumausscheidung erfolgt im distalen Tubulus Cotransportsystem wird durch 1,25-(OH)2-Cholecalciferol
(Pars convoluta) durch Parathormon (7 Kap. 28.6.3) und stimuliert. Durchschnittlich werden 70% der zugeführten
1,25-(OH)2-Cholecalciferol (7 Kap. 23.2.2), welche dort Menge resorbiert; der Prozentsatz steigt mit abnehmendem
die Calciumreabsorption stimulieren und so die renale Phosphatangebot an. Da Phosphat mit Aluminium eine
Calciumausscheidung vermindern. Im Normalfall werden unlösliche – nicht resorbierbare – Verbindung eingeht,
nur etwa 1% der filtrierten Ca2+-Menge ausgeschieden, was kann die Phosphatresorption therapeutisch durch Alumi-
bei normaler Ernährung einer täglichen renalen Ausschei- niumhydroxidgel gehemmt werden.
dung von 3,75–11,25 mmol (150–450 mg) entspricht. Die Organische Phosphatverbindungen werden durch Phos-
maximale Ausscheidung liegt bei nur 25 mmol (1 g) pro phatasen im Darm hydrolysiert. Die Resorption erfolgt
24 h. Bei höheren Urinkonzentrationen fällt Calcium zu- ausschließlich als anorganisches Phosphat. Phytinsäure
sammen mit anderen Stoffen in Form von Nierensteinen (der Hexaphosphatester des Inositols), die reichlich in Ge-
aus (7 Kap. 28.2.4), da Calcium und Phosphat sich im treidekörnern vorkommt, ist eine schlechte Phosphatquelle,
Urin in einer übersättigten Lösung befinden. Mit dem da im menschlichen Verdauungstrakt keine Phytathydro-
Darm gelangen ebenfalls etwa 3,75–11,25 mmol (150– lase nachgewiesen werden kann.
450 mg) zur Ausscheidung. Außerdem verliert der Orga-
nismus Calcium mit dem Schweiß (Konzentration 0,3– Verteilung im Organismus. Etwa 85% des Phosphatbe-
15 mmol/l), mit dem plazentaren Kreislauf und der Milch stands des Organismus befinden sich in Knochen und in
(Lactation). den Zähnen. Die übrigen 15% verteilen sich auf die Mus-
kelzellen (6%) und die übrigen Zellen (9%).

Phosphat im Blut. Im Gegensatz zur Calciumkonzentra-


tion im Plasma, die in engen und während des gesamten
Lebens gleichen Grenzen gehalten wird, fällt die Phos-
28.6 · Der Calcium- und Phosphathaushalt
933 28

phatkonzentration im Plasma mit dem Alter ab und liegt


beim Erwachsenen zwischen 1 und 2 mmol/l. Davon sind
etwa 10% nichtcovalent an Proteine gebunden. Zusätzlich
zum anorganischen Phosphat finden sich im Plasma noch
organische Phosphatverbindungen (Phosphatester und
lipidgebundenes Phosphat). Phosphat wirkt im Blutplas-
ma (und Urin) als Puffer, wobei seine Pufferkapazität aller-
dings nur 1% der Gesamtpufferkapazität des Bluts be-
trägt. Bei einem pH-Wert des Blutplasmas von 7,4 liegen
80% des anorganischen Phosphats als HPO42– und 20%
als H2PO4– vor.
Die Plasmaphosphatkonzentration ist die Resultante
aus der Resorption im Darm, dem Einbau und der Freiset-
zung von Phosphat aus dem anorganischen Anteil des Kno-
chengewebes, Verschiebung zwischen Extra- und Intra-
zellulärraum sowie der Ausscheidung durch die Nieren. Die
Konzentration von anorganischem Phosphat im Plasma
unterliegt einem ausgeprägten – durch Parathormon nicht
beeinflussbaren – Tag-Nacht-Rhythmus und hängt außer-
dem von der mit der Nahrung zugeführten Menge ab. Mit
diesem Rhythmus gehen Schwankungen der Phosphatkon-
zentration im Urin parallel (. Abb. 28.31). Die Konzentra-
tion des Plasma- und Urinphosphats ist am Vormittag am
niedrigsten und am Abend am höchsten. . Abb. 28.31. Schwankungen des Plasmaphosphats und der
Phosphatausscheidung in den Urin Mittelwerte von 3 gesunden
Probanden. (Nach Stanbury SW (1958) Adv Intern Med 9:31)
Ausscheidung. Die Ausscheidung von Phosphat erfolgt
hauptsächlich über die Nieren, daneben auch über Schweiß
und Stuhl. Da die Phosphatausscheidung in den Urin eben-
so wie die Plasmakonzentration einem ausgeprägten Tag- 28.6.3 Hormonelle Regulation
Nacht-Rhythmus unterliegt, muss ihre quantitative Erfas- des Calcium- und Phosphat-
sung über den 24-Stunden-Urin erfolgen. stoffwechsels
Anorganisches Phosphat wird glomerulär frei filtriert
und ausschließlich im proximalen Tubulus zu 85–90% ! Die Plasmacalciumkonzentration wird durch das
wieder reabsorbiert. Von den miteinander im chemischen Zusammenspiel von Parathormon, Thyreocalcitonin
Gleichgewicht stehenden Phosphaten der Tubulusflüssig- und 1,25-Dihydroxy-cholecalciferol in engen Grenzen
keit konstant gehalten.

Die Konzentration des freien (ionisierten) Calciums in der


extrazellulären Flüssigkeit wird durch das Zusammenspiel
wird HPO42– im Cotransport mit Na+ über spezifische von Parathormon (PTH), Thyreocalcitonin (CT) und
Transporter (NaPi) in der luminalen Membran in die Zelle 1,25-Dihydroxycholecalciferol als biologisch aktive Form
geleitet. Basolateral wird Phosphat über einen Uniporter der D-Vitamine (7 Kap. 23.2.2) erstaunlich konstant ge-
wieder ausgeschleust. halten.
Die renale Phosphatausscheidung wird durch Parat- Die . Abb. 28.32 gibt eine Zusammenfassung der Wech-
hormon, Calcitonin, Calciumzufuhr, Östrogene, Thyroxin selbeziehungen der 3 Hormone. Ein Absinken der Plasma-
und eine Azidose erhöht, durch Wachstumshormon, Insu- calciumkonzentration führt zu einer Sekretion von PTH
lin und Cortisol erniedrigt (7 u.). durch die Nebenschilddrüsen. Dessen Effekt auf den
Die Regulation der renalen Phosphatausscheidung ist Calciumstoffwechsel von Knochen und Nieren sowie die
nicht nur für den Phosphatbestand des Körpers an sich von Biosynthese des D-Hormons bewirken eine rasche Nor-
Bedeutung, sondern hat auch direkte Auswirkung auf die malisierung des Plasmacalciums. Steigt dieses über einen
Protonenausscheidung im Urin. Da HPO42– ein sehr effek- Sollwert an, kommt es durch eine gesteigerte Thyreocal-
tiver Protonenpuffer im physiologischen pH-Bereich des citoninfreisetzung zu einer Hemmung der Knochen-
Harns ist (7 o.), werden bei verminderter Phosphatresorp- resorption und damit zum Absinken des Plasmacalciums.
tion wesentlich mehr Protonen (bis zu 30 mmol pro Tag Der wichtigste Faktor für die enterale Calciumresorption ist
mehr) ausgeschieden. das 1,25-Dihydroxycholecalciferol (1,25-(OH)2-D3).
934 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

. Abb. 28.33 zeigt den Aufbau des auf dem kurzen Arm von
Chromosom 11 gelegenen Prä-Pro-PTH-Gens. Es codiert
die aus 115 Aminosäuren bestehende Sequenz des Prä-
Pro-PTH. Cotranslational wird im rauen endoplasma-
tischen Retikulum die aminoterminale Signalsequenz abge-
spalten, welche aus 25 Aminosäuren besteht, sodass als
Zwischenprodukt das Pro-PTH entsteht (über die Funk-
tion der Signalsequenz 7 Kap. 9.2.2). Im Golgi-Komplex
erfolgt unter Bildung des reifen PTH die proteolytische
Abspaltung eines N-terminalen Hexapeptids aus meist
basischen Aminosäuren.
! Die PTH-Sekretion wird durch die extrazelluläre Cal-
ciumkonzentration reguliert; PTH wird proteolytisch
abgebaut.

Regulation der PTH-Sekretion. Da die Zellen der Neben-


schilddrüsen nur relativ wenig Sekretgranula enthalten,
kann man annehmen, dass PTH zum größten Teil konti-
nuierlich synthetisiert und konstitutiv sezerniert wird. Die
Sekretion von PTH wird durch die Konzentration an ioni-
siertem Calcium im Blutplasma reguliert. Ein Abfall der
28 Calciumkonzentration bewirkt einen Anstieg der cAMP-
Konzentration und eine gesteigerte PTH-Sekretion (. Abb.
28.34a). Bei erhöhter Plasmacalcium-Konzentration sinkt
der intrazelluläre cAMP-Spiegel in den Epithelkörperchen
und die PTH-Sekretion kommt zum Erliegen. Die Verbin-
dung zwischen der extrazellulärer Calciumkonzentration
. Abb. 28.32. Regulation der extrazellulären Calciumkonzen- und der intrazellulären cAMP-Konzentration besteht dabei
tration. Ein Abfall des Plasmacalciums stimuliert die Freisetzung in einem membranständigen »Calciumrezeptor«-Protein,
von Parathormon aus den Nebenschilddrüsen, das die Biosynthese welches zur Familie der G-Protein-gekoppelten Rezepto-
von 1,25-(OH)2-D3 in den Nieren beschleunigt. Parathormon und
ren mit 7 Transmembrandomänen zählt. Ein Anstieg der
1,25-(OH)2-D3 fördern gemeinsam die Freisetzung von Calcium aus
dem Skelettsystem. Außerdem fördert 1,25-(OH)2-D3 die intestinale
extrazellulären Calciumkonzentration im physiologischen
Calciumresorption. Diese beiden Wirkungen führen dazu, dass der Bereich führt zur Aktivierung des Rezeptors und damit zur
Plasmacalciumspiegel wieder den Normalwert erreicht. Das bei der intrazellulären Calciummobilisierung über den Inositol-
Calciummobilisierung gleichzeitig aus dem Knochen freigesetzte phosphatweg. Ein Anstieg der Calciumkonzentration hemmt
oder im Darm resorbierte Phosphat hemmt direkt die Biosynthese von
wahrscheinlich die Aktivität der Adenylatcyclase (Typ VI)
1,25-(OH)2-D3 nach Art eines negativen Rückkoppelungsprozesses
und senkt so den intrazellulären cAMP-Spiegel, worauf sich
die PTH-Sekretion vermindert (. Abb. 28.34b).
! Parathormon entsteht durch limitierte Proteolyse eines
Stoffwechsel des PTH. Sowohl innerhalb der Epithelkör-
Präkursors in den Nebenschilddrüsen.
perchen selbst als auch in der Leber und möglicherweise in
Struktur des Parathormons. Parathormon (PTH) wird von den Nieren, erfolgt ein proteolytischer Abbau des PTH. Da-
den Nebenschilddrüsen sezerniert. Es sind meist 4 etwa bei kommt es zunächst zu einer Spaltung im ersten Drittel
linsengroße abgegrenzte Organe, die hinter den 4 Polen der des PTH-Moleküls. Das dabei entstehende Bruchstück aus
Schilddrüse liegen. PTH ist ein Polypeptid aus 84 Amino- den Aminosäuren 1–33 besitzt noch die volle biologische
säuren. Die PTH verschiedener Spezies unterscheiden sich Aktivität, das Bruchstück 34–84 ist dagegen inaktiv. Das
nur geringfügig, z.B. das des Rinds von dem des Schweins N-terminale Fragment 1–33 wird offensichtlich schneller
in nur 7 der 84 Aminosäuren. Untersuchungen mit synthe- weiter abgebaut als das C-terminale. Jedenfalls geben Epi-
tischen Teilsequenzen zeigten, dass für die biologischen thelkörperchen sehr viel größere Mengen dieses Fragments
Effekte des Hormons nur die ersten 27 N-terminalen Amino- ans Blut ab als intaktes PTH und Fragment 1–33. Im Blut
säuren notwendig sind. findet sich ein Gemisch aus vollständigem PTH sowie un-
terschiedlich biologisch aktiven Bruchstücken.
Biosynthese und Sekretion des Parathormons. Wie bei
vielen anderen Polypeptidhormonen erfolgt auch die ! PTH erhöht die Plasmacalciumkonzentration durch
Biosynthese des PTH als größeres Vorläufermolekül. Die seine Wirkung an Knochen, Nieren und Dünndarm.
28.6 · Der Calcium- und Phosphathaushalt
935 28

