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Als nach dem Krieg die Kommandohöhen der deutschen Polizei neu besetzt
wurden, waren die alten Kameraden sofort wieder zur Stelle: Der Chef-Fahnder
des Berliner Reichskriminalpolizeiamts (RKPA) Kurt Amend, Ex-Mitglied im
Sicherheitsdienst der SS, der im Großdeutschen Reich nach "Elementen" hatte
jagen lassen, wurde Chef-Fahnder des Wiesbadener Bundeskriminalamts (BKA).
Sein Kollege, der Chef-Biologe Otto Martin, der sich unter anderem in der SS-
Forschungsgemeinschaft "Das Ahnenerbe e.V." bewährt hatte, wurde wieder Chef
bei den Biologen. Und der Chef der Personenfeststellungszentrale und der
Fingerabdrucksammlung im RKPA Heinz Drescher wurde Chef des
Erkennungsdienstes des BKA. Ihre Lebensläufe weisen Unterschiede auf, aber
jede Kritik, die sich ans scheinbar Individuelle heftet, würde in die Irre führen: Die
moralische Schieflage war beim Aufbau des BKA die Norm.
Noch Ende der fünfziger Jahre waren fast alle leitenden Positionen der im März
1951 gegründeten Behörde mit ehemaligen Nazis besetzt: Von den 47 Beamten
auf der Führungsetage hatten nur zwei eine weiße Weste. Die anderen waren bei
der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) gewesen, bei marodierenden
Einsatzgruppen oder bei der Geheimen Feldpolizei. Allein 33 der
Führungsbeamten hatten zum Führungspersonal der SS gehört.
Ungebrochene Überzeugungen
Der Neuaufbau war also ein Wiederaufbau. Organisator der Seilschaften war der
frühere SS-Mann Paul Dickopf gewesen, der sich erst eine Widerstands-Legende
zugelegt hatte, dann als graue Eminenz im Bundesministerium des Innern wirkte
und 1965 vierter BKA-Präsident wurde. Hochgeehrt ging er in Pension: Der
Strippenzieher der Polizei-Kameradschaft wurde von Politikern als "Vorbild für die
gesamte deutsche Polizei" gewürdigt.
Mit Hilfe von drei öffentlichen Fachtagungen versucht in diesen Tagen die
Hausspitze des BKA die dunkle Gründungsgeschichte der Behörde aufzuhellen.
Die Polizei sei, so hatte es BKA-Präsident Jörg Ziercke bei seinem
Einführungsvortrag am 8. August gesagt, "Stütze" des menschenverachtenden
Systems der Gewaltherrschaft gewesen. Polizeiverbände seien "in den
Systems der Gewaltherrschaft gewesen. Polizeiverbände seien "in den
Vernichtungskrieg und Völkermord systematisch einbezogen" worden: Juden,
Sinti und Roma, Homosexuelle, politisch Andersdenkende wurden von der Polizei
verfolgt, ermordet.
Die Täter kamen zumeist ungestraft davon. Nach dem Krieg hätten sich "Cliquen
und Seilschaften" von SS- und Gestapo-Leuten "gegenseitig bei der
Wiedereinstellung in die Polizei geholfen". Es waren Spezialisten, die zum Teil
ihren Kommissarlehrgang an der "SS-Führungsschule - Schule der
Sicherheitspolizei" in Berlin Charlottenburg gemacht hatten und im BKA meist "die
Charlottenburger" genannt wurden. Ein verschworener Haufen von Leuten, die
Pflicht und Gehorsam auch dem Bösen gegenüber praktiziert hatten.
"Altkriminalisten" wurden sie auch genannt: Staatsdiener ohne Staatsgefühl.
Nun hat sich die junge westdeutsche Republik nach 1949 in fast allen Sparten auf
Täter, Mittäter und rasende Mitläufer gestützt. Die Funktionsträger des alten
Regimes saßen in der Politik, in den Chefetagen der Wirtschaft, in Medien, in
Behörden, Kirchen und Verbänden - und in der Polizei. Aus Judenverfolgern
wurden praktischerweise Kommunistenjäger; wer beispielsweise Sinti und Roma
verfolgt hatte, konnte munter weiter verfolgen.
