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Geld aus dem Internet

Nach etwas mehr als 10 Jahren Online-Präsenz von Medien stehen wir noch
immer am Beginn einer Entwicklung, bei der anfangs kaum mehr als das Offline-
Produkt ins Internet gestellt worden ist. Die Sicherung der Marktposition des
Printprodukts war die ursprüngliche Absicht der Onlineaktivitäten von Verlagen.
Erst in den letzten Jahren wird erkannt, dass das Internet weit mehr Möglichkeiten
bietet und damit neue Zielgruppen erreicht werden können.

Die meisten deutschen Journalisten sind inzwischen der Meinung, dass sich das
Engagement der Verlage im Internet lohnen wird. Zu diesem Ergebnis kommt
eine aktuelle Umfrage von „news aktuell“ der dpa. Der Großteil der 3.000
befragten Redakteure ist der Meinung, dass Investitionen jetzt nötig sind, es
mittelfristig lukrative Erlösmodelle geben wird und in Zukunft auf jeden Fall
wachsende Umsätze mit Onlinewerbung zu erwarten sind.

SPIEGEL ONLINE

SPIEGEL ONLINE ist nach wie vor die Referenz der deutschsprachigen Online-
Medien. Ein 80-köpfiges Redaktionsteam bereitet die Inhalte auf, die diesen
Februar 86 Millionen Visits erhielten. SPIEGEL ONLINE machte im Jahr 2006 einen
Umsatz von 15 Millionen Euro, davon zwei Millionen Gewinn. Erst kürzlich erregte
SPIEGEL ONLINE mit der Öffnung des gesamten Archivs seit 1947
Aufmerksamkeit. Mit Hilfe des „SPIEGEL Wissen“ genannten Dienstes, können mit
einer Abfrage zugleich alle Ausgaben des SPIEGEL, Bertelsmann-Lexikon-Einträge
sowie Wikpedia kostenlos durchsucht werden. Lediglich die jüngsten Ausgaben
des SPIEGELs sind nur als Paid Content verfügbar. Prof. Lorenz Lorenz-Meyer,
Hochschule Darmstadt und ehemaliger Ressortleiter Netzwelt von SPIEGEL
ONLINE sieht das Paid-Content-Konzept noch nicht als gescheitert an, „solange
sich allerdings der Werbemarkt im Internet weiterhin so positiv entwickelt, gibt es
im onlinejournalistischen Mainstream wenig Grund, dieses schwierige Projekt
voranzutreiben. Wollte man es tun, dann müsste man sich mehr Gedanken über
die Entwicklung attraktiver Produkte machen. Denn letztlich ist Paid Content
daran gescheitert, dass man für die falschen Dinge Geld verlangt hat. Für
Archivtexte zum Beispiel. Das ist so, als würde ich die Zeitung von heute umsonst
verteilen, aber für die von gestern Geld verlangen.“

Weiters fällt SPIEGEL ONLINE mit einer gelungenen Integration von Videos sowie
mit interaktiven Infografiken auf.

SPIEGEL ONLINE verzichtet weitgehend auf Leserbeteiligung. Das einzige Projekt,


das sich auf Beteiligung stützt, ist das Zeitgeschichte-Portal „einestages“. Die
Berichte der Leser, die von einer Redaktion geprüft werden, sollen ein
„kollektives Gedächtnis unserer Gesellschaft“ schaffen.

Welt-Gruppe
Seit 2006 ist Crossmedia ein Thema ersten Ranges bei einigen Online-
Redaktionen. Verlagshäuser, die bisher lediglich Printprodukte im Programm
hatten, werden zu Medienhäusern. Technische Konvergenz ermöglicht diesen
Wandel und stellt Redaktionen wie auch Journalisten vor neue
Herausforderungen. Prominentes Beispiel hierfür ist die Welt-Gruppe. Ende 2006
wurde ein gemeinsamer Newsroom für die Tageszeitungen (Die Welt, Welt
Kompakt und Berliner Morgenpost), die Sonntagszeitung Welt am Sonntag und
die entsprechenden Online-Versionen eröffnet. Klaus Meier, ebenfalls Professor an
der Hochschule Darmstadt, beschreibt – in einer noch unveröffentlichten Studie
über Konvergenz im Newsroom – die Herausforderung, die in der Kombination von
Print und Internet, aber ebenso in der Notwendigkeit der Integration der
unterschiedlichen Printtitel liegt. 400 Journalisten, darunter 38 Online-Journalisten
arbeiten nun für die Welt-Gruppe im Axel-Springer-Haus in Berlin. Weiters wurde
unter dem ehemaligen vorsitzenden Chefredakteur „Online First“ zum Motto. Im
Großraumbüro hat zwar jeder Titel seinen eigenen Chefredakteur, die Redakteure
arbeiten allerdings zu 70% für alle Titel. Lediglich 30% schreiben ausschließlich
für eine Zeitung oder nur für online. Die Online-Redaktion kann gemäß dem Motto
„Online First“ alle Artikel, sobald sie fertig gestellt sind, aus dem internen
Redaktionssystem nehmen und auf den jeweiligen Web-Sites veröffentlichen. Die
Welt-Gruppe konnte im Jahr 2007 erstmals schwarze Zahlen schreiben. Den
Journalisten werden Trainings in Audio- und Videoproduktion angeboten. Bisher
haben 100 Mitarbeiter die Ausbildung angenommen und wurden somit fit für
Crossmedia gemacht.

