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Eine neue Etymologie für Purpur

Joannes Richter

Abb. 1: Ein König im Codex Manesse

Diese Studie bildet ein (übersetztes) Kapitel im Buch


“Niederländisch für Profis” von Joannes Richter (2010).
1 Ein totes Wort zum Leben erwecken
Gelegentlich erwache ich in der Ahnung, dass wieder
ein Wort gefunden wurde, welches nur noch in der
niederländischen Sprache übrig geblieben ist. Weder in
Englisch, Deutsch oder Französisch ist vergleichbares
vorhanden. Es ist ein totes Wort, „Paars“, das wir erst
dann verstehen, wenn wir uns mit der alten, religiösen
Farblehre auseinandersetzen.
Angefangen hatte alles mit Stefans Aussage, dass ein
Germanist mit dem Wort keinerlei religiöse Assoziation
verknüpfen könne, weil Purpur einfach von einer Schnecke
abstammt, der im Mittelalter am Mittelmeer zur Farberstellung
gezüchtet worden ist.
Mit meiner Rede, dass die Farbe Purpur ursprünglich ihre
religiöse Bedeutung durch Weben einer Vielzahl dünnster roten
und blauen Fäden, konnte er nichts anfangen. Für ihn wurde
Purpur erst mit der Verarbeitung der Purpur-Schnecke zum
religiösen Symbol. So blieb mir nichts anderes übrig als die
Etymologie des niederländischen Wort „paars“ (übersetzt
Purpur) genau zu dokumentieren.
International akzeptiert man heute die Farbcodierung Rosa für
die weibliche und Hellblau für die männliche Geschlechter.
Den Beweis zu dieser These werden wir noch an einigen
Beispielen liefern müssen. Bekanntlich ist Purpur die
Mischfarbe der Farben Rot und Blau und bei dieser
Konstellation könnte man sich fragen, inwieweit man die alten
Symbolik der Farben Purpur, Rot und Blau wiederaufleben
lassen kann.

2
2 „Paars“ ist die Farbe der „Peers“
Die regionale Anwendung der Wörter für Purpur, Violett und
„paars“ wurde dokumentiert im Niederländischen
1
etymologischen Wörterbuch in einer Karte von P.J. Meertens,
Taalatlas afl. 4, 14. Vielleicht kann man in dieser Karte ablesen
im welchen Bereich das Wort „paars“ entstanden ist.
Die etymologische Ableitung des Wortes "paars" ist unsicher.
Die Etymologen vermuten einen Zusammenhänge mit Persae
'Perser', Persia 'Persien' und perzik (Pfirsich) obwohl doch die
zuvor beschriebene, einfachere Erklärung sich anbietet.
Die Datenbank http://www.etymologie.nl/ dokumentiert einige
mittelalterlichen Zitate für dieses Wort um 1300 AD:
paars Substantiv (als 'Farbe')
Mnl. perse 'Purpur (Laken)' [1294; VMNW], perse
saye 'Purpur wollene Stoffe' [1296; VMNW],
peers bruxsch lakene ' Purpur Laken aus Brugge' [1343-
44; MNW], groen of blaeu of root of paers [ca. 1475;
MNW].
Zwei Dokumente aus dem Jahr 1672 und 1742 enthalten
jedoch Verweise auf Substantive „Paars“ sowie „Pers“. Wir
werden diese Zitate kurz analysieren. Die interessante Stelle ist
gelb markiert. Es handelt sich in beiden Fällen um einen Saal,
den man „Paars“ oder „Pers“ nennt. Es betrifft wohl den
Versammlungssaal für die freien Bürger, der Stadt Leiden die
man in England „Peers“ nennt und im britischen Adel als
Sammelbegriff für adlige Personen verwendet wird.

1
von J. de Vries, F. de Tollenaere, Maaike Hogenhout-Mulder

3
Prinzipiell stammen diese Begriffe aus dem Latein: „Pares“,
d.h. die Gleichen.

Korte besgryving van het Lugdunum Batavorum nu Leyden


door Simon van Leeuwen – 1672

Het selve Stadhuys is soo onder als boven in verscheide


plaatsen verdeelt, elk tot sijn byfonder gebruyk, als fijn
boven de Grote Vroedschaps-kamer, Burgermeesters
kamer, Schepens kamer, Secretarie, Griffie ende Wees-
kamer, voor ende tussen dewelke een groote Wandel-
plaats, dat men de Paars nomt, ten eynde van dewelke
twee vertrekken voor sijn, daar de Burgen alle nagten
de wagt houden. Boven deselve Paars is de Artelerie
ende Wapen-kamer,

Hedendaegsche historie... - Seite 523


Thomas Salmon, Jan Wagenaar, Matthias Van Goch – 1742
Langs den eerst beschreeven' Buiten-opgang van
twintig trappen naar bovengaande, komt men op eene
ruime Zaal, gemeenlyk de Paars of Pers genaamd, die
zeventig treden lang is.

