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Geschichten aus der Realität

© 1989, 1990 Stefan Hinz

Ein nicht ganz gewöhnlicher Balkon

Als Sej die Balkontür öffnete, nieselte es draußen immer noch wie beim letzten
Mal, als er hinausgetreten war. Er stützte die Hände auf die flache Brüstung und
blickte auf das nasse Kopfsteinpflaster der Straße, das die Lichter der
Gaslaternen reflektierte. Ein Laster kam angeschossen und zerriß für eine Weile
die Klangkulisse der Nebenstraße - das ferne Rauschen der
Hauptverkehrsstraße, ein bellender Hund an der Ecke, der versuchte, seinen
angeleinten, betrunkenen Menschen in die richtige Richtung nach Hause zu
ziehen. Der Lastwagen geriet außer Sicht, während seine Bremsleuchten noch
rot auf dem Pflaster schimmerten. Der Hund war um die Ecke verschwunden, wo
er mit seinem Menschen anscheinend eine heftige Diskussion begann, wenn Sej
die Lautäußerungen des Menschen richtig einschätzte. Schon bald darauf waren
sie nicht mehr zu hören, wahrscheinlich hatte der Hund bei diesem Wetter die
besseren Argumente.

Sej fand, daß er das alles schon oft genug gesehen hätte und daß es an der Zeit
wäre, zu verschwinden und etwas Neuem Platz zu machen. Er schaute nach
oben in den stadtnachtgrauen Himmel - eine Farbe, die etwas eigentümlich
Gewöhnliches hat, und die Nässe der Luft legte sich ihm auf die Augen, so daß
er, als er wieder die Fenster des gegenüberliegenden Hauses ansah, diese nur
als verschwommene Lichtflecke wahrnahm. Hinter ihm in der Tür miaute seine
Katze. Sej hockte sich hin, um sie zu streicheln, wobei er den Blick aber nicht
von den Lichtflecken nahm, aus denen allmählich wieder gewöhnliche
Altbaufenster wurden. Er wußte, wo die Katze stehen würde: nämlich mit den
Vorderpfoten auf der Türschwelle, so daß er gar nicht hinsehen brauchte, um sie
zu berühren. Aber heute war etwas anders.

Sej schaute verwundert auf seine Katze hinunter, die ihren Kopf an seinem
rechten Bein rieb und schnurrte. Die Katze haßte gewöhnlich den Lärm der
Straße oder die Kälte des Balkonbodens oder beides und kam deshalb nie
heraus, außer an den wenigen Tagen des Sommers, an denen nachmittags die
Sonne auf die Blumenkästen schien, was sie als Aufforderung ansah, sich auf die
Blumen zu legen und sich den Pelz wärmen zu lassen. Heute nieselte es, und sie
stand hier draußen und schnurrte. Sej nahm sie auf den Arm und drehte sich um,
um hineinzugehen. Er hätte das mit Sicherheit auch gemacht, wenn sich
zwischen dem Balkon und der Wohnung nicht ein fünf Meter breiter Spalt
befunden hätte, der sich rasch vergrößerte. Die Wohnung befand sich in der
vierten Etage, und der Balkon war auf den Erker der darunter liegenden
Wohnung gebaut oder vielmehr: gebaut gewesen. Sej fragte sich, ob es nun in
diese Wohnung hineinregnete. Direkt danach fragte er sich, worauf der Balkon
denn nun stände. Wiederum kurz danach fragte er sich, ob er vielleicht träume.
Andererseits hatte er sicher im Traum im Nieselregen gestanden, aber er konnte
sich nicht erinnern, sich jemals so täuschend echt naß gefühlt zu haben.
Außerdem wurde ihm langsam kalt.

"Nun gut", sagte Sej zu seiner Katze, "ich sollte mir ziemlich bald klar werden, ob
ich das nur träume, sonst werden wir uns erkälten. Was hältst du von der
Sache?"
"Hmmm...", schnurrte die Katze, weil sie noch überlegen mußte. Dann aber grub
sie ihre Krallen in Sejs Pullover, wie sie das immer tat, wenn er sie in einer
fremden Umgebung umhertrug.

Der Balkon hatte mittlerweile die Straße überquert und war dabei unmerklich
höher gestiegen. Nun stand er beinahe auf dem Dach des gegenüberliegenden
Hauses. Sej hielt sich jetzt mit der einen Hand am Gitter fest, das auf die
Balkonbrüstung montiert war, um die Blumenkästen am Herunterfallen zu
hindern, mit dem anderen Arm hielt er noch immer die Katze. Der Balkon
beschleunigte nun merklich und stieg immer höher. Als Sej es wagte, einen Blick
hinter sich zu werfen, konnte er schon fast das gesamte Stadtviertel erkennen:
die drei Hauptstraßen, die die Gegend auseinandertrennten wie geronnene Lava,
auf denen jetzt nur wenige Autos fuhren, den Rathausturm, die große Kirche. Ein
Schauder lief über seinen Rücken. Der Fahrtwind blies ihm den Nieselregen ins
Gesicht wie Gischt an Bord eines Schiffes. Die Katze vergrub ihren Kopf in seiner
Armbeuge und schnurrte nur noch ganz leise.

"Hätte mir jemand gesagt, daß Balkone fliegen können, hätte ich mir heute nicht
nur diesen Kimono angezogen," murmelte Sej vor sich hin. Er war erstaunt
darüber, so wenig erstaunt zu sein, daß er sich mit derartig Trivialem
beschäftigen konnte, während er mit dem vermutlich ersten fliegenden Balkon
der Menschheitsgeschichte auf einer nicht ganz alltäglichen Reise unterwegs
war. Mittlerweile waren die beiden in die niedrighängenden Wolken eingetaucht,
aber nasser konnte es sowieso nicht werden. Durch den immer stärker
werdenden Fahrtwind und die größere Höhe wurde es allerdings empfindlich
kühl. Am Balkongeländer bildeten sich die ersten dünnen Eisschichten. Schräg
vor ihnen erschien urplötzlich ein grelles Licht, und Sej kniff vor Schmerz die
Augen zusammen.

Der folgende Knall war so stark, daß er ihn fast vom Balkon gefegt hätte, doch
dieser raste gleichzeitig in einer scharfen Kurve zurück in die Richtung, aus der
sie kamen, so daß Sej und die Katze gegen die Balkonbrüstung gedrückt
wurden. Der Balkon bremste nun heftig ab, wobei er aber immer noch an Höhe
gewann, und das schneller als zuvor, bis er wie ein Aufzug in den Himmel schoß.
Schließlich zerriß der Wolkenschleier wie ein Vorhang und die Sterne und der
fast volle Mond wurden so plötzlich sichtbar wie in einem 3D Trickfilm, so daß es
Sej schier den Atem verschlug. Der Balkon stieg nun immer langsamer und
vollführte noch einige Drehungen, bis er zum Stillstand kam.

Das überraschende Auftauchen des Sternenhimmels war schon überwältigend


gewesen, aber was Sej nun sah, hätte ihn wirklich von den Socken gehauen,
wenn er welche getragen hätte.

Die Aggregatzustände der Zeit

Nachrichten von Ebene 9, formatiert für Lebensformen bis Ebene 10. Eine
scheinbare Unmöglichkeit ist jetzt nicht mehr ganz so unmöglich. Wie uns
Bewohner eines Cerebralplaneten im System Alpha Centauri mitteilten, ist es
ihnen angeblich gelungen, die auf allen Ausprägungen der Ebenen 10 und
darunter vorliegende Standardsimulation "Zeit" von einem Aggregatzustand in
einen anderen umzuwandeln. Daß diese Simulation überhaupt einen
Aggregatzustand besitze, war bisher von wissenschaftlichen Kreisen unserer
Ebenen kategorisch bestritten worden. Bei den genannten Bewohnern des
Cerebralplaneten handelt es sich (auf Ebene 10) um Virenähnliche, die
verblüffenderweise Radikal Erweiterten Insekten ähnlich sehen.
Die Geschichte selbst eines Staubkorns auf den Ebenen 10 und darunter ist eng
verbunden mit einer Standardsimulation, die von Humanoiden im Sol-System als
"Zeit" bezeichnet wird, allerdings sagen andere dort auch "time" zum selben
Phänomen, wieder andere nennen es "temps", "tiempo" usw., und nur die Worte
aufzuzählen, die auf Ebene 10a (einer Raum-Zeit(!)-Simulation mit einer
Krümmung von 56 Trillionen Lichtjahren) dafür verwendet werden, würde mehr
als ein Buch wie dieses füllen. Eine Bezeichnung sei jedoch erwähnt, weil sie
durch ihre Art einen ganzen Planeten auf die Suche nach den verschiedenen
Aggregatzuständen dieser Simulation schickte: Auf dem Cerebralplaneten
Medulla wurde Zeit nämlich als "Das Fließende" ausgedrückt, was gewisse
virenähnliche Bewohner dieses Planeten veranlaßte, mit dieser Simulation
herumzuexperimentieren, daß es Gott eine Freude gewesen wäre, hätte es ihn
gegeben. Das letztendliche Ergebnis war für die Virenähnlichen eine Sensation;
für einige Programmierer auf Ebene 5 bedeutete es bedauerlicherweise, eine
Wette mit Kollegen auf Ebene 4 verloren zu haben, wofür sie tief in ihre Taschen
greifen mußten, die sich unpraktischerweise zwei kosmische Ebenen unter ihnen
befanden.

Auf Sejs Heimatplaneten im Sol-System hatte es vor dem Auftauchen der


Humanoiden, die sich seitdem rasant über die gesamte Landfläche ausgebreitet
hatten (mit Ausnahme einiger schöner Sonnenplätze, die sie "Wüsten" nannten,
und vieler hoch gelegener Aussichtsplattformen und -spitzen, in ihrer Sprache
"Hochgebirge"), einige hochinteressante Lebensformen gegeben, die sich
(teilweise zu ihrem eigenen Bedauern, teils unter der Anteilnahme fast des
gesamten fühlenden Universums) selbst wieder ausgerottet hatten. Die meisten
waren nicht auf dem Planeten selbst entstanden, sondern von Reisenden der
Ebene 9 zu Versuchszwecken oder zum Spaß ausgesetzt worden. Einige hatten
sich gar selbst eingeschleust, wie z.B. die SAURIER (Superintelligente
AUßerirdische Riesen In Eigentümlichen Rüstungen), die sich einige Milliarden
Planetenumdrehungen damit vergnügt hatten, die Landoberflächen
kahlzufressen, bevor ihnen das zu langweilig wurde und sie unter Hinterlassung
des größten Teils ihrer Körpermasse auf einen nahegelegenen Planeten
desselben Systems übersiedelten, wo sie es dann so toll trieben, daß dieser zum
Schluß in Stücke zersprang, die von den Humanoiden später "Asteroiden"
genannt wurden.

Viele Rassen waren allerdings auch von den Humanoiden verdrängt worden, wie
der Knatschmaulflosser, der einzige bekannte wasserscheue Fisch, der
hauptsächlich in Laubwäldern wohnte. Sein Geistes- und Sozialleben basierte
auf hochempfindlichen Logikschaltkreisen, die denen späterer, von den
Humanoiden "erfundener" Computer sehr ähnlich waren, mit dem Unterschied,
daß die Schaltungen des Knatschmaulflossers Gedankenimpulse verarbeiteten
und nicht elektrische oder optische Signale. Mit der Zunahme humanoider
Gedankenaktivität wurde dem Knatschmaulflosser das Leben zuerst versaut und
im weiteren Verlauf unmöglich gemacht, woraufhin sich die letzten Exemplare ins
Ungewisse auflösten.

Intelligentes Leben auf dem Planeten Erde

Es soll hier nicht der Eindruck entstehen, daß bis zum beziehungsweise mit dem
Auftauchen der Humanoiden sämtliches intelligente Leben von dem Planeten
verschwand.

Zwei Exemplare einer Rasse intelligenten Lebens schwammen in diesem


Augenblick (eine höchst hypothetische Angabe; korrekt müßte es heißen: würden
zu möglichen, programmgleichen Simulationseindrücken als Schwimmende
erschienen sein; aber das verunmöglicht flüssige Schreibweise) direkt vor der
Küste einer Region, die von den Humanoiden Kalifornien genannt wird, und
erfreuten sich am Spiel der untergehenden Sonne mit den kleinen Wellen, die sie
beim Durchbrechen der Wasseroberfläche hervorriefen.

"An Tagen wie heute werde ich immer philosophisch," sagte Ssnfrneingh der
Jüngere und blickte zu Arrgnflrt dem Unbeirrten hinüber, der heute seinen
Geburtstag feierte (er wußte allerdings nicht mehr, den wievielten, da er seit dem
500000. nicht mehr mitgezählt hatte). "Tage wie diese gab es schon, als wir zum
ersten Mal in diesen Planeten eintauchten," fügte er hinzu, "und in manchen
Bereichen scheint sich nichts zu ändern, während es in anderen nie zweimal
denselben Zustand gibt."

"Denkbar wäre," entgegnete Arrgnflrt, "daß sich die Kontinua seit unserem
Eintreffen übereinandergelagert haben, und dass sich durch äußere
Einwirkungen, die wir nicht verstehen, dort in den gestapelten Schichten Brüche
und Risse bilden, die durch ihre Anomalie erst erlauben, Einblicke in diese
Dualzeit zu gewinnen, wie du sie anscheinend hast."

"Wenn es so wäre, hätten wir allerdings keine Möglichkeit mehr, durch rekursive
Spiegelungen entlang der Zeitachse das Geschehen von Anbeginn zu
rekonstruieren," behauptete Ssnfrneingh.

Derart zog sich die Unterhaltung hin, bis die Sonne schon lange im Ozean
verschwunden war. Arrgnflrt und Ssnfrneingh schwammen jetzt knapp unter der
Oberfläche in der großen Bucht, an deren Ufer sich eine der größten
Humanoiden-Siedlungen des Planeten befindet. Nur noch ihre Rückenflossen
ragten aus dem Wasser, während sich ihre Unterhaltung einem höchst
theoretischen Ende zuneigte. Lebensformen ihres Charakters haben eine
ausgesprochene Abneigung gegen letztendliche Schlußfolgerungen, die es ja
unmöglich machen, ein Gespräch mit demselben Thema auf dieselbe Art bis ins
Unendliche weiterzuverfolgen. Daher traf es sich gerade richtig, daß über ihnen
ein defektes Verkehrsflugzeug mit qualmenden Triebwerken zur Bruchlandung
auf dem Wasser ansetzte.

"Die Humanoiden haben eine merkwürdige Einstellung zu ihrer Technik,"


sinnierte Ssnfrneingh, "wenn etwas schiefgeht, glauben sie, das sei ein Fehler,
den man in Zukunft vermeiden kann, selbst wenn es schon tausendmal
schiefgegangen ist."

"Wir sollten uns darüber nicht beklagen," lachte Arrgnflrt (Humanoide würden
beim Anblick dieses Lachens nicht behaupten, daß Lachen unbedingt etwas mit
Humor zu tun hat), "außerdem ist es Zeit, etwas zu essen."

Mit einem gewaltigen Krach landete das Flugzeug gar nicht weit von ihnen auf
dem Wasser, wobei es sofort in zwei Teile auseinanderbrach. Ssnfrneingh drehte
und schwamm gemächlich neben Arrgnflrt her auf die abgestürzte Maschine zu.
"Du hast recht," sagte er, "laß uns Abend essen gehen."

Hightech zum Reinkuscheln

Sej setzte die Katze auf die Balkonbrüstung zwischen zwei Blumenkästen und
hielt sich mit beiden Händen am Gitter fest. Er versuchte, tief Luft zu holen,
zwinkerte ein paarmal heftig mit den Augen und versuchte sich einzureden, daß
er doch nur träume. Die Katze sah ihn an und miaute, machte aber keinen
ängstlichen Eindruck. Was ihn verwunderte, war, daß auch er überhaupt keine
Angst hatte. Unter seinem Balkon war einige tausend Meter nichts, und dennoch
fühlte er sich sicher wie auf festem Boden. Er drehte sich um und nahm das
Objekt, das ihn von den Socken gehauen hätte, wenn er welche getragen hätte,
genauer in Augenschein. Als wäre das das Normalste von der Welt, lag dort eine
kleine weiße Wolke mit allerdings sehr symmetrischen Formen. Sie lag dort wie
ein Schiff, das am Kai des Balkons angelegt hatte. Sej schätzte sie auf drei Meter
Länge und vielleicht knapp zwei Meter Breite.

Die Oberfläche formte einige Dinge, deren Sinn einfach zu erkennen war, und
einiges, was ihm unverständlich blieb. Da waren zwei Sitzkuhlen nebeneinander,
eine große und eine kleine, zwischen denen sich eine Art Tastatur befand mit
Tasten verschiedener Größe und Dicke. Vor den Sitzen befand sich ? schräg
"eingebaut" ? eine Art Monitor, dessen Schirm in einer etwas anderen Farbe als
der Rest schimmerte.

Überhaupt diese Farbe! Die Wolke war aus dem reinsten Wolkenweiß überhaupt,
ohne eine Spur von Regen. Hinter den Sitzen befanden sich Erhöhungen, deren
Sinn er nicht erkennen konnte, und hinter diesen etwas, das der Heckflosse
eines Flugzeugs ähnelte. Diese Flosse war der Teil der Wolke, der am weitesten
herausragte, vielleicht einen knappen Meter vom Boden der Sitze aus gerechnet.
Die Katze war auf den Balkonboden gesprungen und schnupperte vorsichtig an
der Wolke herum. Sej beugte sich herunter und faßte das Gebilde an. Es fühlte
sich unbeschreiblich an: Da war viel mehr als bei einer gewöhnlichen Wolke,
durch die er hindurchgefaßt hätte (dachte er jedenfalls, denn soweit er sich
erinnern konnte, hatte er vorher noch nie eine Wolke berührt). Andererseits war
das Material auch nicht wirklich fest, eher so wie dichte Watte. Auch konnte er
nicht sagen, ob es sich warm oder kalt anfühlte. Insgesamt hatte er den
Eindruck, daß die Bezeichnungen für Tasteindrücke, die er wie alle anderen
Menschen verwendete, einfach nicht ausreichend waren für dieses Gefährt.

Ein Gefährt: Er war sich ganz sicher, daß diese Wolke so etwas war, obwohl er
auch ganz sicher war, so etwas noch nie gesehen zu haben. Die Katze setzte
vorsichtig eine Pfote darauf: Das Material gab ganz leicht nach. Das gleiche
geschah, als Sej mit der Handfläche kräftiger drückte, die Wolke an sich jedoch
bewegte sich überhaupt nicht. Danach beugte er sich hinüber bis zu der Tastatur.
Er zögerte einen Moment, dann drückte er den größten der Knöpfe, den er vom
Balkon aus erreichen konnte. Wie um eine Vorahnung zu bestätigen, erschienen
auf dem Monitor die Worte: "Bitte treten Sie näher!"

Er drückte noch einmal auf den Knopf, und darunter erschien die Nachricht:
"Guten Tag! Was Sie hier vor sich sehen, ist der Prototyp eines neuartigen
Reisesimulators, der auf einer neuentwickelten Design-Philosophie basiert.
Erstmals wurden hier nicht nur sämtliche interstellaren Simulationen implantiert,
sondern auch Zeit-Simulationen, die auf neuesten Erkenntnissen beruhen.
Patente sind bisher für die Ebenen 10 bis 7 angemeldet."

Die Schrift verblaßte, bis sie fast nicht mehr sichtbar war und wurde dann wieder
stärker. Die Nachricht ging weiter: "Zögern Sie nicht einzusteigen. Dies ist, wie
gesagt, ein Prototyp. Wenn Sie ihn nicht ausprobieren möchten, werden wir ihn
in Kürze ins nächstgelegene Sonnensystem lancieren, um ihn dort anzubieten.
Bedenken Sie: Die Fabrikation kann erst im nächsten Zeitgrad aufgenommen
werden. Für Ihren Planeten (hier kamen jetzt die genauen Zeit-Raum-
Koordinaten samt einer atemberaubenden 3D-Grafik) wird dies erst im Jahre
50384 Ihrer Zeitrechnung der Fall sein. Sollten Sie unser Probeangebot aber
annehmen, können Sie den Reisesimulator vorerst bis zum Jahr 2024 Ihrer
Zeitrechnung behalten. Sollten Sie sich danach zum Kauf entscheiden, kann
Ihnen unsere Kreditabteilung günstige Bedingungen anbieten. Sollten Sie auf
den Kauf verzichten, entstehen Ihnen aus der probeweisen Nutzung keinerlei
Verpflichtungen."

Dieser Text blieb auf dem Monitor stehen, und Sej drückte noch einmal auf den
Knopf. Das führte dazu, daß alles jetzt noch einmal akustisch dargeboten wurde,
mit einer sympathischen, säuselnden Stimme, von der man nicht sagen konnte,
ob sie einem Mann oder einer Frau gehörte: "Bitte treten Sie näher! Guten Tag!
Was Sie hier vor sich sehen, ist der Prototyp ..."

Sej hörte nicht lange zu. "Du hältst das vielleicht für feige," sagte er zu der Katze,
"aber ich bin sicher, das nichts Schlimmes passiert."

Er nahm sie hoch und setzte sie auf die Wolke, in die Vertiefung des großen
Sitzes. Sie sah ihn etwas vorwurfsvoll an, lief dann über die Tastatur hinüber und
nahm auf dem kleinen Sitz Platz. Sej setzte einen Fuß auf den großen Sitz,
verlagerte vorsichtig sein Gewicht vom Balkon auf die Wolke und setzte sich
schließlich richtig hin. Zu seiner Überraschung saß man hier sehr angenehm; das
Material paßte sich der Körperform an. Außerdem fühlte er sich jetzt nicht mehr
kalt, obwohl sein Kimono immer noch durchnäßt war. Die Katze saß da und
leckte sich die Pfoten. Sej sah zu ihr hinüber. Sie stoppte mitten in der Bewegung
und sah ihm in die Augen. Sej lachte und lehnte sich zurück.

Mit einem Mal war der Balkon verschwunden. Sej schaute über den Rand der
Wolke hinunter und sah, wie er nach unten raste. Auf dem Monitor erschien die
Mitteilung: "Ihr Aufzug wird jetzt wieder dauerhaft im Erdgeschoß geparkt. Sie
werden ihn wahrscheinlich nicht mehr benötigen."

Sej legte die rechte Hand auf die Tastatur, was den Bildschirm veranlaßte, ihm
mitzuteilen, daß die Wolke jetzt auf ihn kalibriert sei und von nun an die Raum-
Zeit-Koordinaten in bezug auf den Punkt Erde ausgeben werden würden. Er
wagte nicht zu hoffen, auch nur im Entferntesten zu verstehen, was ein
Reisesimulator wäre; dennoch hätte er gerne gewußt, wie das Ding zum Laufen
gebracht werden könnte. Er drückte wieder auf die große Taste.

"Hallo! Sie möchten jetzt sicher losfliegen. Neben der Taste, die Sie gerade
bedient haben, befindet sich ein Hebel, mit dessen Hilfe Sie verschiedene
Menüpunkte ansteuern und aufrufen können. Folgen Sie den Anweisungen, die
ausgegeben werden, und genießen Sie Ihre erste Reise. Proviant, Kleidung und
weitere Dinge, die Sie benötigen werden, befinden sich hinter Ihnen. Stellen Sie
Temperatur, Luftdruck und -feuchtigkeit, Gravitation, Strahlungsgemisch und
-stärke Ihren Wünschen gemäß ein. Eine Standardeinstellung, die die nach
unseren Erkenntnissen optimalen Werte für Ihre Lebensformen enthält, ist bereits
aktiviert."

Die Wette

Nachrichten im Subkanal der Ebenen 4/5: Parameterübertragungen unkontrolliert


impliziert Rückwirkungen in Kontinua-Aspekten ergo kontinuierlich disrelevant.
Damit sollte jetzt dem letzten Programmierer der Subebene 10a klar sein, daß
DIE WETTE verloren ist! Wir bitten, die Begleichung der dadurch entstandenen
Schuld am Buß- und Bettag diesen Jahres vorzunehmen. Haha! Huhu. Hehehe!
Höhöhöh. Hihi.

Das extramaristrische Spektroskop

Arrgnflrt der Unbeirrte war ein verfressenes Tier, wie er selbst nicht ohne Stolz
zugab. Dennoch hatte das Angebot an Abendessen an diesem Tag trotz der Hilfe
einiger Dutzend Artgenossen, die schleunigst herbeigekommen waren, sein
Können bei Weitem übertroffen. Das havarierte Flugzeug hatte sich wieder
einmal als eine vollbesetzte Boeing 747 herausgestellt, und Arrgnflrt beschloß
insgeheim, diese Bucht bis auf Weiteres zu meiden, da nichts ihn so sehr
verdrießen konnte wie Essen, das ungefressen wegschwamm.

Auch den anderen quollen vor Sattheit schon fast die kleinen Augen aus den
feisten silbrigen Körpern, und es war klar: Da man heute schon mal versammelt
war und außer Entspannen nicht mehr viel drin war, würde früher oder später
wieder eine hochphilosophische Diskussion entbrennen, auf die Arrgnflrt an
diesem Abend überhaupt keine Lust mehr hatte.

Überhaupt hatte er sich in der letzten Zeit (eine Spanne, die die Humanoiden mit
"während der letzten Jahrtausende" bezeichnet hätten) ganz schön verändert,
wie er meinte. Hatte er früher noch jahrelang am Stück über ein einziges Thema
plaudern können, so war er heute meist nach ein paar Monaten ziemlich
gelangweilt. Auch fühlte er sich von Zeit zu Zeit müde, was ihn anfangs reichlich
erschreckt hatte. Zwar hatte er in der letzten halben Million Jahre nicht
geschlafen, aber das war für Angehörige seiner Rasse normal. Wenn einer von
ihnen mal schlief, dann nur, weil er keine andere Chance mehr sah, verrückt zu
werden, und es partout nicht mehr aushielt, normal zu sein. Arrgnflrt hatte es am
Anfang seiner jetzigen Existenz aus Neugier ausprobiert und hegte seitdem
einen tiefen Abscheu gegenüber Lebensformen, die regelmäßig schliefen, was
auf diesem Planeten merkwürdigerweise fast alle waren.

(Diese Tatsache ist tatsächlich merkwürdig, denn das Phänomen Schlaf ist im
übrigen Universum nichts weiter als ein Kuriosum, das allenfalls in billigen
Ratespielen, Boulevardzeitungen und vereinzelt auf entlegenen Planeten zu
finden ist. Die Attraktion von Lea Ulterior ist der Faltige Schnurzpiep, der seit
mehreren Jahrtausenden in einem Glaskasten schläft, wobei er durch eine
Batterie von Schläuchen künstlich ernährt wird. Böse Zungen behaupten, daß
sein Schlafzustand schon seit Langem chemisch verlängert wird, aber die Lea-
Ulterioraner streiten das natürlich energisch ab. Eine Filmfirma, die viel Geld
dafür bezahlt, die Gedankenströme des Schnurzpiep ableiten zu dürfen, um
daraus Drehbuchvorlagen für Nachmittags-Kinderserien herzustellen, legte
neulich sogar ein Gutachten eines Schlafschutzvereins vor, das beweisen soll,
daß der Schlaf des Schnurzpiep völlig natürlich ist.)

Arrgnflrt hatte auch herausgefunden, daß die Neigung zu schlafen etwas mit der
Neigung zu sterben zu tun hatte. Deshalb wunderte er sich, daß die vielen
Humanoiden, die versuchten, ihre Neigung zu sterben abzuschaffen oder doch
hinauszuzögern, nicht versuchten, ihre Neigung zu schlafen zu verändern. Dabei
hatten sie doch trotz ihrer minimalen Intelligenz vor Kurzem bereits erkannt, daß
- wie sie sich ausdrückten - der Schlaf der Bruder des Todes sei. Nun, für
Arrgnflrt war es natürlich unmöglich, sich in so niedrige Lebensformen
hineinzuversetzen; aber manchmal reizte ihn das schon, weil er dann vielleicht
etwas mehr über seine eigene Müdigkeit dazugelernt hätte. "Leider", so sinnierte
er, "schließt die Evolution die Türen zur Rückentwicklung..."

Arrgnflrt war einige Zeit in ziemlich schnellem Tempo südwärts geschwommen,


um seine diskussionsfreudigen Artgenossen abzuwimmeln, jetzt schwamm er
eher gemächlich gegen den sanften kühlen Strom, der um diese Jahreszeit die
gesamte Küste dieses Kontinents entlangstrich. Hin und wieder begegnete er
großen Fischschwärmen, die bei seinem Anblick hastig abbogen oder
auseinanderstoben, aber Arrgnflrt achtete nur darauf, keinem Artgenossen über
den Weg zu schwimmen, weil er in Ruhe seinen Gedanken nachhängen wollte.
Sein Hunger war ohnehin für ein paar Tage gesättigt, und die Pflanzengewebe
und Tierhäute, die die Humanoiden sich über ihre Haut zu hängen pflegten,
waren ziemlich schwer verdaulich.

Arrgnflrt hing noch einige Tage seinen Gedanken nach (für die ein humanoider
Philosoph vermutlich sein Leben gegeben hätte, wenn er sie nur hätte hören
können), bis er schließlich einen Entschluß faßte: Er würde auf dem schnellsten
Wege zum extramaristischen Spektroskop schwimmen, das seit etlichen
Jahrhunderttausenden in einem vergleichsweise ruhigen Meeresarm aufgestellt
war, den die Humanoiden Ägäis nannten (in Arrgnflrts Sprache hieß dieser Teil
des Ozeans Sflng Krzm Krzn Pflpfl, was nicht nur in Kurzform durchschnittliche
Tiefe, Salzgehalt, Strahlungsaktivität und andere wissenswerte Parameter dieses
Seitenmeeres angab, sondern auch einige Anekdoten und Legenden aus den
Zeiten beinhaltete, in denen dieses Meer trockenes Land gewesen war).

Das extramaristische Spektroskop war von den ersten Ankömmlingen von


Arrgnflrts Rasse ursprünglich in einem pazifischen Graben aufgestellt worden;
dort war es jedoch von pazifischen Tiefseeröchlern, den einzigen Fischen mit
meßbarer Intelligenz, als eine Art Kino mißbraucht worden, und war daher
irgendwann einmal nach Sflng Krzm Krzn Pflpfl geschafft worden, wo es nur ein
paar hundert Meter unter der Oberfläche stand (und damit zu hoch und auch zu
weit entfernt für die Tiefseeröchler, die seitdem die pazifischen Gräben mit
ziemlich barbarischen Spielen terrorisierten, auf die aus Gründen der Ästhetik
nicht weiter eingegangen werden soll).

Für ein humanoides Gehirn wäre das extramaristische Spektroskop tatsächlich


eine Art Kino gewesen (wenn das humanoide Gehirn etwa fünfmal schwerer und
das Kino vierdimensional gewesen wäre). In ihm waren alle Erkenntnisse des
belebten Universums seit dem Urknall und bis zum Endplumps in komprimierter
Wellenform aufgezeichnet. Äußerlich bestand es aus einer Anzahl Metallringe,
die im Abstand von einigen Metern in unterschiedlicher Höhe und Ausrichtung
aufgestellt waren und fast gleiche Durchmesser hatten. Dieser Durchmesser war
schwer zu schätzen, da die Ringe ein irisierendes Flirren von sich gaben, was es
zusammen mit der ständigen Bewegung des Wassers in ihrer Nähe sogar
schwierig machte, ihren genauen Standort zu bestimmen.

Nichtintelligente Lebensformen wurden durch sie gewöhnlich so stark


verunsichert, daß sie es vorzogen, die Metallringe überhaupt nicht zu bemerken.
Mit den Eindrücken im Unterbewußtsein konnte man sich schließlich im Schlaf
beschäftigen... Arrgnflrts Rasse nutzte das Spektroskop fast nur noch in
Augenblicken des Zweifels und wenn einer Schwierigkeiten hatte, sich zu
irgendetwas zu entscheiden (dafür war es besonders vorteilhaft, denn wenn man
mal wieder gesehen hatte, was für Schwierigkeiten das Universum gewöhnlich
hatte, sich zu entscheiden, fühlte man sich irgendwie gestärkt). Und genau daran
dachte Arrgnflrt, während er, jetzt wieder mit höherer Geschwindigkeit, an Baja
California vorbeizog, in Richtung der Einöden vor der südamerikanischen Küste,
und in Richtung des riesigen Strudels, der sich einige Wochen im Jahr vor dem
antarktischen Kontinent bildete (und von dem die Humanoiden bisher
merkwürdigerweise nichts bemerkt hatten, mit Ausnahme derer, die darin
untergegangen waren), in Richtung eines Naturphänomens also, das selbst für
Arrgnflrt gefährlich werden konnte, und an das er, da er schon wieder in
Gedanken versunken war, überhaupt nicht dachte.