Der Autor der Serie, die anonym erschien, war ein Ex-Hauptsturmführer der SS
Bernhard Wehner, der Nebe einen "anständigen, ehrlichen Ausrottungshäuptling"
Bernhard Wehner, der Nebe einen "anständigen, ehrlichen Ausrottungshäuptling"
nannte und sich für die Wiedereinstellung der "alten Sherlock Holmes" einsetzte.
Augstein kommentierte 1950 die Serie: Den "heutigen Polizei-Verantwortlichen"
sei "vor Augen geführt worden", dass die Kriminalpolizei "auf ihre alten Fachleute
zurückgreifen muss, auch wenn diese mit einem SS-Dienstrang angeglichen
worden waren".
Warum hat es so lange gedauert, bis das BKA mit den Ermittlungen in eigener
Sache beginnt? Ein paar Versuche hatte es schon vor Ziercke gegeben. Der
sechste BKA-Präsident, Heinrich Boge, bat 1984 einen Mitarbeiter der Behörde,
die "belastende und stürmische Entwicklung des Amtes" aufzuarbeiten. Große
Verdienste um Aufklärung hat sich der frühere Kriminaldirektor des BKA, Dieter
Schenk, erworben, der in einer Monographie 2001 "die braunen Wurzeln des
BKA" beschrieb.
Prompt warfen ihm Kritiker eine "Überdosis Moralin" oder "die Anmaßung eines
normativen Absolutheitsanspruches" vor. Eher auf Ignoranz und Besserwisserei
deutete eine Antwort, die 2001 das damals SPD-regierte Bundesinnenministerium
auf eine einschlägige Anfrage im Bundestag gab. O-Ton: Das BKA hat "keine
nationalsozialistische Vergangenheit. Es ist im Jahre 1951 gegründet worden".
Die neuen Ermittlungen des BKA in eigener Sache sind aus vielerlei Gründen
verdienstvoll. Hausinterne Untersuchungen, Forschungsprojekte und öffentliche
Erörterungen müssten jetzt auch bei anderen Sicherheitsbehörden wie dem
Bundesnachrichtendienst (BND) und dem Bundesamt für Verfassungsschutz
(BfV) folgen, aber das kann dauern.
Globke war nach dem Krieg Staatssekretär unter Bundeskanzler Konrad Adenauer
(CDU) geworden und Ende der 50er Jahre einer der wichtigsten Berater des
Bundeskanzlers. Unter Hitler war der Jurist ein wichtiger Beamter im
Reichsinnenministerium gewesen und hatte zum Beispiel die Nürnberger
Rassengesetze kommentiert.
Auf Bitten der Deutschen hin brachte die CIA die Zeitschrift
dazu, einen Hinweis auf Globke in den Eichmann-
Unterlagen nicht zu veröffentlichen.
1962 wurde der ehemalige SS-Obersturmbannführer, der für die Ermordung von
etwa sechs Millionen Juden mitverantwortlich war, im Gefängnis von Ramleh bei Tel
Aviv hingerichtet.
Die US-Regierung hatte während des Kalten Krieges offenbar kein Interesse daran,
ehemalige Nazis zu jagen, die sich beim Kampf gegen die Bedrohung aus dem
Osten als wertvoll hätten erweisen können.
Aus den Dokumenten geht allerdings auch hervor, dass die früheren Nazis für die
USA selten von Nutzen waren – einige arbeiteten sogar als Doppelagenten für den
sowjetischen KGB.
(sueddeutsche.de)
Dunkle Gründerjahre des BKA
Braune Wurzeln
Zuerst Gestapo, dann Bundeskriminalamt: Viele hohe Beamte der frühen BKA-Jahre hatten NS-Vergangenheit.
Nun arbeitet die Behörde die Zeit auf.
Von Hans Leyendecker
Ende der fünfziger Jahre bestand die Führungsetage des Bundeskriminalamtes (BKA)
aus 47 Beamten. Nur zwei von ihnen hatten keine braune Weste. Viele waren bei der
Geheimen Staatspolizei (Gestapo) gewesen, bei Einsatzgruppen oder der Geheimen
Feldpolizei, die vor allem in Weißrussland schwere Verbrechen an der jüdischen
Bevölkerung begangen hatte. 33 der Beamten hatten als ehemalige SS-Führer
gedient.