Zum Verständnis, warum „paars“ die religiöse, adlige Farbe


geworden ist, müssen wir die mittelalterlichen, biblischen
Farblehre bemühen.

4
3 Die Regeln der Ikonenmalerei
Für die Ikonen gelten immer noch gewisse Regeln, die auch
heute noch eingehalten werden. Zur Farbgestaltung gilt, dass
Jesus und Maria immer in Rot und Blau gekleidet sein müssen.
Überhaupt sind Rot und Blau seit jeher die Farben der
Heiligen. Obwohl eine karolingische Bischofssynode die
Farbgestaltung für die Westkirchen bereits früh im Mittelalter
freigegeben hat, brauchen die Künstler noch Jahrhunderte zur
freien Farbgestaltung. Auf fast alle Gemälde des Mittelalters
bleibt die Kleiderordnung in Rot und Blau erhalten, die 25 mal
in den Büchern Exodus2 und dreimal in 2. Chroniken3 als
göttliches Kommando zur Gestaltung des Verbundzeltes und
Bekleidung des Höhenpriesters.

Abb. 2: Jesus Christus in Rot und Blau

2
Kapitel 25->27 und 35->39
3
Kapitel 2 & 3

5
4 Eine Kleidervorschrift aus Exodus
Zu den Amtskleider kann man ablesen, dass der Purpur aus Rot
und Blau, sowie gezwirnter weißer Leinwand gestaltet werden
soll:
391Aber von dem blauen und roten Purpur und dem
Scharlach machten sie Aaron Amtskleider, zu dienen im
Heiligtum, wie der Herr Mose geboten hatte. 2Und er machte
den Leibrock von Gold, blauem und rotem Purpur,
Scharlach und gezwirnter weißer Leinwand. 3Und sie
schlugen das Gold und schnitten's zu Faden, daß man's
künstlich wirken konnte unter den blauen und roten Purpur,
Scharlach und weiße Leinwand. 4Schulterstücke machten sie
an ihm, die zusammengingen, und an beiden Enden ward er
zusammengebunden. 5Und sein Gurt war nach derselben Kunst
und Arbeit von Gold, blauem und rotem Purpur, Scharlach
und gezwirnter weißer Leinwand, wie der Herr dem Mose
geboten hatte.

6
In diesem Gemälde trägt ein Heiliger oder Jesus (?) einen
blauen Obermantel über einem roten Unterkleid. Sogar ein Teil
der weißen Leinwand ist am Kragen noch sichtbar.

Abb. 3: Heiliger in Rot und Blau

7
5 Zur genauen Symbolik von Rot und Blau
Allgemein wurde die rote Sonne und der blauen Mond südlich
der Alpen als männlich beziehungsweise weiblich verehrt. Die
Sonne war deshalb männlich und der Mond weiblich.
Nördlich der Alpen hat man genau umgekehrt das Geschlecht
der roten Sonne weiblich und des blauen Mondes männlich
gewählt.
Folgendes Bild zeigt eine rote Sonne und blauem Mond aus
dem sechsten Jahrhundert.

Abb. 4: Josef erblickt eine roten Sonne & blauen Mond

8
6 Der Codex Manesse
Selbstverständlich werden die Vorschriften zur Bekleidung
respektiert und angewandt zur Erstellung der Ikonen und in der
religiösen Kunst, aber auch in der kaiserlichen und königlichen
Bekleidungen. Sogar auf mittelalterlichen Darstellungen der
Bauern findet man oft die rot-blaue Kleiderkombination. Im
Codex Manesse und an den Kleidern des Kaisers Heinrich VI
ablesen, dass er auf seinem Thron einen Purpurmantel und ein
blaues Unterkleid trägt. Zur Bestätigung bestätigt der Künstler
die Symbolik in einer Umrandung Rot-Weiß-Blau.

Abb. 5: Kaisers Heinrich VI (Detail Codex Manesse)

9
Auch an einem König und Königin kann man die gängige
Farbcodierung der Ikonenmalerei gut ablesen:
Der König trägt einen blauen Obermantel über einem roten
Untermantel, während seine Partnerin einen rot-purpuren
Obermantel über einer blauen Untermantel führt. Beide führen
auch Weiß in der Bekleidung.

