Musik ist ein mächtiger Angstlöser.
Mus(ikal)ische Bildung ist von zentraler gesellschaftlicher Bedeutung. Wir sollten schnellstens aufhören, uns den Fächerkanon von den Industrieverbänden dik-tieren zu lassen.
Musik ist ein mächtiger Angstlöser.
Mus(ikal)ische Bildung ist von zentraler gesellschaftlicher Bedeutung. Wir sollten schnellstens aufhören, uns den Fächerkanon von den Industrieverbänden dik-tieren zu lassen.
Musik ist ein mächtiger Angstlöser.
Mus(ikal)ische Bildung ist von zentraler gesellschaftlicher Bedeutung. Wir sollten schnellstens aufhören, uns den Fächerkanon von den Industrieverbänden dik-tieren zu lassen.
Bild: Andreas Diethelm Der Chordor beim HOF gesang
Lebenselixir Musik
Mus(ikal)ische Bildung ist von zentraler gesellschaftlicher Be- deutung. Wir sollten schnellstens aufhren, uns den Fcherkanon von den Industrieverbnden dik- tieren zu lassen.
ANDREAS DIETHELM * Zwar stehen wir, zumindest die Stdter, unter musikalischer Dauerberieselung. Beim Einkauf, im Restaurant, vielleicht auch am Arbeitsplatz. Auf dem Weg da- hin zerrt rhythmisches Klirren aus frem- den Kopfhrern an unsern Hhrnerven, es scheppert ein Musikskelett. Die Fleischkonserve lagert irgendwo auf einem Server, von wo der Einzelne, z.B. der Sitznachbar in der Bahn, sich ein Ohr voll abzapft. Allzeit, zufllig, kon- textlos.
Mchtiger Angstlser Eine lngere Zahnbehandlung mchte man sich begreiflicherweise mit einer Musikkonserve verkrzen wollen, einer der eigenen Wahl natrlich. Und den Trip durch die Tomographenrhre zwin- gend. Mit etwas, das durch Mark und Bein geht: Jimmy Hendrix, All Along the Watchtower.
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Livemusik ist ein mchtiger, allerdings nicht rund um die Uhr verfgbarer Angstlser. Sie macht 96 Prozent der auf dem Markt erhltlichen Psycho- pharmaka berflssig. Das kann nicht erstaunen, wenn man sich das Musizie- ren, als eine der mannigfaltigen Aus- drucksweisen der Libido, der Liebe im umfassenden Sinn bewusst macht. Ge- meinsames Musizieren ist die strkste nicht amtlich erfassbare Droge. So ber- rascht es auch kaum, dass Alltagsmusik in Mitteleuropa abgesehen von der ursprnglichen, aber auch abgelegenen Form des solistischen Jodels, oder der Stubete und der mit dem Zerfall der brgerlichen Familie verklungenen hus- lichen Kammermusik, sowie einer ver- hltnismssig kurzen organisierten Chor- tradition lange eine geringe Rolle spielte.
Seelischer Notvorrat Wer aber einmal an den stlichen, den mediterranen und den atlantischen Rn- dern Europas geweilt hat, hat etwas ganz anderes kennen gelernt: selber gemachte Gebrauchsmusik auf hchs- tem Niveau. Improvisation, dialogischer Ad-hoc-Gesang zu allen denkwrdigen und erbrmlichen Lebenssituationen, Gesang als fester Bestandteil des All- tags und seiner Bewltigung. Kaum wo wurde die entlastende und verbindende Wirkung gemeinsamen Singens in ihrer Selbstverstndlichkeit eindrcklicher gezeigt, als in Terence Davies Filmen: Distant Voices, Still Lives und The Long Day Closes, beide in der Liver- pooler Arbeiterwelt angesiedelt. Gesang als seelischer Notvorrat. Man mag ein- wenden wir seien nun mal keine Roma, sondern ordentliche Leute, keine rck- wrtsgewandten Portugiesen, Briten oder Iren, und wir htten ritualisierten Singsang ausserhalb von Kirchen Kon- zertslen und Fussballstadien nicht n- tig.