Auch einige der Gründer des BKA waren dem Terrorregime der Nazis willfährig
gewiesen, bei etlichen ihrer engsten Mitarbeiter handelte es sich entweder um Täter
oder zumindest um frühere Mitläufer. Sie fanden damals leicht Zuflucht im neuen
Polizei- und Sicherheitsapparat und auch im Bundesinnenministerium. Für ein
Zuerst Nazi, dann BKA- Fortkommen in der von alten Kameraden durchsetzten Behörde war die frühere
Referatsleiter: Theo Saevecke in Teilnahme an Lehrgängen der "Führerschule" hilfreich und nicht etwa ein Hindernis.
Uniform eines SS-
Hauptsturmführers
Erstmals wird nun das BKA über diese dunkle Gründerzeit diskutieren. In drei
Foto: ddp
Kolloquien soll die Geschichte der Behörde aufgearbeitet werden. Auf der
Eröffnungsveranstaltung an diesem Mittwoch in Wiesbaden sprechen BKA-Präsident
Jörg Ziercke, der Schriftsteller Ralph Giordano und der Historiker Hans-Gerd Jaschke.
In den BKA-Kolloquien soll auch darüber diskutiert werden, "ob und mit welchem Inhalt Kriminalbekämpfungsansätze
und Konzepte bruchlos fortgeschrieben" wurden und ob sich, wie manche Kritiker meinen, noch "Verbindungslinien zur
heutigen Aufgabenwahrnehmung zeigen".
Erst nach der für Oktober geplanten Abschlussveranstaltung soll entschieden werden, ob bei Historikern eine gründliche
Studie über die NS-Vergangenheit der Behörde in Auftrag gegeben wird. Andere Ministerien, wie beispielsweise das
Auswärtige Amt, haben schon vor Jahren Historiker mit der Aufarbeitung ihrer Geschichte beauftragt.
Noch vor zwei Jahren hatte der damalige Dienstherr der Sicherheitsbehörden, Bundesinnenminister Otto Schily (SPD),
erklären lassen, es bedürfe keiner solchen Studie. Zu dem Thema gebe es bereits "umfassende historische
Untersuchungen", einschließlich "der Rolle und der Tätigkeit der ehemaligen Reichsregierung".
Zum Thema BKA und NS-Zeit liegt aber - neben ein paar kleineren Studien - lediglich eine größere Arbeit des früheren
BKA-Direktors Dieter Schenk vor. In seinem vor sechs Jahren erschienenen Buch "Auf dem rechten Auge blind - Die
braunen Wurzeln des BKA" hatte er die Übernahme belasteter Funktions- und Elitenträger des Dritten Reiches in den
Bereich der Polizei geschildert.
Mit großer Mehrheit war 1951 vom Bundestag der Artikel 131 des Grundgesetzes verabschiedet worden. Darin wurde
die Wiedereinstellung von Beamten geregelt, die "aus anderen als beamten- oder tarifrechtlichen Gründen" entlassen
worden waren - wegen ihrer NS-Vergangenheit. "Wir sollten jetzt mit der Nazi-Riecherei Schluss machen" erklärte ein
Jahr später der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer. Das war der Startschuss zu einer Art Resozialisierung der
NS-Kriminalbeamten.
Einer von ihnen war der Alt-Nazi Theo Saevecke, der im BKA Referatsleiter für Hoch- und Landesverrat wurde. Als
Polizeichef von Mailand hatte er die Erschießung von Widerstandskämpfern geleitet. Er überstand im Amt alle
Disziplinarverfahren. Erst 1999 wurde er in Italien wegen seiner Verbrechen in Abwesenheit zu lebenslanger Haft
verurteilt. Ein Jahr später starb er.