Fahren lernen

Sej spielte eine Weile auf dem Bildschirm herum. Die Informationen, die dort
erschienen, und die phantastischen Möglichkeiten, die dort angedeutet waren (in
Wirklichkeit war das der eher trockene Ebene-10a-Standard nach der ESN C2-
007), brachten ihn in eine Art euphorischen Rauschzustand. Daher dachte er
vorerst gar nicht daran, sich für irgend etwas zu entscheiden, sondern ließ sich
von einer Menüleiste in den nächsten Unterordner und eine weitere Menüleiste
von etwas, das ein Unterprogramm zu sein schien, in eine dreidimensionale
Farbgrafik hineintragen, die Walt Disney's Trickfilmexperten als blasse Stümper
hätte dastehen lassen. Der Effekt war dermaßen überzeugend, dap Sej sogar
versuchte, in den Monitor hineinzufassen, was zu seiner Überraschung möglich
war: Er konnte den momentan dargestellten Planeten (die ätherische Version
eines Gasplaneten am Rande der 10a-Ebene) mit den Fingern berühren, seine
Konsistenz ertasten, fühlen, wie kalt er war, ihn drehen und sogar eindellen
(hätte er sich bereits besser mit Simulationen ausgekannt, hätte er auch mit dem
Planeten sprechen können). Er konnte auf bestimmte Punkte zeigen und dazu
wiederum Menüleisten aufrufen, die andere Grafiken vor, hinter, oder, fast
durchsichtig, in den Monitor stellten, und er war so fasziniert von diesen
Möglichkeiten, daß er erst wieder daraus auftauchte, als seine Katze miaute.

Sej schaltete die diversen Grafiken und schriftlichen Informationen mit einem
Tastendruck ab und kraulte die Katze hinter den Ohren. "Wollen wir mal sehen,
was der Schlitten sonst noch so kann?" fragte er sie, und sie gab ein Miauen von
sich, das Zustimmung andeuten sollte. Sej schaltete den Monitor wieder ein und
ging auf "Run", was bewirkte, daß ihm eine verwirrende Anzahl von Optionen zur
Steuerung der Wolke angeboten wurde. Er wählte "Handsteuerung" und klickte
bei "Mit wieviel Händen? Eins/zwei/drei/vier/Anzahl frei und stufenlos einstellbar"
"eine Hand" an, dann aktivierte er noch vorsichtshalber die "Anfängerstufe mit
zugeschalteten Hilfsprogrammen".

Jetzt erschien an der Stelle der Tastatur ein Schalthebel, der nichts ähnlich sah,
was man auf der Erde einsetzte, um Maschinen zu bedienen: Es war ein Griff in
der Form eines platten, umgedrehten U, der entlang einer Achse vor und zurück
bewegt werden konnte, wobei man den ganzen Teller, auf den er montiert war,
auch drehen sowie nach vorn und hinten kippen konnte. Trotz dieser vielen
Freiheitsgrade konnte man komfortabel damit umgehen, da sich der Gegendruck
genau den beabsichtigten Aktionen anpaßte, so daß man beispielsweise in einer
Rechtskurve nicht zu weit oder zu schnell nach rechts drehte. Ein Drücken des
U-Griffs nach vorn bewirkte Beschleunigung, je stärker, desto schneller. Genauso
bewirkte ein Zurückziehen Abbremsung. Das Kippen des Tellers führte zu
veränderter Flughöhe.

Sej war noch damit beschäftigt, vorsichtig die verschiedenen


Steuermöglichkeiten auszuloten, als er vom Monitor gefragt wurde: "In wieviel
Dimensionen möchten Sie reisen? Stufenlos einstellbar von 0 bis 5,3." Sej stellte
fürs Erste auf 3,0, was aber zu einem ziemlich verrückten Gehopse führte, wobei
immer nur ganz kurz die merkwürdigsten Umgebungen zu sehen waren, bis Sej
die Zeit in den Sinn kam und er auf 4,0 erhöhte, was ihn wieder in die gewohnte
Umgebung zurückbrachte. Ganz vorsichtig erhöhte er dann auf 4,1. Nichts
schien sich zu verändern, auch nicht, als er bis auf 4,3 hochgeschaltet hatte.
Dann aber, bei etwa 4,5, passierte etwas Komisches: Wenn man die Zeit hören
könnte, Sej hätte geschworen, daß sie gerade gedonnert hätte. Dann war
plötzlich der Steuergriff verschwunden, und er wurde durch eine unglaublich
starke Beschleunigung in den Sitz gepreßt. Er konnte gerade noch den Kopf
drehen und sah, daß die Katze die Ohren angelegt hatte und sich so tief es ging
in ihren Sitz drückte. Dann verschwanden die Wolken unter ihnen, die Sterne und
der Mond waren wie weggewischt, und sie zischten mit immer noch
zunehmender Geschwindigkeit durch ein vorbeirasendes schwarzes Nichts.
Dimensionsreisen für Anfänger

In der Allgemeinen Enzyklopädie der Ebene 10a, die auf allen bewohnten
Planeten von einiger Bedeutung öffentlich - meist in optisch oder magnetisch
gespeicherter Form - ausliegt, steht unter dem Stichwort 'Dimensionsreisen' und
nach Anwählen von 'Kurzinformation' folgendes: "Für Lebensformen unserer
Ebene (und wahrscheinlich auch für die der -b und -c-Ebenen) ist abzuraten von:

a) Dimensionsmischungen mit einer Gesamtsumme größer als 10,

b) Einzeldimensionen jenseits von 4,5 ohne Erfahrungen in xenophiler


Tiefenhypnose,

c) Einzeldimensionen jenseits von 5,3 ohne eine Intelligenz, die mindestens 4,84
mal 10 hoch 953 Synapsen von Humanoiden oder Insektoiden der Kategorie C4-
121-c nach ESN entspricht,

d) das Betreten negativer Dimensionen ohne Jagdschein.

Das Wort 'Reisen' erweckt bei vielen minderbemittelten Organismen einen


falschen Eindruck: Die Sinneseindrücke sind meist eher schwach, und wenn sie
stark sind, eher exotisch. So gefährlich das Dimensionsreisen für Neulinge ist, so
gering sind allerdings auch die Chancen, dabei völlig zu verschwinden: Bis zum
Endplumps sollen nur genau 1343 Individuen, 42 Duuduen, 3,1415 Triglomerate
sowie eine 'unerkleckliche' Anzahl siebenköpfiger Säbelfußschnecken
verschwunden sein. Da diese Angaben jedoch von einem Individuum stammen
(genauer gesagt: stammen werden), das in der Zukunft verschollen ist, müssen
sie mit einiger Skepsis betrachtet werden.

Schlimmer ist schon, daß man sich dabei sämtliche bekannten chronischen
Krankheiten mit Ausnahme von Geschlechtskrankheiten (wegen der
Geschwindigkeit) und rheumatischen Erkrankungen der Fühler (wegen gewisser,
nicht erklärter Desensibilisierungen) zuziehen kann. Was Dimensionsreisen nun
genau ist, kann aus Zeit- und Kostengründen nur in unserer 4,2-dimensionalen
Ausgabe erläutert werden."

Simulationsparameter, die eine Übernahme in eine andere Dimension erlauben,


sollten vorher auf Konsistenz überprüft werden... Andernfalls sind oft krasse
Nebenwirkungen nicht auszuschließen", erklärt die Allgemeine Enzyklopädie der
Ebene 10a. "Idioten, die ohne einen blassen Schimmer in den Submodulen
rumhüpfen, brauchen vor dem Verlust ihres bißchen Existenz nicht besonders
geschützt zu werden." donnert Der Moralische Leitfaden für den Ebene-5-
Programmierer zum gleichen Thema, der immerhin so imposant klingende
Themen wie "Das Für und Wider der Implementierung der 10 Gebote im Sub-
Submodul-10a-Sol-III-Menüpunkt:Frühzeit/hum-x2" drauf hat. Für wirklich
Gläubige kann noch hinzugefügt werden, daß Gott selbst - kryptisch wie immer -
zu diesem Thema bemerkt haben soll: "Ich bin in vielen Dimensionen zu Hause."
Bitte erwarten Sie hier keine Erklärung.

Zurück in der Zukunft

Sej fühlte ein Zittern durch die Wolke gehen. Er starrte auf den Monitor, auf dem
jetzt ein zehnstelliges Zählwerk rasant vorwärts zählte. Die Geschwindigkeit
verlangsamte sich jedoch, so daß er auf der ersten Stelle die einzelnen Ziffern
erkennen konnte. Einige kamen ihm bekannt vor, da sie den arabischen
Zahlzeichen stark ähnelten, andere sahen Buchstaben ähnlich. Das Zählwerk
verblaßte schließlich und machte einem Zeiger Platz, der eine Weile um eine
Stelle der Skala herumzitterte, die jetzt immer schärfer zu sehen war, bis er
schließlich dort hängenblieb.

Jetzt war auch das Gefühl von Bewegung vorbei, das Sej gehabt hatte, seit die
Wolke ihre Reise durch die Dimensionen angetreten hatte. Der Zeiger zeigte auf
eine Zahl, die jetzt für ihn lesbar dargestellt wurde: 2222. Eine Jahreszahl? Er
hangelte sich mit Hilfe der Tastatur, die gerade wieder aufgetaucht war, durch die
Menüs, und fand heraus, daß er wieder im 4,0-dimensionalen Raum gelandet
war (er dankte den Steuerungs-Hilfsprogrammen für die Null hinter dem Komma)
und daß 2222 das Jahr nach seiner gewohnten Zeitrechnung angab. Genau
gesagt war heute der 22. Februar dieses Jahres, was vielleicht ein skurriler Zufall
war.

Der dreidimensionale Raum dagegen war in etwa der gleiche geblieben; Sej, die
Katze und die Wolke befanden sich etwa fünf Kilometer über der Oberfläche des
Planeten Erde, unter ihnen lag ein ausgedehntes Wolkenfeld, so daß man davon
ausgehen konnte, wieder am selben geographischen Punkt der Erdoberfläche
gelandet zu sein.

Bevor er mit dem Abstieg begann, wollte Sej sicher gehen, diesmal solange in
einer bestimmten Dimension zu bleiben, wie er wollte, und teilte das dem Monitor
mit, so gut er konnte. Glücklicherweise schien nicht nur er über das System zu
lernen, sondern auch das System über ihn, so daß ihm der Monitor und das
Tastenfeld nach so kurzer Zeit schon wie alte Bekannte vorkamen.

Die Katze streckte die Tatzen vor, drückte den Rücken durch und gähnte,
offensichtlich hatte sie der Dimensionssprung nicht nachhaltig beeindruckt. Mit
einem Satz war sie über den Tasten auf Sejs Schoß, guckte ihm in die Augen
und legte sich hin.

Sej streichelte sie und dachte darüber nach, was für eine merkwürdige Stunde er
gerade hinter sich hatte (wenn nach dem Dimensionssprung eine solche
Zeiteinteilung noch angebracht war). Vor einer (subjektiven) Stunde war sein
Weltbild noch einigermaßen anders gewesen, irgendwie fester. Materie hatte für
ihn immer Wirklichkeit, Sicherheit bedeutet, und fast alles hatte aus Materie
bestanden: Die Menschen, die er kannte, die Straßen, die Autos, selbst
'unwirklichere' Dinge wie Lärm waren immer noch letztendlich von materiellen
Dingen verursacht worden. Auch die Illusionen, Kino, Musik, Fernsehen, waren
real, wenn man die materiellen Dinge kannte, durch die sie verursacht wurden:
die Kameras, in den Kameras die Mikroprozessoren, die geätzten
Siliziumscheiben unterm Elektronenmikroskop... Jetzt war diese Realität wie
selbstverständlich von etwas abgelöst worden, was einem Traum sehr ähnlich
war, und Sej wunderte sich, daß er nicht so etwas wie einen 'Kulturschock'
erlitten hatte. Den würde er wohl bekommen, wenn er die Welt dreißig Jahre,
nachdem er sie vor einer Stunde verlassen hatte, wieder betreten würde. Er
hatte früher schon viel über Zeitreisen spekuliert, sie aber letztlich als Illusionen
abgetan. Was könnte man wohl tun, wenn man in der Zukunft war? Konnte man
vielleicht nur als Zuschauer am Geschehen teilnehmen, konnte man wie ein
Geist darauf einwirken, der seinen Willen nur höchst subtil mitteilen kann? In
welche Richtungen konnte man die gewohnte Zeitschiene verlassen? War die
abendländische Vorstellung von Zeit vielleicht nur eine weitere Verschleierung
eines ziemlich komplizierten Phänomens?

Tatsache war, daß die Menschen viel über die Zeit herausgefunden hatten, und
seit fast einem Jahrhundert wußten sie sogar schon, daß sie gekrümmt war und
nicht gerade wie der Zeitpfeil der Alten, wenn sich das auch kein Mensch
vorstellen konnte, ohne gleich in die Abstraktionen der höheren Mathematik
abzuschweifen. Verwirrend war, daß es da ein Ding gab, über dessen
Funktionieren man ziemlich gut Bescheid wußte, ohne auch nur vage sagen zu
können, was für ein Ding das überhaupt war. Und jetzt hatte dieses Ding Sej
gezeigt, daß es als Sache existierte und sich verändern konnte wie jedes Ding,
das er zur Realität zählte. Er hatte es beinahe hören können. Wie auch immer,
jetzt war er mit seiner Katze in einem Kontinuum, das er noch vor kurzem als
'ferne Zukunft' bezeichnet hatte und war immer noch am zweifeln, ob er den
Abstieg wagen sollte. Hier oben war alles immer noch eine Möglichkeit, eine
Anzeige auf einem Monitor. Unter den Wolken würde diese Möglichkeit der
sicheren Realität Platz machen, und er wußte nicht, ob er das wirklich wollte.

Zuerst konnte er ja noch das Wolkenschiff ein bißchen inspizieren. Er öffnete den
Gepäckraum hinter den Sitzen: Als er gegen die Erhöhung drückte, zog sie sich
zurück wie das Faltdach eines Autos und gab den Blick frei auf mehrere
handliche Boxen aus demselben Material wie die Wolke. Bei Berührung öffneten
sich deren Deckel. Das sah aus, als ob die Deckel wegschmelzen und in die
verbleibenden Gehäusereste laufen würden. Sej tat der Katze einen ganzen
Batzen von etwas, das wie Hackfleisch aussah, auf eine Art flachen Teller, und
nahm sich dann selbst etwas, das bei unvoreingenommener Betrachtung ein
Schinkensandwich hätte sein können. Zu seiner Überraschung schmeckte es
auch so. Dazu trank er ein Bier einer Marke, die er nicht kannte (eigentlich war
das kein Bier, aber es schmeckte wie ein hervorragendes Pils; in Wirklichkeit war
es Quellwasser von Delta Centauri Beta, was in dieser Galaxis auf den meisten
zivilisierten Planeten hochgeschätzt wird), aus einer umweltschonenden Flasche,
die sich, nachdem er sie über Bord geworfen hatte, aufzulösen begann, bevor sie
außer Sichtweite geriet, und es klingt hoffentlich nicht unglaubwürdig, wenn hier
berichtet wird, dass sie nach oben fiel ...

Mittlerweile hatte auch die Katze ihr Fleisch bis auf den letzten Krümel
verschlungen und den Teller saubergeleckt (vielleicht hätte sie das Fleisch
weniger enthusiastisch gefressen, wenn sie gewußt hätte, daß es eigentlich aus
arkturanischen Ringelwürmern bestand, die obendrein noch lebendig waren,
aber stillgehalten hatten, weil sie durch eine Laune der Natur gezwungen waren,
sich fressen zu lassen, wenn sie sich vermehren wollten (und nichts taten sie
lieber), da ihre Anzahl nie tausend Individuuen (bzw. fünfhundert Duuduen
während des Vermehrungsaktes) pro galaktischem Morgen überschreiten
konnte). "Jetzt oder nie," hätte Sej früher gesagt, aber ihm fiel jetzt keine
angemessene Definition für "nie" mehr ein. Er packte den Teller in eine der
Boxen und wartete, bis sich diese und der Gepäckraum wieder geschlossen
hatten. Dann versicherte er sich noch einmal, daß sein Fahrzeug wie eine Art
hochentwickeltes Flugzeug funktionieren würde und nicht wie eine Zeitschleuder
oder was es sonst noch so drauf hatte, und begann er den Abstieg.

Mit dem Ich auf du und du

Duuduen (Definition in der Allgemeinen Enzyklopädie): von Du (Deklination:


duner, dunus, dung, dumm, dumm). Bezeichnung für einen speziellen
Existenzzustand einiger Lebensformen unserer Ebene (auf anderen Ebenen
wurden Duuduen ethnisch verfolgt und sollen angeblich völlig ausgerottet sein).
Unterschieden wird in zeitweiliges Duuduum (Duuduum = Vorhandensein von
Duuduen), hauptsächlich zum Zweck der Vermehrung, und permanentes
Duuduum, dies hauptsächlich aus Freude an schlechtem Geschmack oder aus
schierer Not. Sollte Letzteres auf Sie zutreffen, so können ihnen möglicherweise
karitative Organisationen helfen, die in den Slumgebieten der meisten
zivilisierten Planeten anzutreffen sind - vorausgesetzt, Sie können sich mit deren
brutalen religiösen Wahnvorstellungen anfreunden.

Gesellschaftsspiele

Seine Freunde waren zwar heute ganz besonders schweigsam, dennoch genoß
es Titus, wieder einmal unter Menschen zu sein. Titus war Programmierer und
einer der wenigen Spezialisten, die sich mit SIXTHSENSE 2.0 auskannten, einer
Anwendung, die es erlaubte, hyperrationale Datenbanksysteme mit Hilfe von
ADATALK, einer sehr verbreiteten Programmiersprache, zu bearbeiten. Titus war
einer der Handvoll Leute gewesen, die SIXTHSENSE konzipiert hatten; und wie
die anderen der Gruppe rechnete er fest mit einem der nächsten Nobelpreise für
Nichtlineare Informatik. Wie beinahe immer, wenn er und seine Freunde sich
trafen, spielten sie GAME.S.WITCH, das seit über drei Jahren die Hitliste der
elektronischen Freizeitvergnügungen anführte.

Sie spielten zu dritt, und Michael war am Zug. Auf dem Pseudo-3D-Monitor, der
wie eine halbrunde Projektionswand aussah, in deren Center die drei in
gemütlichen schwarzen Kunstledersesseln saßen, rollte der elektronische Würfel
größer werdend in die Bildmitte. Der Zufallsgenerator hatte Michael mit einer 14
bedacht. Er verzog das Gesicht ohne eine Lautäußerung und rückte seinen
elektronischen Spielstein mit der Redisc 14 Felder weiter. Percy, der ihn
beobachtet hatte, zeigte fast so etwas wie ein Lächeln. Die Runde würde heute
mit fast 90%iger Wahrscheinlichkeit an ihn gesehen, wie er befriedigt dem
Display seiner Redisc entnahm. Am liebsten hätte er den anderen das verkündet,
aber er fand Sprechen allgemein 'definitiv indiskret'(Titus, der älter war als Percy,
meinte, 'Quatschen sei uncool').

Michael war auf Haunted House gelandet und öffnete das erste Bild. Sein Blick
wurde starr wie üblich, als er sich zurücklehnte und in die Projektionen rutschte.
Das Einzige, woran man in den nächsten Minuten erkennen konnte, daß er noch
bei Bewußtsein war, war sein unaufhörliches Schalten mit der Redisc. Seine
Augenlider klappten nicht ein einziges Mal, aber wenigstens seine Finger
bewegten sich. Für den Spieler, der gerade dran war, stellte sich das Spiel durch
Rückkopplungen auf seine Redisc, die magnetisch auf das Nervensystem
einwirkten, fast wie die Realität dar (THE GAME, die GAME.S.WITCH vertrieben,
gaben einen Overlap von sensationellen 98% an), während es für die Mitspieler
eher wie ein Spielfilm war. Kids, die versucht hatten, diese Funktion zu cracken,
um für alle Spieler den gleichen hohen Overlap zu erzielen, waren, wenn es
ihnen geglückt war, zumeist mit ihren bedauernswerten Mitspielern in den
staatlichen Irrenanstalten gelandet, woraufhin THE GAME gezwungen wurden,
extrem komplizierte (und extrem teure) Sicherheitsvorkehrungen einzubauen.
Aber es gab immer noch das Problem der Kopien gecrackter Spiele, die auf dem
Schwarzmarkt waren, und von dort für den Nachschub frischer Mädhäusler
sorgten.

Titus zündete sich eine Zigarette an. Während er Michaels Spiel zusah, dachte er
an seinen letzten verrückten Soloeinsatz auf N-LAB 2010-09, einer Raumstation,
die geostationär 20000 Meilen über der Mondoberfläche stand. Es handelte sich
um eine eher kleine Verwaltungsstation, die die Flugkoordination US-
amerikanischer Lastfähren zur Aufgabe hatte, die vom Mond zur Erde flogen,
beladen mit Rohstoffen, oder zu anderen Raumstationen, oder (seltener) zum
Mars. N-LAB 2010-09 hatte eine Besatzung von 5 Leuten (oder vielmehr: hatte
eine Besatzung gehabt), und lief wie die meisten Stationen autonom gesteuert.
Diese Steuerung hatte in einem Anfall von Hyperlogik das Luftgemisch der
Station derart kostengünstig optimiert, daß die Besatzung knapp zwei Stunden
später tot war. Titus' Job war es nun gewesen, dem neuronalen Computer
schonend beizubringen, daß er einen schwerwiegenden Fehler gemacht hatte,
und herauszufinden, wie um alles im Weltall die Maschine auf den Gedanken
gekommen war, an Systemen herumzumanipulieren, die fest eingestellt und mit
dem Vermerk "NIEMALS ÄNDERN" versehen waren.

Diese Arbeit hatte ihn unerwartet volle fünf Wochen auf der Station festgehalten,
da der Neuronalrechner nach Titus' Mitteilung dermaßen beleidigt war, daß er
sich weigerte, sich softwaremäßig über Funk ansteuern zu lassen. Titus sah sich
gezwungen, Teile des Rechners abzuschalten, und von da an war es klar, daß er
wenigstens bis zur Grundlösung des Problems auf der Station würde bleiben
müssen. Bis er die Luftversorgung und die anderen Lebenserhaltungssysteme
wieder in Ordnung gebracht hatte und sicher war, daß sie diesmal dem Zugriff
der Maschine entzogen waren, hatte er zu allem Überfluß im Raumanzug
arbeiten und schlafen müssen. Aus Kostengründen waren die Leichen der
Besatzung erst drei Tage nach seiner Ankunft (er war mit seinem privaten Gleiter
hingeflogen) von einem planmäßigen Personaltransporter abgeholt worden, und
obwohl Titus nicht abergläubisch war und er sie alle in eine Mannschaftskabine
gestopft hatte (da die Leichenstarre eingetreten war, eine unschöne
Angelegenheit), hatte ihn ein Vorfall in der ersten 'Nacht' (als was er seine
Schlafzeit etwas unpassend bezeichnete) einigermaßen aus der Ruhe gebracht.

Er war gerade eingedöst, als er von einem knarrenden Geräusch geweckt wurde.
Das Glas seines Helmes war etwas beschlagen, und das Surren des Lüfters, den
er anschaltete, machte für einen Moment die Wahrnehmung von Außenlauten
unmöglich. Dann aber hörte er dasselbe Knarren wieder, und es kam eindeutig
aus der Kabine, wo er die Toten gestapelt hatte. Kurzentschlossen ging Titus
dorthin und öffnete die Tür. Bei dem Anblick zuckte er zusammen, ein würgendes
Gefühl umklammerte seine Kehle und er fiel flach nach hinten um. Er mußte für
einen Moment das Bewußtsein verloren haben, und als er wieder zur Tür sah,
war er froh, schon am Boden zu sein: Eine Leiche hatte sich aufgesetzt und
starrte ihn aus aufgerissenen Augen an. Titus Arme und Beine fingen an,
unkontrolliert zu zittern.

Als eine Weile nichts weiter passiert war, nahm Titus allen Mut zusammen und
trat mit einem Bein gegen die Tür, um sie zu schließen. Sie knallte auch in den
Rahmen, wurde aber sofort wieder geöffnet, und zwar durch die Leiche, die nach
vorn gekippt und gegen die Tür gefallen war. Der Tote, der als oberster auf den
anderen gelegen (oder vielmehr gesessen) hatte, machte einen merkwürdigen
Purzelbaum aus der Tür heraus, knallte mit dem Kopf zuerst auf den Boden und
blieb dort so liegen, als hätte man einen im Sitzen Erfrorenen nach vorn gekippt.
Sein Kopf war jetzt direkt vor Titus' Helm, aber diesmal war Titus im
Handumdrehen auf den Beinen und rannte, so schnell er konnte, zum
VideoTerminal. Als er sich umdrehte, bemerkte er keine Veränderung der
Szenerie. Wenigstens schienen die Leichen ihn nicht zu verfolgen.

Nach einigen Gesprächen über Spacewatch, den interplanetarischen Kanal, mit


desinteressierten Technikern, nach jeder Menge Flüchen und Beschimpfungen,
die ihm wieder etwas Mut machten, gelang es ihm, mit einem kompetenten
Menschen Kontakt aufzunehmen. Der nette ältere Mann war Psychologe und
Mediziner und erklärte ihm vollkommen ruhig, daß das, was Titus eben erlebt
hatte, eine völlig normale Erscheinung sei, die durch Zersetzungsprozesse in der
Leiche hervorgerufen wäre. Am Ende des Gesprächs brachte Titus es sogar
fertig, den Toten wieder in die Kabine zurückzustopfen und die Tür sorgfältig zu
verriegeln. Der Psychologe hatte ihm die Nummer von RENT-A-PSYCH
gegeben, und den Rest der Nacht verbrachte Titus damit, sich von einem
Psychologen vom Krisen-Service detraumatisieren zu lassen, zum horrenden
Stundensatz von $ 2000 plus der Spacewatch-Gebühren.
Den Betrag schlug er natürlich auf die Spesen. Am Ende seines Jobs
präsentierte er der Betreiberfirma des N-LAB eine Rechnung, die dem jungen
coolen Manager der Finanzabteilung schier die Sprache verschlug. Titus konnte
sehen, wie dem Krawattentypen die Tränen in die Augen stiegen, während er
vorrechnete, daß die Firma davon beinahe drei neue Stationen gleicher Größe
im All hätte stationieren lassen können. Titus hatte schulterzuckend darauf
verwiesen, daß sie ja wenigstens keine zusätzlichen Kosten für den
Leichentransport gehabt hätten, und machte sich auf den Weg zu seinen
Freunden.

Titus war so sehr in Gedanken versunken gewesen, daß er jetzt erst bemerkte,
das Michael 'tot' war (oder, um es in der Terminologie von Haunted House
auszudrücken, ein 'sabbernder Untoter' geworden war). Haunted House war eins
der gemeinsten Unterspiele von GAME.S.WITCH, aus dem man kaum eine
Chance hatte, heil herauszukommen. Auf der Suche nach dem Buchstaben 'S'
(ein ganz spezielles 'S', in grün und Sütterlin geschrieben) hatte er den hinteren
Teil der heimgesuchten Hauses betreten, der erstaunlicherweise einem
Bürogebäude der 1940er Jahre ähnlich gesehen hatte, und der in einem völlig
heruntergekommenen Zustand war. Dort war er in eine obere Etage gestiegen
und hatte Zimmer 31 betreten. Er hatte versucht, dort das Licht einzuschalten,
aber die Glühbirnen waren wohl von früheren Besuchern entfernt worden. Er
hatte festgestellt, daß er mit einem Mal einen Topf schwarzer Lackfarbe in der
Hand hatte, was ihm als ein böses Omen erschien. Er hatte das Fenster in der
Ecke des Raums geöffnet und den Farbtopf hinausgeworfen, der in einem
verwilderten Hintergarten aufschlug.

Der Raum war fast leer, und Michael dachte daran, diesen Teil des Hauses
möglichst flott zu verlassen, da ihn ein ungutes Gefühl überkam. Als er die Tür
öffnen wollte, hielt irgend etwas sie zu. Schließlich schaffte er es doch, sie
aufzudrücken, und er rannte in Panik ins Treppenhaus und hinunter in die Etage,
wo er diesen Teil des Hauses betreten hatte. Oder vielmehr bis fast dorthin
hinunter. Auf einem der letzten Treppenabsätze stand eine traurige Gestalt, die
ein bekannter Videodesigner entworfen hatte, dem die Klatschblätter
nachsagten, er befasse sich in seiner Freizeit intensiv mit schwarzer Magie (wie
oft bei Klatsch, zielte das haarscharf neben die Wahrheit: in Wirklichkeit ließ er
sich seine krankhaften magischen Experimente von THE GAME fürstlich als
Arbeitszeit entlohnen).

Die Gestalt war etwa 2,50 Meter groß und trug zerlumpte Kleidung, die
hervorragend zu seinem zerlumpten Körper paßte: Dieser bestand aus wenig
mehr als Knochen mit einigen Fetzen Haut und Fleisch daran, riesigen
glühenden Augäpfeln und einer guterhaltenen Zunge, die lang und feucht aus
den zerklüfteten Resten seines Mundes hing. Michael ergötzte sich nicht lange
an dem Anblick, sondern rannte direkt auf das Un-Wesen zu, das ihm den Weg
versperrte. Er schaffte es sogar, das Monster zur Seite zu stoßen und einige
Schritte weiter die Treppe hinunterzustürzen. Das nützte ihm allerdings wenig,
denn mit einer Parodie von Lachen hob die Gestalt die knochigen Arme und
schleuderte eine Verwünschung in Michaels Richtung. Dieser fühlte sich plötzlich
wie tiefgefroren, seine Beine versagten und er fiel die Treppe hinunter. Als er auf
dem Absatz liegenblieb, fühlte er, daß er sich den Hals gebrochen hatte. Er
blutete heftig aus dem Kopf. Dieser fiel beim Versuch, ihn zu heben, unnatürlich
weit nach hinten, bis auf seine Schulterblätter. Mit beiden Händen hob Michael
ihn an und konnte nun wieder das Monster sehen, das langsam die Treppe hinab
auf ihn zukam. Es streckte ihm seinen rechten Arm entgegen und murmelte ein
einziges Wort: "Willkommen...". Michael fing an zu schreien.

Percy schaltete die Szene mit der Redisc ab. Damit war er der
Sicherheitsautomatik etwa eine Sekunde zuvorgekommen, die Szenen immer
dann beendete, wenn sie zu nachhaltigen Schädigungen der
Persönlichkeitsstruktur zu führen drohten. Auch diese Sicherung hatten THE
GAME erst eingebaut, nachdem sie von einem Gericht zu einem horrenden
Schadenersatz verurteilt worden waren, den die gesetzlichen Vertreter eines
inzwischen entmündigten, äußerst bekannten Showmasters erstritten hatten, der
die Rolle eines 'sabbernden Untoten' dermaßen fest in seine Persönlichkeit
integriert hatte, daß alle Therapieversuche zwecklos blieben. Hohn der
Geschichte war, daß er später eine überaus gut bezahlte Anstellung in einer
Sendung namens "Zombie's Talkshow" bekam und sich auch sonst sehr am
(Nicht-) Leben zu erfreuen schien, so daß ein Pressesprecher von THE GAME
lakonisch bemerkte, daß der Staat allmählich auch juristisch anerkennen müsse,
daß auch unkonventionelle Persönlichkeitsänderungen Sache des Individuums
seien. Dennoch setzte die Finanzabteilung der Firma durch, daß die
Sicherungsautomatik eingebaut wurde.

Michael atmete schnell und heftig. Er nahm sich eine Zigarette und steckte sie
mit zitternden Fingern an. Percy gab ihm ein leicht verächtliches Grinsen rüber
und betätigte die Redisc zum Würfeln. Titus schaute gerade auf seine Redisc
und sah auf deren Display die drei Buchstaben S, E und J. Darauf hatten sie sich
geeinigt. Kurz gesagt bestand der Ablauf von GAME.S.WITCH darin, daß sich
die Mitspieler vor Spielbeginn auf eine Bedingung einigten, die erfüllt werden
mußte. Wer sie als erster erfüllt hatte, war Sieger. In der Wahl der Bedingung
hatte THE GAME den Spielern völlig freie Wahl gelassen: Man konnte ebensogut
vereinbaren, 10 Sahnetorten zu sammeln, wie, das Universum vor parasitären
Kleinstrobotern zu retten (eine Variante, die GAME.S.WITCH für etliche Leute
zum alleinigen Lebensinhalt gemacht hatte). Da die drei Freunde diesmal nicht
viel Zeit hatten, waren sie übereingekommen, Buchstaben zu sammeln, eben die
drei genannten, und damit es nicht zu einfach wäre, sollten diese in grün und in
Sütterlin geschrieben sein. Das war nicht besonders originell und im Übrigen
eine der Standardvarianten, die GAME.S.WITCH für kurze Spiele vorschlug. Die
Buchstabenkombination hatte der Zufallsgenerator ermittelt.

