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Fundamentalliturgik

und

Geschichte der Liturgie


im Rahmen der Kulturepochen

Skriptum für die Vorlesung Liturgiewissenschaft


Heiligenkreuz 2003/04

von P. Dr. Pius Martin Maurer OCist.

Nur für den privaten Gebrauch bestimmt

Ad fontes: zu den Quellen.


In dieser Vorlesung wird versucht,
die Studenten mit vielen Quellentexten vertraut zu machen.

Aufgrund der schnellen Erstellung dieses Skriptums ist es leicht möglich, dass darin Fehler verschiedenster Art
aufscheinen, die erst bei der nächsten Redaktion dieses Skriptums beseitigt werden. Für Korrekturhinweise ist
der Autor dieses Skriptums dankbar.

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1. Einleitung mit fundamentalliturgischen Aspekten

- KKK 1066-1112.
- CIC 834-839.

- BALTHASAR, H. U. von, „Die Würde der Liturgie“, Communio 7 (1978) 481-487.


- CATELLA, A., Theology of the Liturgy, in: CHUPUNGCO, A. J. (Hg.), Handbook for Liturgical Studies 2,
Collegeville 1997, 3-28.
- CLERCK, P. de (Hg.), La Liturgie, lieu théologique, Paris 1999.
- KUNZLER, M., Die Liturgie der Kirche, AMATECA 10, Paderborn 1995.
– MESSNER, R., Einführung in die Liturgiewissenschaft, Paderborn 2001.
- MEYER, H. B., „Liturgie als Hauptfach“, ZKTh 88 (1966) 315-335.
- RATZINGER, J., Der Geist der Liturgie, Freiburg 2000.
5
- SARTORE, D. – TRIACCA, A. M. (Hg.), Nuovo Dizionario di Liturgia, Cinisello Balsamo 1993.
- STENZEL, A., Liturgie als theologischer Ort, in: Mysterium salutis 1, Einsiedeln 1965, 606-621.
- TAGLIAFERRI, R., Prassi e scienza liturgica: acquisizioni e prospettive, in: Liturgia: Itinerari di ricerca. Scienza
liturgica e discipline teologiche in dialogo, Studi di Liturgia. Nuova Serie 32, Bibliotheca „Ephemerides Liturgicae“.
„Subsidia“ 91, Roma 1997, 67-111.
- VAGAGGINI, C., Il senso teologico della liturgia. Saggio di liturgia teologica generale, Roma 1957.
– VO·ICKY, B. J. M., Sakraltheologie 4. Fundamentalliturgik, Heiligenkreuz 2003.

1.1. Liturgie als Hauptfach

1.1.1. Das Zweite Vatikanische Konzil


Am 11. Oktober 1962 wurde das Zweite Vatikanische Konzil feierlich eröffnet. Als
erstes Dokument wurde der Text über die Hl. Liturgie diskutiert. Das von der
vorbereitenden Liturgischen Kommission entworfene Schreiben wurde mit einigen
Änderungen am 4. Dezember 1963 (vor 40 Jahren!) angenommen. Die feierliche
Schlussabstimmung ergab 2147 Ja-Stimmen gegen 4 Nein-Stimmen. Dieser erste
Text des Zweiten Vatikanischen Konzils trägt den Namen Sacrosanctum Concilium.

Gemäß diesem Dokument zählt die Liturgiewissenschaft ausdrücklich zu den


„Hauptfächern“ (disciplina principalis) an den theologischen Fakultäten:

SC 16: Das Lehrfach Liturgiewissenschaft ist in den Seminarien und den Studienhäusern der Orden zu den
notwendigen und wichtigen Fächern und an den Theologischen Fakultäten zu den Hauptfächern zu rechnen. Es
ist sowohl unter theologischem und historischem wie auch unter geistlichem, seelsorglichem und
rechtlichem Gesichtspunkt zu behandeln. Darüber hinaus mögen die Dozenten der übrigen Fächer,
insbesondere die der dogmatischen Theologie, die der Heiligen Schrift, der Theologie des geistlichen Lebens und
der Pastoraltheologie, von den inneren Erfordernissen je ihres eigenen Gegenstandes aus das Mysterium Christi
und die Heilsgeschichte so herausarbeiten, dass von da aus der Zusammenhang mit der Liturgie und die Einheit
der priesterlichen Ausbildung deutlich aufleuchtet.

SC 2: In der Liturgie, besonders im heiligen Opfer der Eucharistie, vollzieht sich das Werk unserer
Erlösung.

SC 10: Die Liturgie ist der Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die Quelle, aus der
all ihre Kraft strömt.

1.1.2. Die Grundordnung für die Ausbildung der Priester (1970 und 1985)
In der Ratio fundamentalis institutionis sacerdotalis (Grundordnung für die
Ausbildung der Priester. Ein Dokument der Kongregation für das katholische
Bildungswesen) vom 6. 1. 1970 heißt es über die Liturgiewissenschaft:

Die Liturgie ist jetzt als Hauptdisziplin zu behandeln. Sie soll daher nicht unter rein juridischem, sondern
vielmehr unter theologischem, historischem sowie spirituellem und pastoralem Aspekt in innerem
Zusammenhang mit den anderen Disziplinen dargeboten werden. So sollen die Studenten vor allem
begreifen, auf welche Weise die Heilsgeheimnisse in den liturgischen Handlungen gegenwärtig sind und
wirken. Weiterhin soll durch die Erklärung von Texten und Riten der Kirche des Ostens und des Westens

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die heilige Liturgie als der vorzügliche theologische Ort aufscheinen, an dem der Glaube der Kirche und
ihr geistliches Leben zeichenhaft dargestellt werden.
(Ratio fundamentalis institutionis sacerdotalis 79, in: DEL I, 876f)

Unter Papst Johannes Paul II. veröffentlicht die Kongregation für das katholische
Bildungswesen am 19. 3. 1985 eine Neuausgabe der Ratio fundamentalis
institutionis sacerdotalis (Grundordnung für die Ausbildung der Priester), in der der
Abschnitt über die Liturgie unverändert bleibt (vgl. Ratio fundamentalis institutionis
sacerdotalis 79, in: DEL III, 384).

1.1.3. Die liturgische Ausbildung im Priesterseminar


Unter Papst Johannes Paul II. entsteht die Instruktion De institutione liturgica in
Seminariis (über die liturgische Ausbildung der Priesteramtskandidaten) vom 3. 6.
1979. Schon im Vorwort heißt es:

Die herausragende Bedeutung, die der heiligen Liturgie im Leben der Kirche zukommt, verlangt, dass die
heutigen Priesteramtskandidaten durch längere Zeit genauestens in sie eingeübt und wissenschaftlich
gründlich in sie eingeführt werden, um im pastoralen Dienst für die Aufgaben auf diesem Gebiet voll gerüstet
zu sein.
… Da aber die Liturgie, in der sich das Werk unserer Erlösung vollzieht, am meisten dazu beiträgt, dass das
Leben der Gläubigen Ausdruck und Offenbarung des Mysteriums Christ und des eigentlichen Wesens der
wahren Kirche wird, bewirkt ihre ständige Ausübung und ihr Studium bei den künftigen Priestern eine tiefere
Erkenntnis und Stärkung des Glaubens und eine lebendige Erfahrung der Kirche.
(De institutione liturgica in Seminariis, in: DEL II, 352)

1.1.4. Die liturgische Ausbildung in den Klöstern und Ordensinstituten


Die Kongregation für die Institute des geweihten Lebens gibt am 2. 2. 1990 das
Dokument Potissimum Institutioni (Richtlinien über die Ausbildung in den
Ordensinstituten) heraus. Darin heißt es über die Liturgie u.a.:

Die Liturgie, vor allem die Feier der Eucharistie und das Stundengebet, nimmt in diesen Instituten einen
erstrangigen Platz ein. Wenn die Alten das Klosterleben gern mit dem Leben der Engel verglichen, dann unter
anderem deshalb, weil die Engel „Liturgen“ Gottes sind (vgl. Origenes, Peri Archon 1,8,1). Die Liturgie, in der sich
Himmel und Erde vereinen und die darum gleichsam einen Vorgeschmack der himmlischen Liturgie vermittelt, ist
der Höhepunkt, dem die ganze Kirche zustrebt, und zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt. In ihr
erschöpft sich nicht das ganze Tun der Kirche, aber sie ist für diejenigen, die sich „einzig und allein der
Sache Gottes zuwenden“, der Ort und das bevorzugte Mittel, namens der Kirche in Anbetung, Freude und
Danksagung das von Christus vollbrachte Heilswerk zu verherrlichen, an das uns der Ablauf des
liturgischen Jahres immer wieder erinnert. Die Liturgie soll daher nicht nur sorgfältig nach den eigenen
Traditionen und Riten der verschiedenen Instituten gefeiert, sondern auch im Hinblick auf ihre
Geschichte, die Vielfalt ihrer Formen und ihre theologische Bedeutung studiert werden.
(Potissimum Institutioni, in: DEL III, 800f)

1.2. Was ist Liturgie?

1.2.1. Liturgie – ein griechisches Wort


Das Wort „Liturgie“ kommt von den griechischen Ausdrücken λαος (Volk) und
εργον (Tun, Handeln). Das Wort λειτουργια bedeutet also
„Handeln des Volkes (zur Ehre Gottes)“ oder
„Handeln (Gottes) am Volk“.

Im klassischen Griechisch hat das Wort leitourgía eigentlich keine speziell religiöse
Bedeutung. Es bedeutet im klassischen Griechisch öffentlicher Dienst, Dienstleistung
zugunsten des Volkes (politischer, wirtschaftlicher oder religiöser Art: zB. Errichtung
einer Stadtmauer oder eines Marktplatzes).

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In der hellenistischen Zeit (Spätzeit griechischer Kultur) wird das Wort auch zur
Bezeichnung des Kultes an den heidnischen Göttern verwendet.

In der Septuaginta, der griechischen Bibelübersetzung, erhält das Wort leitourgía


eine speziell religiöse Bedeutung. Es ist terminus tecnicus (Fachausdruck) für den
Gottesdienst des levitischen Priestertums und damit für den in der Zeit des AT auf
das Kommen Christi vorbereitenden Gottesdienst. In der hebräischen Bibel dagegen
wird der Gottesdienst am Tempel mit den Wörtern sheret (Freundesdienst, Dienst)
und abodah (Sklavendienst, Dienst) ausgedrückt, wobei beide hebräischen Wörter in
profanem Kontext auch profane Bedeutung haben können.

zB.:
Num 3,31: Sie hatten die Sorge für die Lade, den Tisch, den Leuchter, die Altäre, die heiligen Geräte, mit denen
sie ihren Dienst (hebr. sheret; griech. leitourgía) versahen, …
1 Chr 9,13: … Sie waren tüchtige Männer in der Besorgung des Dienstes (hebr. abodah; griech. leitourgía) im
Haus Gottes.

Im NT wird das Wort leitourgía unterschiedlich verwendet:


a) im profanen Sinn: Röm 13,6; 15,27; Phil 2,25.30; 2 Kor 9,12; Heb 1,7.14
mit der Bedeutung: Dienstleistung, Dienst
b) im Sinne des alttestamentlichen, levitischen Priesterdienstes:
Lk 1,23 (Zacharias), Heb 9,21
c) im Sinne eines rein, spirituellen Dienstes:
Röm 15,16; Phil 2,17
d) NUR EINMAL kommt es zur Bezeichnung eines christlichen
Gottesdienstes vor: Apg 13,2 (Als sie zu Ehren des Herrn Gottesdienst
feierten und fasteten, sprach der Heilige Geist: Wählt mir Barnabas und
Saulus zu dem Werk aus, zu dem ich sie mir berufen habe.)

Die Septuaginta und das NT kennen noch ein anderes Wort für Gottesdienst,
nämlich latreia (λατρεια) (vgl. Röm 12,1). Dieses Wort meint die kultische Verehrung
überhaupt, während das Wort leitourgia durch die Septuaginta als Bezeichnung für
den priesterlichen Opferdienst im Tempel geprägt ist (vgl. STRATHMANN, H.,
λατρευω, λατρεια, in: ThWNT 4, Stuttgart 1942, 63). Wegen der Besonderheit des
christlichen Gottesdienstes vermied man zunächst – schon um sich von der
heidnischen und jüdischen Umwelt zu unterscheiden – einen generellen Begriff für
den Gottesdienst (KUNZLER, Liturgie 36).
Der Begriff leitourgia bürgerte sich in den ersten Jahrhunderten der Kirche in den
Gegenden der griechisch sprechenden Christen immer mehr als Bezeichnung für die
gottesdienstliche Feiern ein. Allmählich wurde der Begriff aber immer mehr nur zur
Bezeichnung einer bestimmten gottesdienstlichen Feier verwendet: zur Feier der
Eucharistie. Auch heute wird in der Ostkirche die Eucharistiefeier Göttliche Liturgie
genannt. Als Dialog zwischen Gott und Mensch erreicht die Liturgie ihre höchste
Dichte in der Eucharistiefeier (KUNZLER, Liturgie 36).
In der lateinischen Kirche werden für die Bezeichnung des Gottesdienstes Termini
wie officia divina, opus divinum und sacri ritus oder ecclesiae ritus verwendet. Erst
im Zeitalter der Renaissance wird der Begriff Liturgia in latinisierter Form verbreitet
(durch Renaissance-Schriftsteller wie G. Cassander, J. Pamelius und J. Bona). Unter
Papst Gregor XVI. († 1846) erscheint das Wort Liturgia erstmals in einem
päpstlichen Dokument (vgl. CHUPUNGCO, A. J., A Definition of Liturgy , in:
CHUPUNGCO, A. J. (Hg.), Handbook for Liturgical Studies 1, Collegeville 1997, 4).

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1.2.2. Theologische Erklärungen der Liturgie
a) Mediator Dei
Papst Pius XII. veröffentlichte 1947 die Enzyklika Mediator Dei über die Hl. Liturgie.
Diese Enzyklika war von großer Bedeutung für die liturgische Erneuerungsbewegung
des 20. Jahrhunderts.
In dieser Enzyklika wird der Liturgie eine theologische Erklärung gegeben:

Die heilige Liturgie bildet folglich den öffentlichen Kult, den unser Erlöser, das Haupt der Kirche, dem
himmlischen Vater erweist und den die Gemeinschaft der Christgläubigen ihrem Gründer und durch ihn dem
Ewigen Vater darbringt; um es zusammenfassend kurz auszudrücken: sie stellt den gesamten öffentlichen
Gottesdienst des mystischen Leibes Jesu Christi dar, seines Hauptes nämlich und seiner Glieder.
(Mediator Dei 20).

– Diese Definition der Liturgie hebt die Christozentrik des christlichen Gottesdienstes
hervor. Sie betont das hohepriesterliche Tun Jesu Christi. Er ist als Hoherpriester
Mittler zwischen Gott und Menschen (daher Mediator Dei = Mittler Gottes).
– Sie setzt die Theologie vom mystischen Leib Christi voraus: Christus ist das Haupt
und die Kirche ist der Leib. (vgl. Eph 1,22f: Alles hat er ihm zu Füßen gelegt und ihn,
der als Haupt alles überragt, über die Kirche gesetzt. Sie ist sein Leib und wird von
ihm erfüllt, der das All ganz und gar beherrscht).
– Der Kult wird von Christus dargebracht: durch die Unterwerfung dem Ewigen Vater
gegenüber (Mediator Dei 17), die durch Christi Wort: Ja, ich komme, um deinen
Willen, Gott, zu tun (Hebr 10,7) klar ausgedrückt ist (Mediator Dei 17). Der Kult
Christi und die Unterwerfung dem Willen Gottes gegenüber findet im blutigen
Kreuzesopfer ihren Höhepunkt (Mediator Dei 17).
– Der Gottesdienst Christi besteht auf Erden ununterbrochen durch das Tun der
Kirche weiter (Mediator Dei 18).
– Die Liturgie ist immer ein öffentliches Handeln, nie ein privates. Die Regelung der
Liturgie steht alleinder kirchlichen Autorität zu.
– Christus ist gegenwärtig im liturgischen Handeln der Kirche (Mediator Dei 20):
- im Priester beim Opfer der Messe
- unter den eucharistischen Gestalten
- in den Sakramenten
- im gemeinsamen Beten und Singen (vgl. Mt 18,20)

b) Sacrosanctum Concilium
Zur Theologie von SC 1-20:
Die ersten zwanzig Kapitel von SC behandeln speziell theologische Themen der
Liturgie. Sie sollen bei der Prüfung gut gekannt werden.

SC 1: Das Ziel des Konzils.

SC 2: Die Bedeutung der Liturgie für die Kirche und für die Welt.
Ein wichtiger Satz: in der Liturgie, besonders im heiligen Opfer der Eucharistie,
vollzieht sich das Werk unserer Erlösung : wir sind durch Christi Tod und
Auferstehung erlöst worden. In der Liturgie, besonders bei der Feier der Eucharistie,
wird durch sinnhafte Zeichen diese Erlösungstat vergegenwärtigt.

SC 3: Beschränkung der praktischen Richtlinien auf den römischen Ritus

SC 4: Die anderen rechtlich anerkannten Riten

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SC 5: Christus, der Mittler zwischen Gott und den Menschen (vgl. Mediator Dei 1; 1
Tim 2,5), der Erlöser, von dessen Seite die Kirche hervorgegangen ist.

Wichtiger Ausdruck: Zeiten :


die früheren Zeiten (Hebr 1,1) – die Fülle der Zeit
die Propheten – Christus
göttlichen Machterweise – Pascha-Mysterium
am Volk des
Alten Bundes

Wichtiger Ausdruck: Pascha-Mysterium: (österliches Geheimnis, Geheimnis vom


Hinübergehen): Leiden, Kreuz, Auferstehung, Himmelfahrt Christi: Sieg über den Tod
und Neuschöpfung eines neuen Lebens.

SC 6: der Auftrag Christi an die Kirche: Verkündigung des Evangeliums und


Vollziehung des Heilswerkes durch Opfer und Sakrament

SC 7: Das Wesen der Liturgie

Fünffache Gegenwart Christi in der Liturgie (vgl. Mediator Dei 20):


- im Priester beim Opfer der Messe (Kraft Christi)
- vor allem unter den eucharistischen Gestalten (der ganze Christus)
- in den Sakramenten (mit seiner Kraft) (Kraft Christi)
- in seinem Wort (Botschaft Christi)
- im gemeinsamen Beten und Singen (vgl. Mt 18,20)(Liebe Christi zu Gott
und dem Nächsten)

In der Enzyklika Mysterium fidei über die Lehre und den Kult der Eucharistie von
Papst Paul VI. (3. 9. 1965) wird die Gegenwart Christi nicht bloß in der Liturgie,
sondern überhaupt in der Kirche, dazu noch umfassender und ausführlicher erklärt:

Aber ein anderer, ganz besonderer Grund ist es, warum Christus seiner Kirche gegenwärtig ist im
Sakrament der Eucharistie und weswegen dieses Sakrament im Vergleich zu den anderen Sakramenten
„inniger an Andacht, schöner in seinem Sinngehalt, heiliger in seinem Wesen ist“ (Aegidius Romanus,
Theoremata de Corpore Christi, theor. 50): es enthält nämlich Christus selbst und ist „gewissermaßen die
Vollendung des geistlichen Lebens und das Ziel aller Sakramente (Thomas, Summ. Theol., III, q. 73, Nr. 3c).
Diese Gegenwart wird „wirklich“ genannt, nichrt im ausschließenden Sinn, als ob die anderen nicht
„wirklich“ wären, sondern in einem hervorhebenden Sinn, weil sie wesentlich ist, wodurch der ganze und
unversehrte Christus, Gott und Mensch, gegenwärtig wird.
(DEL I, 230-232).

SC 7: Definition der Liturgie: Mit Recht gilt also die Liturgie als Vollzug des
Priesteramtes Jesu Christi; durch sinnenfällige Zeichen wird in ihr die Heiligung des
Menschen bezeichnet und in je eigener Weise bewirkt und vom mystischen Leib
Jesu Christi, d. h. dem Haupt und den Gliedern, der gesamte öffentliche Kult
vollzogen.
Infolgedessen ist jede liturgische Feier als Werk Christi, des Priesters, und seines
Leibes, der die Kirche ist, in vorzüglichem Sinn heilige Handlung, deren Wirksamkeit
kein anderes Tun der Kirche an Rang und Maß erreicht.

Ein wichtiger Satz: durch sinnenfällige Zeichen wird in ihr die Heiligung des
Menschen bezeichnet und in je eigener Weise bewirkt und vom mystischen Leib

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Jesu Christi, d. h. dem Haupt und den Gliedern, der gesamte öffentliche Kult
vollzogen.
Hier wird das Wesen der Liturgie als Dialog zwischen Gott und Menschen
ausgedrückt. In dieser Formulierung wird sowohl der göttliche Herabstieg
(katabatische Aspekt: die Heiligung des Menschen) als auch der menschliche
Aufstieg (anabatische Aspekt: Darbringung des öffentlichen Kultes) ausgedrückt.
Diese Stelle kann in ihrer Bedeutung kaum hoch genug eingeschätzt werden. Gott
wendet sich in der Liturgie dem Menschen zu in Wort und Sakrament und der
begnadete Mensch antwortet Gott durch Lobpreis, im eucharistischen Opfer und
Gebet. Beide Aspekte, der katabatische und der anabatische, sind nur zwei
Sichtweisen der ein und derselben Wirklichkeit, nämlich der liturgischen Feier. Die
Katabasis Gottes ermöglicht erst die Anabasis des Menschen. Gott bedarf schließlich
auch nicht der Ehre durch den Menschen. Gott will den Menschen in die göttliche
Lebensfülle einbeziehen (vgl. KUNZLER, Die Liturgie der Kirche 21f).

Ein wichtiger Satz: Infolgedessen ist jede liturgische Feier als Werk Christi, des
Priesters, und seines Leibes, der die Kirche ist, in vorzüglichem Sinn heilige
Handlung, deren Wirksamkeit kein anderes Tun der Kirche an Rang und Maß
erreicht. Auch hier sind beide Aspekte ausgedrückt: Werk Christi und seines
Leibes. Kein anderes Tun der Kirche ist wirksamer als die liturgische Feier, weil sie
vor allem zunächst Werk Christi, aber auch Tun seiner Kirche ist.

SC 8: Vorauskosten der himmlischen Liturgie


Beim Sanctus ist der Himmel offen und nehmen die Gläubigen am Chor des
Himmels teil.

SC 9: die drei Grundvollzüge der Kirche:


(die drei Säulen der Welt: gemäß einem Apophthegma des Hohenpriesters Simeon
des Gerechten [um 200 vChr.; vgl. Sir 50, 1-21; vgl. STANDAERT, B., Le tre colonne
del mondo, Magnano 1992, 10]:
die Welt ruht auf drei Säulen: auf dem Studium der Weisung Gottes, auf dem
Gottesdienst und auf den Werken der Barmherzigkeit
– Studium der Weisung Gottes: Die Welt ruht auf drei Säulen, aber die erste ist die
Erkenntnis, das Wissen im Licht Gottes.
Oft wird es heute vergessen, dass das zum Christ-Sein gehört: das Kennenlernen
des Glaubens, das Weitergeben des Glaubenswissens;
– Gottesdienst: Die Welt ruht auf drei Säulen, aber die edelste ist der Gottesdienst,
der Höhepunkt im christlichen Leben.
– Werke der Barmherzigkeit: Das christliche Leben muss sich im Alltag bewähren:
die Kunst der Nächstenliebe)

Simeon d. G.: Studium Gottesdienst Werke der


Barmherzigkeit

Bened. Axiom: lege ora labora


(vgl. RB 60) (lies) (bete) (arbeite)

Grundvollzüge: martyria leitourgia diakonia


(griech.) (Zeugendienst) (Gottesdienst) (Liebesdienst)

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Grundvollzüge: munus docendi munus sanctificandi munus reggendi
(lat.) (Verkündigungsdienst) (Heiligungsdienst) (Leitungsdienst)

KKK: Glaubensbekenntnis Die Feier des Das Leben in


des christlichen Christus
Mysteriums

SC 10: die Liturgie als Höhepunkt und Quelle (culmen et fons)

In Mediator Dei 201 heißt es vom eucharistischen Opfer:


Das hochheilige Opfer der Altäre ist der hauptsächlichste Akt der Gottesverehrung. Es muß daher auch Quelle
und gleichsam Mittelpunkt der christlichen Frömmigkeit sein. Glaubt niemals, eurem apostolischen Eifer
Genüge getan zu haben, ehe ihr nicht eure Gläubigen in möglichst großer Zahl dem himmlischen Gastmahl
zugeführt habt, das da ist das Sakrament der Frömmigkeit, das Zeichen der Einheit, das Band der Liebe.

Auch in der Konstitution des 2. Vatikanischen Konzils über die Kirche (Lumen
Gentium) 11 wird die Eucharistie als Quelle und Höhepunkt genannt:
In der Teilnahme am eucharistischen Opfer, der Quelle und dem Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens,
bringen sie das göttliche Opferlamm Gott dar und sich selbst mit ihm.

Auch im Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche (Christus
Dominus) 30,2 wird die Eucharistie als Quelle und Höhepunkt hervorgehoben:
Beim Vollzug des Werkes der Heiligung sollen die Pfarrer dafür sorgen, dass die Feier des eucharistischen
Opfers Mitte und Höhepunkt des ganzen Lebens der christlichen Gemeinde ist.

Im Dekret über die Ausbildung der Priester (Optatam totius ) heißt es:

Die heilige Liturgie ist als erste und notwendige Quelle des wahrhaft christlichen Geistes zu betrachten …
(Optatam totius 16).

SC 11: damit die Gläubigen bewusst, tätig und mit geistlichem Gewinn teilnehmen (ut
fideles scienter, actuose et fructuose eandem participent).
22. 11. 1903: Papst Pius X. spricht im Motuproprio Tra le sollecitudini von der
„actuosa participatio fidelium“, dh. von der tätigen Teilnahme der Gläubigen an den
hll. Mysterien:
Die erste und unerlässliche Quelle aber, aus der dieser [wahrhaft christliche] Geist geschöpft wird, ist die aktive
Teilnahme der Gläubigen an den heiligen Mysterien und an dem öffentlichen und feierlichen Gebete der Kirche.
(vgl. ISERLOH, E., Die Liturgische Bewegung, in: JEDIN H. (Hg.), Handbuch der Kirchengeschichte 7, Freiburg
1979, 303f).
Das Motuproprio „Tra le sollecitudini“ behandelt eigentlich die Kirchenmusik (gegen
Opernorchestermusik; und für klassische Polyphonie und vor allem für Gregorianik;
Pius X. war nicht gegen nationale Überlieferungen und Kompositionen, solange
diese einen religiösen und künstlerischen Charakter hatten).
In SC 14-20 wird die actuosa participatio noch näher ausgeführt.

SC 12: privates Beten


Das private Beten darf nicht fehlen. Das Gebet ohne Unterlass zeichnet den wahren
Beter aus und entspricht klaren biblischen Mahnungen.

SC 13: Andachtsübungen

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Die Andachtsübungen (Rosenkranz, Litaneien, Segensandachten) dürfen nicht
abgeschafft werden, sondern werden sehr empfohlen, sofern sie den Regeln der
Kirche entsprechen.

SC 14: Liturgische Bildung


Hier ist von der totius populi plena et actuosa participatio (volle und tätige Teilnahme
des ganzen Volkes) die Rede. Darauf ergibt sich die Notwendigkeit zur liturgischen
Katechese (Unterweisung). Zunächst müssen aber die Seelsorger selber vom Geist
der Liturgie tief durchdrungen sein.
Hier wird auch nochmals auf die Liturgie als Quelle hingewiesen.

SC 15: Liturgische Ausbildung der Dozenten für Liturgiewissenschaft


Gediegene Ausbildung

SC 16: Liturgiewissenschaft
Disciplina principale

SC 17: Liturgische Formung des geistlichen Lebens der Kleriker


(Priesteramtskandidaten)

SC 18: Liturgische Fortbildung der Priester

SC 19: Liturgische Bildung der Gläubigen

SC 20: Übertragung heiliger Handlungen durch Rundfunk und Fernsehen

c) Der Katechismus der Katholischen Kirche

Der KKK erklärt die Liturgie vor allem als Werk der Heiligsten Dreifaltigkeit (vgl.
KKK1076-1112).
KKK 1110: In der Liturgie der Kirche wird Gott der Vater gepriesen und angebetet
als der Ursprung allen Segens der Schöpfung und des Heiles, mit dem er uns in
seinem Sohn gesegnet hat, um uns den Geist der Annahme an Kindes Statt zu
geben.

Die Gnade in der Liturgie kommt: Ja, du bist heilig, großer Gott, und alle deine
(Herabsteigen der Gnade Gottes) Werke verkünden dein Lob. Denn durch
deinen Sohn, unseren Herrn Jesus Christus,
und in der Kraft des Heiligen Geistes erfüllst
du die ganze Schöpfung mit Leben und
Gnade. (vgl. Hochgebet III; MB 490)
Der Kult wird dargebracht: Durch ihn und mit ihm und in ihm ist dir,
(Hinaufsteigen des Menschen) Gott, allmächtiger Vater, in der Einheit
des Heiligen Geistes alle Herrlichkeit und
Ehre jetzt und in Ewigkeit. Amen.
(Schlussdoxologie zum Hochgebet

9
1.3. Die Liturgiewissenschaft

1.3.1. Die Liturgiewissenschaft als Glaubenswissenschaft


Die Liturgiewissenschaft ist eine Teilwissenschaft der Theologie; sie ist eine
Glaubenswissenschaft, und hat dieselben Postulate wie die Theologie: Sie setzt
voraus, dass es Gott gibt, dass er sich in der Hl. Schrift und durch Christus offenbart
hat, dass er die Kirche gestiftet hat und dass er durch den Heiligen Geist Tag für Tag
wirkt. Das Thema der Liturgiewissenschaft ist der Glaube der Kirche in seiner
gottesdienstlichen Gestalt. Die Liturgiewissenschaft reflektiert mit wissenschaftlichen
Methoden den in Gebet und rituellen Handlungen gefeierten Glauben. (MESSNER,
Einführung 26).
M. Kunzler fragt, ob Liturgiewissenschaft auch von einem Ungläubigen betrieben
werden könnte. Ist eine areligiöse Liturgiewissenschaft möglich? In ihr würde die
ganze Art des christlichen Gottesdienstes als anthropologisches Phänomen
untersucht und vom jeweiligen kulturellen und sozialen Kontext der Zeit betrachtet.
Letztlich ist aber eine areligiöse Liturgiewissenschaft keine Teilwissenschaft der
Theologie mehr, sondern muss in der Bereich der Religionswissenschaft angesiedelt
werden.
Liturgiewissenschaft wird vom gläubigen Christen angegangen. Fides quaerens
intellectum. (Der Glaube sucht das Erkennen.) Der auf Gott vertrauende Christ will
tiefer eindringen in die Kenntnis Gottes, den Glauben in seiner gottesdienstlichen
Gestalt kennen.
Gerade die Liturgiewissenschaft soll betend angegangen werden. Die Liturgie als
Dialog zwischen Gott und Kirche hat letztlich die Vereinigung des Menschen mit Gott
als Ziel.

1.3.2. Was Liturgiewissenschaft nicht ist:


+ Liturgiewissenschaft kann nicht mit Zeremonienkunde gleichgesetzt werden. Es
geht bei der Liturgie nicht einfach nur um den äußeren und sinnfälligen Teil des
Gottesdienstes oder bloß um die äußerlich würdige Feier der Zeremonien. Da wäre
Liturgie letztlich nur Ästhetizismus.
+ Liturgiewissenschaft kann nicht mit Rubrikenkunde gleichgesetzt werden. Ein
Rubrik (vom lateinischen rubrum = rot) ist eine (meist rotgeschriebene) Vorschrift in
einem liturgischen Buch. Liturgie ist nicht bloß eine Sammlung von Gesetzen und
Vorschriften, die von der kirchlichen Hierarchie erlassen sind, um die heiligen Riten
recht zu erfüllen. Da wäre Liturgie bloße Rubrizistik.
+ Das Fach Liturgiewissenschaft ist kein Selbstverwirklichungsseminar. Es geht nicht
um die Frage, wie verwirkliche ich mich als guter Priester im Gottesdienst, als
Priester mit Erfolg. Der Priester und jeder, der die Liturgie mitfeiert, muss sich vor
allem als Diener Christi und Diener der Kirche erkennen.
+ Das Fach Liturgiewissenschaft hat nichts mit Show und Theaterwissenschaft zu
tun. Der Priester soll nicht versuchen, den Gottesdienst mit ausgefallenen „actions“
oder „shows“ auszustatten, sondern einfach gläubig Gottesdienst feiern: freilich mit
pastoraler Klugheit und Rücksicht auf die Mitfeiernden, aber ohne von Gott
abzulenken. Christus soll die Mitte und das Ziel des Gottesdienstes sein.

10
1.3.3. Einteilung der Liturgiewissenschaft:

1.3.3.1. Historische Liturgiewissenschaft (historische Aspekte)


Die Mutterdisziplin der Liturgiewissenschaft ist die Kirchengeschichte. (MESSNER,
Einführung 19). Studien im Rahmen der Kirchengeschichte zur Liturgie haben das
Forschen an liturgischen Texten eingeleitet und den systematischen und den
praktischen Aspekt der Liturgiewissenschaft immer wieder befruchtet. Die historische
Liturgiewissenschaft erschließt die gottesdienstlichen Quellen der Vergangenheit.
Das Ziel der historischen Liturgiewissenschaft ist die Rekonstruktion des
Gottesdienstes der Vergangenheit. Auf die historische Liturgiewissenschaft muss
immer wieder zurückgegriffen werden, um die einzelnen liturgischen Wirklichkeiten
heute zu verstehen.
Wichtig: Die Liturgiewissenschaft soll allerdings nicht eine Teilwissenschaft der
Geschichte werden. Sie ist vor allem ein theologisches Fach.

1.3.3.2. Systematische Liturgiewissenschaft (theologische Aspekte)


Die systematische Liturgiewissenschaft hat die Aufgabe, zu zeigen, welche
Bedeutung die einzelnen liturgischen Worte, Riten und Elemente haben. Welche
Glaubensbotschaften verbergen sich in ihnen? Von der frühen Kirche bis ins
Mittelalter, aber auch in der Neuzeit gibt es viele Mystagogische Katechesen bzw.
Liturgie-Kommentare, in denen es um die Frage geht: Was bedeuten die liturgischen
Handlungen?
a) Einige Beispiele:
+ Gefaltete Hände: Sie gehen auf jenen alten germanischen Ritus zurück, bei dem
ein Gefolgsmann seinem Herrn Gehorsam und Treue gelobte (germanisches
Feudalrecht): der Gefolgsmann legte die Hände in die Hände des Herrn (wie bei der
Priesterweihe). Sie drücken Treue und Gehorsam, aber gleichzeitig auch Vertrauen
aus. Sie weisen in die Höhe, zum Herrn hin.
Die gefalteten Hände mit verschränkten Fingern drücken Gesammeltheit und Ruhe
aus. Die beiden Hände sind harmonisch zusammengeflochten.
+ Kniebeuge vor Gott: kommt vom hellenistisch-römischen Götter- und Kaiserkult; die
Christen haben nur einen Gott; er wird mit einer Kniebeuge verehrt. Jesus, ich grüße
dich, du aber segne mich oder Heiland, ich bete dich an oder Gelobt sei Jesus
Christus.
+ Knien vor Gott (Circumflectio): Ausdruck der Ehrfurcht und Anbetung; Apg 20,36
(Paulus betet bei seinem Abschied in Milet kniend mit der Gemeinde); Nie ist der
Mensch größer, als wenn er kniet (Sel. Papst Johannes XXIII.); ein Kunsthistoriker,
der eine berühmte, wertvolle Christusstatue besichtigt, ist enttäuscht: sie machte auf
ihn nicht den erhofften Eindruck. Da sagte ihm jemand: „Mein Herr! Sie müssen
niederknien und das Christusbild von unten ansehen“.
+ Sichausstrecken auf dem Boden (Prostratio/Proskynesis): ein besonderer
Ausdruck der Ehrfurcht und Anbetung; beim Sakrament der Weihe, bei der Profess,
am Karfreitag: der Mensch macht sich ganz klein vor Gott; er ist ganz wehrlos: er
ergibt sich vor Gott; er gibt sich Gott hin. Er betet den Herrn an.
Ezechiel fällt bei der Erscheinung Gottes und des Thronwagens auf sein Gesicht; vgl.
Ez 1,28 (als Zeichen des Erschreckens und der ehrfürchtigen Anbetung).
+ Verneigung vor Menschen und Gott (Inclinatio/Proskynesis): vor allem im Mittelalter
in der römischen Liturgie sehr verbreitet; Ausdruck der Ehrfurcht (vgl. Gen 37,7:
Traum des Josef).
+ Stehen vor Gott: Ausdruck der bereiten Aufmerksamkeit: 1 Kön 19,13 (Elija!);
Evangelium

11
Ausdruck der Freude: vgl. die Fans beim Tor während eines Fußballspiels; Gloria
(Jubel); Evangelium (Frohe Botschaft);
Ausdruck des Bekenntnisses (wie die Apostel, die im Tempel stehen und lehren und
die vor dem Hohen Rat stehen: Apg 5,25.27): Glaubensbekenntnis
Ausdruck der Standhaftigkeit und Treue (wie der hl. Benedikt, der stehend stirbt)
+ Sitzen vor Gott: Haltung des Rastens und der Nahrungs-Aufnahme (vgl. Mt 14,19:
Speisung der Menge)
+ Liturgische Kleidung: sie drückt aus, dass die liturgische Handlung nichts profanes,
sondern ein göttlicher, heiliger Moment ist; die Liturgie ist das Werk Gottes; das
Menschliche wird zugedeckt; die Kirche soll in ihrer Heiligkeit sichtbar werden.
„Ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus als ein Gewand angezogen“
(Gal 3,27). (das liturgische Kleid als Hinweis auf die Erlösung)
„Hiermit nehme ich deine Schuld von dir und bekleide dich mit festlichen
Gewändern.“ (Sach 3,4). (das liturgische Kleid als Geschenk Gottes)
+ die Albe erinnert an die himmlische Liturgie (vgl. Offb 7,14f: Es sind die, die aus
der großen Bedrängnis kommen; sie haben ihre Gewänder gewaschen und im Blut
des Lammes weiß gemacht. Deshalb stehen sie vor dem Thron Gottes und dienen
ihm bei Tag und Nacht in seinem Tempel).
+ Weiß: weist auf den strahlenden Sieg, auf die Reinheit Christi hin. Im Bericht über
die Verklärung Christi heißt es: Seine Kleider wurden strahlend weiß, so weiß, wie
sie auf Erden kein Bleicher machen kann.
+ Grün: als Farbe der Hoffnung auf dem Weg zu Gott
+ Rot: weist darauf hin, dass Christus sein Blut für die Seinen hingegeben hat
(Palmsonntag, Karfreitag) und König der Märtyrer ist (Märtyrerfeste); dass das Feuer
des Heiligen Geistes der Kirche geschenkt ist (Pfingsten).
+ Violett: als Farbe des Übergangs (Rot ist die Farbe des Blutes, des Fleisches,
letztlich des Irdischen; Blau ist die Farbe des Himmels); der Advent erinnert an die
Ankunft Christi (vom Himmel zur Erde); die Fastenzeit mahnt zur Umkehr (von der
Erde zum Himmel). Auch bei einem Begräbnis wird Violett als Farbe der
Transzendenz, des Übergangs gesehen (als vorösterliche Farbe).
+ Rosarot: als Farbe der Morgenröte; das Kommen des Weihnachtsfestes bzw. des
Ostersonntags wird gleichsam wie mit einer Morgenröte durch den Sonntag
„Gaudete“ (3. Adventsonntag) und Sonntag „Laetare“ (4. Fastensonntag)
angekündigt.
+ Schwarz: die Farbe der Trauer, des Leides: der Schmerz wird nicht verdrängt,
sondern ernst genommen. Durch die Liturgie geschieht dann der nächste Schritt: der
Blick der Trauernden wird auf das Ewige gelenkt.
+ Gold / Silber: die Farben der Herrlichkeit, der Ewigkeit.
+ Literatur zur einfachen Ausdeutung von liturgischen Riten:
GSCHWIND, L., Die heilige Messe. Symbole, Farben, Handlungen, Augsburg 1997.
3
KAPELLARI, E., Heilige Zeichen, Graz 1989.

b) Das Axiom Lex orandi – lex credendi


Hier kommt das berühmte Axiom (Ein Axiom ist eine unmittelbar einleuchtende
Grundaussage) „lex orandi – lex credendi“, oder in der Originalfassung des Prosper
von Aquitanien „ut legem credendi lex statuat supplicandi“ zu tragen. Die
Glaubensinhalte der im Laufe von Traditionen überlieferten Gebete sind Richtschnur
für den Glauben. Die erste Erwähnung dieses Leitsatzes findet sich beim Theologen
und späteren Mönch Prosper von Aquitanien († 455). Zur Zeit von Prosper ging es
um die Frage der Gnade im Zusammenhang mit den Semipelagianern („Sind Bitten
an Gott mit der Erwartung auf Gnade sinnvoll?“). Dieser antwortete, dass man in
12
einer Glaubensfrage nicht nur die Bestimmungen des Apostolischen Stuhles
anführen, sondern auch die „Sakramente der priesterlichen Gebete“ heranziehen
solle, dh. die Liturgie berücksichtigen solle, „damit die Regel des Betens die Regel
des Glaubens bestimme“ (Legem credendi lex statuat supplicandi). Also in
Glaubenssachen sollen auch die liturgischen Texte als Quellen theologischer
Feststellungen verwendet werden. In diesem konkreten Fall hat Prosper von
Aquitanien damit zeigen können, dass die Tatsache, dass in der Kirche der Apostel
um die Gnade gebetet wird, ein Beweis für die theologische Lehre von der
Notwendigkeit der Gnade sei. Gerade das wurde ja von den Semipelagianern
geleugnet.
+ Das theologische Fundament des Axioms „Lex Orandi – Lex Credendi“ ist die
Überzeugung, dass in der betenden, die Liturgie feiernden Gemeinde Christus und
der Heilige Geist (vgl. Röm 8,26f) am Werk sind. Der grundsätzliche apostolische
Ursprung der Liturgie und ihre objektive Heiligkeit verleihen der Liturgie zusätzlich
Autorität. Die Texte der Liturgie stellen außerdem im ganzen einen Widerhall der Hl.
Schrift dar. Die Liturgie nimmt daher, ähnlich wie die Hl. Schrift, in der Theologie den
Charakter eines „locus theologicus“ an, dh. einer Fund– und Beweisstelle für die
Wahrheiten des Glaubens.
+ Das Wissen um diese theologisch–dogmatische Bedeutung der Liturgie blieb der
abendländischen Theologie immer erhalten, auch wenn von diesem Wissen (im
Gegensatz zur Theologie der orthodoxen Kirchen) bis hin ins Mittelalter im Westen
nur wenig Gebrauch gemacht wurde.
+ Die Päpste des 20. Jh.s hoben dieses Axiom wieder neu hervor. Pius XI. nannte in
diesem Zusammenhang die Liturgie „das wichtigste Organ des ordentlichen
Lehramts“. Auch Papst Pius XII. beschäftigte sich mit diesem Axiom. Er erklärte es,
legte aber auch Grenzen für seine Anwendung fest. Er drehte sogar den Ausdruck
um und formulierte: Lex credendi – lex orandi). Durch das Gesetz des Glaubens solle
das Gesetz des Betens bestimmt werden.
+ Diese beiden Axiome stehen allerdings nicht im Gegensatz zueinander, sondern
ergänzen einander. Die lebendige Form des Betens und Feierns bietet der
glaubenden Kirche Anlass, Lehrelemente zu entdecken. Dann prüft sie diese
Lehrelemente nach ihrer Relevanz für den Lehrglauben und betätigt sich damit als
Lex Credendi.
+ Dass Papst Pius XII. diese Umkehrung vornahm hängt aber auch damit
zusammen, dass er die Gefahr und den Einfluss des Modernismus sah. Eine
subjektive religiöse Erfahrung kann schnell eine in sich selbst stehende autonome
Liturgie erzeugen, die dann Quelle eines von der Kirche unabhängigen Glaubens ist.
Diesem Missverständnis begegnet das Axiom „Lex Credendi – Lex Orandi“.
Indem man am erstgenannten Axiom von der „Lex Orandi – Lex Credendi“ unter der
Bedingung und der Voraussetzung des zweiten Grundsatzes von der
„Lex Credendi – Lex Orandi“ festhält, eröffnet man sich den Blick für die eigentliche
Bedeutung der Liturgie unter dem Aspekt des durchbeteten Glaubens. Es gibt nicht
wenige Beispiele dafür, dass Menschen nicht zuletzt durch das Mitfeiern der
kirchlichen Liturgie zum Glauben kamen und im Glauben wachsen.
+ Ausführliche Literatur zum Axiom „Lex Orandi – Lex Credendi“:
CLERCK, P. de, „‘Lex orandi, lex credendi‘. Sens originel et avatars historiques d‘un adage équivoque“, in:
Qestiones liturgiques 59 (1978) 193–212.
SCHEFFCZYK, L., Lex Orandi – Lex Credendi. Die Liturgie als Norm des Glaubens, in: STEINSCHULTE, G. M.
(Hg.), Musica Spiritus Sancti Numine Sacra. Beiträge zur Theologie der Musica Sacra aus den Publikationen der
Consociatio Internationalis Musicae Sacrae, Città del Vaticano 2001 (Editrice Vaticana), 75–91.
SCHULZ, H.–J., „Der Grundsatz ‚lex orandi – lex credendi‘ und die liturgische Dimension der ‚Hierarchie der
Wahrheiten‘“, in: Liturgisches Jahrbuch 49 (1999) 171–181.