Abb. 6: Ein Königspaar im Codex


Manesse

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7 Ein androgynes Symbol
Wie bereits angedeutet sind die Farben Purpur, Blau und Rot
in der Bibel als religiöse Symbole bekannt, aber bereits zur
Römerzeit war Purpur auch in anderen Religionen als
religiöses Symbol bekannt.
Römische Kaiser haben sich selbst zu Göttern erhoben und
dabei Purpur als kaiserliche, göttliche Farbe festgelegt. Nero
ging dabei so weit, dass er das Tragen des Purpur unter
Androhung der Todesstrafe nur den Mitgliedern der
kaiserlichen Familie erlaubte. Der kaiserliche Nachwuchs
wurde dabei in Purpurwindeln gewickelt.
Generell symbolisiert die Farbe Purpur im Altertum die
Fruchtbarkeit des Ehepaares und bei den alten Völkern die
Bereitschaft zum Kindersegen. Fruchtbarkeit war in den
Kriegszeiten, bei Seuchen und Hungersnot überlebenswichtig.
Purpur wird jedoch aufgebaut auf weiblichem Rot und
männlichem Blau.

Abb. 7: Kopfzeile der Korczek-Bibel (Prag- um1410)

Bereits bei den Kelten und Germanen war die Ehe wie das
Ehepaar ein heiliges und religiöses Symbol. Der alte
Germanische Schöpfergott war nach Angaben von Jacob
Grimm androgyn.

11
8 Alte Traditionen
Diese Traditionen sind alle alt, sehr alt, und sie haben schon
längst ihre Bedeutung verloren. Die Kirche hat diesen Verlust
gefördert. Durch Zufall ist ihnen das Wörtchen „paars“ jedoch
entgangen. Jetzt steht es einsam und verlassen als ein totes
Wort im Wörterbuch. Kein Mensch versteht noch wo es
herkommt, obwohl gerade dieses Wort eine bisher
geheimnisvolle Farbsymbolik der Bibel aufhellen könnte.
Vielleicht war Purpur sogar ein androgynes Symbol.
Der androgyne Adam war auch im Mittelalter nicht unbekannt.
Rashi's Genesis4 und Rashbam's Genesis5 waren im Mittelalter
bekannt und Vorläufer für den Sohar, in dem eine vollständige,
mittelalterlichen Dokumentation der androgynen Schöpfung
dokumentiert wurde.
Auch gab es im Mittelalter wohl noch Landkreise, in dem die
Bevölkerung sich noch an die alten, heidnischen Religion
erinnerte, die das Wörtchen „paars“ als Symbol verwendet
hatte.

Fig. 8: Initialen in de Neapolitaanse Bijbel

4
Rabbi Rashi 1040-1105, Nord-Europa (Kapitel 27)
5
Rashbam, Rashi's Nachfolger, 1085-1174, Nord-Europa (Kapitel 27)

12
„Paars“ bildet darin die Basis für das Verständnis der
paarweise verwendeten Buchstaben, die wir in großer Zahl in
den illustrierten, mittelalterlichen Bibeln zurückfinden.
Dieses paarige Wort paars für Purpur erlaubt mir auch die
merkwürdige Farbcodierung der Divina Commedia des
berühmten Dichters Dante als mannweiblichen Paar-
Kombinationen zu verstehen:

Abb. 9: Codex der Divina Commedia

13
Im Buch Nummern 15:37-41 befiehlt Gott das Volk Israels von
Generation zu Generation Quasten mit einem violetten
Purpurfaden am Saum ihrer Bekleidung zu nähen, damit sie
sich die göttlichen Geboten erinnern.
Im nachstehenden Bild aus 1336 trägt Jesus (genauso wie
Heinrich VI) einen Purpurmantel über einem blauen
Unterkleid. Genau genommen fehlen jedoch die Quasten mit
dem Purpurfaden, die jeder Hebräer tragen sollte...

Abb. 10: Der Judas-Kuss (1336)

14
9 Der Keltenfürst von Hochdorf

Abb. 11: Der Keltenfürst in roten und blauen Tüchern

Purpur ist auch die Farbe des Mantels, dessen Struktur im Grab
des Keltenfürsten Hochdorfs nur unter der Lupe als extrem
dicht gewebtem Muster aus roten und blauen Fäden erkennbar
ist. Der Keltenfürst wurde in mehreren abwechselnd roten und
blauen Tüchern eingewickelt. Das Grab stammt aus der Zeit
von etwa 530 vor Christus. Aufgrund der Ähnlichkeit der
Farbsymbolik sollten wir vielleicht doch eine gemeinsamen
Farbcodierung für Purpur, Rot und Blau annehmen für die
frühen Kulturen in Israel und Hochdorf.