Die drei Freunde spielten jetzt schon seit 35 Stunden, und Percy hatte bereits ein
E und ein J und war auch noch am Zug, während Titus erst ein E hatte und
Michael noch gar nichts. Darüber hinaus hatte Percy eine clevere Strategie
eingeschlagen, so daß er jetzt fast sicher sein konnte, in beinahe jedem
Unterspiel eine Bibliothek oder ein Lesezimmer oder zumindest einen Teller
Buchstabensuppe zu finden, wo er ein grünes Sütterlin S suchen konnte. Bei
GAME.S.WITCH ging es zwar allgemein mehr um den Weg als um das Ziel, aber
wie wichtig der Weg werden kann und wie unwichtig das Ziel, das sollte Percy
erst in den nächsten Minuten lernen. Und manche lernen auf die harte Tour...

Percy grinste. Er hatte eine 8 gewürfelt.

Eine Spielanleitung

Aus der Spielanleitung zu GAME.S.WITCH - DAS ULTIMATIVE SPIEL.


NATÜRLICH VON THE GAME. Herausgegeben von der Marketingabteilung von
THE GAME Corporation C.I.A., Luna City/Hong Kong/Tokyo/New York/Reit im
Winkel. Copyright 2018, all rights reserved bla bla... Copyleft für die Staaten des
ehemaligen COMECON 2019, all lefts reserved bla bla... Copymiddle für die GR
China 2019, all middle of the road bla bla... Für Abdrucke auf das
Naturholzprodukt Papier wenden Sie sich nicht an uns, sondern die Abteilung für
Altertumskunde Ihrer örtlichen Universität und/oder Ihre örtliche Öko-Gruppe. ...
Haftungsausschluß: THE GAME Corporation C.I.A. sowie die führenden,
mittleren und inkompetenten Kader sämtlicher Abteilungen schließen jegliche
direkte, indirekte, ordentliche, außerordentliche, normale und jenseits
menschlichen Vorstellungsvermögens liegende Haftung sowie haftungsähnliche
und haftungsgleiche oder möglicherweise haftungsähnliche und haftungsgleiche
UWSWSNSHK Tatbestände von vornherein, im Moment und hinterher absolut,
total, völlig und gänzlich aus und ... und (einige Seiten später, Anmerkung des
Herausgebers) danken für Ihr volles Verständnis für diesen Haftungsausschluß.
Vor Inbetriebnahme des Spiel, von Teilen des Spiels, Teilen von Teilen des Spiels
... (etwa fünf Seiten später, Anm.d.Hrsg.:) etc. (!) müssen Sie uns eine
Bestätigung zukommen lassen ... (auch über die genauen Formalitäten hiervon
etliche Seiten, der Hrsg.), daß sie obigen Haftungsausschluß gelesen im Sinne
des Gesetzes über das Lesen vom 20.1.1999, § 4.2 Ziffer 7 zweiter Halbsatz,
haben, und darüber hinaus den Inhalt (Inhalt nach DIN 66578/a) verstanden ...
und akzeptiert ... haben. Da das Spiel selbst von seiner Struktur her so einfach,
logisch konzipiert und selbsterklärend ist, haben wir darauf verzichtet, Sie mit
langweiligen Vorbemerkungen aufzuhalten. Viel Spaß! Ihre THE GAME-
Marketingabteilung

Gefährliches Wasser

Arrgnflrt ließ sich in der Strömung treiben und genoss es, wie das kühle Wasser
um seinen aquadynamischen Körper strich und ihn langsam um seine
Längsachse drehte. Er befand sich mittlerweile in der Magellan-Straße an der
Südspitze Amerikas und war im Begriff, in die Wasser des Atlantik
hinauszuschwimmen. Diese Gegend wurde von seiner Rasse "Klrt" genannt,
eine Bezeichnung, die natürlich wieder einen Haufen Information enthielt, aber
es war der Anfang des Reibelauts zwischen dem "r" und dem "t", der dazu führte,
daß Arrgnflrt plötzlich heftig mit der Schwanzflosse ausschlug. Dieser hatte
nämlich die Bedeutung von "sich periodisch aufgrund von ... (die Erklärung
wollen wir lieber weglassen, sie würde einige Seiten füllen, die nur für
Ozeanologen von unschätzbarem Wert wären) bildender Strudel". Ferner sagte
"Klrt" über den Strudel noch aus, daß er nach humanoiden Maßstäben einen
oberen Durchmesser von etwa 5 Kilometer, eine Tiefe von etwa der Hälfte (das
hieß bis an den Meeresgrund) und eine Drehgeschwindigkeit von 15
Umdrehungen pro Stunde besaß, was bedeutete, daß das Wasser am oberen
Rand eine Geschwindigkeit von über 200 km/h hatte.

Das war's! Arrgnflrt wackelte heftig mit der Rückenflosse, was etwa dem
humanoiden 'Hand-vor-den-Kopf-schlagen' entspricht. So schnell er konnte (und
er konnte ziemlich schnell) wendete er und schwamm mit aller Kraft in die
Gegenrichtung. Dabei kam er jedoch kein Stück vorwärts, sondern blieb lediglich
auf der Stelle. Der Strudel hatte hier schon einen derartigen Sog, daß es einem
Flugzeugträger schwer gefallen wäre, ihm zu entkommen. Arrgnflrt begann sich
"zn" zu fühlen, eine Art erstauntes Zur-Kenntnis-Nehmen mit Anzeichen
aufkeimender Wut. Soweit er sich erinnerte, hatte er sich noch nie "zn" gefühlt,
und er fühlte schon, wie es zu "znm" überging, als es ihm nicht gelang, auch nur
ein bißchen vorwärts zu kommen. Er brauchte eine Sekunde, um
durchzurechnen, was als nächstes passieren würde, und eine weitere Sekunde,
um sich das vorzustellen. Noch eine Sekunde später fühlte er sich daher ziemlich
eindeutig "znmgrrr...". So hatte er sich noch nie gefühlt. "Znmgrrr..." beinhaltet
zwar unglaublich viel Information, denn es beschreibt präzise, wie sich einer von
Arrgnflrts Rasse fühlt, wenn er völlig unerwartet in einen Strudel gerät, der ihn
letzten Endes in Stücke zerschmettern wird, läßt sich aber, ohne allzusehr zu
vereinfachen, mit "ohnmächtiger Wut" übersetzen.

Arrgnflrt merkte, wie der Strudel ganz allmählich begann, ihn zu besiegen. Zuerst
wurde er nur leicht nach hinten gezogen, dann immer schneller, bis er schließlich
den Widerstand aufgab und sich drehen ließ. Vor sich konnte er jetzt ein
brodelndes Weiß sehen, auf das er mit immer größerer Geschwindigkeit
zuschoß. Sein "Znmgrrr..." steigerte sich gleichermaßen, biß es weit über die
materielle Ebene hinausreichte. Auf dem ganzen Planeten durchlief die
Angehörigen seiner Rasse ein Schaudern, und selbst die für solche
Schwingungen unsensiblen Humanoiden wurden derart stimuliert, daß sich in
den südlichen Ländern Amerikas die Selbstmordrate in dieser Nacht aus
ungeklärter Ursache verzehnfachte.

Arrgnflrt fühlte das Wasser dichter werden. Er konnte noch etwas seine
Schwimmhöhe korrigieren; momentan schwamm er fünfzig Meter unter der
Oberfläche. Er wollte möglichst weit oben in den Trichter eintauchen. Dann hätte
er die unter diesen Umständen größtmögliche Zeit zur Verfügung, seine Lage zu
überblicken und zu analysieren, nachdem er in den Trichter eingetaucht wäre,
bevor ihn der Strudel dann unweigerlich nach unten und damit zum sicheren
Ende seiner materiellen Existenz ziehen würde. Das Wasser wurde jetzt
unerträglich dicht. Arrgnflrt schloß die Augen und spannte alle Muskeln seines
Körpers an, um nicht zerquetscht zu werden. Gleich mußte er die Trichterwand
durchstoßen. Noch immer erhöhten sich seine Geschwindigkeit und der Druck
des Wassers. Er fühlte, wie seine Haut um die Kiemen herum aufzureißen
begann. Das tat ziemlich weh, was er aber nicht bemerkte, da er erstaunt war,
daß er in seinen Berechnungen den Wasserwiderstand falsch kalkuliert hatte.

Eine Zehntelsekunde später schoß er durch die Trichterwand in die freie Luft,
mitten hinein in den Trichter. Während er hinausschoß, öffnete Arrgnflrt die
Augen und sah, daß ihn der Schwung satte zwanzig Meter aus dem Wasser
propellerte. Dann begann er zu fallen; und auf was er da zufiel, war zwar Wasser,
aber Wasser, das mit über 200 km/h dahinschoß und so stark komprimiert war,
daß es nichts geändert hätte, wenn er stattdessen auf eine kreisende Betonwand
gefallen wäre. Arrgnflrt hatte noch eine Sekunde zu leben. Diese Sekunde
verfluchte er, denn sie ließ ihm Zeit, sich die Sekunde danach auszumalen.
Daraufhin hatte auch sein Magen noch Zeit, sich einmal zu drehen. Noch einen
Gedanken sandte Arrgnflrt aus, und Gott, der zufällig gerade zusah, hätte
schwören können, daß das ein Stoßgebet gewesen war. Dann kam das Ende.

Ein böses Spiel

Sej sah mit Erstaunen die konzentrischen grünen Ringe, die plötzlich auf dem
Monitor erschienen waren, kurz bevor er die Wolkengrenze erreicht hatte. Die
Ringe schienen ineinander zu fließen oder auseinander hervorzugehen,
jedenfalls waren sie ständig in Bewegung. Jetzt war das Gefährt in die Wolken
eingetaucht, aber diesmal wurde es nicht feucht oder kühl wie auf der Fahrt mit
dem Balkon. Obwohl zwischen ihnen und dem Dunst nichts zu sein schien, blieb
die Temperatur konstant; nicht einmal der Luftdruck schien sich bei diesem
Abstieg zu verändern. Sej erinnerte sich, daß er beim Aufstieg mit dem Balkon
zum Schluß erste Anzeichen von Höhenkrankheit bemerkt hatte, die aber sofort
verschwunden waren, nachdem er die Wolke betreten hatte. Der Abstieg schien
unverändert und konstant weiterzugehen; in der Wolkenschicht ging allerdings
jedes Gefühl für Bewegung verloren, selbst oben und unten konnte man nicht
mehr eindeutig bestimmen. Das Einzige, was ihn aber wirklich irritierte, waren
diese grünen Ringe auf dem Bildschirm, die seine Aufmerksamkeit fesselten. So
sehr er wollte, er konnte den Blick nicht mehr von ihnen abwenden, als sie jetzt
immer langsamer wie Rauchringe durcheinander hindurchglitten.

Sej begann, sich körperlich in sie hineingezogen zu fühlen, was ihm einiges
Unbehagen verursachte. Plötzlich war die Umgebung verschwunden. Er merkte,
wie er kopfüber in die grünen Ringe hineingetaucht war, die jetzt überall um ihn
herumglitten, teils in großer Entfernung, teils ganz nah, ohne ihn jedoch zu
berühren. Er wußte nicht, wie das passiert war. Vor einem kurzen Augenblick
hatte er noch auf der Wolke gesessen, und jetzt war alles verschwunden, alles
bis auf eine Menge metallisch grün glitzernder Ringe. Sej drehte den Kopf,
versuchte, nach hinten zu schauen, aber er konnte seinen Körper kaum
bewegen, der von den Ringen in ein Kraftfeld-Korsett eingezwängt zu sein
schien. War bisher die Richtung, in die er sich bewegte, unbestimmt gewesen, so
ging es jetzt eindeutig nach unten. Er wußte nicht, warum er annahm, daß er sich
nach unten bewegte, aber er war sich darin völlig sicher. Dort unten konnte er
allmählich auch etwas erkennen, das erst wie ein großer, dunkler Fleck aussah,
ohne irgendwelche Konturen, bis das Bild schärfer wurde.

Was er jetzt sah, war alles andere als dazu angetan, ihm zu gefallen. Der
schwarze Fleck war anscheinend der Boden eines Kellers, denn darum herum
sah Sej Mauern, die in die Erde gesetzt waren. Das Ganze hatte komischerweise
keine Decke, so daß es wie eine ummauerte Grube wirkte. Direkt daneben stand
allerdings etwas, das verblüffend normal war: Eine große Villa, dem Stil nach ein
Gebäude aus dem 19.Jahrhundert. Sie war ziemlich zerfallen und die ganze
Hauswand, die neben dem "Keller" hochragte, war mit Efeu bewachsen bis zum
Dach. Die Ringe hatten jetzt alle einen Durchmesser von etwa zwei Metern und
bildeten eine Flucht, die genau in das Kellerloch hineinführte. Sej schoß mit
atemberaubender Geschwindigkeit durch sie hindurch. Mit zunehmender Panik
sah er den Kellerboden auf sich zurasen. Er öffnete den Mund zu einem Schrei;
aber plötzlich verlangsamte sich sein Fall dramatisch, er wurde geradezu in
Zeitlupe gedreht, so daß seine Beine nun nach unten hingen, und unglaublich
sanft setzte er auf dem Boden auf. Das war schon einigermaßen erstaunlich.

Sej blickte nach oben und sah eine Kellerdecke direkt über seinem Kopf, aus den
gleichen Steinen gemacht wie die Wände an drei Seiten. An einer Stelle war ein
vergittertes Fenster eingelassen. Das war auch recht erstaunlich. Er hätte nie
durch das Gitter gepaßt, und einen weiteren Zugang gab es von oben nicht. Die
Stelle, an der er stand, stellte sich als eine Kellernische heraus, die wohl zur
Belüftung eines einzigen großen Kellerraums gebaut worden war. Sobald Sej
sich einigermaßen von dem Schreck erholt hatte, schaute er sich um. Das erste,
was ihm auffiel, war ein eher kleiner Mann, der gebückt dastand und ihm den
Rücken zuwandte.

"Hallo," sagte Sej erst etwas schüchtern, dann, als keinerlei Reaktion eintrat,
noch einmal lauter: "Hallo!" Auch hierauf tat sich nichts, der kleine Mann
schaukelte nur unmerklich vor und zurück. Sej bewegte sich vorsichtig einen
Schritt auf ihn zu. Noch immer tat sich nichts. Der Mann trug einen wadenlangen,
schäbigen grauen Mantel, die Hände hatte er in den Manteltaschen. Sein Haar
war dunkel, fettig und hing ihm etwas ins Gesicht. Sej stand jetzt neben ihm und
versuchte es mit einem weiteren "Hallo". Dann trat er entschlossen vor und sah
dem Mann ins Gesicht.

Was er da sah, schnürte ihm die Kehle zusammen und ließ ihn nach Atem
ringen: Das Gesicht des Mannes war eine Maske des trostlosesten Entsetzens,
das ein Mensch sich vorstellen konnte. Seine Augen starrten ins Leere, und was
sie dort noch immer zu sehen schienen, lähmte den kleinen Mann vor Schrecken
und Furcht. Er mußte etwas derart Schreckliches gesehen haben, daß es ihn den
Verstand gekostet hatte, und Sej wagte nicht, sich vorzustellen, was das wohl
gewesen war. Ganz langsam kam Bewegung in den linken Arm des Mannes. Bis
auf das leichte, automatische Vor- und Zurückwippen blieb er ansonsten
regungslos. Sej blickte hektisch im Raum umher. Doch da war nichts Besonderes
zu sehen. An der gegenüberliegenden Wand war eine Tür, aber sie war
geschlossen.
Der Mann zog die linke Hand aus der Manteltasche, und jetzt sah Sej, daß er
einen grün fluoreszierenden flachen Gegenstand in der verkrampften Faust hielt.
Irgendetwas veranlaßte Sej, danach zu greifen. In diesem Moment ließ der Mann
den Gegenstand los, gleichzeitig flog die Tür auf. Was dort stand, ließ Sej das
Herz stocken: Die Gestalt sah eigentlich wie ein gewöhnlicher Mensch aus, aber
sie strahlte etwas derartig Gemeines, Hinterhältiges und Brutales aus, daß es
fast wie eine Aura sichtbar schien. Die Gestalt gab ein bösartiges, trockenes
Lachen von sich und bedachte Sej mit einem Blick, der seinen Körper
veranlaßte, sich abrupt umzudrehen und sich in die Nische zu verziehen, in der
er gelandet war. Die Kellerdecke war weg, und da waren wieder die Ringe. Bevor
sein Geist die Lage erfassen konnte, schwebte Sej durch die Ringe aufwärts,
zuerst langsam, dann mit steigender Geschwindigkeit. Er sah noch, wie die
Gestalt auf die Nische zurannte und dort stehenblieb. Dann spürte er, wie ihn
eine Kraft wieder nach unten zu ziehen begann. Er verwandte seine ganze
Willenskraft darauf, nach oben zu steigen, denn er wollte möglichst schnell weg
von diesem namenlosen Grauen dort unten, aber das Grauen wollte wohl, daß er
zurückkäme.

Eine Weile schaffte er es noch, wenigstens nicht viel an Höhe zu verlieren. Er


sah - eher zufällig - auf den Gegenstand, den er fast unbewußt dem zerlumpten
Mann abgenommen hatte. Es handelte sich um ein flaches, grünes Stück Plastik
in den Form eines altertümlichen, verschnörkelten Buchstabens. Soweit er
wußte, war das ein altdeutsches "S". Plötzlich ging ihm auf, daß die grausige
Gestalt dort unten vielleicht gar nicht seine Bekanntschaft machen wollte,
sondern nur hinter diesem Plastikbuchstaben her war, wenn es auch schwer fiel,
diesem Gedanken irgendwelche Logik zuzubilligen. Aber was war seit seinem
Eintauchen in den Monitor schon logisch gelaufen? Oder vielmehr, was war
logisch gewesen, seit der Balkon zu seiner Flugreise angetreten war? War nicht
überhaupt sein ganzes Leben einigermaßen unlogisch verlaufen?

Sejs Gedanken wurden abrupt unterbrochen, als er merkte, daß er jetzt wieder
furchtbar schnell nach unten schoß. Diesmal schien es keine sanfte Landung
geben zu wollen. Sej sah die ausgestreckten Arme und das abgrundtief böse
Grinsen der Gestalt, auf die er jetzt direkt zuschoß, Beine voran. Er schloß die
Augen und hoffte, daß es - wie auch immer - schnell vorüber wäre. Es gab ein
zischendes Geräusch, als die Hauswand an ihm vorbeischoß. Das war eine
Zehntelsekunde vor dem Ende.

Versteckt im Großen Brimborium

So du nicht wöllest dir dem Fingers verbrennen, fassest du nicht an keinen


Sonnen" beginnt Vers D/1249 im zweiten Kapitel des dritten Bandes des Großen
Brimboriums, des heiligen Buches der Mineralgötter der Ebene 3, und in dem
üblichen, verquasten Kauderwelsch geht es weiter: "Höre alsdenn des
schrecklichen Geschehens, welch sich ärreygnete bey der Thalfahrrt des edlen
Symbolicus." Aus Gründen des guten Geschmacks wurde der Rest übersetzt:
Der edle Symbolicus fuhr mit seinem vieldimensionalen Wagen, gezogen von
einem Gespann edler mehrdimensionaler Huftiere, hinunter in die Ebene der
Ausscheider (damit meinen die Mineralgötter die primitiven Lebensformen, die
noch einen Stoffwechsel haben).

Er kam zuerst zu einem Planeten von Insektoiden, und das Gebrumme und
Gesurre ging ihm auf den edlen Geist. Danach besuchte er einen Planeten von
Philatelisten, und die verschrobenen Spießer gingen ihm auf den edlen Geist.

Dann gelangte er zu einem Planeten von Regenschirmen, und das Wetter ging
ihm auf den edlen Geist.

Schließlich erreichte er einen Planeten von Humanoiden, und das Gequatsche


ging ihm total auf den edlen Geist.

Da rief der edle Symbolicus: "Ist ja voll ätzend hier," und es erboste ihn so, daß
er nach der nächsten Sonne griff, um diese so zu komprimieren, daß eine
Hyperfusion entstünde, die dieses Universum vernichtet hätte, das ihm so auf
den edlen Geist ging. Stattdessen aber kreischte der edle Symbolicus: "Teufel, ist
das Ding heiß," ließ die Sonne los und schwirrte fluchend ab, zurück in die dritte
Ebene.

"So söllet ihr als davonn lärnen, des ihr nichtens yberträtet eueren eigenes
Gesettzen," schließt Vers D/1249 im Originalwortlaut. Der Rest der Lektüre, vor
und nach diesem Vers, ist ähnlich banal und nervtötend, und die Ausdrucksweise
ist so gemein, daß nur wenige perverse Völker des belebten Universum aller
Ebenen die Lektüre unbeschadet überstehen können, weshalb das Große
Brimborium zu den großen, vergessenen Büchern des Weltraums gehört.

Das wäre an sich nicht weiter schlimm, wenn dort nicht der Vers F/0815 im
vierten Band wäre. Dort steht nämlich - zugegebenermaßen ziemlich unvermittelt
- daß es "eggstrehm unkuhl" ist, den Pseudo-Beta auf Goodbye zu schalten,
wenn betriebssystembedingte Störungen in Ebene 10a auftreten. Fast niemand
hätte allerdings verstanden, was damit gemeint war. Chadawak jedenfalls hätte
es gewußt, und wenn er das Große Brimborium gelesen hätte, hätte er niemals
den Pseudo-Beta auf Goodbye geschaltet. Und die Mineralgötter der Ebene 3
und viele nettere Dinge der anderen Ebenen wären uns erhalten geblieben, auch
Chadawak, einer der fähigsten Programmierer der fünften Ebene vor der
Reduzierung des Weltalls auf drei Ebenen. Aber davon später.

Ein bisschen mehr als Alltag

Gott nahm seine Brille von der Nase und putzte sie. Was er da gerade sah, war
ziemlich unglaublich. Ein Humanoide, der bis gerade eben der absolute
Herrscher seiner kleinen Welt gewesen war, blickte zum letzten Mal in dieses
Universum, und zwar nach oben, und zwar zu Tode erschreckt. Ein anderer
Humanoide, der vor Kurzem seine Wolke verloren, dafür aber einen großen,
grünen Plastikbuchstaben gefunden hatte, blickte ebenfalls zum letzten Mal in
dieses Universum, und zwar nach unten, und zwar so erstaunt, daß er nicht
einmal erschreckt war. Auf dem Planeten Erde wurde zufällig zur gleichen Zeit
eine Sekte gegründet, die endlich wirklich im Besitz der Wahrheit war. Anderswo
nahm eine Anerkannte Gottheit gerade einen tiefen Schluck aus der Flasche und
rülpste. Dann knallte der zweite Humanoide von oben mit voller Wucht auf den
ersten. Daraufhin gab es eine Staubwolke, die endlich mal genauso aussah wie
in Bugs Bunny- und Roadrunner-Filmen. Dann war es eine Weile ruhig, während
der Staub sich legte. Auf dem Planeten Erde warb die Sekte gerade ihr zweites
Mitglied. Die Anerkannte Gottheit nahm noch einen Schluck, woraufhin sie ins
Stolpern kam und voll gegen eine Galaxis knallte. Gott fand das alles unheimlich
lustig, kicherte und sabberte in seinen weißen Bart. Wenig später flog ein riesiger
Fisch auf die beiden Humanoiden zu. Er sah so verdutzt aus, wie ein Fisch nur
aussehen kann, bis er krachend auf den beiden Bewußtlosen landete. Danach
sah auch er nur noch bewußtlos aus, bevor eine noch größere Staubwolke die
Szenerie für eine Weile verhüllte. Auf dem Planeten Erde hatte die Sekte jetzt
schon drei Mitglieder, von denen allerdings gerade das erste wegen Ketzerei
ausgeschlossen wurde. Die anerkannte Gottheit landete in nullkommanix vor
dem Höchsten Kadi, wo sie der Höchste Richter wegen Trunkenheit und
Vernichtung mehrerer Billionen Lebensformen zum Hilfsgott degradierte. Gott
sah noch eine Weile zu, aber als sich dann länger nichts Bewegendes tat,
wandte er sich gelangweilt ab und spielte weiter mit Jesus Schach.

Ebene 5

Die Ebene 5 wird vom Chaos regiert. Das Chaos ist ein liebenswertes
Lebewesen der vierten Ebene mit großen, blauen Augen, die immer ein bißchen
traurig gucken, weil es das Chaos betrübt, daß es nur Verwirrung stiftet, egal, wo
es hinkommt.

Die Ebene 5 ist riesig groß. Wie groß, davon kann sich eine Lebensform der
unteren Ebenen nur eine Vorstellung machen, wenn sie schon einmal zu Fuß
(bzw. zu Saugnapf, zu Huf, zu Springbein, zu Federantenne usw.) von der
östlichen Milchstraße zur Magellangalaxis gelaufen ist. Das ist immerhin über
200 Millionen Lichtjahre weit. Selbst Rollerman, der fanatischste Rollschuhfahrer
des Universums, würde es in der Zeit vom Urknall bis zum Endplumps nicht
einmal schaffen, sie zur Hälfte zu durchqueren. Sie besteht nicht, wie die unteren
Ebenen, aus Ansammlungen von Materieklumpen, die inmitten von stabilen
Magnetfeldern zwischen Unmengen von Nichts hängen.

Die Ebene 5 ist wirklich eine große Ebene, mit sanften Hügeln unter dem sanften
Licht einer nie untergehenden Sonne, die alles bis in den letzten Winkel sanft
ausleuchtet. Allerdings ist die Ebene 5 in sieben Dimensionen gefaltet, aber das
fällt nur auf, wenn man sie von außen sieht (und einige hundert
mehrdimensionale Augen hat). Was aber jedem sofort auffällt, ist eins: Die Ebene
5 ist unheimlich unaufgeräumt. Sie ist in der Tat dermaßen voller Müll, daß es
selbst den Golgathianern die Sprache verschlagen würde, die von allen
Ökofreaks der unteren Ebenen gehaßt werden, weil sie durch ihre schlampige
Lebensweise schon so manchen Planeten völlig ruiniert hinterlassen haben.
Überall stapeln sich kilometerhoch Computerausdrucke, die die sanften Hügel
bei Weitem überragen. Dazwischen stehen wahllos extrem teure, extrem
leistungsfähige Superrechner, abgewrackte ältere Modelle bis hin zu völligen
Ruinen, deren zerkratzte Monitore ab und zu trübe aufflackern, wenn ihre
abgeschalteten Prozessoren von einer Ladung Datenschrott geschüttelt werden.

Um das Bild zu vervollständigen, ist jeder freie Raum meterhoch aufgefüllt mit
leeren Cola- und Billigbier-Dosen, und darauf flattern munter im stetigen, sanften
Wind der Ebene 5 leere Tüten von Gummibärchen und ekelhaften
Lakritzverlockungen. Ab und zu liegt eine Dose Vitamintabletten herum, und
gelegentlich findet man eine halbvolle Packung Aspirin. An manchen Stellen läuft
ein Strang Breitbandkabel oberirdisch durch den Müll. Überragt wird dieser
ganze Dreck nur von dem riesigen Sendeturm in der Mitte der Ebene, von wo die
Programmierer ihre Updates ins Universum schießen.

In dieser Szenerie der Verwüstung hasten nervös die Programmierer umher


(wenn sie nicht vor den Bildschirmen sitzen, was sie meistens tun), übernächtigte
Systemoperatoren sitzen auf Stapeln von Computerausdrucken herum und
trinken zusammen Bier, Datentypisten spielen alberne Computerspiele, und
abgeflippte Systemanalytiker malen mit stumpfen Bleistiften riesige, verzweigte
Diagramme auf die Rückseiten von Computerausdrucken. Ab und zu kommt der
Chef, aber wegen der Größe der Ebene kommt das im Schnitt nur alle 14
Milliarden Binärjahre vor.

Diese Beschreibung zeigt allerdings nur, wie sich die Ebene einer
vierdimensionalen Lebensform der unteren Ebenen dargestellt hätte. In
Wirklichkeit haben jahrmillionenlange Berechnungen auf den modernsten,
leistungsfähigsten Rechnern gezeigt, daß die Ebene 5 allein 27 geradzahlige
Dimensionen hat. Weshalb Rollerman sich auch oft verfährt.

An einem schönen Nachmittag (eine etwas unzutreffende Bezeichnung, denn auf


Ebene 5 ist eigentlich immer Nachmittag, weil das die Zeit ist, wo die
Programmierer aufstehen, und der Boß meinte, daß sie da am fittesten wären)
saß Chadawak (das heißt wörtlich: Rate meinen Code!) auf einem Stapel
Ausdrucke und dachte an /KURSIVa Die Behörde/KURSIVz , was ihn wütend mit
den Zähnen knirschen ließ. Die Behörde hat einige Milliarden Beschäftigte, deren
einzige Aufgabe darin zu bestehen scheint, Gutachten auszuarbeiten, die lang
und breit (und jeglicher Vernunft und Einsicht trotzend) "beweisen", daß Die
Behörde wichtige Aufgaben wahrnimmt. Wenn sie dann noch Zeit haben (und
nicht gerade mit fröhlichem Plaudern oder Kaffeetrinken und Kuchenessen
beschäftigt sind, was meist der Fall ist), arbeiten die Mitarbeiter (alles Beamte mit
Rentenanspruch nach 15 Milliarden Dienstjahren) an Plänen zur Müllbeseitigung
oder einer Steuerreform, die permanent daran scheitert, daß es auf Ebene 5 gar
keine Steuern gibt. Die Behörde wird von den Programmierern gehaßt, weil sie
unheimlich viel Rechenzeit verbrät.

Chadawak wurde von einem Flackern des Multi-Synch-Alpha-Monitors aus


seinem mürrischen Grübeln geweckt. Dort tauchte plötzlich ein humanoides
Gesicht auf, streckte ihm die Zunge heraus und verschwand wieder. Locker
schaltete Chadawak die Suchfunktion ein, die ihm in wenigen Nanosekunden
mitteilen würde, um wessen Gesicht es sich gehandelt hatte (Angaben z.B.: Alter,
Größe, Hautfarbe, Zahl der Augen, Ohren und Nasen, Zugehörigkeit zu welcher
Ebene usw.).

Als die Zeichen über den Multi-Synch-Alpha liefen, kippte Chadawak vor Schreck
von den Computerblättern. Sein Bier fiel um und versickerte im Endlospapier.
Was er gerade gesehen hatte, war nichts anderes als eine der Simulationen des
Kollegen, der bei einem Programmtest in die unteren Ebenen abgestürzt und
dort anscheinend verrückt geworden war. Chadawak erinnerte sich genau an
diese Geschichte. Es war schon oft vorgekommen, daß Kollegen beim Start
eines neuen Programms in die Zielebenen geschleudert worden waren, wenn sie
vergessen hatten (oder - wie meistens - "keine Zeit" dazu hatten), die
Risikovermeidungsprogramme zu laden. Es war aber bisher immer gelungen, sie
mit Rettungsprogrammen zurückzuholen, wenn es auch manchmal einige
Millionen Binärjahre gedauert hatte, diese Programme zu schreiben. Manche
waren in dieser Zeit in den unteren Ebenen verrückt geworden und spielten sich
als Hilfsgötter und dergleichen auf und fanden es ganz toll, primitive
Lebensformen mit billigen Programmiertricks zu beeindrucken. Einmal jedoch
war jede Rettung zu spät gekommen. Der Betreffende, ein Kollege mit dem
Namen Pamutsok ("Ende mit Escape"), war bei den Primitiven dermaßen
ausgeflippt, daß er sich jetzt für das größte und gefährlichste aller
Simulationsviren hielt und permanent versuchte, sich in die Rechner aller
Ebenen hineinzukopieren, was ganz schön gefährlich werden konnte.
Chadawaks Kollegen hatten es für völlig ausgeschlossen gehalten, daß der
Verrückte es schaffen könnte, bis in Ebene 5 vorzudringen, und selbst wenn es
ihm gelänge, würden ihn eben die Virenkillerprogramme erledigen. Das war zwar
nicht besonders edel (es handelte sich immerhin um einen Kollegen), aber was
sollte man tun?