. Abb. 28.33. Das Prä-Pro-PTH-Gen und die Prozessierung seines Transkriptions- und Translationsproduktes. (Einzelheiten 7 Text)

Nach Zufuhr von PTH findet sich im Plasma ein Anstieg wo Phosphat über einen Natriumcotransport (NaPi)
des Calciums sowie ein Abfall der Konzentration des anor- resorbiert wird. NaPi wird in seiner Aktivität und auch
ganischen Phosphats. Diese Effekte lassen sich auf die PTH- in der Zahl der Transportmoleküle durch Parathor-
Wirkung an den Knochen, den Nieren sowie der intesti- mon und Calcitonin gehemmt. Entsprechend führen
nalen Mukosa erklären: PTH und Calcitonin zu einer verstärkten Phosphat-
4 Am Knochen führt PTH durch die Aktivierung von ausscheidung im Urin (Phosphaturie). Bis zu 20% des
Osteoklasten zu einer Freisetzung von Calcium. Da- filtrierten Phosphates können so ausgeschieden wer-
rüber hinaus beeinflusst PTH die organische Knochen- den, was zu einem Abfall der Phosphatkonzentration
matrix, in dem es zu einer Auflösung von Kollagen und im Plasma führt. Da die Konzentrationen von freiem
Knochengrundsubstanz führt. Diese Wirkung beruht Calcium und freiem Phosphat zusammen mit ihrem
auf der Aktivierung von Kollagenasen und von lysoso- Produkt Calciumphosphat im reversiblen chemischen
malen Hydrolasen in den Osteoklasten. Als Folge wird Gleichgewicht stehen, führt ein Abfall der Phosphat-
vermehrt Hydroxyprolin aus dem Knochen freigesetzt. konzentration gleichzeitig zu einem Anstieg der Cal-
Die erhöhte Ausscheidung dieser Verbindung im Urin ciumkonzentration
kann daher als diagnostischer Parameter für eine er- 4 Ein weiterer sehr wichtiger renaler Effekt des PTH
höhte PTH-Aktivität verwendet werden besteht darin, dass es die Hydroxylierung von in der
4 Die Regulation der renalen Calciumausscheidung er- Leber gebildetem 25-Hydroxycholecalciferol zum bio-
folgt im distalen Tubulus (Pars convoluta) durch PTH logisch aktiven 1,25-Dihydroxycholecalciferol stimu-
und 1,25-(OH)2-Cholecalciferol, welche dort die Cal- liert. Es führt zu einer gesteigerten Expression der für
ciumresorption stimulieren. Die Regulation der renalen die 1,25(OH)2–Cholecalciferolbildung notwendigen
Phosphatausscheidung erfolgt im proximalen Tubulus, 1α-Hydroxylase (7 Kap. 23.2.2). Damit schafft es die
936 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

Nieren führt sogar zu einer deutlichen Ausscheidung von


cAMP im Urin. Der PTH-Rezeptor reagiert auch mit dem
PTH related protein (PTHrP) (7 u.).
Mittlerweile sind Rezeptoren für PTH bzw. PTHrP in
einer Vielzahl weiterer Gewebe nachgewiesen worden. Da
man von diesen Geweben eigentlich nicht annehmen kann,
dass sie eine besondere Bedeutung für die Regulation des
Calcium- und Phosphatstoffwechsels haben, muss man
vermuten, dass PTH und/oder das PTHrP (7 u.) noch un-
bekannte weitere Funktionen haben.
! Parathormon-related-protein hat ähnliche Wirkungen
wie PTH.

Es ist seit langem bekannt, dass bei verschiedenen malig-


nen Tumorerkrankungen eine Hypercalciämie auftreten
kann, welche auf die Bildung eines PTH-related-proteins
(PTHrP) zurückzuführen ist. PTHrP ist ein aus 139 Amino-
säuren bestehendes Protein, das jedoch in Fragmente mit
biologischer Aktivität gespalten werden kann (PTHrP 1–36,
38–94 und 107–139). Die ersten 13 Aminosäuren sind iden-
tisch mit dem biologisch aktiven aminoterminalen Ende
28 von PTH, was die dem PTH ähnliche biologische Wirkung
erklärt. PTHrP wird auch in einer Reihe normaler Gewebe
des Erwachsenen exprimiert, wie z.B. Epidermis, Placenta,
laktierende Mamma, Nebenschilddrüsen, Hirn, Magen
und Leber. PTHrP ist auch in der fetalen Nebenschilddrüse
nachweisbar. Offensichtlich ist es wichtig für die Calcium-
homöostase des Feten und für die Bereitstellung von Cal-
cium für das fetale Knochenwachstum. PTHrP steuert die
fetale Knochenentwicklung. Es wirkt relaxierend auf die
Uterusmuskulatur, woraus geschlossen wurde, dass es für
. Abb. 28.34. cAMP-Konzentration und PTH-Freisetzung in Epi-
thelkörperchen. a 105 isolierte Zellen aus Epithelkörperchen wurden
die Anpassung des Uterus an das fetale Wachstum und die
mit Calcium in den jeweils angegebenen Konzentrationen inkubiert Ruhigstellung des Uterus wichtig ist. Besonders auffallend
und danach die intrazelluläre cAMP-Konzentration sowie die PTH- ist, dass sehr hohe Konzentrationen von PTHrP in der
Abgabe in das Medium gemessen. b Signalweg der Regulation der Muttermilch nachweisbar sind. Geringere Mengen erschei-
PTH-Sekretion aus Epithelkörperchen durch die extrazelluläre Cal-
nen in der mütterlichen Zirkulation und sind möglicher-
ciumkonzentration. (Einzelheiten 7 Text)
weise die Ursache der Calciummobilisierung aus dem
mütterlichen Skelett. Die Ausschaltung des PTHrP-Gens
Voraussetzung zur Steigerung der intestinalen Calcium- durch knockout (7 Kap. 7.4.5) ist letal.
resorption bei erniedrigten Serumcalciumkonzentra- PTHrP wirkt über den PTH-Rezeptor. Allerdings konn-
tionen. An der Dünndarmmukosa stimuliert PTH die te gezeigt werden, dass PTHrP nicht nur sezerniert wird,
Resorption von Calcium und Magnesium. Dieser Effekt sondern auch reversibel in den Zellkern transloziert werden
ist jedoch im Vergleich zu den anderen Wirkungen des kann. Sein dortige Funktion ist unklar.
Hormons nur von geringer Bedeutung. Interessanter-
! Thyreocalcitonin wird in der Schilddrüse gebildet.
weise lässt er sich auch nur dann demonstrieren, wenn
die Kost relativ calciumarm ist Das in den C-Zellen der Schilddrüse gebildete, calcium-
senkende (Thyreo)calcitonin scheint als spezifischer Ge-
! Der Parathormonrezeptor ist über G-Proteine mit der
genspieler des PTH besonders für die Feinregulation des
Adenylatcyclase gekoppelt.
Calciumspiegels im Blut verantwortlich zu sein.
Parathormon wirkt auf seine Zielzellen über einen hepta- Thyreocalcitonin ist ein Peptid aus 32 Aminosäuren,
helicalen Rezeptor, welcher an heterotrimere, große G- welches N-terminal eine Disulfidbrücke aufweist und des-
Proteine gekoppelt ist und die Adenylatcyclase stimuliert. sen C-terminales Ende ein Glycinamid ist.
Die meisten, wenn nicht alle Effekte des PTH können
durch Behandlung mit cAMP imitiert werden. Der Effekt ! Die Sekretion von Thyreocalcitonin wird durch Calcium
des PTH auf die Adenylatcyclase der Tubulusepithelien der stimuliert.
28.6 · Der Calcium- und Phosphathaushalt
937 28