13
1.3.3.3. Praktische Liturgiewissenschaft (pastorale Aspekte)
Wie soll der Glaube der Kirche in der jeweiligen liturgischen Handlung bezeugt,
vergegenwärtigt und verkündet werden, mit welchen konkreten Riten, Liedern und
Worten?
Es geht hier darum, in welchen konkreten Handlungen, Riten und Worten der Liturgie
der Glaube der Kirche bezeugt, vergegenwärtigt und verkündet wird. Die Impulse der
Liturgiereform drängen dazu, dass allen Teilnehmern am Gottesdienst eine
participatio actuosa (tätige Teilhabe) ermöglicht wird.
Dabei ist es natürlich einerseits wichtig, auf die Teilnehmer der Liturgie Rücksicht zu
nehmen (Konventmesse, Schulgottesdienst; Familiengottesdienst; Gottesdienst einer
Seniorengruppe; Künstler–Gottesdienst; spanischer Gottesdienst, afrikanischer
Gottesdienst; ökumenischer Gottesdienst; etc.)
Anderseits ist es aber sehr wichtig, die Glaubensinhalte der Liturgie nicht zu
verkürzen oder zu verändern. Ausgangspunkt und Kern der Praktischen
Liturgiewissenschaft bleibt letztlich immer die systematische Liturgiewissenschaft, in
der die Übereinstimmung der liturgischen Elemente mit dem Glaubensgut der Kirche
betrachtet wird (also die Frage nach dem Glaubensinhalt, nach dem „Was“, während
die Praktische Liturgiewissenschaft nach dem „Wie“ fragt).
Wer mit der Gestaltung von Gottesdiensten zu tun hat, kann leicht der Versuchung unterliegen, irgendwelche
bedeutungsvolle Gesten aus Rücksicht auf Spezialwünsche einzelner zu vernachlässigen.
Ein Beispiel: Irgendjemand schlägt bei der Vorbereitung eines Gottesdienstes vor, dass statt statt der Lesung aus
der Heiligen Schrift eine schöne Geschichte vorgelesen werden soll. Als Begründung: die Geschichte ist so
lehrreich und schön und einfach zu verstehen, etc. ABER: das Fundament unseres Glaubens ist doch die Hl.
Schrift, das Wort Gottes.

1.3.3.4. Liturgie und Kirchenrecht (juridische Aspekte)


Im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts galt der juridische Aspekt der Liturgie als
zentraler Bereich der Liturgiewissenschaft.
Er ist auch heute noch wichtig. Durch Can. 838 §2 haben alle vom Apostolischen
Stuhl herausgegebenen Bücher auch juridische Bedeutung:
Sache des Apostolischen Stuhles ist es, die heilige Liturgie der ganzen Kirche zu
ordnen, die liturgischen Bücher herauszugeben und ihre Übersetzungen in die
Volkssprachen zu überprüfen sowie darüber zu wachen, dass die liturgischen
Ordnungen überall getreu eingehalten werden.

Allerdings darf der juridischen Zugang zur Liturgiewissenschaft nicht zu Rubrizismus


(Erklärung der liturgischen Handlung allein mit Berufung auf das Kirchenrecht, ohne
Hinweis auf theologische Bedeutungen) oder zu skrupulösen Ängsten (im Umgang
mit liturgischen Gesetzen) führen.

1.3.3.5. Liturgie und Spiritualität (spirituelle Aspekte)


B. Neunheuser spricht von einer liturgischen Spiritualität (vgl. NEUNHEUSER, B.,
Spiritualità liturgica, in: Nuovo Dizionario di Liturgia, Cinisello Balsamo 51993, 1325-
1345). Sie ist die Haltung des Christen, der sein Leben bewusst auf die authentische
Feier des Liturgie aufbaut. In einer liturgischen Spiritualität wird thematisiert, wie die
Liturgie tatsächlich culmen et fons im Leben des Christen sein kann (vgl. SC 10).

14
2. Geschichte der Liturgie im Rahmen der Kulturepochen

- ADAM, A., Grundriß Liturgie, Freiburg 1986.


– KUNZLER, M., Die Liturgie der Kirche, Paderborn 1995.
- MARTIMORT, A.-G. (Hg.), Handbuch der Liturgiewissenschaft 1-2, Freiburg 1963.1965 (Originalausgabe: frz.).
– MESSNER, R., Einführung in die Liturgiewissenschaft, Paderborn 2001.
– METZGER, M., Geschichte der Liturgie, Paderborn 1998 (Originalausgabe: frz.).
5
- SARTORE, D. – TRIACCA, A. M. (Hg.), Nuovo Dizionario di Liturgia, Cinisello Balsamo 1993.
– VO·ICKY, B. J. M., Sakraltheologie IV. Fundamentalliturgik, Heiligenkreuz 2003.
– WEGMAN, H. A. J., Liturgie in der Geschichte des Christentums, Regensburg 1994 (Originalausgabe:
niederländisch).

Bestimmte Inhalte und äußere Elemente der Liturgie können nicht geändert werden.
Es gibt bestimmte Bereiche der Liturgie, die im Rahmen der Heiligen Schrift bereits
fixiert sind und weder von einem Papst, noch von einem Konzil, noch von einer
Kirchenversammlung abgeändert werden können (zB. Glaube an den einen,
dreifaltigen Gott und an die Erlösung durch Christus; Taufe mit Wasser; Feier der
Eucharistie als Feier des Erlösungsopfers Christi).

+ Es gibt aber sehr viele Elemente der Liturgie, die im Laufe der Zeiten Veränderung
erfahren haben: liturgische Kalender, Feier-Abläufe, liturgische Kleidung, liturgische
Gebete, Riten;
+ Die Liturgie hat sich immer wieder in die jeweils zeitgenössischen Kulturepochen
inkarniert. Immer wieder kam es zur Inkulturation der wesentlichen, unveränderlichen
Bestandteile der Liturgie im Gewand der jeweiligen Kultur.
+ Es kam im Laufe der Geschichte zu Entfaltungen der vom Herrn vorgegebenen
liturgischen Möglichkeiten, zu Reformen, aber auch zu Degenerationserscheinungen.
Zuständige Autorität zur Regelung der Liturgie ist von Anfang an die hierarchisch
verfasste Kirche. Christus sagte zu Petrus: was du auf Erden binden wirst, wird auch
im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im
Himmel gelöst sein. (Mt 16,19) und Christus hat zu den Aposteln gesagt: Alles, was
ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein, und alles, was
ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein. (Mt 18,18).

2.1. Die Epoche des Neuen Testaments und die Zeit der Apostel
2.1.1. Christus als Fundament der Liturgie
Das Fundament unserer Liturgie ist Christus selbst.
- Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn (Gal 4,4). Das Leben Christi
ist eine Quelle von endlos vielen Gnaden für die Menschen. Es umfasst eine Vielzahl
von Gnadenmomenten für die Menschen. Aus seine Fülle haben wir alle empfangen:
Gnade über Gnade. (Joh 1,16).
- Zu diesen Gnadenmomenten zählen die Menschwerdung Christi, Geburt, die
Heilungen, Verkündigung der Frohen Botschaft, die Berufung der Apostel, etc.
Höhepunkt der Momente zum Heil der Menschen im irdischen Leben Christi bildet
das Paschamysterium: das Leiden, Sterben und Auferstehen Christi, durch das die
Menschen erlöst sind.
- Die Liturgie seit den Anfängen der Liturgiegeschichte ermöglicht den Gläubigen die
Begegnung mit Christus und seinen gesamten Heilsmomenten. Christus ist
gegenwärtig:
+ vor allem in der Eucharistie (vgl. Mk 14,23: Das ist mein Leib und Mk 14,24: Das
ist mein Blut )

15
+ in den Aposteln (vgl. Joh 20,21: Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich
euch und: vgl. Mt 10,40: Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf ).
+ in den einzelnen Sakramenten (vgl. 2.1.5.)
+ im Wort Christi
+ wenn zwei oder drei im Namen Jesu versammelt sind (vgl. Mt 18,20).
- Papst Leo der Große († 461) sagt: Was an unserm Erlöser sichtbar war, ist in seine
Mysterien übergegangen. (Sermo 73 de Ascensione Domini 2.4: PL 54.395f; vgl.
KKK 1115).

2.1.2. Christus und der jüdische Kult


VO·ICKY, Sakraltheologie IV, 21-22!
– Jesus wuchs in einer frommen jüdischen Familie auf. Die Hl. Schrift zeigt deutlich,
dass Maria und Josef tiefgläubig waren und auf Gott vertrauten.
– Jesus und seine Jünger kamen aus einem Volk, das beten konnte. Während sich
die hellenistische Welt in einer Krise des Gebetes befand, war im Judentum das
Gebet dank einer festen Gebetsordnung und eines von Gott aufgetragenen Kults im
Tempel unangefochten.
– Zentrum des jüdischen Kults war der Tempel von Jerusalem. Bevor es den Tempel
gab, wurde der Kult im Bundeszelt verrichtet. Der Kult geht auf die Begegnung des
Mose mit Gott am Berg Sinai zurück. Sowohl im Bundeszelt als auch dann im
Tempel gab es das Allerheiligste. In ihm wurde die Bundeslade aufbewahrt als
Symbol für die Begegnung des Mose mit Gott am Berg Sinai. Der Tempel war
sozusagen Symbol für den Berg Sinai. Die Bundeslade enthielt den „Vertrag“
zwischen Gott und Mose: die 10 Gebote. Sie war gleichzeitig ein Symbol für die
Anwesenheit Gottes. Dieser jüdische Kult war von Anfang an sehr unvollkommen. Er
wurde zwar von Gott angeordnet, aber von sündigen Menschen ausgeführt. Der Alte
Bund litt gleichzeitig daran, dass die Menschen immer wieder Gott untreu wurden.
Die babylonische Gefangenschaft und die Zerstörung des Tempels um 586 vChr sind
eine erste Konsequenz davon. Damals ging die Bundeslade verloren. Laut 2 Makk
2,4-8 wurde sie vom Propheten Jeremia versteckt und nie mehr wieder aufgefunden.
Der Tempel wurde unter Esra und Nehemia wieder aufgebaut, unter König Herodes
noch vergrößert. Der Kult wurde wieder gemäß den Anordnungen des Mose
verrichtet. Auch der neugeborene Jesus wurde in den Tempel gebracht, um dort als
männlicher Erstgeborener Gott dargebracht und vorgestellt, durch ein Opfer aber
ausgelöst zu werden (vgl. Lk 2,22ff). Christus betrachtet selbst den Tempel als Haus
seines Vaters (vgl. Lk 2,49; Joh 2,16). Er weiß aber auch um die Hinfälligkeit des
Tempels bescheid (vgl. Mt 24,1f). Im Moment der Kreuzigung Jesu geschieht etwas
im Tempel, das das endgültige Ende des Tempelkultes und dessen Ablöse durch
den wahren Kult einleitet: der Vorhang reißt (Mt 27,51): das Allerheiligste braucht
nicht mehr durch einen Vorhang geschützt werden, denn Gott ist beim Tempelkult
nicht mehr gegenwärtig.
– In den Diaspora-Gemeinden, aber zur Zeit Jesu auch in Palästina war der
Synagogengottesdienst sehr wichtig. Über den Synagogengottesdienst wissen wir
nur aus jüngeren Quellen. Der Synagogengottesdienst begann wahrscheinlich mit
dem Eingangsgebet, dann folgte das Schema, dann die Tephilla mit dem
Priestersegen (Num 6,24-26). Auch die anschließenden beiden Schriftlesungen
waren von Lobsprüchen umrahmt. Die Predigt schloss mit dem Qaddish.
– Das jüdische Volk kennt eine Reihe von Festen, die das Jahr prägen. Besonders
wichtig sind die drei Wallfahrtsfeste (wer in der Nähe von Jerusalem wohnt, macht
eine Wallfahrt nach Jerusalem zum Tempel):

16
+ Pesach (Ostern; vgl. Ex 12; vgl. Joh 2,23; Joh 13,1): Fest anlässlicher der
Befreiung der Israeliten aus Ägypten: vom 15. bis 21. Abib (März / April).
+ Schavuot (griech. Pentekoste, Pfingsten; vgl. Dtn 16,9-11; vgl. Apg 2,1): ein Fest
zum Abschluss des Paschafestes; an diesem Tag wird wegen Ex 19,1 die Übergabe
der Tora gefeiert; 50 Tage nach dem Paschafest
+ Sukkot (Laubhüttenfest; vgl. Dtn 16,13ff; Lev 23,34; Joh 7,2): das große
Erntedankfest; der letzte Tag des Laubhüttenfestes ist besonders festlich, an diesem
Tag wird um Regen gebetet, nach dem Laubhüttenfest beginnt nämlich in Israel die
Regenzeit; Jesus sagt an diesem Tag (vgl. Joh 7,37): Wer Durst hat, komme zu mir,
und es trinke, wer an mich glaubt. Wie die Schrift sagt: Aus seinem Inneren werden
Ströme von lebendigem Wasser fließen. (Joh 7,37f).
Möglicherweise sprach auch Jesus auch das Wort von Joh 8,12 im Zusammenhang
dieses Festes: Ich bin das Licht der Welt. Am letzten Tag des Laubhüttenfestes
wurden nämlich im Vorhof des Tempels vier große Leuchter aufgestellt, die ihr Licht
über ganz Jerusalem verbreiten sollten (vgl. Anm. zu Joh 7,53-8,11 in der
Einheitsübersetzung); vom 15. – 22. Tischri (September / Oktober).
– Hohe Feiertage zur Zeit Jesu:
+ Rosch haSchanah (Neujahrsfest; vgl. Lev 23,23ff): dieser Tag wird als Geburtstag
der Schöpfung und als Tag des Gottesgerichts gefeiert; Hauptcharakteristikum des
Festes ist das Blasen des Schofar (Widderhorn) (vgl. Lev 23,23); möglicherweise ist
Joh 5,1.22-30 (Worte über das Gericht) an diesem Tag anzusiedeln; am 1. Tischri
(im September).
+ Yom Kippur (Versöhnungstag; vgl. Lev 16; vgl. Hebr 9,7): das Fest zur Entsühnung
Israels; der einzige Tag, an dem der Hohepriester in das Allerheiligste eintritt; am 10.
Tischri (September / Oktober)
+ Chanukkah (vgl. 1 Makk 4,52ff; vgl. Joh 10,22): Fest anlässlich der
Wiedereinweihung des Tempels in der Zeit der Makkabäer; vom 25. Kislew bis 3.
Tewet (im Dezember).
+ Purim (vgl. Ester 9,20-32): ein karnevalähnliches Fest anlässlich der Rettung der
Juden im Perserreich durch Ester; am 14. Adar (Februar/März)
+ Schabbat (vgl. Ex 20,8-11; Dtn 5,12-15): wöchentlicher Tag der Ruhe (Verbot des
Feuermachens am Sabbat: Ex 35,3; Verbot des Lasttragens: Jer 17,19ff; aber Leben
retten steht höher). Es gibt in der Synagoge einen speziellen Gottesdienst. In der
Familie zündet die Hausfrau zwei Kerzen an (als Symbole für die beiden Sabbat-
Gebotstexte in Ex und Dtn); es gibt ein festliches Essen mit Gebeten und
Segnungen, die der Hausvater leitet.
– Allgemein wurde der Tag mit dem Aufblick zu Gott bei Sonnenaufgang begonnen
und nach Sonnenuntergang beschlossen. Morgens und abends rezitierten die
Jünglinge und die Männer des israelitischen Volkes das von Benediktionen
(Lobpreisungen) eingerahmte Glaubensbekenntnis, das Schema (Dtn 6,4-9; 11,13-
21; Num 15,41)
(Zizit=Quasten: ein Zeichen für die Treue zu allen Gesetzen gemäß Num 15,38f; vgl.
auch Mt 9,20; Mt 14,36;
Tallit=Gebetsmantel: wird beim Morgengebet erinnert; in der Bibel nicht erwähnt; er
trägt die Zizit und erinnert mit seinen blauen Streifen an den Himmel;
Tefillin=Gebetsriemen: sie dienen dazu, die Kästchen mit dem Schema an der Stirn
und am linken Arm, also beim Herzen, anzubringen: gemäß Dtn 6,8;
Mezuza=Türpfosten: sie ist ein Kästchen mit dem Schema, das am Türpfosten der
Haustüre befestigt ist; der Gläubige berührt sie mit den Fingerspitzen, die er dann
küsst; erstmals bezeugt bei Flavius Josephus);

17
anschließend wurde, jedenfalls in pharasäischen Kreisen, die sogenannte Tephilla
gebetet, das Gebet schlechthin. Von den Pharisäern wurde noch eine dritte
Gebetszeit am Nachmittag eingehalten, zur Zeit des Abendopfers im Tempel. Zu
diesen drei Gebetszeiten kamen die Tischgebete vor und nach jeder Mahlzeit. Vor
dem Essen sprach man den Lobspruch Gepriesen seist du, Herr, unser Gott, König
der Welt, der du Brot aus der Erde hervorgehen lässt. Nach dem Esssen wurde ein
dreiteiliges Dankgebet gesprochen, das mit dem Dank für die Nahrung und für das
Land die Bitte um Erbarmen für Israel verband. Besonders feierlich waren die
Tischgebete am Sabbat und vor allem in der Paschanacht. Weiter kamen die
Lobsprüche hinzu, die den ganzen Tagesablauf, jedes freudige und schmerzliche
Ereignis in Familie oder Volk begleiteten; wir kennen solche Ausrufe z.B. aus den
Benediktionen der Paulusbriefe.
– Doch lauerten hinter der fest geordneten Gebetsfrömmigkeit des antiken
Judentums auch gewisse Gefahren. Gott ist für die einfachen Leute in erster Linie
der weltferne König, dem gehuldigt werden muss mit fixen Regeln. Deshalb steht das
fixierte Gebet im Vordergrund. Das Formular herrscht, das Gebet wird Gewohnheit.
Das Gebet wird mit dem Verdienstgedanken verrichtet: vgl. Lk 18,9-14 (der Pharisäer
und der Zöllner im Tempel).

2.1.3. Christus als Lehrer des Betens


VO·ICKY, Sakraltheologie IV, 22-25!

– Jesus verbringt vor der Berufung der zwölf Apostel eine Nacht im Gebet (vgl. Lk
6,12)
– Jesus betet in der Einsamkeit (vgl. Lk 9,18)
– Jesus betet für Petrus (vgl. Lk 22,31f)
– Gebete Jesu:
+ Dank über die Auserwählung der Unmündigen (vgl. Mt 11,25f): dieses Gebet
spricht Jesus an einem Wendepunkt seiner Wirksamkeit; menschlich gesehen, war
er damals gescheitert, weil die Pharisäer ihn damals bereits ablehnten (vgl. Mt 9,34).
+ Gebet bei der Auferweckung des Lazarus (vgl. Joh 11,41f)
+ Hohepriesterliches Gebet zu Beginn der „Stunde“ des Ganzopfers Jesu (Joh 17)
+ Gebet am Ölberg (vgl. Mt 26,39.42.44)
+ „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mt 27,46; vgl. Ps 22)
+ „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.“ (Lk 23,46; vgl. Ps 31)
– Wir dürfen davon ausgehen, dass es keinen Tag im Leben des erwachsenen Jesus
gab, an dem er nicht die drei Gebetsstunden beachtet hätte, keine Mahlzeit, ohne
dass er das Tischgebet vorher und nachher gesprochen hätte.
– Gebetskatechese Jesu:
+ verborgenes Gebet (vgl. Mt 6,6)
+ Gebet ohne Plappern (vgl. Mt 6,7f)
+ demütiges Gebet (vgl. Lk 18,9-14)
+ „Vaterunser“ (vgl. Mt 6,9-13; Lk 11,2-4)
+ Vertrauen beim Bitten (vgl. Mt 7,7-11; Mk 11,24; Lk 11,9-13)
+ Zudringlichkeit beim Bitten (vgl. Lk 11,8; Lk 18,1-8)
+ Gebet für die Feinde (vgl. Mt 5,44; Lk 6,28)
+ Bitte im Namen Jesu (Joh 14,13f; 15,16; 16,23-26)
+ „Wacht und betet allezeit“ (Lk 21,36)

2.1.4. Das Vaterunser


VO·ICKY, Sakraltheologie IV, 25-30!

18
– Jesus selbst hat nicht nur gesagt, wie die Christen beten sollen, sondern hat auch
die Jünger ein Gebet gelehrt, das alle wichtigen Bitten enthält. Es ist in zwei
Fassungen überliefert: in einer längeren bei Mt 6,9-13 und in einer kürzeren bei Lk
11,2-4. Bei Mt ist das Vaterunser der Mittelpunkt der Bergpredigt. Es ist in eine
Gebetskatechese eingebetet, die das verborgene Gebet (Mt 6,5f) und das Vergeben
(Mt 6,14f) verlangen. Auch bei Lk ist es mit einer Gebetskatechese verbunden. Jesus
spricht vom bittenden Freund (Lk 11,5-8) und vom Vertrauen beim Gebet (Lk 11,9-
13).
– Das Vaterunser bei Lk besteht aus der kurzen Anrede „Abba“ (Vater), aus 2 kurzen
Du-Bitten (Heiligung des Namens, Ankunft des Reiches), aus 2 Wir-Bitten (tägliche
Brot, Vergebung der Sünden) und der Schlussbitte. Das Lk-Evangelium ist wohl
vorwiegend für Heidenchristen verfasst.
– Das Vaterunser bei Mt besteht aus einer längeren Anrede, aus 3 Du-Bitten (der
Wille Gottes geschehe), aus 3 Wir-Bitten (Schutz vor der Versuchung) und der
Schlussbitte. Das Mt-Evangelium ist wohl in erster Linie für Judenchristen verfasst.
– Das Vaterunser wurde sehr oft gedeutet. Die ältesten berühmten Vaterunser-
Kommentare stammen von Tertullian († nach 220), Cyprian von Karthago († 258),
Origenes († 253/54), Hieronymus († 419/420), Ambrosius († 397), Augustinus (†
430). Auch in KKK 2759-2865 ist ein Kommentar zum Vaterunser.
– Einige Gedanken zum Vaterunser:
+ Wir dürfen Gott „Vater“ nennen. Wir können Gott „Vater“ nur im Sohn nennen. Im
Alten Testament hat sich Gott nicht als Vater offenbart. Jesus hat uns den Vater
offenbart und wir sind in Christus an Kindes statt vom Vater angenommen.
Es wird in Röm 8,15 und Gal 4,6 erklärt, dass wir durch den Heiligen Geist zu Gott
„Abba“ sagen dürfen.
+ Gott ist der „Vater unser“, dh. wir alle, die wir ihn Vater nennen, sind seine Kinder.
Ein Ausdruck gegen den Individualismus
+ Gott ist im „Himmel“. Der Himmel bezeichnet keinen Ort, sondern eine
Daseinsweise, die Gegenwart Gottes. Wer das Vaterunser betet, begibt sich ganz
bewusst in die Gegenwart Gottes.
+ Die erste und wichtigste Bitte ist die Heiligung von Gottes Namen. Die Heiligkeit ist
der unzugängliche Brennpunkt seines ewigen Mysteriums. Die Menschen und alle
Geschöpfe sind dazu berufen, Gottes Heiligkeit anzuerkennen und Gott zu preisen.
+ Das Reich Gottes soll kommen. Hier ist der urchristliche Ruf „Marána tha“ (Komm,
Herr) verborgen. Es wird gebetet, dass das Reich Gottes auf dieser Erde immer
stärker werde und letztlich durch die Wiederkunft Christi ganz ankomme.
+ „Dein Wille geschehe“ dieses Wort haben manche Menschen nur nach vielem
Ringen sagen können. Selbst Christus hat sich nur mit Mühe am Ölberg dazu
durchgerungen: Nicht mein, sondern dein Wille geschehe. (Lk 22,42).
Der Beter ordnet sich ganz dem himmlischen Vater unter. Christus ist das große
Vorbild: Ja, ich komme … deinen Willen, Gott, zu tun (Hebr 10,7). Und: Meine Speise
ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat. (Joh 4,34).
+ die Bitte um das Brot umfasst alles, was wir zum Leben brauchen: alle materiellen
und geistigen Güter, die wir brauchen.
Eigentlich heißt die Bitte: gib uns heute unser über-wesentliches (griech.: epi-ousios)
Brot. Das griechische Wort epi-ousios kann auch übersetzt werden mit existentiell,
lebenswichtig, notwendig. Gerade die wörtliche Übersetzung über-wesentlich weist
auf den Leib Christi hin.
+ Die Bitte um Vergebung kann sinnvollerweise nur dann gesprochen werden, wenn
wir bereit sind, allen unseren Schuldnern aus ganzem Herzen zu vergeben und ihnen
gegenüber den ersten Schritt zu wagen.

19
+ Die Bitte, dass Gott uns nicht in Versuchung führen solle, wirft immer wieder viele
Probleme auf. Sie scheint im Gegensatz zu Jak 1,13 zu stehen, wo es heißt: Denn
Gott kann nicht in Versuchung kommen, Böses zu tun, und er führt auch selbst
niemand in Versuchung.
Es gibt verschiedene Versuche, diese Bitte von Mt 6,13 frei zu übersetzen bzw. zu
verstehen; zB.:
Lass nicht zu, dass wir in Versuchung geführt werden.
Hilf uns in der Versuchung.
Lass nicht zu, dass wir der Versuchung anheim fallen.
Eine mögliche Erklärung der wörtlichen Übersetzung dieser Bitte (von Mt 6,13) ist
auch:
Führe uns nicht in (die gerechte) Versuchung (Die Versuchungen stehen uns zu, weil
wir gesündigt haben. Jede Sünde hinterlässt eine gewisse Neigung zum Sündigen).
Der gerechte Gott führt den Sünder wieder in die Versuchung (als neue
Entscheidungsmöglichkeit).
Wir bitten jedoch darum, dass Gott in seiner Barmherzigkeit uns Sünder von der
Versuchung befreit.
+ Die letzte Bitte, die Schlussbitte, ist der radikale Ruf des Hilfe Schreienden in einer
Welt voll Ungerechtigkeit. Der Beter bittet ganz radikal um die Vernichtung von allem
Bösen. Diese Schlusszeile ist ein weithin hallender Hilferuf.
+ Die Schlussdoxologie fehlt in den ältesten Manuskripten von Mt 6. Dazu muss man
wissen, dass es im Judentum zwei Formen des Gebetsschlusses gab, den fixierten
Schluss und den vom Beter frei formulierten Schluss (hatima = Siegel). Spätestens
Ende des 1. Jh.s hat sich eine feste Form der Doxologie allgemein eingebürgert.

2.1.5. Die Grundlegung der sieben Sakramente


VO·ICKY, Sakraltheologie IV, 13-18!
Alle sieben Sakramente, die zwar im Laufe der Jahrhunderte verschiedene
Entwicklungen durchgemacht haben, haben ihren Ursprung in Christus. Jedes
Sakrament ist mit Momenten in Jesu irdischem Leben zu verbinden.
Taufe: Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern;
tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und
lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. (Mt 28,18f).
Firmung: Und ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand
geben, der für immer bei euch bleiben soll. Es ist der Geist der Wahrheit, den die
Welt nicht empfangen kann. (Joh 14,17; vgl. Apg 2).
Eucharistie: Er sprach das Dankgebet, brach das Brot und sagte: Das ist mein Leib
für euch. Tut dies zu meinem Gedächtnis! Ebenso nahm er nach dem Mahl den
Kelch und sprach: Dieser Kelch ist der Neue bund in meinem Blut. Tut dies, sooft ihr
daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis. (1 Kor 11,24f)
Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, (ich gebe es hin) für das Leben der
Welt. (Joh 6,51b).
Buße: Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung
verweigert, dem ist sie verweigert. (Joh 20,23)
Krankensalbung: Jesus rief die Zwölf zu sich und sandte sie aus, jeweils zwei
zusammen. Er gab ihnen die Vollmacht, die unreinen Geister auszutreiben, … Die
Zwölf machten sich auf den Weg und riefen die Menschen zur Umkehr auf. Sie
trieben viele Dämonen aus und salbten viele Kranke mit Öl und heilten sie. (Mk
6,7.12f).
Weihe: Er sprach das Dankgebet, brach das Brot und sagte: Das ist mein Leib für
euch. Tut dies zu meinem Gedächtnis! Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch

20
und sprach: Dieser Kelch ist der Neue bund in meinem Blut. Tut dies, sooft ihr
daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis. (1 Kor 11,24f)
Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt
hat, so sende ich euch.Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach
zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist. Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie
vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert. (Joh 20,21-23)
Ehe: Habt ihr nicht gelesen, dass der Schöpfer die Menschen am Anfang als Mann
und Frau geschaffen hat und dass er gesagt hat: Darum wird der Mann Vater und
Mutter verlassen und sich an seine Frau binden, und die zwei werden ein Fleisch
sein? Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins. Was aber Gott verbunden hat, das
darf der Mensch nicht trennen. (Mt 19,4b-6)
Er (ein Engel) sagte zu mir: Komm, ich will dir die Braut zeigen, die Frau des
Lammes. Da entrückte er mich in der Verzückung auf einen großen, hohen Berg und
zeigte mir die heilige Stadt Jerusalem, wie sie von Gott her aus dem Himmel
herabkam. (Offb 21,9f).

Durch die Erlösungstat Christi am Kreuz wurde der Mensch mit Gott versöhnt und
wurden alle Sakramente wirksam:

Christus hat uns vom Fluch des Gesetzes freigekauft, indem er für uns zum fluch
geworden ist; denn es steht in der Schrift: Verflucht ist jeder, der am Pfahl hängt.
Jesus Christus hat uns freigekauft, damit den Heiden durch ihn der Segen Abrahams
zuteilwird und wir so aufgrund des Glaubens den verheißenen Geist empfangen.
(Gal 3,13f).

Denn Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen, um durch ihn alles zu
versöhnen. Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Friede
gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut. (Kol 1,20).

Gerecht gemacht aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch Jesus Christus,
unseren Herrn. Durch ihn haben wir auch den Zugang zu der Gnade erhalten, in der
wir stehen, und rühmen uns unserer Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes. … Christus
ist schon zu der Zeit, da wir noch schwach und gottlos waren, für uns gestorben.
(Röm 5,1-2.6)

Beim Tod Christi zerreißt der Tempelvorhang (Mt 27,51): Dieses Geschehen
bedeutet für die Apostel das Aufhören des Tempelkults und den Beginn von neuen
kultischen Ausdrucksformen. Diese Ausdrucksformen stützen sich auf die genannten
Anweisungen des Herrn.

Der Karfreitag gilt als Geburtstag der Kirche (vgl. Joh 19,34; SC 5; KKK 766): wegen
der Tilgung der Sünde des Menschen, wegen der Versöhnung zwischen Gott und
dem Menschen
Die anderen Geburtstage der Kirche sind Weihnachten (wegen der Geburt Christi)
und Pfingsten (wegen der Sendung des Hl. Geistes).

21
2.1.6. Die Liturgie zur Zeit der Apostel
VO·ICKY, Sakraltheologie IV, 19-21!

– In der Zeit der Apostel (2. Hälfte des 1. Jh.s) werden bereits die wichtigsten
Bestandteile der Heiligen Messe sichtbar. Sie werden zB. aus Apg 2,42.46 und 20,7
deutlich: Lehre / Predigt, Gebet und Brotbrechen.
+ Lehre / Predigt: 1 Kor 14,26; Apg 20,7
aus den Büchern des Alten Testaments: 2 Petr 1,19-21
über das Leben Jesu: vgl. Lk 1,1-4; Apg 4,33
aus den Briefen der Apostel: vgl. 1 Kor 16,21ff; 1 Tim 4,13; 2 Petr 3,15f
+ Gebet: Psalmen und Hymnen: vgl. 1 Kor 14,26; Kol 13,16; Eph 5,19; hier gibt es
also traditionelle jüdische Gebete und neue christliche Dichtungen (Loblied auf den
Heilsplan Gottes: Eph 1,3-14; Loblied auf Christus und die Erlösung: Phil 2,5-11; Kol
1,12-20). Die Hymnen in Offb 5; 12 und 19 wurden wohl schon in urkirchlichen
Gemeinden gesungen.
+ Hinter dem Ausdruck „Brotbrechen“ (Apg 2,46; 20,7; 1 Kor 10,16) und
„Herrenmahl“ (1 Kor 11,20) verbirgt sich das eucharistische Opfer. Die Erlösung der
Menschen wirkte Christus im Paschamysterium: Leiden, Kreuz und Auferstehung.
Dieses Paschamysterium erhielt die kultische Form eines Mahles beim Letzten
Abendmahl. Christus wollte, dass das Paschamysterium kultisch durch ein Mahl
vergegenwärtigt werde, weil dadurch besonders deutlich wird, dass er sich ganz für
die Seinen hingibt und sich den Seinen zur Speise gibt. Beim Letzten Abendmahl,
„am Abend vor seinem Leiden“, feierte Christus bereits das im voraus, was er im
Paschamysterium vollzog. Besonders die Worte „mein Leib, … der für euch
hingegeben wird“ und „das Blut, … das für euch vergossen wird“ weisen darauf hin.
Auch der hl. Paulus gibt an, dass durch die Eucharistie der Tod Christi verkündet
wird (vgl. 1 Kor 11,26).
Der Ausdruck „Brotbrechen“ stammt vom jüdischen Eingangsritual eines Mahles, das
mehrere Lobpreisungen enthält. Es weist auf den Hausherrn hin. Der Hausherr bricht
nach jüdischem Brauch das Brot und gibt es weiter. Bei den Christen deutet der
Ausdruck „Brotbrechen“ auf Christus hin, den eigentlichen Gastgeber beim
„Brotbrechen“. Dieser Ausdruck weist auch auf das Brot hin, denn es handelt sich
hier um kein gewöhnliches Brot. Dieser Gedanke ist den Urchristen sehr wichtig:
Christus ist es, der beim „Brotbrechen“ die Speise gibt und der sich selbst zur Speise
gibt: Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, für das Leben der Welt. (Joh
6,51).
Der Ausdruck „Herrenmahl“ deutet ebenfalls an, dass der Herr Gastgeber und
Speise ist.
+ Einsetzungsbericht: Es gibt im NT vier Fassungen des Einsetzungsbericht, mit
verschiedenen Akzenten.
° Mt 26: kurzes Wort über das Brot; erweitertes Wort über das Blut: das für viele
ausgegossene zum Erlass von Sünden (hier wird von den vier Fassungen am
deutlichsten der Sühne- und Opfer-Charakter ausgedrückt); das Wort Blut des
Bundes erinnert an Ex 24,8.
° Mk 14: kurzes Wort über das Brot; erweitertes Wort über das Blut: das
ausgegossene für viele; das Wort Blut des Bundes erinnert an Ex 24,8.
° Lk 22: erweitertes Wort über das Brot: der für euch gegeben wird (Opfer-
Charakter); dies tut zu meinem Gedächtnis (Stiftungsauftrag zur Eucharistiefeier);
erweitertes Wort über das Blut: das für euch vergossene. Der Kelch selbst
repräsentiert den Bund, der im Blut Jesu geschlossen wird.

22
° 1 Kor 11: erweitertes Wort über das Brot und den Wein: zwei Mal: dies tut zu
meinem Gedächtnis (Stiftungsauftrag zur Eucharistiefeier); Ermahnung zur
Unterscheidung von profanem Mahl und Herrenmahl; Ermahnung zum würdigen
Empfang der Kommunion und Warnung vor unwürdigem Empfang
° In der heutigen approbierten Fassung des Einsetzungsbericht vieler
Landessprachen über das Blut heißt es: … mein Blut, das für euch und für alle
vergossen wird. Der Ausdruck für alle wird manchmal kritisiert. Aber er
berücksichtigt vor allem Stellen wie Röm 5,18 (Wie es also durch die Übertretung
eines einzigen für alle Menschen zur Verurteilung kam, so wird es auch durch die
gerechte Tat eines einzigen für alle Menschen zur Gerechtsprechung kommen, die
Leben gibt); 1 Tim 2,6 (der sich als Lösegeld hingegeben hat für alle ), Hebr 2,9 (…
es war nämlich Gottes gnädiger Wille, dass er für alle den Tod erlitt); 1 Joh 2,2 (Er ist
die Sühne für unsere Sünden, aber nicht n ur für unsere Sünden, sondern auch für
die der ganzen Welt).
° Joh 6,22-59: Rede über das Himmelsbrot und über die Bedeutung der Kommunion:
bes. Joh 6,51 (Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer
von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. Das Brot, das ich geben werde, ist mein
Fleisch, für das Leben der Welt); Joh 6,56 (Wer mein Fleisch isst und mein Blut
trinkt, der bleibt in mir, und ich bleibe in ihm).
° Kurze Erklärung zur Bedeutung der Kommunion: 1 Kor 10,16 (Ist der Kelch des
Segens, über den wir den Segen sprechen, nicht Teilhabe am Blut Christi? Ist das
Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi?)
– In der Zeit der Apostel ist die Taufe sehr wichtig: Mt 28,19 (Taufauftrag Jesu), Mk
16,16 (Verheißung der Rettung durch die Taufe); Kol 2,12-13 (Theologie der Taufe);
berühmte Taufen: Taufe der 3000 am Pfingsttag (vgl. Apg 2,41); äthiopische
Schatzmeister (vgl. Apg 8,26-40); Saulus (vgl. Apg 9,18); Kornelius und sein Haus
(vgl. Apg 10,48); der Gefängniswärter von Philippi (vgl. Apg 16,33); Familie des
Stephanas (vgl. 1 Kor 1,16).
– In der Zeit der Apostel gibt es auch Andeutungen auf Firmung, Krankensalbung,
Weihe und Ehe:
+ Geistsendung: Apg 2 (unmittelbare Geistsendung); Apg 8,14-17 (Auflegen der
Hände durch Petrus und Johannes)
+ Krankensalbung: Gebete und Salbung (Jak 5,14f)
+ Weihe: Gebet und Auflegen der Hände über die sieben Diakone (Apg 6,6); Fasten,
Gebet und Auflegen der Hände über Barnabas und Paulus (Apg 13,2f); Fasten,
Gebet und Auflegen der Hände über Männer in Lystra, Ikonion und Antiochia (Apg
14,23); Auflegen der Hände über Timotheus (1 Tim 4,14)
Es gibt Träger der Ordnungsvollmacht in der Urkirche: Apostel, Episkopen,
Presbyter, Diakone; es gibt aber auch charismatisch Begabte: ihre Gaben, vor allem
Lehrtätigkeit (Predigt, Offenbarung), Prophetie, Glossolalie (Zungenrede) und
Heilkraft, verleiht unmittelbar der Hl. Geist (1 Kor 12,8-10; 14,26).
+ Ehe: Heiraten im Herrn (1 Kor 7,39); die Hochzeit war aber in der Antike sowohl bei
den Heiden als auch bei den Juden ein durch und durch familiärer Ritus. Der
Familienvater traute das Ehepaar bei sich zu Hause. (METZGER, Geschichte 66).
– Der Gottesdienst ist an keinen bestimmten Ort gebunden. Die Anbetung Gottes
geschieht jetzt „im Geist und in der Wahrheit“ (Joh 4,23). Der Tempel und die
Synagoge haben für die Christen keine besondere Bedeutung; diese Orte sind für sie
einfach Versammlungsräume.
+ In Jerusalem selbst versammeln sich die Jünger auch in einem Obergemach (vgl.
Apg 1,13), das möglicherweise mit dem Abendmahlssaal (vgl. Lk 22,12) identisch ist.

23
Das Haus der Maria, der Mutter des Johannes Markus (Evangelist), wird als
Versammlungsort erwähnt (Apg 12,12).
+ Aus den Paulus-Briefen geht hervor, dass begüterte Gemeindemitglieder ihre
Privathäuser für Gemeindegottesdienste zur Verfügung stellten (1 Kor 16,19: Aquila
und Priska; Röm 16,4: Aquila und Priska; Kol 4,15: Nympha).