Das Leitungspersonal des BKA der fünfziger und sechziger Jahre, so Schenk, sei "auf schlimmste Weise unmittelbar in
die Verbrechen der Nationalsozialisten verstrickt" gewesen. Dementsprechend hätten "Duckmäusertum,
Wagenburgverhalten und autoritärer Führungsstil" geherrscht. Spätestens 1943, SS-Chef Heinrich Himmler war von
Hitler zum Innenminister berufen worden, war die Einheit von Schutzpolizei, SS und Gestapo fast erreicht.
Die Sicherheitsbehörden agierten als Vollstrecker und organisierten den Staatsterror der Nazis. Beispielsweise wurden
sogenannte Asoziale von der Kripo in Konzentrationslager verschleppt. Dazu schreibt Schenk: "Es war nicht die
Aufgabe der Gestapo, sondern der Kriminalpolizei, Menschen durch einen Vorbeugehaftbefehl in den oft sicheren Tod
zu schicken."
Lückenhafte Entnazifizierung
Nach dem Krieg machten viele überzeugte Nationalsozialisten in Politik und Gesellschaft Karriere. Einige wurden
erst spät entlarvt. Bekanntes Beispiel ist der CDU-Mann Hans Globke - Staatssekretär unter Adenauer.
Von Joachim Käppner
Oettingers den Fakten hohnsprechende Beweihräucherung des NS-Marinerichters Filbinger erinnert an jene Skandale,
welche die alte Bundesrepublik immer wieder erschüttert haben. Der erste, ganz große Skandal drehte sich ab 1960 um
den CDU-Staatssekretär Hans Globke, über den Kanzler Konrad Adenauer seine schützende Hand hielt. Globke hatte
als Jurist einen wohlwollenden Kommentar zu den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 verfasst, mit denen die
Entrechtung der Juden in ein neues Stadium eingetreten war.
Globkes bester Schutz war der Kalte Krieg. Zahlreiche Enthüllungen gingen auf Stasi-Material aus NS-Archiven in
Ostdeutschland zurück; das MfS streute die Akten gezielt gegen den „Bonner Staat der Kriegsverbrecher“. Das machte
es den Angegriffenen leicht, sich als Opfer kommunistischer Hetzkampagnen aufzuspielen und der Frage nach der
eigenen Verantwortung auszuweichen.
Ein weniger bekannter Fall war ausgerechnet Oberstaatsanwalt Erwin Schüle, der erste Leiter der Zentralstelle für die
Verfolgung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg; er hatte wohlweislich seine Mitgliedschaft in NSDAP und SA
verschwiegen. Dass er 1965 gehen musste, lag allein daran, dass ein Mann mit dieser Vorgeschichte in der Position
nicht haltbar war; die Mitgliedschaften allein galten noch keineswegs als ehrenrührig.
Hans Filbinger, und darin liegt die Bedeutung seines Falls, steht für einen der
Wendepunkte im Umgang mit der NS-Vergangenheit von Vertretern aus Politik und
Gesellschaft. Sein demonstrativer Opfergestus entsprach völlig der Haltung, die viele
frühere Parteigänger des NS-Regimes verkörperten. 1978 genügte diese Art der
Selbstrechtfertigung nicht mehr. Filbinger trat ab - aber wie einst auch Oberländer
ohne jede Einsicht.
Doch die Zeit hatte sich gewandelt. In den fünfziger und sechziger Jahren hätte die
beiläufige Selbstenthüllung des Schriftstellers Günter Grass, als Halbwüchsiger kurz
Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein, wohl kaum jemanden aufgeregt.
Wahrscheinlich wäre es ihm damals sogar als Bekenntnismut ausgelegt worden.
Hans Globke (r.) war enger
Mitarbeiter des ersten deutschenHeute fragen jüngere Generationen nach der persönlichen Verantwortung. Spektakulär
Bundeskanzlers Konrad Adenauer war noch in den neunziger Jahren die Enthüllung, dass es sich bei dem Aachener
Foto: AP Hochschulrektor Hans Schwerte in Wahrheit um den früheren SS-Hauptsturmführer
Hans Ernst Schneider handelte, der sich mit dem symbolträchtigen Satz rechtfertigte:
„Ich habe mich doch selbst entnazifiziert!“