. Abb. 28.35. Aufbau des Thyreocalcitonin-Präkursors bei der Ratte

Thyreocalcitonin entsteht durch proteolytische Prozes-


sierung eines aus 136 Aminosäureresten bestehenden Prä-
kursors (. Abb. 28.35). Die Thyreocalcitonin-Sequenz ist . Abb. 28.36. Signaltransduktion des Thyreocalcitonin an Osteo-
von basischen Aminosäureresten flankiert, die die Signale klasten. Die beiden Rezeptorsubtypen sind über entsprechende
für die proteolytische Abtrennung des Threocalcitonins G-Proteine an die Adenylatcyclase bzw. die Phospholipase C gekop-
pelt. Man nimmt an, dass die Erhöhung der cAMP-Konzentration
sowie für die Aminierung des C-terminalen Glycins liefern.
sowie der zellulären Calciumkonzentration zur Fixierung von Osteo-
Ein über große Bereiche homologes Peptid, das calcitonin klasten in der G0-Phase des Zellzyklus und zu der für ihre Inaktivität
gene related product (CGRP) entsteht durch alternatives typischen Formänderung führt
Spleißen desselben Gens, wird aber bevorzugt in Neuronen
des zentralen und peripheren Nervensystems exprimiert.
Es wirkt gefäßerweiternd und ist ein Chemokin für eosino-
! Calcitoninrezeptoren sind über G-Proteine mit der
phile Granulozyten.
Adenylatcyclase oder der Phospholipase C verbunden.
Jede Erhöhung des Spiegels an ionisiertem Calcium im
Plasma führt zu einer Thyreocalcitoninabgabe aus der Calcitoninrezeptoren kommen in 2 Subtypen vor und sind
Schilddrüse. Ähnlich wirken die gastrointestinalen Hor- Mitglieder der Familie von G-Protein gekoppelten Rezep-
mone Gastrin oder Pankreozymin. toren, zu denen auch die Rezeptoren für PTH, Sekretin,
vasoaktives intestinales Peptid (VIP), glucagon-like peptide
! Thyreocalcitonin senkt die Calciumkonzentration im
1 (GLP-1) und Glukagon gehören. Der Rezeptor ist je nach
Blut durch Wirkung auf Knochen, Darm und Niere.
Subtyp, über G-Proteine an das Adenylatcyclasesystem bzw.
Am Knochengewebe wirkt Thyreocalcitonin als direkter die Phospholipase CE gekoppelt. Dementsprechend führt
Antagonist des PTH, d.h. es hemmt die Calciumfreiset- die Behandlung von Osteoklasten, aber auch anderer Zellen
zung. Dabei wirkt sich der Hormoneffekt über eine Hem- mit Thyreocalcitonin zur Erhöhung der cAMP- und Cal-
mung der Osteoklastentätigkeit und über die Stimulierung ciumkonzentrationen. Die . Abb. 28.36 zeigt eine schema-
von Knochenanbauprozessen aus. Thyreocalcitonin senkt tische Übersicht der molekularen Wirkung von Thyreo-
den Spiegel des ionisierten Calciums im Plasma in weniger calcitonin an Osteoklasten.
als 30 Minuten, wirkt also rascher als PTH (60 min). Aller-
! 1,25-Dihydroxycholecalciferol reguliert die intestinale
dings ist sein Effekt von kurzer Dauer, was auch aus den
Calciumresorption.
unterschiedlichen Halbwertszeiten für die beiden Hormone
hervorgeht. Die Halbwertszeiten des Thyreocalcitonins Eine Schlüsselstellung bei der intestinalen Calciumresorp-
sind mit 4–12 Minuten etwa 2- bis 3-mal kürzer als die tion nimmt das hierfür unerlässliche 1,25-Dihydroxy-
des PTH. Neben der Hemmung der Osteolyse verringert cholecalciferol ein (7 Kap. 23.2.2). Damit kommt den
Thyreocalcitonin auch die Magensaft- und Pankreassekre- Nieren eine wesentliche Funktion bei der Regulation der
tion sowie die intestinale Motilität. Das bewirkt eine Ver- Calciumresorption und damit des Calciumbestands des
langsamung der Verdauungsvorgänge und damit der Cal- Organismus zu. Da die renale Biosyntheserate von 1,25-
ciumresorption, wodurch einer vorübergehenden Hyper- Dihydroxycholecalciferol durch den Calciumspiegel regu-
calciämie entgegengewirkt wird. In den Nieren fördert es liert wird, erhalten die Mukosazellen über diesen Meta-
die Calciumausscheidung. boliten die Information über die Höhe des Plasmacalcium-
938 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

spiegels, die die Grundlage zur Förderung oder Hemmung Hyposthenurie, Hypokalikämie), der Gastrointestinaltrakt
der intestinalen Resorption bildet. und das Herz (EKG-Veränderungen).
Verursacht werden Hypercalciämien durch eine ge-
! Die Plasmaphosphatkonzentration wird über verschie-
steigerte Freisetzung von Calcium aus den Knochen oder
dene Hormonsysteme reguliert.
eine vermehrte Resorption im Darm. Während ein Mangel
Eine Erhöhung der Plasma-Phosphatkonzentration kommt an Thyreocalcitonin beim Menschen noch nicht als Ursa-
durch folgende Mechanismen zustande: che für eine Hypercalciämie nachgewiesen werden konnte,
4 Wachstumshormon fördert die Phosphatreabsorption können Erhöhungen der Plasmacalciumkonzentration
durch die Nieren und führt so zu einer höheren Plasma- durch eine vermehrte Resorption bei der Überdosierung
phosphatkonzentration v.a. in der Wachstumsphase von Vitamin-D-Präparaten auftreten. Die wichtigste Ur-
4 Vitamin D, Parathormon, Thyroxin aber auch eine sache bilden jedoch die osteolytischen Syndrome, wobei
Azidose fördern den Knochenabbau und damit die man bedenken sollte, dass bei der Zerstörung von 1 g Kno-
Freisetzung von Phosphat und Calcium in den Extra- chen etwa 2,5 mmol (100 mg) Calcium freigesetzt werden.
zellulärraum
Primärer und sekundärer Hyperparathyreoidismus. Die
Zu einer Erniedrigung der Plasma-Phosphatkonzentration klassische Form für die osteolytischen Syndrome ist der
kommt es durch: primäre Hyperparathyreoidismus, bei dem durch Tu-
4 Parathormon, das eine Hemmung der Phosphatreab- moren der Nebenschilddrüsen oder auch durch eine ekto-
sorption im proximalen Tubulus auslöst pische Hormonproduktion anderer Tumoren unabhängig
4 Thyreocalcitonin, das die Plasma-Phosphatkonzen- vom Bedarf Parathormon sezerniert wird, das dann eine
tration über eine Hemmung der Knochenresorption gesteigerte Osteolyse in Gang setzt. Dies führt zu einer
28 senkt massiven Knochenentkalkung mit Knochenverbiegungen,
4 Insulin und Glucose, die zu einer vermehrten Auf- cystischen Entkalkungsherden und schließlich Spontan-
nahme von Phosphat in den Intrazellulärraum führen frakturen. Neben den erhöhten Calciumkonzentrationen
und so einen Abfall der Plasmaphosphatkonzentration sind erniedrigte Phosphatkonzentrationen im Serum ty-
bewirken pisch für den primären Hyperparathyreoidismus.
Vom primären ist der sekundäre Hyperparathyreoi-
dismus abzugrenzen, bei dem eine reaktive Überfunktion
28.6.4 Pathobiochemie des Phosphat- der Epithelkörperchen vorliegt. Sie wird durch Hypocalci-
und Calciumhaushalts ämien aufgrund der verschiedensten Erkrankungen, wie
Störungen der intestinalen Calciumresorption, Vitamin-D-
! Eine Hypophosphatämie beeinträchtigt den ATP-Haus- Mangel, Nierenerkrankungen usw., ausgelöst. Typisch für
halt. dieses Krankheitsbild sind erniedrigte bis normale Serum-
calciumspiegel bei erhöhten PTH-Konzentrationen.
Gründe für eine Hypophosphatämie sind
4 Phosphatverluste infolge Funktionsstörungen im Nie- Tumorhypercalciämie. Auch Tumoren, bei denen Tochter-
rentubulus, denen entweder ein genetischer Defekt oder geschwülste im Skelettsystem auftreten (z.B. bei Mamma-
eine erworbene Schädigung zugrunde liegt, oder und Prostatakarzinom), können mit sog. malignen Hyper-
4 eine Verteilungsstörung, wenn z.B. bei parenteraler Er- calciämien einhergehen. An der Entstehung von Tumor-
nährung eine gesteigerte Aufnahme von Phosphat in hypercalciämien sind von den Tumorzellen gebildete
den Muskel und ins Fettgewebe erfolgt Hormone oder Cytokine (wie TNF-α oder PTH-related-
protein) beteiligt, welche die Osteoklasten stimulieren.
Hypophosphatämien führen u.a. zum ATP- und 2,3-Bis-
! Eine Hypocalciämie kann verschiedene Ursachen ha-
phosphoglyceratmangel (2,3-BPG). Der Erstere löst u.a. ei-
ben; sie erhöht akut die neuromuskuläre Erregbarkeit
ne allgemeine Muskelschwäche und Myokard-Insuffizienz
und führt chronisch zu Entwicklungsstörungen.
aus, Letzteres führt zu einer Verschlechterung der Sauer-
stoffversorgung der peripheren Gewebe (7 Kap. 29.2.2) Ursachen der Hypocalciämie. Erniedrigungen der Plasma-
calciumkonzentration treten bei intestinalen Resorptions-
! Eine Hypercalciämie ist meist osteolytisch bedingt
störungen, Unterfunktion der Nebenschilddrüsen (Hypo-
und beeinträchtigt die Funktion zahlreicher Organ-
parathyreoidismus, 7 u.), gesteigertem Calciumbedarf in
systeme.
der Schwangerschaft sowie gelegentlich bei Thyreocal-
Bild der Hypercalciämie. Erhöhungen des Calciumspiegels citoninüberproduktion auf. Ein akuter Abfall des ionisier-
im Blut über die obere Normgrenze (etwa 2,6 mmol/l) füh- ten Calciums kann durch eine Hyperventilation bewirkt
ren zu Funktionsstörungen verschiedener Organe. Haupt- werden, da die dadurch verursachte Alkalose (7 Kap. 28.8.6)
sächlich betroffen sind die Nieren (Polyurie, Polydipsie, die Bindung von Calcium an die Plasmaproteine erhöht.
28.7 · Der Magnesium- und Sulfathaushalt
939 28

