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© carsten thoben
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Chomsky, Noam: War against people, S. 47.
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Chomsky, Noam: War against people, S. 10.
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http://www.whitehouse.gov/news/releases/2003/03/iraq/20030319-17.html
Am 11. und 12. Juli 1995 brachten Soldaten unter dem bosnisch-serbischen General
Mladic in Srebrenica 8000 muslimische Männer um. Slobodan Milosevic verdiente
sich den Spitznamen vom „Schlächter von Belgrad“. Das Schicksal Saddam Husseins
blieb ihm erspart. Es sollte vier Jahre dauern, bis die NATO im März 1999
Luftangriffe gegen Jugoslawien flog, um die Kosovaren vor den Verbrechen
Milosevics zu schützen – so zumindest die offizielle Begründung. Der Schurke an
Jugoslawiens Spitze blieb weiterhin im Amt. Es blieb dem serbischen Volk überlassen
sich vom Joch des Tyrannen zu befreien. In Nordkorea hungert ein ganzes Volk unter
einem wahnsinnigen Diktator. Ein Grund für einen Angriff? Keineswegs. Das
Problem soll auf diplomatischem Wege gelöst werden. Nordkorea verfügt über ein
ansehnliches Arsenal an Massenvernichtungswaffen, die Abschreckung erfüllt den
erwünschten Zweck. Das Schicksal des Volkes ist nebensächlich.
Die genannten Beispiele – es ließen sich weitere Exempel in großer Menge anführen
– machen eines deutlich: Kriege gegen Schurkenstaaten dienen keineswegs dem
Zweck Frieden, Wohlstand und Freiheit in die Welt zu tragen. Sie werden nicht aus
humanistischen Beweggründen geführt. Kein Staatsführer schickt seine Soldaten für
die Freiheit eines anderen Volkes in den Krieg. Das Konzept vom „Schurkenstaat“
dient allein der moralischen Ummantelung des kriegerischen Unterfangens. Wenn die
ersten Särge, eingehüllt in die Landesflagge, auf den heimischen Flughäfen
ankommen, benötigen die Bürger die Gewißheit, dass die Soldaten, ihre Väter, Brüder
oder Söhne, für eine gerechte Sache gestorben sind. Kein Volk der Welt läßt seine
Jungs in den Krieg ziehen, um lukrative Aufträge für heimische Unternehmen an
Land zu ziehen. Der bewaffnete Angriff auf eine andere Nation muß dem Volk
verkauft werden. Diktatoren werden kurzerhand zu Schurken erklärt, ihre
schrecklichen Verbrechen jedem vor Augen geführt. Vor dem zweiten Golfkrieg
kamen in den US-Medien Geschichten von Babys ans Tageslicht, die von irakischen
Soldaten aus den Brutkästen gezogen und auf den Boden geschmissen werden. Die
Mütter vor den Fernsehschirmen erstarrten angesichts solcher Grausamkeiten vor
Entsetzen. Die Geschichte war eine Lüge, doch Wahrheit hin oder her, die
Schreckensmeldung erfüllte ihren Zweck. Die eigenen Soldaten wurden mit
stolzgeschwellter Brust in den Krieg gegen den bösen Schurken geschickt. Die
Amerikaner waren von der Gerechtigkeit des Unterfangens überzeugt. „Support our
troops!“ – eine Nation stand geschlossen hinter ihren Soldaten. Der Schurkenstaat als
perfektes Marketingkonzept.
Ein Großteil der Menschen hält Kriege aus rein machtpolitischem und
wirtschaftlichem Interesse für moralisch verwerflich. Sie glauben fest an die „Lehre
vom gerechten Krieg“, des „jus ad bellum“. Die Entscheidung zum Krieg erfordert
einen gerechten Grund, welcher traditionell nur die Notwehr sein kann. Die UN-
Charta, Grundlage der internationalen Rechtsordnung, gesteht allen Nationen „das
naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung“ im „Falle
eines bewaffneten Angriffes“ zu. Der Irak hat keine Nation angegriffen. Er stellte
keine unmittelbare Bedrohung für seine Nachbarstaaten oder den Weltfrieden dar.
Von den Massenvernichtungswaffen, die einem britischen Geheimdienstdossier
zufolge innerhalb von 45 Minuten einsatzbereit seien, fehlt bis heute jede Spur. Ihre
Existenz ist nicht erwiesen. Aus diesen Gründen hat der UN-Sicherheitsrat den
Angriff nicht legitimiert. Dem Feldzug fehlte die nötige Autorität, er ist ein
eindeutiger Verstoß gegen das Völkerrecht.
Die Entscheidung zur bewaffneten Gewalt erfordert gleichfalls eine gerechte Absicht.
Glaubt man den Befürwortern des Angriffs auf den Irak, so ist diese rechte Absicht
gegeben: Freiheit für die Iraker, Frieden und Sicherheit für die Welt! Vor zwei Jahren
ist der Angriff auf Afghanistan auf ähnliche Art und Weise begründet worden. Heute
herrscht am Hindukusch eine Regierung, deren Macht nicht über die Stadtgrenzen von
Kabul hinaus reicht. Die Taliban sind auf dem Vormarsch, außerhalb der Hauptstadt
sind die Frauen wieder gezwungen ihre Burkas zu tragen. Ist das die viel beschworene
Freiheit, die der US-Präsident dem geschundenen afghanischen Volk versprochen
hat? Vielleicht können sich die westlichen Nationen in größerer Sicherheit wiegen.
Den Afghanen hat der Krieg keine demokratische Ordnung, geschweige denn mehr
Wohlstand gebracht. Ähnlich wie im Irak wünschen sich immer mehr Afghanen das
alte Regime zurück.
Unzählige Menschen auf diesem Planeten haben unter grausamen Regimen zu leiden.
Sie haben wie alle Menschen das Recht auf „Leben, Freiheit und Sicherheit der
Person“, das Recht in den Genuss von Freiheit und Demokratie zu kommen. Ein
bewaffneter Angriff ist der falsche Weg, um ihnen diese Grundrechte zu garantieren.
Demokratie und Freiheit können nicht durch Bomben herbei geführt werden. Die
Afghanen und Iraker haben dies in der jüngsten Vergangenheit schmerzhaft erfahren
müssen. Es müssen andere Wege gefunden werden, um die Menschen vom Joch der
Schurken zu befreien. Jeder Krieg ist eine Niederlage des menschlichen Geistes. Ob
Sanktionen, die Unterstützung von Oppositionsgruppen oder die diplomatische
Ächtung, es gibt unzählige Alternativen zu einem bewaffneten Angriff. Um es mit
den Worten des römischen Staatsmannes Cicero zu sagen: „Der ungerechteste Frieden
ist immer noch besser als der gerechteste Krieg.“