24
2.2. Die Zeit des verborgenen Wachstums: Die Liturgie einer verfolgten Kirche

2.2.1. Die Verfolgungen


Die erste große Christenverfolgung in Rom geschah unter Kaiser Nero. Bei dieser
Christenverfolgung kamen auch Petrus und Paulus um das Leben. Die Christen
wurden nach Nero zwar nur selten so radikal verfolgt, aus der Zeit des Kaiser Trajan
ist aber überliefert, dass Christen jederzeit zum Tod verurteilt werden dürfen, wenn
sie als Christen angezeigt werden. Es gab Kaiser, unter denen die Christen fast gar
nicht verfolgt wurden, andere ließen einzelne Verfolgungen zu, andere verfolgten
systematisch (Decius, Diokletian). Manche Verfolgungen waren lokal begrenzt.
Manche Verfolgungen gingen wie ein Lauffeuer über das ganze Imperium. Die
Christen müssen also im Verborgenen wirken, sie müssen vorsichtig sein. Sie feiern
ihre Gottesdienste in Privathäusern.
Innerhalb des römischen Reiches gab es eine erstaunlich rege Kommunikation. Dies
ermöglichte ein breites Vorgehen gegen Christen im ganzen römischen Reich. Dies
ermöglichte aber auch eine rege christliche Mission und eine relativ rasche
Verbreitung der liturgischen Gebräuche unter den Christen.

2.2.2. Didaché
Quellen:
- RORDORF, W. – TUILIER, A. (Hg., Übers.), La doctrine des douze apôptres (Didachè), Sources chrétiennes
248, Paris 1978.
- SCHÖLLGEN, G. (Hg., Übers.), Didache, Fontes Christiani 1, Freiburg 1992.
- WENGST, K. (Hg.), Didache (Apostellehre), Barnabasbrief, Zweiter Klemensbrief, Schrift an Dignet, München
1984, Schriften des Urchristentums 2, 1-100.
Literatur:
9
- ALTANER, B. – STUIBER, A., Patrologie. Leben, Schriften und Lehre der Kirchenväter, Freiburg 1980.
- BETZ, J., „Die Eucharistie in der Didache“, Archiv für Liturgiewissenschaft 11 (1969) 10-39.
- FRANK, K. S., Maleachi 1,10ff. in der frühen Väterdeutung. Ein Beitrag zu Opferterminologie und
Opferverständnis in der alten Kirche, in: Theologie und Philosophie 53 (1978) 70-78.
- GAMBER, K., „Die ‚Eucharistia’ der Didache“, Ephemerides liturgicae 101 (1987) 3-32.
- KLAUSER, T., Taufet in lebendigem Wasser! Zum religions- und kulturgeschichtlichen Verständnis von Didache
7,1-3, in: KLAUSER, T., Gesammelte Arbeiten zur Liturgiegeschichte, Kirchengeschichte und christlichen
Archäologie, Jahrbuch für Antike und Christentum. Ergänzungsband 3, Münster 1974, 177-183.
- MAZZA, E., La „Dottrina dei dodici apostoli“, in: MAZZA, E., L’anafora eucaristica. Studi sulle origini, Bibliotheca
„Ephemerides Liturgicae“ „Subsidia“ 62, Roma 1992, 19-50.
- RORDORF, W., „Liturgie, foi et vie des premiers chrétiens“, Théologie historique 75, Paris 1986.
- VÖÖBUS, A., Liturgical traditions in the Didache, Papers of the Estonian theological society in exile 16,
Stockholm 1968.
- VO·ICKY, B. J. M., Sakraltheologie 4. Fundamentalliturgik, Heiligenkreuz 2003 (bes. 32-35).

– Eines der ältesten Dokumente, das liturgische Momente der frühen Kirche
beschreibt, ist die Didaché. Sie gehört zur Gattung der Kirchenordnungen. Sie
entstand wschl. um 100 nChr in Ägypten oder Syrien. Das Original ist zwar nicht
erhalten, aber eine Abschrift aus dem 11. Jh. wurde 1875 in der Bibliothek des
Klosters vom Heiligen Grab in Konstantinopel entdeckt, nämlich vom gelehrten
orthodoxen Priester und späteren Metropoliten von Nikomedien Philotheos
Bryennios. Die von Bryennios besorgte erste Ausgabe im Jahre 1883 erregte großes
Aufsehen.
– Das Wort „Didaché“ heißt „Lehre“. Das Werk trägt eigentlich den Namen „Lehre der
12 Apostel“.
– Die Didaché enthält 16 Kapitel. Die ersten sechs Kapitel sind den beiden Wegen,
dem Weg des Lebens und dem Weg des Todes, gewidmet. Dann folgen
Anordnungen, in denen es auch um die Liturgie geht: um die Taufe (Didaché 7), das
Fasten (Didaché 8,1), das Beten (Didaché 8,2-3), die Eucharistie (Didaché 9-10; 14),
die geistlichen Amtsträger (Didaché 15,1-2).

25
– Zur Taufe: 7,1. Was die Taufe angeht, tauft folgendermaßen: Nachdem ihr das alles vorher mitgeteilt habt,
tauft auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes in lebendigem Wasser. 7,2. Wenn du
aber kein lebendiges Wasser hast, taufe in anderem Wasser; wenn du es nicht in kaltem Wasser kannst, dann in
warmem. 7,3. Wenn du aber beides nicht hast, gieße über den Kopf dreimal Wasser aus auf den Namen des
Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. 7,4. Vor der Taufe sollen fasten der Täufer, der Täufling und
andere, die können. Gebiete aber, dass der Täufling vorher ein oder zwei Tage fastet.
+ NB: nachdem ihr das alles vorher mitgeteilt habt (7,1): einer der ältesten Hinweise
auf eine Taufkatechese!
+ NB: Auseinandersetzungen in der christlichen Gemeinde über das Wasser; bei
jüdischen Theologen gab es wichtige Bestimmungen über die rituelle Qualität des
Wassers (verschiedene Arten von Wasser: aus Zisternen, Gräben und Erdhölen;
lebendiges Wasser aus Quellen, Bächen, Flüssen, Meer);
+ NB: Normalfall: Untertauchen in „lebendigem Wasser“ (hier gar nicht beschrieben);
+ NB: Wenn du aber beides nicht hast (7,3): hier ist gemeint, dass weder genug Kalt-
noch genug Warmwasser zum Untertauchen vorhanden ist: dann wird die
Infusionstaufe (durch Übergießen) gestattet. Erste Bezeugung der Infusionstaufe!
+ NB: Tauffasten: spirituelle Vorbereitung auf die Taufe; älteste Beleg eines
Tauffastens

– Zum Fasten: 8,1. Eure Fasttage sollt ihr nicht gemeinsam mit den Heuchlern halten. Sie fasten nämlich am
Montag und Donnerstag; ihr aber sollt am Mittwoch und Freitag fasten.
+ NB: Ablösungsprozess vom Judentum;

– Zum Beten: Es wird das Vaterunser (in der Version von Mt 6) zitiert. Dann heißt es:
Dreimal am Tag sollt ihr so beten. (Didaché 8,3); statt des Schema und der Amidah: das
Vaterunser

– Zu den Mahlgebeten:
+ Didache 9-10: vgl. VO·ICKY, Sakraltheologie IV, 33-35: Es handelt sich hier um die
schwierigsten Passagen der Didaché, bei der die Forschung noch weit davon
entfernt ist, verlässliche Ergebnisse vorweisen zu können. Es wird zwar hier das
Wort „eucharistia“ verwendet, aber es ist unklar, ob es sich hier wirklich um eine
echte Eucharistiefeier oder bloß um ein geistliches Mahl mit Dankgebeten (Agape:
Mahl der Nächstenliebe) handelt.
Es hat in der frühen Kirche ein geistliches Mahl (Agape) gegeben, bei dem gebetet
wurde, aber Leib und Blut Christi nicht dargebracht wurden. Ein solches geistliches
Mahl entstand aus dem jüdischen Familienmahl. Diese Gebete in Didaché 9-10
ähneln in erstaunlicher Weise den jüdischen Mahlgebeten.
+ Das Wort „eucharistia“ ist hier wahrscheinlich als „Danksagung“ aufzufassen, die
bei jedem jüdischen Mahl vorgesehen war. Eine Danksagung für Speise und Trank
und eine Danksagung für die Erlösung, für das Heilshandeln Gottes. Die Themen
Schöpfung, Erkenntnis (Tora) und Erlösung (Jesus – Volk Israel) und Bitten für
Jerusalem/Kirche waren gewöhnlich immer vorgesehen.
+ Wahrscheinlich sollen mit diesen Gebeten die Christen darauf hingewiesen
werden, bei einem Mahl statt der jüdischen Lobpreisungen diese christlichen Gebete
zu verwenden.
+ Warum ist hier keine Eucharistiefeier?
° kein Hinweis auf Einsetzungsbericht oder Passion
° Wort „Sättigung“ (in Didaché 10,1)
° Reihenfolge: zuerst der Kelch, dann das Brot
+ Auch wenn ein solches geistliches Mahl keine wirkliche Eucharistiefeier war, hatte
sie doch sakralen Charakter. Ungläubige durften daran nicht teilnehmen (vgl.

26
Didaché 9,5). Es kann aber auch sein, dass dieser Vers sich bereits auf Didaché
14,1 bezieht.

– Zu den geistlichen Amtsträgern: es gibt Bischöfe, Diakone, Propheten und Lehrer


(Didaché 15,1).

– Zur Eucharistie:
+ Didaché 14,1-3: 1: Wenn ihr am Herrentag zusammenkommt, brecht das Brot und sagt Dank, nachdem
ihr zuvor eure Übertretungen bekannt habt, damit euer Opfer rein sei. 2. Keiner, der einen Streit mit seinem
Nächsten hat, komme mit euch zusammen, bis sie sich wieder ausgesöhnt haben, damit euer Opfer nicht unrein
wird. 3. Über dieses ist vom Herrn gesagt worden: „An jedem Ort und zu jeder Zeit ist mir ein reines Opfer
darzubringen, denn ich bin ein großer König, spricht der Herr, und mein Name wird bei den Heiden bewundert.“
(Mal 1,11.14 in sehr freier Zitation).
Hier wird höchstwschl. von der Eucharistiefeier gesprochen, weil der Herrentag und
das gegenseitige Schuldbekenntnis erwähnt werden. Es handelt sich hier
offensichtlich um einen besonderen Gottesdienst, nicht bloß um eine Agape.
Außerdem wird der Opfer-Charakter erwähnt. Freilich ist nicht ganz auszuschließen,
dass hier einfach nur das geistliche Opfer, dh. das Gebet, gemeint ist. Das hier
angesprochene Opfer wird als Erfüllung von der Prophezie in Mal 1,11.14 betrachtet.
Es ist hier somit die älteste Stelle, in der die Eucharistiefeier höchstwschl. als Opfer
bezeichnet wird.

2.2.3. Der hl. Justin († um 165)


Quellen:
- HÄUSER, P. (Hg., Übers.), Dialog mit dem Juden Tryphon, Bibliothek der Kirchenväter 33, München 1917.
- KASPAR, J. (Hg., Übers.), Frühchristliche Apologeten und Märtyrerakten, Bibliothek der Kirchenväter 12,
Kempten 1913.
- MARCOVICH, M. (Hg., Übers.), Iustini Martyris Apologiae pro christianis, Patristische Texte und Studien 38,
Berlin 1994.
- MARCOVICH, M. (Hg., Übers.), Iustini Martyris Dialogus cum Tryphone, Patristische Texte und Studien 47,
Berlin 1997.
Literatur:
9
- ALTANER, B. – STUIBER, A., Patrologie. Leben, Schriften und Lehre der Kirchenväter, Freiburg 1980.
- CHAT, E., Die Opferlehre des Apologeten Justin, Bonn 1981.
- JOURJON, M., Justin, in: RORDORF, W., L’eucharistie des premiers chrétiens, Point théologique 17, Paris
1976, 75-88.
- KLEINER, J. R., „Mystagogische Elemente in den Schriften des Märtyrers Justinus“, Heiliger Dienst 48 (1994)
241-544.
- RORDORF, W., Der Sonntag. Geschichte des Ruhe- und Gottesdiensttages im ältesten Christentum,
Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testaments 43, Zürich 1962.
- SÁNCHEZ CARO, J. M., Eucaristía e historia de la salvación. Estudio sobre la plegaria eucarística oriental,
Biblioteca de autores cristianos 439, Madrid 1983.

– Er stammt aus Palästina (Flavia Neapolis = Nablus = Sichem), aus einer heidnisch-
griechischen Familie. Als Jüngling war er lange ein Suchender, mit großem
Wissensdurst. Er lernte die stoische, peripatetische und pythagoreische Philosphie
kennen. Doch fühlte er sich immer wieder von diesen Philosophen bzw. Philosophien
abgestoßen. Von einem zufällig, wschl. bei Ephesus bekannt gewordenen Greis,
wird er auf das Christentum aufmerksam gemacht und darauf, dass nur anhaltendes
Gebet den Weg zu Gott und Christus eröffne. Von nun an war sein Leben
ausschließlich der Verteidigung des Glaubens, der „allein zuverlässigen und
brauchbaren Philosophie“ (Dial. 8). Als Wanderlehrer zog er von nun an umher und
gründete schließlich in Rom eine Schule. Er wurde um 165 mit 6 anderen Christen
unter einem christenfeindlichen Stadtpräfekten von Rom enthauptet.
Justin erlebte Zeiten, in denen die Christen nicht planmäßig verfolgt wurden. Die
feindselige Haltung der heidnischen Bevölkerung konnte allerdings zu einzelnen
Hinrichtungen von Christen führen. Justin schreibt eine Apologie an die höchste

27
Stelle, an Kaiser Antoninus Pius und an dessen Sohn Mark Aurel (unter Mark Aurel
wurde Justin dann hingerichtet).
– Die erste Apologie, um 155 geschrieben, enthält eine sehr wichtige Beschreibung
von Taufe und Eucharistiefeier. Außerdem wird die Bedeutung des Sonntags für die
Christen sichtbar.

– Zur Taufe: JUSTIN, Apologia I, 61: Wir möchten nun erklären, wie wir uns, neu geschaffen durch Christus,
Gott geweiht haben: Alle, welche die Glaubensüberzeugung gewonnen haben, dass unsere Lehre wahr ist, und
die erklärt haben, nach ihr auch leben zu können, lehren wir zu beten und von Gott unter Fasten die Vergebung
der früheren Sünden zu erbitten; dabei fasten und beten wir mit ihnen. Hierauf führen wir sie zu einem Wasser,
und in derselben Form, in der wir wiedergeboren werden, werden auch sie wiedergeboren. Sie nehmen im
Wasser das Bad auf den Namen des Vaters des Weltalls, unseres Herrn und Gottes, und unseres Erlösers
Jesus Christus und des Heiligen Geistes. Denn Christus sagt: „Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist
geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen.“ (Joh 3,5). Dabei ist allen klar, dass jemand, der einmal
geboren wurde, unmöglich in den Schoß seiner Mutter zurückkehren kann. … Das Bad aber heißt
„Erleuchtung“, weil jene, die all das erfahren, im Geist erleuchtet werden. (Monastisches Lektionar I/1, St.
Ottilien 1981, 663f).
+ NB: Katechumenat (Lehren des Betens, Fastens; die Gemeinde betet und fastet
mit ihnen)
+ NB: Taufe durch ein Bad
+ NB: durch die Taufe wird der Mensch wiedergeboren
+ NB: durch die Taufe wird der Mensch neu geschaffen
+ NB: durch die Taufe weiht sich der Mensch Gott (im Schutz- und Heiligkeitsbereich
Gottes)
+ NB: ein wichtiger Name für die Taufe ist „Erleuchtung“ (photismós).

– Zum Wesen der Eucharistie: JUSTIN, Apologia I,66-67: An der Eucharistie darf nur teilnehmen, wer
an die Wahrheit unserer Lehre glaubt, wer gewaschen ist in dem Bad der Sündenvergebung und Wiedergeburt
und wer nach der Weisung Christi lebt. Denn nicht wie gewöhnliches Brot und gewöhnlichen Trank
empfangen wir diese Gaben. Es verhält sich vielmehr so: Jesus Christus, unser Erlöser, ist durch das Wort
Gottes Fleisch geworden und hat Fleisch und Blut zu unserem Heil angenommen. In gleicher Weise wird auch
durch eine Gebetsrede, die von ihm kommt, diese Nahrung zur Eucharistie. Mit ihr werden unser Fleisch und Blut
genährt und umgewandelt. Und diese Nahrung ist, so sind wir belehrt worden, Fleisch und Blut des
fleischgewordenen Jesus. In ihren Erinnerungen, die man Evangelien nennt, haben die Apostel überliefert,
Jesus habe ihnen diesen Auftrag gegeben: Er habe Brot genommen, Dank gesagt und dann gesprochen: Tut
dies zu meinem Gedächtnis, das ist mein Leib. Auf gleiche Weise habe er den Kelch genommen, Dank gesagt
und dann gesprochen: Das ist mein Blut, und ihnen allein hat er dann beides gegeben.
(Monastisches Lektionar I/1, St. Ottilien 1981, 651).

+ NB: Nicht jeder darf an der Eucharistie teilnehmen; sie ist der wertvollste Schatz
der Christen; welche Bedingungen müssen erfüllt sein?
° rechter Glaube (Eucharistie ist ein Geschenk an die Kirche; nur wer wirklich
ganz zur Kirche gehört, darf die Eucharistie empfangen)
° wer getauft ist
° wer gemäß den Geboten lebt
+ NB: einem Ungläubigen wird hier die Wandlung erklärt und die Bedeutung des
Leibes und Blutes Christi: eine sehr einfache, klare Erklärung. Diese Erklärung gehe
auf die Evangelien zurück. Hier wird auch das Wort „Evangelium“ verwendet (vgl. Mk
1,1.15; 16,15);
+ NB: Jesus wird zur Nahrung; bei den Heiden herrschte das Gerücht, die Christen
seien Menschenfresser.

– Zum Wesen der Eucharistiefeier: JUSTIN, Dialog cum Tryphone 41,1-3: 1. Ihr Männer, das Opfer
des Weizenmehles, das gemäß der Überlieferung für die vom Aussatz Gereinigten dargebracht wurde, war ein
Vorbild des Brotes der Eucharistie, welches unser Herr Jesus Christus zum Gedächtnis seines Leidens, das er
für jene Menschen litt, die ihre Seelen von aller Schlechtigkeit gereinigt haben, zu feiern aufgetragen hat, damit
wir gemeinsam Gott Dank sagen dafür, dass er die Welt mit allem, was in ihr ist, um des Menschen willen
geschaffen hat, und dafür, dass er uns von der Bosheit, in der wir geboren worden sind, befreit hat, und dass er

28
die Mächte und Gewalten mit vollständiger Vernichtung geschlagen hat durch den, der nach seinem Willen
leidensfähig geworden ist. 2. Daher spricht Gott, wie gesagt, durch Maleachi, einen der zwölf Propheten, über
eure seinerzeit dargebrachten Opfer: „Mein Wohlgefallen ist nicht bei euch, spricht der Herr, und eure Opfer
werde ich nicht annehmen aus euren Händen. Denn vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang ist mein
Name verherrlicht unter den Heiden, und an jedem Ort wird meinem Namen ein Rauchopfer dargebracht
und ein reines Opfer; denn groß ist mein Name unter den Heiden, spricht der Herr, ihr aber entehrt ihn“ (Mal
1,10-12). 3. Er sagt das voraus von den ihm von uns, den Heiden, an jedem Ort dargebrachten Opfern, das ist
vom Brot der Eucharistie und ebenso vom Kelch der Eucharistie, und er sagt, dass wir seinen Namen ehren, ihr
aber entehrt ihn. (MEYER, H. B., Eucharistie, Handbuch der Liturgiewissenschaft 4, Regensburg 1989, 102).
+ NB: die Danksagung wird sehr klar erklärt: für die Schöpfung, für die Befreiung von
der Bosheit, für den Sieg über die bösen Mächte (41,1)
+ NB: Mal 1,10-12 erfüllt sich durch das eucharistische Opfer, das jetzt unter allen
Völkern gefeiert wird.

– Zum Ablauf der Eucharistiefeier: JUSTIN, Apologia I, 67,3-6:


VO·ICKY, Sakraltheologie IV, 36
+ NB: Wortgottesdienst mit den Denkwürdigkeiten der Apostel (Evangelium,
Apostelgeschichte, Briefe) und Schriften der Propheten (AT)
+ NB: der Vorsteher predigt: jeder Gläubige darf/soll den Glauben verkündigen;
Hochform der Glaubensverkündigung: die Homilie (Nachahmung des in den Texten
erwähnten Guten)
+ NB: stehend Gebete darbringen (Fürbitten)
+ NB: Brot, Wein und Wasser zur Gabenbereitung
+ NB: Hochgebet erstmals ganz deutlich bezeugt: Gebete und Danksagungen
emporsenden
+ NB: das „Amen“ aller wird sehr hervorgehoben.

– Zum Wesen des Sonntags: JUSTIN, Apologia I, 67,7:


VO·ICKY, Sakraltheologie IV, 36 (ACHTUNG! Druckfehler: „am Tag vor dem
Saturnustag“);VO·ICKY, Sakraltheologie IV, 38-40
+ Sonntag: bei den Heiden nach der Sonne benannt; aber auch die Christen
verwenden gerne diesen Namen, weil dieser der erste Schöpfungstag ist und weil
Christus die wahre Sonne, die „Sonne der Gerechtigkeit“ ist.
+ andere urkirchliche Namen für den Sonntag:
° „der erste Tag nach dem Sabbat“: 1 Kor 16,2; Apg 20,6-11; vgl. Mk 16,2; Mt
28,1; diese Bezeichnung verliert bereits in patristischer Zeit an Bedeutung
° „Herrentag“: Offb 1,10; Didache 14,1 (kuriakhv hJmera; dies dominica),
IGNATIUS, Epistula ad Magnesios 9,2
° „Achter Tag“: Barnabas 15,18f; JUSTIN, Dialogi 41,4 (auch II. Vatikanum:
SC 106)
° „Tag der Auferstehung des Herrn“: TERTULLIAN, De or. 23 (im Russischen:
woskresnje)
+ NB: Hinweis auf die Kreuzigung Jesu an einem Freitag und auf die Auferstehung
Jesu an einem Sonntag
+ der Sonntag unterscheidet sich vom Sabbat. Am Sabbat darf nicht gearbeitet
werden. Der Sonntag dagegen ist nicht primär ein Ruhetag. Am Sonntag wird vor
allem die Auferstehung des Herrn gefeiert.
+ der Sonntag war in den ersten drei Jahrhunderten kein freier Tag, sondern ein
Arbeitstag. Daher kam die Gemeinde am Abend (Apg 20,7) oder frühmorgens
(Plinius d. J., Epistola 10,96,7) zur Eucharistiefeier zusammen.
+ Tertullian weist auf die Wichtigkeit hin, am Sonntag den Gottesdienst zu besuchen
(TERTULLIAN, De fug. 14,1). Bei Tertullian wird auch das Bedürfnis der Christen
erkennbar, am Herrentag doch die Arbeitsruhe einzuhalten. Tertullian schreibt, dass

29
die Christen am Herrentag „die Geschäfte aufschieben, um dem Teufel keinen Raum
zu geben.“ (vgl. VOSICKY, Sakraltheologie II, 20; TERTULLIAN, De Oratione 23)
+ Kaiser Konstantin führt die Arbeitsruhe am Sonntag für die Richter, die
Stadtbevölkerung und alle Erwerbstätigen ein. (AUF DER MAUR, Herrenfeste 43). Er
setzte fest, dass die christlichen Soldaten am Herrentag Urlaub erhielten, um zum
Gottesdienst zu gehen (EUSEBIUS, Vita Constantini 4,18,3). Allen nichtchristlichen
Soldaten wurde befohlen, am selben Tag aufs freie Feld zu gehen, um gemeinsam
Gebete zu ihrem Gott zu sprechen (EUSEBIUS, Vita Constantini 4,19-20) (AUF DER
MAUR, Herrenfeste 41)
+ Der hl. Hieronymus erklärt den Namen „Sonntag“: Der Herrentag, der Tag der
Auferstehung, das ist unser Tag. Darum wird er Herrentag genannt, weil der Herr an
ihm als Sieger zum Vater emporgestiegen ist. Wenn er von den Heiden Tag des SOL
(Sonne, Name des Sonnengott) genannt wird, so bekennen auch wir das gerne:
denn heute ist das Licht der Welt aufgegangen, heute ist die Sonne der Gerechtigkeit
aufgestiegen. (vgl. VOSICKY, Sakraltheologie II, 20)
+ Der hl. Ephräm († 373) ist der erste, von dem in Zusammenhang mit der
Sonntagsruhe eine deutliche Anspielung auf das Sabbatgebot überliefert ist. (AUF
DER MAUR, Herrenfeste 43).
+ Die Synoden vom 6. bis 12. Jh. fordern immer wieder die Pflicht ein, am Sonntag
den Gottesdienst zu besuchen. (AUF DER MAUR, Herrenfeste 42; vgl. HOLLY,
Sonntagsheiligung 48f).
+ In der Zeit der Scholastik gibt es mehrere Versuche, die Sonntagsruhe zu
begründen, vor allem mit dem 3. Gebot. (AUF DER MAUR, Herrenfeste 42).
Der hl. Thomas verlangt für die gewissenhafte Erfüllung des Sonntagsgebotes die
Arbeitsruhe und die Beschäftigung mit göttlichen Dingen. (HOLLY,
Sonntagsheiligung 50).

2.2.4. Abwehr des Gnostizismus (vgl. VO·ICKY, Sakraltheologie 4, 50-53).


Der Gnostizismus ist keine Religion, sondern eine Geisteshaltung, die verschiedenen
antiken Sekten (zB. Valentinian in Ägypten, Basilides in Syrien, Mani in Persien,
Markion in Kleinasien und Rom) zu eigen war, aber auch moderne religiöse
Bewegungen (zB. heute: New Age, Anthroposophie) und Geheimbünde (zB. heute:
Freimaurer, Rosenkreuzer) in hohem Maß prägt.
Die Merkmale des Gnostizismus sind:
+ Glaube an den Dualismus von Gut (Sophia/Weisheit = gute Gott) und
Böse (Kosmos/Welt = böse Gott).
+ Weltverneinung (besonders in der Antike)
+ Skepsis/Ablehnung gegenüber den Institutionen in dieser Welt und der Kirche
+ Selbsterlösung durch ein geheimnisvolles Wissen (Gnosis)
+ die Erlösung ist einer Schar Auserwählter vorbehalten
+ Individualismus
+ Synkretismus (Vermischung einzelner Elemente verschiedener Religionen)

Manche Gnostiker sahen Christus als einen Erlöser an, der den Menschen zum
guten Gott zurückführen könne. Vor allem der Gnostiker Markion ist hier zu nennen.
Er lehnte das AT ab und ließ nur jene Stellen des NTes gelten, die zu seinen
gnostischen Lehren passten. Christus, der Sohn des guten Gottes, hätte nur einen
Schein-Leib besessen, hätte aber den Menschen das geheime Wissen zur
Selbsterlösung mitgeteilt. Markion baute eine Gegenkirche auf, die sehr viel Zulauf
hatte. Die Feier von Taufe und Eucharistie übernimmt er und sieht sie als Hilfen zur

30
Absage von dieser Welt und als Hilfen zur geistigen Vereinigung mit dem guten Gott.
Die Schöpfung ist bei ihm nicht viel wert.

Markion wird von vielen christlichen Schriftstellern widerlegt und bekämpft. In der
christlichen Liturgie werden als Reaktion gegen die Gnostiker der Schöpfer und die
Schöpfung hervorgehoben. Auch die Eucharistie (Danksagung) geschieht nicht nur
aufgrund der Erlösung, sondern auch aufgrund der Schöpfung. Irenäus von Lyon
sagt:

Wir müssen Gott nämlich Dank abstatten und in allem dankbar gegen den Schöpfergott sein und ihm in reiner
Gesinnung, ungeheucheltem Glauben, in fester Hoffnung und in glühender Liebe die Erstlinge seiner Schöpfung
darbringen. Und dieses Opfer bringt ganz allein die Kirche dem Schöpfer rein dar, indem sie ihm unter
Danksagung aus seiner Schöpfung opfert.
(IRENÄUS, Adversus haereses 4,18,4, in: BROX, N., Irenäus von Lyon. Adversus haeres 4, FC 8/4, Freiburg
1997, 145).

Irdisches wird also bei der Eucharistiefeier verwendet, um es bei der Wandlung in
göttliche Wirklichkeiten, dh. in den Leib Christi, zu verwandeln. Das eucharistische
Opfer wird dem Schöpfer dargebracht.

Die Kirche sieht sich gedrängt, gegenüber der Stoffverachtung der Gnosis die Würde
der irdischen Schöpfung zu betonen, auch im Gottesdienst. Nicht mehr der
Materialismus des heidnischen Opferwesens ist der gefährliche Gegner, sondern der
Spiritualismus einer christliche verbrämten Geistlehre. Die himmlische Gabe der
Eucharistie hat doch einen irdischen Anfang; es sind die „Erstlinge der Schöpfung“,
aus denen sie hervorgeht. Die Gläubigen sollen daher selbst Gaben mitnehmen, die
dann in das Opfer hineingenommen werden (vgl. JUNGAMANN, Missarum 2,1f).

Seit dem Ende des 2. Jh.s ist auch der Opfergang bezeugt: Gläubige bringen
Opfergaben zum Altar, also materielle Gaben, die gleichzeitig auch die täglichen
Arbeitsmühen des Menschen repräsentieren (vgl. TERTULLIAN, De exhor. cast. 11;
vgl. JUNGAMANN, Missarum 2,2).

2.2.5. Tertullian
Quellen: CCL 1-2.
Literatur:
9
- ALTANER, B. – STUIBER, A., Patrologie. Leben, Schriften und Lehre der Kirchenväter, Freiburg 1980.
– BAUS, K., Von der Urgemeinde zur frühchristlichen Großkirche, Handbuch der Kirchengeschichte 1, Freiburg
1962 (bes. 285-289.340-346.367-373).
– MESSNER, R., Feiern der Umkehr und Versöhnung, Handbuch der Liturgiewissenschaft 7,2, Regensburg 1992
(bes. 86-91).
– POSCHMANN, B., Paenitentia secunda. Die kirchlihce Buße im ältesten Christentum bis Cyprian und Origenes,
Theophaneia 1, Bonn 1940.
2
– TAFT, R., The Liturgy of the Hours in East and West, Collegeville 1993 (bes. 17-19).

– Tertullian († nach 220) bringt die Terz, die Sext und die Non mit biblischen
Ereignissen in Zusammenhang: Terz (Apg 2,1-15), Sext (Apg 10,9), Non (Apg 3,1):
Hinsichtlich der Zeiten aber dürfte die äußerliche Beobachtung gewisser Stunden nichts Überflüssiges sein, jener
gemeinschaftlichen Stunden nämlich, welche die Hauptabschnitte des Tages bezeichnen, die dritte, sechste und
neunte, welche man auch in der Hl. Schrift als die ausgezeichneteren genannt findet. Zum ersten Mal wurde der
Hl. Geist auf die versammelten Jünger ausgegossen um die dritte Stunde (vgl. Apg 2,15). An dem Tag, als Petrus
in jenem Geräte die Vision von der Gemeinsamkeit hatte, war er um die sechste Stunde in das obere Stockwerk
hinaufgestiegen, um zu beten (vgl. Apg 10,9). Derselbe ging mit Johannes um die neunte Stunde nach dem
Tempel, wo er dem Gelähmten seine Gesundheit wieder gab (vgl. Apg 3,1). (TERTULLIAN, De oratione 25, in:
2
KELLNER, H. [Hg., Übers.], Tertullians private und katechetische Schriften, München 1912, BKV 7, 269f)

31
– Tertullian hebt das Kreuzzeichen hervor. Bei den Christen der frühen Kirche gibt es
eine besonders ausgeprägte Kreuzzeichen-Frömmigkeit. Tertullian schreibt:
Bei jedem Ausgang und Fortgang, bei jdem Anfang und Ende, beim Kleideranlegen und Schuhanziehen, vor dem
Bade, wenn wir zu Tisch gehen, wenn wir die Lichter anzünden, wenn wir uns auf das Ruhebett legen oder auf
einen Stuhl setzen, bei jedem Tun der täglichen Beschäftigung bezeichnen wir die Stirne mit dem Zeichen des
Kreuzes.
(TERTULLIAN, De corona 3,4, in: BAUS, K., Von der Urgemeinde zur frühchristlichen Großkirche, Handbuch der
Kirchengeschichte 1, Freiburg 1962, 345).

– Die steigenden Mitgliederzahlen in der 2. Hälfte des 2. Jh.s brachten auch


häufigere Fälle eines Versagens. Es gibt verschiedene Ansichten über die Buße für
schwere Sünder.
Es gab zur Zeit des Tertullian bereits einen Ritus der öffentlichen Kirchenbuße, auch
wenn es dazu sehr wenige Textzeugen gibt. Diese Buße ist nur einmal im Leben
möglich. Tertullian ist der älteste Zeuge einer öffentlichen Kirchenbuße, wenn er in
der Schrift De paenitentia von einer paenitentia secunda (zweiten Buße) spricht. Es
kam aber auch vor, dass einige schwere Sünder die schwere Buße in einer Art
Verzweiflung nicht auf sich nehmen wollten. Daher schreibt er:

Es sollte uns freilich schwer sein, zum zweitenmal zu sündigen, aber zum zweitenmal Buße zu tun, das sollte uns
nicht verdrießen. (TERTULLIAN, De paenitentia 7,12, in: BAUS, Von der Urgemeinde zur frühchristlichen
Großkirche, Handbuch der Kirchengeschichte 1, 368).

Später, als Sektierer ist Tertullian ein Gegner der öffentlichen Kirchenbuße. Er
schreibt als überzeugter Montanist:

Es kann die Kirche Sünden vergeben, aber ich will es nicht tun, damit nicht auch andere sündigen.
(TERTULLIAN, De pudicitia 21,7, in: MESSNER, R., Feiern der Umkehr und Versöhnung, Handbuch der
Liturgiewissenschaft 7,2, Regensburg 1992, 64).

2.2.6. Der hl. Cyprian von Karthago


Quellen: Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 3.
Literatur:
9
- ALTANER, B. – STUIBER, A., Patrologie. Leben, Schriften und Lehre der Kirchenväter, Freiburg 1980.
– BAUS, K., Von der Urgemeinde zur frühchristlichen Großkirche, Handbuch der Kirchengeschichte 1, Freiburg
1962 (bes. 289f.340-344.373-376).
– MESSNER, R., Feiern der Umkehr und Versöhnung, Handbuch der Liturgiewissenschaft 7,2, Regensburg 1992
(86-91).
– POSCHMANN, B., Paenitentia secunda. Die kirchlihce Buße im ältesten Christentum bis Cyprian und Origenes,
Theophaneia 1, Bonn 1940.

Cyprian war besonders mit den Problemen um die öffentliche Kirchenbuße


beschäftigt. Während der Decischen Verfolgung (249/250) fielen sehr viele Christen
vom Glauben ab. Die Reuigen wendeten sich zunächst an die Konfessoren
(Bekennern) in den Gefängnissen, denen eine vom Heiligen Geist direkt bewirkte
Vergebungsvollmacht zugeschrieben wurde. Die Konfessoren stellten einen
sogenannten „Friedensbrief“ aus, dessen Bedeutung allerdings verschieden
betrachtet wurde. Bischof Cyprian, der zunächst eine sehr strenge Haltung
gegenüber den Apostaten einnimmt, macht aufgrund der Vielzahl von reuigen
Apostaten Zugeständnisse: er ordnet an, dass Apostaten, die einen Friedensbrief
eines Konfessors haben, am Sterbebett wieder mit der Kirche versöhnt werden
dürfen. Den Apostaten, die aufgrund von Folter abgefallen waren, gesteht er sogar
die Rekonziliation bereits nach einer dreijährigen Bußzeit zu. (vgl. MESSNER, R.,
Feiern der Umkehr und Versöhnung, Handbuch der Liturgiewissenschaft 7,2,
Regensburg 1992, 88).

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Cyprian bezeugt auch einen Rekonziliationsritus. Er schreibt in einem Brief:
Durch die Handauflegung des Bischofs und des Klerus empfangen [die Sünder] das Recht auf
[Kirchen]Gemeinschaft
(CYPRIAN, Epistula 16,2, in: MESSNER, R., Feiern der Umkehr und Versöhnung, Handbuch der
Liturgiewissenschaft 7,2, Regensburg 1992, 91).

2.2.7. Die Traditio apostolica (vgl. VO·ICKY, Sakraltheologie 4, 37-38.41-47).


Quellen:
- GEERLINGS, W. (Hg., Übers.), Traditio apostolica, Fontes Christiani 1, Freiburg 1992.
Literatur:
- BOTTE, B., „Die Wendung ‚astare coram te et tibi ministrare’ im Eucharistischen Hochgebet II“, in: Bibel und
Liturgie 49 (1976) 101-104.
- BRADSHAW, P. F., Redating the Apostolic Tradition: Some Preliminary Steps, in: Rule of Prayer, Rule of Faith.
Essays in Honor of Aidan Kavanagh, Collegeville 1996
- DASSMANN, E., „Die Bedeutung des Alten Testamentes für das Verständnis des kirchlichen Amtes in der
frühpatristischen Theologie“, in: Bibel und Leben 10 (1970) 198-214.
– KELLY, J. N. D., Altchristliche Glaubensbekenntnisse, Göttingen 1972.
- KIRSTEN, H., Die Taufabsage. Eine Untersuchung zu Gestalt und Geschichte der Taufe nach den altkirchlichen
Taufliturgien, Berlin 1960.
- KÖTTING, B., „Die Stellung des Konfessors in der Alten Kirche“, in: Jahrbuch für Antike und Christentum 19
(1976) 7-23.
- LANNE, E., La bénédiction de l’huile, in: TRIACCA, A. M. – PISTOIA, A. (Hg.), Les bénédictions et les
sacramentaux dans la liturgie, Bibliotheca „Ephemerides liturgica“ Subsidia 44, Roma 1988, 165-180.
- METZGER, M., “Nouvelles perspectives pour la prétendue ‘Tradition Apostolique’ “, Ecclesia Orans 5 (1988)
241-259.
– RAMIS, G., La consagración de la mujer en las liturgias occidentales, Bibliotheca „Ephemerides liturgica“
Subsidia 52, Roma 1990.

Sie gehört zur Gattung der Kirchenordnungen. Sie ist auf lateinisch (Palimpsest von
Verona aus dem 4. Jh.) und in vier orientalischen Sprachen (sahidisch, bohairisch,
arabisch, äthiopisch: Synodus von Alexandrien) erhalten. Sie wird während des 20.
Jh.s von den meisten Liturgiewissenschaftern dem hl. Hippolyt von Rom
zugeschrieben. Es ist zwar bekannt, dass Hippolyt eine Kirchenordnung geschrieben
hat, allerdings gibt es keinen fixen Hinweis, dass die Traditio apostolica gerade diese
verloren gegangene Kirchenordnung des Hippolyt ist. Vor allem in den letzten Jahren
wird daher die Autorenschaft des Hippolyt für die Traditio apostolica unter den
Liturgiewissenschaftern allgemein sehr bezweifelt (BRADSHAW, Redating;
METZGER, Nouvelles perspectives). Ebenso ist sehr unsicher, ob sie in Rom
entstanden ist. Die liturgischen Riten weisen eher auf den Osten hin.
Sie ist jedenfalls eine frühchristliche Schrift (3. Jh. oder spätestens Beginn des 4.
Jh.s), die zu vielen liturgischen Fragen genau Stellung nimmt. Spätere
Kirchenordnungen (Canones: um 340; Apostolische Konstitutionen: um 380) haben
auf sie aufgebaut.
Nach dem 2. Vatikanischen Konzil wurde die Traditio apostolica sehr hervorgehoben.
Das heutige II. Hochgebet und das heutige Weihegebet bei der Bischofsweihe sind
sehr an die Traditio apostolica angelehnt.

– Zum Katechumenat: Traditio apostolica 15: Diejenigen, die erstmals zum Hören des Wortes kommen,
sollen, bevor das ganze Volk eintritt, zuerst vor die Lehrer geführt werden, damit man sie nach dem Grund frage,
weshalb sie sich dem Glauben zugewandt haben. Jene, die sie herbeigeführt haben, sollen Zeugnis für sie
ablegen, ob sie auch fähig sind, das Wort zu hören.
NB: Hier begegnet uns erstmals in der Kirchengeschichte eine Vorform des
Taufpatens. Die Bewerber müssen Zeugen mitbringen, die über den Lebenswandel
der Taufwilligen Auskunft geben können.

– Zum Katechumenat: Traditio apostolica 16: Man soll sich ferner danach erkundigen, welche Berufe und
Tätigkeiten diejenigen ausüben, die man zum Unterricht bringt. Ist jemand Besitzer eines Bordells, soll er

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diese Tätigkeit aufgeben, oder man weise ihn zurück. Ist einer Bildhauer oder Maler, weise man ihn an, keine
Götzenbilder zu machen; sie sollen davon ablassen, oder man weise sie zurück. Ist einer Schauspieler oder gibt
er Vorstellungen im Theater, soll er damit aufhören oder zurückgewiesen werden. Wer Kinder unterrichtet, tut gut,
wenn er davon ablässt; wenn er aber keinen anderen Beruf hat, sei es ihm gestattet. Ebenso soll der
Wagenlenker, der Wettkämpfer und wer sonst am Wettkampf teilnimmt, diesen Beruf aufgeben oder abgewiesen
werden. Wer Gladiator ist, Gladiatoren im Kampf unterrichtet, ein Tierkämpfer, ein Organisator von
Gladiatorenspielen: sie sollen davon ablassen oder abgewiesen werden. Der Götzenpriester oder der Wächter
von Götzenbildern soll davon ablassen oder zurückgewiesen werden. Der Soldat, der unter Befehl steht, soll
keinen Menschen töten. Erhält er dazu den Befehl, soll er diesen nicht ausführen, auch soll er keinen Eid leisten.
Ist er aber dazu nicht bereit, weise man ihn ab. Wer die Schwertgewalt hat oder Stadtmagistrat ist und den
Purpur trägt, soll seine Stellung aufgeben oder abgewiesen werden. Der Katechumene, aber auch der Gläubige,
der Soldat werden will, soll abgewiesen werden, weil er Gott missachtet hat. Die Dirne, der Homosexuelle,
derjenige, der sich selbst verstümmelt, und jeder andere, der etwas tut, worüber man nicht spricht, sollen
abgewiesen werden; sie sind nämlich unrein. Ein Magier werde nicht einmal zur Prüfung zugelassen. Zauberer,
Sterndeuter, Wahrsager, Traumdeuter, Scharlatane und der Abschneider, der den Rand der Münzen
abschneidet, sowie derjenige, der Amulette anfertigt: alle diese sollen ihre Tätigkeiten aufgeben oder abgewiesen
werden. Die Konkubine eines Mannes soll, wenn sie seine Sklavin ist, seine Kinder aufzieht und ihm allein treu
ist, das Wort hören dürfen. Andernfalls weise man sie ab. Ein Mann, der eine Konkubine hat, soll von ihr lassen
und sich eine Frau nach dem Gesetz nehmen; will er aber nicht, weise man ihn ab. Wenn wir irgend etwas
ausgelassen haben, werden die Tätigkeiten selbst es euch lehren. Denn wir alle haben den Geist Gottes.
NB: Hier wird deutlich, dass Liturgie und Moral sehr eng miteinander verbunden sind:
nur Leute, deren Beruf mit dem christlichen Leben vereinbar ist, können getauft
werden.
NB: Schauspieler werden deswegen abgewiesen, weil damals gewöhnlich Stücke mit
heidnischen Inhalten bzw. heidnischen Botschaften aufgeführt wurden. Außerdem
mussten Schauspieler den Göttern im Theater opfern.
NB: Lehrer werden damals nicht gerne zur Taufe zugelassen, weil Lehrer damals
Inhalte der heidnischen Mythologie und des Götterkultes weitergeben mussten.
NB: Wagenlenker, Gladiatoren und Wettkämpfer mussten öffentlich den Göttern
opfern.
NB: eine sehr strenge Regelung: die Soldaten dürfen niemanden töten, auch auf
Befehl nicht. Den Eid darf er wegen der heidnischen Eidesformel nicht ablegen.
NB: Mit dem Homosexuellen sind jene gemeint, die homosexuellen
Geschlechtsverkehr pflegen. Das war in der jüdischen und christlichen Welt immer
unmoralisch.
NB: ein Münz-Abschneider ist ein Geldfälscher. Die Münze bleibt gleich viel wert,
auch wenn von ihr ein wenig Gold oder Silber abgeschnitten ist.
NB: Männer dürfen sich keine Konkubinen halten.