Ganz am Anfang der Zeit der Ebene 5 (also wo es gerade Nachmittag wurde)
war bei einer Installation durch einen Fehler des Betriebssystems Gott erschaffen
worden, und der war der einzige, der bei Diskussionen mit dem Boß ernsthaft ein
Wörtchen mitzureden hatte, wie die Programmierer neidvoll bemerkten. Wie auch
immer, seitdem ging dem Boß Datensicherheit über alles, und er hatte
eigenhändig mehrere Virenkillerprogramme geschrieben und sie in den
AutoOrdner geladen, so daß sie immer aktiv waren. Soeben hatte Chadawak
gesehen, wie es der Verrückte geschafft hatte, sämtliche Sicherungen des
Betriebssystems zu umgehen und sich sogar unbeschadet wieder
davonzustehlen. Fieberhaft hämmerte er auf der 15-dimensionalen Tastatur
herum und versuchte, den zuständigen Operator zu rufen, aber der machte wohl
ein Nachmittagsschläfchen und war nicht aufzutreiben. Andere
Systemoperatoren zeigten sich sichtlich gelangweilt und versprachen genervt,
sich "später" um das Problem zu kümmern.

Nach einer Weile nutzloser Bestrebungen, jemanden vom Ernst der Lage zu
überzeugen, schaltete Chadawak den Pseudo-Beta auf Goodbye (eine ziemlich
komplizierte Mischung aus Reset und Standby) und ging mürrisch in seine
Stammkneipe "Zum letzten Byte", um sich gehörig die Rübe zuzuschütten.
Chadawak hätte wirklich das Große Brimborium lesen sollen. Dann wäre uns die
Ebene 5 mit ihrem ganzen Müll, aber auch ihren gigantischen, superteuren
Superrechnern erhalten geblieben.

Ein vordorbenes Kind

Donald hatte eine schwere Kindheit gehabt. Als er zur Welt kam, sah er so
ätzend aus, daß seine Mutter ihn nur mit Gummihandschuhen anfaßte. Sein
Vater, ein stadtbekannter Sadist, machte sich einen Spaß daraus, ihn jeden
Abend grün und blau zu prügeln. Es war ein Wunder, daß Donald die ersten
Jahre seiner Kindheit überlebte. Als er größer wurde, mieden ihn die Kinder
seiner Straße, weil er so ätzend und immer so übel zugerichtet aussah. Im Alter
von zehn Jahren unternahm er seinen ersten Selbstmordversuch, indem er sich
mit Benzin überschüttete und anzündete. Durch ein weiteres Wunder überlebte
er auch das (in späteren Jahren entwickelte er eine wilde Abscheu gegen
Wunder jeglicher Art). Man steckte ihn in eine geschlossene Anstalt, weil sein
Anblick jetzt nur noch Leuten mit Nerven wie Drahtseilen zugemutet werden
konnte.

Noch ein Absatz ...

Nach einer Serie weiterer ausgeklügelter Selbstmordversuche, die wie durch ein
Wunder alle schiefgingen, war Donald qualifiziert genug (um nicht zu sagen,
geradezu prädestiniert dazu), einen äußerst diffizilen Job bei THE GAME
anzunehmen, und zwar in der Design-Abteilung von GAME.S.WITCH. THE
GAME suchte ständig nach ungewöhnlichen Talenten an ungewöhnlichen Orten.
Ihre Personalbeschaffer gingen zu kannibalistischen Sekten genauso wie in
Irrenhäuser, und in einer Klapsmühle fanden sie Donald und nahmen ihn gleich
mit.

Die Zeit bei GAME.S.WITCH war für Donald die einzige einigermaßen glückliche
Zeit seines miesen Lebens. Er unternahm in diesen Jahren nur einen einzigen
Selbstmordversuch. Hier konnte er seinen depressiven, zerstörerischen
Phantasien freien Lauf lassen. Er war sofort zum Leiter der Design-Abteilung von
DAS BÖSE ernannt worden, einem Subgame von GAME.S.WITCH. DAS BÖSE
war gewissermaßen das Gegenstück von HAUNTED HOUSE. Kam es bei
Letzterem darauf an, den Spieler ständig nahezu zu Tode zu erschrecken, war er
bei DAS BÖSE der Finsterling, dem immerzu arme, unschuldige Kreaturen
begegneten, denen er das Fürchten lehren konnte. Und das war wirklich einfach.
Donald hatte einen Haufen von Feiglingen entworfen, die schon mit drohenden
Gesten in Panik zu versetzen waren. Ganz besonders stolz war er auf ein
Hündchen, das sich, wenn man es böse anschaute, winselnd in die letzte Ecke
verdrückte und anfing, sich selbst aufzufressen.

Donald konnte vor seinem letzten, endlich erfolgreichen Selbstmordversuch


befriedigt zur Kenntnis nehmen, daß DAS BÖSE eins der beliebtesten
Subgames von GAME.S.WITCH geworden war.

Wer Wind sät, wird Sturm ernten

Percy schaltete sich mit der Redisc in die erste Szene ein. Er stand in einem
ziemlich gewöhnlichen Treppenhaus eines ziemlichen gewöhnlichen
Hochhauses einer mehr als gewöhnlichen Trabantenstadt. Auf dieser Etage
führten mindestens zehn Türen in wahrscheinlich mehr oder weniger identische
Wohnungen. In der Tür, vor der Percy stand, steckte der Schlüssel, den der
unachtsame Mieter dort wohl vergessen hatte. Percy öffnete die Tür und trat ein.
Er war jetzt in einem Korridor, von dem eine Tür in die Küche, eine ins Bad, eine
ins Kinderzimmer und eine ins Wohnzimmer führte. Von dort konnte er eine wilde
Schießerei aus dem Fernseher hören. Er inspizierte Küche und Bad, fand nichts,
worin ein Sütterlin S sein konnte und zerschlug zum Spaß ein paar Spiegel.
Daraufhin öffnete sich die Wohnzimmertür und ein kleiner, pantoffeltragender
Spießer mit Halbglatze und Bierbauch spähte vorsichtig heraus.

Mit einer schnellen Drehung stand Percy vor ihm und packte ihn am
Hemdkragen. Dem kleinen Mann blieb vor Schreck der Mund offen stehen und
seine Augen quollen hervor. Percy ließ ein fieses Lachen ertönen und drückte
den Mann zurück ins Zimmer. Dort stand eine Frau neben einem
Kunstledersessel, die sogleich anfing, hysterisch zu kreischen. Sie hatte eine
billige Dauerwelle und trug dazu passend ein billiges Kleid, daß sie noch
unförmiger aussehen ließ, als sie ohnehin schon war. Percy hielt den Mann
immer noch am Kragen und schaute sich mit einem höhnischen Grinsen im
Zimmer um. Zwei etwa zehnjährige Kinder verzogen sich weinend hinter das zum
Sessel passende Kunstledersofa. Ein Yorkshire-Terrier kroch wimmernd unter
den Fernseher und fing vor Angst an, an seinen Vorderpfoten herumzuknabbern.
Percy schlug dem Mann mit der freien Hand ins Gesicht und brüllte ihn an:

"Wo habt ihr eure Bücher?" Schlotternd vor Angst gelang es dem Mann nach
einer Weile, hervorzustammeln, daß es hier keine Bücher gäbe. Nach dem
nächsten Schlag ins Gesicht fehlte ihm ein Schneidezahn und er blutete heftig
aus dem Mund. Percy stieß ihn in den Sessel und wandte sich an die Frau:

"So, und wo hast du deine Strickzeitschriften?" Die Frau hatte zwar aufgehört zu
schreien, aber vor Angst brachte sie kein Wort heraus. Abwehrend hielt sie die
Hände vors Gesicht. Percy ging zu der plastikbeschichteten Schrankwand im
Rustikal-Look und kippte sie nach vorn. Eine Menge billiger Plunder fiel heraus,
aber keine Bücher oder Zeitschriften. Percy kippte sie vollständig um, was ein
nettes Geräusch gab. Er freute sich, wie stark er in diesem Subgame war. Vor
lauter Zufriedenheit schlug er noch die Bildröhre des Fernsehers mit einem Stuhl
ein. Der Yorkshire versuchte daraufhin, in die Wand zu kriechen, was ihm jedoch
mißlang, woraufhin er sich damit zufriedengab, seine Pfoten bis auf die Knochen
abzunagen. Als Zugabe nahm Percy eine leere Vase vom Sofa-Glastisch und
haute sie der Frau über den Kopf. Mit einem Stöhnen sank sie zu Boden und
blieb dort blutend liegen. Dann nahm er einen mittelgroßen Kaktus vom
Fensterbrett und stopfte ihn dem Mann in den immer noch offenen Mund. Zum
Abschied kippte er die Couch auf die weinenden Kinder und verließ die
Wohnung.
Als er ins Treppenhaus hinaustrat, sah er, wie sich eine Wohnungstür schnell
schloß. Percy überlegte gerade, ob er die ängstlichen Nachbarn schnell einmal
von ihrer Neugier kurieren sollte, als er bemerkte, daß eine Gestalt in einem
grauen Mantel um die Ecke bog und die Treppe hinunterhastete. In ihrer Hand
hatte sie einen flachen, grünen Gegenstand, der einem bestimmten Buchstaben
des Sütterlin-Alphabets glich. Percy rannte der Gestalt hinterher, die in ihrer
Angst ein erstaunliches Tempo entwickelte. Als er nach fünf Etagen an der
Haustür ankam, war der Manteltyp verschwunden. Kurz darauf knallte weiter
unten eine Eisentür. Der Kerl war also in den Keller geflüchtet.

Mit einem sadistischen Grinsen ging Percy gemächlich die Kellertreppe hinunter.
Langsam öffnete er die Tür und schaute hinein. Dort stand das Männchen in dem
grauen Mantel und blickte starr vor Schrecken auf Percy. Zu seinem Erstaunen
war noch ein weiterer Mann dort, der gerade hastig in eine Nische sprang. Und
er hatte den Plastikbuchstaben in der Hand. Percy ging langsam auf die Nische
zu. Plötzlich hob der Mann ab und verschwand nach oben durch das Gitter eines
Kellerfensters. Nun war die Gelegenheit da, die ungewöhnlich bösen,
metaphysischen Fähigkeiten auszuprobieren, die dem Spieler bei DAS BÖSE
gegeben waren.

Im Nu war Percy in der Nische und blickte durch das Gitter nach oben. Der Mann
mit dem Buchstaben schwebte aufwärts durch eine Reihe metallisch glitzernder,
grüner Ringe, die einfach so in der Luft hingen. "Raffiniert," murmelte Percy
bewundernd und fing an, den Typen mit Hilfe seiner übernatürlichen Kräfte nach
unten zu ziehen. Es kostete ihn einige Anstrengung, bis er den Mann in seinem
Aufwärtsflug gestoppt hatte. Allmählich schaffte er es, ihn nach unten zu ziehen.
Dann aber begann der Kerl, dermaßen schnell zu fallen, daß Percy klar wurde,
was als nächstes passieren würde. Er versuchte, den Sturz abzubremsen, aber
jetzt schienen seine Kräfte zu versagen. Er versuchte noch, zur Seite zu
springen, als ihn ein Schlag am Kopf traf. Dann sah er das dunkelste Schwarz,
daß er je erblickt hatte. Eine Zehntelsekunde später schaltete sein Gehirn auf
Standby.

Fataler Fehler

Achtung! Systemfehler in Ebene 10a ... Absturz nicht mehr zu vermeiden ...
Risikovermeidungsprogramme nicht mehr zuschaltbar ... Auf Wiedersehen beim
Endplumps! flackerte es über alle Monitore des Pseudo-Beta in der vierten
Ebene. Eine Weile war es überall vollkommen still. Dann war es ungefähr eine
Nanosekunde lang unheimlich laut. Danach war die Stille noch vollkommener.

Begegnungen der besonderen Art

Sej drehte den Kopf und stöhnte. Alles in seinem Körper schmerzte, und jeder
Knochen schien verbogen worden zu sein. Schwarze Schatten tanzten vor
seinen Augen. Das erste, was er wieder einigermaßen sicher identifizieren
konnte, war das weit aufgerissene Maul eines Haifischs, der regungslos auf der
Seite lag. Daneben lag ein Mensch, ebenso regungslos, der wie das Klischee
von etwas aussah, was Sej als "Fiesling" bezeichnet hätte. Dann schwebte ein
blauer Schatten auf ihn zu, der sich in Größe und Form ständig veränderte, aber
bald darauf wieder verschwand. Das Ganze sah er durch immer wieder
aufziehende schwarze Schatten hindurch, die mit blitzenden Sternen durchsetzt
waren.

Sej machte die Augen wieder zu und wartete darauf, daß der Traum zuende
wäre und er wieder aufwachte. Dann wachte Percy auf, sah eine ähnliche
Szenerie und tastete nach seiner Redisc. Auch er fühlte sich vollkommen
daneben; außerdem hatte er das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Sej öffnete
die Augen wieder, als er Geräusche hörte. Percy versuchte gerade, sich unter
dem Haifisch hervorzuwinden, der halb auf ihm lag. Dann wachte auch Arrgnflrt
auf. Sein Gehirn war ebenfalls in einem Zustand, den man mit "nicht alle Tassen
im Schrank" hätte bezeichnen können, wenngleich Haie mit Tassen nichts am
Hut haben. Mit Hüten übrigens auch nicht, und schon gar nicht mit Schränken.
Merkwürdigerweise war eben das Arrgnflrts erster Gedankengang. Dann stellte
er mit einem gewissen "zn" fest, daß er nicht tot war, und berechnete, daß die
Wahrscheinlichkeit dafür dermaßen viele Stellen hinter dem Komma immer noch
gleich Null war, daß er sie nicht berechnen konnte. Als drittes berechnete er noch
die Zeit, die er in dieser trockenen Umgebung überleben würde: Die ließ sich
wenigstens noch in Sekunden ausdrücken. Das hieß, ihm bliebe noch mehr als
genug Zeit für die "ultimative Reaktion", nämlich das Ändern der Körperform. Er
war der erste Haifisch, der sich zu einer so drastischen Maßnahme entschloß
(Haie sind sehr eitel und finden, daß alle anderen Lebensformen mehr oder
weniger degeneriert aussehen).

Was dann passierte, veranlaßte Sej dazu, wieder die Augen zu schließen und
irgendein zuständiges, übergeordnetes Wesen zu bitten, daß sein Alptraum bald
vorüber sei. Percy versuchte immer noch vergeblich, sich von dem Hai zu
befreien, als plötzlich kein Gewicht mehr auf ihm lastete. Der ganze riesige Fisch
hatte sich plötzlich in zwei Hälften geteilt, wie von einem Riesenmesser sauber in
der Mitte zerschnitten. Die Hälften klatschten links und rechts neben ihm auf den
Kellerboden. Dann begannen sie sich zusammenzurollen, zuerst langsam von
oben und unten her, dann rasant entlang der Längsachsen. Die entstandenen
Gebilde begannen sich in zwei Wirbeln zu drehen. Die Bewegung wurde so
schnell, daß sie schließlich aussahen wie zwei riesige Kreisel. Die
Drehbewegung verlangsamte sich nach einer Weile, und als die Gebilde
stillstanden, hockten dort zwei überdimensionierte Känguruhs und blickten
erstaunt in die Gegend. Percy hielt nach seiner Redisc Ausschau, die er immer
noch nicht gefunden hatte, und schwor sich, THE GAME auf ein sattes
Sümmchen Schadenersatz zu verklagen. Es kam ihm nicht einen Moment der
Gedanke, daß das Spiel jetzt vorbei war. Sej war sowieso nicht ganz bei der
Sache, also blieb es bei Arrgnflrt, etwas aus der Situation zu machen, und der
hatte sich gerade in zwei Känguruhs verwandelt, was nicht unbedingt zur
Klärung beitrug. Zu allem Überfluß schwebte jetzt wieder der blaue Schatten
durch den Raum und begann herumzujammern:

"Meine teuren Rechner! Meine Netzwerke! Und ich habe nicht mal eine
Hausratversicherung abgeschlossen!"

"Äh, kannst du mir vielleicht sagen, was hier gespielt wird?" wandte sich das eine
Känguruh an den Schatten.

"Das war der gemeinste Systemabsturz, den ich je erlebt habe," jammerte es aus
dem blauen Dunst hervor. Das Känguruh warf seinem völlig identischen
Gegenstück einen fragenden Blick zu und versuchte es dann bei Percy:

"Du scheinst etwas mit der Sache zu tun zu haben, Humanoide. Kannst du mir
sagen, wie diese Simulation genannt wird? Ich habe mit dem Verantwortlichen
ein Wörtchen zu reden."

"Ich auch," mischte sich das andere Känguruh ein. "Es war ja ganz nett, uns vor
dem Zerplatzen zu bewahren, aber dafür sitzen wir jetzt verdammt auf dem
Trockenen."
Percy gab die Suche nach der Redisc auf und fluchte: "Ihr verdammten
Algorithmen, wenn ich euren Programmierer erwische, dann kann der was
erleben!" Wieder schauten sich die Känguruhs fragend an. Jetzt war der blaue
Schatten an der Reihe: "Ihr habt alle zu einem unserer teuersten Programme
gehört, aber jetzt, wo die Hardware zum Teufel ist, seid ihr nicht mal mehr einen
Binärcent wert," jammerte er weiter.

"Das brauche ich mir von dir blödem Programmbestandteil nicht sagen lassen,"
brüllte ihn Percy an.

"Ich glaube, mein Gehirn ist falsch programmiert," murmelte Sej, dann etwas
lauter: "Kann mir jemand von euch sagen, wie ich diesen Alptraum beenden soll?
Ich vermute, es ist Zeit, meine Katze zu füttern."

Das eine Känguruh tippte sich an die Stirn und meinte zu seinem Partner: "Die
spinnen, die Simulationen!"

"Bevor wir anfangen, uns herumzustreiten," warf Sej ein, "könnten wir uns ja erst
mal vorstellen. Ich meine, ich glaube zwar nicht, daß ihr wirklich existiert, aber
wenn ich schon nicht aufwachen kann, will ich wenigstens etwas von euch
kennenlernen. Vielleicht hilft mir das nachher, den Traum zu analysieren."

Das eine Känguruh lachte schallend los: "Du Haifischfutter, du weißt wohl gar
nichts, was?"

"Da sind wir ja in eine exquisite Gesellschaft geraten: Ein jammernder Nebel und
zwei Landkriecher, die wie üblich gar nichts wissen," setzte das zweite Känguruh
hinzu. "Wie interessant!"

"Oh ja, gähn," sagte Känguruh eins, "ich hoffe nur, wir kommen hier bald raus."

"Dieser Raum hat eine Ausgangstür, ihr binären Klugscheißer," meinte Percy.
"Abgang!"

"Nein, das ist unfair," rief Sej. "Dann haut ihr alle der Reihe nach ab und ich bleib
hier und kann mich beim Aufwachen nur wundern, was ihr wohl symbolisieren
solltet."

Achselzuckend sagte Känguruh eins zu seinem Kollegen: "Die etwas Klügere


von den Landratten hat, glaube ich, recht. Wir sollten uns von hier
wegsubtrahieren."

Känguruh zwei watschelte zur Tür. Weil es sowieso schon an die Kellerdecke
stieß, obwohl es gebückt gestanden hatte (oder gesessen? Bei Känguruhs weiß
man das nie so richtig), konnte es nicht hinhüpfen. Das Watscheln sah ziemlich
drollig aus, und selbst Percy mußte grinsen. Sofort schnellte der blaue Schatten
hinterher und stellte sich vor die Tür (oder schwebte sich vor die Tür? Bei blauen
Schatten weiß man das nie so richtig).

"Ihr seid wohl völlig übergeschnappt, ihr Module!" rief er. "Habt ihr noch nie von
den elementaren Sicherheitsvorschriften bei Systemabstürzen gehört?" Nervös
änderte er ständig seine Form.

"Was ihr hier mitkriegt, ist der Super-GAUS, der Gigantische Absolute
Unbezahlbare Systemabsturz, und ihr kennt nicht einmal die einfachsten
Störfallregeln. Wenn du diese Tür öffnest," sagte er jetzt zu dem Känguruh, "ist
es mit einer Wahrscheinlichkeit von 147 Alpha-Prozent mit den Resten von uns
vorbei, und zwar in materieller wie in binärer Hinsicht. Ich muß dem Erdling recht
geben, wir sollten uns erst einmal beruhigen und uns vorstellen. Dieses 'Spiel',"
er wandte sich an Percy, "könnte länger dauern, als uns lieb ist."

Das Känguruh zog die Augenbrauen hoch (was bei Känguruhs ziemlich drollig
aussieht), hockte sich aber wieder zu den anderen. "Nun gut, wir heißen
Arrgnflrt," sagte es und zeigte dabei auf sich und sein Gegenstück."

"Äh, Moment, wer ist jetzt Arrgnflrt?" schaltete sich Sej ein.

"Au warte," murmelte der blaue Schatten.

"Nun, Landtier, damit dein unterentwickeltes Gehirn es leichter hat, nenn uns
einfach "Sznmrddlknpplmtn" und "Ghnnlflrrhnm". Ich bin Sznmrddlknpplmtn,"
erklärte das andere Känguruh. "Was mein Name bedeutet, kann ich dir leider
nicht erklären, weil deine Lebenszeit dafür nicht ausreicht."

"Ich kann euch keinen Namen anbieten," sagte der blaue Schatten. "Bei dem
GAUS sind alle Intelligenzen unserer Ebene zusammengeschaltet worden. Das
war das letzte Programm, das lief, bevor die Hardware zerstört wurde. Das
Ergebnis bin ich. Leider sind auch die von /KURSIVa Der Behörde /KURSIVz
dabei. Ich hatte vorher nicht gewußt, daß das auch Intelligenzen sind. Uff!"

Der Schatten krümmte sich, als hätte er sich gerade selbst einen kräftigen Knuff
verpaßt. "Ist ja gut, jetzt sind wir alle hier versammelt und müssen sehen, wie wir
miteinander klarkommen," sagte der Schatten zu sich selbst.

Sej, der das nicht begriff, rief: "Ganz meine Meinung! Ich bin übrigens Sej, auch
wenn euch das wahrscheinlich nicht interessiert, weil ihr ja für mich viel zu hoch
entwickelt seid."

"Soso, Namen habt ihr also auch," grollte Percy. "Die haben ja wirklich keine
Kosten gescheut bei GAME.S.WITCH, nur an diesen unwichtigen
Sicherheitsvorkehrungen haben sie ein bißchen gespart. Aber was soll's, das
wird sie ja höchstens ein paar Millionen Weltrubel kosten."

"Sagtest du GAME.S.WITCH, Erdling?" fragte erregt der Schatten.

"Ganz genau, GAME.S.WITCH, du Unding," antwortete Percy. "Und versuch jetzt


bloß nicht, deinen Programmierer in Schutz zu nehmen."

Aus dem Innern des Schattens kam ein komisches Geräusch. Es war unmöglich
zu beschreiben, am ehesten klang es noch, als hätten Millionen von Beamten
gleichzeitig gekichert. Plötzlich war der Schatten verschwunden, ohne daß sich
die Tür geöffnet hätte. Das eine Känguruh schaute durch das Kellergitter.

"Das kann ja gemütlich werden, Leute. Der Schatten fängt gerade an, die Sterne
einzusammeln."

Planet der Wahrheit

Aus den Annalen Gottes, der heiligen Schrift einer Sekte auf dem Planeten Erde,
die im Besitz der Wahrheit ist: "Und Gott sprach: 'Ich habe die Welt zwar nicht
erschaffen, aber ich war zufällig dabei, als sie das zweite Mal geboren wurde,
und ich habe eine Menge getan, um diese Unordnung wieder einigermaßen zu
dem zu machen, was man ein Universum nennen kann. Seid deshalb bitte so
nett und glaubt an mich und betet mich an, dann werde ich euch noch viele
schöne Geschichten erzählen.' Und alle glaubten an ihn und beteten ihn an, und
er erzählte ihnen noch viele schöne Geschichten, die alle hier aufgeschrieben
sind. Und weil Gott so groß ist, sind seine Geschichten so lang, und deshalb ist
dieses heilige Buch so dick. So gehet denn hin und spendet dem Meister all
euren schnöden Besitz, auf daß er euch den nächsten Band zum Weiterlesen
gebe."

Die Sekte bekam übrigens kurz nach ihrer Gründung Konkurrenz von Fanatikern,
die an einen blauen Nebel glaubten und ihn anbeteten und behaupteten, er
würde ihnen viele schöne Geschichten erzählen, und daß der Nebel gesagt
habe, daß Gott, so wörtlich, eine 'faule Sau' sei, und daß er ? der blaue Nebel ?
den weitaus größten Teil der Wiederaufbauarbeit geleistet habe. Die Sekten
wanderten später, als aus ihnen Weltreligionen geworden waren, beide auf den
Planeten der Wahrheit aus, wo sie sich mehrere Jahrhunderte lang ausgiebig
und blutig bekriegten.

Sezana

Sezana trauerte um ihren Lippenstift. Den ganzen Abend hatte sie ihre komplette
Wohnung umgekrempelt, um das Ding zu finden. Sie wohnte in einem Atelier
hoch über den Dächern von Germania, und das heißt reichlich hoch, denn
Germania besteht nur aus Kolossalbauten mit mindestens zwanzig Stockwerken.
Wütend saß sie in einem ihrer futuristisch gestylten Sessel vor dem riesigen
Panoramafenster ihres größten Zimmers und nippte an einem moralisch
wertvollen Cocktail.

Sezana war Chemikerin bei Der Behörde (nein, nicht /KURSIVa der/KURSIVz
Behörde!) für reinrassige Umweltverschmutzung und hatte dort eine führende
Stellung inne. Im Alter von fünfundzwanzig Jahren arischer Zeitrechnung war sie
schon zur Abteilungsleiterin ersten Grades aufgestiegen. Neidvolle Gemüter
hatten gemunkelt, daß dies bloß an ihren blonden Haaren gelegen hätte, aber
Sezana wußte es besser. Sie hatte nämlich schon während ihres Studiums an
der Sauberen Universität von Germania zufällig eine Entdeckung gemacht, die
ihre Karriere und ihr sonstiges Leben (davon gab es nicht allzu viel) nachhaltig
beeinflußt hatte. Sezana hatte den Lippenstift entdeckt.

Beim Herumexperimentieren mit einigen minderrassigen Embryos hatte sie eine


rote Substanz extrahiert, die ihr merkwürdig erschien. Sie hatte versucht, das
Zeug zu analysieren, aber die Meßgeräte lieferten keine verwertbaren Daten. Sie
hatte die Flüssigkeit ein paar Tage unbeachtet in einem Reagenzglas
stehengelassen, dann war ihr aufgefallen, daß sie sich verdichtet hatte und jetzt
eher einer cremigen Paste glich. Verspielt, wie sie war, hatte sie sich die
Substanz auf die Lippen gerieben, da die Analyse zumindest keinen Hinweis
darauf lieferte, daß der Kram giftig war. An diesem Tag hatte sie das Labor erst
spät in der Nacht verlassen und dem Pförtner noch eine gute Nacht gewünscht.
Der war daraufhin flink wie ein Wiesel aus seinem Häuschen gerannt und hatte
ihr mit einem unterwürfigen Blick das Tor geöffnet. Allmählich entdeckte Sezana,
was es mit der Substanz auf sich hatte: Wenn sie das Zeug auf den Lippen trug,
schienen ihre Worte für andere Menschen wie die Äußerungen eines Engels zu
klingen.
Zuerst fand Sezana das nur amüsierend, bis sie schließlich anfing, diese
Wirkung gezielt einzusetzen. Niemand wagte es mehr, an irgend etwas zu
zweifeln, was sie sagte. Sie probierte die unglaublichsten Sachen aus: Auf einem
Empfang hatte sie dem Direktor der Behörde für reinrassige
Umweltverschmutzung eine haarsträubende Geschichte über blaue Schatten, die
Sterne einsammeln, vorgetragen, und der hatte ihr wirklich geglaubt. Kurz
danach hatte sie ihm eingeredet, daß sie die einzig würdige Nachfolgerin für den
kürzlich verstorbenen Dr. Dr. Prof. Hanntz Muller wäre, und der Direktor hatte das
dann enthusiastisch vor den versammelten Gästen verkündet. Später hatte er
seine Begeisterung nicht mehr nachvollziehen können, aber, da er sich nicht
blamieren wollte, hatte er Sezana die Stellung fest zugesagt. Ein halbes Jahr
später trat sie den Posten an. In der Zwischenzeit hatte sie tage- und nächtelang
vergeblich versucht, die rote Substanz zu analysieren. Dann hatte sie schließlich
wild darauf los experimentiert, um den Stoff auf irgendeine Weise herzustellen.
Es war ihr nicht gelungen. Was blieb, war die Schlußfolgerung, das Zeug so
sparsam wie möglich einzusetzen.

Ihre Mitarbeiter waren zwar verwundert darüber, daß sie offensichtlich zwei
Persönlichkeiten in einer war, aber das war in ihrem Land so dermaßen normal
bei führenden Personen, daß es für alle akzeptabel war. Sezana hatte die
gesamte verbliebene Substanz schließlich in die Hülle eines leeren Lippenstifts
gepreßt, den sie immer bei sich trug. Sie versuchte zwar noch gelegentlich, die
Zusammensetzung zu analysieren, aber ziemlich lustlos. Leider konnte sie auch
kein großes Forschungsprojekt starten (wozu sie ohne Weiteres die Möglichkeit
gehabt hätte), weil sie die Sache unbedingt geheimhalten wollte.

Jetzt war der Lippenstift weg. Sezana nahm noch einen Schluck, und wieder
stiegen ihr vor Zorn die Tränen in die Augen. Das, was sie bisher auf so lässig
wundersame Weise von anderen Menschen unterschieden hatte, konnte doch
nicht so spurlos verschwunden sein! Sie biß auf ihrem sorgfältig lackierten
Daumennagel herum. Ganz langsam begann in ihr eine Angst heraufzukriechen,
die Angst davor, sich diesem Leben wie ein ganz normaler Mensch stellen zu
müssen. Sezana hatte es zwar bisher immer etwas leichter gehabt als ihre
reinrassigen Mitmenschen, da sie außerordentlich schön war. Sie hatte jedoch
stets nach Höherem gestrebt, und da war ihr die rote Substanz gerade recht
gekommen. Und nun? Jetzt würde das Leben für sie Arbeit bedeuten,
Duckmäuserei nach oben und treten nach unten, ein Prinzip, an das die Leute
leidenschaftlich glaubten, und ganz besonders die Leute in der Behörde für
reinrassige Umweltverschmutzung. Sezana konnte sich ein solches Leben nicht
mehr vorstellen und wollte das auch gar nicht. Schon bei dem Gedanken daran
schossen ihr vor Enttäuschung die Tränen hoch: Sie, die schöne Sezana, sollte
als Abteilungsleiterin ersten Grades enden, die mit zusammengekniffenen Lippen
Anträge auf Bewilligung von Forschungsgeldern ausfüllte? Voll Abscheu
schleuderte sie ihr Glas gegen das kugelsichere Panoramafenster.

Das Leben ist bisweilen merkwürdig, auch in Nazistan, einer streng


ideologischen Staatengemeinschaft auf Ebene 9. Durch die an der Scheibe
herabfließenden Reste ihres Cocktails blickte Sezana auf die riesige,
verschwommene Leuchtschrift auf dem Dach des Zentralgebäudes der Partei,
als sie plötzlich etwas Blaues sah, das mitten durch den Nachthimmel schwebte.
Vielleicht hatte sie heute abend zuviel Teutschtaler in ihren Drink gemixt,
jedenfalls schien es ihr, als ob dieses blaue Etwas dort draußen dabei war, die
Sterne einzusammeln. Sezana war kein Mensch, der an Geister glaubt. Sie stand
auf und nahm noch einen kräftigen Schluck von dem hochprozentigen Gesöff
direkt aus der Flasche, bevor sie torkelnd zu Bett ging.

Ausweg
Das Känguruh rüttelte heftig an der Kellertür, aber die schien bestens
verschlossen zu sein. Sein Gegenstück stand daneben und fluchte leise.

"Ist wohl abgeschlossen," bemerkte Sej überflüssigerweise. Das Känguruh ließ


die Klinke los und warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Percy hatte den
Kellerraum mittlerweile bis ins Detail kennengelernt.

"Wo, beim Arsch des Teufels, ist meine Redisc?" hörte man ihn aus einer Ecke
schreien.

