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VO Entstehung und Frühgeschichte der Oper IV

VLZ.Nr. 170036 / SoSe 08


Doz. Ao. Univ.-Prof. Dr. Theophil Antonicek

„Heavenly Harmony“:
Henry Purcell und seine Zeit

Nicole Kolisch (nicole.kolisch@chello.at)


Mtr. Nr. 9002037
Studienkennzahl 033641

Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft


Universität Wien
VO Entstehung u. Frühgeschichte -2- Nicole Kolisch
der Oper IV / SoSe08 Matr. Nr. 9002037

INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung .............................................................................................................................. 3
1. Die Oper und ihre Vorläufer in England (vor Purcell) ......................................................... 4
1.1. Maske......................................................................................................................... 4
1.2. Farce Jigs................................................................................................................... 5
1.3. Theaterstücke mit Musik............................................................................................. 5
2. England zur Zeit der Restauration ..................................................................................... 6
2.1 Der Civil War und die Folgen ....................................................................................... 6
2.2 Die Wiederherstellung der Monarchie.......................................................................... 6
2.3 Das Theater zur Zeit der Restauration......................................................................... 7
2.4 Musik zur Zeit der Restauration ................................................................................... 8
3. Henry Purcell: Sein Leben, seine Zeit................................................................................ 9
4. Aufführungsorte & Theatre Companies.............................................................................15
5. Dido und Äneas................................................................................................................17
6. Henry Purcell und die „English Opera“: Einige Aspekte ....................................................18
7. Schlussbetrachtung ..........................................................................................................20
8. Literaturliste......................................................................................................................21
9. Andere Quellen ................................................................................................................22

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abb. 1: Titelillustration / Purcell Portrait1 ................................................................................. 1


Abb. 2: Zeittafel ....................................................................................................................... 9
Abb. 3: London Theatres….…………………....................................................................…...15
Abb. 4: Thy hand, Belinda .………………………………………………………………………...16

1
Kupferstich von Sylvester Harding, 1794. British Museum. Quelle: Curtis Price (Hg.): Purcell studies.
Cambridge: Cambridge University Press. 1995.
VO Entstehung u. Frühgeschichte -3- Nicole Kolisch
der Oper IV / SoSe08 Matr. Nr. 9002037

Einleitung
Henry Purcell war der bedeutendste Barockkomponist Englands. Seine Oper Dido und
Äneas (Z.626) wird heute weltweit gespielt; die Titelpartie der Dido zählt zum Repertoire der
größten Interpretinnen2. Zwar blieb das Stück Purcells einziger Vorstoß in Richtung
durchkomponierte Oper, aber der „Orpheus Britannicus“ schuf eine Reihe von beliebten
Semi-Operas und ein dramatisches Gesamtwerk, das Lieder und Incidental Music für über
40 Theaterstücke umfasst.
Darüber hinaus komponierte Purcell etwa 65 Anthems, 22 Sonaten, 13 Fantasien, sowie 24
Oden, 60 Catches und über 100 Songs...3 – diese Liste ließe sich noch lange fortsetzen.
Um Bedeutung und Schaffen Purcells adäquat einordnen zu können, muss jedoch auch der
Zeitgeist und das politische Geschehen seiner Epoche berücksichtigt werden.
Die Zeitachse der vorliegenden Arbeit setzt daher schon vor Purcell an, beginnend mit
seinen (musikalischen und dramatischen) Wegbereitern.

2
vgl. Dahlhaus 1994: S.140
3
vgl. The Concise Grove Dictionary of Music 1994: o.S.
VO Entstehung u. Frühgeschichte -4- Nicole Kolisch
der Oper IV / SoSe08 Matr. Nr. 9002037

1. Die Oper und ihre Vorläufer in England (vor Purcell)


„For centuries the essential ingredients of opera existed in their own right – music both vocal
and instrumental, drama, dance, design – but it was not until the end of the sixteenth century
that the appropriate catalysts were found to precipitate the new art form.”4
In England waren es drei Gattungen, die für die Entwicklung der nationalen Oper Pate
standen: Maske (engl. „masque“), Farce Jigs und Theaterstücke mit Musik.

1.1. Maske

„Die Idee der englischen Oper war weder vom Ballet noch vom Trauerspiel ausgegangen.
Sie war der legitime Nachkomme der Maske; und die Maske, in England wenigstens, war
sehr weit davon entfernt, die Charakteristik eines wahren lyrischen Dramas darzustellen.“5
Die englischen Maskenspiele lassen sich auf die Tradition der „Mummereien“ und
Maskentänze von Bauern und Bürgern zurückführen und wurden bereits im 14. Jahrhundert
am Hofe Edwards II. aufgeführt.6 Ihren Höhepunkt erreichte die Gattung im 16. Jahrhundert
durch die Werke Ben Jonsons (1572 – 1637). Zwar finden sich auch in Shakespeares
Werken (z.B. The Tempest, The Winter’s Tale u.a.) kurze Masken, aber es war der um neun
Jahre jüngere Ben Jonson „who discovered a special talent for devising and writing librettos
for these entertainments and who became closely associated with the development of the
Stuart Court masque.“7
Zwar waren viele der frühen Masken musikalisch an und für sich unbedeutend, Swanepoel
weist aber darauf hin, dass ihre Musik dennoch „von historischer Seite aus betrachtet, von
großem Wert ist, da sie abermals beweist, wie formgewandt die Engländer in der Liedform
schon damals waren und ihnen der einstimmige Gesang mit Begleitung etwas
Wohlbekanntes und lange Gepflegtes war, während der Kontinent, was den musikalischen
Ausdruck im Sologesang betrifft, noch im Finsteren tappte.“8

Während die Maske im 16. Jahrhundert noch mit einem Monolog oder Lied des Sprechers
eingeleitet wurde, entwickelte sich um die Jahrhundertwende das Rezitativ: „Jonsons ‘Lovers
Made Man’ 1617, wurde schon ganz im ‘Stylo Recitativo’ aufgeführt.“9

4
White 1983: S.21
5
R.A. Streetfield in „Grove’s Dictionary of music and musicians“, Macmillan & Co. Ltd. 1912. Zitiert
nach: Swanepoel 1926: S.1
6
vgl. Swanepoel 1926: S.1ff.
7
White 1983: S.44
8
Swanepoel 1926: S.16f
9
Swanepoel 1926: S.7
VO Entstehung u. Frühgeschichte -5- Nicole Kolisch
der Oper IV / SoSe08 Matr. Nr. 9002037

„Music and dance, declamation and song, scenes and machines, all played their part in the
success of these entertainments; although the early Italian intermedii and operas, and the
French ballets de cour, exercised some influence on the masque’s development, ultimately it
10
owed its particular excellencies to the original qualities of its various collaborators.”