– Zum Katechumenat: Traditio apostolica 17: Die Katechumenen sollen drei Jahre lang das Wort hören. Ist
aber einer besonders eifrig und befleißigt er sich der Sache sehr, dann soll nicht die Zeitdauer, sondern allein die
Lebensführung berücksichtigt werden.
NB: Das Katechumenat dauert gewöhnlich drei Jahre, kann aber wegen besonders
guter Lebensführung verkürzt werden.

– Zum Katechumenat: Traditio apostolica 19: Nach dem Gebet legt der Lehrer den Katechumenen die
Hand auf, betet und entlässt sie dann. Gleichgültig ob er Kleriker oder Laie ist, der Lehrer soll dies in jedem
Fall tun. Wird ein Katechumene des Namens des Herrn wegen verhaftet, dann soll er nicht seines Zeugnisses
wegen zweifeln. Wird ihm nämlich Gewalt angetan und wird er getötet, so wird er gerechtfertigt werden, auch
wenn seine Sünden noch nicht nachgelassen sind. Denn er hat die Taufe in seinem Blut empfangen.

NB: Der Katechet betet immer nach der Katechese über die Katechumenen.
NB: Die Katechumenen, die als Märtyrer sterben, empfangen die Bluttaufe.

– Zur Taufe: Traditio apostolica 21: Zur Zeit des Hahnenschreis soll man zunächst über das Wasser beten. Es
soll Wasser sein, das aus einer Quelle fließt oder von oben herabfließt. So soll man es halten, wenn die
Verhältnisse es nicht anders erzwingen. In einer andauernden und bedrückenden Zwangslage kann man sich
jedoch des Wassers bedienen, das man gerade vorfindet. Die Täuflinge sollen ihre Kleider ablegen, und zuerst
soll man die Kinder taufen. Alle, die für sich selbst sprechen können, sollen es tun. Für die jedoch, die nicht für
sich sprechen können, sollen die Eltern sprechen oder ein anderes Familienmitglied. Danach soll man die

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Männer taufen, anschließend die Frauen, nachdem sie ihr Haar aufgelöst und ihren Gold- und Silberschmuck
abgelegt haben. Niemand soll einen fremden Gegenstand mit ins Wasser nehmen. Zum festgesetzten Zeitpunkt
der Taufe soll der Bischof das Danksagungsgebet über das Öl sprechen und es in ein Gefäß gießen. Es ist dies
das Öl der Danksagung. Er soll auch anderes Öl nehmen und daürber den Exorzismus sprechen. Es ist dies das
Öl des Exorzismus. Ein Diakon nimmt das Öl des Exorzismus und stellt sich zur Linken, ein anderer nimmt das Öl
der Danksagung und stellt sich zur Rechten des Presbyters. Der Presbyter nimmt jeden einzelnen Täufling in
Empfang und fordert ihn auf, mit folgenden Worten zu widersagen: ‚Ich widersage dir, Satan, all deinem Pomp
und all deinen Werken.’ Nachdem jeder widersagt hat, salbt ihn der Presbyter mit dem Öl des Exorzismus unter
folgenden Worten: ‚Jeder böse Geist weiche von dir’. Daraufhin übergibt er ihn unbekleidet dem Bischof oder
dem Presbyter, der in der Nähe des Taufwassers steht. Ein Diakon soll danach mit ihm hinabsteigen. Sobald der
Täufling ins Wasser hinabgestiegen ist, legt der Täufer ihm die Hand auf und fragt: ‚Glaubst du an Gott,
den allmächtigen Vater?’ Und der Täufling soll antworten: ‚Ich glaube’. Und sogleich, während die Hand
auf seinem Haupt liegt, tauft er ihn zum erstenmal. Und darauf fragt er: ‚Glaubst du an Christus Jesus,
den Sohn Gottes, der geboren ist vom Heiligen Geist aus der Jungfrau Maria, der unter Pontius Pilatus
gekreuzigt wurde, gestorben, am dritten Tage lebend von den Toten auferstanden und zum Himmel
aufgestiegen ist, zur Rechten des Vaters sitzt, der kommen wird, zu richten die Lebenden und die Toten?’
Und wenn jener gesagt hat: ‚Ich glaube’, soll er ein zweites Mal getauft werden. Erneut fragt er: ‚Glaubst
du an den Heiligen Geist, an die heilige Kirche und an die Auferstehung des Fleisches?’ Der Täufling soll
sagen: ‚Ich glaube’. Und so soll er ein drittes Mal getauft werden. Wenn er dann wieder heraufgestiegen
ist, soll er vom Presbyter unter folgenden Worten mit dem Öl der Danksagung gesalbt werden: ‚Ich salbe
dich mit heiligem Öl im Namen Jesu Christi’. Ein jeder soll sich abtrocknen und wieder ankleiden. Dann sollen
sie in die Kirche hineingehen. Der Bischof soll ihnen die Hand auflegen und anrufend beten: ‚Herr, Gott, du hast
sie gewürdigt, durch das Bad der Wiedergeburt des Heiligen Geistes die Vergebung der Sünden zu erlangen,
mache sie auch würdig, mit Heiligem Geist erfüllt zu werden. Sende in sie deine Gnade, damit sie dir nach
deinem Willen dienen. Denn dein ist die Herrlichkeit, Vater und Sohn mit dem Heiligen Geist in der heiligen
Kirche, jetzt und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.’ Dann gießt er Öl der Danksagung in seine Hand, legt sie dem
Täufling aufs Haupt und spricht: ‚Ich salbe dich mit heiligem Öl in Gott, dem allmächtigen Vater, in Christus Jesus
und im Heiligen Geist.’ Nachdem er die Täuflinge auf der Stirn bekreuzigt hat, soll er ihnen eine Kuss geben und
sagen: ‚Der Herr sei mit dir.’ Und der Bezeichnete soll sagen: ‚Und mit deinem Geist.’ So soll er mit jedem
einzelnen verfahren. Danach beten sie zusammen mit dem ganzen Volk. Denn sie dürfen erst dann zusammen
mit den Gläubigen beten, wenn sie dies alles erhalten haben. Nach dem Gebet sollen sie einander den
Friedenskuss geben. Dann soll dem Bischof von den Diakonen die Opfergabe gereicht werden. Er soll
danksagen: über das Brot als Abbild des Leibes Christi; über den Kelch mit gemischtem Wein als Abbild des
Blutes, das für alle vergossen wurde, die an ihn glauben; …

+ NB: die Taufe beginnt zur Zeit des Hahnenschreis. Wahrscheinlich ist hier die Feier
einer Osternacht beschrieben. Nach einer Nacht mit Gebeten und Lesungen beginnt
„zur Zeit des Hahnenschreis“ die Tauffeier.
+ NB: die Kindertaufe wird klar belegt; die Eltern als Vormunde bekennen statt den
Kindern den Glauben.
+ NB: der Ablauf der Taufe kann ungefähr so beschrieben werden: Weihe der beiden
Öle (Öl der Danksagung = Chrisam; Öl des Exorzismus = Katechumenenöl) durch
den Bischof, Absage vom Satan, Salbung mit Katechumenenöl durch den Priester,
dreiteiliges Glaubensbekenntnis und dreiteiliges Taufen, Salbung mit Chrisam durch
den Priester, Ankleiden.
+ NB: unmittelbar auf die Taufe folgt der Ritus der postbaptismalen Salbung, der
unserer heutigen Firmung entspricht, aber damals untrennbar mit der Taufe
verbunden war: der Bischof legt dem Neugetauften die Hand auf, salbt ihn mit
Chrisam, bezeichnet ihn mit einem Kreuz auf der Stirn, gibt ihm den Friedenskuss
und sagt: ‚Der Herr sei mit dir’. Der Täufling antwortet: ‚Und mit deinem Geist’.
+ NB: nach der Tauffeier (Taufe und postbaptismale Salbung) folgt das Gebet mit der
Gemeinde (Fürbitten). Erstmals können die Neugetauften mit der Gemeinde
gemeinsam beten. Danach ist der Friedensgruß und die Feier der Eucharistie.
+ NB: die Feier dieser drei Sakramente unmittelbar aufeinander wird genannt: Feier
der Initiation. Das Wort „Initiation“ bedeutet „Anfangen“, „Beginnen“ oder „Einführen“.
Nach der Feier der christlichen Initiation ist ein Mensch als Christ initiiert, in das
Christentum eingeführt, zum Christen gemacht. In der Ostkirche ist auch heute die
Feier der christlichen Initiation in dieser Form üblich. Die Reihenfolge „Taufe-
Salbung-Eucharistie“ wird bei der Feier der christlichen Initiation immer eingehalten.

35
+ Die Taufe spendet der Bischof oder der Priester. Der Taufspender steigt aber nicht
in das Becken hinein. Der Diakon begleitet den Täufling in das Taufbecken. Im 4.
Jahrhundert werden auch Diakonissen bezeugt (durch die Didaskalia), deren
Aufgabe es ist, die weiblichen Täuflinge in das Taufbecken zu begleiten und ihnen zu
helfen.

– Ämter und Dienste in der Gemeinde.


Generell gilt diese Unterscheidung zwischen Ämter und Dienste: Kirchliche Ämter
werden durch Ordination (Weihe) übernommen, kirchliche Dienste dagegen durch
Beauftragung.
– Die Traditio apostolica kennt folgende kirchlichen Ämter:
+ Bischofsamt (Trad. apost. 2-4: der Priester allein besitzt die Vollmacht, den Geist
zu spenden: vgl. Trad. apost. 8),
+ Priesteramt (Trad. apost. 7; die Traditio apostolica erwähnt nicht, dass der Priester
der Eucharistiefeier vorstehen kann; in Trad. apost. 4 wird die Konzelebration der
Priester bezeugt);
+ Diakonat (Trad. apost. 8: der Diakon wird zum Dienst an den Bischof geweiht; er
gehört nicht zum Presbyterium). Von einer Diakonissenweihe ist in der Didaskalia
aber nichts überliefert.
– Die Traditio apostolica kennt folgende kirchlichen Dienste:
+ Bekenner (Trad. apost. 9): sie haben den Rang der Priester
+ Witwen (Trad. apost.10): sie wird für das Gebet bestellt.
+ Lektor (Trad. apost. 11)
+ Jungfrau (Trad. apost. 12)
+ Subdiakon (Trad. apost. 13): er folgt dem Diakon
+ Heiler (Trad. apost. 14): er heilt Kranke

– Zum Kreuzzeichen: Traditio apostolica 42: Wenn du versucht wirst, bezeichne dir die Stirn mit Frömmigkeit.
Dieses Zeichen des Leidens ist ein Zeichen gegen den Teufel, wenn du es gläubig tust, und nicht, um von den
Menschen gesehen zu werden. Du sollst es überlegt darbieten wie einen Schild, und der Widersacher wird
die Kraft sehen, die aus dem Herzen kommt. … Indem wir uns Stirn und Augen mit der Hand bezeichnen,
vertreiben wir den, der versucht, uns zu vernichten.
+ Das Kreuzzeichen ist ein apotropäisches Zeichen, ein Teufel abwehrendes
Zeichen.
+ Das Kreuzzeichen ist Ausdruck des Glaubens, vor dem der Widersacher eigentlich
flieht.
+ Das Kreuzzeichen wird auf Stirn und Augen gemacht.

– Zur Ehrfurcht vor der Eucharistie (eucharistisches Fasten): Traditio apostolica 36: Jeder Gläubige soll
bemüht sein, die Eucharistie zu empfangen, noch bevor er etwas anderes zu sich genommen hat. Empfängt er
sie nämlich gläubig, dann wird ihm auch später gegebenes todbringendes Gift nicht schaden.
+ Hier wird das eucharistische Fasten verlangt. Das erste, was der Gläubige am Tag
empfangen soll, sind Leib und Blut Christi.
+ Die Eucharistie, gläubig empfangen, schützt sogar gegen Gift, jedenfalls gegen
geistliches Gift.

– Zur Ehrfurcht der Eucharistie (sorgfältiger Umgang mit der Eucharistie): Traditio apostolica 37: Jeder
trage Sorge, dass kein Ungläubiger die Eucharistie genießt, auch keine Maus oder ein anderes Tier, noch dass
etwas auf den Boden herunterfällt und dort verdirbt. Denn der Leib Christi darf nur von den Gläubigen gegessen
und nicht missachtet werden.
+ Nur den Gläubigen ist die Teilnahme an der Eucharistie vorbehalten.
+ Mit der Eucharistie muss sehr sorgfältig umgegangen werden. Gewöhnliche
Speise, die hinunterfällt, wird gemäß antikem Brauch den Tierchen überlassen.
Eucharistie soll möglichst nicht hinunterfallen.

36
– Zur Eucharistie: Traditio apostolica 4: Nachdem nun jemand zum Bischof
eingesetzt worden ist, sollen ihm alle den Friedenskuss geben und ihn begrüßen,
denn er hat die Würde erlangt. Die Diakone sollen ihm die Opfergabe reichen. Er
breitet die Hände über der Gabe aus, und dabei soll er zusammen mit dem
gesamten Presbyterium das Dankgebet sprechen.
– Diese Beschreibung der Eucharistiefeier erfolgt im Rahmen der Beschreibung von
der Bischofsweihe.
– Unmittelbar vor der Gabenbereitung ist der Friedenskuss (wie es dem
ostkirchlichen Brauch heute noch entspricht).
– Es ist die Aufgabe der Diakone, dem Bischof bei der Gabenbereitung die
Opfergabe zu reichen.
– Das Hochgebet spricht der Bischof nicht alleine, sondern mit ihm sprechen es auch
die Priester: der älteste Hinweis auf eine Konzelebration.
– Das eucharistische Hochgebet der Traditio apostolica zählt zu den ältesten
erhaltenen eucharistischen Hochgebeten.

2.2.8. Die ältesten Anaphoren


Quellen:
- GELSTON, A. (Hg., Übers.), The Eucharistic Prayer of Addai and Mari, Oxford 1992, 48-54.
- HÄNGGI, A. – PAHL, I. (Hg.), Prex eucharistica. Textus e variis liturgiis antiquioribus selecti (Spicilegium
Friburgense 12), Freiburg/Schweiz 1968.
- KKK 1352-1377.
Literatur:
- BRADSHAW, P. F., Essays on Early Eastern Eucharistic Prayers, Collegeville1997.
- GIRAUDO, C., La Struttura Letteraria della Preghiera Eucaristica, Analecta biblica 92, Roma 1981.
5
- JUNGMANN, J. A., Missarum Sollemnia. Eine genetische Erklärung der römischen Messe 1-2, Freiburg 1962.
- MAZZA, E., L’anafora eucaristica. Studi sulle origini, Bibliotheca „Ephemerides Liturgicae“. Subsidia 62, Roma
1992.
- MEYER, H. B., Eucharistie. Geschichte, Theologie, Pastoral, Handbuch der Liturgiewissenschaft 4, Regensburg
1989.

– Das eucharistische Hochgebet trägt auch den Namen „Anaphora“ („Hinauftragen“,


„Opfer“, „Darbieten“).
– Am Anfang war das Paschamysterium: Leiden, Kreuzesopfer, Auferstehung,
Himmelfahrt Jesu Christi, letztlich aber das ganze Leben Christi, sein ganzes Sein
und sein Heilshandeln auf Erden.
– Damit die Jünger Jesu dieses Paschamysterium immer wieder dieses
Paschamysterium, die Gegenwart Christi, feiern und erleben können, hat Jesus
Christus beim Letzten Abendmahl die Eucharistiefeier gestiftet. Unter der äußeren
Gestalt eines Mahles wird das Opfer, die Lebenshingabe Jesu gefeiert. Der
Opfercharakter ist von Anfang an dadurch zentral gegeben, da Christus selbst die
Nahrung bei diesem Mahl ist.
– In den ersten Jahrhunderten wurden wohl bei der Feier der Eucharistie über Brot
und Wein die Wandlungsworte gesprochen (vgl. 1 Kor 11) und nach jüdischer
Mahlsitte Dank- und Bittgebe gesprochen.
– Im Laufe der Jahrzehnte erhielten diese Gebete bei der Feier der Eucharistie eine
Ausweitung, um bestimmte theologische Gedanken besonders hervorzuheben. So
entstanden fixe Bestandteile (wenn auch oft in unterschiedlicher Reihenfolge), die
bald in allen Anaphoren selbstverständlich werden, nämlich:
Einleitungsdialog: durch ihn kommt besonders zum Ausdruck, dass der
Gottesdienst ein göttliches Handeln (der Priester ruft durch göttliche
Bevollmächtigung die Gemeinde auf) und ein Handeln der Gemeinde ist.

37
– „Der Herr sei mit euch“:
+ Dieser Gruß kommt schon in Rut 2,4 vor (Boas grüßt seine Schnitter mit diesem
Gruß).
+ Dieser Gruß ist mehr als ein Gruß. Er ist ein Gebet und kennzeichnet die
bedeutsamen Momente in der Liturgie.
+ Zu Beginn des Gebetes ist es angemessen zu beten, dass der Herr den Gläubigen
nahe ist und ihr Gebet begleiten möge.
– „und mit deinem Geist“:
dieser Ausdruck ist am besten vom hl. Paulus her zu verstehen. Er grüßt in Gal 6,18;
Phil 4,23; Phlm 25 „euren Geist“. Hier ist das Wort „Geist“ als Bezeichnung für den
ganzen Menschen gemeint. Dabei wird der Mensch als Seelenwesen, als
geistbegabt angedeutet (vgl. SCHWEIZER, E., πνευµα, in: Theologisches
Wörterbuch zum Neuen Testament 6, Stuttgart 1959, 433).
– „Erhebet die Herzen“: jeder fleischliche und weltliche Gedanke soll zurücktreten
und der Sinn soll einzig auf den Herrn hingerichtet sein (JUNGMANN 134)
– „Wir haben sie beim Herrn“: das frohe Bewusstsein der Gläubigen, den Sinn ganz
auf den Herrn gerichtet zu haben, lässt den Priester weitersprechen.
– „Lasst und danken dem Herrn“: Hier wird das Hochgebet als Dankgebet eröffnet.
Gemäß Heinrich Suso ist in diesem Moment der Priester Vorsänger im Lob Gottes
für alle Geschöpfe im Himmel und auf Erden (vgl. JUNGMANN 134).
– „das ist würdig und recht“: die Gemeinde stimmt der Aufforderung zum Danken zu.
Danksagung (Präfation) (für die Schöpfung und das Heilshandeln Gottes)
Sanctus / Benedictus (ab dem 4. Jh. ist das Sanctus bezeugt; ab dem 6. Jh. ist das
Benedictus bezeugt; Jes 6,3: der Himmel ist offen; die Gläubigen sind eingeladen,
sich geistigerweise ganz mit dem Himmel zu vereinigen; die Worte des Sanctus
gelten bei den Kirchenvätern als unsagbar, unaussprechlich; es wird mystisches Lied
genannt; es heißt Siegeslied; es zeigt, dass die Gläubigen Mitbürger des Himmels
sind; es stellt eine gemeinsame Festversammlung aus himmlischen und irdischen
Geschöpfen dar; eine Freude, ein fröhlicher Chor ist beim Sanctus verwirklicht; auf
die Erde wird das Himmelreich ausgeweitet; Mt 21,9: Christus kommt herab, um das
Kreuzesopfer auf sich zu nehmen)
Epiklese über die Gaben (sie ist notwendig zur Wandlung)
Einsetzungsbericht (Christus wird gegenwärtig, nicht aufgrund von Magie, sondern
aufgrund der Zusage Christi; das Wort Christi bewirkt die Wandlung: vgl. Jes 55,10f)
Anamnese (der Einsetzungsbericht ist durch die Anamnese in das Hochgebet
eingefügt; das Gedächtnis einer in der Gegenwart weiterwirkenden Handlung Christi
wird durch die Eucharistiefeier begangen)
Darbringungsgebet (durch dieses Gebet bringt die Kirche den Leib Christi bewusst
Gott als Opfer dar)
Epiklese über die (Gottesdienst-)Gemeinde (es wird für alle gebeten, die an der
Eucharistiefeier teilnehmen, auf dass sie eins werden in Christus)
Fürbitten (für die Papst, Bischof, die Stände der Kirche, alle Lebenden und die im
Frieden Verstorbenen)
Lobpreis an die Dreifaltigkeit (der Lobpreis an den dreifaltigen Gott)
Amen (affermative, begeisterte Bestätigung durch die Gemeinde)

2.2.8.1. ∆ασ ευχηαριστισχηε Ηοχηγεβετ δερ Τραδιτιο αποστολιχα:

Das eucharistische Hochgebet: Traditio apostolica 4:


1 Der Herr sei mit euch. Und alle sollen antworten: Und mit deinem Geiste.
2 Empor die Herzen. Wir haben sie beim Herrn.
3 Lasst uns danksagen dem Herrn. Das ist würdig und recht.

38
4 Und er soll so fortfahren: Wir sagen dir Dank, Gott,
5 durch deinen geliebten Knecht Jesus Christus,
6 den du uns in diesen letzten Zeiten als Retter, Erlöser und Boten deines Willens gesandt hast.
7 Er ist dein von dir untrennbares Wort, durch ihn hast du alles geschaffen zu deinem Wohlgefallen,
8 ihn hast du vom Himmel gesandt in den Schoß einer Jungfrau. Im Leib getragen, wurde er Mensch
9 und offenbarte sich als dein Sohn, geboren aus dem Heiligen Geist und der Jungfrau.
10 Der deinen Willen erfüllen und dir ein heiliges Volk erwerben wollte,
11 hat in seinem Leiden die Hände ausgebreitet,
12 um die von Leiden zu befreien, die an dich geglaubt haben.
13 Als er sich freiwillig dem Leiden auslieferte, um den Tod aufzuheben,
14 die Fesseln des Teufels zu zerreißen, die Unterwelt niederzutreten,
15 die Gerechten zu erleuchten, eine Grenze zu ziehen und die Auferstehung kundzutun,
16 nahm er Brot, sagte dir Dank und sprach:
17 „Nehmt, esst, dies ist mein Leib, der für euch zerbrochen wird“.
18 Ebenso nahm er auch den Kelch und sprach:
19 „Dies ist mein Blut, das für euch vergossen wird. Wenn ihr das tut, tut ihr es zu meinem Gedächtnis.“
20 Seines Todes und seiner Auferstehung eingedenk
21 bringen wir dir das Brot und den Kelch dar.
22 Wir sagen dir Dank, dass du uns für würdig erachtet hast,
23 vor dir zu stehen und dir als Priester zu dienen.
24 Auch bitten wir dich, deinen Heiligen Geist auf die Gabe der heiligen Kirche herabzusenden.
25 Du versammelst sie zur Einheit, so gib allen Heiligen, die sie (dh. die Opfergabe) empfangen,
26 Erfüllung mit Heiligem Geist zur Stärkung des Glaubens in der Wahrheit,
27 dass wir dich loben und verherrlichen durch deinen Knecht Jesus Christus,
28 durch den Herrlichkeit und Ehre ist dem Vater und dem Sohn mit dem Heiligen Geist
29 in deiner heiligen Kirche jetzt und von Ewigkeit zu Ewigkeit.
30 Amen.
(vgl. GEERLINGS, W., Traditio apostolica, FC 1, Freiburg 1992, 223-227).

– Einleitungsdialog: Z. 1-3
– Danksagung: Z. 4-12.22-23 (Die Danksagung ist zweigeteilt: in der Präfation wird
besonders durch und für Jesus Christus und sein rettendes Heilshandeln gedankt; im
Gebet nach dem Darbringungsgebet sagen alle Anwesenden Gott Dank: der Bischof
und die Priester: weil sie als Priester dienen dürfen; die Gläubigen, weil sie vor Gott
stehen dürfen)
– kein Sanctus
– Einsetzungsbericht: Z. 13-19 (er wird besonders mit dem Hingabe Christi am
Kreuz in Verbindung gesetzt, so als ob er bei der Kreuzigung die Wandlungsworte
gesprochen hätte)
– Anamnese: Z. 20 (der Einsetzungsbericht ist durch die Anamnese in das
Hochgebet eingeflochten; es handelt sich nicht um ein Gedächtnis einer in der
Vergangenheit abgeschlossenen Handlung, sondern um das Gedächtnis einer in der
Gegenwart weiterwirkenden Handlung Christi)
– Darbringungsgebet: Z. 21
– Epiklese über die Gaben: Z. 24 (die Epiklese über die Gaben erfolgt erst nach
dem Einsetzungsbericht; in den westlichen Hochgebeten ist das heute nicht üblich)
– Epiklese über die (Gottesdienst-)Gemeinde: Z. 25-26
– Lobpreis an die Dreifaltigkeit: Z. 27-29
– keine Fürbitten
– Amen: Z. 30

2.2.8.2 Die Anaphora der heiligen Apostel Addai und Mari::


2.2.8.2.
Zu den ältesten Anaphoren zählt die Anaphora der hll. Apostel Addai und Mari.
Die hll. Addai und Mari waren nach der Legende unter den 72 Jüngern, die Jesus zu
seinen Lebzeiten zur Predigt ausgesandt hat. Sie sollen nach Pfingsten in Syrien
(Edessa) und Persien als Apostel gewirkt haben.
Die Anaphora von Addai und Mari hat eine besonders große Nähe zu den jüdischen
Mahlgebeten. Sie soll im 2. und 3. Jahrhundert entstanden sein, wobei das Sanctus

39
erst später eingefügt wurde. Diese Anaphora wird in der ostsyrischen Kirche häufig
verwendet. Das besondere an dieser Anaphora ist, dass sie in ihrer ursprünglichen
Form keinen Einsetzungsbericht aufweist. Sie enthält aber einen Quasi-
Einsetzungsbericht. Nachträglich wurde von den ostsyrischen Katholiken ein
Einsetzungsbericht eingefügt. Die ostsyrisch-orthodoxen Christen verwenden diese
Anaphora aber auch heute noch ohne Einsetzungsbericht.
1 Die Gnade unseres Herrn.
2 Amen.
3 Erhebet euren Sinn!
4 Er ist bei dir, Gott
5 Das Opfer Gottes, des Herrn aller, werde dargebracht!
6 Es ist würdig und recht.
7 Würdig des Lobes all unserer Zungen und des Preises all unserer Sprachen
8 ist der anbetungswürdige und lobenswerte Name des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes,
9 der die Welt in seiner Gnade erschaffen hat, und ihre Bewohner in seiner Güte,
10 und der die Menschen in seiner Milde erlöst hat,
11 und der den Sterblichen eine große Gnade geschenkt hat.
12 Deine Größe, Herr, beten tausend Tausendschaften von höheren Wesen an
13 und zehntausend Zehntausendschaften von Engeln,
14 Scharen von geistlichen Wesen, Diener des Feuers und des Geistes;
15 zusammen mit den Kerubim und den heiligen Seraphim loben sie deinen Namen:
16 Heilig, heilig, heilig …
17 Und mit diesen himmlischen Mächten bekennen auch wir,
18 deine schwachen, leidenden und elenden Diener, dich, Herr,
19 weil du uns eine große, unbezahlbare Gnade geschenkt hast:
20 du hast unsere Menschennatur angezogen, um uns durch deine Gottheit lebendig zu machen;
21 du hast unsere Unterdrückung beseitigt, du hast unseren Sündenfall aufgehoben,
22 du hast unsere sterbliche Natur aufgeweckt, du hast unsere Sünden nachgelassen,
23 du hast unsere von der Sünde geprägte Situation gerecht gemacht,
24 du hast unseren Sinn erleuchtet, du, unser Herr und Gott, hast unsere Gegner besiegt,
25 und du hast die Schwäche unserer leidenden Natur
26 mit der von deiner Gnade überfließenden Barmherzigkeit aufstrahlen lassen.
27 Gedenke, Herr, in deiner unaussprechlichen Barmherzigkeit aller anständigen und gerechten Väter,
28 die vor dir beim Gedächtnis des Leibes und Blutes deines Sohnes Christus wohlgefällig waren,
29 das wir dir auf deinem reinen und heiligen Altar darbringen wie du es uns gelehrt hast.
30 Gewähre uns deine Ruhe und deinen Frieden für alle Tage der Welt,
31 damit alle Bewohner der Erde erkennen, dass du Gott bist, der einzige Vater,
32 und dass du unseren Herrn Jesus Christus, deinen geliebten Sohn, gesandt hast,
33 und dass er selbst, unser Herr und Gott, uns mit seinem lebendigmachenden Evangelium
34 die ganze Reinheit und Heiligkeit der Propheten und der Apostel, der Märtyrer und der Bekenner,
35 der Bischöfe, Priester und Diakone und aller Kinder der heiligen katholischen Kirche,
36 die mit dem lebendigen Zeichen der heiligen Taufe bezeichnet wurden, gelehrt hat.
37 Und auch wir, Herr, deine schwachen, leidenden und elenden Diener,
38 die wir in diesem Moment vor dir versammelt stehen,
39 haben in der Überlieferung die Bildwirklichkeit, die von dir kommt, erhalten,
40 damit wir uns freuen, damit wir loben, damit wir preisen, gedenken und feiern,
41 damit wir dieses große und erzittern lassende Mysterium
42 des Leidens, des Todes und der Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus begehen.
43 Es komme, Herr, dein Heiliger Geist und ruhe über diesem Opfer deiner Diener.
44 Er segne es und heilige es, damit es für uns, Herr,
45 zur Sühne der Schulden und zur Vergebung der Sünden sei,
46 und damit es zur großen Hoffnung der Auferstehung der Toten sei
47 und damit es zum ewigen Leben im Himmelreich sei mit allen, die vor dir wohlgefällig sind.
48 Und aufgrund dein ganzes wunderbares Handeln zu uns
49 preisen und loben wir dich unaufhörlich in deiner im wertvollen Blut deines Christus erlösten Kirche
50 mit offem Mund und entblößtem Angesicht.
51 Amen.

Einleitungsdialog: Z. 1-6
Danksagung (Präfation): Z. 7-15; Z. 17-26; Z. 48-50
Sanctus: Z. 16
Epiklese über die Gaben: Z. 43-44
Quasi-Einsetzungsbericht: Z. 37-39

40
Anamnese: Z. 40-42
Darbringungsgebet: Z. 29
Epiklese über die (Gottesdienst-)Gemeinde: Z. 44-47
Fürbitten: Z. 27-36
Lobpreis an die Dreifaltigkeit: Z. 7-8
Amen: Z. 51

2.2.8. Der sogenannte Strasbourg- Papyrus


2.2.8.3.
1928 wurde in der Nationalbibliothek der Universität Strasbourg jener Papyrus
entdeckt, der aus dem 4. oder 5. Jahrhundert stammt und Fragmente einer
archaischen Fassung der Anaphora des hl. Markus enthält. Die Anaphora des hl.
Markus hat ihre Heimat in Ägypten. Diese Anaphora des Strasbourg-Papyrus
überliefert die Anaphora, wie sie wohl im 3. Jh. in Ägypten üblich war.
Die Anaphora des Strasbourg-Papyrus hat ebenfalls eine große Nähe zu den
jüdischen Mahlgebeten. Sie ist aber nur unvollständig erhalten, wenn auch die
Forscher untereinander uneins sind, in welchem Maß sie unvollständig ist.

2.2.8.4. Zitate aus dem 2. und 3. Jahrhundert über die Eucharistie


IGNATIUS VON ANTIOCHIEN († um 110): Dieses Brot ist die Arznei der Unsterblichkeit, die Medizin, die den
Tod verhindert, vielmehr ermöglicht, fort und fort in Jesus Christus zu leben. (IGNATIUS, Brief an die Epheser
20,2)
IGNATIUS (vor seinem Martyrium): An vergänglicher Speise habe ich keine Freude, keine an den Ergötzungen
dieses Lebens. Brot Gottes will ich, das ist Jesu Christi Fleisch, das aus Davids Samen stammt; Trank will ich,
das sein Blut ist, die unvergängliche Liebe. (IGNATIUS, Brief an die Römer 7,3).
IGNATIUS: Seid darauf bedacht, eine einzige Eucharistie zu feiern, denn nur eines ist das Fleisch unseres Herrn
Jesus Christus, nur ein Kelch zur Einigung mit seinem Blut, einer ist der Opferaltar, wie nur einer Bischof ist,
vereint mit dem Presbyterium und den Diakonen, meinen Mitknechten. (IGNATIUS, Brief an die Philadelphier 4).
CYPRIAN VON KARTHAGO († 258): Und weil wir seines Leidens bei allen Opfern Erwähnung tun – denn das
Leiden des Herrn ist ja das Opfer, das wir darbringen –, so dürfen wir nichts anderes tun als das, was er getan
hat. Denn die Schrift sagt: Sooft wir den Kelch zum Gedächtnis des Herrn und seines Leidens darbringen, sollen
wir das tun, was, wie bekannt ist, der Herr getan hat. (CYPRIAN, Epistula 63,17).

2.2.9. Die Gebetsstätten der Christen im 3. Jh. (vgl. VO·ICKY, Sakraltheologie 4, 47-50).
– BAUS, K., Von der Urgemeinde zur frühchristlichen Großkirche, Handbuch der Kirchengeschichte 1, Freiburg
1962 (bes. 325-327).
– BIEGER, E., Schnittpunkt zwischen Himmel und Erde, Kevelaer 1998.
– RUTGERS, L. v., Katakomben, in: LfTK 5, Freiburg 1996, 1291-1298.

Die Christen trafen sich in den ersten beiden Jahrhunderten für den Gottesdienst in
Privathäusern. Allerdings erschwerte die steigende Mitgliederzahl immer mehr die
Feier des Gottesdienstes in Privathäusern. Im 2. und 3. Jh., also in Jahren, in denen
es immer wieder lange Zeiten des Friedens für die Christen gab, entstanden bereits
christliche Gotteshäuser. Um 205 zerstörte eine Überschwemmung im ostsyrischen
Edessa auch den „Tempel der Christen“. (BAUS, Handbuch 1, 326). Es gibt
Zeugnisse für christliche Gotteshäuser im 3. Jh. für Palästina und Sizilien.
Die Archäologen haben nicht viele christliche Gotteshäuser aus der Zeit des 3. Jh.s
gefunden. Ein sehr altes, durch archäologischen Befund bezeugtes, frühkirchliches
Gotteshaus (um 232 errichtet) befand sich in Dura-Europos, also in einer römischen
Grenzgarnison am Westufer des Euphrat.
Im 3. Jh. kam die Kirche auch in den Besitz von unterirdischen Begräbnisstätten
(Katakomben). Das Wort „Katakomben“ leitet sich vom griech. Ausdruck „kata
kumbas“ (Flurnamen von der Gegend bei S. Sebastiano) ab, was soviel wie „bei der
Schlucht, bei der Niederung“ bedeutet und erst ab dem 9. Jh. verwendet wurde
(BAUS, Handbuch 1,326). Die Christen der Antike nannten die Katakomben

41
„Coemeterium“, das sich vom griech. κοιµητηριον / κοιµαω (schlafen, ruhen)
ableitet. Die Christen nannten die Begräbnisstätten so, weil der christliche Glaube die
Auferstehung der Toten betont: die Verstorbenen „schlafen“ gleichsam bloß und
werden einst auferstehen.
Die Begräbnisstätten mussten sich außerhalb der römischen Stadtmauern befinden,
wegen des 12-Tage-Gesetzes der Römer aus 451 vChr (VOSICKY Sakraltheologie
47).
Katakomben waren vor allem für arme Leute gelegene Begräbnisstätten: wegen der
hohen Grundstückpreise waren überirdische Gräber sehr teuer. In der Umgebung
von Rom konnte man im Tuffgestein leicht unterirdische Gänge und Grabkammern
(cubicula) einrichten. Bisher wurden 60 Katakomben in Rom freigelegt, mit etwa 150
km Gängen und mit ca. 750.000 Gräbern. Auch in anderen Städten gab es
Katakomben, bei weitem aber nicht so viele und umfangreiche wie in Rom.
Die Katakomben wurden vor allem von den Christen gerne als Begräbnisstätten
genutzt. Die Christen pflegten die Erdbestattung (nach dem Vorbild Jesu; „Wenn das
Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt,
bringt es reiche Frucht“; vgl. Joh 12,24), während bei den Heiden auch die
Einäscherung sehr verbreitet war. Bei Erdbestattung wird natürlich mehr Raum
benötigt. Die christliche Gemeinde hatte auch viele Arme, für die sie auch
Begräbnisstätten brauchte. Die Christen wollten beisammen bestattet sein: sie
wollten vereint sein in der Hoffnung auf die Auferstehung; es entstanden also
christliche Katakomben. Die älteste römische christliche Katakombe, der älteste
offizielle christliche Gemeindefriedhof ist die Kallixtuskatakombe an der Via Appia.
Die Katakombe ist nach Calixtus, einem Freigelassenen, dem ersten Verwalter
dieser Katakombe und späteren Papst, benannt. Sie enthält auch eine sogenannte
„Papstgruft“, dh. eine Grabkammer, in der die meisten Päpste des 3. Jh.s bestattet
sind.
Die Christen nutzten diese Coemeterien gewöhnlich vor allem als Begräbnisstätten.
Es gab aber in den Grabkammern die Möglichkeit, rituelle Totenfeiern (refrigeria:
Totenmähler) abzuhalten. Bei den heidnischen Römern war es üblich, dass die Sippe
nach dem Tod eines Angehörigen an bestimmten Tagen bei der Grabstätte des
Toten ein Totenmahl (refrigerium) abhielt. Das sollte die Verbindung der Sippe mit
dem Verstorbenen stärken. In manchen heidnischen Grabkammern gab es sogar
eine kleine Öffnung im Boden; ein Rohr führte hinunter zum Leichnam; durch dieses
Rohr wurde ein Trunk hinabgeschüttet, der Anteil des Toten am Totenmahl. Der Tote
wurde manchmal auch als Teilnehmer einbezogen, indem für ihn ein eigener Platz
reserviert wurde. Die Christen reinigten dieses Totenritual. Sie kannten auch das
Totenmahl beim Grab des Verstorbenen, es war aber mit christlichen Gebeten
verbunden. Dieses Totenmahl wurde allerdings allmählich von der Feier der
Eucharistie ersetzt.
Wegen der Dunkelheit (nur Öllämpchen) und der schlechten Luft (Leichengeruch)
war es wohl kaum möglich, größere Eucharistiefeiern in den Katakomben
abzuhalten: höchstens Totenfeiern im kleinen Familienkreis. Aus demselben Grund
dürften die Katakomben kaum Zufluchtsort in der Verfolgungszeit gewesen sein.
Allerdings ist bekannt, dass Papst Xystus (Sixtus) II. (er wird im I. Hochgebet
erwähnt) im Jahre 258 bei einem Gottesdienst in einer Katakombe mit seinen vier
Diakonen von römischen Soldaten überrascht und enthauptet wurde.

2.2.10. Urchristliche Symbole


– BAUS, K., Von der Urgemeinde zur frühchristlichen Großkirche, Handbuch der Kirchengeschichte 1, Freiburg
1962 (bes. 325-327).

42
– SCHMUCK, N., Katakombenmalerei, in: BÄUMER, R. – SCHEFFCZYK, L. (Hg.), Marienlexikon 3, St.
Ottilien1991, 523-526.

In den Katakomben befinden sich viele Darstellungen frühchristlicher Kunst.


Biblische Szenen werden immer wieder dargestellt: Daniel zwischen zwei Löwen,
Noe in der Arche, Jonas im Bauch des Fisches, Erweckung des Lazarus: Rettung
aus Todesnot, Andeutung der Auferstehung. Auch die Mutter Gottes wird bereits
manchmal dargestellt: Maria mit einer Prophetengestalt (Hinweis auf Jes 7,14),
Verkündigungsszene, Maria mit Kind und – besonders häufig – die Huldigung der
Magier.
In den Katakomben, aber auch auf christlichen Sarkophagen („Fleischfresser“)
befinden sich immer wieder Symbole.
+ XP: Christus-Monogramm in griechischen Buchstaben
+ XP: Staurogramm: tau (Kreuz) und rho ergeben das Kreuz
+ Schiff: Hinweis auf die Lebensreise, die im Hafen Gottes endet
+ Fisch: Hinweis auf Christus, der sich für uns hingegeben hat ( jIhsou~"
Cristo;" qeou~~ uJio;" soth~~r) (Jesus Christus, der Sohn Gottes und
Retter) = ijcquv" (Fisch)
+ A W: Hinweis auf die Ewigkeit Christi, der Anfang und Ende in seiner Hand hat
+ Kreuz: Zeichen unserer Erlösung (zunächst ohne Gekreuzigten dargestellt, wegen
der Abscheu der Römer gegenüber die Hinrichtungsart der Kreuzigung)
+ Blumen, Bäume, Lebensbaum, Früchte: Hinweis auf das Paradies
+ Hirte, Hirtenstab: Hinweis auf Christus, den guten Hirten
+ Schafe: Hinweis auf die Herde Christi
+ Stadt auf einem Berg: Hinweis auf das himmlische Jerusalem
+ Tür, die einen Spalt offen steht: Hinweis auf das ewige Leben, das durch Christus
den Menschen offen steht
+ Brote: Hinweis auf die Eucharistie und dadurch auf Christus und das himmlische
Hochzeitsmahl
+ Siegeskranz: Hinweis auf den Sieg über Sünde und Tod
+ Taube (mit Olivenzweig): Hinweis auf das Land, das der Herr für die Seinen nach
der Zeit der Bedrängnis bestimmt hat (vgl. Gen 8,11).