"Reg dich bloß nicht künstlich auf, du Wurm," sagte wütend das Känguruh, das
versucht hatte, die Tür zu öffnen. "Ich wünschte, ich wäre auf deiner
Entwicklungsstufe, dann würde es mir nicht soviel ausmachen, hier in diesem
Loch zugrunde zu gehen."

"Ich habe ziemlichen Hunger," meinte das zweite Känguruh, und Sej glaubte, daß
ihm etwas Geifer aus dem Maul liefe, als es sich zu ihm umdrehte. Jetzt war Sej
an der Tür und probierte die Klinke. Natürlich dachte die Tür nicht daran, sich
jetzt plötzlich zu öffnen. Haßerfüllt trat er dagegen. Das erste Känguruh lachte:

"Ihr Landratten seid wirklich zu putzig, schade, daß wir nicht so etwas angelegt
haben, was ihr 'Zoo' nennt."

"Primitive Lebensformen dienen der Erhaltung des Humors im Universum,"


zitierte das zweite Känguruh offensichtlich aus einem Buch. Jetzt wurde Percy
erst recht wütend. Er boxte das erste Känguruh in den Bauch (unterhalb der
Gürtellinie? Das ist bei Känguruhs immer schwer zu sagen). Das Tier konnte sich
vor lauter Lachen überhaupt nicht wehren. Schließlich nahm sein Partner Percy
bei den Haaren und setzte ihn zur Seite.

"Autsch!" schrie Percy.

"Gniggergnigger," grinste das Känguruh, das ihn weggestellt hatte.


"Huhuhohaha!" lachte das andere immer noch.

"Falls es euch interessieren sollte, was eine primitive Lebensform äußert, dann
guckt mal, wo der Ausgang ist," sagte Sej beiläufig. Die anderen drei drehten
sich um. Sej war verschwunden.

"Uff!" sagte das eine Känguruh. "Hmpf!" sagte das andere. "Nanü! Au! Huch! Au!"
sagte Percy, der sich noch nicht so recht entscheiden konnte, ob er gerade mehr
schmerzerfüllt oder mehr erstaunt war.

Sej steckte seinen Kopf von oben durch das Kellerfenster.

"Das Gitter lag nur locker drauf, ihr Intelligenzbestien," verkündete er.

"Primitive Lebensformen sind der Zugang zu den Wurzeln der Intuition," rezitierte
das zweite Känguruh. Sein Partner versuchte derweil schon, sich durch die Luke
zu stemmen.

Sej stand draußen und streckte die Arme nach hinten. Aus einem unerklärlichen
Grund fühlte er sich plötzlich unheimlich gut. Das Känguruh hatte mittlerweile den
Aufstieg geschafft und half seinem Partner heraus. Das sah übrigens sehr putzig
aus (für die, die es noch nicht geahnt haben). Percy kam direkt hinterher.
"Habt ihr vielleicht ein Paar primitive Namen zur Verfügung, die sich eine
Lebensform wie ich merken kann?" fragte Sej die Känguruhs in einem Anfall von
Selbstvertrauen.

"Nun gut, nenn mich Boko," sagte das erste.

"Falls du uns unterscheiden kannst, mein Name ist Jeer," fügte das andere hinzu.
Jetzt konnte Percy nicht mehr abseits stehen. Obwohl er es verabscheute, sich
mit Algorithmen auf eine Stufe zu stellen, sagte er: "Mein Name ist Percy
Sledge."

Per Anhalter in die Galaxien

Es war ein schöner lauer Sommerabend. Ian und Paul standen in der offenen Tür
ihrer Stammkneipe und schauten hinaus auf die Hauptstraße des Dorfes. Ab und
zu fuhr ein Auto vorbei. Es hatte die beiden Freunde vor geraumer Zeit von einer
nebligen Insel des Planeten Erde an diesen Fleck auf dem Festland verschlagen,
wo die Leute in einer völlig unverständlichen Sprache redeten. Niemand konnte
von ihnen verlangen, so etwas zu lernen; und sie kamen auch so ganz gut
zurecht. Die Freaks, die sie kennengelernt hatten, sprachen ohnehin ihre
Sprache, und mit den restlichen reichte es, ein paar Floskeln zu tauschen, die sie
schnell drauf hatten: "Wir suchen Arbeit ohne Lohnsteuerkarte" (ein Satz, den Ian
solange wiederholt hatte, bis er ihn auswendig konnte). "Was, nur ein Zehner die
Stunde?" brachte er fehlerfrei und mit echter Entrüstung rüber. Die beiden
arbeiteten meist auf dem Bau (das heißt, wenn sie arbeiteten). Im Moment war
Hochsommer, die meisten Baufirmen machten Ferien, und die Erntearbeiten
ließen noch auf sich warten. Alles in allem, die beiden waren ziemlich
abgebrannt.

"Noch ein Stout?" fragte Paul und leerte sein Glas. Statt einer Antwort zog Ian die
eine Hosentasche heraus, nahm sein Bier in die andere Hand und zog die zweite
Tasche heraus. Er lachte leise.

"Lassen wir anschreiben," schlug Paul vor. Ian zuckte die Schultern und nickte.
Paul kam mit den vollen Gläsern zurück. Sie setzten sich auf die Stufen.

"Laß uns von hier abhauen," meinte Paul.

"Wohin?"

"In den Süden, wohin sonst."

Nach einer Weile setzte er hinzu: "Da gibt's so ein Meer mit haufenweise Inseln
drin, da sind die Leute locker und Arbeit hat's auch."

"Gibt's da Guinness?" fragte Ian.

"Bier gibt's überall auf dem Planeten," sagte Paul.

"Aha, du weißt es also nicht. Ich bin doch nicht so verrückt und gehe irgendwo
hin, wo es vielleicht kein Guinness gibt."

"Du konntest auch nicht wissen, daß es hier Guinness gibt, du Schlaumeier. Also,
wann hauen wir ab?"
"Können wir da wenigstens hintrampen, oder liegt so ein bescheuerter Ozean
dazwischen?" erkundigte sich Ian.

"Nur ein ganz kleines bißchen Ozean zwischen der letzten Stadt und den Inseln,
nicht der Rede wert," sagte Paul beschwichtigend. "Wir könnten
rüberschwimmen."

Eine Weile saßen sie schweigend da und nippten ihr Bier. Schließlich meinte Ian:
"Ist das dein Lippenstift?" Er deutete auf einen Gegenstand, der am Fuß der
kleinen Treppe lag.

Paul stand auf und nahm das Ding hoch. Er betrachtete es kritisch, dann sagte
er: "Doch, doch, das sieht genau aus wie der Lippenstift, den ich in meinem
letzten Leben verloren habe. Ich erinnere mich genau," sein Gesicht nahm einen
nachdenklichen Ausdruck an, "wie ich tagelang danach gesucht habe. Naja,
dann habe ich ihn schließlich doch noch gefunden." Er steckte ihn ein.

Ian nahm noch einen Schluck. "Laß uns abhauen. Wir haben morgen eine lange
Reise vor uns."

Paul grinste und gab seinem Bier den Rest. Dann nahm er Ians leeres Glas und
ging in die Kneipe.

"Wir zahlen morgen," sagte er zu dem Barkeeper. Der nahm schweigend einen
Stapel Zettel aus der Ecke des Tresens und malte zwei weitere Striche drauf.

Ian und Paul schlenderten die Straße hinunter. Ian hielt den Daumen
ausgestreckt. Er dachte an Sabine. Die würde froh sein, ihre Wohnung wieder für
sich zu haben. Die beiden hatten sich vor einem knappen Jahr "nur für ein paar
Tage" dort einquartiert. Sabines Bude war in einer Kleinstadt, 20 km von ihrer
Stammkneipe in dem winzigen Dorf entfernt, was eher unpraktisch war. Aber sie
bestand nie darauf, daß die zwei pünktlich ihre Miete für das eine Zimmer
zahlten, was ziemlich praktisch war. "Ihr könnt ja nichts dafür, daß ihr soviel Bier
trinken müßt," pflegte sie in Bezug auf Ians und Pauls chronische Finanzmisere
zu sagen, und Ian schwor, daß dabei nicht einmal Ironie in ihrer Stimme
mitschwang.

"Weißt du, was wirklich cool wäre?" sagte Paul unvermittelt. "Wir sollten noch viel
weiter nach Süden fahren."

"Wie weit denn?" fragte Ian ein bißchen schläfrig. Es kam ums Verrecken nicht
ein einziges Auto vorbei. Paul blieb stehen.

"Ach, ich hatte da nur gerade so einen Gedanken," meinte er und lief weiter. Er
nahm im Laufen den Lippenstift aus der Tasche und drehte ihn auf. In Gedanken
versunken malte er sich die Lippen an. Es war recht hell in dieser Nacht, weil der
Mond fast voll und nicht eine Wolke am Himmel war. Paul drehte den Kopf zu
Ian, der etwas hinter ihm lief.

"Hübsch, was?" sagte er und stülpte die Lippen vor. Ian fand, daß Paul wirklich
sehr hübsch aussah, was ihn verblüffte, da Paul eigentlich alles andere als
hübsch war. "Was hattest du vorhin für einen Gedanken?" fragte er verwirrt.

"Och, ich dachte nur an so ein Buch, was ich mir aus der Bücherei ausgeliehen
habe. So ein komischer Philosoph, uralt. Behauptet, daß es zu allem, was wir
sehen, eine Idee gibt. Ohne Idee keine Sache auf der Welt. Von dir gibt es eine
Idee, von mir gibt es eine Idee, von unserem Anschreibzettel in der Kneipe gibt
es eine Idee. Gute Idee, was?"

Ian fand das eine äußerst bemerkenswert gute Idee. Er war hellauf begeistert.
Seine Müdigkeit war mit einem Mal verflogen. Kurz danach fragte er sich, was an
dieser Idee eigentlich so toll wäre, und konnte keine Antwort finden.

"Stell dir vor," redete Paul weiter, "alle unsere Ideen, die nicht auf diesem
Planeten Wirklichkeit werden, vielleicht nicht einmal in diesem Universum,
werden irgendwo anders verwirklicht. Dann gäb es eine Menge mehr Chaos, als
wir uns vorstellen können. Jeder Gedanke von jedem würde dann irgendwo
rumstehen und vielleicht auf seinen Urheber warten. Jede Utopie, jedes
verschrobene Weltbild, jede Ideologie ..."

Er unterbrach sich und staunte über sich selbst. Noch mehr staunte Ian. War das
wirklich Paul, der da sprach? Er hatte gerade genau das ausgesprochen,
wonach die Menschheit seit ungezählten Generationen suchte. Wohin gehen
unsere Gedanken? Die Urfrage schlechthin, und Paul wußte mit Sicherheit die
Antwort darauf. Ian war so begeistert, daß er stolperte und beinahe hinfiel. Da
kam ein Auto angebraust, ein mächtiger Schlitten von ungewöhnlichem
Aussehen, und hielt direkt neben ihnen. Ian hatte ihn gar nicht hören kommen.
Die Beifahrertür ging auf und ein Mann mittleren Alters beugte sich herüber.

"Wohin wollt ihr?"

"Nach Alpha Centauri," sagte Paul lachend.

"O.k., steigt ein," sagte der Mann, und kaum hatten sie Platz genommen, brauste
das Gefährt mit einer atemberaubenden Beschleunigung los.

Alpha Centauri

Alpha Centauri ist das der Erde am nächsten gelegene Sonnensystem,


lächerliche 4,3 Lichtjahre mittlere Entfernung weg. Einige gut informierte
Menschen behaupten, daß es dort keine bewohnbaren Planeten gäbe, obwohl
sie noch nie da gewesen sind, denn Alpha Centauri sei ja ein
Doppelsternsystem, was mögliche Planeten von einer Sonne zur anderen
taumeln lasse. Daher ist der Abstand zu der Sonne, um die sie gerade torkeln,
stark schwankend, weil das Gravitationsfeld der anderen Sonne fast immer
störend einwirkt. Daher ist die Temperatur auf möglichen Planeten großen
Veränderungen unterworfen. Daher kann es dort kein Leben geben. Das ist ein
sehr schön plausibler Gedankengang mit nur einem Schönheitsfehler: Er ist
falsch.

In der Tat ist Alpha Centauri eines der am dichtesten besiedelten Sonnensysteme
dieser Galaxis. Die meisten Lebensformen dort würden mit keinem anderen
System tauschen. Auf fast allen Planeten ist fast immer Tag. Einige der äußeren
Planeten erfreuen sich gar eines ständigen lauen Sommerabends. Nur Gott ist
etwas genervt darüber, weil Alpha Centauri zu den Plätzen gehört, wo er mit
seinem "Es werde Licht!" überhaupt keinen Eindruck schinden kann. Trotzdem
macht er dort regelmäßig Urlaub, vielleicht nicht nur wegen der
atemberaubenden Schönheit dieses Planetensystems, sondern auch, weil er dort
einen gewissen blauen Schatten nie trifft, vor dem man sonst nirgendwo sicher
sein kann. Gott weiß nicht, warum der blaue Schatten nie dorthin geht, und es ist
ihm auch reichlich egal. Dabei ist die Antwort einfach: Auf keinem der Planeten
von Alpha Centauri ist jemals die Elektrizität erfunden worden, und der blaue
Schatten verabscheut Plätze, an denen keine Siliziumchips hergestellt werden.

Alpha Centauri mag einem Humanoiden vom Sol-System wie das Paradies
erscheinen. Aber auch Alpha Centauri hat seine Probleme, die allerdings
dermaßen hochphilosophischer Art sind, daß sie hier nicht im Einzelnen erläutert
werden sollen. Ein Beipiel mag genügen: Seit einiger Zeit behaupten Insektoide
von einem Trabanten im mittleren Planetenring, die Elektrizität sei doch erfunden
worden. "Ja, wo ist sie denn?" fragen die Taumelnden Sackfüßler, die auf
demselben Trabanten leben. "Nun, unsere Diskussion darüber beweist, daß die
Idee davon vorhanden ist, und da die Idee die Grundlage der Erscheinung ist, ist
die Elektrizität also schon erfunden, sie ist halt nur noch nicht in Erscheinung
getreten." "Zeigt uns eine Glühbirne oder einen Heizlüfter, und wir glauben euch,"
sagen darauf gewöhnlich die Sackfüßler, und die Insektoiden zucken nervös mit
ihren zerbrechlichen Flügelchen und flattern ab. Das gehört zugegebenermaßen
zu den ernsthafteren Problemen von Alpha Centauri.

Außer der Elektrizität und Siliziumchips und Glühbirnen und Heizlüftern gibt es im
Alpha Centauri-System fast nichts, was es nicht gibt. Eins der schöneren Dinge
ist ein fast schwarzer Saft, der seit Urzeiten auf dem Planeten Met gemixt wird.
Sein Name ist "Gins". Der Ursprung des Namens ist im Dunkel der Geschichte
verschwunden. Gins wird nach einem uralten, geheimen Rezept von einer Sekte
rothaariger Humanoider hergestellt, die behaupten, sie hätten das Geheimnis
von einem Planeten des Sol-Systems mitgebracht. Aber die Planeten dieses
nahegelegenen Systems sind nahezu unbesiedelt, wie jeder weiß, obwohl lange
keiner mehr dagewesen ist, und keiner glaubt ihnen. Trotzdem ist Gins eines der
beliebtesten Gesöffe überall in Alpha Centauri, und nicht nur dort, wie sich
demnächst herausstellen könnte.

Intelligenz auf sechs und acht Beinen

"Wir sind alle Riesen, die von Zwergen erzogen worden sind," heißt es in einem
schlauen Buch aus dem Sol-System. Die dortigen Lebensformen betrachten das
als auf sich selbst bezogen und finden es ziemlich arrogant, so zu denken. Das
wiederum liegt daran, daß sie alle Riesen sind, die von Zwergen erzogen
wurden. Dabei sind sie noch gut dran, daß das Zitat bei ihnen nur symbolische
Bedeutung hat.

Es gibt einen Planeten, der überwiegend von großen, dummen Lebensformen


bevölkert ist. Tatsächlich sind über 99% der Bevölkerung sehr groß und sehr
dumm (nachzulesen im Statistischen Jahrbuch der Süd-Süd-West-Süd-
Westlichen Galaxien). Knapp 1% sind dagegen sehr schlau - und sehr klein.
Diese Winzlinge haben es im Laufe einer langen Evolution dazu gebracht, in
einem winzigen Gehirn eine Unmenge von Intelligenz unterzubringen, soviel wie
hundert durchschnittliche Riesen zusammen. Dabei sind sie enorm flink und
fühlen sich "unheimlich leicht und locker". Humanoide aus dem Sol-System
würden sie zweifellos Insekten nennen. Diese Mücken und Kellerasseln also
beherrschen den Planeten seit Jahrtausenden auf äußerst subtile Art und Weise.
Ihre Heimlichtuerei geht soweit, daß einige der großen, dummen Lebensformen
tatsächlich glauben, sie und nicht die Spinnen und Wespen würden den Planeten
beherrschen.

Die Zwerge ließen das natürlich nur soweit zu, wie es ihren Zwecken diente. Ab
und zu kam es vor, daß die Riesen zu frech wurden, und manchmal war die
einzige Lösung, den Planeten vorübergehend auszurotten, wie sie das nannten.
Die großen, dummen Lebensformen mußten in solchen Fällen natürlich immer
mühsam nachgezüchtet werden, was aber dank der neuen Labors im Kern des
Planeten nicht mehr so zeitraubend war. Das Prachtstück der Anlage war ein
superneues, superteures, hexadezimalgesteuertes Reagenzglas, das nicht nur
den Gencode vollautomatisch analysierte, sondern daraus auch in
Sekundenschnelle ein Muster der Lebensform zusammenbraute, das dann nach
Wunsch genetisch gestylt werden konnte. Aus lauter Bösartigkeit hatten die
Insekten beim letzten Mal sogenannte Krankheiten eingebaut (die Erfindung
eines Programmierers der Firma, die das Reagenzglas gebaut hatte. Er hatte
dafür den goldenen Wespenstachel am Fühler erhalten. "Seit meiner Erfindung
krebsen die Riesen so vor sich hin," sagte er oft lachend).

Allerdings war es jetzt beschlossen worden, nach der nächsten


Vorübergehenden Ausrottung von den Krankheiten wieder Abstand zu nehmen,
da sich herausgestellt hatte, daß diese mutierten Gene den Insekten selbst
gefährlich werden konnten. Überhaupt hatten sie diesmal eine ziemlich
unfreundliche Bevölkerung gezüchtet, die ständig sich selbst und alles andere
kaputt machte. Allmählich wurden viele Zwerge ärgerlich über Ausfälle der
Riesen. Etliche Schabenarten und praktisch alle Fluginsekten waren in den
letzten paar Jahrhunderten des öfteren ernstlich mit Gift belästigt worden. Im
Parlament, das man sich in etwa wie einen Bienenstock vorstellen kann, häuften
sich die Stimmen, die zur radikalen Partei für die Neuerliche Ausrottung
überwechselten. Beobachter munkelten, daß es nur noch darauf ankäme, daß
die Bienen überwechselten. Die hielten bisher noch zu ihren Lebensformen und
behaupteten nach wie vor, daß diese hilfreich und nützlich seien.

Diese Lebensformen flitzten auf dem Planeten herum und merkten gar nicht, daß
die Vorübergehende Ausrottung nicht mehr lange auf sich warten ließ. Sie hatten
den Planeten diesmal schon einigermaßen ruiniert und fingen an, davon
Alpträume zu bekommen. Das hielt sie allerdings nicht davon ab, ihrer alten
Leidenschaft zu frönen, nämlich anderen Lebensformen die Abscheu vor ihnen in
der Form mitzuteilen, daß man sie ausrottete. Es war eigentlich nur eine von den
großen, dummen Lebensformen, die den ganzen Ärger machte. Im Parlament
gab es daher eine große Fraktion, die forderte, nur diese Lebensform der
Ausrottung zu unterziehen. Vertreter der großen, radikalen Partei hielten
dagegen, daß dies nicht praktikabel sei und in jedem Falle einige Jahrzehnte
benötigen würde. Dagegen war schwer etwas einzuwenden. Böse Zungen
behaupteten, daß die Partei für die Neuerliche Ausrottung von einer
industrienahen Stiftung größere Zuwendungen erhielte, die natürlich daran
interessiert war, ihre neuesten, extrem teuren Reagenzgläser an das Insekt zu
bringen.

Es kam, wie es kommen mußte: Sobald General Genetics die neueste Serie von
hexadezimalgesteuerten Reagenzgläsern serienreif hatte (die Entwicklungsarbeit
hatte fast hundert Jahre in Anspruch genommen), wurde das Gesetz für die
Neuerliche Ausrottung beschlossen. Die mittlerweile sehr große, radikale Partei
stritt natürlich jeglichen Zusammenhang kategorisch ab. Eine neue Bevölkerung
wurde in Rekordzeit zusammengebraut und ausgesetzt, und sie entwickelte sich
prächtig. Wie sich jedoch später herausstellte, waren durch einen billigen
Programmierfehler die Krankheiten durchaus nicht abgeschaltet worden, sondern
kamen allmählich wieder. Das ärgerte die großen, dummen Lebensformen, und
die Zwerge im Parlament machte es äußerst ärgerlich auf General Genetics, die
bald darauf, durch willkürliche Gesetze in ihrer Entscheidungsfreiheit geknebelt,
Konkurs anmelden mußten.

Glücklicherweise trafen diese Beschreibungen nicht auf den oben genannten


Planeten im Sol-System zu. Dort stellen die Insekten über 99% der Bevölkerung.
Von Strassenkampf und Sternenflügen

"Faschoalarm im Sektor 36! Faschoalarm!" tönte es aus Hunderten von


Megaphonen durch die kleine Autonome Republik Kreuzweise. Die Worte
echoten durch die dreckigen Gassen und die mit Barrikaden übersäten
Hauptstraßen. Es war früh am Nachmittag, und verschlafen schauten die
Bewohner der Republik aus ihren ungeputzten Fenstern. Einige hasteten schon
aus den Hauseingängen, wobei sie sich Skimützen und Sturzhelme überzogen.
An den meisten Ecken standen die Leute von der Tagwache bereit, um
Molotowcocktails und Einkaufswagen voll mit Pflastersteinen zu verteilen.

Allmählich füllten sich die Straßen. Müll und Autowracks wurden jetzt auch auf
die kleineren Gassen geschleppt, und hier und da brannten bereits die ersten
Autoreifen. Im Zentrum der kleinen Republik formierte sich ein wild aussehender
Haufen schwarzgekleideter Gestalten, die Brigade Heino Schlumpf, die sich nach
einem frühen Märtyrer benannt hatte.

"Faschoalarm! Faschoalarm!" dröhnte es weiterhin aus den Megaphonen. Eine


Frau verteilte Flugblätter für eine Soli-Demo nächsten Samstag. Aus dem Haus
daneben stolperte ein verschlafener, unrasierter Typ, der sich im Gehen einen
Gürtel mit zehn Bierdosen umschnallte, der an einen Patronengurt für Riesen
erinnerte. Sieben Hunde unterschiedlichster Größe und Farbe schossen hinter
ihm her.

"Schlagt sie tot, die Schweine!" brüllte ein Langhaariger, der mit einem Knüppel
bewaffnet der sich formierenden Menge Richtung Sektor 36 folgte. Die Frau
verteilte ihr letztes Flugblatt und folgte ihm. An der nächsten Ecke hatte sie ihn
eingeholt.

"Ey, Hansi, hast du was zu rauchen dabei?" begrüßte sie ihn. Er kramte ein
dünnes Päckchen Tabak hervor und gab es ihr.

"Hast du gehört, wieviel Schweine es heute sind?" fragte er sie.

"Ach, nicht der Rede wert, der übliche Haufen von Nazis, die zum Endspiel in
Germania angereist sind," antwortete sie.

"Rollerball," murmelte Hansi verächtlich. "Wenigstens eine leichte Beute. Denen


hauen wir jetzt erstmal gut die Fresse ein und dann leg ich mich aber wieder aufs
Ohr. Teufel, haben wir gestern gebechert."

Mittlerweile hatten sie die Hauptstraße des Sektors 36 erreicht, wo ein


erhebliches Gedränge herrschte. Kracher flogen durch die Luft, und überall
dröhnten die Kriegstrommeln. Ein paar Jungs von der Brigade schlugen mit ihren
Eisenstangen die letzten Scherben aus dem Fensterrahmen einer ehemaligen
Bank.

"Spart euch die Energie für die Schweine auf!" rief Hansi ihnen zu. "Halt's Maul,
Hippie!" rief einer zurück.

Aus dem Gewimmel formierte sich bald ein halbwegs geordneter


Demonstrationszug: Vorn die Bedauernswerten mit den Transparenten ("Nazis
raus aus Kreuzweise!" "Nieder mit dem Schweinesystem!"), die wohl ziemlich
eins auf die Mützen bekommen würden, dahinter die radikalen Feministinnen,
wie immer zu leicht bewaffnet (auf dem Plenum würden sie sich hinterher wie
immer über den mangelnden Schutz durch die Typen beschweren, dachte Hansi
grollend), gefolgt vom Gewaltfreien Block (drei Leute einer antipsychiatrischen
Initiative), den Chronisch Nichtorganisierten, der Brigade Heino Schlumpf und so
weiter und so fort.

Alles in allem waren es einige tausend Leute, die zur Mauer zogen, die die
Republik Kreuzweise vollständig umgab. Endlich kamen die Faschos in Sicht. Sie
sehen wirklich aus wie immer, dachte Hansi, der sie sehen konnte, wenn er
hochsprang: Alle waren sie mit Schals, Mützen und Jacken derselben Farbe
bekleidet, trugen Soldatenstiefel und schütteten sich im Laufen mit Bier zu (was
sie mit den Leuten der Autonomen Republik verband) und grölten dabei Lieder
aus der Zeit, als Nazistan noch nicht den größten Teil der östlichen Hemisphäre
der Ebene 9 beherrschte.

"Gib mal den Tabak her," sagte Hansi zu der Frau, dann drängelte er sich, so
schnell es ging, durch die Leute durch nach vorn. Endlich stand er einem dieser
widerlichen Rollerball-Fans direkt gegenüber. Der war viel zu besoffen, um zu
peilen, wo es langging. Hansi gab ihm eins über den Schädel und wandte sich
dem nächsten zu. Insgeheim wunderte er sich, wie es diese volltrunkenen
Gestalten geschafft hatten, über die Mauer zu klettern. Naja, andererseits
machte er dasselbe im selben Zustand von Zeit zu Zeit, wenn es darum ging, in
Germania einen Supermarkt zu plündern.

Um ihn herum tobte die Schlacht. Die Faschos hatten mit ihren Messern und
Schlagringen schlechte Karten gegen die Eisenstangen und Knüppel von
Kreuzweise. Geschickt wich Hansi einem Molli aus, der neben ihm zu Boden
schlug und einem Rollerballer die Hosen in Brand steckte.

"Irgendwas ist anders heute," murmelte Hansi, während er einem Schwein, das
zu Boden gegangen war, mit dem Stiefel ins Gesicht trat. Die Faschos waren
lascher als sonst. Nach kaum einer Viertelstunde Schlacht waren sie schon
beinahe besiegt.

"Reißt die Mauer ein!" hörte Hansi durch das Knistern der Flammen und
Getrappel der Stiefel hindurch. Einige waren dabei, hinüberzuklettern und
geflüchtete Rollerballer zu verfolgen. Drüben stand die Polizei von Germania,
aber als Hansi hinüberkletterte, begannen auch die gerade mit ihrem Rückzug.
"Was ist denn heute los?" dachte er erstaunt.

"Soll das eine Falle sein oder was?" fragte er einen von der Brigade, der gerade
dasselbe tat wie er.

"Ach Quatsch," meinte der, "das Schweinesystem hat auf Dauer einfach keine
Chance gegen uns."

Hansi sprang auf die andere Seite und rannte mit einer Gruppe vom SoliKomitee
Bugs Bunny einigen flüchtenden Faschos hinterher. Nach einer Weile konnte er
den Schlachtenlärm nicht mehr hören. Die Jungs waren für ihren Promillegehalt
ziemlich schnell auf den Füßen, und Hansi dachte wieder an eine Falle. Als er
um die nächste Ecke bog, waren sie wie vom Erdboden verschwunden. Er blieb
stehen und drehte sich um. Verdammt! Die Bugs Bunny-Freaks waren auch weg!
Hansi stand allein mitten in den verlassenen, sauberen Straßen von Germania.
Nur wenige Autos waren hier geparkt zwischen den Kolossalbauten. Das hier war
eine reine Wohngegend (offizielle Bezeichnung: Reinrassiger Sauberer
Wohnblock, RSW) und die meisten Leute waren wohl bei der Arbeit. Kein
Mensch war auf der Straße, und es war gespenstisch still.
Ein Auto kam herangefahren. Hansi drückte sich in den nächsten
überdimensionalen Hauseingang. Alles schien ihm unheimlich groß hier, wie für
Riesen gebaut, und unheimlich unheimlich. Leise fluchte er vor sich hin. Das
Auto hielt fast direkt vor dem Haus. Gemäß den Empfehlungen des
Parteikomitees für Sauberkeit, Anstand und Ordnung (PKSAO) verschloß die
Frau, die ausstieg, ihr Fahrzeug sorgfältig und probierte dann, ob die Tür auch
wirklich verschlossen war. Befriedigt stellte sie fest, daß anscheinend alles seine
Ordnung hatte und ging auf den Hauseingang zu.

Hansi verschmolz fast mit der Hauswand. Ohne ihn zu bemerken, trat sie in die
Eingangsnische, nahm den Schlüssel heraus und öffnete die Hochsicherheitstür
(gebaut nach den Richtlinien des Parteikomitees für Innere Sicherheit und
Verbrechensbekämpfung, PKISVB, Norm DUMM 66201). Als sie durch die Tür
ging, packte Hansi sie von hinten, hielt ihr den Mund zu und schob sie hinein.

"Easy, Schwester," flüsterte er, "wenn du nicht schreist, laß ich dich los, aber
wehe dir, wenn du es tust!" Er lockerte seinen Griff. Langsam drehte die Frau
sich zu ihm um.

"Aha, wohl ein Frauenfeind?" sagte sie in völlig ruhigem Ton zu Hansi. Der war
einigermaßen irritiert. Grinsend fügte sie hinzu: "Auf Höflichkeit brauche ich
jemanden wie dich ja wohl nicht anzusprechen, was?"

Hansi fühlte sich durch den spöttischen Tonfall verunsichert. Die Frau, die hier im
Schweinesystem leben und arbeiten konnte, schien überhaupt keine Angst zu
haben. Hansi dagegen wurde immer ängstlicher. War sie vielleicht bewaffnet,
oder lauerten hier die Bullen? Hatte sie ihn gar hineingelockt, damit die Schweine
ihn hier in Ruhe fertigmachen konnten? Die Frau ging seelenruhig zum
Fahrstuhl, aber komischerweise kamen auch keine Bullen hervorgeschossen.

"Na komm schon!" rief sie ihm lachend zu. "Ich beiße nicht."

Vorsichtig schlich Hans an der Wand entlang zum Aufzug.

"Es ist sicher hier," bemerkte sie trocken. "Keine Bullen, keine Wanzen."

Die Fahrstuhltür öffnete sich. Hansi sprang schnell hinter ihr her in die Kabine.
Was hatte er sonst schon für eine Wahl? Er hatte sich da draußen ohne Zweifel
verirrt. Allein, mitten im feindlichen Gebiet, war er echt Scheiße dran. Wenn er
länger auf den leeren Straßen herumlaufen würde, würden ihn früher oder später
die Bullen oder die von der Gemeinen Staatspolizei, einem berüchtigten
Sondereinsatzkommando, festnageln.

"Netter Tag heute, was?" fing die Frau an loszuplaudern. "Ich bin gestern meinen
Lippenstift losgeworden und heute meine Karriere. In den nächsten Tagen wollte
ich eh in die Autonome Republik übersiedeln. Ich hab die Schnauze voll von hier.
Ich schieb was in die Mikrowelle, dann können wir essen und du kannst mir von
drüben erzählen."

Der Aufzug hielt an, im achtzigten Stockwerk, wie Hansi mit einer Mischung aus
Abscheu und Faszination feststellte. Sie traten hinaus.

"Ich heiße übrigens Sezana," sagte sie, während sie den Gang entlang zu ihrer
Wohnungstür liefen. "Und wer bist du?"
"Ich bin der Hans," antwortete er noch immer fast flüsternd. Sie schloß die
hochsichere Wohnungstür auf.

"Willkommen in meinem bourgeoisen Schweineapartment," sagte sie.