Der Abfall des ionisierten Calciums führt zu Muskelkrämp- Zur Behandlung des Hypoparathyreoidismus werden
fen (Tetanie) (7 o.), die sich vor allem in der Perioralmus- Calcium, PTH und besonders Vitamin D oder verwandte
kulatur und der Fingermuskulatur bemerkbar machen. Verbindungen angewendet. Die Wirkung des Vitamins D
beruht insbesondere auf einer Steigerung der Resorption von
Hypoparathyreoidismus. Die häufigste Ursache für eine Calcium im Dünndarm und auf einer Stimulierung der Phos-
Unterfunktion der Nebenschilddrüsen, einen Hypopara- phatausscheidung durch die Nieren, der Calciumspiegel im
thyreoidismus, ist die unbeabsichtigte Entfernung der Blut wird deshalb angehoben. Beim so genannten Pseudo-
Nebenschilddrüsen bei Operationen an der Schilddrüse. In hypoparathyreoidismus liegt kein Hormonmangel vor,
seltenen Fällen kann auch eine Autoimmunerkrankung zu sondern die Nierentubuli sprechen wegen Rezeptordefekten
einer Unterfunktion der Parathyreoidea führen. nicht adäquat auf PTH an, weshalb die renale Ausscheidung
Die Hauptsymptome sind Muskelschwäche, erhöhte von Calcium erhöht und von Phosphat vermindert ist.
muskuläre Erregbarkeit und Tetanie. Hypoparathyreoi-
dismus im frühen Kindesalter führt zu einem Wachstums- Thyreocalcitoninüberproduktion. Eine Thyreocalcitonin-
stillstand, einer defekten Zahnentwicklung und einer geis- überproduktion findet man bei Schilddrüsenkarzinomen,
tigen Retardierung. die von den C-Zellen der Schilddrüse ausgehen. Trotz der
Das Serumcalcium ist erniedrigt, der Serumphosphat- teilweise erheblichen Thyreocalcitoninsekretion derartiger
spiegel erhöht. Im Urin wird wenig bis kein Calcium ausge- Tumoren kommt es nur bei einer Minderzahl der betrof-
schieden und auch die Phosphatausscheidung ist niedrig, fenen Patienten zu einer Hypocalciämie. Der meist norma-
ohne dass eine Nierenerkrankung vorliegt. Die Serum- le Calciumspiegel im Blut wird offensichtlich durch eine
spiegel an Magnesium und Hydroxyprolin sind ebenfalls effektive Gegenregulation durch PTH aufrechterhalten.
erniedrigt. Die PTH-Spiegel, die normalerweise schon sehr Auch bei kleinzelligen Bronchialkarzinomen sowie bei
niedrig sind, sind weiter abgesenkt und liegen unterhalb der Pankreaskarzinomen kommt es häufig zu einer ekto-
Nachweisgrenze. pischen Thyreocalcitoninproduktion.

In Kürze
Der Calcium- und Phosphatstoffwechsel sind nicht nur fischen Calcium-Rezeptor in der Membran der Neben-
mit dem Stoffwechsel des Skelettsystems eng verknüpft, schilddrüsenzellen zu einer erhöhten PTH-Sekretion.
sondern auch mit der Aufrechterhaltung nahezu aller PTH erhöht die intestinale und renale Resorption von
zellulärer Funktionen. Calcium und verringert die tubuläre Reabsorption von
Die Regulation der extrazellulären Calciumkonzen- Phosphat.
tration erfolgt durch die Hormone Parathormon (PTH), 1,25-Dihydroxycholecalciferol, die aktive Form des
1,25-Dihydroxycholecalciferol und Thyreocalcitonin. Vitamin D, wird in Abhängigkeit von PTH in den Nieren
Zielgewebe dieser Hormone sind die Zellen der Darm- aus 25-Hydroxycholecalciferol gebildet. Es fördert die
mukosa, der Nierentubuli und der Knochen. Calciumresorption im Intestinaltrakt und erleichtert die
Das in den Nebenschilddrüsen gebildete Parat- Wirkung von Parathormon am Knochen.
hormon ist der wichtigste Regulator des Calciumspie- Das in den parafolliculären Zellen der Schilddrüse
gels im Extrazellulärraum. Jeder Abfall der Konzentra- produzierte Thyreocalcitonin senkt die extrazelluläre
tion des ionisierten Calciums führt über einen spezi- Konzentration an freiem Calcium.

28.7 Der Magnesium- und Sulfat- len Angriff zugänglich. Auch bei der oxidativen Phospho-
haushalt rylierung in den Mitochondrien, verschiedenen Stufen
der Proteinbiosynthese im Cytosol (Assoziation der ribo-
28.7.1 Magnesiumhaushalt somalen Untereinheiten, Aktivierung der Aminosäuren)
und der Nucleinsäurebiosynthese im Kern ist Magnesium
! Magnesium ist an intrazellulären Reaktionen von Phos- beteiligt.
phatgruppen beteiligt. Von klinischer Bedeutung ist die calciumantagonis-
tische Wirkung des Magnesiums. Es blockiert Calcium-
Magnesium nimmt an vielen Reaktionen teil, bei denen kanäle und damit den Einstrom von Calcium z.B. in synap-
Phosphatgruppen übertragen, Phosphatester gespalten tische Endköpfe (vermindert damit Transmitterfreisetzung),
oder gebildet werden, da das Substrat dieser Enzyme (z.B. in die glatte Gefäßmuskulatur und die Herzmuskelzelle.
ATPasen in Membranen, alkalische und saure Phospha- Darauf beruht die Anwendung pharmakologischer Ma-
tasen, Pyrophosphatasen) ein ATP2–-Mg2+-Komplex ist. gnesiumgaben bei Muskelkrämpfen und Herzinfarkt mit
Magnesium macht dabei das Phosphat einem nucleophi- Rhythmusstörungen.
940 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

! Über 95% des Körpermagnesiums befinden sich im Da die intrazelluläre Konzentration höher als die des
Intrazellulärraum. Extrazellulärraums ist, weisen auch die Erythrozyten eine
höhere Konzentration als das Blut auf (2,5–2,75 mmol/l).
Magnesiumbedarf. Der Magnesiumbedarf des Menschen Im Knochen ist Magnesium nicht fest gebunden, sondern
ist unbekannt. Er hängt nicht nur vom Gesundheitszustand, rasch mobilisierbar. Der Gesamtbestand des 70 kg schweren
sondern auch von der Zusammensetzung der Nahrung und Erwachsenen beträgt bei 11,5–16,5 mmol/kg Körperge-
insbesondere deren Calcium- und Proteingehalt ab. Mit wicht 800–1150 mmol (etwa 24–25 g) und nimmt mit dem
8,2–12,3 mmol (200–300 mg) pro Tag ist die Bilanz ausge- Alter ab.
glichen. Von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung
wird die tägliche Zufuhr von 14,4 mmol (350 mg) empfoh- Ausscheidung. Die Ausscheidung erfolgt fast ausschließ-
len. Reich an Magnesium ist grünes Blattgemüse aufgrund lich über glomeruläre Filtration in der Niere und wird
seines hohen Chlorophyllgehalts sowie Nüsse und Ge- durch die Reabsorption in den Tubuli begrenzt (7 o.). Im
treide. Normalfall werden ca. 5% des filtrierten Mg2+ mit dem Urin
ausgeschieden (3–6 mmol/24 h). Wegen der Kompetition
Intestinale Resorption. Nur etwa 30% des mit der Nahrung von Mg2+ mit Ca2+, führt jede Erhöhung des Serumcal-
zugeführten Magnesiums werden aufgenommen. Seine ciumspiegels zu einer stärkeren Magnesiumausscheidung
Resorption erfolgt über einen noch unbekannten Mecha- und umgekehrt.
nismus durch die Dünndarmmukosa, in geringeren Men- In geringen Mengen wird Magnesium auch mit dem
gen auch im Magen, nachdem das Magnesium des Pflan- Schweiß und in den Darm ausgeschieden.
zenchlorophylls durch Salzsäure abgespalten worden ist.
! Über die Regulation des Magnesiumstoffwechsels ist
Vitamin D3, Parathormon, Wachstums- und Schilddrüsen-
28 hormone steigern die intestinale Resorption.
bisher nur wenig bekannt.

Die intrazelluläre Magnesiumkonzentration ist erstaunlich


Verteilung im Organismus. Die Magnesiumkonzentration unabhängig von der extrazellulären Magnesiumkonzentra-
im Blut beträgt 0,8–1,0 mmol/l. Davon sind etwa 32% an tion. In den Mitochondrien wird Magnesium in Form von
Proteine (. Tabelle 28.9) gebunden. Der Liquor cerebro- Mg3(PO4)2-Komplexen angereichert, weswegen der Ma-
spinalis enthält mit 1,25–1,5 mmol/l fast doppelt soviel Ma- gnesiumspiegel in Mitochondrien höher als im Cytosol ist.
gnesium. Aus dem Extrazellulärraum (1,3% des Gesamt- Die Schilddrüsenhormone beeinflussen den Plasma- (Er-
bestands) gelangt Magnesium in die Körperzellen (95% des niedrigung) und Zellgehalt (Erhöhung) sowie die Urinaus-
Gesamtbestands), wobei es v.a. in Apatit und Proteinen des scheidung von Magnesium (Erhöhung). Da auch die intes-
Skeletts (67%) und in Organen mit hoher Stoffwechselak- tinale Resorption gesteigert wird, entsteht unter der Gabe
tivität wie Herz, Leber, Zentralnervensystem und Musku- von Schilddrüsenhormonen insgesamt eine positive Ma-
latur (31%) angereichert wird. gnesiumbilanz. Genau die entgegengesetzten Wirkungen
werden bei der Schilddrüsenunterfunktion beobachtet.

. Tabelle 28.9. Daten zum Magnesiumstoffwechsel ! Ein Magnesiummangel wird durch vermehrten Ver-
brauch oder verminderte Aufnahme hervorgerufen.
Verteilung von mmol/l Prozentualer
Magnesium im Anteil an der Die Magnesiumaufnahme beim Menschen kann durch
normalen Plasma Gesamtmenge
proteinreiche Ernährung (hoher Magnesiumbedarf und
Ionisiert 0,53 55 Hemmung der Resorption), calciumreiche Kost, Mangel an
Proteingebunden 0,30 32 Thiamin (B1) und Pyridoxin (B6), durch höheren Alkohol-
Komplexiert 0,07 7 konsum (hemmt Magnesiumresorption), und durch Ma-
Nicht identifiziert 0,06 6 gnesiummangelernährung verringert sein. Auch die Be-
einträchtigung der renalen Reabsorption von Magnesium
Gesamtmenge 0,96 100
kann einen Mangelzustand herbeiführen.
Normalbereich im 0,8–1,0 mmol
Symptome des Magnesiummangels sind nervöse Stö-
Blutplasma
rungen mit Schwindelzuständen, Kribbeln in Händen und
Tägliche Ausscheidung 3,0–6,0 mmol/24 h
Füßen sowie Muskelkrämpfe, die sich mit der Funktion von
mit dem Urin
Magnesium bei der synaptischen Erregungsübertragung
Gesamtbestand des 115–165 mmol/kg
(neuromuskuläre Endplatte!) erklären lassen.
Organismus Körpergewicht
Empfohlene tägliche 8–14 mmol
Zufuhr mit der Nahrung
28.7 · Der Magnesium- und Sulfathaushalt
941 28