2.2.11. Die Verehrung der Märtyrer (vgl. VO·ICKY, Sakraltheologie 4, 68-70).


Schon das AT kennt eine besondere Wertschätzung von Märtyrern: Das Martyrium
der sieben Brüder und ihrer Mutter (2 Makk 7; besonders genau geschildert im
apokryphen 4 Makk)
In Offb 7,13-17 heißt es: Da fragte mich einer der Ältesten: Wer sind diese, die weiße
Gewänder tragen, und woher sind sie gekommen? Ich erwiderte ihm: Mein Herr, das
musst du wissen. Und er sagte zu mir: Es sind die, die aus der großen Bedrängnis
kommen; sie haben ihre Gewänder gewaschen und im Blut des Lammes weiß
gemacht. Deshalb stehen sie vor dem Thron Gottes und dienen ihm bei Tag und
Nacht in seinem Tempel; und der, der auf dem Thron sitzt, wird sein Zelt über ihnen
aufschlagen. Sie werden keinen Hunger und keinen Durst mehr leiden, und weder
Sonnenglut noch irgendeine sengende Hitze wird auf ihnen lasten. Denn das Lamm
in der Mitte vor dem Thron wird sie weiden und zu den Quellen führen, aus denen
das Wasser des Lebens strömt, und Gott wird alle Tränen von ihren Augen
abwischen.
IGNATIUS (über das Martyrium): Ich suche den, der für uns starb, ich trachte nach
dem, der für uns auferstand. Die Geburt steht mir bevor. (IGNATIUS, Brief an die
Römer 6,1).

43
– Der Todestag eines Märtyrers wird in der frühen Kirche „natale“ (Geburtstag)
genannt. Es handelt sich um den Geburtstag für den Himmel. Vor allem in Rom
bereitete der heidnische Brauch des Totenmahls (refrigerium) an der Grabstätte des
Toten die jährliche Feier eines Heiligen vor. Es wurde schließlich beim Grab des
Märtyrers die Eucharistie gefeiert im Bewusstsein, dass sein Opfer Anteil hat am
Opfer Christi.
– Bald entstand der Wunsch der Christen, in der Nähe von Märtyrern bestattet zu
sein. Dadurch wurden die christlichen Katakomben immer mehr erweitert.
– Der Märtyrer ist ein besonderer Zeuge für den christlichen Glauben, weil er diesen
Glauben mit seiner Treue bis zum Tod bezeugt hat. Das Martyrium wird als „zweite
Taufe“ betrachtet. Alle Sünden, die er nach der Taufe begangen hat, werden durch
das Martyrium getilgt (vgl. ORIGENES, ExhortMart 28.39; vgl. AUF DER MAUR,
Feiern 105).
– Das früheste Zeugnis eines Märtyrer-Gedächtnistages ist der Martyriumsbericht
über den hl. Polykarp, das um 160 verfasst wurde. Es heißt dort:

Wir haben seine (des Polykarp) Gebeine erhalten, die kostbarer als die teuersten Edelsteine und wertvoller als
Gold sind, und sie an einem geziemenden Ort bestattet. Dort werden wir uns mit der Gnade Gottes nach
Möglichkeit in Jubel und Freude versammeln und das Jahresgedächtnis seines Martyriums feiern. (Martyrium
Polycarpi 18,2f; vgl. AUF DER MAUR, Feiern 93).

– Zusammen mit der Verehrung des Märtyrers entwickelt sich auch der Reliquienkult.
Die Heiligenreliquien werden als wertvoll erachtet, weil sie
° Tempel des hl. Geistes waren (vgl. 1 Kor 6,19)
° bei der Auferstehung des Fleisches wieder mit Geist erfüllt werden und leben
werden (vgl. Ez 37,14)
° sie die Gegenwart des Heiligen versinnbildlichen.

2.2.12. Die Feier von Ostern (vgl. VO·ICKY, Sakraltheologie 4, 40-41).


– BRADSHAW, P. F. – HOFFMAN, L. A. (Hg.), Passover and Easter. The Symbolic Structuring of Sacred
Seasons, Notre Dame (Indiana) 1999 (University of Notre Dame Press)
– CANTALAMESSA, R. – SPOERRI, A., (Hg., Übers.), Ostern in der Alten Kirche, Bern 1981 (Verlag Peter Lang).
2
– TALLEY, T. J., The Origins of the Liturgical Year Collegeville (Liturgical Press) 1991 .
– VELKOVSKA, E. V., The Liturgical Year in the East, in: CHUPUNGCO, A. J. (Hg.), Handbook for Liturgical
Studies 5, Collegeville 2000 (Pueblo Book) 157-176.

– Von der Urkirche sind zwar keine klaren Belege einer jährlichen Pascha-Feier
vorhanden. Es kann aber ziemlich sicher angenommen werden, dass Ostern gefeiert
wurde:
+ weil die jährliche Pascha-Feier für Juden-Christen selbstverständliche war (Paulus
feiert jedenfalls Pfingsten: vgl. 1 Kor 16,8)
+ weil die Evangelisten beschreiben, dass das letzte Abendmahl und der Tod Jesu in
die Paschazeit fielen (vgl. auch 1 Kor 5,7!)
– die ältesten Textzeugen einer jährlichen Osterfeier stammen aus dem 2. Jh.

– Einer der ältesten Belege für die jährliche Osterfeier: Epistula Apostolorum 15 (um 170, vermutlich aus
Kleinasien): Nach meinem Heimgang zum Vater gedenket meines Todes. Wenn nun das Passa stattfinden wird,
dann wird einer von euch ins Gefängnis geworfen sein um meines Namens willen, und er wird in Trauer und
Sorge sein, dass ihr das Passa feiert, während er sich im Gefängnis befindet und fern von euch ist; denn er wird
trauern, dass er das Passa nicht mit euch feiert. Ich werde nämlich meine Kraft in der Gestalt des Engel Gabriel
schicken, und die Tore des Gefängnisses werden sich öffnen. Er wird herausgehen und zu euch kommen, er wird
eine Nachtwache mit euch verbringen und bei euch bleiben, bis der Hahn kräht. Wenn ihr das Gedächtnis
vollendet habt, das in Bezug auf mich stattfindet, und die Agape, so wird er wiederum ins Gefängnis geworfen
werden zum Zeugnis, bis dass er von dort herauskommt und das predigt, was ich euch befohlen habe.
(vgl. Epistula Apostolorum 15, in: CANTALAMESSA, Ostern 14f).

44
– Die ältest erhaltene Osterpredigt (außerhalb der Heiligen Schrift): MELITO VON SARDES (2. Jh.), Über Ostern
1-4: Der Bericht der Schrift vom Auszug der Hebräer wurde verlesen, und die Worte des Mysteriums wurden
verkündet, wie das Lamm geschlachtet wird und wie das Volk gerettet wird. Nun begreifet also, Geliebte, wie neu
und wie alt, wie ewig und augenblickshaft, wie vergänglich und unvergänglich, wie sterblich und unsterblich es ist,
das Mysterium des Passa. Alt nach dem Gesetz, neu nach dem Logos, augenblickshaft nach dem Vorbild, ewig
nach der Gnade; vergänglich durch die Schlachtung des Schafes, unvergänglich durch das Leben des Herrn;
sterblich durch das Grab in der Erde, unsterblich durch die Auferstehung von den Toten. Alt ist das Gesetz, neu
der Logos, augenblickshaft das Vorbild, ewig die Gnade; vergänglich das Schaf, unvergänglich der Herr, der, wie
das Lamm, nicht gebrochen wurde, sondern auferstand als Gott. „Er wurde wie ein Schaf zur Schlachtung
geführt“, aber ein Schaf war er nicht; und wie ein stummes Lamm, aber er war auch kein Lamm. Denn das
geschah als Vorbild, die Wahrheit ist (jetzt) gefunden. (vgl. MELITO VON SARDES, De Passa 1-4, in:
CANTALAMESSA, Ostern 37-39).

Ein Zeuge des Osterfestes im 2. Jh. ist der Kirchenhistoriker Eusebius von Caesarea
(† 339).
– Der Kirchenhistoriker Eusebius von Caesarea berichtet über den Osterfeststreit,
der im 2. Jh. zwischen den Christen Roms und Kleinasiens ausgebrochen ist.
Während in Rom Ostern an einem Sonntag gefeiert wird, feiern die Christen
Kleinasiens das Osterfest am Pascha-Fest (14. Nisan). Wegen dieser ihrer Praxis
werden die damaligen Christen Kleinasiens auch Quartodezimaner (14. = quartus
decimus) genannt. Vor allem Papst Victor († 198) wendet sich gegen die
Quartodezimaner. Die Bischöfe von Kleinasien versuchen, sich zu rechtfertigen.
+ Eusebius von Cäsarea schreibt, dass beim Osterfeststreit gegen Ende des 2. Jh.s
auch darüber Uneinigkeit herrschte, wie lange vor dem Osterfest gefastet werden
soll: einen oder zwei oder mehrere Tage (EUSEBIUS, historia ecclesiastica 5,24,12;
vgl. Seminararbeit von P. P. zur Fastenzeit)
+ Als Papst Victor die Quartodezimaner aus der Kirche ausschließt, setzen sich viele
Bischöfe für eine mildere Vorgangsweise an. Der hl. Bischof Irenäus bittet beim
Papst um Geduld für die Quartodezimaner.
+ Im 3. Jh. setzt sich immer mehr das sonntägliche Osterdatum durch. Beim Konzil
von Nicäa wird der quartodezimanische Termin der Osterfeier endgültig verboten.
+ Beim Konzil von Nizäa (325) wurde der Sonntag nach dem ersten
Frühlingsvollmond endgültig als Datum des Osterfestes fixiert. Der Bischof von
Alexandrien erhielt den Auftrag, den jährlichen Ostertermin genau zu berechnen, da
es infolge der jüdischen Mondmonatsberechnungen ( = ein Jahr besteht aus 12
Mondmonaten und einem Schaltmonat) immer wieder zu Unklarheiten kam. Der
jeweilige Ostertermin wurde dann am Epiphaniefest den christlichen Gemeinden (im
Mittelmeerraum) in einem Osterfestbrief bekannt gegeben. (VOSICKY,
Sakraltheologie II,41)
– Der hl. Athanasius bezeugt in seinem Osterfestbrief von 334 erstmals die Existenz
eines 40tägigen Fastens vor Ostern.
– Im 3. und 4. Jh. wurde die Osternacht wohl folgendermaßen gefeiert: Beim
Dunkelwerden begann die Feier mit dem Anzünden des Lichtes. Christus, das wahre
Licht, das Leben, die Auferstehung, leuchtet. Ein Funke des Lichtes Christi springt
auf alle über und verscheucht die Finsternis, die Sünde, den Unglauben, den Tod.
Auch die Taufkandidaten werden vom Glaubenslicht Christi entzündet und ab der
Taufe in der Osternacht als „Erleuchtete“ (photismoi) bezeichnet. Es ist die Nacht,
die strahlend hell wird wie der Tag. (VOSICKY, Sakraltheologie II,41).
– Im Christentum werden die fünfzig Tage bis Pfingsten als „laetissimum spatium“,
als Osterzeit gefeiert. Der hl. Ambrosius sagt:
Die fünfzig Tage sind wie das Pascha zu feiern, und sie sind alle wie ein einziger
Sonntag (AMBROSIUS, Exp. Luc. 8,25)

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– Diese 50 Tage sind in der frühen Kirche betont Tage der Freude, ohne Buße,
Fasten und Knien.

2.3. Die Liturgie im Römischen Reich nach der Aussöhnung mit der Kirche

2.3.1. Das Zeitalter Konstantins (vgl. VO·ICKY, Sakraltheologie 4, 55-68).


BAUS, K., Von der Urgemeinde zur frühchristlichen Großkirche, Handbuch der Kirchengeschichte 1, Freiburg
1962 (bes. 450-471).
BERGER, R., Liturgische Gewänder und Insignien, Gottesdienst der Kirche. Handbuch der Liturgiewissenschaft
3, Regensburg 1987, 309-346
BERGER, R., Bischöfliche Insignien, in: LfTK 2, Freiburg 1994, 492.
EWIG, E., Die Kirche von Nikaia bis Chalkedon, in: Handbuch der Kirchengeschichte 2/1, Freiburg 1973
FELBECKER, S., Prozession. Liturgisch, in: LfTK 8, Freiburg 1999, 679f.
JOUNEL, P., Luoghi della celebrazione, in: SARTORE, D. – TRIACCA, A. M. (Hg.), Nuovo Dizionario di Liturgia,
5
Cinisello Balsamo 1993, 730-745.
KRÜGER, J., Ostung. Christentum, in: LfTK 7, Freiburg 1998, 1212f.
PFEIFER, M., Weihrauch, in: LfTK 10, Freiburg 2001, 1024f.

Konstantin wurde im Jahre 306 von den Soldaten im Norden des Römischen
Reiches (Gallien) zum Kaiser ausgerufen, während der römische Senat diese Würde
schon Maxentius zugesprochen hatte. Es kam am 28. Oktober 312 zu einem
Entscheidungskampf an der Milvischen Brücke im Norden Roms. Konstantin hatte
nur ein Drittel von den Soldaten des Maxentius. Auf eine Vision hin ließ Konstantin
das Christusmonogramm auf den Feldstandarten seines Heeres anbringen.
Konstantin siegte bei der Schlacht. Er schrieb seinen Sieg Christus zu, den er von da
an als seinen Schutzgott verehrte.
Im Jahre 313 vereinbarte er mit seinem Mitkaiser Licinius in Mailand, dass auch die
Christen das Recht auf freie Religionsausübung haben. Außerdem wird dabei
vereinbart, dass den Christen ihre Kirchen und Friedhöfe zurückzugeben sind.
Kaiser Konstantin blieb zwar weiterhin heidnischer „Pontifex maximus“ und ließ sich
erst am Sterbebett taufen. Es bleibt daher fraglich, wie sehr sich Konstantin
persönlich wirklich zum Christentum hin bekehrte, aber seine christenfreundlichen
Maßnahmen sind auch auf liturgischem Bereich unübersehbar:
– der Kult der Christen wird in manchen Schreiben des Konstantin ausdrücklich als
Kult zum Wohl des Staates anerkannt (BAUS, Handbuch 1, 462)
– manche heidnische Tempel werden geschlossen und sogar zerstört (vor allem die
Aphroditenheiligtümer galten in den Augen der Christen als sehr anstößig).
Selbstverständlich wurde der Aphroditentempel an der Stelle des Grabes Christi in
Jerusalem beseitigt (EWIG, Handbuch 2, 9).
– Konstantin lässt prächtige christliche Bauten errichten:
+ die Basilika wird der gebräuchliche Bau-Typus für Kirchenbauten. Basilika heißt
eigentlich „Königshalle“, dh. „Halle nach Art des Königs“. Eine typische römische
Basilika enthält ein hohes Hauptschiff und einige niedrigere Seitenschiffe. Durch die
Obergaden des Hauptschiffes dringt viel Licht ein. Die Schiffe sind untereinander
durch Säulenreihen abgegrenzt. Basiliken wurden sehr vielfältig verwendet: als
Amtssitz eines hohen Beamten, als Thronsaal des Kaisers (in der Apsis steht der
Thron), als Markthalle (wie in einem orientalischen Bazar, mit einer
Aufsichtsbehörede in der Apsis), als Bankgebäude, als Gerichtssaal, als öffentliche
Wandelhalle (in Schulen). Die Basilika ist im 4. und 5. Jh. ein sehr verbreiteter Bau-
Typus. Sie wird zum Haupt-Bautypus der frühen Kirchen. Freilich passt die Basilika
auch aus ideellen Gründen als christlicher Gottesdienstraum. Wird doch in der Apsis
das Kommen des Königs, Christi, gefeiert. Zudem findet sich in der Apsis der
christlichen Basilika meistens ein prächtiges Christus-Mosaik: Christus als
Pantokrator (Weltenherr, Weltenrichter).

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Die Basilika besteht aus: Hauptschiff und mehreren Seitenschiffen. An sie können
angebaut sein: Atrium (Vorhof), Narthex (Vorraum) und Pastophorien (Räume, in
denen der Leib Christi aufbewahrt wird [nördlich des Presbyteriums] bzw. die Bücher
aufgehoben werden [südlich des Presbyteriums];
+ Die Kathedra : sie ist Symbol bischöflicher Lehrautorität und des apokalyptischen
Thrones (EWIG, Handbuch 295f). Sie symbolisiert den himmlischen Thron (vgl. Offb
4,2). Sie befindet sich zusammen mit der Priesterbank im Presbyterium (die
Priesterbank erinnert an den Platz der 24 Ältesten: vgl. Offb 4,4).
+ Der Altar ist lange Zeit ein tragbarer Holzaltar (als Unterscheidung von den
heidnischen Altären, zum Schutz des Altares vor Entweihung in der Verfolgungszeit).
Allmählich werden im 4. Jh. Stein-Altäre üblich. Der Altar ist zunächst notwendig für
das Darbringen des eucharistischen Opfers. Der Altar ist Symbol für Golgota (daher
auch aus Stein). Der Altar ist Symbol für Christus (1 Kor 10,4: dieser Fels war
Christus). Bei der Errichtung des Altars wird in der frühen Kirche auch an Offb 8,3
gedacht: Und ein anderer Engel kam und trat mit einer goldenen Räucherpfanne an
den Altar; ihm wurde viel Weihrauch gegeben, den er auf dem goldenen Altar vor
dem Thron verbrennen sollte, um so die Gebete aller Heiligen vor Gott zu bringen.
+ Der Ambo: Das Wort „Ambo“ kommt vom griechischen „anabainein“
(Hinaufsteigen). Die Heilige Schrift soll von einem erhöhten Platz gelesen werden.
Das Evangelium wird nicht einfach vorgelesen, sondern gefeiert (vgl. weiter unten
zur Evangelium-Prozession).
+ Das Presbyterium: Der Ambo ist oft eingebaut in die Chorschranken (sie umgeben
das Presbyterium, die Bema). Von dem auf den Chorschranken aufgebauten Ambo
wird das Wort Gottes verkündigt. Das lateinische Wort für Chorschranken ist
„cancelli“. Daraus entsteht später die Kanzel. Weil das Ambo auf den Chorschranken
auch „lectionarium“ genannt wird, entsteht später für die Chorschranken der Name
„Lettner“. (vgl. JUNGMANN, Missarum 1,508).
+ Das Baptisterium: Ort der Taufe; es ist manchmal rund gebaut und erinnert dann
an die altrömischen Grabbauten (zB. an der Via appia). Bei der Taufe wird das
Sterben und Auferstehen des Täuflings gefeiert. Manche Baptisterien sind als
Oktogon gestaltet. Dieses erinnert an den 8. Tag (= der Tag der Vollendung und der
Tag der Ewigkeit). Auch in 1 Petr 3,20f wird die Zahl acht in Verbindung mit der
Taufe genannt: Diese (dh. die Geister) waren einst ungehorsam, als Gott in den
Tagen Noachs geduldig wartete, während die Arche gebaut wurde; in ihr wurden nur
wenige, nämlich acht Menschen, durch das Wasser gerettet. Dem entspricht die
Taufe, die jetzt euch rettet.
+ Der Brunnen im Vorhof: er dient für das Waschen der Hände. In der Antike war
Handkommunion üblich. Die Laien mussten aber, wenn sie zur Kommunion gehen
wollten, die Hände waschen. (JUNGMANN, Missarum 461f).
+ In den Basiliken hat der Osten eine besondere Bedeutung. Der Bischof bzw.
Priester und die Gemeinde sprechen die Gebete, während sie nach Osten gewandt
sind. Der Osten wird deshalb so hervorgehoben, weil im Osten die Sonne aufgeht.
Der Osten ist Symbol für den Himmel, weil von dort täglich die Sonne – sie ist
Symbol für Christus – kommt. Das Paradies war im Osten (vgl. Gen 2,8). Der Engel
Gottes kommt „vom Sonnenaufgang her“ (vgl. Offb 7,2). Christus ist der „oriens ex
alto“ („das aufstrahlende Morgen-Licht aus der Höhe“; Lk 1,78f). (vgl. auch BAUS,
Handbuch 1,344f).
Es gab beim Bau der Kirchen zwei Formen von Ostung (vgl. KRÜGER, Ostung
1212f):
° die Portal-Ostung: der Eingang ist im Osten, der Altar ist im Westen, eine
sozusagen „gewestete Kirche“; der Zelebrant stand im Westen (in der Apsis) und

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wandte sich beim Gebet in Richtung Osten; die Gemeinde im Kirchenschiff drehte
sich bei den Gebeten in Richtung Osten (zum Eingang) – mit Rücken zum
Zelebranten.
Die Portal-Ostung scheint unter Kaiser Konstantin bevorzugt gewesen zu sein: St.
Peter in Rom, Golgotha-Basilika in Jerusalem, Lateranbasilika
° die Altar-Ostung: der Altar ist im Osten, der Eingang ist im Westen; eine sozusagen
„geostete Kirche“; der Zelebrant drehte sich beim Gebet in Richtung Osten (in
Richtung Fenster der Apsis) – mit Rücken zu der Gemeinde.
Bei beiden Ostungen kam vor allem das Bild des pilgernden Gottesvolkes klar zum
Ausdruck. Zelebrant und Gemeinde wenden sich beim Gebet in dieselbe Richtung.
Sie haben dasselbe Ziel, den Herrn.
+ Im Heiligen Land, das wohl schon vor Konstantin begonnen hat, ein beliebtes
Wallfahrtsziel der Christen zu werden, lässt Konstantin einige Basiliken errichten. In
Jerusalem ließ er die Grotte des Hl. Grabes freilegen, neu gestalten und dann eine
Basilika errichten.
Der Bericht über die Kreuzauffindung durch die Kaiserin-Mutter Helena löst eine
große Verehrung des heiligen Kreuzes aus. Der älteste Bericht über die
Kreuzauffindung stammt vom hl. Ambrosius:
Helena kam denn und begann die heiligen Orte zu besuchen. Da gab ihr der Geist ein, das Kreuzesholz
aufzusuchen. Sie begab sich auf Golgotha und sprach: „Sieh, der Ort des Kampfes! Wo ist der Sieg? Ich suche
das Banner des Kreuzes, aber ich finde es nicht. Ich auf dem Throne, und das Kreuz des Herrn im Staube? Ich in
Gold, und Christi Triumph im Schutt? Dieser Triumph ist noch begraben und vergraben ist die Siegespalme des
ewigen Lebens? Wie soll ich an meine Erlösung glauben, wenn die Erlösung selbst sich dem Auge entzieht? …“
Sie lässt nun den Boden aufgraben, das Erdreich wegnehmen: da stößt sie auf drei durcheinanderliegende
Marterhölzer, die der Schutt bedeckt, der Feind versteckt hatte. Doch Christi Triumph konnte nicht in Nacht
vergraben bleiben. Sie ist ratlos, verlegen – verlegen nach Frauenart. Doch der Heilige Geist gibt ihr einen
sicheren Fingerzeig durch die Eingebung, dass zwei Schächer mit dem Herrn gekreuzigt wurden. Sie sucht nun
nach dem mittleren Kreuzesholz. Doch möglicherweise hatte die Verschüttung die Kreuze durcheinander
geworfen, der Zufall sie durcheinander gebracht. Wieder liest sie den Bericht des Evangeliums. Sie findet, dass
das mittlere Kreuz die Aufschrift an der Stirne trug: „Jesus von Nazareth, König der Juden“. Hieraus konnte der
wahre Sachverhalt erschlossen werden: aus der Aufschrift wurde das Kreuz des Heils offenbar.
(AMBROSIUS, De obitu Theodosii 43.45, in: Des heiligen Kirchenlehrers Ambrosius von Mailand ausgewählte
Schriften 3, Bibliothek der Kirchenväter 32, Kempten 1917, 415-417)
Das Kreuz Christi wurde noch zur Zeit Konstantins in drei große Teile aufgeteilt:
einen für Jerusalem (mit Titulus), einen für Rom und einen für Konstantinopel.
In Bethlehem ließ Konstantin den Adonistempel niederreißen und über die
Geburtsgrotte eine Basilika errichten. Eusebius von Cæsarea schreibt über
Bethlehem:
Auch die gottesfürchtige Kaiserin [Helena] zeichnete den Ort, wo die Gottesgebärerin ihren Sohn geboren hat, mit
wunderbaren Denkmalen aus, indem sie auf mannigfache Weise die dortige heilige Grotte ausschmückte, und
der Kaiser ehrte bald darauf ebenfalls diese Stätte mit kaiserlichen Weihegeschenken, um mit silbernen und
goldenen Kleinodien und buntgewirkten Teppichen die herrlichen Gaben seiner Mutter zu
vermehren.(EUSEBIUS, Vita Constantini 3,43,1, in: Bibliothek der Kirchenväter 9,121).
+ In Rom, der alten Reichshauptstadt und dem Sitz des damals schon sehr
einflussreichen Papstes, lässt Konstantin einige wichtige Kirchen erbauen.
° Zu Ehren des hl. Apostels Petrus ließ Konstantin ein gewaltiges Unternehmen auf
dem Vatikanischen Hügel durchführen. Über dem Grab des hl. Petrus, wo seit etwa
160 eine besondere Gedächtnis-Stelle stand, wurde unter großem Aufwand eine
Basilika so gebaut, dass das Grab des hl. Petrus im Zentrum der Basilika lag. Dazu
mussten Mausoläen zugeschüttet und der Vatikanische Hügel zu einem Teil
abgetragen werden.
° Kaiser Konstantin macht der römischen Gemeinde mit dem Grundstück des
Lateran ein persönliches Geschenk und ließ dort eine Erlöserkirche mit
benachbartem Baptisterium erbauen (omnium ecclesiarum urbis et orbis mater et
caput).

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° In der Nähe des Laterans wurde eine Kirche gebaut, in der wertvolle Reliquien der
Passion zur Aufbewahrung gebracht wurden. Heute trägt sie den Namen „Santa
Croce in Gerusalemme“.
+ Kaiser Konstantin legte beim Dorf Byzantion den Grundstein einer neuen Stadt:
Konstantinopel. Es sollte von Anfang an eine christliche Stadt sein: ohne heidnische
Tempel. Mehrere christliche Basiliken gehörten dagegen von Anfang zum
Bauprogramm. Die berühmteste Kirchen wurde die Apostelkirche (mit
Grabdenkmälern zu Ehren der 12 Apostel und mit den Reliquien des hl. Andreas).
– Einfluss des Kaiserkultes:
+ Auszeichnung der Bischöfe und besonders des Papstes durch Elemente des
Majestätskultes. Schließlich erhielt der Bischof damals die Vollmacht in Fällen, in
denen Christen involviert waren, Recht zu sprechen. Er bekam also auch hohe,
zivilrechtliche Bedeutung. Bei manchen Bischöfen wurden damals üblich: Thron
(besonders reich gestaltete Kathedra), besondere Fußbekleidung, Pallium, Ehrung
durch Licht und Weihrauch (vgl. BERGER, Insignien 492).
+ Weihrauch: getrocknetes Harz des Weihrauch-Baums, der vor allem in Äthiopien,
Oman, Jemen und Indien heimisch ist. Beim Verbrennen wird aromatischer Duft frei.
Dem Weihrauch wird beruhigende Wirkung zugeschrieben. In Ägypten wurde schon
im 3. Jahrtausend vChr Weihrauch beim Kult verwendet. Auch im Tempelkult von
Jerusalem wurde Weihrauch verwendet (Lev 2,1f; 24,7; Ex 30). Im Herrscherkult war
Weihrauch seit Alexander dem Großen und dann auch bei den römischen Kaisern
üblich. Von den Christen wurde Weihrauch zunächst abgelehnt, wegen dessen
Bedeutung im Herrscherkult. Im 4. Jh. wird dann auch im christlichen Gottesdienst
Weihrauch verwendet. (PFEIFER, Weihrauch 1024f).
+ Prozessionen: In der Antike gab es bei den Heiden große, prächtige Prozessionen
(pompae). Bei den Christen bis zum 3. Jh. sind Prozessionen nur in Verbindung mit
Beerdigungen bekannt. Ab dem 4. Jh. entwickeln sich allerdings in der christlichen
Liturgie mehrere Prozessionen:
° Einzugsprozession: sie war in den großen römischen Basiliken mit der Sakristei in
der Nähe des Eingangs besonders ausgestaltet; Leuchter, Weihrauch, Kreuz wurden
mitgetragen; viele Kleriker zogen ein; der Bischof wird als Christi Stellvertreter
begrüßt; die Schola singt den Introitus, also Psalmverse (vgl. JUNGMANN, Missarum
1, .
° Evangelien-Prozession: der Diakon küsst die Füße des Papstes, der über ihn die
Worte spricht: „Dominus sit in corde tuo et in labiis tuis“; der Diakon tritt zum Altar,
wo das Evangeliar liegt, küsst es und nimmt es in seine Hände; dann geht der
Diakon zusammen mit zwei Akolythen und zwei Subdiakonen zum Ambo (vgl.
JUNGMANN, Missarum 1,548f). Währenddessen wird das Halleluja gesungen (vgl.
JUNGMANN, Missarum 1,521). Die Evangelien-Prozession gilt dem Evangelium, als
dem Wort Gottes.
° Gabenprozession: sie ergibt sich aus einer Ausgestaltung des schon seit dem 2.
Jh. üblichen Gabengangs. Besonders in östlichen Kirchen, wie bei Ps.-Dionysius
erkennbar wird, erfährt die Gabenprozession eine reiche Ausgestaltung. Sie trägt
dort den Namen „Großer Einzug“. Mit Akolythen und Thurifer ziehen Diakon und
Priester ein, um die Gaben durch das Kirchenschiff zum Altar zu bringen
(JUNGMANN, Missarum 2,5). Die Gaben symbolisieren den mystischen Leib Christi.
° Nach der Taufe gibt es die Prozession der Neugetauften vom Baptisterium in die
Kirche.
° Im 4. Jh. ist erstmals die Palmprozession in Jerusalem bezeugt (vom Ölberg zur
Auferstehungskirche).

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° Im römischen Einflussbereich lösen christliche Flur- und Stadtumgänge in
gereinigter Weise heidnische Prozessionen ab (vgl. FELBECKER, Prozession 679).

– Gewänder und Amtsinsignien, die damals üblich wurden:


+ Albe: fußlanges, liturgisches Untergewand, das aus der Tunika (römisches
Untergewand) entstanden ist.
+ Dalmatik: liturgisches Unter- bzw. Obergewand, das aus der Tunika (römisches
Untergewand) entstanden ist. Es wurde von den Vornehmen Roms ab dem 2. Jh.
verwendet und ist wohl aus Dalmatien übernommen. Es war ursprünglich ein langes
weißes Gewand mit langen, weiten Ärmeln. Ihr einziger Schmuck waren zwei
schmale, senkrechte Purpurstreifen. Seit dem 4. Jh. ist die Dalmatik das offizielle
Gewand der Bischöfe und Diakone in Rom. Als Untergewand des Bischofs heißt sie
„Tunicella“. Dalmatik und Tunicella haben heute meistens kurze Ärmel.
+ Pænula : liturgisches Obergewand, das aus der Toga (römisches Obergewand)
entstanden ist. Sie war ursprünglich in der ganzen griech.-röm. Welt für alle Stände
üblich, nahm im 3. Jh. aber Festcharakter an und wurde im 4. Jh. zur Amtstracht der
Kleriker. Seit dem 7. Jh. heißt sie „casula“ (heute: Kasel, Messgewand). Bei den
Diakonen wurde sie früh von der Dalmatik ersetzt. Die antike Pænula war wohl ein
Überwurf, der vorne und hinten beim Ausbreiten der Hände einen Halbkreis ergab
(Glocken-Kasel). Die antike Pænula reichte wohl bis zu den Füßen.
+ Pallium (im Osten: „Omophorion“): ursprünglich ein mantelartiger Überwurf, der
später als eine Art Halstuch um die Schultern gelegt wurde. Im 4. Jh. war es Zeichen
für hohe kaiserliche Beamten bei hoheitlichen Tätigkeiten. Dieses Hoheitszeichen
wurde vom Kaiser dem Papst verliehen, der es an hervorragende Bischöfe
weiterverlieh. Es wurde im Osten aber auch von Nicht-Bischöfen verwendet. Später
(seit dem 9. Jh.) wurde es Insignie der Metropoliten bzw. nach einem eigenen
Entwicklungsprozess unter dem Namen „Stola“ („Festkleid“) zur Insignie der
Diakone, Priester und Bischöfe.
+ Mapula: das antike Taschentuch, das als Hoheitszeichen von hohen Beamten
getragen wurde, war seit der Antike in der Liturgie als Manipel bei Bischof und
Priester in Verwendung.
+ Campagus: dunkelfarbiger Lederschuh: er war ein besonderes Amtsvorrecht der
Bischöfe und Diakone ebenso von hochgestellten Laien, während ansonsten
sandalenartige Fußbekleidung im Mittelmeerraum üblich war.
+ Camelaucum: es ist eine beutelförmig verlängerte Mütze, die die römischen
Vornehmen in der Spätantike trugen, aber auch der Papst. Es dient allerdings nur für
den außerliturgischen Gebrauch. Es ist Vorläufer der Mitra, die aber erst für die
Liturgie des 11. Jh. erstmals bezeugt ist (vgl. BERGER, Liturgische Gewänder nach
heutigem Recht und Gebrauch, Handbuch der Liturgiewissenschaft 3, 341).
– Römische Sitten:
+ Altarkuss: Im heidnischen Tempelkult war das Küssen verehrungswürdiger
Gegenstände etwas Selbstverständliches. Der Kuss für den Tisch war aber auch im
privaten Leben üblich (vor und nach dem Mahl). Die Christen küssen den Altar, weil
er die „mensa Domini“ ist, weil sich Christus selbst von ihm aus zur Speise gibt.
Später bedeutet der Altarkuss auch, den Herrn selbst mit einem Kuss zu verehren.
(JUNGMANN, Missarum 1,390).
+ „Ite, missa est“: dieser mit dem „Schullatein“ schwer zu übersetzende Ausdruck
bedeutet: „Geht, es ist das Ende der Zusammenkunft“. Das Wort „missa“ bedeutet
hier also „Ende der Zusammenkunft“ („missa“ = „dimissio“; ähnlich wschl. in RB
35,14). Ähnliche Formeln wurden bei den Römern gerne beim Abschließen
öffentlicher Zusammenkünfte verwendet. Dieser Ruf bedeutet ursprünglich nicht – so

50
schon es auch wäre –: „Geht, ihr seid gesendet“ oder „Geht, die Kirche ist gesendet“.
(vgl. JUNGMANN, Missarum 2,525).

– Sonntag: Kaiser Konstantin führte im Jahr 321 mit einem Gesetz die Arbeitsruhe
am Sonntag für die Richter, die Stadtbevölkerung und alle Erwerbstätigen ein. (AUF
DER MAUR, Herrenfeste 43). Er setzte fest, dass die christlichen Soldaten am
Herrentag Urlaub erhielten, um zum Gottesdienst zu gehen (EUSEBIUS, Vita
Constantini 4,18). Allen nichtchristlichen Soldaten wurde befohlen, am selben Tag
aufs freie Feld zu gehen, um gemeinsam Gebete zu ihrem Gott zu sprechen
(EUSEBIUS, Vita Constantini 4,19-20) (AUF DER MAUR, Herrenfeste 41):

Eusebius, der Zeitgenosse Kaiser Konstantins, schreibt über die Einführung des Sonntags: Er (dh. Kaiser
Konstantin) lehrte sodann sein ganzes Heer, den Erlösungstag, der, wie es sich trifft, auch nach dem Licht und
nach der Sonne benannt ist, mit Eifer zu ehren: den Soldaten, die Anhänger des göttlichen Glaubens waren,
gab er Urlaub, ungehindert und regelmäßig zur Kirche Gottes zu gehen, solange, bis sie ihre Gebete
verrichtet hätten, wobei ihnen niemand im Wege sein durfte; den Soldaten, die noch nicht Teilhaber des
göttlichen Wortes waren, befahl er in einem zweiten Gesetz, an den Herrentagen vor die Stadt auf ein
freies Feld zu gehen und dort auf ein verabredetes Zeichen hin alle gemeinsam ein eingeübtes Gebet an
Gott zu richten. Sie sollten nämlich ihre Hoffnung nicht auf Speere, Waffenrüstung, Körperstärke setzen
müssen, sondern den über allen (Seienden) Gott kennen, den Geber alles Guten und selbst des Sieges, ihm
auch die geziemend vorgeschriebenen Gebete darbringen, und dabei die Hände empor zum Himmel erheben,
zu höchst hinauf zum himmlischen König die Augen ihres Geistes richten und ihn anrufen im Gebet, den Spender
des Sieges, den Retter, den Wächter und Helfer.(EUSEBIUS, Vita Constantini 4,18-20, in: WEILER, R. (Hg.),
Der Tag des Herrn. Kulturgeschichte des Sonntags, Wien 1998, 46)

– Verchristlichung („Reinigung“) einiger Festtermine:


+ 22. 2.: Im heidnischen Rom wurde der ganze Februar mit besonderem Gedenken
an die Verstorbenen begangen. Vom 13. Februar an feierte man neun Tage lang das
Fest der Parentalia, ein Familienfest zu Ehren der verstorbenen Verwandten. Am
letzten Tag der Parentalia, am 22. Februar, fand eine häusliche Mahlfeier mit
Familienzusammenkunft und Totengedächtnis statt. Man hielt ein Mahl (charistia
oder cara cognatio) ab, bei dem besonders der Verstorbenen gedacht wurde. Es
wurde ein Stuhl aufgestellt für jenen göttlich verehrten Verstorbenen, dem sich die
Familie besonders anvertraute.
Dieses Fest wurde von den Christen Roms im 4. Jh. umgedeutet. An diesem Tag
wurde ein Stuhl zu Ehren des hl. Petrus aufgestellt und dessen Amtsbeginn als
Bischof (von Rom oder von Antiochien?) gefeiert.
(AUF DER MAUR, Feste und Gedenktag der Heiligen, in: Gottesdienst der Kirche. Handbuch für
Liturgiewissenschaft 6/1, 82).

+ Quatember:
- AUF DER MAUR, H., Feiern im Rhythmus der Zeit I, Herrenfeste in Woche und Jahr, Gottesdienst der Kirche.
Handbuch der Liturgiewissenschaft 5, Regensburg 1983 (Pustet) (bes. 54f).
– KUNZLER, M., Die Liturgie der Kirche, AMATECA 10, Paderborn 1995 (Bonifatius), (bes. 574f).

° Im heidnischen Rom gab es jedes Jahr drei Erntefeste: Getreideernte im 4. Monat


(Juni), Weinlese im 7. Monat (September), Olivenernte im 10. Monat (Dezember).
Aus diesen heidnischen Erntefesten entwickeln sich im Christentum besondere
Gebetszeiten zu Ehren des wahren Schöpfers und Erhalters der Erde. Später kam zu
den drei Zeiten noch eine vierte hinzu (entsprechend den Jahreszeiten).
° Die Quatember bezeichnen jene Tage, die ungefähr mit den Anfängen der vier
Jahreszeiten zusammenfallen. In der Quatemberwoche werden Mittwoch, Freitag
und die Vigil von Samstag auf Sonntag besonders begangen: mit Fasten und
besonderen Gottesdiensten.
° Die Quatember sind in Rom entstanden und durch die Verbreitung der röm. Liturgie
im 8. Jh. auch in anderen Ländern angenommen worden. Erstes sicheres Zeugnis
51
für die Quatember ist in den Predigten Leos I. (440-461; Sermones 12-20.78-81.86-
94) zu finden.
° Die Gebete der Quatember beziehen sich vor allem auf Fasten und Buße, aber
auch auf die Jahreszeiten, auf Aussaat und Ernte.
Seit dem 5. Jh. wurde der Samstag in der Quatemberwoche als Tag für Diakonen-
und Priesterweihe bevorzugt.
° Die liturgische Kommission des dt. Sprachraums hat die Quatembertage auf die 1.
Woche der Fastenzeit (Frühling), auf die Woche vor Pfingsten (Sommer), die erste
Woche im Oktober (Herbst) und die erste Woche im Advent (Winter) festgelegt.

2.3.2. Der Einfluss der christologischen Kämpfe auf die Liturgie


(vgl. VO·ICKY, Sakraltheologie 4, 70-72).

Durch die Erlangung der Freiheit kann sich die Kirche ab dem 4. Jh. der Klärung
wichtiger theologischer Fragen widmen. Auch wenn dieser Prozess der Bildung von
theologischen Dogmen mitunter mit starken Grobheiten und Unmenschlichkeiten
verbunden war, konnte sich die Kirche im 4. und 5. Jahrhundert zu wichtigen
Lehrentscheidungen durchringen.

2.3.2.1. Die Konzilien von Nizäa und Konstantinopel


325 findet im kaiserlichen Palast von Nizäa das erste ökumenische Konzil statt, in
dessen Anschluss das 20-Jahr-Jubiläum (Vicennalien) von Kaiser Konstantin auch
mit christlichen Liturgien gefeiert wird; die Lehre des Aríus († 336), der die göttliche
Natur Jesu Christi leugnete, wurde beim Konzil von Nizäa verurteilt. Hauptgegner
des Arius war der junge Athanasius von Alexandrien († 373), damals noch Diakon,
aber bald darauf schon Bischof. Die entscheidende Feststellung des Konzils von
Nizäa war, dass Christus wesensgleich (οµοουσιος/consubstantialis) mit dem Vater
ist.

Nach dem Konzil wurde die bisher häufig verwendete kleine Doxologie von den
Arianern gerne zu ihren Gunsten gedeutet:
Gloria Patri per Filium in Spiritu Sancto.
Die Arianer hoben hervor, dass Christus dem Vater untergeordnet ist
(Subordianismus).
Die Katholiken ziehen ab dieser Zeit die kleine Doxologie in einer anderen, ebenso
alten Version vor:
Gloria Patri et Filio et Spiritui Sancto. (vgl. Mt 28,19).

Der hl. Basilius tritt für die Ehrung des dreifaltigen Gottes ein: Unseren Vätern erschien es schicklich, die Gnade
des abendlichen Lichtes nicht schweigend in Empfang zu nehmen, sondern, sobald es aufscheint, Dank zu
sagen. Wer der Urheber dieser Worte der Danksagung beim Aufscheinen des Lichtes ist, wissen wir nicht. Das
Volk jedoch bedient sich der alten Formel, und nie ist es jemandem als Frevel erschienen, wenn man betete:
„Wir loben den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist Gottes.“ (BASILIUS, De Spiritu Sancto 29, 73, in:
SIEBEN, H. J. (Hg., Übers.), Basilius von Cäsarea. De Spiritu Sancto, FC 12, Freiburg 1993, 301-303).

Basilius († 379) bezieht sich hier auf eine abendliche Lichtfeier, wie sie zur Zeit der
Vesper vor allem im Osten gerne gehalten wurde. Er deutet einen alten Hymnus an,
der in seinem Wortlaut ebenfalls bekannt und sehr berühmt ist, nämlich den Hymnus
φως ιλαρον:
ιλαρον
Heiteres Licht vom heiligen Glanz des unsterblichen himmlischen Vaters, des heiligen, seligen: Jesus Christus!
Gelangt zum Sonnenuntergang, schauend das Licht des Abends, lobpreisen wir Vater und Sohn und Heiligen
Geist.