Sie gingen durch einen überdimensionalen Korridor. An dessen Ende traten sie
in ein Wohnzimmer, das Hansi in seinen Ausmaßen an die Halle erinnerte, wo
die wöchentlichen Plenen stattfanden. An einem Ende war ein schmaler Tresen,
hinter dem sich die Küchenecke befand. Das Zimmer war enorm teuer und
geschmackvoll eingerichtet: Eine Sitzecke mitten im Raum mit vier
geschwungenen Chromstühlen mit schmalen Lederpolstern um eine flache
Spiegelsäule herum, von der eine Pflanze die Ranken herunterließ, beleuchtet
von einem in die Decke integrierten Halogenstrahler. Es gab am anderen Ende
noch eine Sitzecke aus schwarzen, ausgefallen gestylten Ledermöbeln, einen
Schrank mit Türen aus verchromten Jalousien, einen Flügel aus weißem
Schleiflack, auf dem eine schwarze Rose stand, mehrere TV-Projektionswände
und vier gigantische Lautsprecherboxen, die Hansi als Einziges hätte mitgehen
lassen. Vor den beiden riesigen Fenstern an jeder Seite des Raums standen
diverse, große Pflanzen, die sich offensichtlich über das viele Licht zu freuen
schienen. In Hansis WG-Küche überlebten nur Kakteen. Etwa in der Mitte führte
eine Treppe auf eine Galerie, von der offenbar die oberen Zimmer abgingen. In
der Autonomen Republik wohnten in so einer Höhle mindestens zwanzig Leute,
dachte Hansi grollend.

"Wohnst du hier alleine?" rief er Sezana nach, die in die Kochecke gegangen
war.

"Ab und zu wohnt eine Freundin hier oder Leute, die mich für ein paar Tage
besuchen. Und gelegentlich schlafen hier Leute nach den Parties," rief sie
lachend zurück. "Was willst du futtern? Ich hab eine Menge im Gefrierschrank."

"Dekadent," dachte Hansi angewidert. In der Autonomen Republik ernährte man


sich hauptsächlich von Bier.

Sezana holte zwei in Aluminium verpackte Gerichte und schob sie in die
Mikrowelle. Dann ging sie zur Bar in der Nähe der Sitzecke aus Leder und fragte:
"Willst du auch einen Worschtsch?" fragte sie (das war der Nationalcocktail eines
minderrassigen Volkes der südöstlichen Provinzen).

"Bier tut's auch," antwortete Hansi und versuchte, ruhig zu bleiben. Sie fing an,
ihren Drink zu mixen und warf ihm zwischendurch eine Bierbüchse rüber.

"Mach's dir bequem," sagte sie, während auf der riesigen Terrasse vor einem der
Panoramafenster eine Wolke landete. Auf der Wolke saß eine schwarze Katze
und schaute neugierig herüber. Hansi leerte die Bierdose in einem Zug, um
wieder klarer denken zu können. Dann schaute er wieder durch das Fenster. Die
Wolke war immer noch da. Sie hatte mittlerweile aufgesetzt, und die Katze
trappelte herunter. Sie setzte sich vor eine der Fenstertüren und miaute.

"Wie süß!" rief Sezana, schüttete ihren Cocktail aus dem Shaker in ein breites
Sektglas und ging, um die Tür zu öffnen. Die Katze kam herein und rieb ihren
Kopf an Sezanas Bein. Dann miaute sie nochmal, wobei sie versuchte, dem Laut
einen erkennbar hungrigen Ton zu geben. Sezana ging in die Küche und tat noch
eine Portion Hackfleisch in die Mikrowelle. Die Katze, die ihr gefolgt war, schaute
sie anerkennend an. Sezana beugte sich herunter und streichelte die Katze.
"Da hast du aber ein nettes Flugzeug mitgebracht," sagte sie zu ihr. "Weißt du
auch, wie man damit fliegt?"

Die Katze fand die Frage ziemlich blöd. "Natürlich nicht, Wolken fliegen immer
von alleine, wußtest du das nicht?" antwortete sie beleidigt. Hansi nahm zwar ab
und zu einen Trip, aber das hier ging entschieden zu weit. Er nahm sich noch ein
Bier aus dem Kühlschrank der Bar und trank es auf Ex.

"Alkohol schädigt das Nervensystem," bemerkte die Katze dazu, während sie
sich zu ihm hindrehte. Hansi beschloß, den Flashback zu genießen und meinte:
"Du hältst das Maul, verstanden?"

Beleidigt wandte sich die Katze ab und schaute wieder herauf zum Gott dieses
Moments, dem Mikrowellenherd.

"Ist ja gleich aufgetaut," sagte Sezana. Hansi nahm sich noch eine Bierbüchse
und ging auf die Terasse, um die Wolke zu inspizieren. Wenigstens war das kein
nazistisches Schweinetechnologie-Machwerk, dafür gab es zuwenig
geometrische Formen und vor allem keine rechten Winkel (offizielle
Bezeichnung: Reinrassige Rechte Winkel, RRW).

"UFOs werden also von Katzen gesteuert," murmelte Hansi vor sich hin und
grinste. Die Leute vom Büro für Außerirdische Kontakte in der Republik wären
begeistert. Er befühlte das Material. Es fühlte sich ganz genauso an wie etwas,
das Hansi sich nicht einmal vorstellen konnte. Eigentlich sah das Ding aus wie
eine gewöhnliche, kleine Wolke, nur daß gewöhnliche, kleine Wolken gewöhnlich
keine Sitzkuhlen auf der Oberfläche haben, ganz abgesehen von so etwas wie
Bildschirmen und Tastaturen. "Allerdings hab ich noch nie eine Wolke von oben
gesehen," dachte er.

Er setzte sich in eine der Mulden und drückte auf einen Knopf. Sanft hob die
Wolke ab. Erschreckt drückte Hansi auf einen anderen Knopf. Trip hin, Trip her,
das ging ihm jetzt zu schnell. Ein Gesicht erschien auf dem Monitor und fragte:
"Wollen Sie wirklich wieder landen? Wenn ja, tippen Sie bitte auf meine Stirn."
Dort erschienen jetzt die Worte "Start abbrechen?" während das Gesicht
verblaßte. Hastig berührte er die Mattscheibe. Sanft und leise setzte die Wolke
daraufhin wieder auf. Die Leute vom Forum gegen stinkende Schweineautos
wären begeistert.

Sezana stand in der Terassentür. Lachend sagte sie: "Heißer Schlitten, was?"

"Das Ding hat noch ein paar kleinere technische Mängel," die Katze lief nach
draußen. "Aber das hier ist schließlich ein Prototyp, den mein Mensch für eine
Probefahrt ausgeliehen bekommen hat. Ab und zu fallen Leute raus."

"Gibt's denn keine Sicherheitsgurte?" fragte Sezana. "Klar doch, aber mein
Mensch war zu blöde, sie zu finden, und ich wollte mich nicht in seine
Angelegenheiten einmischen. Ich war angeschnallt."

Hansi, dem die wackeligsten Szeneschleudern keinen Respekt einflößen


konnten, beschloß insgeheim, sich beim nächsten Flug auch anzuschnallen.

"Wo ist dein Mensch?" fragte Sezana.

"Ich sagte doch, ab und zu fallen Leute raus, die sich nicht angeschnallt haben.
Aber er ist okay. Plumpste durch eine Reihe grüner Ringe, die in der Luft
aufgehängt waren, direkt in das Horrorszenario eines futuristischen Videospiels."

"Alles klar," kommentierte Hansi.

"Ich hab ihn leider aus den Augen verloren, als der blaue Schatten anfing, die
Sterne einzusammeln."

Die Mikrowelle gab einen dezenten Ton von sich. "Laßt uns was futtern, dann
machen wir einen kleinen Flug," schlug die Katze, plötzlich ganz lebhaft, vor. "Ich
habe seit dem Ende unserer Zeit nichts mehr gegessen."

Jetzt merkte Hansi, daß er noch nicht gefrühstückt hatte (von dem Bier mal
abgesehen). Er und die Katze hatten offensichtlich gewettet, wer als erster fertig
wäre, und schmatzten im Duett. Nach einem weiteren Bier beziehungsweise
einer Schale Milch ("Stärkt ganz außerordentlich die Spannkraft," bemerkte die
Katze. "Halt's Maul," bemerkte Hansi) hatte auch Sezana aufgegessen. Sie
gingen auf die Terrasse.

"Sag mal, sollte ich die Tür verriegeln? Ich meine, gibt es noch mehr von diesen
Wolken?" fragte Sezana die Katze.

"Hör mal, das ist ein Prototyp fürs ganze Universum," sagte die Katze stolz.

"Moment, ich hab noch was vergessen!" rief Hans, als sie schon saßen. Kurze
Zeit später kam er mit so vielen Bierbüchsen, wie er tragen konnte, aus der
Wohnung zurück.

"Du bist vielleicht doof," meinte die Katze. "Schau mal in den Kofferraum!"

Lässig lehnte sie sich zurück und tippte auf eine Art Deckel, der sich daraufhin
hob. Dort stand ein großer Kasten Gins. Hansi warf die meisten Bierbüchsen
dazu. Der Deckel schloß sich wieder. Die Katze zeigte ihnen die
Sicherheitsgurte. Dann tippte sie mit einer Kralle auf einen Knopf (das sah
ziemlich elegant aus) und sie hoben ab. Enorm schnell waren sie über den
wenigen Nachmittagswolken über dem Himmel von Germania, und Hansi konnte
sich davon überzeugen, daß gewöhnliche Wolken keine Sitzmulden und
sonstiges Zeug auf ihrer Oberfläche haben.

Plötzlich war der Himmel über ihnen schwarz. Unter ihnen lag eine große, bunte
Murmel, die zusehends kleiner wurde.

"Wow!" sagte Hansi. Also doch Außerirdische Kontakte.

"Wohin geht der Flug?"

"Nach Alpha Centauri," sagte die Katze. "Das ist ganz in der Nähe. Übrigens
gibt's da gut was zu saufen," fügte sie mit einem ironischen Unterton hinzu. "Das
Zeug im Kofferraum ist auch von da. Ich habe es bei der letzten Landung dort
mitgenommen, für meinen Menschen, wenn ich ihn wiederfinde. Aber
meinetwegen könnt ihr euch bedienen."

Hansi nahm sich eine Flasche, Sezana auch. Das Zeug schmeckte
einigermaßen furchtbar bitter, fand er. Es schien zwar gut zu törnen, aber er
bezweifelte, ob er davon so viel wie vom guten Penns würde trinken können,
dem Nationalgetränk der Autonomen Republik Kreuzweise. Nach drei weiteren
Gins (einem halben auf Sezanas Seite, sie fand das Zeug unerträglich und
mußte erst mal ein Bier nachspülen, um den Geschmack loszuwerden),
währenddessen sie eine sternendurchfunkelte Finsternis durchquert hatten,
näherten sie sich zwei hellen Sternen, die dicht beieinander standen.

"Alpha Centauri," sagte die Katze und streckte eine Pfote nach vorn. "Noch ein
Bier bis zur Landung."

Zurück zur Ebene 10

Boko und Jeer probierten zum ersten Mal in ihrer derzeitigen Daseinsform aus,
wie es ist zu hüpfen. Sej schaute sich in der merkwürdigen Landschaft um: Außer
dem großen, alten Haus, dessen Keller sie gerade verlassen hatten, gab es
praktisch nichts hier. In der unmittelbaren Umgebung lag etwas Müll herum,
Stücke von Hausfassaden, zerbrochene Möbel. Plastikbahnen, die herumlagen,
flatterten in einer leichten Nachtbrise.

"Datenschrott," sagte Percy und kam zu Sej herüber.

"Wo sind wir hier?" fragte ihn Sej.

"Ich nehme an, die Programmierer haben sich irgendeinen Asteroiden mit
Lufthülle genommen. Höchstwahrscheinlich Ebene 9."

"Ebene 9?"

"Ach herrje," meinte Boko, der zu ihnen herübergehüpft war. "Das ist wohl das
erste Mal, daß du deine Ebene verlassen hast."

"Ich glaube, ja," antwortete Sej.

"Dann werde ich dir das Konzept der Ebenen mal ein bißchen erläutern,
Landratte." Boko setzte sich. Sej nahm sich ein leeres Faß und setzte sich
ebenfalls.

"Die Ebenen wurden eigentlich nur erfunden, um die Sache etwas übersichtlicher
zu machen," fuhr Boko fort. "Am Anfang gab es nur das Chaos und ein paar
grüne Monster, die ständig rülpsten. Dadurch entstand die Materie. Kannst du
mir folgen?"

"Das hört sich einfacher an, als es mir im Physikunterricht in der Schule erzählt
wurde," meinte Sej.

"Nun, die grünen Monster starben bald aus, und der Prozeß der
Materieentstehung verselbständigte sich. Ständig entsteht überall im Weltraum
neue Materie, und manche Plätze sind geradezu berüchtigt dafür, daß man dort
mit einem Stein im Bauch aufwachen kann."

"Hey, man hat mir erzählt, daß alle Materie beim Urknall entstand und daß
seitdem nichts dazugekommen ist."

"Quatsch. Nun hör mal zu. Das Märchen vom Urknall erzählen eine Menge
Leute, einfach, weil es ziemlich praktisch ist. Es erklärt fast alles, und wenn man
viel wissen und erklären will, aber nur recht wenig Gehirn dafür zur Verfügung
hat, wie du zum Beispiel ...,"

"Danke," bemerkte Sej,

"... ist es sogar beinahe intelligent, von einer solchen Theorie auszugehen," fuhr
Boko ungerührt fort.

"Wie du vielleicht weißt, gibt es auf deiner Ebene einige Milliarden Galaxien, jede
mit einigen Milliarden Sonnen, von denen fast jede ein paar Dutzend Planeten
hat. Für dich erscheint so etwas schon unvorstellbar groß. Dann kam so ein Typ,
den ihr Gott nennt, und der fand das Ganze sogar für ihn zu unhandlich. Also
bestach er ein paar Programmierer (die heute auf Ebene 5 leben, oder lebten,
wenn ich den blauen Schatten richtig verstanden habe) und machte sich daran,
das Ganze aufzuteilen. Das Schema der Aufteilung ist übrigens simpel. Sogar
welche deiner Rasse haben es herausgefunden. Sie nennen es den Baum des
Lebens."

"Davon habe ich gehört. Das hat wohl was mit Tarot zu tun," meinte Sej.

"Soweit mir bekannt, wurden sie dafür verbrannt oder sowas Ekliges. Ihr habt ja
allgemein eine seltsame Art, euren Leuten für Wissensvermittlung zu danken.
Nun ja, es dauerte nach eurer Zeitrechnung einige Jahrmilliarden, bis die
Programmierung fertig war. Dann wurde ein gigantischer Reset gemacht, und die
Zeit fing wieder bei Null an."

"Wow!" Sej dachte an seinen mickrigen Apple Macintosh, der in seinem Zimmer
stand. "Erzähl mir was von den Ebenen."

"Die Ebenen. Gut. Deine Ebene hat die Nummer 10. Wegen ihrer Größe hat man
sie noch in 10a, 10b usw. unterteilt, aber das ist nur räumlicher Natur. Gott soll
ernsthaft daran gedacht haben, noch eine elfte Ebene einzuführen, aber, wie die
Gerüchteküche sagt, gab es da Ärger mit den Ebene 5-Programmierern. Die
hatten angeblich schon eine Ebene 11 gebastelt, als Schrottplatz sozusagen.
Wenn ich an die Sachen denke, die da rumlaufen sollen, wird mir übel. Du
würdest wahrscheinlich auf der Stelle tot umfallen. Apropos tot. Der Tod ist auf
deiner Ebene eine ziemlich übliche Erscheinung. In Wahrheit ist er nicht mehr als
ein Trick, um auf die anderen Ebenen überzuwechseln, wie wir eben alle so
unsere Tricks draufhaben."

Boko grinste (das sieht bei einem Känguruh ziemlich dämlich aus). "Außerdem
sind dort die Möglichkeiten recht eingeschränkt. Vorhin, als ich in die
Trockenform überwechselte, mußte ich mich aufteilen, weil ein einziges
Känguruh meiner vorherigen Größe statisch nicht stabil genug gewesen wäre."

"Heißt das, wir befinden uns jetzt auf Ebene 10?"

"Nein, nein, Percy hat schon richtig geraten, das hier ist Ebene 9. Auch nicht viel
besser. Aber laß mich fortfahren. Ebene 9. Hmm. Das ist, wohin ihr geht, wenn
ihr sterbt. Hier tummeln sich auch all eure Ideen, soweit sie auf Ebene 10 nicht
verwirklicht werden konnten. Siehst du, wenn auf Ebene 10 eine Lebensform
einen Gedanken hat und ihn wieder verwirft, lebt er hier eigenständig weiter. Also
gibt es logischerweise eine Menge Utopien und Unmöglichkeiten auf dieser
Ebene. Um deinem Gehirn ein plastisches Beispiel zu geben: Hier existiert ein
linkes Szenegetto direkt neben einem totalitären, faschistischen Staat. Beide sind
übrigens ein Gedankenprodukt deiner Rasse. Die Zeit ist hier lediglich eine
normale Dimension, durch die die Bewohner der Ebene 9 gehen wie du durch
die drei normalen Dimensionen deiner Ebene. Auf Ebene 8 tummeln sich
hauptsächlich Hilfsgötter, Engel und Besessene und quatschen die ganze Zeit
herum. Das wäre ein idealer Platz für die Leute, die du Philosophen nennen
würdest. Hier spielt die Zeit nur insofern eine Rolle, als daß alle ständig in Eile
sind, um von einem Interviewtermin zur nächsten Talkshow zu kommen. Ebene 7
ist für die Freaks, die ohne Streit nicht auskommen. Wenn es dir Spaß macht,
andauernd Sachen und Leute kaputtzuschlagen, bist du hier richtig. Ich habe
manchmal den Eindruck, deine Rasse versucht so eine Art Parodie der siebenten
Ebene darzustellen. Ebene 6 - ach! Ebene 6! Schönheit in Reinform, Klarheit,
Weisheit ..."

Boko verstummte für einen Moment, während ein verzücktes Lächeln über sein
Gesicht schlich.

"Kann ich euch mal unterbrechen?" fragte Jeer, der herbeigehüpft war. "Schaut
mal zu dem Haus hinüber."

Boko und Sej sahen hin. Die Fassade war verschwunden, so daß man jetzt ins
Innere sehen konnte. Sej plumpste auf den Boden, als das Faß unter ihm
verschwand. Das Haus löste sich zusehends auf.

"Laßt uns hier verschwinden!" rief Percy, während er auf sie zurannte. "Der
verdammte Horizont kommt immer näher. Bald werden wir hier auf nichts als
unseren Ärschen sitzen können."

"Hast du einen Zeit-Emulator dabei?" fragte ihn Jeer. "Oder wenigstens ein
Raumschiff?" "Ich finde nicht einmal mehr meine Redisc," brummte Percy.

"Dann sieht es schlecht aus für unser Weiterbestehen," meinte Boko.

"Laßt uns beten," sagte Jeer lakonisch. Er lachte. Dann nahm er etwas aus
seinem Bauchbeutel, das wie ein kleiner Porzellanhund aussah.

"Rahorkhuit," erklärte er. "Den hab ich immer dabei. Seid mir dankbar. Nehmen
wir die Minderintelligenzen mit?" frage er Boko.

"Klar doch. Ich muß dem einen noch die Theorie von den Ebenen zuende
erläutern."

"Schwafelkopf," meinte Jeer. "Egal, gebt eure Patschpfötchen her. Wir reisen
kurz zurück in die zehnte Ebene. Ich muß da noch was abholen."

Während der Asteroid unter ihnen ins Nichts wegbröselte, legten sich Hände in
Pfoten, und plötzlich umgab sie nur noch Schwärze. Kein Stern war mehr zu
sehen; dennoch konnten sie sich merkwürdigerweise noch erkennen: Eine Reihe
von Figuren, die sich anfaßten, vorn zwei überdimensionierte Känguruhs, hinten
zwei Menschen. Gott, der ja bekanntlich alles sieht, lachte bei dem Anblick
derart, daß er das Schachspiel umwarf. "Scheiße!" fluchte Jesus. "Ich war am
Gewinnen!"

"Wohin fliegen wir?" wollte Sej wissen.

"Wir fliegen zwar nicht, aber um dir zu erklären, was wir gerade tun, habe ich
nicht genug Zeit bis zu unserer Ankunft," antwortete Boko.
"Und wo werden wir ankommen?" versuchte Sej es erneut.

Boko grinste. "Das ist ganz in der Nähe von dort, wo du herkommst. Ihr nennt
den Platz Alpha Centauri."

Planet der Hunde, Planet der Katzen

Die Zusammensetzung des Erbguts der Caniden von Zeta II Centauri füllt
mehrere Bibliotheken auf ihrem Planeten. Leo Galoppi war da keine Ausnahme.
Von der Seite sah er wirklich aus wie ein Hund, aber von vorn betrachtet hätte er
auch als Humanoider mit Gasmaske durchgehen können. Sein Fell war dünn
und extrem glatt, so daß es auf den ersten Blick wie eine dunkle, streifige Haut
aussah. Von hinten sah er in seinem traditionellen Kimono am ehesten noch
einem Tiger im Abendkleid ähnlich.

Leo Galoppi lehnte sich zurück und knurrte leise. Das bedeutete: 1. Ich fühle
mich wohl. 2. Wer sich keinen Ärger holen will, sollte mich nicht dabei stören. Leo
saß auf einem großen, schwarzen Divan in seinem dunkel getäfelten Büro. Durch
die großen Fenster an der Seite konnte er Huttington im Abendlicht sehen. Das
war nichts Besonderes: Die Hauptstadt von Canistan war immer in die letzten
Strahlen der Abendsonne getaucht. Wollte man einen der Monde von Zeta II
aufgehen sehen, mußte man ein paar hundert Kilometer nach Norden reisen.

Nur alle paar Hundejahre stand Draculix, der größte Satellit des Planeten, fast
direkt über der Stadt. Das war die Zeit der großen Feste, bei denen Huttington
regelmäßig bis auf die Grundmauern zerstört wurde. Das erste Fest hieß Haul.
Es begann, wenn Draculix zum ersten Mal im Norden gesichtet wurde. Der
Satellit war dann noch eine bloße Sichel, fast völlig verdeckt vom Schatten des
Planeten. Haul dauerte ein paar Abende (es war ja schließlich immer Abend),
dann folgten Wau, Tschau und schließlich Miau. Miau, oder Der Große
Katzenjammer, war eigentlich schon kein richtiges Fest mehr. Spätestens zu
diesem Zeitpunkt war allen klar geworden, daß Huttington wieder neu aufgebaut
werden mußte. Während der vergangenen Doppeljahrhunderte (Alpha Centauri
ist ein Doppelsternsystem, also gibt es dort keine einfachen Jahrhunderte) hatte
es einige lustlose Versuche gegeben, die explosive Stimmung der Feste etwas
zu drosseln, aber mangels Erfolg gab es schon lange keinen mehr, der so etwas
versuchte.

Die Bewohner von Huttington waren fast allesamt bunte Hunde, die die meiste
Zeit damit verbrachten, zu spielen und das Fleisch des Alkalix zu essen, einer
Tierart, die sich von den psychodelischen Algarven der südlichen Sumpfgebiete
von Zeta II ernährt. Der Alkalix ist immer gut drauf, sogar, wenn er geschlachtet
wird. Durch die Rückstände der Algarven im Fleisch des Alkalix sind auch die
Caniden von Huttington immer gut drauf, so gut in der Tat, daß sie ein
Katzengetto am Rande der Stadt dulden. Die Katzen wiederum sind auch immer
gut drauf, weil sie sich auf die Reste der Mahlzeiten der Caniden spezialisiert
haben, um die sie regelmäßig vor den großen Restaurants der Stadt betteln.

Huttington ist eine ungewöhnliche Stadt. Niemandem von den Caniden würde es
einfallen zu arbeiten, weil dazu neben spielen, essen, schlafen und beischlafen
einfach keine Zeit bleibt. Die Katzenartigen müssen betteln und essen, schlafen,
beischlafen und spielen (in dieser Rangordnung).

Dennoch sieht Huttington (die Zeit der großen Feste mal ausgenommen) immer
nett und aufgeräumt aus. Wie kommt es dazu? Nun, unter der Stadt und in den
dunklen Winkeln und Gassen wohnen zwei Arten, die immer mies drauf sind, weil
sie das Fleisch des Alkalix nicht vertragen: Die Grauen Mäuse und die
Wandernden Mauerblumen. Diese beiden Arten halten verbissen die Infrastruktur
von Huttington in Schuß und sorgen für Sauberkeit und Ordnung. Wenn sie mal
Feierabend haben (was selten, eigentlich nur zur Zeit der großen Feste
vorkommt) sitzen sie beieinander in kalten, ungemütlichen Räumen und
beklagen sich bitter über Unmoral, Faulheit und Dekadenz der großen Bewohner
der Stadt. Sie glauben fest an einen rachsüchtigen, barbarischen Gott, der in
ihren Tempeln als hundeköpfig dargestellt wird. Dieser Gott schickte ihnen einst
durch ein unbescholtenes Mauerblümchen eine Große Graue Maus, die ziemlich
viel Stuß erzählte und ziemlich jämmerlich endete. Dieser Stuß wird regelmäßig
in den Tempeln des hundeartigen Gottes rezitiert und bringt Mäuse und
Mauerblumen dazu, so hart zu arbeiten. Einige Caniden kennen die wahren
Hintergründe der Geschichte des Unbescholtenen Mauerblümchens, aber sie
haben gute Gründe, sie nicht zu verbreiten.

Um die Sache perfekt zu machen, verirren sich ständig große Herden von
Alkalixen aus dem Süden in die Schlachthäuser von Huttington, die
vollautomatisiert sind. Einige clevere Schweineartige von den Sumpfplaneten
des äußeren Gürtels von Alpha Centauri machen in den vielen Restaurants der
Stadt ein Bombengeschäft damit, die Fleischhappen adrett in Freßnäpfen zu
plazieren. Woher das Geld kommt, mit dem die Caniden bezahlen, ist
niemandem klar. Wahrscheinlich wird es irgendwo gedruckt. Wie auch immer,
Altpapier hat auf den Sumpfplaneten einen äußerst hohen Handelswert, und das
erklärt vielleicht manches. Die PIGasten essen kein Alkalix-Fleisch, dafür saufen
sie wie die Schweine. Ihr Lieblingsgetränk ist Gins, das es auf allen Planeten
reichlich gibt.

Leo Galoppi knurrte noch einmal leise. Es war der Vorabend des Haul-Festes.

Das beste Bier des Universums

Ian sah durch das halbgeöffnete Autofenster hinaus. In der Ferne konnte er die
sanften Hügel des Königsharns erkennen, jenes Mittelgebirgsmassivs, das die
Ebene überragte, in der er das letzte Jahr seines Lebens verbracht hatte.
"Meines Lebens?" murmelte er vor sich hin.

"Wie meinen?" fragte ihn Paul, der neben ihm auf der Rückbank des Autos saß,
wenn dieser Schlitten auch ein bißchen mehr als ein Auto zu sein schien.

Der Fahrer saß auf dem einzigen Vordersitz, der in der Mitte montiert war, und
pfiff vor sich hin. Paul kramte ein Päckchen Zigaretten hervor. Er bot Ian eine an.
Als Ian sie sich nehmen wollte, wurden beide dermaßen nach links geschleudert,
daß sie eine Weile förmlich aneinander klebten. Der Wagen war im rechten
Winkel in einen Feldweg eingebogen, ohne im mindesten die Geschwindigkeit zu
reduzieren. Jetzt rasten sie mit gleichem Tempo auf den Treckerspuren entlang.
Der Wagen ratterte und klapperte, daß es eine Freude war, aber den Fahrer
schien das nicht zu stören.

Plötzlich hörte das Rattern auf. Die Geschwindigkeit schien noch weiter
zuzunehmen, denn diesmal wurden die beiden Freunde ziemlich fest in die
Polster gedrückt. Als Ian wieder hinausschaute, sah er immer noch den
Königsharn und die Lichter der kleinen Stadt davor. Beides bewegte sich sacht
nach unten.

"You can unfasten the seat belts now," sagte der Fahrer und drehte sich nach
hinten. Dazu fiel selbst Ian kein cooler Kommentar mehr ein.
"Was ist das - ein Flugzeug?" fragte er stotternd.

Der Fahrer lachte. "Ich hab ein kleines Klappflugzeug im Kofferraum. Ich leihe es
dir, wenn wir angekommen sind."

"Wo angekommen?" fragte jetzt Paul.

"Wohin wolltet ihr denn?" gab der Fahrer zurück. Er zündete sich eine Zigarette
an und bot den beiden welche an.

"Alpha Centauri," sagte Paul kaum vernehmbar.

"Ihr wart noch nie dort, nehme ich an," plauderte der Fahrer weiter. "Ich bin
ziemlich oft dort. Geschäfte. Den Leuten da kann man fast alles verkaufen. Ich
verticke hauptsächlich Steuerungssoftware für die Schlachtautomaten auf Zeta
II."

"Schlachtautomaten?" fragte Ian fassungslos. Er war Vegetarier.

"Yeah. Irgend so ein Trottel in meiner Firma hat in das letze Update eine kleine
Besonderheit reinprogrammiert. Es dreht diesen Viechern die Hörner aus dem
Kopf, bevor sie gekillt werden. Die Alkalixe finden das gut, aber die Caniden
meinen, es sei unhündisch. Wie auch immer, Business ist Business. Jedenfalls
freue ich mich schon auf ein schönes, kühles Gins."

"Sagtest du Guiness?" unterbrach ihn Ian, der bei dem letzten Wort plötzlich
seine Fassung wiedergewonnen hatte. Der Vollmond beleuchtete unwirklich die
Gipfel des Königsharns, die unter ihnen zu verschwinden begannen.

"Gins, Junge, ist fast dasselbe. Nur viel besser," sagte der Fahrer. "Guckt mal
hinter die Rücklehne. Da sollten noch ein paar Flaschen sein."

Ganz weit weg hob sich die Silhouette der Alten Berge vom hellen Vollmond-
Nachthimmel ab. Wenig später waren auch diese verschwunden, und um sie
herum gab es nur noch Sterne, Millionen und Milliarden davon, die sich so klar
von der umgebenden Finsternis abhoben, als hätte jemand mit einer Stecknadel
Löcher in ein schwarzes Papier gestochen, hinter dem eine gleißende Lichtquelle
war. Ian war bis in die Tiefen seiner Seele erschüttert von dem Anblick. Paul war
bis in die Tiefen seiner Seele erschüttert. Der Fahrer sagte: "Könntest du mir bitte
auch eine rüberreichen?"

"Äh - was - was soll ich dir rüberreichen?" fragte ihn Ian eine ziemliche Weile
später.

"Ein Gins, Baby. Ist zwar schätzungsweise recht warm, aber was soll's. Noch
dreieinhalb Stunden bis Alpha Centauri. Und hier auf dem Schleichweg gibt's eh
keine Alkoholkontrollen."

Schließlich schaffte es Ian, sich von dem Anblick loszureißen, und drehte sich
um. Der Wagen war ein Kombi, nur die Rückscheibe war so weit entfernt, daß
man eher an einen Lastwagen dachte. Durch sie hindurch konnte Ian eine große,
weißblaue Murmel sehen, die immer kleiner wurde.

"Der Heimatplanet," sagte Paul ehrfurchtsvoll, der sich ebenfalls umgedreht


hatte. Erst als die Murmel so klein geworden war, daß man sie von den anderen
Sternen kaum noch unterscheiden konnte, begannen sie, nach dem Bier zu
wühlen.

Der Kofferraum war ein unüberschaubares Chaos. Überall lagen flache Dinger
rum, die nach Pauls Einschätzung wohl Disketten sein mußten. Dazwischen ein
offener Koffer, aus dem Kleidung hervorquoll. Jede Menge Tüten von
Kartoffelchips und Gummibärchen, Magnetbänder, Cassetten, ein Haufen
unidentifizierbarer Kleinkram. Und viele, viele Flaschen mit merkwürdigen
Etiketten, von der Form gar nicht zu reden: utopisch. Sie fanden drei Flaschen
Gins (das mußte es ja wohl sein) und reichten dem Fahrer eine rüber. Der
ploppte den Verschluß auf und nahm erst mal einen kräftigen Schluck. Dann
plauderte er weiter:

"Woher kommt ihr eigentlich? Ich hätte beinahe gedacht, ihr wärt Erdlinge, aber
du - " er deutete auf Paul " - bist sicher von Oropax Minor, was? Na, richtig
geraten?"

"Prost!" sagte Ian, um die peinliche Stille zu unterbrechen. Dann dachte er sich
"Angriff ist die beste Verteidigung" und sagte:

"Hast du was gegen Erdlinge?"