Der Ausbruch des Bürgerkrieges (1642 – 1649) führte zur Schließung der Theater und zur
Unterdrückung aller Bühnenstücke. Es gab aber gelegentliche Ausnahmen, insbesondere für
Masken, die als Privatunterhaltung (z.B. in Schulen) aufgeführt werden durften.

1.2. Farce Jigs

Farce Jigs waren Nachspiele, sogenannte „Nachcomoedien“, die nach der Aufführung eines
dramatischen Bühnenwerks folgten. Ursprünglich nur ein Tanz, entwickelte sich der Jig zu
einer Form aus Tanz und Gesang, die im 16. Jahrhundert höchst beliebt war.11
White konstatiert, dass fast alle Farce Jigs durchgesungene Werke waren, die auf
gesprochene Dialoge verzichteten: „To a limited degree they can be looked on as miniature
operas or Singspiele written at a time when the fame of the newly invented Italian opera had
not yet spread abroad.“12

1.3. Theaterstücke mit Musik

Musik findet sich im englischen Theater bereits in frühen Moral Plays und Miracle Plays.13
Hörte man zu Beginn des 16. Jahrhunderts bereits Interludes in Stücken14; so etablierten
sich im Elisabethanischen Theater Lieder, Präludien und Entr’actes.
Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, über die Bedeutung von Musik im
Shakespeare’schen Drama zu schreiben. An dieser Stelle sei jedoch auf den Abschnitt
„Music in Shakespeare’s Theatre“ bei J.S. Manifold15 verwiesen.

10
White 1983: S.43
11
vgl. White 1983: S.35
12
White 1983: S.39
13
vgl. Swanepoel 1926: S.7
14
vgl. White 1983: S.27
15
Manifold 1956: Kapitel 1 bis 9
VO Entstehung u. Frühgeschichte -6- Nicole Kolisch
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2. England zur Zeit der Restauration

2.1 Der Civil War und die Folgen

1642 kommt es zum Bruch zwischen King Charles I. und dem englischen Parlament. Die
Folge ist ein neun Jahre währender Bürgerkrieg, der mit der Abschaffung der Monarchie
endet: Charles I wird hingerichtet, sein Sohn (Charles II.) verbannt, England wird zunächst
zur Republik („Commonwealth“), später zum Protektorat unter der Herrschaft des Lord
Protektors Oliver Cromwell. Cromwell ist Feldherr, Puritaner, gottesfürchtig und streng. Unter
seiner Herrschaft kommt es u.a. zu Verboten von Theatern, Gasthäusern, Tanz und
Spielen.16
Nach Cromwells Tod wird sein Sohn Richard Lordprotektor.

2.2 Die Wiederherstellung der Monarchie

Der politisch glücklose Richard Cromwell wird 1659 von der Armee abgesetzt. 1660 kehrt
Charles II. aus dem Exil zurück und wird vom Parlament wieder als Monarch eingesetzt. Im
Gegensatz zu Cromwell war Charles II. ein Lebemann, der überzeugt war „that God would
not ‘make a man miserable only for taking a little pleasure out of the way’.”17
Eine seiner ersten Handlungen als neuer König war die Wiedereröffnung der Theater, zudem
förderte all jene Formen von Unterhaltung, die er während seines Exils in Frankreich
genossen hatte. Auf die künstlerischen Entwicklungen in England hatte dies Auswirkungen,
die Manifold18 geradezu als „Revolution“ bezeichnet:.

„Tragedy decayed, comedy was transmogrified, a mongrel genre called “the heroick play”
flourished briefly, opera came into life, and along with opera came a new musical medium, the
orchestra; the violins rose from the tavern to the salon, the trio sonata was born and the viol
fantasy died out; recitative and continuo rose on each other’s shoulders. All these are related
phenomena.”

Im Folgenden werden Theater und Musik der Epoche näher betrachtet.

16
Kötting, Eva 2007: www.br-online.de/wissen-bildung (abgerufen: 20.7.2008)
17
Artikel „Charles II.“ in: Encyclopædia Britannica / Online-Ausgabe 2008:
http://original.britannica.com/eb/article-1279 (abgerufen: 20.7.2008)
18
Manifold 1956: S.106
VO Entstehung u. Frühgeschichte -7- Nicole Kolisch
der Oper IV / SoSe08 Matr. Nr. 9002037

2.3 Das Theater zur Zeit der Restauration19

„The plays that take on our corrupted stage,


Methinks, resemble the distracted age.
Noise, madness, all unreasonable things,
That strike at sense, as rebels do at kings.”
20
-John Dryden

Der Englische Bürgerkrieg führte zu großen sozialen Veränderungen und in Folge zu