52
Würdig bist du zu jeder Zeit, gepriesen zu werden mit heiligem Ruf, Sohn Gottes, der du das Leben gabst, dich
preiset darum die Welt.
(vgl. SIEBEN, H. J. (Hg., Übers.), Basilius von Cäsarea. De Spiritu Sancto, FC 12, Freiburg 1993, 302, Anm. 29).
(vgl. Vesper-Hymnus am Donnerstag der 2. und 4. Woche im Stundenbuch „Im Jahreskreis“).

Dabei wird die Diskussion über die Gottheit des Heiligen Geistes immer deutlicher.
Beim Konzil von Konstantinopel 381 wird klar formuliert, dass der Heilige Geist mit
Vater und Sohn zugleich angebet und verherrlicht wird (vgl. EWIG,
Kirchengeschichte 2/1, 75).

2.3.2.2. Das Konzil von Ephesus


Der Bischof Nestorius von Konstantinopel († 451 ?) wendet sich gegen den Ausdruck
„Gottesgebärerin“ (θεοτοκος). Die göttliche und die menschliche Natur Christi sind für
ihn so sehr getrennt, dass Maria nicht Gottesgebärerin genannt werden könne. Ein
Hauptgegner dieser nestorianischen Lehre ist der hl. Bischof Cyrill von Alexandrien
(† 444). Der Kaiser berief ein Konzil nach Ephesus ein, bei dem über diese Frage
beraten wird. Ephesus gilt als der Ort, an dem der hl. Apostel und Evangelist
Johannes („und das Wort ist Fleisch geworden“) und die Mutter Gottes ihren
Lebensabend verbracht haben. Man kommt zu dem Ergebnis, dass Maria
Gottesgebärerin genannt werden kann. Die göttliche und menschliche Natur sind in
Christus hypostatisch (in der Einheit der Person) miteinander verbunden.
Auch wenn diese Frage um die Gottesmutter vor allem nur die Auswirkung der tiefer
liegenden christologischen Frage liegt (wie sehr sind die göttliche und die
menschliche Natur Christi miteinander verbunden?), wächst infolge dieses Konzil die
Verehrung der Gottesmutter Maria.
– Damals wurden manche Kirchen zu Ehren Mariens der Gottesgebärerin errichtet.
+ In Jerusalem entstand damals eine Kirche zu Ehren Mariens, der Theotokos, mit
einem eigenen Fest am 15. August. Wschl. ist diese Kirche die Marienkirche von
Gethsemani, in der ab der 2. Hälfte des 5. Jh.s Mariens Heimgang (Koimesis)
gefeiert wurde (AUF DER MAUR, Feste 125).
+ In Jerusalem wurde im 5. oder 6. Jh. an jener Stelle eine Kirche gebaut, wo man
Mariens Geburt vermutete (beim Bethesdateich; heute: S. Anna). Der Kirchweihetag
jener Kirche ist der Tag des Festes „Maria Geburt“ (8. September).
+ In Rom gab es schon seit dem 4. Jh. eine Marienkirche. Sie wurde von Papst
Xystus III. 435 der Mutter Gottes geweiht: zur Erinnerung an das Konzil von Ephesus
(431), auf dem der Titel „Gottesgebärerin“ für Maria ausdrücklich bestätigt wurde. In
S. Maria Maggiore werden der Überlieferung nach Stücke von der Krippe Jesu
aufbewahrt. Dadurch gilt die Kirche S. Maria Maggiore als eine Art „Bethlehem“ in
Rom. Am 5. August feiert die Kirche den Weihetag der Basilika S. Maria Maggiore
als nicht-gebotenen Gedenktag.
Die Gründungslegende (allerdings nicht vor dem Jahr 1000 nachweisbar) zur Basilika Santa Maria Maggiore
erzählt von einem römischen Patrizier Johannes und dessen Gattin, die, weil sie kinderlos waren, ihre Güter der
hl. Mutter Gottes zudachten. In der Nacht zum 5. August 363 erschien dem Patrizier und seiner Frau im Traum
die Mutter Gottes und teilte ihnen ihren Wunsch mit: es solle dort, wo in derselben Nacht Schnee gefallen sei,
eine ihre geweihte Kirche gestiftet werden. Papst Liberius hatte zur selben Zeit dieselbe Erscheinung Mariens.
Indessen war in Rom allgemein bekannt geworden, dass auf einer Kuppe des Esquilin (einer der 7 Hügel Roms)
in der Nacht Schnee gefallen sei. Der Papst bezeichnete im Schnee den Umriss der künftigen Basilika (vgl.
BUCHOWIECKI, Handbuch der Kirchen Roms I, Wien 1974, 237-276).

2.3.2.3. Das Konzil von Chalzedon


Eutyches, ein einflussreicher Abt in Konstantinopel, lehrt, dass Christus nur eine
Natur hat, nämlich die göttliche. Es kommt zu großen Auseinandersetzungen.
Hauptwortführer gegen Eutyches sind Theodoret von Kyros und Papst Leo I. d. Gr.

53
Beim Konzil von Chalkedon (in der Basilika der hl. Märtyrerin Euphemia) wird
feierlich erklärt, dass Christus „in zwei Naturen unvermischt, unverwandelt, ungeteilt
und ungetrennt besteht“.
Papst Leos d. Gr. hebt den Zusammenhang zwischen Weihnachtsfest und Zwei-
Naturen-Lehre auf:
Papst Leo I. zum Weihnachtsfest: Indem also die Eigenart beider Wesenheiten gewahrt bleibt und sich zu ein
und derselben Person verbindet, bekleidet sich die Majestät mit Niedrigkeit, die Stärke mit Schwachheit, die
Ewigkeit mit Sterblichkeit. Und um die Schuld unseres Sündenzustandes zu tilgen, hat sich die unversehrbare
Natur mit der leidensfähigen vereint, sind wahrer Gott und wahrer Mensch zur Einheit des Herrn verbunden.
(LEO I., Predigt 21, in: Texte der Kirchenväter 2, München 1963, 167).

Nach dem Konzil von Chalzedon verbreitete sich das Zwei-Finger-Kreuzzeichen: Es


symbolisiert die zwei Naturen Christi (Zeige- und Mittelfinger sind ausgestreckt), die
Dreifaltigkeit (Daumen, Ringfinger und kleiner Finger berühren einander) und die
Einheit der Person Christi (durch die eine Hand). (vgl. VO·ICKY, Sakraltheologie 4, 31).
Im Mittelalter wird dieses Kreuz in den Kirchen des byzantinischen Ritus vom Drei-
Finger-Kreuzzeichen abgelöst, das letztlich dieselben Bedeutungen ausdrückt. (vgl.
VO·ICKY, Sakraltheologie 4, 32).

Beim Konzil von Chalzedon wurde auch (gegen den Protest des Papstes)
beschlossen, dass Konstantinopel von nun an nach Rom den höchsten Rang unter
den Patriarchalstädten habe.

2.3.3. Die Entstehung wichtiger Liturgiezentren

2.3.3.1. Liturgische Zentren im Abendland des 4. und 5. Jahrhunderts


– Rom als Ort der Gräber der Apostel Petrus und Paulus und als Sitz des Papstes
hatte in der frühen Kirche unbestreitbar den ersten Rang unter den Kirchen der
damaligen Christenheit inne. Doch Rom hatte im 4. und 5. Jh. aufgrund der
Völkerwanderung viel zu leiden. Aus Rom selbst gibt es für diese Jahrhunderte nur
wenige Zeugnisse über die Liturgie, nur einen wichtigen Kalender („Depositio
martyrum“ und einige Hinweise in Briefen [bes. von Papst Innozenz I. † 417] und
Predigten [bes. von Papst Leo I. † 461].
Viel zahlreichere Informationen stammen aus anderen Städten des Abendlandes, vor
allem aus Mailand, wo der hl. Bischof Ambrosius wirkte und aus Hippo. Wo der hl.
Bischof Augustinus tätig war.
– Besonders zu erwähnen ist zunächst der hl. Ambrosius († 397), der in Mailand als
Bischof wirkte. Von ihm sind zwei katechetische Werke über die christliche
Initiationsfeier erhalten („De sacramentis“: Mitschrift von Taufkatechese; „De
mysteriis“: literarische Taufkatechese). Es war eine bevorzugte Aufgabe des
Bischofs, den Taufbewerbern Katechesen zu halten, bzw. den Neophyten
(„Neugeborenen“, Neugetauften) noch weitere „Mystagogische Katechesen“
(Katechesen, um in die hl. Mysterien einzuführen) zu halten.
+ Der hl. Ambrosius hebt in seinen Katechesen hervor, dass die Kirche in Mailand
die Ordnung der Kirche von Rom befolgt (vgl. AMBROSIUS, De sacramentis 3,5).
+ Der hl. Ambrosius hebt die Verwandlung der Gaben bei der Konsekration hervor.
Diese Worte des hl. Ambrosius sind von höchster Bedeutung für die ganze
nachfolgende christliche Tradition.
Ambrosius über die Eucharistie: Sobald die Konsekration erfolgt ist, wird aus dem Brot das Fleisch Christi. Wir
wollen nun durch Beweise stützen, wie das, was Brot ist, der Leib Christi sein kann. Durch welche Worte
geschieht denn die Konsekration, und wessen Worte sind es? Die des Herrn Jesus. Denn alles andere, was
vorher gesagt wird, wird vom Bischof gesprochen: Gott wird Lobpreis dargebracht, es wird ein Gebet verrichtet,
es werden Bitten für das Volk, für die Herrscher und für die übrigen vorgetragen. Sobald der Augenblick naht, das

54
verehrungswürdige Sakrament zu vollziehen, verwendet der Bischof nicht mehr seine eigenen Worte, sondern
verwendet Worte Christi. Also bewirkt das Wort Christi dieses Sakrament.
(AMBROSIUS, De sacramentis 4,14, in: FC 3, 143).

Der hl. Ambrosius ist der erste Zeuge des römischen Messkanons, wenn er auch nur
Teile davon zitiert, allerdings die zentralen Teile.
Ambrosius über das Eucharistische Hochgebet (ältester Hinweis auf den Römischen Kanon!):
1 Willst du wissen, wie durch die himmlischen Worte die Konsekration bewirkt wird?
2 Höre, welche Worte es sind! Der Bischof spricht:
3 „Mache uns dieses Opfer zu einem festgeschriebenen, geistigen und wohlgefälligen,
4 das die Bild(wirklichkeit) des Leibes und Blutes unseres Herrn Jesus Christus ist.
5 Am Tag vor seinem Leiden nahm er das Brot in seine heiligen Hände,
6 blickte zum Himmel, zu dir, heiliger Vater, allmächtiger, ewiger Gott,
7 segnete es, indem er die Danksagung sprach,
8 brach es und reichte das Gebrochene seinen Aposteln und Jüngern mit den Worten:
9 Nehmt und esst alle davon; denn das ist mein Leib, der für viele zerbrochen wird.“
10 Gib acht!
11 „Ebenso nahm er am Tag vor seinem Leiden nach dem Mahl den Kelch,
12 blickte zum Himmel, zu dir, heiliger Vater, allmächtiger, ewiger Gott,
13 segnete ihn, indem er die Danksagung sprach,
14 und reichte ihn seinen Aposteln und Jüngern mit den Worten:
15 nehmt und trinkt alle daraus; denn das ist mein Blut.“ …
16 Erkenne ferner, welch große Bedeutung dieses Sakrament besitzt! Betrachte, was er sagt:
17 „Sooft ihr dies tut, gedenkt meiner, bis ich wiederkomme“ (vgl. 1 Kor 11,25f).
18 und der Bischof spricht:
19 „Daher begehen wir denn das Gedächtnis seines glorreichen Leidens,
20 seiner Auferstehung von den Toten und seiner Himmelfahrt
21 und bringen dir diese makellose Opfergabe, diese geistige Opfergabe, diese unblutige Opfergabe,
22 dieses heilige Brot und den Kelch des ewigen Lebens dar.
23 Wir bitten und flehen:
24 Nimm das Opfer durch die Hände deiner Engel auf deinen himmlischen Altar empor,
25 wie du die Gaben deines gerechten Dieners Abel, das Opfer unseres Patriarchen Abraham
26 und das Opfer, das dein Hoherpriester Melchisedek dir dargebracht hat, gnädig angenommen hast.“
(AMBROSIUS, De sacramentis 4,21f.26f, in: FC 3, 149.153).

– Einleitungsdialog: nicht zitiert


– Danksagung: nicht zitiert
– Sanctus: nicht zitiert
– Epiklese über die Gaben: Z. 3-4
– Einsetzungsbericht: Z. 5-9 und Z. 11-15 (der Einsetzungsbericht wird mit
speziellen Elementen der Ehrfurcht formuliert)
– Anamnese: Z. 19-20
– Darbringungsgebet: Z. 21-22
– Bitte um die Annahme des Opfers (ein Spezifikum des römischen Messkanons): Z.
23-26
– Epiklese über die (Gottesdienst-)Gemeinde: nicht zitiert
– Lobpreis an die Dreifaltigkeit: nicht zitiert
– Fürbitten: nicht zitiert
– Amen: nicht zitiert

Aus den Katechesen des hl. Ambrosius wird der Ablauf des Katechumenats und der
Initiationsfeier erkennbar:
a) Katechumenat
– Nomendatio (nomen dare): ein Begriff aus der Militärsprache: Anmeldung zum
Kriegsdienst; Anmeldung zum Katechumenat: zwischen Epiphanie und Beginn der
Fastenzeit
– Sündenbekenntnis: bald nach der Anmeldung

55
– Buße: während der Fastenzeit, mit Gebet und Fasten (an fünf Tagen pro Woche
nur einmal, nämlich abends essen)
– Katechese über Glaubens- und Sittenlehre (vor allem über die Erlösung durch
das Kreuzesopfer Jesu)
– Skrutinien: mit Prüfungsexorzismen
– Traditio symboli: Übergabe des Glaubensbekenntnis: am Sonntag vor Ostern
– Redditio symboli: Prüfung des Glaubensbekenntnisses: wenige Tage vor Ostern
b) Initiationsfeier in der Osternacht
– Effata-Ritus (bei Ambrosius erstmals erwähnt)
– Taufwasserweihe
– Präbaptismale Salbung (des ganzen Körpers; zum Kampf gegen den Satan)
– Absage vom Satan
– Taufe durch dreimaliges Untertauchen und nach dreifachem Bekenntnis
– Durchzug der Getauften durch den Taufbrunnen: Erinnerung an den Durchzug
durch das Schilfmeer
– Salbung des Hauptes: symbolisiert die Beschenkung mit Gnade
– Lesung aus Joh 13
– Fußwaschung
– Überreichung des weißen Kleides
– Besiegelung durch den Hl. Geist
– Eucharistie

Aus der Zeit des hl. Ambrosius ist ein berühmter Vorfall um eine öffentliche
Kirchenbuße bekannt:
Eine durch Zirkusleidenschaft erregte Menge in Thessalonike ermordeten im Jahre
390 einen unbeliebten kaiserlichen Militärbefehlshaber. Kaiser Theodosius († 395),
der praktizierender Christ war und oft in Mailand residierte, befahl im Zorn, die
Bevölkerung von Thessalonike in das Stadion zu locken und niederzumetzeln. Der
Kaiser nahm diese Anordnung bald zurück, aber die Gegenorder kam zu spät. Es
kam zu einem furchtbaren Blutbad. Für dieses schwere Vergehen verlangte Bischof
Ambrosius die öffentliche Kirchenbuße. Er verließ Mailand und erklärte Theodosius
brieflich, er werde seiner Bischofsstadt solange fernbleiben, bis Theodosius die Buße
annehme. Theodosius sah sein Unrecht ein und erschien eine Zeitlang ohne
kaiserliche Insignien als Büßer in der Kirche, ehe er nach dem öffentlichen
Schuldbekenntnis vor der Gemeinde (wahrscheinlich zu Weihnachten 390) wieder
mit der Kirche versöhnt und zum Empfang der Sakramente zugelassen wurde.
(vgl. EWIG, Kirchengeschichte 2/1, 90).

Auch von Augustinus gibt es viele Hinweise auf die Liturgie.


(vgl. MAZZA, E., La mistagogia. Le catechesi liturgiche della fine del quarto secolo e
il loro metodo, Bibliotheca „Ephemerides Liturgicae“. „Subsidia“ 46, Roma 21996,
171-192).

2.3.3.2. Alexandrien

Alexandrien war in der Antike eine der wichtigsten Städte (bedeutende Stätte der
Gelehrsamkeit, Bibliothek von Alexandrien, blühende Handelsstadt, der Leuchtturm =
Pharon = eines der 7 Weltwunder). Der Bischof von Alexandrien war Metropolit der
Christen Ägyptens, Äthiopiens, Numidiens. Er musste immer besonders gebildet
sein, in der führenden Stadt der Gelehrsamkeit. Die bedeutendsten Bischöfe

56
Alexandriens der Spätantike sind zweifellos der hl. Athanasius († 373) und der hl.
Cyrill von Alexandrien († 444).
Die wichtigste Anaphora in Ägypten ist die Anaphora des hl. Markus, benannt nach
dem – gemäß der Überlieferung – ersten Bischof von Alexandrien, dem hl.
Evangelisten und Petrus-Schüler Markus. Sie ist erstmals im Strasbourg Papyrus
bezeugt und entwickelt sich im Laufe der Jahrhunderte zu einem sehr langen
Hochgebet, mit einem besonders umfangreichen, feierlichen Lobpreis Gottes
(Präfation). Der hl. Markus wird in dieser Anaphora eigens erwähnt.
Eine sehr wichtige Gebetssammlung ist in Ägypten aus dem 4. Jh. enthalten, nämlich
die griechisch abgefasste Gebetssammlung des hl. Bischofs Serapion von Thmuis.
Sie enthält die Gebetstexte zu Taufe, Salbung, Anaphora, Diakon-, Priester und
Bischofsweihe und Begräbnis.

2.3.3.3. Antiochien

Auch Antiochien galt in der Antike als eine der bedeutendsten Städte. Es war
Handels- und kulturelles Zentrum. Als Hauptstadt Syriens war es von besonderer
politischer Bedeutung und Brücke zwischen Westen (Kleinasien, Europa) zum Osten
(Syrien, Arabien, Persien, Indien).
Für die Christen war Antiochien von besonderer Bedeutung, weil dort nannte man die
Jünger Jesu erstmals „Christen“ (Apg 11,26). Der erste Bischof von Antiochien soll
(wegen Gal 2,11-14 und dann der Überlieferung nach) der hl. Petrus selbst gewesen
sein.
Die berühmteste kirchliche Persönlichkeit von Antiochien ist im 4. Jh. der hl.
Johannes Chrysostomus. Als Priester war er beauftragt, an der Bischofskirche viele
Predigten zu halten. Sie sind rhetorisch bestens ausgefeilt, sehr mitreißend und
lebensnah. In ihnen werden immer wieder auch liturgische Themen angeschnitten.
Vor allem kommt er immer wieder auf das heilige Beben / Schaudern (φρικη) zu
sprechen.

Kardinal Daniélou schreibt über die Homilien des hl. Johannes Chrysostomus: Die Gesamtheit der
Homilien ist durchdrungen von diesem Sinn für das Geheimnisvolle, von diesem “heiligen Schauder” (φρικη),
der gewissermaßen das Klima der Liturgie ist (DANIÉLOU, J., Le Kairós de la messe d‘après les Homélies sur
l‘Incompréhensible de saint Jean Chrysostome, in: ARNOLD, F. X. – FISCHER, B. (Hg.), Die Messe in der
Glaubensverkündigung. Kerygmatische Fragen, Freiburg 1950, 74).

Johannes Chrysostomus über die Eucharistie:


Wenn euch der Kaiser zu einem Gastmahl ladet, seid ihr bei Tisch voll Furcht erfüllt und nehmt von den
aufgetragenen Speisen nur schüchtern und schweigend. Hier aber ruft euch Gott, an das Mahl von ihm selbst
und bringt selbst seinen Sohn dar. Heerscharen von Engeln stehen dabei, mit Furcht und Beben. Die Kerubim
verhüllen ihre Gesichter. Mit Beben rufen die Seraphim: “Heilig, heilig, heilig ist der Herr” [vgl. Jes 6,3]. Und du,
sag es mir, schreist und lärmst bei diesem geistlichen Gastmahl! Weißt du nicht, dass bei jener Feier die Seele
voll Stille sein soll? (JOHANNES CHRYSOSTOMUS, In diem natalem 7, in: PG 49,361)

Johannes Chrysostomus über die Ehrfurcht in der Hl. Messe:


So müssen auch wir dastehen, während wir ihm diesen Lobpreis darbringen, in Furcht und bebend, und dass wir
ihn mit Augen des Geistes schauen. Denn er ist hier völlig anwesend, und nirgends kann er umschrieben werden,
und er schreibt sich die Stimmen aller auf. So wollen wir also mit zerbrochenem und zerschlagenem Herzen das
Lob emporsenden, wir wollen es wohlgefällig verrichten und wie ein wohlriechendes Räucherwerk zum Himmel
emporsenden. (JOHANNES CHRYSOSTOMUS, Vidi Dominum 1,3 [Z. 72-81], in: DUMORTIER, J. (Hg., Übers.),
Jean Chrysostome. Homélies sur Ozias (In illud, Vidi Dominum) (Sources Chretienne 277), Paris 1981).

Hervorzuheben sind auch die Taufkatechesen, die der hl. Johannes Chrysostomus
gehalten hat: KACZYNSKI, R. (Hg., Übers.), Catecheses Baptismales, FC 6/1-2,
Freiburg 1992.

57
Der hl. Johannes Chrysostomus wurde 398 gegen seinen Willen zum Patriarchen
von Konstantinopel gemacht. Nach nur fünfjähriger segensreicher Amtszeit wurde er
dort schließlich aufgrund der Wut der Kaiserin und anderer Kritiker wegen haltloser
Beschuldigungen abgesetzt. Es war ihm bereits verboten, die Osternachtfeier in der
Kathedrale zu feiern. Daher feierte er mit seinen Priester das Osterfest 404 in den
Konstantinsthermen. Die Osternachtfeier samt Taufe wurde von den Soldaten
zersprengt und endete mit einem Blutbad. Kurz darauf musste Chrysostomus
Konstantinopel verlassen und in die Verbannung gehen. Er starb auf seiner Reise in
die Verbannung in Komana, am 14. 9. 407.
Wenige Jahre später wurde sein Leichnam im Triumph nach Konstantinopel
zurückgebracht und feierlich bestattet. Er wurde in den Heiligenkanon aufgenommen
und gilt seither als größter Heiliger der byzantinischen Kirche. Eine Anaphora, die er
wschl. aus Antiochien nach Konstantinopel mitgebracht hat, wurde nach ihm
benannt: Anaphora des hl. Johannes Chrysostomus. Sie ist die noch heute gängigste
Anaphora in der byzantinischen Kirche.

2.3.3.4. Jerusalem

Wegen seiner Zerstörung war Jerusalem lange Zeit für Christen ohne große
Bedeutung. Erst im 4. Jh. rückt es wieder in das Interesse der Christen, vor allem
durch den Einsatz Kaiser Konstantins. Durch den Bau mehrer Kirchen in Jerusalem
und an anderen Stätten des Hl. Landes wird Palästina innerhalb von wenigen
Jahrzehnten ein für Christen attraktives Pilgerziel. Vor allem durch Egeria, die um
380 nach Jerusalem pilgerte, wissen wir einiges über die Liturgie an jenen Stätten im
4. Jh. Sie lebte etwa drei Jahre in Jerusalem und machte von dort aus Besuche zu
wichtigen biblischen Stätten in Palästina, am Sinai und in Ägypten. Für die
Liturgiegeschichte ist vor allem ihre Beschreibung der Jerusalemer Liturgie, speziell
zur Kar- und Osterwoche wertvoll. Über die Mystagogischen Katechesen (das sind
Katechesen für die Neugetauften) in der Osteroktav schreibt sie:

Egeria über die Mystagogischen Katechesen in Jerusalem: Nachdem aber die Ostertage gekommen sind,
geht man an acht Tagen, nämlich von Ostern bis zum achten Tag, nach der Entlassung aus der Kirche mit
Hymnen zur Anastasis. Dort spricht man ein Gebet, und die Gläubigen werden gesegnet. Dann steht der Bischof
an das innere Gitter gelehnt, das sich an der Grotte in der Anastasis befindet, und erläutert alles, was bei der
Taufe geschieht. Zu dieser Stunde hat nämlich kein Katechumene Zugang zur Anastasis; nur die Neugetauften
und die Gläubigen, die die Mysterien hören wollen, betreten die Anastasis. Es werden aber die Türen
verschlossen, damit kein Katechumene dazukommt. Während der Bischof alles einzeln deutet und berichtet, sind
die Stimmen der lobenden Zuhörer so laut, dass ihre Stimmen sogar weit draußen vor der Kirche zu hören sind.
Er enthüllt ihnen nämlich wahrhaftig alle Mysterien so, dass keiner von dem unberührt bleiben kann, was er derart
erklärt hört
(vgl. EGERIA, Itinerarium 47,1f, in: FRANCESCHINI, E. – WEBER, R. (Hg.), Itinerarium Egeriae, in: Itineraria et
alia geographica, Turnhout 1965 (CCL 175) 88f; nachgedr. in: RÖWEKAMP, G. (Hg., Übers.), Egeria. Itinerarium.
Reisebericht (FC 20), Freiburg 1995, 300-302).

Fünf mystagogische Katechesen aus Jerusalem sind uns in ihrem Wortlaut


überliefert. Sie stammen von Cyrill oder von Johannes von Jerusalem und
beschreiben und deuten in sehr berührender Weise die Riten der Initiation (Taufe,
Salbung, Eucharistie).

Cyrill von Jerusalem über den Friedenskuss: Dann ruft der Diakon: „Nehmt einander an, und lasst uns
einander den Friedenskuss geben!“ Denke nicht, dieser Kuss sei der gleiche wie der, den sich gewöhnliche
Freunde auf dem Markt geben! So ist es nicht! Dieser Kuss verbindet die Seelen miteinander und versichert
ihnen, dass nichts mehr nachgetragen wird. So ist der Kuss ein Zeichen für das Verbundenwerden der
Seelen und das Verbannen allen Nachtragens. Deswegen sagte Christus: „Wenn du deine Gabe zum Altar
bringst und dir dort einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar

58
(liegen); geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe“ (Mt 5,23f). Der
Kuss ist also eine Versöhnung und deshalb heilig. So sagte irgendwo der selige Paulus: „Grüßt einander mit
heiligem Kuss“ (Röm 16,16; 1 Kor 16,20). Und Petrus: „Grüßt einander mit dem Kuss der Liebe“ (1 Petr 5,14).
CYRILL VON JERUSALEM, Mystagogicae Catecheses 5,3, in: RÖWEKAMP, G. (Hg., Übers.), Cyrill von
Jerusalem. Mystagogicae Catecheses. Mystagogische Katechesen (FC 7), Freiburg 1992, 147-149.

Cyrill von Jerusalem über das Gedenken der Verstorbenen bei der Eucharistie: Dann beten wir auch für die
entschlafenen heiligen Väter und Bischöfe und überhaupt alle vor uns Entschlafenen, denn wir glauben, dass
das Gebet den Seelen, für die wir beten, dann den größten Nutzen bringt, wenn das heilige, unheimliche
Opfer vorliegt.
CYRILL VON JERUSALEM, Mystagogicae Catecheses 5,9, in: RÖWEKAMP, G. (Hg., Übers.), Cyrill von
Jerusalem. Mystagogicae Catecheses. Mystagogische Katechesen (FC 7), Freiburg 1992, 153.

Cyrill von Jerusalem über die Kommunion: Wenn du dann hingehst, komm nicht mit vorgestreckten
Handflächen oder gespreizten Fingern. Mache die Linke zum Thron für die Rechte, die den König
empfangen soll. Mache die Hand hohl, empfange so den Leib Christi und sage „Amen“ dazu. Nimm es
vorsichtig, heilige die Augen durch die Berührung mit dem heiligen Leib – und pass auf, dass du nichts davon
verlierst. Denn wenn du etwas verlierst, so ist das, als littest du an den eigenen Gliedern Schaden. Sag mir:
Wenn dir jemand Goldstaub gäbe, würdest du ihn dann nicht mit großer Vorsicht festhalten und aufpassen, dass
du nichts davon verlierst und Schaden leidest? Wirst du also nicht noch viel sorgfältiger auf das achten, was
wertvoller ist als Gold und Edelsteine, um keine Stücke davon fallen zu lassen?
CYRILL VON JERUSALEM, Mystagogicae Catecheses 5,21, in: RÖWEKAMP, G. (Hg., Übers.), Cyrill von
Jerusalem. Mystagogicae Catecheses. Mystagogische Katechesen (FC 7), Freiburg 1992, 163.

Auch in Jerusalem entsteht eine eigene Anaphora, mit dem Namen „Anaphora des
hl. Jakobus“. Sie ist benannt nach dem hl. Apostel Jakobus den Jüngeren, der in den
Jahren 44 bis 62 die Kirche von Jerusalem geleitet haben soll. Er wird in Apg 15,13
und Gal 2,9 erwähnt. Die Anaphora stammt wohl nicht direkt vom hl. Apostel
Jakobus, ist aber sehr alt (vgl. GIRAUDO, Eucaristia 414-430).

2.3.4. Die Entstehung des Weihnachtsfestkreises (VO·ICKY, Sakraltheologie 4, 73-76)


– AUF DER MAUR, H., Feiern im Rhythmus der Zeit I. Herrenfeste in Woche und Jahr, Gottesdienst der Kirche.
Handbuch der Liturgiewissenschaft 5, Regensburg 1983 (Pustet) (bes. 16-25).
– AUGÉ, M., The Liturgical Year in the First Four Centuries, in: CHUPUNGCO, A. J. (Hg.), Handbook for
Liturgical Studies 5, Collegeville 2000 (Pueblo Book), 135-155.
6
– BIERITZ, K.-H., Das Kirchenjahr, München 2001 (C.H.Beck) (bes. 187-233).
2
– TALLEY, T. J., The Origins of the Liturgical Year Collegeville (Liturgical Press) 1991 .
– VO·ICKY, B. J. M., Sakraltheologie 4. Fundamentalliturgik, Heiligenkreuz 2003.

2.3.4.1. Weihnachten in Bethlehem


Schon im 2. Jh. ist bezeugt, dass Jesus Christus in einer Höhle (nahe von
Bethlehem) geboren worden ist.

Justin, der Märtyrer († um 165) schreibt: … Josef nahm, da er in jenem Dorf nirgends Unterkunft finden
konnte, in einer Höhle in der Nähe des Dorfes (Bethlehem) Quartier. Als sie sich dort aufhielten, hatte Maria den
Christus geboren und in eine Krippe gelegt. Hier haben ihn die Magier aus Arabien gefunden. (HÄUSER, P.
(Hg., Übers.), Dialog mit dem Juden Tryphon, Bibliothek der Kirchenväter 33, München 1917, 128).

Origenes bezeugt, dass in Bethlehem die Geburtshöhle Christi gezeigt wird:


Wer aber für die Tatsache der Geburt Jesu in Bethlehem außer der Prophezeiung des Micha und dem Bericht
seiner Jünger in den Evangelien noch andere Beweise will, der möge erwägen, dass man, in Übereinstimmung
mit dem Bericht über seine Geburt in dem Evangelium die Höhle in Bethlehem zeigt, wo er geboren wurde,
und in dieser Höhle die Krippe, in die er, in Windeln gewickelt, gelegt wurde. Und was dort gezeigt wird, ist in
diesen Gegenden auch bei den Heiden eine bekannte Sache, so dass sie wissen, in dieser Höhle sei der von den
Christen angebetete und bewunderte Jesus geboren
(ORIGENES, Contra Celsum 1,51, in: BKV 52,70)

59
Kurze Zeit danach, um 250 erlebte diese Höhle eine gewaltsame Profanierung. In
einem Brief des Hieronymus steht:
Ein heiliger Hain des Tammuz, auch Adonis genannt, umschattete unser Bethlehem, den erhabensten Ort in der
ganzen Welt, von dem der Psalmist schreibt: „Die Wahrheit spross aus der Erde hervor (Ps 84,12). In der Höhle,
in der einst Christus als Kindlein wimmerte, wurde der Liebhaber der Venus beweint.
2
(HIERONUMS, Epistula 58,3, in: BKV 16,175).

Mit Kaiser Konstantin wurde aber im 4. Jh. mit diesen heidnischen Kulten in
Bethlehem Schluss gemacht und eine Basilika über die Geburtsgrotte gebaut.

Im 5. und 6. Jh. wird in Bethlehem die Geburt Jesu Christi folgendermaßen gefeiert:
Am 5. Jänner versammelt man sich gegen 16 Uhr auf den Hirtenfeldern östlich von
Bethlehem und feiert einen Wortgottesdienst, der mit dem Evangelium von den
Hirten beginnt (Lk 2,8-20). Bei der Vigil in der Geburtskirche werden elf
Prophetenlesungen vorgetragen. Darauf folgt eine Epistellesung und das
Weihnachtsevangelium (Mt 2,1-12). Nach der Eucharistiefeier in der Geburtskirche
zieht man unter Gesang von Ps 118 mit dem Kehrvers „Gesegnet sei, der kommt im
Namen des Herrn“ nach Jerusalem (vgl. RÖWEKAMP, Einleitung zu Egeria.
Itinerarium, FC 20, Freiburg 22000, 85).

Egeria schreibt über das Weihnachtsfest am 6. Jänner und über die anschließende Weihnachtsoktav:
Es ist überflüssig zu beschreiben, wie an diesem Tag der Schmuck der Anastasis, am Kreuz und auch der Kirche
in Bethlehem ist. Dort ist nichts als Gold, Edelsteine und Seide zu sehen. Schaut man auf die Vorhänge, sind
sie mit Goldstreifen und Seide verziert, sieht man sich die Decken an, sind sie genauso mit Seide und
Goldstreifen geschmückt. An diesem Tag werden mit Gold und Edelsteinen verzierte Geräte jeder Art benutzt.
Die Anzahl oder das Gewicht der Leuchter, Lampen und Lämpchen oder der verschiedenen Geräte – wie könnte
man das schätzen oder beschreiben? …
In Bethlehem aber herrscht die ganzen acht Tage hindurch täglich dieser Glanz, und von den Priestern,
vom gesamten Klerus des Ortes und von den Mönchen, die zu jenem Ort gehören, wird das gleiche Freudenfest
gefeiert. Von jener Stunde an, wo in der Nacht alle mit dem Bischof nach Jerusalem zurückkehren,
wachen alle Mönche dieses Ortes bis zum Morgengrauen in der Kirche in Bethlehem und rezitieren
Hymnen und Antiphonen, weil der Bischof an diesen Tagen immer in Jerusalem bleiben muss. Zu diesem
Hochfest aber und zu diesem Freudentag kommen unzählige Scharen von überall her nach Jerusalem, nicht nur
Mönche, sondern auch Laien, Männer und Frauen.
(EGERIA, Itinerarium 25,8.12, in: FC 20,239.243).

Auch heute pilgern noch viele Menschen jährlich nach Bethlehem zur Geburtsgrotte,
und zur Christmette in Bethlehem. Der Lateinische Patriarch von Jerusalem kommt
jährlich, um der Vigilfeier, der Hl. Messe und der Prozession zur Geburtsgrotte
vorzustehen.

2.3.4.2. Die Entstehung des Weihnachtsfestes am 6. Jänner


– eine Wurzel dieses Festes ist wschl. das Geburtsfest des heidnischen Gottes Aion;
in der Nacht vom 5./6. Januar wurde in Alexandrien dessen Geburt gefeiert.
– Eine christlich-gnostische Gemeinschaft, die Basilidianer, feierten im 2./3. Jh. am 6.
Jänner die Taufe Jesu. Nach gnostischer Ansicht ist die Taufe Jesu jener Moment, in
dem Jesus als Christus inthronisiert wird, sozusagen als Christus geboren wird.
– Im 3. Jh. wird der 6. Januar in Ägypten zum Fest der Erscheinung, Geburt Jesu.
Das Wort „epiphania“ drückt das mächtige Erscheinen eines Herrschers oder einer
Gottheit aus (zB. bei einer Thronbesteigung).
– Im 4. Jh. wird in Alexandrien, Jerusalem, Antiochien und Konstantinopel am 6.
Januar die Geburt Christi gefeiert. Nachdem sich gegen Ende des 4. Jh.s allmählich
durchsetzt, am 25. Dezember die Geburt Christi zu feiern, wird der 6. Januar zum
Fest der Taufe Jesu (vor allem im Osten) bzw. zum Fest der Anbetung der Magier
(vor allem im Osten) (AUF DER MAUR, Herrenfeste 158). In der röm.-kath. Kirche

60
wird das Fest der Taufe Jesu seit der Reform des liturgischen Kalenders 1969/70 am
Sonntag nach Epiphanie gefeiert.

2.3.4.3. Die Entstehung des Weihnachtsfestes am 25. Dezember


Das genaue Datum der Geburt Jesu Christi ist zwar unbekannt. Im Laufe des 4.
Jahrhunderts setzt sich die Verbreitung des Weihnachtsfestes am 25. Dezember
durch.
– In einem Kalender aus der Zeit um 335 in Rom, im sogenannten „Chronograph“
heißt es: „VIII kal. jan. natus est Christus in Bethlehem Judaeae“. Diese Stelle ist der
älteste Hinweis auf Weihnachten am 25. Dezember. Derselbe „Chronograph“ enthält
auch einen staatlich-bürgerlichen Kalender, in dem der 25. Dezember als „Natalis
(Solis) Invicti“ bezeichnet wird. Hier wird deutlich, dass Weihnachten als das Fest zu
Ehren des wahren unbesiegbaren Sonnengottes (dieses heidnische Fest war 274
von Kaiser Aurelian eingeführt worden), nämlich Christi das heidnische Fest ersetzt
(religionsgeschichtliche Hypothese zu Weihnachten).
– Im Traktat „In diem natalem Domini Nostri Jesu Christi“ versucht der hl. Johannes
Chrysostomus zu erklären, warum das Weihnachtsfest für den 25. Dezember
kürzlich auch in Antiochien eingeführt worden ist. Es gibt in diesem Werk aus der Zeit
um 386 eine Theorie (Berechnungshypothese zu Weihnachten) zum Weihnachtsfest,
die davon ausgeht, dass Zacharias Ende September, also zur Zeit der großen
jüdischen Wallfahrtsfeste (Laubhüttenfest, Neujahr, Versöhnungstag) im Tempel
Dienst hatte (allerdings gibt es in der Hl. Schrift keinen Hinweis, dass Zacharias
tatsächlich Hoherpriester war):

Einmal im Jahr ging der Hohepriester und zwar er allein, in das Allerheiligste. Wann geschah das? Im Monat
September. Zu dieser Zeit also ging Zacharias in das Allerheiligste, und da wurde ihm auch die frohe Botschaft
betrefflich des Johannes gebracht. Nachdem er nun von dort zurückgekehrt war, begann die Zeit der
Schwangerschaft Elisabeths. Im sechsten Monat ihrer Schwangerschaft, also im sechsten Monat nach dem
September, das heißt im März, hat dann Maria empfangen. Zählen wir nun vom April an bis zum neunten Monat
nachher, so kommen wir auf den gegenwärtigen Monat, in dem unser Herr Jesus Christus geboren ist.
(JOHANNES CHRYSOSTOMUS, In diem natalem 6, in: SCHMITZ, M. (Hg., Übers.), Johannes Chrysostomus,
Bibliothek der Kirchenväter 3, Kempten 1879, 47)

– Verbreitung des Weihnachtsfestes am 25. 12.: Zuerst ist es in Rom bezeugt (1.
Hälfe des 4. Jh.s), bald auch in Afrika und Norditalien. Ab Ende des 4. Jh.s wird es
auch im Osten langsam eingeführt.
– Die 10 Weihnachtspredigten von Papst Leo I. und andere frühchristliche Schriften
sind reich an theologischen Gedanken.

+ das liturgische Heute: Lasst uns froh sein. Heute ist unser Retter geboren. Traurigkeit hat keinen
Raum am Geburtstag des Lebens. (LEO I., Predigt 21, in: Texte der Kirchenväter 2, München 1963, 166)
In der Liturgie wird Christus vergegenwärtigt, und mit Ihm Sein ewiges HEUTE. Alles,
was Christus an Heil gestiftet und gewirkt hat, ist von der Ewigkeit her betrachtet
nicht vergangen, sondern ewige Gegenwart. Bei der Liturgie werden durch die
Gegenwart Christi die vergangenen Heilstaten vergegenwärtigt. Die Geburt Christi
geschah wohl historisch gesehen vor 2000 Jahren, aber in der Liturgie (im
besonderen bei der Eucharistie) wird dieses Heilsereignis durch die Gegenwart
Christi gegenwärtig, sodass wir zu Weihnachten sagen können: „Heute ist Christus
geboren“. In den Magnificat-Antiphonen oder in Predigten über ein Heilsfest wird das
liturgische „Heute“ besonders hervorgehoben.

+ ein Fest der Freude: Niemand wird von der Teilnahme an dieser Jubelfeier ausgeschlossen, alle haben
den gleichen Grund, in festlicher Stimmung zu sein. Denn da unser Herr, der die Sünde und den Tod
vernichtet hat, niemand findet, der ohne Schuld ist, so kommt er, um alle zu befreien. Es jauchze der Heilige,

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weil er sich der Siegespalme naht; es frohlocke der Sünder, weil ihm Verzeihung winkt, und neuer Mut belebe
den Heiden, weil ihn das Leben ruft! (LEO I., Predigt 21, in: Texte der Kirchenväter 2, München 1963, 166)

+ Betrachtung der Jungfrauengeburt: Eine königliche Jungfrau aus dem Stamme Davids wird dazu
auserwählt, die heilige Frucht in sich aufzunehmen und Gottes und der Menschen Sohn zunächst im Geiste und
dann in ihrem Schoße zu empfangen. (LEO I., Predigt 21, in: Texte der Kirchenväter 2, München 1963, 167)

+ Betrachtung der Demut Gottes: Groß ist das Wunder, das auf unserer Erde geschah: dass der Herr
des Alls auf sie herabstieg, Gott Mensch ward, der Alte ein Kind ward. Der Herr machte sich den Knechten gleich,
… Das allerhöchste Wesen erniedrigte sich und ward in unserer Natur geboren; und was seiner Natur fremd
war, nahm es auf sich um unser aller willen. (EPHRÄM, Hymnus auf die Geburt Christi 1, in: Texte der
Kirchenväter 2, München 1963, 170).

+ Weihnachten als Geburtstag der Kirche: Indem wir die Menschwerdung unseres Erlösers
anbeten, feiern wir offenbar den Beginn unseres eigenen Lebens. Ist doch das Erscheinen Christi der
Ursprung des christlichen Volkes und der Geburtstag des Hauptes, zugleich auch der Geburtstag des
Leibes. (LEO I., Predigt 26,2, in: Texte der Kirchenväter 2, München 1963, 176)

+ Weihnachten als Fest der Ankunft Gottes: Das ist unser Fest, das feiern wir heute: das
Kommen Gottes zu den Menschen, damit wir zu Gott kommen oder, besser gesagt, zu ihm zurückkehren.
(GREGOR VON NAZIANZ, Über die Geburt Christi 4, in: Texte der Kirchenväter 2, München 1963, 177)

+ Johannes Chrysostomus sagt: Weihnachten ist das „ehrwürdigste und


ergreifendste aller Feste“. Es ist ein „erschütterndes und wunderbares Schauspiel“,
am Weihnachtstag mit den Augen des Glaubens Christus auf dem Altar gleichsam in
der Krippe liegen zu sehen. (vgl. De beato Philog. Hom. 6,3, in: PG 48,752f).