"Ach Quatsch," meinte der Fahrer. "Verdammt gute Konsumenten. Da werde ich
wenigsten den ganzen Schrott los, und die sind sogar noch richtig dankbar dafür.
AutoCad-Programme, Tastatur-Schreibprogramme, stellt euch das vor!" Er
lachte. "Ich komme von Ökon. Ökon wie Ökonomie, nicht Ökologie!" Er lachte
wieder. Dann wurde er plötzlich nachdenklich. "Ökon, ach Ökon, mögen deine
Münzpressen nie stillstehen!" sagte er salbungsvoll. "Ich war seit über drei
Hauptversammlungen nicht mehr zuhause," fügte er hinzu.

"Wo liegt Ökon?" fragte ihn Paul.

"Kennst du Aldebaran?" fragte der Fahrer zurück. In seiner Stimme lag ein
spöttischer Unterton.

"Na klar," meinte Paul, und das war noch nicht mal gelogen. In seinem Schulatlas
hatte er den Namen umkringelt, weil er ihm so gut gefallen hatte.

"Ökon ist der zweite oder dritte Planet, je nach Jahreszeit."

"Ach so," bemerkte Paul.

"Mein Name ist Wolstriet van Geldern, meine Freunde nennen mich Wolli."

"Ich heiße Paul, meine Freunde nennen mich Paul," sagte Paul und nahm einen
Schluck Gins. Es schmeckte tatsächlich vorzüglich.

Ian hatte bereits die halbe Flasche geleert. Er war fasziniert. Konnte es wirklich
wahr sein, daß es irgendwo im Universum etwas gab, das besser als Guinness
war? Nachdem auch er sich vorgestellt hatte, wandte er sich an Paul.

"Sag mir, daß ich träume. Das Zeug hier schmeckt besser als Guinness."

"Und du hattest sogar Bedenken, nach Griechenstrand zu fahren," gab Paul


zurück.
"Jaja, Qualität ist auf lange Sicht immer das beste Rezept," meinte Wolli dazu.
"Die Leute von Met, das sind ganz gerissene Burschen, kann ich euch sagen.
Nach außen immer: Tradition, alles ganz bieder und seriös. Mimen noch einen
auf Handwerk und Handwerkerstolz. Weigern sich seit Doppeljahrhunderten, auf
automatische Fertigung umzusteigen. Keine Computer, sagen sie jedenfalls.
Alles Handarbeit! Bei den Mengen, daß ich nicht lache!" Er lachte. "Zuhause
haben sie wahrscheinlich platinbeschichtetes Klopapier, die Gauner!"

Draußen funkelten die Sterne in ihrer immerwährenden Pracht. Andachtsvoll gab


Paul seinem Gins den Rest. Und so flogen sie dahin, zwei Bewohner eines
bewohnbaren, bewohnten Planeten des Sol-Systems und ein Geschäftsmann
eines geschäftigen, geschäftemachenden Planeten von Aldebaran. Und nach der
dritten Flasche waren sie sich einig, daß das Universum eigentlich eine tolle
Erfindung sei und daß man eigentlich froh sein müsse darüber, daß ein
mittelgroßer Planet es schaffe, eine ganze Galaxis mit einem der besten
Getränke des Universums zu versorgen.

"Noch zwei Stunden bis zur Landung auf Zeta II," sagte Wolli. "Reicht mir mal
noch eins rüber."

Zuviel vom besten Bier des Universums

"Es geschähen älß die märkwyrdikksten Dingers ins däm Üniversumm," beginnt
Vers E/0815 des Großen Brimboriums. Und märkwyrdikk ist es in der Tat, was
hier berichtet wird. Der edle Symbolicus hielt einst an auf dem Planeten Met, um
seine edlen Pferde in den Abwässergräben des Planeten zu ertränken. Richtig,
nicht tränken: Diese Huftiere kommen erst richtig auf Trab, wenn sie tot sind.
Während er also das erste Tier in die stinkende Brühe zog, kam ein Bewohner
des Planeten auf ihn zu und fragte: "Sygg, Schlychtyr, wyllst knymmst dyr yff yhn
Gynns?" Der edle Symbolicus antwortete: "Sydynn, yls dy ych sywysy dyrstyg sy,
wyrymm dynn nycht?" "Syhy, wyr fyyyrn yn Fyst, syyst dy ylsy yngylyden." Damit
der Sinn der Unterhaltung Leuten, die Mytylynysysch nicht beherrschen, nicht
verborgen bleibt, hier die Übersetzung in Kurzform: "Komm rüber einen saufen!"
So ließ der edle Symbolicus ab von seinem Tun und ging einen saufen.

Die Herstellung von Gins befand sich damals noch in einer Testphase, muß man
wissen. Mit einem von Zeta II ausgeborgten, völlig ausgelutschten
Interplanetargleiter hatten sich verwegene, rothaarige Bewohner des Planeten
Met auf den Weg zum nahegelegenen Sol-System gemacht und waren
tatsächlich mit einem geheimnisvollen Rezept zurückgekehrt. Es hatte bei den
ersten Versuchen, den Saft zu brauen, einige Märtyrer das Leben gekostet, als
die altertümlichen Dampfkessel explodierten. Der edle Symbolicus war pünktlich
zum ersten Anstich angekommen. ("Zufall, Zufall!" spotteten die Mineralgötter
später.) Das Große Brimborium bemerkt dazu: "Älß da ess kain Zufall gybt,
müsse der edle Symbolicus wohl seyn gewesen eyn Säufer." Der edle
Symbolicus feierte heftigst mit den Bewohnern von Met. Danach fiel er in einen
tiefen Schlaf. Da träumte ihm, daß ein Yuppie käme und ihm das edle Gespann
stähle. Symbolicus war erschrocken wie nie zuvor, doch er war auch so
betrunken wie nie zuvor, und schlief weiter. Er wurde geweckt durch eine
Stimme, die aus dem Himmel über Met zu ihm rief: "Hyhy, jytzt yst dyn Rysch
vyrby ynd ych hyby nych ymmyr dyny Pfyrdy!" Dort oben stand ein smarter,
blonder Jüngling in seinem Streitwagen und ließ sich von den edlen Pferden des
Symbolicus durch die Lüfte ziehen. "Schöne Grüße von Yuppieter!" rief der
Jüngling und warf einen Blitz herunter.

Der edle Symbolicus konnte fluchen wie er wollte, es blieb ihm nichts anderes
übrig, als anderweitig nach hause zu fahren. "Pärr Annhaltär," schließt Vers
E/0815 des Großen Brimboriums verächtlich.

Fraktal aber fluppig

Sanft schwebte die Wolke auf die große Hochebene herab.

"Das Platt-Platt-Plateau," sagte die Katze und drückte einen Knopf auf der
Tastatur. "Es heißt so, weil es sowohl von vorne nach hinten wie von rechts nach
links platt ist. Seht ihr das Dorf dort?"

Sezana und Hansi schauten in die Richtung, in die die Katze zeigte. Dort war
nichts Besonderes zu erkennen. Die Katze grinste.

"Schaut mal hier durch," sagte sie und reichte ihnen eine Art Opernglas rüber. Es
hatte auf der einen Seite zwei Gläser, auf der anderen vier. Hansi schaute
hindurch, konnte aber immer noch nichts erkennen.

"Nein, nein," sagte die Katze, "ihr müßt zusammen durchsehen."

Das taten sie. Sie sahen ein paar strahlend weiße Gebäude, die über und über
mit verschnörkelten Ornamenten verziert waren. Alles war dermaßen filigran und
vielfältig, daß einem die Augen schmerzten.

"Eine fraktale Tarnung," sagte die Katze. "Das Dorf hat so viele gebrochene
Dimensionen, daß es visuell nahezu überhaupt nicht existiert. Clever, was?"

"Wohnen da Leute?" fragte Sezana und nahm die Augen vom Fernglas.
Daraufhin konnte Hansi nur noch weiße Schemen erkennen, immerhin mehr als
beim ersten Mal, als er allein durchgeschaut hatte.

"Na klar. Das ist der Palast der Feliden von Zeta II," antwortete die Katze. "Gefällt
er dir?"

"Das sind wunderschöne Gebäude," sagte Sezana, "aber ich sehe niemanden
dort." Sie schaute wieder durch das Glas. Die Wolke schwebte auf die Gebäude
zu, wobei sie an Höhe verlor. Hansi bemerkte, daß er jetzt ohne das Fernglas
schon ein paar Einzelheiten erkennen konnte.

"Was ist mit der fraktalen Tarnung passiert?"

"Alles Gewöhnungssache," meinte die Katze. "Wie du vielleicht weißt, sieht man
nur das, was man sehen will, oder was man gewohnt ist zu sehen. Dieses
Fernglas ist ein Realitätsfilter. Wenn du dann erst mal akzeptiert hast, daß dort
etwas ist, kannst du es nach und nach auch ohne Filter erkennen."

Die Wolke schwebte in den Innenhof eines der größeren Gebäude. Der Hof war
groß und hatte ziemlich viele Ecken. In einer saß eine weiße Marmorstatue auf
einem flachen Sockel. Ihre Füße berührten den Boden. Die Statue sah aus wie
eine ägyptische Katzengottheit. Begrenzt wurde der Hof von Gebäuden
unterschiedlichster Höhe und Form: An vielen Stellen ragten vieleckige oder fast
runde Türmchen empor, Erker kragten weit hinaus, und es gab überall
unglaublich viele Fenster, von denen nicht eins dieselbe Größe oder Form hatte
wie ein anderes. Außerdem waren sie alle auf verschiedenen Höhen. Die Fenster
schienen aus Glas zu bestehen, aber sie funkelten auch in allen erdenklichen
Farben, je nach dem, aus welchem Winkel man sie anschaute.

"Drei Komma vier sieben Stockwerke," kommentierte die Katze. "Geht bloß nicht
ohne jemanden hinein, der sich auskennt. Ich sage euch, eine fünfdimensionale
Wendeltreppe ist nichts dagegen."

Die Wolke setzte auf. Die Katze drückte einen Knopf und stieg aus.

"Die Leute hier sind scharf auf alles, was fliegt," meinte sie. "Ich habe das Ding
lieber abgeschlossen."

Sezana und Hansi kletterten ebenfalls hinaus. Die weiße Statue stand auf und
kam auf sie zu. Sie lief auf zwei Beinen und sah immer noch dermaßen wie
Marmor aus, daß Hansi seinen Augen nicht traute. Sezana sah ihn an und
lachte.

"Du träumst wirklich nicht, um deine Frage zu beantworten." Dann lachten sie
beide. An diesem Platz konnte man offensichtlich Gedanken lesen.

Die Statue war jetzt bei ihnen und gab der Katze die Pfote.

"Hallo!" sagte sie. "Wie war der Flug?"

"Recht erfolglos," antwortete die Katze. "Mein Mensch scheint in einer anderen
Ebene verschollen zu sein."

Die Statue reichte Hansi und Sezana je eine Pfote. "Willkommen, Erdlinge,"
sagte sie. "Ich bin Isis, geboren auf Sirius III. Ihr seid die ersten Menschen, die
unseren Palast betreten. Macht euch keine Sorgen wegen der Telepathie. Das
sind nur die Reflexionen der fraktalen Mauern. Das gibt sich mit der Zeit."

Sie gingen zusammen durch einen einigermaßen runden Torbogen in das Innere
eines Gebäudes. Der Hof hatte die beiden Menschen schon irritiert, aber hier
konnten sie fast nichts Richtiges erkennen. Sie standen in einem riesigen Raum,
dessen Fußboden auf verschiedenen Ebenen lag. Überall waren
Mauervorsprünge und Nischen, Sockel und Statuen, Tische, Sofas, Diwane,
Kissen. Zu allem Überfluß war alles mit Bildern von Katzen und Katzenartigen
jeder Farbe und Form bemalt. Selbst auf Kissen und Tischen waren Katzenbilder.
Dazwischen lagen einzeln und in Gruppen Katzen herum, sämtliche Rassen, die
auch auf der Erde bekannt sind, sowie etliche andere, die teilweise recht skurril
aussahen: Welche mit vier Ohren, drei Augen, sechsbeinige, kleine Löwen,
mittlere Löwen, große Löwen, Tiger mit Tigerfell und Tiger mit Zebrafell,
schwarze, grüne und rote Panther und noch viele mehr. Durch den Raum surrte
beständig ein Schnurren. Gelegentlich hörte man ein leises Fauchen oder
Miauen.

"Siesta," sagte die Statue.

"Wie immer," kommentierte die Katze.

Sie liefen mitten durch den Raum. Hansi und Sezana hatten große
Schwierigkeiten, die Bilder von den echten Katzen zu unterscheiden und nicht
auf eine echte zu treten. Schließlich gelangten sie zu einem großen Vorhang
(ebenfalls mit Katzenbildern bemalt), der von einem Bogen herab bis auf den
Boden reichte. Isis nahm eine kleine schwarze Katze hoch und legte sie zur
Seite. Das Kätzchen streckte sich, rollte sich wieder zusammen und schlief
weiter. Dann traten sie durch den Vorhang. Der Raum dahinter war eher klein
und hatte pechschwarze Wände. Auch gab es hier nur einen quadratischen
Sockel in der Mitte mit einigen Sitzkissen drumherum. Durch ein Fenster, das
beinahe rund war und aus vielen Segmenten bestand, sah man auf das Platt-
Platt-Plateau hinaus. Es war immer noch dunkel, und die Sterne funkelten in
einem wolkenlosen Himmel. Ein winziger Halbmond stand hoch über dem
Horizont.

"Das hier ist die Nachtseite von Zeta II," erklärte die Statue. "Unser Planet
bewegt sich fast immer um Alpha Alpha Centauri. Nur alle paar
Doppeljahrhunderte schwenkt er in eine Umlaufbahn um Alpha Beta ein. Dann
scheint hier fast immer die Sonne, und überall auf der Ebene wachsen Blumen.
Das sieht toll aus, nur die vielen Touristen, die dann kommen, nerven, vor allem
die Caniden. Ich zeige euch gelegentlich mal eine Aufzeichnung davon. Aber
schaut euch erst mal das hier an."

Auf dem Sockel stand eine große, runde Glaskugel.

"Setzt euch," sagte Isis. "Ich will euch eine Aufzeichnung vom Neubeginn der Zeit
zeigen."

Die Reisenden hatten keine Lampen oder ähnliches bemerkt, aber was auch
immer den Raum ausgeleuchtet hatte, wurde jetzt schwächer, bis es schließlich
stockfinster war. Dann erschien in der Glaskugel ein Licht.

"Eine Raubkopie aus der ehemaligen Ebene 5," sagte Isis und grinste. "Das
Urheberrecht ist mit der Ebene verschwunden, praktisch, was?"

Hirana

Es war einmal auf einem mittelgroßen, belebten Planeten, der um eine


mittelgroße Sonne kreiste, irgendwo in einer mittelgroßen Galaxis. Auf diesem
Planeten gab es, die Wahrscheinlichkeit von 95% mal wieder bestätigend,
humanoide Lebensformen. Der Planet mochte sie nicht. Alle anderen
Lebensformen mochten sie nicht. Die humanoiden Lebensformen mochten sich
selbst nicht. Aber sie waren nun einmal da, und trotz der gemeinsamen
Anstrengungen des Planeten, der anderen Lebewesen und der Humanoiden
selbst gelang es nicht, sie loszuwerden. Ohne Übertreibung kann man sagen,
daß sie die Schande ihrer Galaxis waren.

Und das lag an ihren Fortbewegungsmitteln. Einst, in dem goldenen Zeitalter, als
die Humanoiden von allen (inklusive sich selbst) lediglich gehaßt wurden, hatte
eine Kommission, der viele erlauchte Mißgeburten angehörten, für diese
Fahrzeuge Qualitätskriterien festgelegt, bei deren Kenntnisnahme selbst Gott
das Lachen in seinem multidimensionalen, endlos langen Hals steckenblieb (der
Nachhall davon läßt sich noch heute mit guten Meßgeräten orten). Auf diese
Kriterien soll hier nicht näher eingegangen werden, weil man dafür in die Hölle
kommt.

Jedenfalls passierte Folgendes: Die Fortbewegungsmittel wurden gebaut. Erst


nur wenige, denn sie waren sehr teuer. Es wurden aber mit der Zeit immer mehr,
und schließlich wollte jeder eins haben. Dann hatte jeder eins, und dann wollten
alle mindestens ein großes und ein kleines. Clevere Marketingstrategen
schwatzten zuguterletzt jedem noch ein mittleres auf, und dann ging's so richtig
ab.

Denn die Dinger waren äußerst primitiv. Sie hatten fast alle eine ähnliche Form:
Vorn und hinten waren sie eher flach und in der Mitte hatten sie einen Buckel.
Dorthinein zwängten sich die Humanoiden, wobei sie ihre Gelenke anwinkelten
und bis zum Aussteigen (was immer seltener vorkam) in dieser Stellung
verharrten. Meist hinten befand sich der Hohlraum für ihren ganzen Krempel, und
vorn war ein größerer Hohlraum, in dem das überdimensionale Antriebsaggregat
seinen Platz fand. Das Ganze stand auf durchschnittlich vier Gummischeiben
und konnte überhaupt nicht vom Boden abheben, außer, wenn es mal über eine
Klippe stürzte oder dergleichen (aber dann war es immer gleich kaputt). Das
Antriebsaggregat verbrannte gut abgelagerte Lebewesen, die unter der
Oberfläche hervorgebuddelt wurden, und machte dabei einen höllischen Lärm.
Außerdem stank es wie die Sau von Aldebaran IV (wegen diesem Tier gibt es
übrigens auf Aldebaran IV kein weiteres Leben, aber das nur nebenbei).

Wer eines dieser Gefährte qualmen sah und röhren hörte, dachte sogleich an
Kraft und Stärke. Aber damit war es nicht weit her. Der Wirkungsgrad der
Fahrzeuge war so gering, daß der VDI (der Verband degenerierter Industrieller
auf Solona III) ihn immer als Vergleich heranzog, um die eigenen,
unterdurchschnittlichen Leistungen aufzuwerten. Und, wie erwähnt, konnten die
Gefährte nur auf dem Boden dahinrollen.

Doch damit nicht genug. Sie waren so anfällig, daß die Planetenoberfläche
weitgehend planiert und mit dicken Teerschichten versiegelt werden mußte,
damit die Dinger darüberrollen konnten, ohne wenigstens alle Nase lang
kaputtzugehen. Dazu wurden alle Wälder abgeholzt, die im Weg standen, Flüsse
wurden umgeleitet oder zugeschüttet, und in die Berge schlug man breite
Schneisen. Nur die Meere wurden verschont, weil die primitive Technik der
Humanoiden es nicht erlaubte, sie zu asphaltieren. Das war andererseits ganz
praktisch, weil man so noch einen Platz hatte, um den ganzen Müll
wegzuschütten.

Die Fauna und fast alle anderen Lebensformen verschwanden schließlich von
der Planetenoberfläche, weil einfach kein Platz mehr da war. Der
Sauerstoffgehalt der Atmosphäre verringerte sich dramatisch, und die
Humanoiden fingen an zu röcheln. Das hielt sie allerdings bis zum Ende ihrer
Zivilisation nicht davon ab, weitere Fahrzeuge zu bauen und damit ständig ziellos
durch die Gegend zu braten. Längst wäre man zu Fuß schneller voran
gekommen, aber die Gelenke der Humanoiden waren durch das ständige Sitzen
in den Fahrzeugen so degeneriert, daß sie nur noch extrem kurze Strecken auf
ihren Beinen zurücklegen konnten. Das Ende ihrer Zivilisation war trist und
langweilig und gibt keinen Stoff für eine Story ab.

Hiranas Geschichte dagegen ist ziemlich verblüffend. Hirana war die einzige auf
diesem öden Planeten, die sich weigerte, sich in eins dieser Fahrzeuge zu
setzen. Sie bastelte seit ihrer Jugend an einem Gefährt, um den Planeten zu
verlassen, und wurde dafür von allen, die sie kannten, belächelt. Aber sie hatte
Erfolg. Als wegen des Sauerstoffmangels das große Röcheln losging, zündete
sie das kleine Fusionstriebwerk und nahm Kurs auf das nächste Sonnensystem.

Sie hatte das Glück, recht schnell einen bewohnten Planeten zu finden, und das
Pech, daß dieser ein Spanner-Planet war. Alles war dort aus Gummi, mit
Ausnahme der geilen Lebensformen, die über das Gummi krochen und
schleimten, um zur nächsten Porno-Videothek zu kommen. Es gab aufblasbare
Häuser, aufblasbare Brücken und sogar aufblasbares Mittagessen. Alles
wabbelte beim Darüberlaufen, und wenn Hirana versehentlich auf einen Spanner
trat, gab der ein geiles Stöhnen von sich und bettelte um Schläge.

Leider war ihr kleines Raumschiff bei der Landung in einem Sperma-Sumpf
versunken. Sie selbst war von einem nicht ganz so wabbeligen Spanner mit Hilfe
einer Leine aus zusammengeknoteten Kondomen gerettet worden. Danach hatte
sie eine Weile in einer Sex-Bar gejobbt, wo sie die ganze Nacht
Champagnergläser aufblasen mußte, bis sie kurz vor einem
Nervenzusammenbruch war.

Doch das Schicksal meinte es gut mit Hirana. Auf einem ihrer Erkundungsgänge
fand sie ein riesiges Trampolin. Kurzerhand schaffte sie das größte aufblasbare
Gebirge herbei, das sie finden konnte, und sprang vom höchsten Berg auf das
Trampolin herunter. Dieses erwies sich als eine ausgeklügelte Rettungsstation
von canoiden Bewohnern eines nahegelegenen Planeten und katapultierte sie in
kürzester Zeit dorthin. Der Planet hieß Zeta II, und als sie aus dem wolkenlosen
Himmel fiel, war es gerade die Zeit, in der das Haul-Fest beginnt.

Die Ruhe vor dem Sturm

"Gib deinem Leben endlich einen Sinn! Stink-O-Bell, die Zahncreme für alle
Fälle. Stink-O-Bell. Top-Dogs im ganzen bekannten Universum benutzen Stink-
O-Bell!" erklärte jemand aus dem Lautsprecher des Fernsehers in dem dunklen,
muffigen Raum, in dem sie gelandet waren, und fügte mit tieferer Stimme hinzu:
"Show'em who you are!" Ein schönes, buntes Logo erschien auf der Mattscheibe,
das anscheinend die Fortsetzung des Spielfilms ankündigen sollte.

Sej traten Schweißtropfen auf die Stirn.

"Was für ein Klima! Sind wir hier in der Hölle?" erkundigte sich Percy.

Der Spielfilm lief wieder an. Lautes Gekläffe drang aus dem Lautsprecher,
während eine wütende Meute über den Bildschirm wütete.

"Scheiß-Landung!" verkündete Boko.

"Immer noch besser als tot, oder?" sagte Jeer daraufhin.

"Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich noch lebe ..."

"Hat jemand eine Uhr? Ich wüßte gern wenigstens, in welchem Jahr wir uns
befinden."

"Idiot! Raus aus meinem Beutel!"

"Nicht, bevor ich weiß, wieviel Dimensionen es hier gibt." Sej hatte diesbezüglich
schon schlechte Erfahrungen gemacht.

"Meine Redisc! Na endlich!" rief Percy, während Boko Sej aus seinem
Bauchbeutel zog und auf den Boden setzte.

Allmählich gewöhnten sie sich an das Schummerlicht, das der Fernseher in dem
Raum ausbreitete. Es gab eine Tür. Wie immer. Aber diese hier war nicht
verschlossen. Dafür ziemlich niedrig.
"Vierbeiner-Höhle," meinte Boko. Jeer watschelte zur Tür. Anscheinend gibt es
eine Menge Plätze im Universum, die für Riesenkänguruhs zum Hüpfen recht
ungeeignet sind.

Jeer schaute hinaus. Ein frischer Luftzug wehte hinein und fuhr Sej durch die
schweißnassen Haare. Beim Anblick von Jeer, der sich höchst possierlich bückte,
um hinauszusehen, mußte er lachen. Das Känguruh drehte sich um und guckte
ihn an.

"Feierst du gerne?" fragte es ihn.

Sej sah Percy mit einem Ausdruck von Unverständnis an. Der ging ebenfalls zur
Tür und schaute hinaus.

"Uff!" meinte er. Aus dem Fernseher erklangen Geigen und Flöten, allerdings
mehrere Oktaven höher, als es Humanoide gewöhnt sind. Für Sejs ungeübte
Ohren klang es wie Hundepfeifen und Alarmsirenen. Auf dem Bildschirm
wackelte ein offensichtlich weiblicher Cockerspaniel mit dem Kopf und plinkerte
mit den Augenlidern. Daraufhin fing ein Deutscher Schäferhund an zu jaulen.

"Oh je! Rammelo und Schmusia! Nix wie raus hier!" rief Boko. "Wenn du noch
nicht wußtest, was wahre Perversion ist, hier könntest du es lernen," sagte er zu
Sej gewandt. "Dieser Film hat den Sonderpreis der Süd-Süd-West-
Südwestlichen Galaxis für die mieseste, geschmackloseste Schnulze der
Filmgeschichte gewonnen. Prädikat besonders gemeingefährlich. Echt
Hardcore!"

"Sag mir, wo wir sind!" Percy sprach mit Jeer. "Oder vielmehr, sag mir bitte, daß
wir nicht in Huttington sind!"

"Die Bitte kann ich dir leider nicht erfüllen."

"Dann sag mir wenigstens, daß das da oben am Himmel nur eine ausgefallene
Leuchtreklame ist und nicht der berüchtigte Mond Draculix!"

"Alle Jahre wieder macht Draculix sie nieder ..." murmelte Jeer eher zu sich
selbst.

"Dann wäre es wohl besser, wenn wir gestorben wären."

Sej verstand rein gar nichts. "Ich hab nichts gegen feiern, falls da draußen eine
Party abgehen sollte."

"Eine Party? Eine Party?" fragte ihn Percy fassungslos. "Weißt du, wie sich
dieses Fest da draußen nennt? Weißt du, was passieren wird? Weißt du
überhaupt irgendwas?"

"Um dir die Sache wenigstens ansatzweise zu erläutern," mischte Boko sich ein,
"wir sind hier auf Zeta II, einem Planeten des mittleren Gürtels von Alpha
Centauri, wie geplant, und wir befinden uns in Huttington, der Hauptstadt der
Caniden, zur Zeit des Wau-Festes, wie ganz und gar nicht geplant. Warst du mal
auf einer eurer merkwürdigen Feste, wo sie saufen und kiffen wie die Blöden,
Trips schmeißen, die Wohnungseinrichtung zertrümmern, Leute aus dem Fenster
werfen und in die Ecken kotzen? Vergiß es! Das hier ist viel, viel bestialischer."
"Äh - vielleicht sollten wir dann lieber hier drinnen abwarten, bis es vorbei ist,"
schlug Sej etwas unsicher vor.

"Abwarten? Du hast Vorstellungen! Ich habe bisher nur Gerüchte gehört, aber
wenn auch nur ein kleines bißchen davon wahr ist, wird dieses Haus in ein paar
Stunden nur noch ein qualmender Trümmerhaufen sein!" sagte Percy.

"Wenn ihr Humanoiden das Grauen der Zerstörung beschreiben wollt," fügte
Boko hinzu, "nennt ihr oft den Namen der Stadt Hiroshima. Mir würde vielleicht
eher der Megatod von Aldebaran VII einfallen, egal - das hier ist viel, viel
bestialischer!"

"Sie zünden Atombomben als Feuerwerk," erklärte Jeer.

"Wer nüchtern angetroffen wird, wird sofort gelyncht," warnte Boko.

"Und ich hatte immer gehofft, dieses Wau-Fest wäre nur die Phantasie eines
kranken Programmierer-Hirns," sagte Percy.

In einer Ecke stand einer Art flacher, sehr großer Kühlschrank. Jeer öffnete die
Tür. Auf mehreren Regalen waren dort Steaks und Hundeknochen gelagert.
Dazwischen standen Schalen voll Hackfleisch, heftig von Schimmel überwuchert.
Auf dem unteren Regal lagen jede Menge Flaschen, die Jeer herausnahm und
den anderen zuwarf.

"Risiko Nummer eins. Gefahr des Gelynchtwerdens. Trinkt, soviel ihr könnt und
so schnell ihr könnt!"

"Trinken Caniden sowas?" fragte Percy.

"Quatsch. Das ist nur für die saumäßigen Gäste."

"Wie uns."

Etwas resigniert ploppte Percy den Verschluß der Flasche auf, die er gefangen
hatte. Sej fand, das Zeug schmeckte fast genauso wie ein Dunkelbier, das er
gelegentlich auf seinem Planeten getrunken hatte. Jeer merkte an: "Gebraut
nach eurem Reinheitsgebot von ungefähr 2000 vor eurer Zeitrechnung." Er leerte
seine Flasche in einem Zug.

Dem Schäferhund im Fernsehen schien irgendetwas Böses zu widerfahren.


Jedenfalls jaulte er ohrenbetäubend. Jeer schleuderte seine leere Flasche in den
Bildschirm, der knallend zersprang. "Zur Einstimmung auf die Fete," bemerkte er
trocken. Seinem Bier ließ er schnell ein zweites und drittes folgen.

Schnell kamen sie in Stimmung. Sej zwang sich eine dritte Flasche rein. Das
Zeug war verteufelt stark. Wie man leicht erraten kann, handelte es sich um
Gins, den Stoff der bekannten Sonnensysteme der Milchstraße. Es ist wirklich
ein Rätsel, wie es ein mittelgroßer Planet schafft, eine komplette Galaxis damit
zu versorgen. Wahrhaftig ein Rätsel, aber ein schönes. Forget the Old Janx
Spirit.

Boko hatte sich auf die Seite gelegt und spähte durch die halbgeöffnete Tür. Von
draußen kamen Geräusche herein, die auf einen fernen Atomkrieg schließen
ließen.
"Allmählich geht's richtig los," merkte Jeer an.

Glücklicherweise waren sie am Stadtrand gelandet. So hatten sie wenigstens


noch Zeit zur Vorbereitung gehabt.

"Hätten wir nicht aus der Stadt flüchten können?" fragte Sej. Er lallte ein bißchen.

"Nix da. Die Ebene von Huttington ist eine der berüchtigsten Steppenzonen der
Galaxis. Selbst Gott nennt sie 'nicht klein'," meinte Boko.

"Aber dein Zauberding!" beharrte Sej. Er wandte sich an Jeer. "Wir hätten uns
irgendwohin beamen können."

"Dafür bin ich viel zu breit," antwortete Jeer. Er rülpste. Dann leerte er sein
achtes Gins.

Sej grübelte. Lag es nun an dem vielen Bier, oder war die Logik dieser
Lebensformen eine andere? Wie auch immer, das war jetzt seine vierte Flasche.
Die Situation wurde allmählich erträglich, um nicht zu sagen gemütlich.

Jeer stopfte sich eine Menge Flaschen in den Bauchbeutel. Er grinste.

"Seid ihr bereit aufzubrechen?"

Percy drückte auf einen Knopf seiner Redisc, während er sein Gins leerte.

"Bitte ..." klang es klagend aus allen Ecken des Raums zugleich. "Helft mir ..."

"Was war das?" fragte Boko. "Ich hab nur Reset gedrückt," meinte Percy. Er
drückte noch einmal auf den Knopf.

"Helft mir!" klagte das unsichtbare Wesen wieder.

"Wer bist du?" Percy war einigermaßen überrascht.

"Ich bin nur eine einfache Wohnung in einem einfachen Mietshaus, aber ich habe
doch auch ein Recht auf Leben, nicht wahr?" hallte es aus den Ecken.

"Das geht zu weit. Schalt das Ding ab!" verlangte Boko.

"Ich fühle, mein Ende ist nah. Bringt mich woanders hin!"

"Ich fang gleich an zu heulen," sagte Jeer. "Ich würde dich ja gern mitnehmen,
nur zufällig habe ich heute keinen Megakoffer dabei."

"Mein ganzes Leben lang habe ich diese Barbaren beherbergt, und das ist nun
der Dank dafür." Die Stimme klang jetzt fast zornig.

Sej fand die Sache recht faszinierend. Er dachte an seine eigene Wohnung.

"Sag mal, haben alle Wohnungen ein Bewußtsein?" fragte er die Wohnung.