. Abb. 28.37. Aktivierung von Sulfat

28.7.2 Schwefelhaushalt in Form von Schwefelwasserstoff frei wird. Dieser wird


nach Oxidation zu anorganischem Sulfat (Plasmakon-
! Sulfat ist Endprodukt des organischen Schwefelstoff- zentration 0,5–1,5 mmol/l) in der Niere glomerulär fil-
wechsels. triert und im proximalen Tubulus im Cotransport mit
2Na+ wieder reabsorbiert. Basolateral verlässt es den
Schwefel ist wesentlicher Bestandteil der Seitenketten der proximalen Tubulus dann wieder im elektroneutralen
proteinogenen Aminosäuren Cystein und Methionin. Austausch mit Cl–. Nicht reabsorbiertes Sulfat wird in
Methionin kann in Cystein überführt werden, bei dessen Begleitung von Kationen mit dem Urin ausgeschieden
Abbau zu Kohlendioxid, Wasser und ATP der Schwefel (anorganisches Sulfat). Die tägliche Sulfatausscheidung

. Abb. 28.38. Bildung, Verwendung und Ausscheidung von Sulfat


942 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

beträgt in Abhängigkeit von der zugeführten Protein- Die Konjugation mit Sulfat in der Leber ist Teil der
menge 30–60 mmol. Phase 2 des Biotransformationssystems (7 Kap. 33.3.1); die
dabei entstandenen Konjugationsprodukte werden nach
! Sulfat ist Bestandteil von Proteoglykanen und wichtig Ausscheidung in den Urin insgesamt als Äther-Schwefel-
für Konjugationsreaktionen. Fraktion bezeichnet. Beim Abbau sulfatierter Verbindungen
wie den Glycosaminoglykanen oder Sulfatiden wird Sulfat
Sulfat kann auch zu Phosphoadenosylphosphosulfat durch spezifische Sulfatasen freigesetzt und kann nach
(PAPS) aktiviert werden, das dann für Konjugationsreak- Aktivierung erneut verwendet werden. In den Urin ausge-
tionen oder zur Biosynthese von Glycosaminoglykanen schiedenes Cystein und Taurin werden als Neutralschwefel
(7 Kap. 17.3.5) oder Sulfatiden (7 Kap. 18.2) verwendet wird bezeichnet (. Abb. 28.38).
(. Abb. 28.37).

In Kürze
4 Über 95% des Körpermagnesiums befinden sich im 4 Sulfat ist Endprodukt des organischen Schwefelstoff-
Intrazellulärraum wechsels
4 Über die Regulation des Magnesiumstoffwechsels ist 4 Sulfat ist Bestandteil von Proteoglykanen und wichtig
bisher nur wenig bekannt für Konjugationsreaktionen
4 Ein Magnesiummangel wird durch vermehrten Ver-
brauch oder verminderte Aufnahme hervorgerufen

28
28.8 Der Säure-Basen-Haushalt Während CO2 in der Lunge abgeatmet wird (. Abb. 28.39),
müssen diese über die Nieren ausgeschieden werden.
28.8.1 Notwendigkeit der Konstanthaltung
der Protonenkonzentration ! Täglich werden bei körperlicher Tätigkeit etwa 24 mol
(1,2 kg) Kohlendioxid über die Lungen abgeatmet.

! Änderungen der Protonenkonzentration beeinträchti- Kohlendioxid wird bei vielen katabolen Reaktionen durch
gen eine Vielzahl von zellulären Reaktionen. dehydrierende oder nicht dehydrierende Decarboxylierung
freigesetzt (. Tabelle 28.10). Ein geringer Teil des freien
Die Interaktionen eines Enzyms mit seinem Substrat oder Kohlendioxids kann in Carboxylierungsreaktionen wieder
eines Hormons mit seinem Rezeptor werden u.a. von elek- fixiert werden, der überwiegende Teil – etwa 24000 mmol
trostatischen Wechselwirkungen bestimmt. Sie werden pro Tag beim gesunden Erwachsenen mit normaler kör-
deshalb durch Änderungen der Wasserstoffionenkonzen- perlicher Aktivität – wird durch die Carboanhydrase in
trationen beeinflusst, die eine Protonenabspaltung bzw. Hydrogencarbonat und Protonen umgewandelt:
-anlagerung und damit Ladungsänderung der reagie-
renden Moleküle verursachen. Der pH beeinflusst somit
die katalytische Aktivität von Enzymen, die Funktion von
Ionenkanälen oder die Bildung von Signalsubstanzen. Hydrogencarbonat wird im Plasma zu den Lungen trans-
Damit die zahlreichen, zeitlich und räumlich nebeneinan- portiert, die bei der Bildung von Hydrogencarbonationen
der ablaufenden enzymatischen Reaktionen und Reak- entstehenden Protonen werden vorwiegend durch Hämo-
tionsketten in der Zelle koordiniert funktionieren kön- globinmoleküle abgepuffert. Im Bereich der Lungen wer-
nen, muss demzufolge die Protonenkonzentration durch den die Protonen wieder abgegeben und für die Carboan-
Puffersysteme in engen Grenzen konstant gehalten wer- hydrase-Rückreaktion verwendet. Das dabei entstehende
den. pH-bedingte Störungen auf zellulärer Ebene machen CO2 wird abgeatmet.
sich systemisch als Funktionsstörungen (z.B. Arrhyth-
! Der Abbau von Aminosäuren liefert einen Überschuss
mien) bemerkbar.
nichtflüchtiger Säuren.

Der Aminosäureabbau trägt wesentlich zur Produktion


28.8.2 Entstehung von Säuren nichtflüchtiger Säuren bei:
im Stoffwechsel 4 Beim Abbau der schwefelhaltigen Aminosäuren Cystein
und Methionen entsteht als Endprodukt Schwefelsäure
Als Endprodukte des Stoffwechsels entsteht v. a. CO2 sowie 4 Der Abbau der basischen Aminosäuren Lysin, Arginin
je nach Nahrungszusammensetzung 50–100 mmol Säuren und Histidin liefert neben neutralen Produkten ein
wie Schwefelsäure, Phosphorsäure und organische Säuren. Proton
28.8 · Der Säure-Basen-Haushalt
943 28

. Tabelle 28.10. Stoffwechsel von Kohlendioxid in der tierischen Zelle: Decarboxylierungen und Carboxylierungen (Auswahl)
Substrat Produkt Stoffwechselweg
Decarboxylierungen
Dehydrierende Decarboxylierung von D-Ketosäuren
D-Ketopropionat (Pyruvat) Acetyl-CoA Glucoseabbau
D-Ketobutyrat Propionyl-CoA Threonin- und Methioninabbau
D-Ketoisocapronat Isovaleryl-CoA Leucinabbau
D-Ketovalerianat Isobutyryl-CoA Valinabbau
D-Keto-β-Methylvalerianat D-Methylbutyryl-CoA Isoleucinabbau
D-Ketoglutarat Succinyl-CoA Citratzyklus
D-Ketoadipat Glutaryl-CoA Lysin- und Tryptophanabbau
Decarboxylierung von β-Ketosäuren
Isocitrat D-Ketoglutarat Citratzyklus
β-Keto-1-Phosphogluconat D-Ribulose-5-Phosphat Pentosephosphatweg
β-Ketobutyrat (Acetacetat) Aceton Ketonkörper
D-Amino-β-Ketoadipat δ-Aminolävulinat Porphyrinbiosynthese
β-Keto-L-Gulonat L-Xylulose Urinsäureweg
Carboxylierungen
Pyruvat Oxalacetat Gluconeogenese
Ammoniak bzw. Glutamin Carbamylphosphat Harnstoff- bzw. Pyrimidinbiosynthese
Acetyl-CoA Malonyl-CoA Fettsäurebiosynthese
Propionyl-CoA D-Methylmalonyl-CoA Fettsäureabbau
β-Methylcrotonyl-CoA β-Methylglutaconyl-CoA Leucinabbau

5-Aminoimidazolribonucleotid 5-Aminoimidazol-4-carboxylat-Ribonucleotid Purinbiosynthese

4 Beim Abbau von Glutamat und Aspartat werden Pro- 28.8.3 Verteilung der Protonen zwischen
tonen verbraucht, was einer Nettoproduktion von Intra- und Extrazellulärraum
HCO3– entspricht.
Gebräuchlicherweise wird die H+-Ionenkonzentration als
Insgesamt resultiert aus dem Proteinabbau ein Überschuss pH-Wert angegeben:
an nicht flüchtigen Säuren, was auch als sog. Säureüber- 4 Im Blut und damit auch im Extrazellulärraum liegt der
schuss der Nahrungsproteine bezeichnet wird. Mit protein- pH im Mittel bei 7,4 (40 nMol H+/l) mit einem physio-
reichen Nahrungsmitteln, wie z.B. Fleisch, Eiern oder Ge- logischen Schwankungsbereich von pH 7,36–7,44
treideprodukten entsteht ein saurer Urin, mit Milch, Obst 4 Der intrazelluläre pH-Wert liegt in der Regel etwas
und Gemüse (lactovegetabile Kost) ein alkalischer Harn. unter dem extrazellulären im Bereich von pH 7,0–7,2
Die normale Mischkost aus säure- und basenüberschüs-
sigen Nahrungsstoffen liefert täglich etwa 60 ± 20 mmol In fast allen Zellen existieren aktive Transportmechanis-
Protonen. Die durch extrem einseitige Ernährung erreich- men für den H+-Export bzw. Basenimport.
baren Überschüsse sollen in beiden Richtungen bei etwa Im Stoffwechsel anfallende Säuren/Basen können die
150 mmol/24 h liegen. Zellmembran auf verschiedenen Wegen permeieren:
4 durch nichtionische Diffusion der ungeladenen Form
! Das Phosphat der Nahrung ist ebenfalls eine Protonen-
schwacher Säuren und Basen wie z.B. NH3 oder CO2
quelle.
4 über den Na+/H+-Antiport; hier wird der passive Na+-
Die übrigen mit der Nahrung zugeführten Protonen stam- Einstrom zum Export von H+ genutzt; es ist ein ubiqui-
men im Wesentlichen aus dem Nahrungsphosphat; anor- täres System, das in allen Zellen vorliegt und bei intra-
ganisches Phosphat, das z.B. in einem sauren Fruchtsaft zellulärer Azidose aktiviert wird
überwiegend als Dihydrogenphosphat vorliegt, geht im al- 4 über H+/(K+)-ATPasen
kalischen Milieu des Darmes in Hydrogenphosphat unter 4 über die in vielen Zellen vorkommenden Cl–/HCO3–-
Freisetzung von Protonen über. Antiporter bzw. Na+/HCO3–-Cotransportsysteme, die
944 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

in Abhängigkeit von den aktuellen elektrochemischen jedoch nur mit 1% an der extrazellulären Gesamtpuffer-
Gradienten eine Nettoverschiebung von Base (HCO3–) kapazität beteiligt. In der Zelle findet sich Phosphat in
zwischen Extra- und Intrazellulärraum erlauben wechselnd hohen Konzentrationen (100–150 mmol/l),
wobei es allerdings überwiegend an Makromoleküle ge-
bunden ist.
28.8.4 Puffersysteme Dem Ammoniak-/Ammonium-System kommt auf-
grund seiner sehr geringen Konzentration (40 mmol/l) und
Während für die Pufferung im Intrazellulärraum Phos- des ungünstigen pK-Werts (9,40) keine Bedeutung bei der
phat- und Proteinat-Puffer (7 u.) entscheidend sind, wird Pufferung im Extrazellulärraum zu.
der pH-Wert des Extrazellulärraums durch verschiedene Alle genannten Puffersysteme stehen – als Bestandteile
andere Puffersysteme eingestellt. einer gemeinsamen Lösung – miteinander im Gleichge-
wicht:
! Das Kohlendioxid-Hydrogencarbonat-System und
Proteine sind die wichtigsten extrazellulären Puffer.

