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D.

Förderung und Therapie

1. Förderung der Rechtschreibung -


genügt das wirklich?
„Wichtiger als die Dinge richtig zu machen ist es, die richtigen Dinge zu machen.“
~ Unbekannte Autorin

„Wichtige Dinge dürfen nie den unwichtigen untergeordnet werden.“


~ Johann Wolfgang von Goethe

Wir wollen an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich betonen, dass die
Schwierigkeiten der LRS-Kinder nicht allein in der Rechtschreibung liegen. Die
LRS ist eine sprachliche Störung, die sich in vielen Bereichen negativ auswirkt.
Kinder ohne Entwicklungsverzögerungen sind in der Regel im Einschulungsalter
in der Lage, Sprache ohne Hinweise aus dem Kontext zu verstehen. Für SSES-
und häufig auch LRS-Kinder ist aber eine nicht alltägliche Sprache, die
abstraktere Inhalte, wie etwa eine Division oder eine Textrechnung, erklären
will, meist schwierig zu erfassen. Aber auch die Sprache in einem Grimm-Märchen
oder in Sagen ist mitunter zu schwierig, sodass die betroffenen Kinder bei
Weitem nicht alles verstehen. Leider wird dieses reduzierte Sprachverständnis
häufig als mangelndes Interesse interpretiert.

Die Kinder aus unserer Praxis benötigen und bekommen daher bei uns durch
Förderung der Sprache und durch ganz fachspezifische Lernanweisungen auch
Hilfe für alle Schulfächer. Mehrere Untersuchungen zeigen sehr eindrücklich,
dass eine effiziente Förderung von Sprache den gesamten schulischen Erfolg
der Kinder verbessert (Reich, Roth, 2003). Vor und neben der Förderung der
schriftsprachlichen Fertigkeiten bedarf es einer ganz spezifischen sprachlichen
Förderung, die es den Kindern erleichtert oder überhaupt erst ermöglicht, den
schulischen Anforderungen gerecht zu werden.

Andererseits fördert die (frühe) Beschäftigung mit der Schrift den bewussten
Umgang mit Sprache und eröffnet eine besonders günstige Gelegenheit für das
Kind, über Sprache nachzudenken. Neben der überaus wichtigen Verwendung von
Bildern, Grafiken und Symbolen, bietet die Schrift eine weitere Möglichkeit der
Veranschaulichung (Füssenich, Löffler, 2005). Die visuell und daher zeitlich
beliebig lang erfassbare Schrift bietet gegenüber der schnell flüchtigen ge-
sprochenen Sprache einen Vorteil, vor allem auch, weil die visuellen Fähigkeiten
der SSES- und LRS-Kinder in vielen Fällen weitaus besser ausgebildet sind als die
auditiv-sprachlichen. Das Kind kann dabei wichtige Variationsmöglichkeiten in
allen sprachlichen Bereichen ausprobieren: So können z. B. Wörter zu Sätzen

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D. Förderung und Therapie

zusammengelegt, und wieder verschoben oder wichtige Rechtschreibregeln farbig


markiert werden usw.

Umgekehrt können eingeschränkte Schriftsprachkenntnisse auch den Ausbau


sprachlicher Fertigkeiten negativ beeinflussen (Dannenbauer, 2002), sodass die
Förderung von Schriftsprache als zusätzliche Hilfe zur Kompensation sprachlicher
Defizite betrachtet werden kann.

Man nimmt daher an, dass die Schriftsprache und die gesprochene Sprache im
Sinne der sprachlichen und phonologischen Bewusstheit von einem ge-
meinsamen Sprachverarbeitungssystem abhängig sind (Stackhouse, 2000).
Hinweise dafür fanden sich unter anderem auch in zwei Untersuchungen, in
welchen Kinder, die mit 2,6 Jahren generell reduzierte Sprachfertigkeiten in
Wortschatz, Satzbau, Artikulation und phonologischer Bewusstheit aufwiesen, in
der Grundschule eine Lese-Rechtschreib-Störung (LRS) entwickelten (Stackhouse,
2000; Scarborough, 2001).

Wie wir im ersten Band dieser Buchreihe ausführlich darstellten, ist zum Aufbau
grammatischen Wissens die Fähigkeit notwendig, Worte, Silben und Laute im
Sprachstrom herauszuhören und dann richtig zu interpretieren. Da uns der
Sprachrhythmus Hinweise auf Silben- und Wortgrenzen gibt, ist es wichtig,
auch noch in der Schulzeit ganz gezielt mit SSES- und LRS-Kindern an diesem zu
arbeiten.

Wie schon erwähnt, muss die Entwicklung der lautlichen und sprach-
rhythmischen Wahrnehmung als Grundvoraussetzung für den Sprach- und
Schriftspracherwerb vor allem bei den SSES-Kindern schon im Kleinkindesalter
unterstützt werden. Das Erfassen der Laute und des Wortrhythmus stellt auch die
Grundlage für den Erwerb der grammatischen Regeln dar (Leuninger, 2003),
sodass die Kinder die mündliche und schriftliche Sprache im Unterricht verstehen
und sich selbst - nicht nur in Aufsätzen - richtig und sicher ausdrücken können.
Leider wird in Förderung und Therapie überwiegend an der Rechtschreibung ge-
arbeitet und die erwähnten Grundvoraussetzungen werden häufig außen vor
gelassen.

Wir erwähnten schon an anderer Stelle, dass die Beeinflussung zwischen


Lautsprach- und Schriftspracherwerb wechselseitig verläuft. Die gesprochene
Sprache bildet einerseits eine Basis für das Lesen- und Schreibenlernen, anderer-
seits hat aber auch der Schriftspracherwerb einen fördernden Einfluss auf die
Entwicklung der gesprochenen Sprache. Dies wird im Bereich des Wortschatzes
besonders deutlich: Sobald Kinder Lesen und Schreiben lernen, erweitert sich ihr
mündlicher Wortschatz beachtlich.

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