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SonntagsZeitung; 07.11.

2004; Seite 66

Nachrichtenlose Konten: Streit in Israel


Bei der Bank Leumi sollen Hunderte von Schoa-Millionen liegen

Jerusalem · Auch Israel hat seinen Skandal mit nachrichtenlosen Vermögen. Im Zentrum steht
die Staatsbank Bank Leumi. Auslöser der aktuellen Debatte war die Kritik des
Chefunterhändlers der World Jewish Restitution Organization, Israel Singer. Heftig wurde der
Streit, als Schoa-Überlebende zum Boykott gegen die Banken aufriefen und mit Mahnwachen
drohten, an welchen sie gelbe «Judensterne» tragen würden.

Hintergrund der Debatte ist der Schlussbericht einer Parlamentarischen


Untersuchungskommission (PUK), unter dem Vorsitz von Colette Avital. Diese setzte den
renommierten Revisor Yehuda Barlev ein, um die Frage der nachrichtenlosen Konten zu
überprüfen. Barlev, ein ehemaliger Korruptionsbekämpfer der Polizei, recherchierte
zusammen mit anderen Auditoren während zwei Jahren in zahlreichen Archiven. Er
berichtete, dass er von Leumi bei der Arbeit behindert und bedroht worden sei.

Barlev erklärte, Bankangestellte hätten die Entdeckung von Hunderten von Schoa-Konten
bestätigt, obwohl Leumi dies dementiere. Er sagte, dass sich die Bank während des Zweiten
Weltkriegs bereichert und die Vermögen nicht an die Briten - wie die Bank behauptet -
geliefert habe. Der Bericht besagt auch, bei israelischen Banken würden 5000 Schoa-Konten
im Wert von fast 270 Millionen Franken bestehen, die Hälfte davon bei Leumi.

Inzwischen wird die Debatte in Israel immer aufgeregter. Der Vorsitzende der israelischen
Überlebendenorganisation, Noah Flug, erklärte: «Es ist unbegreiflich, dass ausgerechnet in
Israel die Forderung nach Rückgabe von Holocaust-Konten bisher unbeachtet bleibt.»
Justizminister Josef Lapid goss zusätzlich Öl ins Feuer. Er nannte Leumi «die letzte Bank der
Welt, die sich weigert, Gelder an Überlebende zu zahlen». Lapid drohte, an der Davidstern-
Protestaktion teilzunehmen und erweckte damit den Zorn von Yona Fogel, Mitglied der
Leumi-Geschäftsleitung, der die Vorwürfe Lapids zurückweist. Leumi, so Fogel, besitze
keine Schoa-Konti, und sollten sie existieren, dann seien sie beim staatlichen
Nachlassverwalter zu suchen, der dem Justizminister unterstehe.

Die Berichte haben auch bei den Juden in der Schweiz Besorgnis erregt

Am Donnerstag wurde bekannt, dass Leumi-Vertreter und Lapid eine Global-Lösung in


unbekannter Höhe beschlossen. Diese Abmachung erntete Kritik von PUK-Leiterin Avital,
die darin einen Versuch sieht, ihre Kommission zu umgehen. Avital wies auf die
widersprüchliche Haltung Leumis hin, die behaupte, nicht im Besitz von Schoa-Geldern zu
sein, gleichzeitig aber über Verrechnungskriterien für Konti ab 1939 streite und sich bereit
erkläre, für die angeblich inexistenten Konten zu bezahlen. Noch schärfer fällt die Kritik des
abgesprungenen [Es soll ehemaligen heissen. Ein fehler der Schluss-Red. - se] Leumi-
Anwalts Yair Olmert aus, dessen Onkel Ehud ein Mitglied der Regierung Sharon ist. Er
glaubt, es werde ein schmutziger Deal auf Kosten Überlebender gemacht.

Die Berichte haben auch in jüdischen Kreisen der Schweiz Besorgnis erregt. Rolf Bloch, Ex-
Präsident des Israelitischen Gemeindebundes und VR-Mitglied der Leumi (Schweiz), forderte
vor einigen Wochen eine Stellungnahme von der Bankdirektion in Tel Aviv. Als Antwort
bekam er die Erklärung der israelischen Bankiervereinigung, dass «jegliche Presseartikel auf
unfundierter und partieller Information basieren und entsprechend irreführend sind». Bloch
sagte der SonntagsZeitung, er könne nicht beurteilen, wer in diesem Konflikt Recht habe, da
ihm die Sachkenntnisse fehlten.

Shraga Elam

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