Kohlendioxid-Hydrogencarbonat-Puffersystem. Von den


Puffern des Extrazellulärraums – zusammenfassend als
Pufferbasen bezeichnet – stellt das Kohlendioxid-Hydro- ! Pufferkapazität und Basenüberschuss des Bluts charak-
gencarbonat-System, das vorwiegend im Plasma lokalisiert terisieren die Pufferfähigkeit des Körpers.
ist, etwa die Hälfte dar. Es ist als sog. offenes Puffersystem
von ganz besonderer physiologischer Bedeutung. Pufferkapazität. Unter Pufferkapazität versteht man die
Menge an Säure oder Base (mmol/l), die benötigt wird, um
28 den pH eines Liters Lösung um eine Einheit zu verändern.
Die Pufferkapazität ist dabei von der Pufferkonzentration
Mit den im Plasma nachgewiesenen Konzentrationen aber auch vom pH-Wert der Lösung und dem pK-Wert des
ergibt sich mit der Henderson-Hasselbalch-Gleichung Puffers abhängig. Sie ist am größten, wenn pH = pK ± 1. Da
(7 Kap. 1.2.6) bei einem pKc von 6,1 im offenen Puffersystem die Reaktionsprodukte der Puf-
ferung entfernt werden, ist die Pufferkapazität deutlich
höher als im geschlossenen System.
. Tabelle 28.11 zeigt die Pufferkapazität des Bluts, von
der rund 3/4 auf das CO2/HCO3–-System entfallen. Als
Nicht-Hydrogencarbonatpuffer. Hierunter fallen die geschlossenes System ergibt sich eine Pufferkapazität von
Aminosäureseitenketten der Proteine (Proteinatpuffer). rund 24 mmol/l/pH, als offenes System jedoch eine dreimal
Proteine sind Ampholyte und können im physiologischen höhere. Durch die kompensatorischen Atemregulationen
pH-Bereich Protonen vor allem an die Imidazolgruppen zur Einstellung des Kohlendioxidpartialdrucks, die aber
des Histidins und die SH-Gruppen des Cysteins assoziie- streng genommen nicht mehr unter den Begriff der Puffe-
ren. Unter diesen Puffersystemen, deren Anteil an der rung fallen, können die Gesamtkapazität und auch der pro-
Gesamtkonzentration 50%, an der Gesamtpufferkapazität zentuale Anteil des CO2-Hydrogencarbonat-Systems noch
(7 u.) jedoch nur 25% beträgt, nimmt das Hämoglobin beträchtlich erhöht werden.
aufgrund seiner hohen Konzentration (160 g/l Blut) und des
hohen Gehalts an Imidazolgruppen (mehr als 50 mmol/l Basenüberschuss. Die Gesamtheit aller puffernden Basen-
Blut), die vorrangige Stellung ein. Da der pK-Wert des anionen im Blut (Hauptkomponenten HCO3– und Hä-
desoxygenierten Hämoglobins mit 8,25 höher als der moglobin) ergibt die Gesamtpufferbasenkonzentration,
des oxygenierten Hämoglobins (6,95) liegt, ist Desoxyhä- die bei ca. 48 mmol/l liegt. Der so genannte Basenüber-
moglobin die schwächere Säure und damit der bessere schuss (base excess = BE) ergibt sich aus der Differenz der
Puffer. aktuellen Gesamtpufferbasenkonzentration zum physio-
Die isoelektrischen Punkte der Plasmaproteine liegen logischen Sollwert. Stimmen Sollwert und Istwert überein,
ebenfalls im sauren Bereich (4,90–6,40). Sie sind daher bei ist der BE = 0. Als physiologisch werden BE-Werte zwi-
pH 7,40 Anionen, deren Pufferkapazität etwa 5 mmol/l/pH schen –2,5 mmol/l bis +2,5 mmol/l angesehen. Bei einem
beträgt. stärker negativen BE ist Pufferbase verbraucht worden
Ein weiterer relevanter Nicht-Hydrogencarbonat- (z.B. metabolische Azidose), bei positiveren BE Werten hat
Puffer ist das Dihydrogen-/Hydrogenphosphat-System sich die Pufferbasenkonzentration erhöht (metabolische
(H2PO4– H+ + HPO42–). Für seine Pufferkapazität wirkt Alkalose).
sich besonders günstig aus, dass der pK-Wert (6,880)
fast mit dem Zell-pH von ca. 7,0 übereinstimmt. Wegen
seiner geringen Plasmakonzentration (1 mmol/l) ist es
28.8 · Der Säure-Basen-Haushalt
945 28

. Tabelle 28.11. Aufschlüsselung der Pufferkapazität des Bluts


Bestandteil Pufferkapazität %
[mmol/l/pH]
Plasmaphosphat 0,4 1
Plasmaprotein 5,0 6
Plasmabicarbonat 2,6 3
Puffer im Blutplasma 8,0 10
Puffer in Erythrozyten 16,2 21
(Hämoglobin)
Puffer im Gesamtblut 24,2 31
(geschlossenes System)
Normale Ventilation 52,6 69
Gesamtblutpuffer 76,8 100
einschließlich normaler
Ventilation
(offenes System)
Kompensatorische 41,6
Atemregulation
Maximalwert 118,4

28.8.5 Regulation der Protonen-


konzentration

Obwohl die Puffersysteme des Organismus die täglich ge-


bildeten fixen Säuren leicht abpuffern können, wäre ein
Überleben ohne Ausscheidung der Protonen und damit
Regeneration der Puffer nicht möglich. Die beiden wesent-
lichen Regulationsvorgänge werden durch die Lungen und
die Nieren, vermittelt (. Abb. 28.39).
! Die Lungen sind an der Regulation über das Hydrogen-
carbonat-Puffersystem beteiligt.

Durch die Atmung wird direkt nur das CO2/HCO3–-System


betroffen. Da jedoch in einer Lösung mit mehreren Puffer-
systemen ein Gleichgewicht zwischen den einzelnen Puffern
besteht, werden indirekt auch die anderen Puffer betroffen.
Die Konzentration von Kohlendioxid in den Körper-
flüssigkeiten ist direkt vom Partialdruck des Kohlendioxids
in den Lungenalveolen (40 mmHg) abhängig:
CO2 = s u pCO2 (s = molarer Löslichkeitskoeffizient).
Der alveoläre pCO2 ist dem Verhältnis aus CO2-Produktion
des Körpers und alveolärer Ventilation proportional (7 Lehr-
. Abb. 28.39. Grundzüge des Säure-Basen-Haushalts. Im Säure-
bücher der Physiologie).
Basen-Haushalt sind die Eliminationswege und Bilanzen für Kohlen-
Entsprechend führt eine erhöhte Ventilation bei gleich dioxid und die Protonen nichtflüchtiger Säuren völlig voneinander
bleibender CO2-Produktion (Hyperventilation) zu einer getrennt. Die Verknüpfung beider Komponenten zum Säure-Basen-
Abnahme des CO2-Partialdrucks in den Alveolen, einer Gleichgewicht erfolgt durch Puffersysteme
Abnahme der CO2-Konzentration im Plasma, zur Nachbil-
dung von CO2 nach dem Massenwirkungsgesetz und da- zur Ausscheidung von Protonen, da bei diesem Vorgang
durch zur Abnahme der Protonenkonzentration (Zunahme die gleiche Menge Hydrogencarbonat verbraucht wird. Ein
des pH-Wertes, Alkalose) (. Abb. 28.40). Diese Reaktion Teil der Protonen wird von Nicht-Hydrogencarbonatpuf-
kann eine schnelle Änderung der Protonenkonzentration fern (insbesondere dem Hämoglobin) nachgeliefert. Weil
hervorrufen, dient jedoch nicht als primärer Mechanismus dadurch der Anteil des dissoziierten Hämoglobins (Hb–) als
946 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

! Die Nieren sind an der Regulation der Protonenkon-


zentration über die Ausscheidung von Protonen und
die Resorption von Hydrogencarbonat beteiligt.

Die Funktion der Niere ist entscheidend für die langfristige


Kontrolle des pH, da über sie die Ausscheidung der nicht
flüchtigen Säuren erfolgt und sie die bei der Pufferung
verbrauchten Basenäquivalente regeneriert. Die obligate
Rückreabsorption von HCO3– im Bereich des proximalen
Tubulus (7 Kap. 28.1.5) ist die Voraussetzung für die Kons-
tanterhaltung der extrazellulären Pufferkapazität. Täglich
werden ca. 4,8 mol Hydrogencarbonat in der Niere glome-
rulär filtriert, das entspricht etwa dem 13-fachen Bestand
des gesamten Extrazellulärraums. Zusätzlich können auch
noch die B-Typ Schaltzellen des Sammelrohrs HCO3– aus-
scheiden. Die Ausscheidung der Protonen in der Niere
erfolgt über Na+/H+ Austausch, H+-ATPasen und Freiset-
zung von Ammoniak (7 o.).