„decisively new attitudes in religion, politics, sexual relationships and in particular an
‘accelerated’ and self-conscious demand for ‘modernity’.“21
Nachdem 18 Jahre lang öffentliche Aufführungen verboten waren, strömten disperse Publika
in die wiederauferstandenen Theater. Die beliebten Restaurationskomödien waren sexuell
sehr freizügig, durchaus auf Betreiben des frankophilen Regenten Charles II.
In Frankreich erlebte die Komödie Molierés gerade ihre Blütezeit. Englische Dramatiker
waren davon nicht nur beeinflusst, sie übernahmen oft auch die komplette Handlung einer
französischen Komödie für ihre eigene Adaption. Das Publikum wollte unterhalten und
abgelenkt werden; das spiegelt sich in der dramatischen Literatur jener Zeit wieder: „a
literature which serves, not shapes, its time.“22
Die Tiefe des Elisabethanischen Dramas war nicht gefragt – „the demands made upon the
comic dramatists were of indulgence“.23
Zeitgenossen warfen der Restaurationskomödie daher auch ihre moralische Verwerflichkeit,
Oberflächlichkeit, sowie eine ungeschliffene Sprache vor.24
Bekannte Vertreter des Genres waren William Wycherley (1640 [?] – 1715), William
Congreve (1670 – 1729), Sir John Vanbrugh (1664[?] – 1726) und Aphra Behn (1640 –
1689), die erste professionelle Dramatikerin Englands.
Als weitere Gattung konnte sich die „Heroic Tragedy“ etablieren.
John Dryden25 (1631 – 1700) gilt als jener englische Dramatiker, der beide Genres
beherrschte. „Besides being the greatest English poet of the later 17th century, Dryden wrote
almost 30 tragedies, comedies, and dramatic operas. He also made a valuable contribution
in his commentaries on poetry and drama, which are sufficiently extensive and original to
entitle him to be considered, in the words of Dr. Samuel Johnson, as ‘the father of English
criticism’.”26

19
vgl. Harris 1965: S.11-40
20
“The Royal General”, Prolog, 1680
21
Harris 1965: S.11
22
Harris 1965: S.12
23
Harris 1965: S.14
24
etwa Jeremy Collier, 1698 in “A Short View of the Immorality and Profaneness of the English Stage”
25
siehe Kapitel 7: „King Arthur“
26
Sutherland, James R., Artikel über John Dryden in der Encyclopædia Britannica (ed. 1998)
VO Entstehung u. Frühgeschichte -8- Nicole Kolisch
der Oper IV / SoSe08 Matr. Nr. 9002037

Auch die Aufführungspraxis unterschied sich vom Theater des elisabethanischen Zeitalters.
Schauspielerei wurde ein professioneller Beruf; zudem waren erstmals Frauen auf der
Bühne zugelassen und die Bühne selbst hatte sich ebenso verändert:

„The Elizabethan stage had been bounded on three sides by audience, and on the fourth by a
wall with a curtained aclove. The stage of Dryden’s time had shrunk back from the auditorium
into the aclove. At this distance, and at this angle to the spectators, gorgeousness and realism
in visual effect were equally possible; but at the same time the stage action lost some of its old
27
immediacy.”

2.4 Musik zur Zeit der Restauration

Cromwells kulturelle Verbote während der republikanischen Phase führten auch zu einer
Unterdrückung weltlicher Musik. Umso mehr begann sie sich nach der Restauration der
Monarchie zu entfalten. Soweit es den musikalischen Stil betraf, kann man das England der
Restauration als eine Art Schmelztiegel28 bezeichnen: „Throughout Europe, the Italian style
was generally regarded as a standard bearer for innovation, to the chagrin of those who
supported French practise.”29
Die englische „Masque” war nach wie vor sehr vom französischen Hofballett beeinflusst,
näherte sich aber sich aber mehr und mehr der Oper an.
Die Tradition des „Anthem“30, das im 16. Jahrhundert aus der englischen Kirchenmusik
hervorging, erreicht in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ihren Höhepunkt.
Eine andere beliebte Form, die ebenfalls von Purcell aufgegriffen wurde, waren die
sogenannten „Catches“:

„The catch was generally written for three or more male voices and enjoyed great popularity in
the sixteenth and seventeenth centuries. The earliest catches, rounds and canons, celebrated
the sorrows and simple pleasures of life, and could also be inspired by religious subjects, but
were always unsophisticated. In contrast, the Restoration catches were mostly bawdy, often
31
satirical, with political implications, and invariably sophisticated.”

Charles II. hatte während seines Exils in Frankreich das Orchester des Sonnenkönigs
Ludwig XIV. kennen gelernt, „Les 24 violons du roi“. Nach seiner Rückkehr gründete er nun
auch in England die „24 Violins“ und beauftragte Komponisten entsprechende Werke zu
verfassen.
Violinen waren auch der Kern der neu formierten Opernorchester. Sie führten die Melodie, zu
der Bass und Kontrabass die passende Basis lieferten (Stichwort: Bass Continuo).

27
Manifold 1956: S.106f
28 vgl. Adams 1995: S.5
29
ebd.
30
Vertonung biblischer Texte
31
Campbell 1993: S.87
VO Entstehung u. Frühgeschichte -9- Nicole Kolisch
der Oper IV / SoSe08 Matr. Nr. 9002037

„The gap between melody and bass was filled by chord-playing instruments, unobtrusively
completing the harmony in neutral tones. (…) The most efficient chordal instrument was the
32
hapsichord, the larger form of the virginals and the spinet.”

Im Laufe des 17. Jahrhundersts beginnen auch die Trompeten eine immer wichtigere Rolle
im Orchester einzunehmen – und weitaus nicht nur um den Auftritt von Königen zu
signalisieren. „By the time Henry Purcell was old enough to write for it, the trumpet had
become a musical instrument.”33
So enthält beispielsweise Purcells The Fairy-Queen beeindruckende Trompetenstücke.

Ein weiteres musikalisches Interesse Charles II. galt der Umgestaltung des Knabenchors in
der Royal Chapel. Auch dieser sollte einem französischen Vorbild folgen, weshalb der „Merry
Monarch“ den damals etwa 18-jährigen Pelham Humfrey (1647 – 1674) zum Studium nach
Paris schickte. Er wurde später „Master of the Children“ und Hofkomponist.
Weitere bekannte Komponisten der Zeit waren, neben Henry Purcell, Matthew Locke (1621 –
1677), John Blow (1649 – 1708), John Eccles (1668 – 1735).
Letztlich beeinflussten auch technische Neuerungen die Musik: 1659 wurde die Pendeluhr
erfunden, in den 1660er Jahren kamen die ersten Uhren mit Sekundenzeiger auf. Beide
Erfindungen wurden enthusiastisch aufgenommen und begannen auch in der Musik, wo man
sich vormals auf den Puls verlassen hatte, Takt und Zeit zu standardisieren.34

3. Henry Purcell: Sein Leben, seine Zeit

“If the diverse developments of theatre, music and literature in the seventeenth century are
ever understood, they will be understood in the light of the social, political and economic
history of the time.“35
Die folgenden Seiten bemühen sich daher, basierend36 auf den Schilderungen von
Campbell37, um eine Einordnung von Purcells Leben und Schaffen in den Kontext des
kulturellen und politischen Geschehens seiner Zeit.