– Zu Weihnachten gibt es drei Messformulare, die auf die Zeit bis Papst Gregor d.
Gr. (6. Jh.) zurückgehen. In der Papstliturgie waren zu Weihnachten hll. Messen
vorgesehen: um Mitternacht (in nocte; „Christmette“) in S. Maria Maggiore, bei
Tagesanbruch (in aurora; „Hirtenamt“) in S. Anastasia und am Tag (in die;
„Hochamt“) in S. Pietro.
Die Priester können bis heute zu Weihnachten drei Hl. Messen zelebrieren.
– Zu Weihnachten hat sich ein „wunderbarer Tausch“ (commercia gloriosa)
vollzogen:
Präfation von Weihnachten III, siehe auch: Gabengebet von Weihnachten in der
Nacht, Gabengebet vom 5. Tag der Weihnachtsoktav

2.3.4.4. Advent
– Eine dem hl. Hilarius († 367) zugeschriebene Schrift überliefert ein ältestes
Zeugnis für eine „weihnachtliche Fastenzeit“ (AUF DER MAUR, Feiern 180).
– Im Jahre 380 verlangt das Konzil von Zaragoza von den Gläubigen, zwischen 17.
Dezember und Epiphanie eifrig die Kirche zu besuchen. (AUF DER MAUR, Feiern
180).
– Vom 5. bis 8. Jh. gab es in Gallien eine „Quadragesima S. Martini“, die vom 11.
November bis zum Fest Epiphanie dauerte: genau 40 Tage, wenn die Samstage und
Sonntage als fastenfreie Tage abgezogen werden. Diese Fastenzeit des hl. Martin
entspricht der Fastenzeit vor Ostern.
– In Rom gibt es ab ca. 6. Jahrhundert eine liturgisch gestaltete Adventszeit (mit 6
bzw. 4 Adventsonntagen). Im Sacramentarium Gregorianum (nach Papst Gregor d.
Gr. Benannt) gibt es 4 Adventsonntage. Der altrömische Advent nimmt Bezug auf die
Ankunft des Herrn im Fleisch und auf die endzeitliche Rückkehr des Herrn.
– Im Commentarius in annum liturgicum instauratum, S. 61, des Calendarium
Romanum von 1969 heißt es:

62
Während Oster- und Fastenzeit, Weihnachten und Epiphanie allen Riten gemeinsam sind, ist der Advent
eine Eigenheit des Westens. Er wurde dazu eingeführt, damit die Gläubigen auf die Feier von
Weihnachten vorbereitet werden; aber binnen kurzem erhielt er auch einen eschatologischen Sinn: denn
er erinnert an eine doppelte Ankunft des Herrn, nämlich an die Ankunft bei den Menschen und an die
Ankunft zum Ende der Zeiten.
Mit der liturgischen Erneuerung bleibt der Zeitraum des Advents bestehen, nämlich vier Wochen; aber er
wird nicht mehr wie eine Bußzeit gehalten, vielmehr als eine Zeit der frohen Erwartung. Wenn aber an den
Sonntagen dieser Zeit kein „Gloria“ gebetet wird, sei das nicht aus demselben Grund wie zur Fastenzeit,
sondern damit der Hymnus der Engel in der Weihnachtsnacht gleichsam als etwas Neues ertönt.
Zur Ordnung dieser Zeit: Obwohl die liturgischen Texte des Advents Einheit aufweisen, die sich vor
allem aus der fast täglichen Lesung des Propheten Jesaja zeigt, kann der Advent dennoch gut in zwei Teile
geteilt werden, von denen jeder sein besonderes Moment hat, das nun am besten von den beiden neuen
Präfationen ausgedrückt wird.
Vom ersten Adventsonntag bis zum 16. Dezember drückt die Liturgie den eschatologischen
Aspekt des Advents aus, indem sie die Herzen auffordert, die zweite Ankunft Christi zu erwarten.
Vom 17. bis 24. Dezember gibt es sowohl in der Messe als auch im Officium für jeden Tag eigene
Formulare, damit die Herzen direkter auf das Feiern von der Geburt des Herrn vorbereitet werden.
Der vierte Adventsonntag aber erscheint aus den Lesungen der Messe gleichsam als Sonntag der Väter
des AT und der Seligen Jungfrau Maria, in Erwartung auf die Geburt des Herrn.

– Zwei Abschnitte des Advents:


+ der erste Abschnitt des Advents beschäftigt sich vor allem mit dem messianischen
Reich und mit den Hinweisen auf den Messias durch die Propheten bis zu Johannes
dem Täufer.
+ der zweite Abschnitt des Advents behandelt die historische Vorbereitung der
Geburt Jesu in den Evangelien und die Würdenamen des Messias im AT
– Einige schöne Bräuche zum Advent:
+ Adventkranz: seine Herkunft ist nicht geklärt; es handelt sich um eine Parallele
zum Christbaum; der Adventkranz ist wohl in den Kreisen der evangelischen
Jugendbewegung zwischen den zwei Weltkriegen entstanden. Die einzelnen Kerzen
sind Vorboten für das wahre Licht, das zu Weihnachten kommt. Der Kranz
versinnbildlich den Jahreskreis des Kirchenjahres, den „Jahreskranz der Güte
Gottes“ (J. TYCIAK). Die Farbe Grün bedeutet Hoffnung. Der Adventkranz kann
gesegnet werden, am besten zu Beginn der hl. Messe des 1. Adventsonntags.
+ „Rorate“: Jes 45,8! Das Bild vom Tau, gleich dem der Messias und das
messianische Reich kommen sollen; Der Ursprung der Rorate-Messe liegt wohl im
15. Jh. in den Alpenländern. Anfänglich war die Rorate-Messe eine Votivmesse zu
Ehren der Gottesmutter Maria und wurde vorwiegend an den Samstagen
derAdventszeit gefeiert. Man nannte sie auch „Engelamt“ (weil das Evangelium aus
Lk 1,26-38 gelesen wurde). Bei den Rorate-Messen ist das besondere, dass sie bei
Kerzenlicht gefeiert werden; man kann an den Werktagen der Adventszeit einmal
oder mehrmals eine solche Rorate-Messe feiern. Wichtig ist dabei, dass sie eine
gewisse Feierlichkeit aufweist, bei Kerzenlicht stattfindet und dass man als
Eröffnungsgesang das „Rorate, caeli“ singt. Das „Messbuch“ enthält ein eigenes
Formular für Rorate-Messen, und zwar als Marien-Votivmesse im Advent (MB 890-
892).
+ Die O-Antiphonen. Höhepunkt der Adventswochen sind die Tage vom 17. bis 24.
Dezember. Sie sind unmittelbar auf die Vorbereitung von Weihnachten hingeordnet.
In einer Art „Weihnachtsnovene“ führen die Texte der Messfeier und des
Stundengebets gleichsam „stufenförmig“ zur Feier des Weihnachtsgeheimnisses hin.
Was diese Tage besonders auszeichnet, sind die sieben Magnificat-Antiphonen, die
in der erneuerten Liturgie auch in den Halleluja-Versen anklingen. Sie beginnen alle

63
mit „O“ und verbinden die Messiasanrufung mit der Bitte um sein Kommen und
lehnen sich an alttestamentliche Schriftstellen an (vor allem an Jes). Sie sind schon
für das 7./8. Jh. bezeugt und gelten als literarische Kunstwerke. Sie stammen aus
einer Zeit politischer Bedrängnis (732 waren muslimische Eroberer in Poitiers, also
unweit von Paris; Papst Leo III. wurde 799 in Rom überfallen und geprügelt. Er
konnte zu Karl d. Gr. ins Frankenreich fliehen; 846 wurde ein Teil Roms von den
Sarazenen besetzt und geplündert). Die 0-Antiphonen sind voll von intensiver
Parusie-Erwartung.
Sie sind nach einer Art „chronologischen“ Reihenfolge geordnet:
17. Dezember: Weisheit (sapientia), die alles durchwaltet: Sir 24,1-11; es wird der
Anfang der Schöpfung angedeutet; der Messias war als Weisheit beim
Schöpfungswerk dabei
18. Dezember: Herr (adonai), Führer des Hauses Israel: Ex 6,2f.6-8 (Adonai
mündlich; eigentlich: JHWH); (Buch Exodus); hier wird die Befreiung Israels aus der
ägyptischen Sklaverei angedeutet
19. Dezember: Spross aus Isais Wurzel (Radix Jesse): Jes 11,1 (Buch Jesaja); zur
Zeit König Sauls wurde ein neuer König für Israel gesucht; Samuel erhielt die
Botschaft, dass der neue König Israels ein Sohn des Isai sei, nämlich David
20. Dezember: Schlüssel Davids (Clavis David): Jes 22,22 (Eljakim ist der Sohn vom
Hohenpriester Hilkija; vgl. 2 Kön 23,4); hier wird daran erinnert, wie das Haus David
in Juda dem Ende entgegengeht; Hilkija ist Hoherpriester in einer Zeit, in der Juda
ständig bedroht und bald darauf auch von Nebukadnezzar eingenommen wird (586
v.Chr). Die Schlüssel Davids gibt der Herr vom Königshaus dem Hohenpriester.
21. Dezember: Morgenstern (Oriens): Sach 3,8-9Vulgata; der Morgenstern ist ein
Symbol der nahen, freudigen Erwartung; der Morgenstern bringt Licht und Freude: Lk
1,78.
22. Dezember: König der Völker (rex gentium): Ps 2,6-8; Christus kommt als König
der Völker (vgl. Lk 1,46-56; bes. 48)
23. Dezember: Immanuel: Jes 7,14; jetzt ist es gewiss: Gott ist mit uns.

2.3.5. Die Einteilung des Kirchenjahres


Das Kirchenjahr wird seit 1970 in folgende Zeiten eingeteilt:
a) Weihnachtsfestkreis
– Advent: von der Ersten Vesper des 1. Adventsonntags bis zum 24. Dezember
– Weihnachtszeit: von der Ersten Vesper von Weihnachten (25. Dezember) bis zum
Fest „Taufe des Herrn“
b) Osterfestkreis
– Österliche Bußzeit: von Aschermittwoch bis zu Beginn der Hl. Messe vom Letzten
Abendmahl am Gründonnerstag
– Sacrum Triduum Paschale: von der Hl. Messe vom Letzten Abendmahl am
Gründonnerstag bis zum ersten Sonntag der Osterzeit
– Osterzeit: von der Feier der Osternacht bis Pfingsten
(Achtung: Überschneidung mit dem Sacrum Triduum Paschale von der Feier der
Osternacht bis zum ersten Sonntag der Osterzeit)
c) Die Zeit „Im Jahreskreis“
– Vom Fest „Taufe des Herrn“ bis zum Dienstag vor dem Aschermittwoch
(Achtung: Überschneidung mit dem Weihnachtsfestkreis am Fest „Taufe des Herrn“)
– Vom Montag nach Pfingsten bis zum Samstag vor dem ersten Adventsonntag

Das Kirchenjahr war bis 1969 nicht in Festkreise eingeteilt, sondern gliederte sich in mehrere aneinander gereihte
Zeitabschnitte:

64
Advent, Weihnachten, Epiphanie (mit bis zu sechs Sonntagen „post Epiphaniam“), Vorfastenzeit (Septuagesima,
Sexagesima, Quinquagesima), Fastenzeit (Quadragesima; bis zum Karsamstag), Osterzeit (ab der Feier der
Ostervigil bis zum Mittwoch vor Christi Himmelfahrt), Christi Himmelfahrt (mit Oktav), Pfingsten (mit 24 Sonntagen
„post Pentecosten“).

2.4. Die Verzweigung der Riten


Ιn den ersten Jahrhunderten der Kirche wurde die Liturgie noch nicht von einem
zentralen Ort geordnet und festgelegt. Der Zelebrant musste die Gebete oft selbst
formulieren oder auf Gebetssammlungen von einem Vorgänger oder einer
Nachbarkirche zurückgreifen. Es gab mehrere besonders bedeutende Bischofssitze,
von denen aus die Liturgie für eine Region allmählich immer mehr fixiert wurde und
von denen aus ein großer liturgischer Einfluss auf weiter entfernt liegende Gebiete
ausging.
Freilich gab es viele Übereinstimmungen zwischen den Liturgien der verschiedenen
Regionen (vor allem in den wesentlichen Elementen), aber auch einige
Unterschiede. Diese Unterschiede bewirkten, dass ab dem 4. Jh. verschiedene Riten
in den unterschiedlichen Regionen erkennbar sind.

2.4.1. Die verschiedenen Riten im Abendland (VO·ICKY, Sakraltheologie 4, 96-101)

2.4.1.1. Die römische Liturgie


Literatur:
- CHUPUNGCO, A. J., History of the Roman Liturgy Until the Fifteenth Century, in: CHUPUNGCO, A. J. (Hg.),
Introduction to the Liturgy, Handbook for Liturgical Studies 1, Collegeville 1997, 131-152.
- HEINZ, A., Liturgien, in: LfTK 6, Freiburg 1997, 981f.
- JUNGMANN, J. A., Missarum Sollemnia. Eine genetische Erklärung der römischen Messe 1-2, Freiburg 51962.
- LECHNER, J., Liturgik des römischen Ritus, Freiburg 1953.

+ Historische Daten zum römischen Ritus


Als bedeutendster Ritus sollte sich im Laufe der Kirchengeschichte schließlich der
römische Ritus durchsetzen. Aufgrund der Apostelgräber und aufgrund der Autorität
des Papstes war Rom von Anfang an ein Liturgiezentrum, auch wenn es in den
ersten Jahrhunderten keineswegs das einzige Liturgiezentrum war und in den Zeiten
der Völkerwanderung (4. – 6. Jh.) durch große politische Schwierigkeiten zeitweise
ganz darnieder lag.
Die ältesten liturgischen Texte, die für den römischen Ritus so typisch wurden
(Römischer Messkanon, Tagesgebete) sind zwischen dem 4. und 6. Jh. entstanden,
manche wohl auch früher. Vor allem unter Papst Leo dem Großen (440-461) und
Papst Gregor dem Großen (590-604) wurden liturgische Texte in Büchern
gesammelt und dadurch für die Verbreitung vorbereitet. Es entstehen im frühen
Mittelalter die Sakramentarien (eine Art Messbücher, die aber auch Gebete für
andere Sakramente enthalten; für die Hl. Messe enthalten sie Tages-, Gaben-,
Schlussgebete und Präfationen), die Lektionarien (sie enthalten die Lesungen), die
Ordines (sie enthalten die Rubriken zu den verschiedenen liturgischen Handlungen).
Im Laufe der Jahrhunderte verdrängte der römische Ritus alle anderen
abendländischen Riten, nicht aber den mailändischen Ritus; auch einige
monastische Riten konnten neben dem römischen Ritus bestehen. Vor allem die
Bewunderung für den römischen Ritus bewirkte, dass die anderen Riten meistens
verschwanden.
Im Hochmittelalter, unter Papst Gregor VII. (1073-1085), war dann die liturgische
Vereinheitlichung für den ganzen Westen erreicht. Durch das Konzil von Trient wurde

65
der römische Ritus weiterhin an Bedeutung gestärkt. Durch die Missionare kam der
römische Ritus in die überseeischen Gebiete.

+ Die Liturgiesprachen des römischen Ritus


Während in Rom die ersten beiden Jahrhunderte das Griechische als Liturgiesprache
galt, setzte sich ab dem 3. Jh. Latein immer mehr als Sprache in der Liturgie durch.
Die einzige Liturgiesprache des römischen Ritus war viele Jahrhunderte das Latein.
Im 9. Jh. wurde den Missionaren Cyrill und Method durch Papst Johannes VIII. (872-882) auch gewährt, für den
römischen Ritus auch die altslawische Sprache (= Glagolismus) zu verwenden. So gab es in Mähren und später
auch in Kroatien liturgische Feiern im römischen Ritus in altslawischer Sprache (vgl. KLUGE, E., Slawen.
Kirchensprache, in: LfTK 9, Freiburg 2000, 664f).
Seit dem 2. Vatikanischen Konzil werden die liturgischen Texte des römischen Ritus
unter der Autorität und Kontrolle des Hl. Stuhls in vielen Sprachen übersetzt.

+ Die Hl. Messe im römischen Ritus

um 700 Missale 1570 Missale 1970

Schweigende Prostratio Kniebeuge, Kreuzzeichen Kniebeuge,


vor dem Altar, und Stufengebet Altarkuss, Kreuzzeichen und
Altarkuss und (mit Schuldbekenntnis), Liturgische Begrüßung der
Liturgische Begrüßung der Liturgische Begrüßung der Gemeinde
Gemeinde Gemeinde und Altarkuss
Kyrie Kyrie Bußakt (mit Kyrie und evtl.
mit Schuldbekenntnis)
(Gloria) (Gloria) (Gloria)

Tagesgebet Tagesgebet Tagesgebet


1. Lesung Lesung 1. Lesung
Antwortgesang Antwortgesang Antwortgesang
(2. Lesung) (2. Lesung)
Halleluja Halleluja Halleluja
Evangelium Evangelium Evangelium
(Homilie) (Homilie) (Homilie)
(Credo) (Credo)
Fürbitten

Offertorium Offertorium Offertorium


Gabengebet Gabengebet Gabengebet
Eucharistisches Hochgebet Eucharistisches Hochgebet Eucharistisches Hochgebet
Vaterunser Vaterunser Vaterunser
Embolismus Embolismus Embolismus
Friedenskuss Friedenskuss Friedenskuss
Agnus Dei Agnus Dei Agnus Dei
Kommunion Kommunion Kommunion
Schlussgebet Schlussgebet Schlussgebet

(Segensgebet), (Segensgebet) (Segensgebet)


Segen, Ite missa est, Ite missa est bzw. Segen, Ite missa est,
Altarkuss Benedicamus domino, Altarkuss
Altarkuss, Segen,
Schlussevangelium: Joh 1,1-14

In SC 4 hebt das 2. Vatikanische Konzil die Bedeutung anderer Riten hervor:

Treu der Überlieferung erklärt das Heilige Konzil schließlich, dass die heilige Mutter
Kirche allen rechtlich anerkannten Riten gleiches Recht und gleiche Ehre zuerkennt.
Es ist ihr Wille, dass diese Riten in Zukunft erhalten und in jeder Weise
gefördert werden, und es ist ihr Wunsch, dass sie, soweit es not tut, in ihrem
66
ganzen Umfang gemäß dem Geist gesunder Überlieferung überprüft und im Hinblick
auf die Verhältnisse und Notwendigkeiten der Gegenwart mit neuer Kraft
ausgestattet werden.

(2.4.1.2. Die afrikanische Liturgie)


Literatur:
- CASATI, G., La liturgia della messa al tempo di S. Agostino, in: Augustinianum 9 (1969) 484-514.
- GAMBER, K., Ordo Missae Africanae. Der nordafrikanische Messritus zur Zeit des hl. Augustinus, in: Römische
Quartalschrift 64 (1969) 153-193.
- OPFERMANN, B., Die alte afrikanische Liturgie, in: Bibel und Liturgie 21 (1953-1954) 348-350.

+ Historische Daten zur afrikanischen Liturgie


Hier ist jene Liturgie gemeint, die in Nordafrika zur Zeit des hl. Augustinus (4./5. Jh.)
gefeiert wurde. Bezeugt wird diese Liturgie vor allem durch die Schriften des hl.
Augustinus, aber auch durch andere nordafrikanische Kirchenschriftsteller
(Fulgentius von Ruspe, Victor von Vita). Sie ist durch die Invasion der arianischen
Vandalen im 5. Jh. und dann durch die Islamisierung um 700 völlig verschwunden.
+ Liturgiesprache der afrikanischen Liturgie: Latein
+ Merkmale der afrikanischen Liturgie:
Ein typisches Element der afrikanischen Liturgie war es, dass nach dem Evangelium
das Halleluja gesungen wurde und eine Lesung aus den Märtyrerakten eines
Märtyrers gelesen wurde (laut der 3. Synode von Karthago, c. 23, aus dem Jahre
397).

2.4.1.3. Die ambrosianische Liturgie


Literatur:
- CATTANEO, E., La Chiesa di Ambrogio. Studi di storia e di liturgia, Milano 1984.
- HEINZ, A., Liturgien, in: LfTK 6, Freiburg 1997, 983.
- MEYER, H. B., Eucharistie, Gottesdienst der Kirche. Handbuch der Liturgiewissenschaft 4, Regensburg 1989,
161-164.
- PINELL, J., History of the Liturgies in the Non-Roman West, in: CHUPUNGCO, A. J. (Hg.), Introduction to the
Liturgy, Handbook for Liturgical Studies 1, Collegeville 1997, 182-184.
- SCHMITZ, J., Gottesdienst im altchristlichen Mailand, Köln – Bonn 1975.
- TRIACCA, A. M., La liturgia ambrosiana, in: La Liturgia. Panorama storico generale, Anàmnesis 2, Genova
1978, 88-110.
- TRIACCA, A. M., Ambrosiana, Liturgia, in: SARTORE, D. – TRIACCA, A. M. (Hg.), Nuovo Dizionario di Liturgia,
5
Cinisello Balsamo 1993, 15-48.

+ Historische Daten zur ambrosianischen Liturgie


Es gibt die Legende, dass der hl. Apostel Barnabas die Kirche von Mailand
gegründet habe. Mailand ist zweifellos ein sehr alter Bischofssitz. Vor dem hl.
Ambrosius († 397) gab es mindestens schon 10 Bischöfe von Mailand. Mailand
erlebte in der Zeit der Antike liturgische Entwicklungen, die zwar den römischen
ähnlich, aber dann oft auch ganz eigen waren. Mailand, das zeitweise im 4. Jh.
Hauptstadt des römischen Imperiums war, erlebte Einflüsse auch aus dem Osten,
aus Nordafrika, aus Spanien und aus den nördlichen Keltengebieten. Aufgrund der
Bedeutung des hl. Ambrosius nannte man schließlich die mailandische Eigenliturgie
„ambrosianische Liturgie“.
Trotz der verschiedenen Vereinheitlichungsbestrebungen im Bereich der Liturgie
(karolingische Reform: 9. Jh.; tridentinische Reform: 16./17. Jh.) konnte die
ambrosianische Liturgie bis heute erhalten werden. Dazu mag wohl auch das
Ansehen des hl. Bischofs Ambrosius und des hl. Bischofs Karl Kardinal Borromäus
(† 1584) mit beigetragen haben. Kardinal Karl Borromäus selbst förderte die
Erneuerung des ambrosianischen Ritus in seiner Diözese. Auch unter dem sel.

67
Erzbischof Ildefons Kardinal Schuster († 1954) und unter Erzbischof Giovanni
Battista Kardinal Montini (1963 Papst Paul VI., † 1978) wurde die ambrosianische
Liturgie gefördert. Nach dem 2. Vatikanischen Konzil wurde von der Erzdiözese
Mailand eine Reform der liturgischen Bücher des ambrosianischen Ritus
unternommen, nach dem Motto „rinnovare pur conservando“.
1976 wurde das neue Missale Ambrosianum veröffentlicht (auf italienisch), erst 1981
auf lateinisch. Es entstanden allmählich auch Bücher für andere liturgische Feiern im
ambrosianischen Ritus (Stundenbuch, Begräbnis), aber noch immer nicht für alle
liturgischen Feiern.
+ Liturgiesprache der ambrosianischen Liturgie: Latein; seit der Liturgiereform
nach dem 2. Vatikanischen Konzil auch Italienisch
+ Merkmale der ambrosianischen Liturgie:
° der Advent beginnt am Sonntag, der dem 12. November folgt (6 Adventsonntage!)
° die Fastenzeit beginnt nicht mit dem Aschermittwoch, sondern mit dem 1.
Fastensonntag. Am Montag nach dem 1. Fastensonntag wird das Aschenkreuz
ausgeteilt.
° An den Freitagen der Fastenzeit wird keine Eucharistiefeier gefeiert.
° für die Hl. Messe gibt es eigene euchologische Texte (Tagesgebet, Gebet am Ende
des Wortgottesdienstes, Gabengebet, Präfation, Schlussgebet). Es gibt fast für jeden
Tag eine eigene Präfation.
° an großen Heiligenfesten wird als erste Lesung über das Leben des Heiligen
vorgelesen (wie im ambrosianischen Lektionar angegeben).
° es gibt zwei eigene eucharistische Hochgebete für den ambrosianischen Ritus;
aber auch die vier römischen Hochgebeten können verwendet werden.
° der Friedenskuss kann schon vor dem Offertorium gegeben werden.
° das Credo wird nach dem Offertorium gebetet.

(2.4.1.4. Die Liturgie von Aquileja)


Literatur:
- HEINZ, A., Liturgien, in: LfTK 6, Freiburg 1997, 983.
- TRIACCA, A. M., Ambrosiana, Liturgia, in: SARTORE, D. – TRIACCA, A. M. (Hg.), Nuovo Dizionario di Liturgia,
5
Cinisello Balsamo 1993, 16f.

Ähnlich wie in Mailand entstand in der Antike auch in Aquileja, aber auch in anderen
bedeutenden Ortskirchen Italiens (wie Ravenna, Benevent, etc.) eine Eigenliturgie.
Aquileja ist nach der Legende nach vom hl. Evangelisten Markus gegründet worden.
Im 4. Jh. erlebte der Bischofssitz durch bedeutende Vertreter wie Chromatius († 408)
und Rufinus († 411) eine große Blüte. Seit dem 5. Jh. war Aquileja Metropolitansitz
für ganz Venetien und Istrien. Seit dem 6. Jh. ist der Patriarchentitel für Aquileja
bezeugt. Aus einem Schisma bei der Wahl des Patriarchen von Auqileja kam es im
7. Jh. zu zwei Patriarchaten, das von Aquileja und das von Grado (bzw. später von
Venedig). Während das Patriarchat von Venedig in der Neuzeit an Bedeutung
gewann, verfiel das Patriarchat Aquileja immer mehr der Bedeutungslosigkeit, bis es
schließlich 1751 aufgehoben wurde.
Die Liturgie von Aquileja ist seit dem 7. Jh. bezeugt und wurde 1596 aufgegeben.

(2.4.1.5. Die altgalli[kani]sche Liturgie)


Literatur:
- GAMBER, K., Die Messfeier nach altgallikanischem Ritus, Regensburg 1984.
- HEINZ, A., Liturgien, in: LfTK 6, Freiburg 1997, 984.
- MEYER, H. B., Eucharistie, Gottesdienst der Kirche. Handbuch der Liturgiewissenschaft 4, Regensburg 1989,
154-157.

68
- PINELL, J., La liturgia gallicana, in: La Liturgia. Panorama storico generale, Anàmnesis 2, Genova 1978, 62-70.
- PINELL, J., History of the Liturgies in the Non-Roman West, in: CHUPUNGCO, A. J. (Hg.), Introduction to the
Liturgy, Handbook for Liturgical Studies 1, Collegeville 1997, 184-186.
- PORTER, W. S., The Gallican Rite, London 1958.

+ Historische Daten zur altgallischen Liturgie


Unter der altgallischen Liturgie versteht man jene Liturgie, die etwa im 6. Jh. in
Südgallien greifbar wird und bis zur Zeit Karl des Großen (Ende des 8. Jh.) in ganz
Gallien Verbreitung findet. So wie die ambrosianische Liturgie kennt sie eigene
Entwicklungen unter Einflüssen aus dem Osten, aus Nordafrika, aus Spanien und
aus den nördlichen Keltengebieten. Der berühmteste Bischof, der den altgallischen
Ritus verwendete und bezeugte, ist der hl. Caesarius von Arles († 542). Es sind
manche alte Messbücher, Lektionare und Sakramentare zur altgallischen Liturgie
erhalten (Missale Gothicum, Bobbio Missale). Im Zuge der karolingischen
Einigungsbestrebungen Ende des 8. Jh.s wird sie schließlich ausgelöscht.
+ Liturgiesprache der altgallischen Liturgie: Latein
+ Merkmale der altgallischen Liturgie:
° In der Eucharistiefeier werden zu Beginn das Trishagion und das Benedictus
(Canticum des Zacharias) gebetet.
° Vor dem Evangelium wird der Lobgesang der drei Jünglinge im Feuerofen aus dem
Buch Daniel gebetet.
° Nach der Homilie folgen die Fürbitten.
° Der Friedenskuss ist zwischen der Gabenbereitung und der Präfation.

2.4.1.6. Die altspanische Liturgie


Literatur:
- ALDAZÁBAL, J., El „nuevo“ Ordo Missae de la liturgia hispánica, in: Phase 26 (1986) 83-91.
- HEINZ, A., Liturgien, in: LfTK 6, Freiburg 1997, 982f.
- MEYER, H. B., Eucharistie, Gottesdienst der Kirche. Handbuch der Liturgiewissenschaft 4, Regensburg 1989,
157-159.
- PINELL, J., La liturgia ispanica, in: La Liturgia. Panorama storico generale, Anàmnesis 2, Genova 1978, 70-88.
- PINELL, J., History of the Liturgies in the Non-Roman West, in: CHUPUNGCO, A. J. (Hg.), Introduction to the
Liturgy, Handbook for Liturgical Studies 1, Collegeville 1997, 187-193.

+ Historische Daten zur altspanischen Liturgie


Die altspanische Liturgie trägt drei Namen. Sie heißt auch westgotische und
mozarabische Liturgie. Alle drei Namen bezeichnen eine Geschichtsepoche, in der
diese Liturgie sich entwickelte. Der Beginn der altspanischen Liturgie fällt in die Zeit
der Antike, als die iberische Halbinsel unter dem Namen „hispania“ Teil des
römischen Imperiums war.
Ab dem 6. Jh. sind die Westgoten (589 beim 3. Konzil von Toledo gab der König der
Westgoten, Rekkared, seine Konversion zum katholischen Glauben bekannt)
Beherrscher der iberischen Halbinsel. Die Hauptstadt des westgotischen Reiches
war Toledo. Der hl. Isidor von Sevilla († 636) bezeugt manche Details des
altspanischen Ritus zur Zeit der Westgoten.
Durch die Invasion der islamischen Mauren 711 wurde aber einnerhalb kürzester Zeit
fast die ganze iberische Halbinsel unter islamische Herrschaft gebracht. Die Christen
wurden – abgesehen von einigen Benachteiligungen und von manchen
Verfolgungswellen – geduldet und konnten ihre Gottesdienste weiterhin feiern. Die
Mauren nannten die Christen im arabischen Teil Spaniens „Mozaraber“. Das Wort
„Mozaraber“ kommt wschl. vom arabischen Wort „mohaides“, das soviel wie
Tributzahler heißt. Daher erhielt die altspanische Liturgie den Namen „mozarabische
Liturgie“. Die christlich gebliebenen Teile Spaniens (Asturien im Norden), von denen
aus im Laufe von einigen Jahrhunderten das Land für die Christen zurückerobert
69
wurde (Reconquista), verwendeten die altspanische, schätzten aber immer mehr
auch die römische Liturgie. Als auf Druck Papst Gregors VII. eine Synode in Burgos
1080 den altspanischen Ritus zwecks der Vereinheitlichung der Liturgie verbot, blieb
nur mehr in manchen islamischen Teilen Spaniens der altspanische Ritus
gebräuchlich. Nach der Rückeroberung Toledos 1185 durch die Christen gewährte
König Alfons VI. von Kastillien einigen Pfarren von Toledo, trotz der Synode von
Burgos das Privileg, den altspanischen Ritus weiter zu verwenden. Ein besonderer
Förderer des altspanischen Ritus war im 16. Jh. Erzbischof Jiménez Kardinal
Cisneros von Toledo († 1517). Er besorgte eine Edition eines Missale und eines
Breviers im altspanischen Ritus. Außerdem stiftete er in Toledo ein
Priesterkollegium, das in einer Kapelle der Kathedrale von Toledo bis heute täglich
die altspanische Liturgie (Hl. Messe und Offizium) feiert. Nach dem 2. Vatikanischen
Konzil erfolgte 1991 die Neuausgabe des revidierten Missale. Außerhalb von Toledo
kann der erneuerte Ritus bei außerordentlichen Anlässen auch andernorts in
Spanien verwendet werden und seine Verwendung ad personam gewährt werden.
+ Liturgiesprache der altspanischen Liturgie: Latein.
+ Merkmale der altspanischen Liturgie:
° In der Eucharistiefeier werden an Festen zu Beginn das Gloria und das Trishagion
gebetet.
° Nach der Gabenbereitung folgen die Fürbitten.
° Der Friedenskuss ist zwischen den Fürbitten und der Präfation und wird mit einem
eigenen variablen Friedensgebet eingeleitet.
° Das Credo wird nach dem Eucharistischen Hochgebet gebetet.

(2.4.1.7. Die keltische Liturgie)


Literatur:
- HEINZ, A., Liturgien, in: LfTK 6, Freiburg 1997, 984.
- MEYER, H. B., Eucharistie, Gottesdienst der Kirche. Handbuch der Liturgiewissenschaft 4, Regensburg 1989,
160f.
- PINELL, J., La liturgia celtica, in: La Liturgia. Panorama storico generale, Anàmnesis 2, Genova 1978, 67-70.

+ Historische Daten zur keltischen Liturgie


Unter der keltischen Liturgie versteht man die Liturgie vom 4. bis 12. Jh. in den
Keltengebieten Englands, Schottlands, Irlands und der Bretagne. Diese Liturgie war
den altgallischen Riten nahe verwandt und von der altspanischen Liturgie beeinflusst.
In England wurde sie schon im 7. Jh. durch das Wirken der mit Rom besonders
verbundenen Benediktiner von der römischen Liturgie verdrängt. Ein wertvoller
Textzeuge der keltischen Liturgie ist das Stowe-Missale aus dem 8. Jh. In Irland hielt
sich die keltische Liturgie bis in das 12. Jahrhundert, verschwand aber auch dann
dort.

2.4.2. Die Riten der Liturgiefamilie von Antiochien


Literatur:
- GELSI, D., Orientali, Liturgie, in: SARTORE, D. – TRIACCA, A. M. (Hg.), Nuovo Dizionario di Liturgia, Cinisello
5
Balsamo 1993, 916-939.
- NYSSEN, W. – SCHULZ, H.-J. – WIERTZ, P. (Hg.), Handbuch der Ostkirchenkunde 1-2, Düsseldorf 1984.1989.
- WINKLER, D. W. – AUGUSTIN, K., Die Ostkirchen. Ein Leitfaden, Graz 1997.

Antiochien war im 4. Jh. ein bedeutsames liturgisches Zentrum, das vor allem die
Liturgie in Syrien und Kleinasien beeinflusste. Als sich im 5. Jh. verschiedene
christliche Gruppen aus theologischen und politischen Gründen von der einen

70
katholisch-orthodoxen Kirche abspalteten, kam es zu Konfessionen mit sehr
eigenständigen liturgischen Entwicklungen. Grundlage dieser neuen Liturgien war die
Antiochenische Liturgie, die in den verschiedenen Konfessionen unterschiedliche
Entwicklungen erfuhr.

2.4.2.1. Der byzantinische Ritus


Auch wenn sich die byzantinischen Liturgie nicht in Antiochien, sondern in Byzanz (=
Konstantinopel, Istanbul) entfaltete, hat sie ihre Wurzeln doch vor allem in
Antiochien. Mehrere Patriarchen von Konstantinopel stammten aus Antiochien. Der
berühmteste unter ihnen ist der hl. Johannes Chrysostomus († 407). Aber auch aus
einfachen geographischen Gründen lag Byzanz lange Zeit im Einflussbereich des
Liturgiezentrums Antiochien. Der byzantinische Ritus entwickelte sich im Laufe der
Kirchengeschichte zum meist verwendeten Ritus, vom römischen Ritus abgesehen.

a) Liturgische Merkmale des byzantinischen Ritus


- Der Eingang zur Kirche liegt an der Westseite. Den östlichen Teil bildet der
Altarraum oder das Heiligtum, der vom Raum, wo sich die Gläubigen aufhalten,
durch die Bilderwand (Ikonostase) getrennt ist. Diese ist eine Scheidewand mit drei
Türen, an dem Bilder angebracht sind. Die mittlere, größte Pforte nennt man die
Königliche oder Heilige Pforte. Der Raum zwischen dieser Türe und dem Altar darf
nur von Geistlichen (vom Diakon aufwärts) betreten werden. Südlich (rechts) von der
Königlichen Pforte befindet sich gewöhnlich ein Bild des Heilands, nördlich (links) ein
Bild der Gottesmutter. Hinter der Königlichen Pforte befindet sich ein Vorhang,
ähnlich wie auch im Tempel zu Jerusalem das Allerheiligste durch einen Vorhang
von dem übrigen Tempelraum abgesondert war, um das unerforschliche Geheimnis
Gottes, der in unnahbarem Licht wohnt, anzudeuten. Im Laufe des Gottesdienstes
versinnbildlicht der Altarraum das himmlische Reich.
In der Mitte des Altarraumes steht der Thron (= Hochaltar). Auf dem Thron liegt
während der Liturgie ein besonderes Tuch mit einem Bild von der Bestattung Christi
und mit Reliquien, außerdem ein Kreuz und das Evangelienbuch. Auf dem Thron
befindet sich auch der Schrein zum Aufbewahren der heiligen Gaben für Kranke.
- Die Eucharistiefeier wird „Göttliche Liturgie“ genannt.
- Sie besteht aus drei Teilen:
i: Proskomidie (Zubereitung der Opfergaben; Ankleiden der Liturgen,
Bereitung von Brot und Wein, Gebeten und Beweihräucherung der ganzen
Kirche): Die Proskomidie findet bei geschlossener königlicher Türe und
zugezogenem Vorhang statt – in Erinnerung an die ersten Lebensjahre Christi.
ii: Liturgie der Katechumenen (Gebete, kleiner Einzug mit Evangelium,
Trishagion, Lesungen, Gebete): die Liturgie der Katechumenen bereitet durch
Gebete und Lesungen die Gläubigen auf die eigentliche Opferhandlung vor.
Im Altertum durften die Katechumenen nur diesem Teil der hl. Messe
beiwohnen. Vor Beginn der Liturgie der Gläubigen wurden sie entlassen. –
Dieser Teil erinnert an die Predigt Christi.
iii: Liturgie der Gläubigen (Gebete, großer Einzug mit Gabenprozession und
unter dem Gesang des Cherubimhymnus, Credo, Anaphora, Vaterunser,
Kommunion, Dankgebete, Predigt, Segen, Austeilung des Antidoron): die
Liturgie der Gläubigen enthält die Darbringung der Opfergaben und ihre
Verwandlung in Leib und Blut Christi. Dieser Teil erinnert
α) an das Schreiten Christi zu Leiden und Tod (großer Einzug)
β) an die Kreuzigung und den Tod des Herrn (Anaphora)

71
γ) an seine Auferstehung (Kommunion)
- Das Trishagion: Heiliger Gott, Heiliger Starker, Heiliger Unsterblicher, erbarme dich unser!
- Am häufigsten wird die Anaphora des hl. Johannes Chrysostomus bei der Feier der
Göttlichen Liturgie verwendet.
- Das byzantinische Kirchenjahr beginnt am 1. September, weil auch im
byzantinischen Reich das zivile Jahr am 1. September begann. Dadurch ist das erste
große Fest des Kirchenjahres ein Marienfest (8. September: Mariä Geburt) und das
letzte große Fest des Kirchenjahres ein Marienfest (15. August: Mariä Aufnahme in
den Himmel).
- Im byzantinischen Kirchenjahr gibt es keinen Advent. An den beiden Sonntagen vor
Weihnachten wird aber speziell der Vorfahren Jesu Christi gedacht. Von 15. bis 24.
Dezember gibt es ein Weihnachtsfasten.
- Während der österlichen Fastenzeit wird die Göttliche Liturgie nur am Samstag und
am Sonntag gefeiert. Am Mittwoch und am Freitag in der Fastenzeit wird in einer
eigenen Liturgie die Kommunion empfangen. Dennoch sind die einzelnen Tage der
Fastenzeit keine a-liturgischen Tage, sondern durch die Stundenliturgie geheiligt.
- Vor dem 5. Fastensonntag ist der „Samstag des Hymnus Akathistos“. An diesem
Samstag wird in der Liturgie die Gottesmutter mit dem Hymnus Akathistos gefeiert.
- Der 5. Fastensonntag heißt „Sonntag der hl. Maria von Ägypten“. Maria von
Ägypten soll im 6. Jh. als Büßerin in der Wüste am Jordan gelebt haben. Der letzte
Patriarch von Jerusalem Sophronius († 637), der Jerusalem den Muslimen
übergeben musste, soll der Autor dieses berühmten Werkes sein:
„Das Leben der Maria von Ägypten, die eine Dirne war und in der Wüste am Jorden zu einer entsagenden
Lebensweise fand“ (vgl. SARTORY, G., Maria von Ägypten. Allmacht der Busse, Herderbücherei Band 977,
Freiburg im Breisgau 1982).
- Am Karfreitag wird besonders das Bekenntnis des guten Schächers am Kreuz
hervorgehoben. Es gilt in den liturgischen Texten gleichsam als Bekenntnis der
ganzen Kirche, der ganzen erlösten Kirche. Der gute Schächer am Kreuz wird in den
liturgischen Texten der byzantinischen Liturgie „Weggefährte des Herrn“ genannt.
- Ostern wird groß gefeiert. Das österliche Geheimnis ist zentrales Geheimnis in der
byzantinischen Liturgie.

b) Die orthodoxen Kirchen des byzantinischen Ritus


Nachdem der Patriarchensitz von Konstantinopel beim Konzil von Konstantinopel
(381) und dem Konzil von Chalzedon (451) über die anderen Kirchen des Ostens
gehoben wurde, wuchs seine Bedeutung weiterhin; aber auch, weil er in der
Hauptstadt des byzantinischen ( = oströmischen) Reiches lag. Ab dem 6. Jh. heißt
der Patriarch von Konstantinopel „Ökumenischer Patriarch“ (Ökumenisch =
allumfassend, weltumspannend). Kaiser Justinian († 565) erbaute die Hagia Sophia,
die über Jahrhunderte religiöses Zentrum der byzantinischen Kirche war. Die
byzantinische Kirche war im byzantinischen Reich Staatsreligion und hatte weitere
bedeutende Bischofssitze in Alexandrien, Antiochien und Jerusalem.
Als allerdings der Osten im 7. Jh. vom Islam eingenommen wurde, wurde das
Leben für die orthodoxen Christen des byzantinischen Ritus in Syrien, Palästina und
Ägypten schwer. Viele Christen konvertierten zum Islam. Zeitweise gab es keinen
orthodoxen Patriarchen des byzantinischen Ritus in den bedeutenden Städten des
Ostens. Orthodoxe Christen des byzantinischen Ritus konnten zeitweise nur im
Untergrund überleben, weil sie von den muslimischen Herrschern häufig für
Kollaborateure des byzantinischen Reiches gehalten wurden. Die orthodoxen
Christen des byzantinischen Ritus in den islamischen Ländern erhielten den Namen
„Melkiten“, weil sie sich zur Staatsreligion des byzantinischen Kaisers (arab. / hebr.:
malik, melek = König, Kaiser) bekannten.

