You are on page 1of 2

Von der wahren Buße und vom seligen Leben

Es dünkt viele Leute, sie müßten große Werke in äußeren


Dingen tun, wie Fasten, Barfußgehen und dergleichen
mehr, was man Bußwerke nennt. Die wahre und allerbeste
Buße (aber), mit der man kräftig und im höchsten Maße
Besserung schafft, besteht darin, daß der Mensch sich
gänzlich und vollkommen abkehre von allem, was nicht
völlig Gott und göttlich an ihm selbst und an allen
Kreaturen ist, und sich gänzlich und vollkommen seinem
lieben Gott zukehre in einer unerschütterlichen Liebe,
dergestalt daß seine Andacht und sein Verlangen zu ihm
groß seien.

In welchem Werk du mehr davon hast, in dem bist du auch


gerechter; je mehr das zutrifft, um ebensoviel ist die Buße
wahrer und tilgt um so mehr Sünden, ja, selbst alle Strafe.
Ja, fürwahr, du könntest dich rasch in Kürze so kräftig mit
solch echtem Abscheu von allen Sünden abkehren und dich
ebenso kräftig Gott zuwenden, " daß, hättest du alle Sünden
getan, die von Adams Zeiten an je geschahen und hinfort je
geschehen werden, dir das ganz und gar vergeben würde
mitsamt der Strafe, so daß, wenn du jetzt stürbest, du
hinführest vor das Angesicht Gottes.

Dies ist die wahre Buße, und die gründet insbesondere und
am vollkommensten auf dem würdigen Leiden im
vollkommenen Bußwerk unseres Herrn Jesu Christi. Je
mehr sich der Mensch darein einbildet, um so mehr fallen
alle Sünden und Sünden- strafen von ihm ab. Auch soll sich
der Mensch gewöhnen, sich in allen seinen Werken allzeit
in das Leben und Wirken unseres Herrn Jesu Christi
hineinzubilden, in all seinem Tun und Lassen, Leiden und
Leben, und halte hierbei allzeit ihn vor Augen, so wie er
uns vor Augen gehabt hat.
Solche Buße ist (nichts anderes als) ein von allen Dingen
fort ganz in Gott erhobenes Gemüt. Und in welchen
Werken du dies am meisten haben kannst und durch die
Werke hast, die tue ganz freimütig. Hindert dich aber ein
äußeres Werk daran, sei's Fasten, Wachen, Lesen oder was
es auch sei, so laß freiweg davon ab, ohne Besorgnis, daß du
damit irgend etwas an Bußwerk versäumest.

Denn Gott sieht nicht an, welches die Werke seien, sondern
einzig, welches die Liebe und die Andacht und die
Gesinnung in den Werken sei. Ihm ist ja nicht viel an
unseren Werken gelegen, als vielmehr nur an unserer
Gesinnung in allen unseren Werken und daran, daß wir ihn
allein in allen Dingen lieben. Denn der Mensch ist allzu
habgierig, dem's an Gott nicht genügt. Alle deine Werke
sollen damit belohnt sein, daß dein Gott um sie weiß und
daß du ihn darin im Sinne hast; das sei dir allzeit genug.
Und je unbefangener und einfältiger du ihn im Blick hältst,
um so eigentlicher büßen alle deine Werke alle Sünden ab.

Daran auch magst du denken, daß Gott ein allgemeiner


Erlöser der ganzen Welt war, und dafür bin ich ihm viel
mehr Dank schuldig, als wenn er mich allein erlöst hätte. So
auch sollst du (für dich) ein allgemeiner Erlöser alles dessen
sein, was du durch Sünden an dir verderbt hast; und mit
alledem schmiege dich ganz an ihn, denn du hast mit
Sünden verderbt alles, was an dir ist: Herz, Sinne, Leib,
Seele, Kräfte und was an und in dir ist; es ist alles ganz
krank und verdorben. Darum flieh zu ihm, an dem kein
Gebrechen ist, sondern lauter Gutes, auf daß er ein
allgemeiner Erlöser für alle deine Verderbnis an dir sei,
innen und außen.

Meister Eckhart

You might also like