Aus Gründen der übersichtlicheren Verortung der Ereignisse wurde hierfür, anstelle von
Fließtext, das Format einer Zeittafel gewählt.

32
Manifold 1956: S.108f
33
Manifold 1956: S.113
34
vgl. Gouk 2002: o.S.
35
Manifold 1956: S.106
36
so nicht anders gekennzeichnet
37
Campbell 1993
VO Entstehung u. Frühgeschichte - 10 - Nicole Kolisch
der Oper IV / SoSe08 Matr. Nr. 9002037

Abbildung 2: Zeittafel, Quelle: eigene Darstellung

Jahr Purcells Leben Zeitgeschehen in England38 Kultur

Der Lordprotektor Richard


Henry Purcell wird als drittes
1659 Cromwell wird zur Abdankung
von sechs Kindern geboren.
gezwungen.
Mit dem Einzug von Charles John Dryden
II. in London wird die veröffentlicht:
Monarchie wieder eingeführt. Astræa Redux.
1660 A Poem on the
Die Royal Society zur Restoration of
Wissenschaftspflege wird Charles the
gegründet. Second.
Purcells Vater bekommt eine
1663 Stelle als Musiker am
königlichen Hof.
1664 Purcells Vater stirbt.
Die Pest bricht in London aus.
Innerhalb weniger Monate
1665 sterben 100.000 Menschen.
Beginn des Englisch-
Niederländischen Krieges.
Purcell wird ein „Child of the
Chapel Royal“ und singt dort im Der große Brand von London
1666 Knabenchor.39 („The Great Fire“) zerstört vier
Er erhält Unterricht von Henry Fünftel der Stadt.
Cooke.
Aphra Behn
Die Hudson Bay Company40
schreibt ihr erstes
Purcell komponiert sein erstes wird gegründet und Charles II.
1670 Theaterstück The
Werk genehmigt ihr den Handel mit
forced marriage..
den Indianern.
Eröffnung des
Dorset Garden
1671
Theatre (siehe
unten)
Cooke stirbt und Pelham
Humfrey übernimmt die Leitung
1672
des Knabenchors der Chapel
Royal.
• Purcell wird zum „keeper,
mender, maker, repairer
and tuner“ der Charles II. erlässt die
Blasinstrumente befördert. „Testakte“, die Katholiken von
1673
• Er kommt in den allen Staatsämtern
Stimmbruch und ist für den ausschließt.
Knabenchor nicht mehr
geeignet.

38
vgl. Campbell 1993, sowie The University of Western Ontario (www.uwo.ca)
39
das genaue Jahr ist nicht bekannt, aber Campbell geht davon aus, dass es 1665/66 war. (Campbell
1993: S. 36)
40
Pelzhandelsgesellschaft, zählt zu den ältesten bestehenden Unternehmen weltweit.
VO Entstehung u. Frühgeschichte - 11 - Nicole Kolisch
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Humfrey stirbt. John Blow wird


sein Nachfolger. Er erteilt Ende des Dritten Englisch-
1674
Purcell Unterricht in Niederländischen Seekrieges.
Komposition.
Beginn der
„When Thyrsis did the splendid
Bauarbeiten der St.
eye“ ist Purcells erste
1675 Paul’s Cathedral
Komposition, die in einem Buch
(von Sir
abgedruckt wird.
Christopher Wren)
• Fünf weitere Lieder werden
veröffentlicht. Charles II. erfährt von
• Purcell erhält ein angeblichen Plänen, ihn zu
Stipendium („Bishop’s Boy“) ermorden und seinen
für das St. Peter’s College, katholischen Bruder James
1678 Westminster. auf den Thron zu setzen. Die
• Er komponiert sein erstes Theorie der „Papisten
Anthem. Verschwörung“ („Popish Plot“)
• Ouvertüre und Maske für führt zu zahlreichen
Thomas Shadwells Timon Hinrichtungen.41
of Athens

Das Parlament stimmt über


eine Gesetzesvorlage ab, die
Purcell löst seinen Lehrer John
den Bruder von Charles II.
1679 Blow als Organisten in
von der Thronfolge
Westminster Abbey ab.
ausschließen soll.
Charles II. löst das Parlament
auf und beruft ein neues ein.
• Purcell heiratet Frances
Peters42
• Bühnenmusik zu Nathaniel
1680
Lees Theodosius
• Er beendet seine „Fantasies
for viols“
• Purcells Sohn Henry wird
geboren und stirbt noch im
selben Jahr.
• Er übersiedelt nach Charles II. löst das Parlament
John Drydens
Westminster. auf und beruft ein neues ein.
Absalom and
1681 • Da der König mit politischen Die massiven Konflikte
Achitophel (eine
Unruhen beschäftigt ist, zwischen den beiden Parteien
politische Satire)
erteilt er nicht viele („Whigs“ und „Tories“43)
wird publiziert.
Aufträge: Purcell hat Zeit, bleiben dennoch bestehen.
größtenteils seine eigenen
Kompositionsideen zu
verfolgen.