. Abb. 28.40. Hyper- und Hypoventilation. a Die vermehrte Ab- ! Die Leber nimmt über die Harnstoffsynthese an der
atmung von CO2 bei Hyperventilation führt zur Abnahme des CO2- Regulation des Protonenhaushalts teil.
28 Partialdrucks, der Hydrogencarbonat- und der Protonenkonzentra-
tion. Durch die Nicht-Hydrogencarbonatpuffer (Nb-PufferH) werden Auch die Leber ist an der Regulation des Säure-Basen-
Protonen nachgeliefert und gleichzeitig Nicht-Hydrogencarbonat- Haushalts beteiligt. Bei der Oxidation des Nahrungspro-
pufferanionen gebildet, die den Verlust des Pufferanions Hydrogen- teins (etwa 90 g/Tag) entstehen Hydrogencarbonationen
carbonat ausgleichen. Die Gesamtkonzentration der Pufferanionen
(etwa 60 g bzw. 1 mol/Tag), die nicht mit dem Urin ausge-
bleibt deshalb unverändert. b Die verringerte Abatmung von CO2 bei
Hypoventilation führt zum Anstieg des CO2-Partialdrucks, der Pro- schieden werden können, sondern stattdessen in die Harn-
tonen- und Hydrogencarbonatkonzentration. Durch die Nicht-Hydro- stoffbiosynthese eingehen: Aus jeweils 2 mol HCO3– und
gencarbonatpuffer (Nb-Puffer–) werden Protonen aufgenommen NH4+ entsteht 1 mol Harnstoff, d.h. Hydrogencarbonat-
und gleichzeitig Nicht-Hydrogencarbonatpufferanionen verbraucht, und Ammoniumionelimination sind miteinander gekop-
wodurch trotz der Erhöhung der Hydrogencarbonatkonzentration
pelt (7 Kap. 33.2.2). Muss Hydrogencarbonat eingespart
die Gesamtkonzentration der Pufferanionen konstant bleibt.
Die Größen, deren Konzentration abfällt, sind mit einem grauen werden, so wird dadurch auch weniger Ammonium fixiert,
Raster, diejenigen, deren Konzentration ansteigt, mit einem roten sodass die NH4+-Ausscheidung auf alternative Stoffwech-
Raster hinterlegt selwege verlagert werden muss.
Bei einem Anstieg der Protonenkonzentration wird die
Harnstoffbiosynthese zur Einsparung von Hydrogencarbo-
Pufferbase zunimmt, ändert sich trotz des Abfalls der Hy- nat gedrosselt, das überschüssige Ammonium wird ver-
drogencarbonatkonzentration die Gesamtpufferanionen- mehrt durch Bildung von Glutamin fixiert, welches von der
konzentration nicht. Leber abgegeben wird. Die Ammoniumionen werden dann
Auf der anderen Seite führt eine herabgesetzte Atmung in den Urin durch renale Freisetzung aus Glutamin ausge-
(Hypoventilation) zu einer Erhöhung des CO2-Partial- schieden. Umgekehrt fließt bei einem Abfall der Protonen-
drucks in den Alveolen, zu einer Zunahme der CO2-Kon- konzentration vermehrt Hydrogencarbonat in den Harn-
zentration im Plasma, zu der Verlagerung der Reaktion stoffzyklus; das in äquimolaren Mengen erforderliche NH4+
auf die rechte Seite und dadurch zur Zunahme der Pro- wird durch die vermehrte intrahepatische Hydrolyse (peri-
tonenkonzentration (Abnahme des pH-Wertes, Azidose) portale Zellen) von Glutamin (Glutaminase-Reaktion) be-
(. Abb. 28.40). Diese Reaktionen, durch die der CO2-Par- reitgestellt, das in diesem Fall von der Leber aufgenommen
tialdruck auf das 2- bis 3-fache (von 40 auf 80–120 mmHg) wird (. Abb. 28.41).
angehoben werden kann, führen zu einer Erhöhung der
Hydrogencarbonatkonzentration. Da ein Teil der gebilde-
ten Protonen durch Nicht-Hydrogencarbonatpufferanio- 28.8.6 Pathobiochemie des Säure-Basen-
nen aufgenommen wird, ändert sich wegen des damit ver- Haushalts
bundenen Abfalls der Nicht-Hydrogencarbonatpuffer-
anionen die Gesamtpufferbasenkonzentration trotz des ! Azidosen und Alkalosen sind die Störungen des Säure-
Hydrogencarbonatanstiegs nicht. Basen-Haushalts.
28.8 · Der Säure-Basen-Haushalt
947 28

. Abb. 28.41. Wechselwirkung zwischen Leber und Niere bei der wird die Glutaminase in der Leber gehemmt und in der Niere stimu-
Säure-Basen-Ausscheidung. Die Leber fixiert Protonen und Am- liert. Somit werden Protonen und Ammoniak direkt in der Niere aus-
moniak zum einen direkt in der Harnstoffsynthese wie auch bei der geschieden, es wird weniger Harnstoff gebildet, wodurch Pufferba-
Bildung von Glutamin aus Glutamat. Glutamin wird sowohl in der sen gespart werden. Bei einem Basenüberschuss (Alkalose) hingegen
Leber wie auch der Niere durch Glutaminasen wieder desaminiert. geschieht das Gegenteil. Durch die gegenläufige Aktivierung der
In der Niere werden die Ammoniumionen mit dem Urin ausgeschie- hepatischen und renalen Glutaminasen, werden Protonen und Am-
den, in der Leber werden sie wiederum zur Harnstoffsynthese verwen- moniak in der Niere vermindert ausgeschieden. Entsprechend wird
det. Da die Harnstoffsynthese Hydrogencarbonat benötigt, werden mehr Harnstoff gebildet wodurch auch vermehrt Pufferbasen ver-
mit der Protonenausscheidung in Form von Harnstoff auch Puffer- braucht und ausgeschieden werden
basen verbraucht. Bei einer Säurebelastung des Körpers (Azidose)

Definitionen von Störungen. Da die Kenntnisse über die Kompensation von Störungen. Primär respiratorische Stö-
Regulation des pH-Wertes im Intrazellulärraum noch nicht rungen können durch nichtrespiratorische Vorgänge kom-
weit fortgeschritten sind, muss man sich bei der Beurtei- pensiert werden, primär nichtrespiratorische Störungen
lung des Säure-Basen-Haushalts immer noch auf den Ex- durch respiratorische Vorgänge. Inwieweit es dabei dem
trazellulärraum beschränken. Organismus gelingt, eine Störung durch Pufferung und
Eine Abweichung des pH-Wertes des Extrazellulär- aktive Kompensation auszugleichen, kann am pH-Wert ab-
raums in den sauren Bereich (ab 7,37) wird als Azidose gelesen werden.
(Azidämie), in den alkalischen (ab 7,44) als Alkalose oder
! Respiratorische Störungen resultieren aus einer Verän-
Alkaliämie bezeichnet. Mit dem Leben vereinbar sind unter
derung der CO2-Abatmung.
schwersten Komplikationen Abweichungen des pH-Wertes
bis zu 6,80 (H+-Konzentration 160 nmol/l) nach unten und Die respiratorische Azidose ist durch die ungenügende
7,70 (H+-Konzentration 20 nmol/l) nach oben. Dies be- Abatmung des im Zellstoffwechsel gebildeten Kohlen-
deutet, dass der Mensch eine 8-fache Änderung der Pro- dioxids gekennzeichnet. Der Basenüberschuss ist unverän-
tonenkonzentration im Extrazellulärraum ertragen kann, dert (7 o.). Hauptursachen dafür sind Störungen des zen-
was dem 4-fachen des tolerablen Natriumbereichs (100– tralen Atemantriebs (z.B. Sedativa, Alkohol), Störungen
200 mmol/l) und etwa demselben Bereich der Kaliumkon- der Atemmuskulatur und besonders Lungenfunktions-
zentration (1,5–12 mmol/l) entspricht. störungen wie Asthma, chronische Bronchitis etc. Die da-
Wird eine Azidose bzw. Alkalose durch eine Störung durch verursachte Erhöhung des Kohlendioxidpartial-
des pulmonalen Gasaustauschs verursacht, so handelt es drucks (Hyperkapnie) (pCO2> 44 mmHg) bedeutet eine
sich um eine respiratorische Azidose bzw. Alkalose. Wird Vergrößerung des Nenners der Henderson-Hasselbalch-
sie durch Stoffwechselprozesse hervorgerufen, so handelt es Gleichung
sich dagegen um eine nichtrespiratorischer oder besser
metabolischer Azidose bzw. Alkalose. Zusätzlich gibt es
auch gemischte Zustände, bei denen gleichzeitig respirato-
rische und nichtrespiratorische Störungen vorliegen. (s = molarer Löslichkeitskoeffizient für CO2).
Als Folge des erniedrigten Quotienten HCO3–/CO2
nimmt der pH-Wert ab (. Abb. 28.42).
948 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

28

. Abb. 28.42. Respiratorische und nichtrespiratorische Störungen des Säure-Basen-Haushalts. (Einzelheiten 7 Text)

Nach ca. 24 Stunden setzen dann renale Kompensa- (häufig: Angst als Hyperventilationssyndrom; Schmerz).
tionsmechanismen ein. Im proximalen Tubulus wird die Die dadurch verursachte Verringerung des CO2-Partial-
HCO3–-Resorption verstärkt, da eine intrazelluläre Azidose drucks (Hypokapnie) (<36 mmHg) bedeutet eine Verringe-
die luminale H+-Sekretion steigert (7 o.). Gleichzeitig wer- rung des Nenners der Henderson-Hasselbalch-Gleichung
den verstärkt Protonen im Sammelrohr sezerniert, was mit und damit eine Zunahme des pH-Wertes (. Abb. 28.42).
einer Abgabe von Hydrogencarbonat an den Extrazellu- Die renale Kompensation erfolgt durch eine Reduktion
lärraum verbunden ist. Somit kann die Hydrogencarbonat- der Resorption von Hydrogencarbonat im proximalen Tu-
Konzentration im Plasma stark erhöht und dadurch der bulus mit einer Einschränkung der luminalen H+-Sekretion
HCO3–/ CO2-Quotient dem Normalwert von 20:1 wieder aufgrund intrazellulärer Alkalose. Gleichzeitig werden ver-
angenähert werden. Damit wird der pH-Abnahme entge- mehrt Typ-B-Schaltzellen im distalen Nephron gebildet,
gengewirkt (. Abb. 28.42). welche luminal Hydrogencarbonat sezernieren und an der
Die respiratorische Alkalose ist durch die vermehrte basolateralen Seite Protonen in den Extrazellulärraum ent-
Abatmung von Kohlendioxid (Hyperventilation) gekenn- lassen. So wird die Hydrogencarbonat-Konzentration ge-
zeichnet. Der Basenüberschuss ist unverändert (7 o.). Die senkt, um den HCO3–/CO2-Quotienten wieder dem Nor-
Hyperventilation kann physiologische Gründe haben (Hö- malwert von 20:1 zu nähern und damit dem pH-Anstieg
henaufenthalt), sie kann aber auch andere Ursachen haben entgegenzuwirken (. Abb. 28.42).
28.8 · Der Säure-Basen-Haushalt
949 28