Integral und nicht banal Dies wre eine grobe Fehleinschtzung und ein fataler Irrtum. Nicht bloss, weil eine Gesellschaft, die das Musizieren im Alltag gering schtzt, sich um manchen Genuss bringt. Zwar wurde die Brache in den letzten fnfzig Jahren ppig von Popmusik berwuchert, von viel hrenswerter und noch mehr anderer. Auf Brachen knnen prachtvolle Blten treiben, aber nur aus guten Samen. Der Wildwuchs kann kost- bare Raritten hervorbringen, aber auf Gewchshuser knnen wir bei unserem Klima nicht verzichten. Fr die Vitalitt der Gesellschaft macht es jedoch einen markanten Unterschied, ob gute Musik, Musik, Musik die uns bewegt, allein im bildungsbrgerlichen Reduit gepflegt wird, oder ob sie integraler, und dabei nicht banaler Lebensbestandteil ist. Hier droht uns eine echte Energielcke.
Unterbewertet Wohl tragen wir die Musik in uns, von allem Anfang an, Neugeborene manifes- tieren das eindrcklich. Ob wir die Mu- sik rauslassen, ist die Frage. Die schlummernde Musikalitt kann sich entfalten, oder verkmmern. Die we- nigsten Kinder fallen hierzulande aber auf musikalisch fruchtbaren Boden. In der Mehrzahl der Haushalte erfhrt doch die Musik nicht mehr Beachtung und Pflege als der schlecht erreichbare Gummibaum. Beim Telefonieren stellt man etwas leiser, beim Staubsaugen etwas lauter. Die meisten Kinder sind fr ihre musikalische Grundversorgung daher ersatzweise auf die Schule ange- wiesen. Es soll nicht suggeriert werden dass aus allen Kindern Musiker und Musikerinnen werden mssten, es sollen bloss alle eine faire Chance bekommen. Und welches Kind in den Genuss einer ernsthaften Frderung kommt, ist heute je nach Finanzkraft der Wohngemeinde- abhngig und des Elternhauses, eine Lotterie.
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Bedeutende Nebenwirkungen Es geht noch um mehr: um die beim gemeinsamen Musizieren sich spielend mitentwickelnden Kompetenzen, ohne die jede Bildung wertlos bleibt, und die notwendige Voraussetzung fr ein ge- deihliches Zusammenleben sind: Ge- meinsinn, Sensibilitt, Erfahren von Ei- gen- und Fremdwahrnehmung, Ausdau- er, ber- und Umsicht, Gestaltungswille, Verantwortungsbewusstsein und so wei- ter. Vom Tanz liesse sich dasselbe sa- gen. Musik, Theater, Tanz und Sport ungleiche Stellenwerte einzurumen ist unnatrlich und unvernnftig. Musik- Ensembles haben ausserdem gleichsam Modellcharakter fr die verschiedenen Spielarten konfliktfhiger Nachbarschaft, konfliktfhiger Gesellschaft. Gesell- schaft, die einschliesst, und nicht aus- schliesst.
Zentraler Bildungsinhalt Auch ohne auf in den Streit um den Einfluss des Musizierens auf die Ent- wicklung der Intelligenz einzusteigen, kann man aus naturwissenschaftlicher Warte mit guten Grnden fr eine hhe- re Gewichtung der musikalischen, der musischen Bildung berhaupt eintreten, und wre es auf Kosten von Mathematik und/oder einem naturwissenschaftlichen Fach. Denn wenn wir uns nicht weiter versklaven und den Jungen eine le- benswerte Zukunft verbauen wollen, sollten wir schnellstens aufhren, uns den Fcherkanon nach den Bedrfnissen der Industrieverbnde diktieren zu las- sen. Es ntzt uns nmlich nichts, in je- dem Heftli die Rankings punkto Le- bensqualitt anzufhren, wenn es kei- nen Grund mehr gibt, uns darber zu freuen. Wenn wir nicht mehr wissen, was das Ganze hier berhaupt soll. Das wissen wir mit Schiller zu sprechen nur, wenn wir spielen.