41
„The English fear of Catholicism in any form was so great that they needed no encouragement to
believe that their lives were in danger” (Campbell 1993: S.54)
42
Das Datum ist nicht sicher belegt, wird aber durch einige Schriftstücke als wahrscheinlich
angenommen
43
Während die „Whigs“ den katholischen Erben von der Thronfolge ausschließen wollten, galt den
„Tories“ die Thronfolge als göttliches Recht, unabhängig von Glaubensfragen.
VO Entstehung u. Frühgeschichte - 12 - Nicole Kolisch
der Oper IV / SoSe08 Matr. Nr. 9002037

• Purcell tritt die Nachfolge


von Edward Lowe als
Organist der Chapel Royal
an Veröffentlichung
• Thomas Purcell, sein Onkel von Drydens The
und Ziehvater, stirbt Edmond Halley entdeckt den Medal und Religio
1682
• Purcells zweiter Sohn, John Halley’schen Kometen. Laicci.
Baptista, wird geboren,
stirbt aber zwei Monate
nach seiner Taufe
• Purcell schreibt seine
Messe in B-Dur
• „Sleep, Adam, Sleep“,
„From silent shades“ und
Eine weitere Verschwörung
weitere Lieder Purcells
gegen Charles II. wird
werden publiziert.
aufgedeckt („Rye House
• Er komponiert Oden für die Das Sadler's Wells
Plot“). Die Sympathien für die
1683 königliche Familie, u.a. um Theatre eröffnet in
Stuarts sind dadurch gestärkt,
von den Ereignissen des London.
sodass es dem König nun
Rye House Plots
endlich gelingt, die Opposition
abzulenken.
zu vernichten.
• Sonaten für zwei Violinen,
Bass und Basso Continuo
„Welcome to All the Pleasures“
wird publiziert.
Letzte Hexenverbrennung in
1684 Purcell schreibt etliche seiner
England.
berühmten “Catches” (s.o.),
Lieder und Anthems.
• Charles II. erkrankt und
stirbt.
Sein Bruder James II. wird
König von England.
Purcell komponiert für die
• Monmouth Rebellion: Der
Krönung von James II. und
Herzog von Monmouth Publikation eines
Königin Mary: „I was Glad
1685 (unehelicher Sohn von Gedichtbandes von
When They Said“ und „My
Charles II.) beansprucht Aphra Behn
Heart is Inditing of a good
den Thron, seine Truppen
Matter“.
werden jedoch
geschlagen und
Monmouth wird im Tower
hingerichtet.
VO Entstehung u. Frühgeschichte - 13 - Nicole Kolisch
der Oper IV / SoSe08 Matr. Nr. 9002037

• Purcell bleibt im königlichen


Dienst, verliert aber zwei
seiner wichtigen
Positionen44, da der neue
katholische Regent die
meisten Traditionen seines
Bruders nicht weiterführt
und lieber ausländische
1686
Komponisten beauftragt.
• Purcell schreibt indessen
weitere Catches, Oden (z.B.
„Ye Tuneful Muses“) und
Lieder für das Theater.
• Purcells Verleger John
Playford stirbt.

• Ein weiterer Sohn45 wird


geboren, lebt aber ebenfalls
nur wenige Monate.
• Purcell komponiert „Sound
the Trumpet“, seine letzte
Ode für den König
• Purcell veröffentlicht Sir Isaac Newton
1687 posthum die „Harmonia veröffentlicht die
Sacra“ seines Freundes Gravitationstheorie.
Playford, die auch viele von
Purcells eigenen Werken
enthält. Das Werk ist
protestantisch und bringt
ihm keine Sympathien beim
katholischen Monarchen
ein.
Ein Thronfolger (James Der irische
• A Fool’s Preferment von
Francis Edward Stuart) wird Folksong
D’Urfrey, mit Musik von
geboren, der jedoch nie den „Lillibulero“ wird
Purcell, hat im Dorset
Thron besteigen sollte, denn zum Lieblingslied
Garden Theatre Premiere.
die „Glorious Revolution“ der Revolution,
• Weitere Anthologien mit
stürzt James II. nachdem es mit
1688 seinen Liedern werden
England wird eine einem anti-
veröffentlicht.
konstitutionelle Monarchie: jakobitischen Text
• Purcells Tochter Frances Die Staatssouveränität obliegt versehen und von
wird geboren. Sie ist das dem Parlament, nicht mehr Purcell neu
erste seiner sechs Kinder, der König. James II. flieht harmonisiert
das überlebt. nach Frankreich. wurde.

44
Er scheint in den Büchern nur noch als „Harpsichordist“ auf und verliert das Amt des "Composer
and Organist of the Chapel Royal" (vgl. Zimmerman 1983: S. 129)
45
Campbell spricht hier von Purcells „fourth son (...) baptised Henry after his father”, erwähnt davor
jedoch nie einen dritten Sohn
VO Entstehung u. Frühgeschichte - 14 - Nicole Kolisch
der Oper IV / SoSe08 Matr. Nr. 9002037

• Dido and Aeneas (Libretto:


Das Parlament bietet Mary II.
Nahum Tate)
und ihrem Mann William von
• Purcells Sohn Edward wird
1689 Oranien (William III.) den
geboren.
Thron an. Die „Bill of Rights”
• Vermutlich erstes Treffen tritt in Kraft.
von Purcell und Dryden
• Dioclesian (The
Veröffentlichung
Prophetess), Libretto: Schlacht am Boyne (Irland):
von John Lockes
Thomas Patrick Betterton William von Oranien besiegt
Two Treatises of
• Erste Zusammenarbeit mit James II. und seine
1690 Government und
Dryden für Amphytrion jakobitischen Truppen.
An Essay
• Fünf Theaterstücke mit James II. flieht erneut nach
Concerning Human
Purcells Musik gelangen zur Frankreich.
Understanding
Aufführung.46
William III. und Mary II.
werden in Westminster
King Arthur (Libretto: John
1691 offiziell zu König und Königin
Dryden)
gekrönt.

Französische und irische


• The Fairy-Queen (Libretto: Truppen wollen den Exilkönig
anonyme Adaption von James II. wieder auf den
Shakespeares englischen Thron setzen. In
1692
Sommernachtstraum) Folge jedoch besiegen die
• „Hail, bright Cecilia” (Ode) Engländer die Franzosen in
und etliche Lieder der Seeschlacht von La
Hogue.
• Musik für The Old Bachelor
(das erste Stück des 21-
jährigen William Congreve)
• „Celebrate This Festival“,
1693
Ode anlässlich des
Geburtstags der Queen
• Zahlreiche Lieder für das
Theater
• „Te Deum und Jubilate in D-
Dur“
• Purcell schreibt für das
• Die Bank von England
Begräbnis von Mary II.
wird gegründet.
1694 seinen „March for the
• Queen Mary stirbt. William
Queen's Funeral, Sounded
III. regiert alleine weiter.
Before Her Chariot”
• Lieder und „Incidental
Music” für Theaterstücke