72
Die orthodoxe Kirche des byzantinischen Ritus stand bis in das
Hochmittelalter in Gemeinschaft mit Rom, allerdings verschlechterte sich ihre
Beziehung durch politisches und kulturelles Auseinanderleben:
Im Jahr 800 krönte Papst Leo III. den fränkischen König Karl d. Gr. zum
römischen Kaiser. Das wurde im bzyantinischen Reich sehr schlecht aufgenommen.
1014 wurde auf Drängen Kaiser Heinrichs II. in Rom das „filioque“ offiziell
durch Papst Benedikt VIII. in das Nizäno-Konstantinopolitanische
Glaubensbekenntnis eingefügt. Das lehnten die byzantinischen Theologen vehement
ab.
Als Mitte des 11. Jh.s die cluniazensische Reformbewegung aufblühte und
auch die byzantinischen Kirchengemeinden Süditaliens in die Reform einbezogen
wurden, ließ der Patriarch von Konstantinopel, Michael Kerullarios, ein
selbstbewusster Mann von heftigem Charakter, die lateinischen Kirchen in
Konstantinopel schließen. Als päpstlicher Legat wurde Kardinal Humbert da Silva
Candida, ebenso ein selbstbewusster Mann mit heftigem Charakter, gesandt. Im
Jahr 1054 kam es dann zum Schisma, als der Patriarch und der päpstliche Legat
einander exkommunizierten. Diese gegenseitige Exkommunikation war zwar nur
gegen einzelne Personen, nicht gegen die Kirchen gerichtet, hatte aber große
symbolische Bedeutung.
Ein endgültiges Auseinanderbrechen zwischen Rom und Konstantinopel
brachte der 4. Kreuzzug, als 1204 die röm.-kath. Kreuzritter die Kaiserstadt
Konstantinopel vorübergehend eroberten, plünderten und die „vom Glauben
abgefallenen“ Christen des Ostens mit Gewalt wieder an Rom binden wollten. Dieses
Ereignis ist bis heute ein sehr schwieriges Problem auf dem Weg zur Versöhnung mit
Rom.
Von Konstantinopel erfolgte die Missionierung mancher slawischer Völker,
auch die Missionierung Russlands. Es heißt, dass Fürst Vladimir von Kiew (956-
1015) Delegationen aussandte, die jeweils vor Ort die Gottesdienste der
verschiedenen Religionen studieren sollten. Zurückgekehrt berichteten die
Gesandten von den jüdischen, islamischen und lateinischen Gottesdiensten.
Besonders fasziniert erzählten sie aber von ihren Erlebnissen in Konstantinopel:
Und so kamen wir zu den Griechen, und sie führten uns dahin, wo sie ihrem
Gott dienen, und wir wissen nicht, waren wir im Himmel oder auf der Erde; denn auf
Erden gibt es einen solchen Anblick nicht oder eine solche Schönheit; und wir
vermögen es nicht zu beschreiben. Nur das wissen wir, dass dort Gott bei den
Menschen weilt. Und ihr Gottesdienst ist besser als der aller … Länder. Wir aber
können jene Schönheit nicht vergessen; denn jeder Mensch, wenn er von Süßem
gekostet hat, nimmt danach Bitteres nicht an (Nestorchronik des 12. Jh.; vgl.
WINKLER, D. W. – AUGUSTIN, K., Die Ostkirchen. Ein Leitfaden, Graz 1997, 37).
1453 eroberten die Türken die Stadt Konstantinopel. Der Patriarch und die
Christen konnten dort bleiben, wenn sie auch steuerlich und politisch benachteiligt
waren. Der ökumenische Patriarch von Konstantinopel hat bis heute den
Ehrenvorrang unter allen orthodoxen Kirchen des byzantinischen Ritus inne. Ihm
direkt unterstellt sind die Christen der Türkei, einige Diözesen in Griechenland, der
Berg Athos, einige Diözesen in den USA, Australien, Südkorea, Argentinien und
Westeuropa.
Ein wichtiger Schritt zur Versöhung zwischen Rom und der Orthodoxie des
byzantinischen Ritus geschah am 7. Dezember 1965, als Papst Paul VI. und
Patriarch Athenagoras I. jene Exkommunikation aus dem Jahr 1054 „dem Vergessen
anheimgaben“.

73
Im Laufe der Kirchengeschichte entstanden folgende unabhängige
(autokephale) Kirchen des byzantinischen Ritus, die es mit Unterbrechungen bis
heute gibt. Hier ist jeweils die traditionelle Kirchensprache der jeweiligen
autokephalen Kirche angegeben, wenn auch im Zuge der letzten Jahrzehnte mitunter
weitere Landessprachen in die Liturgie eingeführt wurden:
Patriarchat von Konstantinopel (seit 381): Griechisch (3,5 Mio. Gläubige)
Patriarchat von Alexandrien (seit 325): Griechisch und Arabisch (350.000 Gl.)
Patriarchat von Antiochien (seit 325): Griechisch und Arabisch (750.000 Gl.)
Patriarchat von Jerusalem (seit 451): Griechisch und Arabisch (260.000 Gl.)
Patriarchat von Moskau (seit 1589): Altslawisch (ca. 80 Mio. Gl.)
Patriarchat von Serbien (seit 1346): Altslawisch (8 Mio. Gl.)
Patriarchat von Rumänien (seit 1855): (Alt-)Rumänisch (19,8 Mio. Gl.)
Patriarchat von Bulgarien (seit 927): Altslawisch (8 Mio. Gl.)
Patriarchat von Georgien (seit 1917): (Alt-)Georgisch (3 Mio. Gl.)
Kirche von Zypern (seit 431): Griechisch (442.000 Gl.)
Kirche von Griechenland (seit 1850): Griechisch (9 Mio. Gl.)
Kirche von Polen (seit 1924): Altslawisch (1 Mio. Gl.)
Kirche von Albanien (seit 1937): Griechisch (160.000 Gl.)
Kirche von Finnland (seit 1921): Altslawisch (60.000 Gl.)
Kirche von Tschechien und der Slowakei (seit 1951): Altslawisch (55.000 Gl.)
Kirche von Estland (seit 1923): Altslawisch (50.000 Gl.)
In den verschiedenen autokephalen Kirchen des byzantinischen Ritus gibt es oft
große liturgische Unterschiede. Manche Kirchen feiern die Feste auch nach dem
gregorianischen Kalender, die Mehrzahl aber nach dem julianischen Kalender.

b) Die katholischen Kirchen des byzantinischen Ritus


Im Laufe der Kirchengeschichte gab es immer wieder Bestrebungen von Rom aus,
die orthodoxen Christen für die Gemeinschaft (Union) mit Rom zu gewinnen. Manche
Gruppen von orthodoxen Christen nahmen die Gemeinschaft mit Rom an. Daraus
entstand dann eine (mit Rom) unierte Kirche, die den Papst als obersten Hirten der
Kirche auf Erden anerkennt. Heute gibt es folgende unierten Kirchen des
byzantinischen Ritus:
Melkitische Griechisch-Katholische Kirche (seit 1729)
(Oberhaupt: Patriarch von Antiochien und dem Ganzen Orient, von
Alexandrien und Jerusalem; Sitz: Damaskus; 1,1 Mio. Gläubige)
Ukrainisch-Katholische Kirche (seit 1596)
(Oberhaupt: Großerzbischof von Lviv/Lemberg und Metropolit von Kiew,
Halyc und der Ganzen Rus; Sitz: Lviv/Lemberg; 5,8 Mio. Gläubige)
Ruthenisch-Katholische Kirche (seit 1646)
(Oberhaupt: Bischof von Mukacevo in der Ukraine; 520.000 Gläubige)
Slawisch-Katholische Kirche (seit 1611)
(Oberhaupt: Bischof von Krizevci; Sitz: Zagreb; 49.000 Gläubige)
Rumänisch-Katholische Kirche (seit 1700)
(Oberhaupt: Metropolit von Fagaras und Alba Julia; Sitz: Blaj; 1,5 Mio.
Gläubige)
Bulgarisch-Katholische Kirche (seit 1861)
(Oberhaupt: Apostolischer Exarch der Katholiken des bulgarischen
Ritus in Bulgarien; Sitz: Sofia; 20.000 Gläubige)
Griechisch-Katholische Kirche (seit 1911)
(Oberhaupt: Exarch der griechisch-katholischen Christen; Sitz: Athen;
2.300 Gläubige)

74
Slowakisch-Katholische Kirche (seit 1937)
(Oberhaupt: Bischof von Presov; 245.000 Gläubige)
Ungarisch-Katholische Kirche (seit 1923)
(Oberhaupt: Bischof von Hajdúdorog und apostolischer Administrator
von Miskolc; Sitz: Nyiregyháza; 280.000 Gläubige)

2.4.2.2. Der maronitische Ritus

c) Die Syrisch-Maronitische Kirche


Definition: Die Maroniten sind die katholischen Christen der syrisch-libanesischen
Tradition.
Geschichte: 451 wurde in Syrien ein Kloster gegründet, das nach dem hl. Mönch
Maron (Ende 4. Jh. / Anfang 5. Jh.) benannt wurde. Dieses Kloster Maron galt lange
Zeit als Hort der Rechtgläubigkeit. Die Mönche des Klosters Maron wandten sich
allerdings gegen das 3. Konzil von Konstantinopel (680/681; also gegen die Lehre,
dass Christen einen menschlichen und einen göttlichen Willen hat) und gründeten
eine eigene Kirche mit eigenem „Patriarchen von Antiochien“. In der Folgezeit
wanderten viele Maroniten von Syrien in den Libanon aus. In der Kreuzfahrerzeit
verbanden sich die Maroniten mit den röm.-kath. Kreuzfahrern und wurden 1182 zu
einer mit Rom unierten Kirche. Zeitweise wurden die Maroniten von den Moslems
verfolgt, konnten aber auch lange Blütezeiten erleben. Ein Massaker, dem 1860
tausende Maroniten zum Opfer fielen, führte zum Eingreifen Frankreichs. Nach dem
1. Weltkrieg kamen Syrien und der Libanon unter französische Kontrolle. 1944
entließ Frankreich den Libanon in die Unabhängigkeit, hinterließ aber eine
Verfassung, die vorschreibt, dass der Präsident immer ein Maronit sein muss.
Verbreitung: Weltweit gibt es 3,3 Mio. Maroniten. Ein Drittel der Bevölkerung des
Libanon (ca. 1 Mio) sind Maroniten.
Liturgiesprache: Arabisch
Sitz des Patriarchen: Bkerke bei Beirut (Libanon)

d) Liturgische Merkmale des maronitischen Ritus


Aufgrund der engen Kontakte zwischen Maroniten und Lateinern in der Neuzeit
haben die Maroniten sich sehr dem römischen Ritus angepasst. Bei der Feier der
Eucharistie und der Sakramente gibt es im Vergleich zum römischen Ritus mehr
Beräucherungszeremonien, Kreuzzeichen und – gegebenenfalls – mehr Salbungen.
Der maronitische Ritus enthält aber auch viele syrische Elemente. Die Anaphora
„Sharar“ (benannt nach dem Anfangswort dieser Anaphora) ist der ostsyrischen
Anaphora der hll. Apostel Addai und Mari sehr ähnlich. Es gibt heute eine große
Bestrebung, die syrischen Quellen der maronitischen Kirche wiederzuentdecken.
1992 wurde in diesem Sinn ein neues Messbuch des maronitischen Ritus
veröffentlicht.

2.4.2.3. Der ostsyrische Ritus


Die Christen in Mesopotamien und Persien führen ihre Missionierung auf den hl.
Apostel Thomas (einen der 12) und auf die hll. Apostel Addai und Mari (zwei von den
72) zurück. Sie werden Ostsyrer genannt, weil sie im östlichen Teil des einstmals
ausgedehnten assyrischen Reiches (mit den Hauptstädten Assur und Ninive) lebten.

75
e) Liturgische Merkmale des ostsyrischen Ritus
- Die vorweihnachtliche Zeit heißt „Subbara“ („Verkündigung“). An ihren vier
Sonntagen werden jene Stellen aus den Evangelien (Lk 1; Mt 1) gelesen, die die
Vorbereitung der Geburt Jesu beschreiben.
- Es gibt im Laufe des Kirchenjahres 4 Fastenzeiten (im Frühjahr und Sommer), die
jeweils 7 Wochen dauern.
- Von Gründonnerstag bis Karfreitag gibt es die ganze Nacht eine Vigil. Die
liturgischen Texte dieser Vigil heben Christus als den Guten Hirten hervor, der sein
Leben für die Seinen gibt.
- Am frühen Morgen des Ostersonntags gibt es besondere österliche Riten. Einer
davon ist der „Dialog zwischen dem Kerub und dem guten Schächer“. Dieser Ritus in
Form eines liturgischen Drammas stellt das Gespräch dar, das der gute Schächer mit
dem Wächter am Eingang des Paradieses führt. Der Kerub möchte den guten
Schächer wegen dessen vieler Sünden nicht in das Paradies hineinlassen. Der gute
Schächer kann auf nichts anderes als auf Christi Wort und Christi Heilsmysterium
hinweisen. Der gute Schächer wird schließlich in das Paradies hineingelassen.
- Die ostsyrische Eucharistiefeier besteht aus zwei Teilen: Liturgie der
Katechumenen (Eröffnung, Trishagion, Wortgottesdienst, Verabschiedung der
Katechumenen, Gabenbereitung); Liturgie der Gläubigen (Credo, Anaphora,
Vaterunser, Kommunion).
- Die gebräuchlichste Anaphora des ostsyrischen Ritus ist die Anaphora von Addai
und Mari (bei den unierten Ostsyrern ist der Einsetzungsbericht eingefügt).

f) Die Assyrisch-Orthodoxe Kirche


Geschichte: Die Christen, die in Persien (Ostsyrien) lebten, lösten sich bereits 424
aus politischen Gründen von der katholisch-orthodoxen Kirche, um nicht als
Kollaborateure der Byzantiner zu gelten, und hatten dann ihre eigene persische
(ostsyrische) Kirche. Das Perserreich, das die Religion des Zarathustra als
Staatsreligion hatte, stand dem christlichen byzantinischen Reich nämlich mehrere
Jahrhunderte feindlich gegenüber. Den persischen (ostsyrischen) Christen, die sich
von Byzanz bewusst lossagten, standen sie dagegen etwas freundlicher gegenüber.
Als 431 beim Konzil von Ephesus (431) die Lehre des aus Antiochien
stammenden und in Konstantinopel als Bischof wirkenden Nestorius verurteilt wurde,
flohen viele Anhänger des Nestorius in das Perserreich. Nestorius hatte den Titel
„Gottesmutter“ für Maria abgelehnt, weil er meinte, dass die göttliche und die
menschliche Natur in Christus nicht zu eng miteinander verbunden gesehen werden
dürften. Die Anhänger des Nestorius wurden im Perserreich freundlich aufgenommen
und konnten ihre Lehre in der persischen (ostsyrischen) Kirche schnell verbreiten,
sodass die persische (ostsyrische) Kirche eine nestorianische Kirche wurde.
Als die Araber im 7. Jh. dem Perserreich ein Ende bereiteten und den Islam in
Syrien, Mesopotamien und Persien verbreiteten, war die ostsyrische Kirche meistens
geachtet. Freilich mussten Zoroastrier, Juden und Christen zwischen einer höheren
Steuer oder dem Übertritt zum Islam wählen.
Die persischen (ostsyrischen) Christen erlebten im 13. Jh. eine große
Blütezeit. Ostsyrische Missionare kamen bis nach Tibet, Mongolei, China und
Malabar (südwestliche Küste Indiens) und gründeten ihre Kirchen. Viele Millionen
Gläubige gehörten damals zur ostsyrischen Kirche, die dem Katholikos von Bagdad
anvertraut waren.
Im 14. und 15. Jh. wurden allerdings die ostsyrischen Christen der Mongolei
und Chinas blutig verfolgt und stark dezimiert. 1552 vereinigte sich ein großer Teil

76
der ostsyrischen Christen mit Rom und gründeten die „chaldäisch-katholische Kirche“
(siehe c). Besonders verfolgt wurden die ostsyrischen Christen während des Ersten
Weltkriegs, als die Christen für Kollaborateure der Briten gehalten wurden. Ein
Katholikos wurde 1918 ermordert, sein Nachfolger starb 1920 in einem
Flüchtlingslager. Als die Briten 1933 den Irak verließen, kam es wieder zu Massakern
gegen die Christen. Viele verließen den Irak. Der assyrische Katholikos wurde
verbannt und hat seither seinen Amtssitz in den USA. Am 20. 7. 2001 hat der
Päpstliche Rat zur Förderung der Einheit der Christen die Eucharistie der assyrisch-
orthodoxen Kirche anerkannt und vereinbart, dass die chaldäisch-katholische Kirche
und die assyrisch-orthodoxe Kirche (im Fall der Unerreichbarkeit des Seelsorgers der
eigenen Konfession) einander zur Eucharistie zulassen. Wegen CIC 844 § 2 gilt,
dass auch die röm.-kath. Christen (bei Unerreichbarkeit einer kath. Eucharistiefeier)
bei einer assyrisch-orthodoxen Eucharistiefeier kommunizieren dürften. Auch der
Titel „Mutter Gottes“ wird inzwischen von der assyrisch-orthodoxen Kirche anerkannt
(Erklärung von Papst Johannes Paul II. und Katholikos-Patriarch Mar Dinkha IV. am 11. 11. 1994; vgl.
http://www.vatican.va/roman_curia/pontifical_councils/chrstuni/documents/rc_pc_chstuni_doc_11111994_assyria
n-church_en.html).
Liturgiesprache: Syrisch (dem Aramäischen, also der Sprache Jesu, sehr ähnlich;
von Ephräm dem Syrer stammen viele Hymnen in syrischer Sprache), Arabisch (für
Lesungen).
Sakramente: Die assyrisch-orthodoxe Kirche kennt 9 Sakramente: Taufe,
Eucharistie, Beichte, Krankensalbung, Auflegung der Hände (= Weihesakrament),
Ehe, Mönchsweihe, Altarweihe, Begräbnis.
Verbreitung: ca. 400.000; Iran, Irak, Indien, Syrien, Libanon, Nordamerika,
Australien.
Sitz des Katholikos: Morton Grove (Illinois, USA)

g) Die Chaldäisch-Katholische Kirche


Geschichte: Diese Kirche ist entstanden, als sich 1552 einige assyrisch-orthodoxe
Christen von ihrer eigenen Kirche abspalteten und mit Rom vereinigten. Yuhannan
Sulaqa, ein beliebter und reformfreudiger Priester der assyrisch-orthodoxen Kirche
wurde von Papst Julius III. zum ersten Patriarch der Chaldäer ordiniert. Yuhannan
Sulaqa selbst wurde zwar nach seiner Rückkehr in Mesopotamien hingerichtet, die
unierte Kirche bestand aber trotz aller Schwierigkeiten weiter. Im 1. Weltkrieg wurden
sie ebenso wie die assyrisch-orthodoxen Christen von den Türken und Kurden der
Kollobration mit den Briten verdächtigt. Etwa 70.000 chaldäisch-katholische Christen
fanden damals den Tod. Seit 1950 ist der Patriarchensitz in Bagdad.
Diese Kirche feiert ihre Liturgie im ostsyrischen Ritus. Sie feiert sie ganz katholisch,
das heißt, jeder gläubige Katholik darf an dieser Liturgie ohne Hindernisse
teilnehmen. Der Papst ist das Oberhaupt dieser Kirche. Ihm untergeordnet ist der
„Patriarch von Babylon und der Chaldäer“ mit Sitz in Bagdad. Die Ausdrücke
„Babylon“ und „Chaldäer“ weisen auf das mächtige chaldäische Reich mit der
Hauptstadt Babylon hin, das im 6. Jh. vChr. unter König Nebukadnezzar Judäa und
Jerusalem eingenommen hat und sein Kernland im heutigen Irak hatte.
Liturgiesprache: Syrisch, Arabisch.
Verbreitung: ca. 600.000; Irak, Iran, Naher Osten, Frankreich, USA.
Sitz des Patriarchen: Bagdad

h) Die Syro-Malabarisch-Katholische Kirche


Geschichte: Durch assyrisch-orthodoxe Missionare (siehe b) gab es seit dem
Mittelalter in Malabar (Südwest-Küste Indiens) viele assyrisch-orthodoxe Christen.

77
Als 1498 die Portugiesen an der Malabar-Küste landeten und versuchten, die
dortigen Christen in die röm.-kath. Kirche einzugliedern, kam es im 16. und 17. Jh. zu
einem schmerzhaften Prozess der Latinisierung (mit Hilfe der Inquisition). Manche
assyrisch-orthodoxen Christen schlossen sich dem syrisch-orthodoxen Patriarchat
von Antiochien an, die anderen wurden röm.-kath. Erst unter Papst Pius XI. († 1939)
wurde die ostsyrische Tradition der Katholiken von Malabar wieder von Rom stark
gefördert. Seit damals wird versucht, die ursprüngliche Form der ostsyrischen
Liturgie in Malabar wieder einzuführen. Seit 1962 ist diese Liturgie offiziell wieder
eingeführt. Während des 20. Jh.s wehrten sich viele Katholiken (auch Bischöfe) in
Malabar gegen die Verwendung des ostsyrischen Ritus. Im Februar 1986 führte
Papst Johannes Paul II. persönlich die wiederhergestellte ostsyrische Liturgie in
Kottayam ein.
Liturgiesprache: Syrisch und Malayalam
Verbreitung: ca. 3 Millionen; Indien.
Sitz des Großerzbischofs: Ernakulam (Indien)
Das Malabar-Gebet: es ist ein Gebet, das nach der Kommunion in der Liturgie der
syro-malabarisch-katholischen Kirche heute gebetet wird. Es geht bis auf die
Malabar-Christen des 5. Jh.s zurück:
Verleih uns, o Herr;
Dass die Ohren, die deinen Lobpreis gehört haben,
verschlossen sein mögen für die Stimme des Streites und des Unfriedens;
dass die Augen, die deine große Liebe gesehen haben,
auch deine selige Hoffnung schauen mögen;
dass die Zungen, die dein Lob gesungen haben,
hinfort die Wahrheit bezeugen mögen;
dass die Füße, die in deinen Vorhöfen gestanden haben,
hinfort wandeln mögen in den Wegen des Lichts;
und dass die Leiber, die an deinem lebendigen Leibe Anteil gehabt haben,
in einem neuen Leben wandeln mögen.
Dir sei Dank für deine unaussprechliche Gabe.
(vgl. SCHULZ, F., „Das Malabar-Gebet“, in: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 21 (1977) 88-98; nachgedr. in:
SCHULZ, F., Mit Singen und mit Beten. Forschungen zur christlichen Gebetsliteratur und zum Kirchengesang,
Hannover 1995, Lutherisches Verlagshaus, 53-67).

2.4.2.4. Der westsyrische Ritus


Diese Liturgie hat ihr Stammland im westlichen Teil des einstigen vorchristlichen
großsyrischen Reiches: es handelt sich um die Umgebung von Antiochien, das
heutige Syrien. In Antiochien nannte man die Jünger Jesu erstmals Christen. (Apg
11,26). Der erste Bischof soll der hl. Petrus gewesen sein (wegen Gal 2,11-14)

i) Kennzeichen des westsyrischen Ritus


- Die vorweihnachtliche Zeit heißt „Subbara“ („Verkündigung“). An ihren sechs (!)
Sonntagen werden jene Stellen aus den Evangelien (Lk 1; Mt 1) gelesen, die die
Vorbereitung der Geburt Jesu beschreiben.
- Es gibt im Laufe des Kirchenjahres 5 Fastenzeiten: Fasten vor Weihnachten (etwa
zwei Wochen); Fasten der Bewohner von Ninive (drei Tage absolutes Fasten; als
Vorbereitung auf die Fastenzeit); Quadragesima (40 Tage; als Vorbereitung auf
Ostern); Fasten der Apostel (etwa zwei Wochen; als Vorbereitung auf das Fest des
hl. Petrus); Fasten von Mariä Aufnahme (etwa zwei Wochen; als Vorbereitung auf
das Fest Mariä Aufnahme in den Himmel)
- Beim Fest Epiphanie des Herrn am 6. Jänner wird nicht das Kommen der Magier,
sondern die Taufe Jesu gefeiert.

78
- Die Osteroktav wird „Weiße Woche“ genannt, weil in früheren Zeiten in dieser
Woche die Neugetauften mit weißen Kleidern umhergehen durften. Am Freitag
innerhalb der Osterwoche wird das Fest „Allerheiligen“ gefeiert.
- Die westsyrische Eucharistiefeier besteht aus zwei Teilen: Liturgie der
Katechumenen (Eröffnung, Gabenbereitung, Trishagion, Wortgottesdienst,
Verabschiedung der Katechumenen); Liturgie der Gläubigen (feierlicher Einzug,
Credo, Anaphora, Vaterunse, Kommunion).
- In der westsyrischen Kirche gibt es etwa 70 verschiedene Anaphoren.

f) Die Syrisch-Orthodoxe Kirche


Geschichte: Als 451 beim Konzil von Chalzedon die monophysitische Lehrmeinung,
Christus sei nur von göttlicher Natur, verurteilt wurde, gab es in Syrien dennoch viele
Monophysiten. Mit Severus von Antiochien (512-518) war ein selbstbewusster
Chalzedon-Gegner Patriarch von Antiochien. Der byzantinische Kaiser setzte ihn
schließlich ab und bestimmte einen neuen, einen orthodoxen Patriarchen von
Antiochien. Severus von Antiochien floh in die Wüste und begann, seine
monophysitischen Christen von seinem Versteck aus zu leiten. Seit 518 gibt es also
zwei Patriarchen von Antiochien, einen orthodoxen und einen monophysitischen. Ein
sehr bedeutsamer monophysitischer Bischof war Jakob Baradäus. Er zog wandernd
umher und weihte im Untergrund viele monophysitische Priester und Bischöfe. Nach
ihm werden die Mitglieder der syrisch-orthodoxen Kirche auch Jakobiten genannt.
Erst als die islamischen Araber Syrien eroberten, konnte sich die syrisch-orthodoxe
Kirchen (als Feind des byzantinischen Kaisers) entfalten.
Blütezeit der syrisch-orthodoxen Kirche war im 13. Jh. Während der Jahrhunderte
wurden aber auch die syrisch-orthodoxen Christen zeitweise politisch verfolgt, am
meisten im 20. Jh.
An der Südwestküste Indiens gibt es auch syrisch-orthodoxe Christen, die sich dem
syrisch-orthodoxen Patriarchat von Antiochien im 16. Jh. angeschlossen hatten,
nachdem die Portugiesen die assyrisch-orthodoxen Christen (des ostsyrischen Ritus)
im Malabar mit Gewalt latinisieren wollten.
Liturgiesprache: Syrisch; Malayalam
Verbreitung: 200.000 in Syrien, Libanon und der Türkei; 1 Mio. in Indien
Sitz des Patriarchen: Damaskus (Syrien).

g) Die Syrisch-Katholische Kirche


Geschichte: Seit 1781 ein zum katholischen Glauben konvertierter, syrisch-
orthodoxer Erzbischof von Aleppo vom Papst zum Patriarchen der syrisch-
katholischen Kirche ernannt wurde, gibt es eine syrisch-katholische Kirche. Sie ist
also aus der syrisch-orthodoxen Kirche entstanden, indem sich einige syrisch-
orthodoxe Christen mit Rom uniert haben.
Liturgiesprache: Syrisch, Malayalam
Verbreitung: 1 Mio. in Syrien, Irak und Libanon
Sitz des Patriarchen: Beirut (Libanon).

h) Die Malankara-Orthodox-Syrische Kirche


Geschichte: Von der syrisch-orthodoxen Kirche hat sich 1912 ein Teil der Christen
an der Westküste Indiens abgespalten und eine eigene autokephale Kirche
gegründet. Diese Kirche nennt sich nach dem alten Namen für Malabar Malankara-
orthodox-syrische Kirche.
Liturgiesprache: Syrisch, Malayalam
Verbreitung: 1 Mio. in Indien

79
Sitz des Katholikos: Kottayam (Kerala, Indien).

i) Die Syro-Malankara- Katholische Kirche


Geschichte: Von der syrisch-orthodoxen Kirche hat sich 1930 ein Teil der Christen
an der Westküste Indiens abgespalten und eine mit Rom unierte Kirche gegründet.
Diese Kirche nennt sich Syro-Malankara-katholische Kirche.
Liturgiesprache: Syrisch, Malayalam
Verbreitung: 280.000 in Indien
Sitz des Metropoliten: Trivandrum (Kerala, Indien).

2.4.2.5. Der armenische Ritus


Bereits im 1. Jh. soll das Evangelium durch die Apostel Judas Thaddäus und
Bartholomäus in Armenien verkündet worden sein. Der armenische König Tiridates
III. macht im Jahre 301 das Christentum sogar zur Staatsreligion. Armenien ist
dadurch der erste christliche Staat der Welt. Der bedeutendste Missionar damals war
der hl. Gregor der Erleuchter. Der Mönch Mesrop schuf im Jahre 406 ein eigenes
Alphabet und legte damit einen wichtigen Baustein für eine eigene armenische
Literatur und Kultur.

j) Kennzeichen des armenischen Ritus


- Der armenische Ritus schöpft aus einem großen Reichtum von alten armenischen
Hymnen mit wunderbaren Melodien.
- Die Eucharistiefeier im armenischen Ritus ähnelt sehr jener des byzantinischen
Ritus: es gibt einen „Kleinen Einzug“ , ein Trishagion, einen „Großen Einzug“.
- Der armenische Ritus hat auch viele Elemente aus dem römischen Ritus (wohl zur
Kreuzfahrerzeit) übernommen: Schuldbekenntnis zu Beginn der Eucharistiefeier,
Glaubensbekenntnis nach dem Evangelium, Elevationsritus bei der Wandlung,
Johannesprolog am Schluss der Eucharistiefeier.
- Im armenischen Ritus werden am Sonntag, am Mittwoch und Freitag keine
Heiligenfeste gefeiert. Sonntag ist der Feier der Auferstehung gewidmet. Mittwoch
und Freitag sind Fasttage. Weil an diesen Tagen keine Heiligen gefeiert werden,
verschieben sich die Heiligenfeste mitunter sehr.
- Im armenischen Ritus werden viele armenische Nationalheilige gefeiert, aber auch
Heilige der ganzen Christenheit.
- Der armenische Ritus kennt neben den anderen allgemein verbreiteten
Marienfesten auch ein Marienfest am 9. Dezember: Empfängnis von der hl. Anna
(das entspricht dem katholischen Hochfest vom 8. Dezember).

k) Die Armenisch-Apostolische Kirche


Geschichte: Im Jahre 428 eroberten die Perser das armenische Reich. Damit
begann eine lang andauernde blutige Verfolgungszeit für die Christen. Beim Konzil
von Chalzedon 451 durften die armenischen Bischöfe aufgrund eines persischen
Verbotes nicht teilnehmen. Der Monophysitismus, den syrische Mönche in Armenien
verbreiteten, wurde von den Persern begünstigt und so wurde die armenische
Kirche eine monophysitische. Auf der Synode von Dvin 506 verwarf die armenische
Kirche nachträglich das Konzil von Chalzedon. Seither ist die armenische Kirche von
der einen katholisch-orthodoxen Kirche getrennt.
Auf die Perserherrschaft folgte im 7. Jh. die Herrschaft der Araber. Am Beginn
des 11. Jh.s fielen die Seldschuken in Armenien ein. Im 13. Jh. okkupierten die

80
Mongolen Armenien. Diese Machtwechsel waren immer wieder mit Kriegen und
Zerstörungen verbunden. Viele Armenier emigrierten.
Im Hochmittelalter gab es zur Kreuzfahrerzeit mit Unterstützung des Papstes
in Kilikien ein eigenes armenisches Reich, in dem die armenische Kultur aufblühte.
Damals war die armenische Kirche auch zeitweise mit Rom uniert. Im 14. Jh. wurde
das armenische Reich von den ägyptischen Mameluken zerstört und dem
islamischen Großstadt eingegliedert. Nach dem Verlust der politischen
Unabhängigkeit stellte die Kirche das einzige Bindeglied für das armenische Volk
dar.
Im Zuge der Befreiung der Balkanländer im 19. Jh. hofften auch die Armenier
auf Autonomie vom türkischen Reich. Die Folge war eine Reihe von blutiger
Pogrome: 1894-1896 ließ der türkische Sultan 300.000 Armenier ermorden.
Zwischen 1914 und 1922 töteten die Türken mehr als 1 Mio. Armenier.
Die Pogrome führten auch dazu, dass viele armenischen Christen emigrierten
und heute auf der ganzen Welt verstreut sind.
Liturgiesprache: Armenisch
Verbreitung: 6 Mio. in Armenien, Libanon, Syrien und in der ganzen Welt
Sitz des Katholikos: Etschmiatzin (Armenien).

l) Die Armenisch-Katholische Kirche


Seit der Kreuzfahrerzeit gab es Bemühungen von Rom, die armenischen Christen an
sich zu binden. Es gab zeitweise eine Union, die aber von vielen Armeniern nicht
akzeptiert und nach der Kreuzfahrerzeit wieder gelöst wurde.
Es gab immer wieder Versuche einer neuen Union, die aber nie standhielten.
Günstig für die Entstehung einer armenisch-katholischen Kirche wirkte sich das
Wirken des zum katholischen Glauben konvertierten Armenier Mechitar von Sebaste
(† 1749) aus, der 1701 in Konstantinopel einen armenischen Orden, den
Mechitaristenorden, gründete. Dieser Orden machte sich die Pflege der armenischen
Literatur und Kultur zur Aufgabe. Die Hauptklöster des Mechitaristenordens sind
heute in San Lazzaro (bei Venedig) und in Wien.
1742 bestätigte Papst Benedikt XIV. einen ehemaligen armenisch-apostolischen
Bischof als armenisch-katholischen Patriarchen und bestätigte damit eine eigene
armenisch-katholische Kirche. Den Armenier-Pogromen durch die Türken 1914-1922
fielen auch viele armenisch-katholische Christen zum Opfer. In Armenien selbst gibt
es heute kaum Mitglieder der armenisch-katholischen Kirche.
Liturgiesprache: Armenisch
Verbreitung: 140.000 im Libanon, Syrien und in der ganzen Welt
Sitz des Patriarchen: Beirut (Libanon).

2.4.3. Die orientalischen Riten der Liturgiefamilie von Alexandrien

Literatur: vgl. 2.4.2.

Das Liturgiezentrum Alexandrien beeinflusste über Jahrhunderte die christlichen


Gemeinden Nordafrikas. Durch den Monophysitismus kam es im Anschluss an das
Konzil von Chalzedon (451) zu einer doppelten Hierarchie am Patriarchensitz von
Alexandrien: Ab dem Jahre 537 gab es einen monophysitischen Patriarchen und
einen orthodoxen Patriarchen von Alexandrien. Während der orthodoxe Patriarch

81
von Alexandrien immer mehr den byzantinischen Ritus verwendete, blieb der
monophysitische Patriarch von Alexandrien der ägyptischen Tradition verbunden.

2.4.3.1. Der koptische Ritus


Das Wort „koptisch“ leitet sich vom Wort „Ägypten“ ab. Die koptische Sprache ist
sehr verwandt mit der antiken ägyptischen Sprache (zur Zeit der Pharaone). Die
koptische Schrift ist nach dem Vorbild der griechischen Schrift entstanden.
Der monophysitische Patriarch von Alexandrien, der gewöhnlich der ägyptischen
Bevölkerung entstammte, wurde im Laufe der Jahrhunderte immer mehr zu einem
Sprecher der ägyptischen Christen und Verteidiger der ägyptischen Kultur.

m) Merkmale des koptischen Ritus


- Die Eucharistiefeier ist sehr nüchtern. Sie dauert nur deswegen zwei bis drei
Stunden, weil in ihr viele langsame Melodien gesungen werden und es viele
Wiederholungen gibt.
- Die Eucharistiefeier beginnt mit einer Prozession mit den Opfergaben um den Altar,
nachdem der Priester unter drei Broten dasjenige ausgewählt hat, das er
konsekrieren will.
- Der Wortgottesdienst (Liturgie der Katechumenen) bei der Eucharistiefeier enthält
vier Lesungen aus dem NT.
- Heute wird die Anaphora des hl. Markus kaum mehr verwendet, weil sie so schwer
zu singen ist. Am häufigsten wird die Anaphora des hl. Basilius verwendet, nach
deren Vorbild das IV. römische Hochgebet geschrieben wurde.
- Die Kommunion wird unter beiderlei Gestalten gereicht.
- Das Stundengebet ist sehr umfangreich. Für jede Hore sind 12 Psalmen neben
anderen Elementen vorgesehen.
- Das Kirchenjahr richtet sich nach dem altägyptischen Kalender, der drei
Jahreszeiten (mit Rücksicht auf die Bedeutung des Nil) kennt: die Zeit des
Hochwassers, die Zeit der Aussaat und die Zeit der Ernte.
- Das koptische Kirchenjahr kennt 32 Marienfeste.

n) Die Koptisch-Orthodoxe Kirche


Als 642 Ägypten von den islamischen Arabern erobert wurde, mussten sich die mit
Byzanz verbundenen Christen in den Untergrund zurückziehen. Der monophysitische
Patriarch von Alexandrien wurde dagegen auch von den Arabern als Autorität
geachtet. Freilich gab und gibt es bis heute Benachteiligungen für die Christen
(Sondersteuern, Reiseeinschränkungen, Kleiderkennzeichnung). Die Christen
wurden im Laufe von Jahrhunderten zu einer Minderheit in Ägypten und machen
heute 12 % der Bevölkerung aus (auch aufgrund des schnelleren Wachstums der
muslimischen Bevölkerung und der Emigration der Christen).
Im 20. Jh. verbesserte sich die Beziehung zwischen Staat und Kirche. Die
koptische Kirche erlebte ermutigende Zeichen: Klöster wurden revitalisiert, das
geistliche und das pastorale Leben wurden erneuert. Papst Shenouda III. (seit 1971)
förderte vor allem die Bildung von Klerus und Laien, das monastische Leben und die
Ökumene. Sorge bereiten den koptischen Christen die Übergriffe
fundamentalistischer Muslime.
Liturgiesprache: Griechisch, Koptisch, Arabisch
Verbreitung: 8-10 Mio. in Ägypten und in der ganzen Welt
Sitz des Papstes und Patriarchen: Kairo (Ägypten).

82
o) Die Koptisch-Katholische Kirche
Seit dem 17. Jh. gibt es durch das Wirken katholischer Missionare in Ägypten
koptische Gemeinden, die mit Rom uniert sind. Papst Leo XIII. errichtete 1895 ein
koptisch-katholisches Patriarchat, das allerdings erst in der 2. Hälfte des 20. Jh.
seine Anfangsschwierigkeiten überwunden hatte.
Liturgiesprache: Griechisch, Koptisch, Arabisch
Verbreitung: 180.000 in Ägypten
Sitz des Patriarchen: Kairo (Ägypten).

2.4.3.2. Der äthiopische Ritus


Äthiopien ist von Ägypten aus missioniert worden. Die äthiopische Kirche war dann
Jahrhunderte lang bis in die jüngste Vergangenheit der koptisch-orthodoxen Kirche
völlig unterstellt. Der äthiopische Ritus ist dem koptischen Ritus sehr ähnlich.
Dennoch gibt es einiges an äthiopischem Eigengut.

p) Die Merkmale des äthiopischen Ritus


- Der äthiopische Ritus hat einen großen Schatz eigener Hymnen.
- Den Mittelpunkt der Kirche bildet das Allerheiligste, häufig in der Form eines
Rundbaues nach dem Vorbild des Felsendoms, der mit dem Tempel gleichgesetzt
wurde, und nach dem Vorbild des heiligen Grabes von Jerusalem. Auf dem Altar des
Allerheiligsten steht die Arche in Nachahmung der Bundeslade. Es wird behauptet,
dass die Bundeslade in der Kathedrale von Axum aufbewahrt werde.
- Auch das äthiopische Kirchenjahr kennt zahlreiche Marienfeste. Es gibt sogar zwei
marianische Anaphoren. Im täglichen Stundengebet gibt es lange Hymnen zu Ehren
Mariens.

q) Die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche


Schon Mitte des 4. Jh. war das Christentum Staatsreligion Äthiopiens. Ab dem 7. Jh.
war Äthiopien von islamischen Ländern umgeben und von der Gesamtkirche ziemlich
isoliert. Die äthiopischen Patriarchen kamen aber Jahrhunderte aus Ägypten. Unter
Kaiser Haile Selassie wurde nach zähem Ringen die äthiopische Kirche unabhängig.
Bis zur marxistischen Militärrevolte 1974 war der äthiopisch-orthodoxe Glaube die
Staatsreligion. In der Zeit des kommunistischen Regimes (bis 1991) wurde die
äthiopisch-orthodoxe Kirche zeitweise sehr verfolgt.
Liturgiesprache: Ge’ez
Verbreitung: 18 Mio. in Äthiopien
Sitz des Patriarchen: Addis Abeba (Äthiopien).

r) Die Eriträisch-Orthodoxe Kirche


Seit der Unabhängigkeitserklärung Eritreas von Äthiopien 1993 streben die Christen
von Eritrea nach Unabhängigkeit vom äthiopischen Patriarchen. Der Papst von
Alexandrien, Shenouda III., bestätigte 1994 gegen den Protest des Patriarchs der
Äthiopisch-Orthodoxen Kirche die Autokephalie der Eriträisch-Orthodoxen Kirche mit
einem eigenen Patriarchen.
Liturgiesprache: Ge’ez
Verbreitung: 1,7 Mio. in Eritrea

s) Die Äthiopisch-Katholische Kirche


Im Laufe der Kirchengeschichte gab es mehrmals Versuche, die äthiopischen
Christen für eine Union mit Rom zu gewinnen. Unter dem Einfluss der Jesuiten

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gelang es sogar, den äthiopischen König Susneos (1607-1632) zum Katholizismus
des römischen Ritus zu führen und den röm.-kath. Glauben zur Staatsreligion
Äthiopiens zu machen. Nach den Protesten der Bevölkerung musste der betreffende
König abdanken und die Katholiken wurden des Landes verwiesen. Erst im 19. Jh.
konnten dann wieder kath. Missionare in Äthiopien wirken. Seit 1930 gibt es eine
eigene äthiopisch-katholische Hierarchie.
Liturgiesprache: Ge’ez
Verbreitung: 120.000 in Äthiopien und Eritrea
Sitz des Erzbischofs: Addis Abeba (Äthiopien).

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