15
Abb. 12: Liege mit dem keltischen Fürsten von Hochdorf

16
10 Die Niederländische Flagge
Als Vorschrift für die niederländischen Nationalflagge mag ein
religiöser Bibelkenner auch folgende Vorschrift aus Exodus
übernommen haben:
15Das Amtschild sollst du machen nach der Kunst, wie den
Leibrock, von Gold, blauem und rotem Purpur, Scharlach
und gezwirnter weißer Leinwand.

Abb.13: Niederländische
Flagge

„Paars“ hat mir erläutert wie ich den Mantel des Kaisers
Heinrich VI in der Codex Manesse verstehen soll, warum die
niederländische Flagge Rot-Weiß-Blau trägt.

17
11 Tuisco
„Paars“ bleibt deshalb für mich in zärtlicher Erinnerung als
ein letzter Gruß an die alten Religion meiner Vorfahren, an
Tuisco, dem man Duisburg und Doesburg gewidmet hat.
„Paars“ hat mir erläutert, dass die abwechselnd blauen und
roten Intialen in fast allen mittelalterlichen Bibeln keine
gewöhnlichen Dekorationen, sondern religiöse Symbole bilden,
Die Initiale symbolisieren die Rückkehr und Transformation
des Ehepaars zum androgynen Adam.

Abb. 14: Initiale in einem Codex des 14e JH.

18
12 Wörter in Purpur weben
Purpur ist auch die Farbe, in dem man in den alten Bibeln mit
Buchstaben gewebt hat, die analog zu den Tüchern im Grab des
hochdorfer Fürsten in einer gewissen Distanz wir Purpur
wirken.

Abb. 15: Utrechter Bibel (1460)

19
13 Die Symbolik des Granatapfels
Abgesehen von den Spezifikation der Farben Purpur, Rot und
Blau enthält die Bibel an ähnlicher Stelle Andeutungen, die auf
eine genauer umschriebene Symbolik der Farbe Purpur deuten.
So ist zum Beispiel die Samentasche des Granatapfels weiß bis
tief rot, wobei jedoch einige Varianten die Purpurfarbe
erreichen (Photo).
Die Granatäpfel, die sich als Abbildungen auf den Säulen6
Jachin und Boaz des Tempels befunden haben, waren wohl
Fruchtbarkeitssymbole. Granatapfel waren auch in den
Kultgewändern der hebräischen Höhenpriestern eingewebt7.
Der Kult des Granatapfels deutet auf die zentrale Rolle, welche
die Fruchtbarkeit im Altertum gespielt haben muss.

6
1 Könige 7:13–22
7
Exodus 28:33–34

20
Abb. 16: Samen in den
Samentaschen des Granatapfels

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14 Zusammenfassung
International akzeptiert man heute die Farbcodierung Rosa für
die weibliche und Hellblau für die männliche Geschlechter. In
der deutschen Sprache kennt man auch die Wörter “Paar” und
“paarweise”, aber nicht die Farbe, womit man ein Kombination
männlich & weiblich symbolisiert.
Im niederdeutschen Bereich gibt es jedoch ein altes Wort
„paars“ für die Farbe Purpur, das vermutlich bereits im
Altertum analog zu den Farben Rot und Blau als religiöses
Symbol verstanden worden ist.
Aus den Regeln für die mittelalterlichen Ikonenmalerei und aus
den Büchern Exodus und Chroniken kann man diese religiöse
Symbolik für die Farben Purpur, Rot und Blau ablesen.
Auch in modernen Symbolen wie die Flaggen der
Niederlanden, England, USA, Frankreich und Russland lassen
sich immer noch Reste dieser alten Symbolik ablesen.
Die mittelalterlichen Etymologie der Farbe „Paars“ (als
Alternative zu „Purpur“) basiert auf die freien Bürger der
niederländischen Stadt Leiden, deren Versammlungsort zur
damaligen Zeit nach dem Latein “pares” “de Paars”,
beziehungsweise “de Pers” genannt wurde. In der englischen
Sprache lautet das vergleichbare Wort “Peers”. Die Farbe
„Paars“ ist die Farbe der „Peers“, d.h. des Adels.
Schüsselwörter
Bibel, Genesis, Chroniken, paars, paar, Purpur, Flagge,
Granatapfel, androgyn, Tuisco, Tuisto, Farbcodierung,
Etymologie, Manesse, Codex, Hochdorf, Rashi, Rashbam,
Ikone, Heinrich, Kaiser

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