46
Campbell (1993: S.182) kommentiert: „Meanwhile Purcell was increasingly busy writing for the
theatre and soon it would have been difficult to attend a play in London where some of the music was
not written by him.”
VO Entstehung u. Frühgeschichte - 15 - Nicole Kolisch
der Oper IV / SoSe08 Matr. Nr. 9002037

• Purcell komponiert für die


Wiederaufnahme von The
Tempest (eine
Shakespeare-Bearbeitung Die Kontroverse
von Thomas Shadwell) zwischen
Theatermanager
• Lieder und „Incidental
Christopher Rich
Music“ für
und Schauspielern
Theaterproduktionen.
der United
• Bonduca (Libretto: George
In England wird die Company spitzt
1695 Powell)
„Fenstersteuer“ eingeführt. sich zu. Thomas
• The Indian Queen Betterton und zwölf
(unvollendet), Theaterstück weitere Stars
von Sir Robert Howard und verlassen die
John Dryden Theatercompany
• Am 21. November stirbt und gründen ihre
Purcell47 und wird in der eigene.
Westminster Abbey zu
Klängen seiner eigenen
Musik begraben.

4. Aufführungsorte & Theatre Companies

Nach dem Ende der Ära Cromwell begannen die Schauspieler wieder ihrer Profession
nachzugehen. Wenige Monate nach seiner Rückkehr vergab Charles II. seine königlichen
Patente für Theaterkompanien: an Thomas Killigrew und Sir William Davenant. Davenant
(1606 – 1668) war Poet Laureate48, gilt als Patenkind William Shakespeares und als eine
Schlüsselfigur in der Geschichte der Englischen Oper.49
Killigrews Company „His Majesty’s Comedians“ (auch: King’s Men) bespielte folgende drei
Häuser50:
- Das Theatre Royal in Vere Street (1634 – 1809), ein ehemaliger Tennisplatz, der
zunächst nur gelegentlich für Aufführungen genutzt, ab 1660 aber ein Vollzeit-Theater
wurde.
- Das Theatre Royal in Brydges Street (1663 – 1672), das eigens für die King’s Men
erbaut wurde, jedoch 1672 abbrannte (sechs Jahre nach dem Brand von London).
- Das Theatre Royal in der Drury Lane51, welches 1674 an der selben Stelle erbaut und
vermutlich von Sir Christopher Wren entworfen wurde.

47
vermutlich an einer Lungenentzündung (vgl. Zimmerman 1983: S. 256ff)
48
sein Vorgänger war Ben Jonson, sein Nachfolger John Dryden
49
vgl. White 1983: S.47 - 89
50
vgl. White 1983: S. 80ff.
51
die veränderte Straßenbezeichnung ergab sich durch die Verlegung des Haupteingangs
VO Entstehung u. Frühgeschichte - 16 - Nicole Kolisch
der Oper IV / SoSe08 Matr. Nr. 9002037

Davenant, dessen Patent auch explizit für Oper galt, bespielte mit seinen Duke’s Men das
Linconl’s Inn Fields Theatre (1656 – 1848; ebenfalls ein ehemaliger Tennisplatz), sowie das
Duke’s Theatre in Dorset Garden (1671 – 1709). Über letzteres schreibt Burden: „While there
has been speculation about whether it was an opera house or a playhouse, such a distinction
on seventeenth-century England is a false one; in any case, there is no doubt that it was
fitted out with the Abbildung 3: London Theatres, Quelle: www.uwo.ca
intention of staging
operas (…)”52

Die Verleihung der


Patente brachte ein
gewisses Maß an
Ordnung in die
Londoner
Theaterszene.

Für viele
Schauspieler gab es
jedoch keinen Platz
in den beiden
großen
Theaterkompanien,
u.a. „because Killigrew and Davenant had to leave room for the inclusion of actresses to take
over the women’s parts hithero played by boys“.53

Im Cockpit Theatre (1616 – 1665), einer ehemaligen Arena für Hahnenkämpfe, fanden sich
unter der Ägide von George Jolly jene Darsteller, die nicht bei den King’s oder Duke’s Men
auftraten.
Darüber hinaus gab es natürlich Theater, Masken und Opern am Hof Charles II. (Palace of
Whitehall): erst im Cockpit-in-Court Theatre, danach in der revitalisierten Great Hall, die
bereits unter Elizabeth I. für Aufführungen genutzt worden war.54
Am 20. April 1665 vermerkt Samuel Pepys55 in seinem berühmten Tagebuch: „This night I
am told the first play is played in Whitehall noon-hall, which is now turned to a house of
playing."

52
Burden 2000: S.6
53
White 1983: S.80
54
vgl. 'Whitehall Palace: Buildings' 1930: S.41-115
55
Samuel Pepys (1633 – 1703), Abgeordneter des Unterhauses, Präsident der Royal Society,
Chronist der Restaurationszeit; vgl. Latham 1971-1983
VO Entstehung u. Frühgeschichte - 17 - Nicole Kolisch
der Oper IV / SoSe08 Matr. Nr. 9002037

5. Dido und Äneas

Abbildung 4: „Thy hand, Belinda“, Quelle: Werner Icking, Music Archive

„Our knowledge of the music of Dido and Aeneas is almost entirely based on the existence of
two manuscripts, neither in Purcell’s hand, and both apparently dating from the latter part of
the eighteenth century.“56 Auch die genaueren Umstände der Entstehung sind nicht
überliefert. Die Uraufführung fand im April 1689 in der Josias Priest’s School of Young
Ladies in Chelsea statt. Mit Ausnahme der Rolle des Äneas wurden alle Partien von
Schülerinnen gesungen. „Dass die Oper für eine private Schulaufführung geschrieben oder
zumindest in einem solchen Rahmen uraufgeführt wurde, war in England zu Purcells Zeit
nicht ungewöhnlich.“57 Immerhin gab es achtzehn Jahre lang kaum andere
Aufführungsmöglichkeiten...
Die Oper spielt in Karthago und handelt von der unglücklichen Liebe der Königin Dido zu
dem trojanischen Prinzen Äneas. Durch den Streich einer Zauberin wird Äneas dazu
gebracht, die Stadt zu verlassen. Dido bleibt zurück und stirbt an gebrochenem Herzen.
Mit Dido und Äneas erlebte die englische Oper ihren ersten Durchbruch. „Within the scale
chosen – equivalent by present day standards to half an evening’s bill – this through-
composed work displays a masterly use of formal air, less formal arioso, recitative, chorus,
and instrumental numbers including overture, intermeans and dances.”58 Die Kritik an der
Oper konzentriert sich einzig auf die Partie des Äneas, der keine eigenständige musikalische
Persönlichkeit entwickelt und vergleichsweise schwach wirkt. White59 weist in dem
Zusammenhang auf die Bedeutung der Chorpassagen hin, die dieses Manko ausgleichen
und dem Stück die nötige Balance verleihen. Purcells Chöre strukturieren den