. Tabelle 28.12. Blutparameter bei Störungen des Säure-Basen-Haushalts


Störung pH pCO2 (mmHg) BE (mmol/l)
Keine 7,36–7,44 36–44 r2
Respiratorische Azidose << 7,36 > 44 r2
Nach Kompensation d 7,36 > 44 >2
Respiratorische Alkalose >> 7,44 < 36 r2
Nach Kompensation t 7,44 < 36 <2
Metabolische Azidose << 7,36 36–44 <2
Nach Kompensation d 7,36 < 36 <2
Metabolische Alkalose >> 7,44 36–44 >2
Nach Kompensation t 7,44 > 44 >2

! Nichtrespiratorische Störungen entstehen meist aus relevanten Parameter: pH, pCO2 und pO2 werden direkt
Säureüberproduktion oder Säurenverlust. mit Elektroden im arteriellen Blut gemessen. Ergänzend
werden Messungen der Hämoglobinkonzentration (wird
Metabolische Azidosen entstehen bei einer Erhöhung der benötigt für die Gesamtpufferbasenkonzentration) und der
endogenen Säureproduktion (Lactatazidose im Schock, arteriellen Sauerstoffsättigung durchgeführt. Die abhän-
diabetische Ketoazidose) oder bei gesteigerten Verlusten gigen Parameter wie Gesamtpufferbasenkonzentration,
von Hydrogencarbonat (Diarrhoe). Entsprechend wird der Basenüberschuss und Standard-Hydrogencarbonat werden
Basenüberschuss negativ. Nach der Henderson-Hassel- aus den Messdaten berechnet.
balch-Gleichung führt die Abnahme der Hydrogencarbo- Der pH-Wert ist bei der Beurteilung Leitparameter,
nat-Konzentration zu einem Abfall des pH-Wertes des da er angibt, ob überhaupt eine Azidose oder Alkalose vor-
Extrazellulärraums (. Abb. 28.42). Durch Pufferung und liegt:
kompensatorische Senkung des CO2-Partialdrucks (Hy- Geht eine Azidose mit einem erhöhten pCO2, bzw.
perventilation, weil Azidose das Atemzentrum stimuliert) eine Alkalose mit einem erniedrigten pCO2 einher, so
wird versucht, den normalen HCO3–/CO2-Quotienten von ist von einer primär respiratorischen Störung auszu-
20:1 wieder herzustellen und damit dem pH-Abfall entge- gehen. Solange noch keine metabolischen Kompensa-
genzuwirken (. Abb. 28.42). tionen eingesetzt haben, bleibt der Basenüberschuss nor-
Die metabolische Alkalose ist durch den Verlust mal. Erst bei metabolischen Kompensationen primär
von nichtflüchtigen Säuren (z.B. durch Erbrechen von Ma- respiratorischer Störungen ändert er sich mit einem An-
geninhaltausgelöster Verlust von HCl) oder durch einen stieg bei einer Azidose bzw. einer Abnahme bei einer Alka-
Hydrogencarbonat-Überschuss charakterisiert. Entspre- lose.
chend wird der Basenüberschuss positiv. Die Hydrogencar- Geht eine Azidose mit einem normalen oder gar er-
bonat-Zunahme bedeutet nach der Henderson-Hassel- niedrigten pCO2 bzw. eine Alkalose mit einem normalen
balch-Gleichung eine pH-Erhöhung (. Abb. 28.42). Durch oder gar erhöhten pCO2 einher, so ist von einer primär
Pufferung und kompensatorische Erhöhung des CO2-Par- metabolischen Störung auszugehen. Der Basenüberschuss
tialdrucks (Hypoventilation, weil Alkalose das Atemzen- ist verändert, und zwar erniedrigt bei einer Azidose und
trum hemmt) wird der pH-Verschiebung entgegengewirkt erhöht bei einer Alkalose. Auffällige Abweichungen des
pCO2 vom Normalwert zeigen hier bereits respiratorische
! Der Säure-Basen-Status kann durch Bestimmung der
Kompensationen an.
arteriellen Werte für pH, pCO2 und den Basenüber-
Typische Konstellationen von kennzeichnenden
schuss beurteilt werden.
Blutparametern für die verschiedenen Störungen des
Die im klinischen Einsatz befindlichen Geräte zur Erfas- Säure-Basen-Haushalts sind in der . Tabelle 28.12 dar-
sung des Säure-Basen-Status messen bzw. berechnen alle gestellt.
950 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

In Kürze
Im Stoffwechsel entstehen Kohlendioxid (Kohlensäure) Leber zentral beteiligt. Da die Ausscheidung von Proto-
und andere nichtflüchtige Säuren als Endprodukte. nen in den Nieren – im Gegensatz zur Lunge und Leber –
Da Änderungen der Protonenkonzentration eine nicht in chemisch gebundener Form erfolgt, sind im Urin
Vielzahl von zellulären Reaktionen beinträchtigen, müs- effektive Puffersysteme wie Phosphat und Ammoniak er-
sen die anfallenden Protonen zunächst gepuffert und forderlich.
anschließend ausgeschieden werden. Störungen des Säure-Basen-Haushalts werden als Azi-
Proteine und Phosphat sind die wichtigsten intra- dosen oder Alkalosen bezeichnet und können primär
zellulären Puffer, das Kohlendioxid-Hydrogencarbonat- respiratorisch oder metabolisch bedingt sein. Respirato-
System und Proteine (Hämoglobin) die wichtigsten rische Störungen resultieren aus einer Veränderung der
extrazellulären Puffer. CO2-Abatmung, nichtrespiratorische Störungen meist aus
Alle Puffersysteme stehen dabei miteinander im Säureüberproduktion oder -verlusten.
Gleichgewicht. Die Pufferfähigkeit des Körpers wird durch Respiratorische und metabolische Störungen des
die Pufferkapazität und den Basenüberschuss des Bluts Blut-pH-Werts können sich wechselseitig kompensieren.
reflektiert. Der Säure-Basen-Status kann durch Bestimmung der
An der Ausscheidung von Protonen und Pufferbasen arteriellen Werte für pH, pCO2 und den Basenexzess beur-
bzw. deren Rückgewinnung sind die Lunge, Nieren und teilt werden.

28 Literatur Kwon TH, Hager H, Nejsum LN, Andersen ML, Frokiaer J, Nielsen S (2001)
Physiology and pathophysiology of renal aquaporins. Semin Ne-
Monographien und Lehrbücher phrol 21 (3):231–238
Greger R, Windhorst U (eds) (1996) Comprehensive Human Physiology. Lacombe C, Mayeux P (1999) The molecular biology of erythropoietin.
From cellular mechanisms to integration. Springer, Berlin Heidel- Nephrol Dial Transplant 14:22–28
berg New York Levin ER, Gardner DG, Samson WK (1998) Natriuretic peptides. N Engl J
Löffler G, Petrides PE (1998) Biochemie und Pathobiochemie, 6. Aufl. Med 339 (5):321–328
Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio Morello JP, Bichet DG (2001) Nephrogenic diabetes insipidus. Annu
Schmidt RF, Thews G, Lang F (2000) Physiologie des Menschen. Springer, Rev Physiol 63:607–630
Berlin Heidelberg New York Tokio Murer H, Forster I, Hernando N, Lambert G, Traebert M, Biber J (1999)
Seldin DW, Giebisch G (eds) (2000) The Kidney, Physiology and Patho- Posttranscriptional regulation of the proximal tubule NaPi-II trans-
physiology. 3rd edn. Raven press porter in response to PTH and dietary P(i). Am J Physiol 277 (5 Pt 2):
F676–F684
Original- und Übersichtsarbeiten Murphy D, Waller S, Fairhall K, Carter DA, Robinson CA (1998) Regulation
Blume A, Kaschina E, Unger T (2001) Angiotensin II type 2 receptors: of the synthesis and secretion of vasopressin. Prog Brain Res
signalling and pathophysiological role. Curr Opin Nephrol Hyper- 119:137–143
tens 10 (2):239–246 Nicholls MG, Robertson JI (2000) The renin-angiotensin system in the
Borgnia M, Nielsen S, Engel A, Agre P (1999) Cellular and molecular year 2000. J Hum Hypertens 14 (10–11):649–666
biology of the aquaporin water channels. Annu Rev Biochem Potter LR, Hunter T (2001) Guanylyl cyclase-linked natriuretic peptide
68:425–458 receptors:structure and regulation. J Biol Chem 276 (9):6057–
Bourque CW (1998) Osmoregulation of vasopressin neurons: a synergy 6060
of intrinsic and synaptic processes. Prog Brain Res 119:59–76 Ritter M, Fuerst J, Wöll E, Chwatal S, Gschwentner M, Lang F, Deetjen P,
Chattopadhyay N (2000) Biochemistry, physiology and pathophysio- Paulmichl M (2001) Na+/H+ exchangers: Linking osmotic dysequi-
logy of the extracellular calcium-sensing receptor. Int J Biochem librium to modigied cell function. Cell Physiol Biochem 11:1–18
Cell Biol 32 (8):789–804 Schulz S, Waldman SA (1999) The guanylyl cyclase family of natriuretic
Cheung JY, Miller BA (2001) Molecular mechanisms of erythropoietin peptide receptors. Vitam Horm 57:123–151
signaling. Nephron 87 (3):215–222 Semenza GL (1999) Regulation of mammalian O2 homeostasis by hypo-
Choi D, Kim M, Park J (1996) Erythropoietin: physico- and biochemical xia-inducible factor 1. Annu Rev Cell Dev Biol 15:551–578
analysis. Chromatogr B Biomed Appl 687 (1):189–199 Strewler GJ (2000) The parathyroid hormone-related protein. Endo-
Dinh DT, Frauman AG, Johnston CI, Fabiani ME (2001) Angiotensin crinol Metab Clin North Am 29 (3):629–645
receptors: distribution, signalling and function. Clin Sci (Lond) Thibault G, Amiri F, Garcia R (1999) Regulation of natriuretic peptide
100 (5):481–492 secretion by the heart. Annu Rev Physiol 61:193–217
Forssmann WG, Richter R, Meyer M (1998) The endocrine heart and Turk E, Wright EM (1997) Membrane topology motifs in the SGLT co-
natriuretic peptides: histochemistry, cell biology, and functional transporter family. J Membr Biol 159 (1):1–20
aspects of the renal urodilatin system. Histochem Cell Biol 110 Wang Z, Deurenberg P, Wang W, Pietrobelli A, Baumgartner RN, Heyms-
(4):335–357 field SB (1999) Hydration of fat-free body mass: review and critique
Gardella TJ, Juppner H (2001) Molecular properties of the PTH/PTHrP of a classic body-composition constant. Am J Clin Nutr 69:833–41
receptor. Trends Endocrinol Metab 12 (5):210–217
Ishibashi K, Kuwahara M, Sasaki S (2000) Molecular biology of aqua- Links im Netz
porins. Rev Physiol Biochem Pharmacol 141:1–32 7 www.lehrbuch-medizin.de/biochemie

You might also like