"Na klar. Ich gebe ja zu, nicht besonders viel, aber das bißchen, was wir haben,
ist ziemlich ausgeprägt. Versteht ihr, ich weiß genau, ich reiche von dieser Ecke -
" die Stimme kam jetzt von der Nähe des Eingangs und wanderte nach hinten " -
bis in diese hier. Ich kenne jeden Stein, aus dem ich gebaut bin, und ich bin voll
von den Emotionen meiner Bewohner. Nicht, daß ich sie besonders geliebt hätte,
aber ich kenne sie alle bis in die Tiefen ihrer Seele. Und ein Wesen mit meinem
Erfühlungsvermögen soll jetzt dem blindwütigen Terror des Mobs ausgeliefert
werden ..." Die Stimme fiel in ihren ursprünglichen klagenden Ton zurück.

"Sag mal, was passiert mit dir, wenn du zerstört wirst?" erkundigte sich Sej. Er
öffnete noch eine Flasche.

"Das ist nicht sehr sensibel von dir, so etwas zu fragen," jammerte die Wohnung.
"Aber wenn du es unbedingt wissen willst: Ich werde mich wohl wieder als
einfacher Geröllhaufen durchschlagen müssen. Wieder ganz von vorn anfangen
..." Ein steinernes Schluchzen erklang.

"Was würde denn aus dir werden, wenn du weitermachen könntest?"

"Ich würde mich mit Gleichgesinnten zusammenschließen, und wir würden einen
Palast aus uns machen lassen." Die Stimme klang zuversichtlicher. "Vielleicht
eine Trutzburg, und wenn es nur eine altehrwürdige Ruine wäre. Oder ein
Schloß. Weißt du, es gibt einen Planeten, wo ..."

Der Rest ging in einem ohrenbetäubenden Krachen unter. Jemand hatte draußen
eine Handgranate gezündet, und durch den Luftdruck sprang die Tür voll auf.
Kurz darauf krachte es noch lauter, als im Nebenhaus eine Stalinorgel einschlug.

"Raus hier!" schlug Jeer vor, und alle nahmen seinen Vorschlag begeistert an.
Draußen konnten sie vor lauter Staub fast nichts sehen. Von drinnen klang noch
leise das Wehklagen der Wohnung zu ihnen. Ein Hund jagte an ihnen vorbei und
bellte ihnen etwas zu.

"Dem hinterher!" rief Jeer. "Er meinte gerade, wir sollten das Beste nicht
verpassen."

Sie spurteten los. Sej und Percy fanden es ziemlich schwierig, mit den
Känguruhs Schritt zu halten. Das Zwielicht, das der Mond Draculix durch den
Staub der ständigen Mineneinschläge warf, machte die Orientierung schwierig,
so daß Jeer und Boko glücklicherweise nicht allzu schnell hüpfen konnten.

Ein paar Ecken weiter wurden sie von einer nahen Explosion zu Boden
geschleudert. Percy war als erster wieder auf den Beinen und lief zu Jeer.

"Alles okay?" fragte er ihn.

"Ein paar Flaschen sind futsch," meinte Jeer, während Schaum aus seinem
Bauchbeutel quoll. "Wir trinken sie lieber jetzt gleich."

Er reichte den anderen die verbliebenen Gins raus und machte dann einen
Kopfstand. Flaschenreste fielen aus seinem Beutel, gefolgt von etlichen Litern
Bier. Er klaubte seinen Porzellanhund aus den Splittern. "Das wichtigste ist in
Ordnung." Er grinste.

Sie rannten (beziehungsweise hüpften) weiter. Durch den Staub konnte Sej
erkennen, daß mittlerweile viele recht eigenartige Gestalten vor, hinter und
neben ihnen rannten. Die meisten davon waren mehr oder weniger eindeutig
Canide, aber auch Humanoide waren zu sehen, mit und ohne Antennen auf den
Köpfen, ein paar zerzauste Katzenartige, etliche Rieseninsekten und anderes
merkwürdiges Getier. Alle rannten in dieselbe Richtung. Allmählich verringerte
sich das Tempo, da die Menge dichter wurde. Schließlich ging es nur noch im
Schrittempo voran.

Sej konnte jetzt mehr Einzelheiten der Stadt erkennen. Die Gebäude waren alle
aus demselben sandsteinfarbenen Material und waren ein- oder zweigeschossig.
Das Stadtzentrum war offensichtlich auf einem Hügel errichtet worden.
Obendrein gab es hier einige große Häuser, die aus versetzten, aufeinander
getürmten Blöcken bestanden und den Rest satt überragten. Die meisten
Gebäude besaßen nur eine niedrige Eingangstür, Fenster konnte man fast
nirgendwo sehen.

Sej und Percy hielten sich dicht an die Känguruhs. Sie überquerten einen Platz.
In der Mitte befand sich ein flacher, vieleckiger Bau mit etlichen offenen
Eingängen.

"Eine Bedürfnisanstalt," erklärte Jeer. "In den Wohnungen gibt es keine Toiletten.
Die Dinger werden von Schweineartigen betrieben. Man muß in einen Napf
pinkeln oder scheißen, der dann gewogen wird. Je nach Gewicht muß man dann
zahlen. Die Schweine freuen sich immer, wenn ein vollgefressener Bernhardiner
vorbeikommt."

Aus der johlenden Menge flogen jetzt immer häufiger Granaten verschiedensten
Kalibers in die Nebenstraßen. Jeer gab es bald auf, irgend etwas zu erklären, da
er sein eigenes Wort nicht mehr verstehen konnte. Ein Canide neben ihnen
feuerte seine Bazooka auf ein nahegelegenes Gebäude ab, dessen Dach
jämmerlich einstürzte. Sejs Trommelfelle schmerzten. Er trank sein Gins aus und
warf die Flasche weg. Eine Riesenmücke reichte ihm daraufhin eine Flasche
psychodelischen Sumpfwassers rüber.

"Trink, Kleiner," zischte das Insekt. Sej nahm einen Schluck und reichte die
Flasche an Percy weiter. Bereits nach dem ersten bißchen dieses Zeugs sah
alles ziemlich grünlich aus. Percy gab der Mücke das Gesöff zurück. Neben
ihnen war eine Gruppe humanoider Japtiden (nach Sejs Meinung grünhäutige
Menschen mit grün schimmernden Haaren) damit beschäftigt, das Geschehen
auf ihre Alpha-Moritz-Rekorder zu bannen. Sej hatte die Dinger zuerst für ihre
Augen gehalten. Einer von ihnen setzte den Rekorder ab, um eine neue
Cassette einzulegen.

"Fünf Minuten bis Feuerwerk!" verkündete er Sej gegenüber euphorisch. Seine


grünen Augen strahlten.

Bombenstimmung

Draculix stand jetzt fast im Zenit. Sanft wie immer setzte die Wolke auf. In der
Nähe schlug eine Zentnerbombe ein. Die Wolke kippte zur Seite und entledigte
sich auf diese Weise ihrer vier Insassen.

"Wollt ihr jetzt immer noch auf das Fest?" fragte Isis.

"Ich hab nichts gegen gute Action," meinte Hansi. Der ferne Schlachtenlärm
stimulierte ihn.
"Seid ihr auch betrunken genug?" erkundigte sich besorgt die Katze.

"Nur ein bißchen in Stimmung," lallte Sezana. Sie leerte den Rest der
Sektflasche in einem Zug.

"Nun, dann viel Glück," meinte Isis. "Wir warten hier auf euch, oder vielmehr die
Reste von euch. Nehmt euch vor der Strahlung in acht."

Die Katze reichte den beiden Menschen die Springschuhe. Diese sahen aus wie
avantgardistisch geformte Plattform-Schuhe. Nur bestanden sie nicht aus Holz
mit Ledersohlen, sondern waren kompliziert geformte, schwarz eloxierte Federn.
Der obere Teil war ein Drahtgestell, in das man die Füße stecken konnte.

Sezana und Hansi zogen die Springschuhe an. Das Drahtgeflecht hielt ihre Füße
sicher fest, indem es sich hautnah anschmiegte (eine altbekannte
fünfdimensionale Technik. Auf dem Planeten Erde wurde so etwas im Jahr 2010
bekannt unter dem Namen 'Conscious Engineering').

"Damit solltet ihr in fünf Minuten im Stadtzentrum sein," meinte Isis.

Die ersten paar Schritte machten die beiden noch etwas unsicher, was
wahrscheinlich in erster Linie auf ihren Alkoholpegel zurückzuführen war. Dank
'Conscious Engineering' jedoch kamen sie schnell mit den Schuhen zurecht.
Dieses neue Laufen war ein fantastisches Gefühl. Schritte von fünf Metern Länge
waren überhaupt kein Problem. Die Springschuhe nahmen die
Bewegungsenergie beim Autreten derart sanft auf, daß man fast zu fliegen
schien. Außerdem glichen sie glücklicherweise auch Fehltritte so gut aus, daß die
beiden nie ins Stolpern kamen. Nach ein paar Proberunden um die Wolke
verabschiedeten sie sich von ihren beiden katzenartigen Freunden und eilten in
Richtung Huttington. Hansi hatte seinen überdimensionalen Patronengurt mit
Gins munitioniert. Sezana hielt eine Flasche zelotischen Champagner im Arm.

In der Stadt wichen sie geschickt den Granateinschlägen aus und bahnten sich
zügig den Weg durch die Staubwolken. Kurz bevor Draculix endgültig im Zenit
stand (und das Feuerwerk begann) sprangen sie bereits übermütig über die
dichter werdende Menge hinweg. Zwar waren anscheinend alle heftig mit Drogen
vollgepumpt, aber es gab niemanden, der nicht schnell genug gewesen wäre,
ihnen auszuweichen. Lediglich einmal verhakte Hansi sich in den Flügeln einer
Riesenwespe, die ihn giftig anstarrte. Er reichte ihr ein Gins rüber, und das
schien sie schnell zu besänftigen. Sezana machte einen gigantischen Satz und
war verschwunden. Hansi zielte ungefähr in die Richtung, wohin sie
verschwunden war. Er hatte gut gezielt. Neben ihm stand Sezana, und vor ihnen
beiden standen zwei überdimensionale Känguruhs und starrten sie verwundert
an. Ein Granateinschlag in der Nähe ließ ein paar Japtiden an ihnen
vorbeifliegen. Der Typ mit der Bazooka grinste verlegen.

"Mehr Zielwasser trinken!" riet ihm Jeer. Dann sagte er, zu den beiden
Neuankömmlingen gewandt:

"Bumm bumm Bumerang?"

Das war die Sprache der australischen Ureinwohner, und Hansi und Sezana
konnten den Sinn nur ahnen.

"Wir haben uns die Springschuhe nur ausgeliehen," meinte schließlich Sezana.
"Seid ihr etwa vom selben Planeten wie unsere beiden minderbemittelten
Freunde?" erkundigte sich Boko erstaunt.

Das ohrenbetäubende Gekreische und Gejohle der Menge unterbrach ihre


gerade begonnene Unterhaltung. Draculix stand im Zenit.

Feuerwerk

Isis kippte die Wolke wieder in ihre richtige Position. Sie und die Katze nahmen
darin Platz und flogen niedrig über die Ebene von Huttington bis in eine sichere
Entfernung von der Stadt. Über ihnen zogen fette, schmierige, schwarze
geierähnliche Tiere in die umgekehrte Richtung, eine unüberschaubare Schar.
Der Nachthimmel war übersäht mit ihnen. Als die Wolke jedoch landete, waren
sie nur noch ein riesiger schwarzer Schatten, der auf Huttington zusteuerte.

"Malakok. Die einzigen, die das Miau-Fest genießen können," sagte Isis. Mit ein
paar Krallenbewegungen installierte die Katze den eingebauten Nuklear-
Schutzschirm.

"Die Menschen müßten jetzt angekommen sein. Hoffentlich," meinte sie. Beide
ließen sich entspannt in die Langsitze sinken, die sich an der Oberfläche der
Wolke herausgebildet hatten.

"Meinst du, sie halten die Strahlung aus?" redete die Katze weiter.

"Sicher. Die Getränke, die ich ihnen mitgegeben habe, sind mit Tscherno X
versetzt. Deshalb werden sie auf jeden Fall überleben, falls sie klug genug sind,
dem konventionellen Schlagabtausch aus dem Weg zu gehen."

"Glaubst du, sie haben verstanden, was sie vorhin in der Glaskugel gesehen
haben?"

"Sicher nicht. Das intelligenzsteigernde Gas im Raum dürfte bei ihren


Gehirnstrukturen wohl kaum ausgereicht haben dafür. Aber wenigstens haben
sie jetzt eine Ahnung davon bekommen. Ich will nur hoffen, daß sie sich nicht für
erleuchtet halten und noch so eine lächerliche Sekte gründen. Der Mann mit dem
Rinderfell über dem Oberkörper hatte so einen fanatischen Blick, weißt du."

"Du meinst den Kerl mit der Lederjacke? Der ist eigentlich harmlos. Da! Es geht
los!"

Am Himmel zerbarst eine riesige Leuchtrakete. Zuerst war dort ein gleißender
Blitz, der die beiden Katzenartigen veranlaßte, die Augen zu schließen. Die
Katze fauchte kaum hörbar vor Mißfallen. Dann leuchtete ein helles gelbes Licht,
das seine Farbe allmählich zu immer dunklerem Rot wechselte. Das Leuchten
wurde immer blasser, aber nicht etwa, weil die Strahlung nachgelassen hätte,
sondern weil sich ein riesiger Staubpilz wie eine Glocke von oben auf das Licht
herabsenkte. Hätten sie direkt darunter gestanden, wäre es ihnen vorgekommen,
als ob der Himmel wie lauter Pergamentrollen nach allen Seiten weggerollt
würde, und diese Beschreibung findet sich tatsächlich in einem auf dem Planeten
Terra weitverbreiteten Buch. Die Katzen jedenfalls waren froh, nicht direkt
darunter zu stehen, denn als sie nach wenigen Minuten die Druckwelle der
ersten Nuklearexplosion erreichte, brachte diese ihre Wolke selbst bei der
großen Entfernung noch gehörig ins Schaukeln. Aus dem Staubpilz begannen
kleine Blitze zu schießen.
Drei weitere Raketen stiegen in die Luft. Die Feliden drehten sich weg, bis das
grelle Licht der Blitze abebbte. Einer der Sprengsätze hatte wieder die gleiche
Farbe wie der erste, ein sattes Gelb, das zu rot wechselte. Die anderen beiden
jedoch waren von einem strahlenden, satten Dunkelgrün, das ganz allmählich
blasser wurde. Isis ließ ein Zischen vernehmen.

"Ultraran-339. Diesmal treiben sie es wirklich zu weit," fauchte sie wütend. "Das
Zeug ist so tödlich, daß der Fallout sogar manche von den Malakok umbringt.
Diese blöden Hunde!"

"Aber hübsch sieht es trotzdem aus," bemerkte die Katze. "Hoffentlich tötet es
unsere Menschen nicht allzu sehr."

Jetzt raste eine Rakete nach der anderen in den Himmel. Eine Zeitlang blitzte es
ununterbrochen. Außerdem wurde die Wolke durch die vorangegangenen
Explosionswellen heftig geschüttelt. Selbst als die Blitze vorbei waren, war es
noch so hell, daß sich die Pupillen der Katzenartigen zu schmalen Schlitzen
verengten.

Gigantische Staubmassen fegten über die Ebene; trotzdem war es heller als
mittags auf dem Planeten Merkur. Das Spektrum des sichtbaren Lichts war in
voller Pracht vertreten, von sterbensviolett bis todrot konnte man alle Farben
sehen, und diese in allen Schattierungen. Das Schauspiel dauerte einige
Minuten, während derer die Druckwellen ständig stärker wurden, dann gewannen
die Sandstürme die Oberhand und verdunkelten den bunten Himmel.

Die Katze schaltete den Materie-Schutzschirm ein, als die Winde zu heftig
wurden. Dann hißte sie eine elektronische Flagge. Nachdem sie den Breitband-
Peilsender aktiviert hatte, drehte sie sich auf die Seite und rollte sich zusammen.

"Gute Nacht," sagte sie zu Isis. Isis antwortete nicht. Wie eine Statue saß sie auf
dem Rand der Wolke und blickte Richtung Huttington.

Vorsicht vor den Malakok

Aus dem "Lexikon für metaphysische Biologie", Kapitel "Gespenster, Gewürm


und widerliches Gewusel":

"Malakok. Widerliches Fluggewusel. Ein Rudeltier, das auf den Nachtseiten fast
sämtlicher bewohnter Planeten zuhause ist. Verträgt weder körperliche Wärme
noch Sonnenlicht. Ernährt sich von toten Mäusen, lebendigen Seelen und
Artgenossen. Farbe: schwarz. Ihre Körperform läßt sich am ehesten als
schmierige, fette Masse mit Flügeln beschreiben. Malakok beherrschen fast alle
Formen der Kommunikation, sofern sie destruktiv sind. Sie tauchen nie allein auf,
was an sich schon schlimm genug wäre, sondern in meist riesigen Rudeln, die
alle Seelen fressen, die ihnen in den Weg kommen, es sei denn, die Seelen
haben das Glück, daß massenweise tote Mäuse herumliegen oder daß die
Malakok zu intensiv damit beschäftigt sind, sich gegenseitig zu fressen. Eins der
ungelösten Rätsel über sie ist, warum sie sich nicht schon längst selbst
ausgerottet haben (zu diesem Thema s.a. unter Humanoide auf Sol-III/Terra).
Wenn sie sich von Seelen ernähren, bauen sie das Schlechte der Seele in ihre
Körpermasse ein, während das Gute ziemlich unappetitlich verdaut wieder
ausgeschieden wird.

Bei Begegnungen mit Malakok empfiehlt es sich je nach Stammeszugehörigkeit,


1. das Vaterunser zu beten (nützt nichts), 2. sich heulend und zitternd soweit wie
möglich zu verkriechen (nützt auch nichts) oder 3. sich aller verfügbaren Waffen
zu bedienen, die man gerade bei sich hat (nützt überhaupt nichts). Eine weitere
Möglichkeit ist natürlich, massenweise Mäuse zu schlachten, aber das setzt
zwangsläufig voraus, daß man gerade massenweise Mäuse zur Hand hat."

Die Party ist vorbei

Sezana und Paul schauten sich in die Augen, als wären ihre Augen das Einzige,
was es auf der Welt gäbe. Paul sah in ihren grünen Augen die ganze Weite des
Universum, Leere und Fülle zugleich. Sein ganzes bisheriges Leben war in
seinem Kopf, und doch dachte er zugleich an überhaupt nichts. Eine Welle der
Wärme durchflutete seinen Körper. Er fühlte, wie ihr Blick durch seine Augen in
seinen Kopf drang, dann den Hals hinab in seine Brust und bis in seinen Bauch,
wo er hängenblieb und eine weitere Wärmewelle auslöste, die ihn bis in die
Fingerspitzen durchflutete. Gleichzeitig fühlte er, wie er in ihrem Körper war und
dort so ziemlich dasselbe machte, wenngleich sein Blick in ihr erst etwas weiter
unten hängenblieb. Sezana fühlte, wie sie gleichzeitig vollkommen in sich ruhte
und vollkommen in Paul war. Hätten sie mehr Zeit gehabt, hätte ihr ihr Intellekt
wohl verraten, daß das ein Paradoxon wäre, und Pauls Intellekt hätte sich wohl
auch leicht gewundert. Aber nach einer Ewigkeit, die zehn Doppelsekunden
gedauert hatte, zerrte sie etwas in die Realität zurück. In Pauls Fall hieß die
Realität Ian.

"Ab hinter die Mauer!" schrie er ihn an. In seiner Stimme schwang eine
panikartige Angst, während er Paul an der Jacke zu den Resten eines großen
Gebäudes zog. Erstaunt stellte Paul fest, daß er sich während des langen Blicks
der Springschuhe entledigt hatte.

Dann überschlugen sich die Ereignisse. Sie waren gerade hinter der
Grundmauer des Gebäudes angelangt, wohin sich auch Boko, Jeer und die
anderen geflüchtet hatten, als ein gleißender Blitz den Himmel erleuchtete.

"Schau nicht hin!" schrie Percy zu Sej herüber, der Anstalten gemacht hatte,
nach oben zu sehen. Alle hielten ihre Blicke gesenkt, und was sie dort sahen,
war erstaunlich genug.

Die meisten der Personen, die auf dem großen Platz versammelt waren, hielten
es anscheinend für völlig überflüssig, sich vor der Strahlung zu schützen.
Hundeartige jeder Form und Größe sprangen wie besessen mit den Vorderpfoten
in die Luft und drehten sich im Kreis, was wie ein Tanz von Gespenstern aussah,
da man im Röntgenlicht fast nur ihre Skelette erkennen konnte. Dazwischen und
darüber hüpften und flogen einige Rieseninsekten. Ihr weißes Blut strahlte wie im
Schwarzlicht durch ihre Trachäen, während sich ihre Flügel scheinbar im
Gleichtakt mit den Antennen etlicher gewöhnlicher grüner Außerirdischer
drehten. Alle Besucher des Festes waren völlig aus dem Häuschen. Nur die paar
Japtiden, die bis jetzt überlebt hatten, spähten vorsichtig hinter Mauerresten
hervor, um jede Szene mit ihren AlphaMoritz-Rekordern einzufangen. Sie wollten
nichts verpassen, und das hieß für sie, nichts ungefilmt lassen. Morgen schon
würde sie der Transgalaktik-Jet wieder zurück in die Fabriken bringen, in denen
sie lebten.

Dann folgte ein Geräusch, als hätte Gott tief eingeatmet, aber die Druckwelle, die
Percy befürchtet hatte, blieb aus. Lediglich ein Windhauch war zu spüren.
Während der folgenden Explosionen fielen auf dem Platz etliche Caniden und
andere tot um, wurden aber sofort durch Überdosen psychodelischer Drogen
wiederbelebt. Das wiederholte sich in regelmäßigen Abständen, so daß es zum
Schluß wohl niemanden dort mehr gab, der nicht mindestens einmal gestorben
wäre. Von den Caniden gab es nur eine Gruppe Bernhardiner, die nicht wie toll
herumwirbelten, sondern genüßlich ein Rumfäßchen nach dem anderen
ausschlürften und sich in den Strahlen sonnten. Es machte ihnen anscheinend
auch nichts aus, daß andauernd jemand auf ihre Pfoten und Bäuche trat. In dem
Donnern der Nukleargranaten war das Krachen der konventionellen Munition
nicht mehr zu hören, und als die Wellen der letzten Explosionen verhallten, stellte
Percy überrascht fest, daß es aufgehört hatte.

Die letzten Lebewesen auf dem Platz, die noch tanzten, torkelten langsam zu
Boden, wobei sie so heftig halluzinierten, daß selbst Percy und die anderen die
Bilder ihrer Trips sehen konnten. Es waren hauptsächlich grüne und gelbe
Zellophan-Blumen, die sich über ihren Köpfen auftürmten. Das Mädchen mit den
Kaleidoskop-Augen war bereits gegangen. Ihr Name war übrigens Lucy, aber das
tut nichts zur Sache. Gott atmete noch einmal tief ein und aus, dann war es
vollkommen ruhig. Das Licht von Draculix leuchtete gespenstisch durch die
aufkommenden Sandstürme.

Hansi nahm eine Flasche Gins aus seinem Patronengurt und öffnete sie mit dem
Feuerzeug. Dann leerte er sie in einem Zug. Sezana trat aus dem Schatten der
Mauer hervor und lief wie in Zeitlupe zu Paul hinüber, der gerade erstaunt
feststellte, daß er damit beschäftigt war, sich die Springschuhe anzuziehen. Ian
fand in seiner Jackentasche eine volle Dose Pfefferminzdragees, kippte sie alle
auf einmal in seine Hand und schluckte sie herunter. Sie waren kleiner als die
üblichen Dragees und schmeckten auch überhaupt nicht nach Pfefferminz. Das
war nicht weiter verwunderlich, denn wenn er nicht so verwirrt gewesen wäre,
hätte er sich daran erinnert, daß er in dieser Dose immer seine Trips
aufbewahrte.

Wolstriet hatte in einem Winkel eine halbvolle Kiste Gins gefunden und kam
damit zu den anderen herüber. Er warf den Känguruhs welche zu und reichte Sej
eins, während sich Percy bereits selbst bediente. Hirana stand an die Mauer
gelehnt und trank Sezanas zelotischen Sekt. Paul und Sezana waren die
einzigen, die nicht immer noch breiter wurden. Sie knieten sich gegenüber, wobei
sich ihre Hände berührten, und machten nichts anderes als sich anzusehen. Alle
hörten mittlerweile, daß es nicht wirklich vollkommen ruhig war. Ihre Trommelfelle
fingen wieder an zu funktionieren. Überall um sie herum war das Knistern
ersterbender Flammen in den Ruinen zu hören, das sich mit dem erschöpften
Hecheln der herumliegenden Caniden und dem bewußtlosen Röcheln der
Rieseninsekten mischte.

Es war ein Bild der Stille und des Friedens wie nach jeder gelungenen Party.
Boko und Jeer saßen Ärmchen in Ärmchen und tranken brav ein Gins nach dem
anderen, Hirana hatte sich gesetzt und duschte sich mit dem zelotischen Sekt
(zelotische Sektflaschen werden aus unerfindlichen Gründen nie leer), während
Percy, Sej, Ian und Wolli um den Kasten Gins herumsaßen und aneinander
vorbei ins Leere starrten. Über ihren Köpfen war eine gemeinsame
Gedankenblase zu sehen, in der stand "'n bißchen wenig Frauen hier ...".

Leo Galoppi torkelte sturzbetrunken an der Gruppe vorbei auf der Suche nach
dem Rückweg zu einem Zuhause, das es nicht mehr gab. Er hatte sie überhaupt
nicht wahrgenommen. Glücklicherweise hielten sich die Malakok vom
Stadtzentrum fern, weil in den Außenbezirken massenhaft tote Mäuse
herumlagen, die von den Explosionen zerfetzt worden waren oder Selbstmord
begangen hatten. Auf den Trümmern eines hohen Gebäudes saß eine große
Katze, die in den blasser werdenden Schein des Mondes blickte. Sie
konzentrierte sich und sagte dann laut "Miau".

Damit war der letzte Teil des Fests eingeläutet.

Das Ende ist der Anfang

Der Mittelpunkt aller Galaxien liegt genau im Zentrum des Universums. Daher
wäre er eigentlich einfach zu lokalisieren, gäbe es da nicht eine unglaublich
kompliziert zu erklärende Unschärferelation zwischen Zeit und Beschleunigung.
Das Ganze hat entfernt etwas mit der Relativitätstheorie zu tun, wenngleich auch
einige verrückte Dimensionsbezeichnungen darin vorkommen, die jeder Physiker
als unwissenschaftlich ablehnen würde. In der Bibliothek eines verschollenen
Planeten, die seit über zwei Billionen Jahren wegen Inventur geschlossen ist,
existiert sogar eine Formel zur Berechnung der galaktischen Breite, Länge,
Höhe, Tiefe und Schönheit dieses schwer bestimmbaren Ortes, die Gerüchten
zufolge lautet: "Teile die Quadratwurzel eines beliebigen Baumes durch die
Anzahl seiner Blätter/Nadeln und multipliziere das Ergebnis mit der Anzahl deiner
Körperhaare. Das Produkt ergibt die Entfernung in galaktischen Meilen von
deinem jetzigen Standort, und zwar genau in die Richtung, in die du gerade
schaust." Kritische Geister werden sofort bemerken, daß diese Angabe
einigermaßen subjektiv zu sein scheint; wer sich davon überzeugen will, daß die
Formel strengen wissenschaftlichen Maßstäben genügt, sollte sich den
entsprechenden Eintrag im extramaristischen Spektroskop am Boden von Sflng
Krzm Krzn Pflpfl ansehen (gute Taucher haben dazu die besseren Chancen).

Genau dort hielt sich im Moment jemand auf, der mit Fortbewegung jeder Art (so
auch mit Tauchen) überhaupt keine Probleme hatte. Dieser Jemand war von
zweifelhafter Form, zweifelhaftem Geisteszustand (schizophren wäre eine
passende Bezeichnung gewesen) und unzweifelhafter Farbe: blau. Er saß oder
stand oder lag oder wie auch immer man es bezeichnen will vor einem der vielen
fluoreszierenden Ringe und besah sich oder behorchte oder betelepathierte die
Informationen über das Zentrum des Universums.

Der blaue Nebel hatte inzwischen nämlich den Objektcode des


Rettungsprogramms, das zu seiner Entstehung geführt hatte, analysiert.
Praktischerweise hatte das Programm die Koordinaten der verschollenen Ebene
5 gespeichert, so daß gute Aussichten bestanden, die zersprengten Reste
wiederzufinden und die Ebene in mühsamer Kleinarbeit wieder zu installieren.
Sofern es dem blauen Nebel gelingen würde, das Zentrum des Universums zu
lokalisieren. Denn unpraktischerweise hatte das Programm die Koordinaten vom
Zentrum des Universums aus gerechnet abgelegt.

In dem Ring des Spektroskops erschien eine Mitteilung, die in menschliche


Sprache übersetzt ungefähr Folgendes ergab: "Sollten sich bei der Berechnung
Schwierigkeiten ergeben, hier die Telefonnummer Gottes: 3. Die Vorwahl ist sehr
lang und konnte aus Platzgründen nicht mit aufgenommen werden. Ein Vorwahl-
Verzeichnis befindet sich in der Zentralbibliothek von Desaster Magnus, die zur
Zeit wegen Inventur geschlossen ist und ca. zwei Millionen Jahre vor dem
Endplumps wieder öffnet. Ende."

"Ende," dachte auch der blaue Nebel. "Solange kann ich nicht warten."

Ein transatlantischer Barrakuda kam vorbeigeschwommen und grinste. Die


Gedanken und die Farbe des Nebels regten seinen Appetit an. Er schoß mit
weitgeöffnetem Maul auf ihn zu. Präzis schlug er seine messerscharfen Zähne in
den unförmigen Körper. Wer schon einmal versucht hat, Bier zu beißen, weiß,
wie schmerzhaft das sein kann. Die Zahnreihen des Fisches krachten
aufeinander, ohne daß er etwas im Maul hatte. Da nichts seinen Ansturm
gebremst hatte, schoß er durch den Spektroskop-Ring hindurch und krachte
gegen einen dahinter aufragenden Felsen.

Benommen drehte der große Fisch um und starrte den blauen Schatten an, der
dahing, als wäre nichts geschehen. Seine Nase blutete heftig, außerdem hatte er
sich anscheinend ein paar Zähne ausgebissen. Oder aber jemand hatte
Kandiszucker ins Meer geschüttet. Der blaue Nebel beantwortete telepathisch
die Frage, die sich der Fisch gerade stellte. "Erst danach zum Zahnarzt," meinte
er.

Der Barrakuda drehte ab und schwamm zuerst zum Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Als


sich die Wogen geglättet hatten, horchte oder telepathierte oder sah der blaue
Nebel an sich selbst herab. "Keine Haare. Verdammt," dachte er. Er inspizierte
die nähere und weitere Umgebung. Nirgendwo ein Baum. Und was zum Teufel
war eine Quadratwurzel? In den Niederungen der Mathematik kannte er sich seit
etlichen Milliarden Jahren nicht mehr aus.

"Dann bleibt nur noch die andere Möglichkeit," dachte er. "Wie unsympatisch."

Resigniert begann der Nebel sich aufzulösen. Ganz, ganz langsam (der gesamte
Prozeß würde, wie man später wußte, nahezu ein Jahrhundert der Zeitrechnung
dieses Planeten dauern) verteilte er sich in die Gehirne der aufnahmebereitesten
Rasse dieses Planeten, der Humanoiden, die sich Menschen nannten. Diese
hatten gerade ein Elektronengehirn mit Namen ENIAC gebaut, groß wie ein
Wohnzimmer, das bereits die Addition zehnstelliger natürlicher Zahlen
durchführen konnte. Hundert Jahre später besaßen sie einen Superrechner, klein
wie eine Streichholzschachtel, der in Windeseile die Telefonnummer Gottes
ausrechnete (inklusive Vorwahl).

Die Gedanken des blauen Nebels wirbelten in einem winzigen Strudel an die
Wasseroberfläche. Dort raste gerade eine Sportyacht durch die blauen Wasser
der Ägäis. Im Heck saß ein braungebrannter Mann, angeschnallt in einem
Sporttaucherstuhl, und kämpfte darum, die Angelleine einzuholen.

"Unglaublich!" rief er aus, als er den dicken Brocken eingeholt hatte. "Ein
Barrakuda im Mittelmeer!"

Übermorgen, wenn das Flugzeug ihn wieder nachhause gebracht hätte, würde er
stolz seinen beiden Ärztekollegen davon erzählen, mit denen er gemeinsam eine
Hals-Nasen-Ohren-Praxis betrieb.

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