56
White 1983: S.112
57
Dahlhaus 1994: S.137
58
White 1983: S.113
59
ebd.
VO Entstehung u. Frühgeschichte - 18 - Nicole Kolisch
der Oper IV / SoSe08 Matr. Nr. 9002037

symmetrischen Aufbau der Oper.60 Bemerkenswert ist auch der (zur damaligen Zeit in
England ausgesprochen seltene) Gebrauch von Rezitativen.
Der Charakter Didos berührt durch seine Eindringlichkeit: „Anstelle barocker Betörung durch
allegorische Figuren steht hier die Darstellung menschlicher Grundsituationen in
schmuckloser Wahrhaftigkeit.“61
Eine eher unglückliche Bearbeitung erfuhr das Werk 1700 durch Thomas Betterton, der es
unter dem Titel The Loves of Dido and Aeneas als musikalisches Zwischenspiel in seine
Produktion von Shakespeares Maß für Maß eingliederte, wobei die drei ursprünglichen Akte
auf nunmehr vier Akte verteilt wurden. White kommentiert: „It was an extraordinary thing to
do – to try to fashion a dramatic opera by taking a play and stuffing it piecemeal with three
separate acts of an unrelated opera, thereby breaking the dramatic continuity of both pieces
(...)“62 Danach wurde es still um das Werk, erst im Rahmen der Vorbereitungen anlässlich
Purcells 200. Todestag entwickelte sich ein breites Interesse.63

6. Henry Purcell und die „English Opera“: Einige Aspekte

Dido und Äneas ist Purcells einzige durchkomponierte Oper nach italienischem Muster.64
In seinem Vorwort zu Albion and Albanius vermerkt John Dryden klar, dass im Gegensatz
zur italienischen und französischen Oper, die „English Opera“65 niemals durchkomponiert
wurde.66
Das Genre erfreute sich großer Beliebtheit, es gab jedoch auch zeitgenössische Kritiker, die
der Mischung aus gesprochenem Drama und Gesang nichts abgewinnen konnten. So
bemängelte etwa Roger North, dem auch den Terminus „Semi-Opera“ zugeschrieben wird,
um 1726:
„ (...) there is a fatall objection to all these ambigue entertainments: they break unity, and
distract the audience. Some come for the play and hate the musick, others come only for the
67
musick, and the drama is pennance to them, and scarce any are well reconciled to both.”

Da Schauspieler oft nicht gut genug sangen, Sänger hingegen oft nicht ausreichend
darstellerische Fähigkeiten hatten, entwickelte sich mit fortschreitender Ausgereiftheit der
Musik eine strikte Trennung zwischen Musik und Dramatis personae. Das wird am
Deutlichsten in Purcells The Fairy-Queen, wo „no character who speaks also sings, and

60
Dahlhaus 1994: S.139
61
ebd.
62
White 1983: S.130
63
Dahlhaus 1994: S.140
64
vgl. Swanepoel 1926:S.65
65
auch: „dramatick opera“
66
Dryden: Albion and Albanius. 1685. Zitiert nach: Swanepoel 1926: S.34
67
Roger North on Music, herausgegeben von John Wilson, 1959. Zitiert nach: White 1983: S.135
VO Entstehung u. Frühgeschichte - 19 - Nicole Kolisch
der Oper IV / SoSe08 Matr. Nr. 9002037

none who sings also speaks“68, eine gute Gelegenheit für Purcell, um mit neuen
(komplexeren, italienischen) Formen zu experimentieren, an denen schwächere Sänger
gescheitert wären.
Obwohl die Semi-Operas nicht durchkomponiert waren und sich die Musik hauptsächlich auf
die Nebenhandlungen im Stück beschränkte, „so nahmen diese durchkomponierten,
maskenartigen Teile immerhin doch sehr bedeutende Dimensionen an und würden,
wenigstens im Falle Dioclesians und The Fairy-Queen, zweifellos den größeren Teil einer
heutigen zweiundhalbstündigen Vorstellung ausfüllen.“69 Einem Publikum, das bis dato im
Theater nur an ein paar Instrumental-Tänze und kleine Liedchen gewöhnt war, müssen diese
Opern entsprechend umfangreich vorgekommen sein.

Purcells fünf große English Operas (Dioclesian, Z.627; King Arthur, Z.628; The Fairy-Queen,
Z.629; The Indian Queen, Z.630; The Tempest, Z.631) waren Helden- oder adaptierte
Shakespeare-Dramen. Sie enthielten – dem Format entsprechend – „First“ und „Second
Music“, eine Ouvertüre, einige Lieder, häufige Instrumentalnummern (gewöhnlich Tänze) und
Zwischenaktsmusik.70
Die Musik wurde jedoch nicht beliebig und einzig und allein zur Zerstreuung des Publikums
eingesetzt, sondern musste einer Art Rationalität gehorchen. So wie auch Szenenwechsel
und Änderungen des Bühnenbildes nicht einfach so stattfinden durften, sondern durch das
Schwenken eines Zauberstabes oder das mächtige Aufstampfen einer magischen Gestalt
ausgelöst wurden, so war auch die Musik an Magie gebunden: „(...)About half the inset
songs are sung by Gods or spirits – usually to the mystification of the earthbound characters
– or are sung by characters produced by the results of spells or incantations.“71
So treten z.B. in The Fairy-Queen die erdgebundenen Charaktere (Herzog, Liebespaare,
Diener...) ohne Musikbegleitung auf, während die magischen Gestalten des Elfenreiches bei
ihrem Auftritt von „a short symphony“ begleitet werden.72
Neben Musik, Sprechtheater und Tanz war das Bühnenspektakel ein weiterer fixer
Bestandteil der English Operas. Gerade das Dorset Garden Theatre bot Bühnentechnik auf
dem neuesten Stand und war eine Art „theatrical amusement park“.73
Viele Dramatiker der Restaurationsepoche waren selbst Darsteller und hatten somit intime
Kenntnisse der jeweiligen Bühne und ihrer Möglichkeiten. Einige Szenen waren z.B. gezielt
für die Verwendung von Falltüren oder Echoeffekten geschrieben, die einen fixen Platz in

68
Burden 2000: S.26
69
Swanepoel 1926: S.72
70
vgl. Swanepoel 1926: S.37
71
Burden 2000: S.23
72
vgl. Burden 2000: S.24
73
Radice 1990: S.129
VO Entstehung u. Frühgeschichte - 20 - Nicole Kolisch
der Oper IV / SoSe08 Matr. Nr. 9002037

den Semi-Operas dieser Zeit einnehmen. Auch Purcell wusste das genau und schrieb Musik,
die diese Bühneneffekte unterstützte und ihrerseits von ihnen profitierte:
„Indeed, the ‘problem of the English opera’ was not a problem at all; it was an essential
diversity that made such extravaganzas appealing. The Dorset Garden Theatre undoubtedly
had the most extravagant facilities in all of London at the time, and Purcell’s music is
74
wonderfully coordinated with the theatrical properties of that theatre.”

7. Schlussbetrachtung

Die vorliegende Arbeit stellt den Versuch dar, Purcell im Kontext seiner Zeit und
Zeitgenossen zu betrachten. Es sei daher an dieser Stelle auch seinen Zeitgenossen
überlassen, Purcells Bedeutung für die Entwicklung der Oper in England und das Theater
der Restaurationszeit in Worte zu fassen:

Roger North (1653–1734) schreibt:

„Then rose up the Noble Purcell (...). He was a match for all sorts of designs in musick.
Nothing came amiss to him. He imitated the Itallian sonnata [sic!] and (bating a little [sic!] too
much of the labour) outdid them. And raised up operas and musick in the theatres, to a credit,
r 75
even of fame as farr [sic!] as italy, where Sig Purcell was courted no less than at home.”

Und um 1709 schrieb der Schauspieler Thomas Betterton (damals bereits weit über siebzig
und in Ruhestand) über seinen Freund:

„Purcel penetrates the Heart, makes the Blood dance through your Veins, and thrill with
agreeable Violence offer’d by his Heavenly Harmony...“76

74
Radice 1990: S.129f
75
Roger North on Music, herausgegeben von John Wilson, 1959. Zitiert nach: White 1983: S.127f
76
The Life of Mr Thomas Betterton, the late eminent Tragedian. London, 1710. Zitiert nach: White
1983: S.134
VO Entstehung u. Frühgeschichte - 21 - Nicole Kolisch
der Oper IV / SoSe08 Matr. Nr. 9002037

8. Literaturliste

Adams, Martin: Henry Purcell. The origins and development of his musical style. Cambridge:
Cambridge University Press. 1995.

Burden Michael (Hg.): Henry Purcell’s operas: The Complete Texts. New York: Oxford
University Press. 2000.

Campbell, Margaret: Henry Purcell. Glory of His Age. London: Hutchinson. 1993.

Curtis Price (Hg.): Purcell studies. Cambridge: Cambridge University Press. 1995.

Dalhaus, Carl (Hg.): Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters. Band 5. München / Zürich:
Piper. 1994.

Dryden, John: The Poetical Works of John Dryden. Volume II. Charleston: BiblioBazaar.
2007.

Gouk, Penelope: Music Theory in Seventeenth-Century England. Review. In:


Journal of Seventeenth-Century Music. Band 8, H.1. 2002.
Online-Ausgabe: www.sscm-jscm.org/v8/no1/gouk.html (abgerufen: 16.7.2008)

Harris, Bernard: The Dialect of those Fanatic Times. In: Brown, John Russell / Harris,
Bernard (Hg.): Restoration theatre. Stratford-upon-Avon studies 6. London: Edward Arnold
Ltd. 1965. S.11-40

Latham, Robert (Hg.): The diary of Samuel Pepys. Band 1-11. London: Bell. 1971 – 1983.
Online-Ausgabe: www.pepysdiary.com (abgerufen: 19.7.2008)

Manifold, J.S.: The Music in English Drama. From Shakespeare to Purcell. London: Rockliff
Publishing Corporation. 1956.

Radice, Mark A.: Theater Architecture at the Time of Purcell and Its Influence on His
"Dramatick Operas". In: The Musical Quarterly, Band 74, H. 1, S. 98-130, Oxford: Oxford
University Press. 1990.
VO Entstehung u. Frühgeschichte - 22 - Nicole Kolisch
der Oper IV / SoSe08 Matr. Nr. 9002037

Swanepoel, Pieter F.: Das dramatische Schaffen Henry Purcell’s. Dissertation. Wien. 1926.

The New Encyclopædia Britannica. 15th edition. Chicago, Auckland, London (u.a.):
Encyclopaedia Britannica Inc.1998.

White, Walter Eric: A History of English Opera. London: Faber and Faber Limited. 1983.

„Whitehall Palace: Buildings”. In: Survey of London. Band 13, S. 41-115. 1930. Online-
Ausgabe: www.british-history.ac.uk/report.aspx?compid=67776 (abgerufen: 20.7.2008)

Zimmerman, Franklin B.: Henry Purcell, 1659-1695, his life and times. Philadelphia: Univ. of
Pennsylvania Press. 1983.

9. Andere Quellen

"Henry Purcell." In: The Concise Grove Dictionary of Music. Oxford: Oxford University Press,
Inc., 1994. Online-Version: http://www.answers.com/topic/henry-purcell (abgerufen:
20.7.2008)

Encyclopædia Britannica Online 2008: http://original.britannica.com (abgerufen: 20.7.2008)

The University of Western Ontario: www.uwo.ca (abgerufen: 15.7.2008)


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