Dennoch hält Daniela Kraus, Geschäftsführerin der Forschungs- und


Weiterbildungseinrichtung „Medienhaus Wien“ den „Journalisten, der alles macht“
für eine Fehleinschätzung. „Es bleibt gar nicht die Zeit dafür. Synergien lassen
sich in der Praxis nicht dadurch erzielen, dass eine Person Text, Audio und Video
produziert.“ Allerdings lassen sich für die Konvergenzexpertin und Co-Autorin der
eingangs erwähnten Studie durch Umstrukturierungen der Redaktionen sowie
durch „crossmediales Mitdenken“ Vorteile gewinnen.

20 Minuten Online

Chefredakteur Hansi Voigt von 20min.ch ist seinerseits davon überzeugt, dass
„die Trennung und Unabhängigkeit von Print und Online das absolute
Erfolgsrezept“ ist. Natürlich gibt es Informationsaustausch zwischen der
Redaktion der Schweizer Gratiszeitung und dem korrespondierenden Internet-
Portal, bezüglich Crossmedia ist die Haltung jedoch eher ablehnend traditionell.
Mit 7,7 Millionen Visits im Februar 2008 ist 20 Minuten Online die Nummer eins
unter den Newsplattformen. In den beiden Redaktionen an der Zürcher
Werdstrasse und in Lausanne arbeiten insgesamt 43 redaktionelle Mitarbeiter. Ein
weiterer Ausbau der Redaktionen soll bald folgen.

Die Online-Präsenz fällt durch die sehr gute Integration eines zum großen Teil
selbst produzierten Videoangebots auf. Für die größeren Städte werden darüber
hinaus regionalspezifische Nachrichten angeboten. „Online First“ ist
selbstverständlich. Die Plattform nimmt für sich in Anspruch: „Wir sind die
ersten, die die Nachricht bringen und die ersten, die die Geschichte auch
vertiefen“. Der Eindruck eines interaktiven Frühstücksfernsehens entsteht nicht
nur durch die Uhr im Logo, zahlreiche interaktive Infografiken und Berichte von
Citizen Journalists im Chronik-Teil runden das Angebot ab. Das zu 99%
werbefinanzierte Onlinemedium – lediglich CDs können im Online-Shop erworben
werden – erzielte zuletzt einen deutlichen Gewinn.

oe24.at

Bei der Online-Plattform der 2006 gestarteten Tageszeitung „Österreich“


bestehen laut Chefredakteurin Maria Jelenko-Benedikt sehr enge Kontakte
zwischen Online und Print im großen Newsroom am Wiener Naschmarkt.
„Exklusivgeschichten werden online sofort veröffentlicht. Auch unser Personal
vermischt sich immer mehr.“ Mittlerweile hat oe24.at mehr als 1,4 Millionen
Besucher (März 2008). Die Werbeeinnahmen steigen stetig.

derStandard.at

Die aus insgesamt 50 Mitarbeitern bestehende Online-Redaktion der


Tageszeitung Der Standard arbeitet, trotz enger Abstimmung, unabhängig von
der Printredaktion und trifft autonome Entscheidungen. Seit 4 Jahren erzielt
derStandard.at bei einem Umsatz von unter 10 Millionen Euro steigende
Gewinne. 6,5 Millionen Visits im Februar 2008 machen den Standard.at zu einem
der erfolgreichsten Online-Medien in Österreich. Neu sind Videoblogs des
Schriftstellers Robert Misik und des Journalisten Hans Rauscher. Zur Fußball-
Europameisterschaft sind neue Video-Features geplant.

Kleine.at

Die Online-Präsenz der Kleinen Zeitung macht sich seit kurzer Zeit mit einem sehr
regionalisierten Angebot bemerkbar. „737 neue Seiten, die lokale Information für
jede Gemeinde in der Steiermark, Kärnten und Osttirol anbieten, sind
hinzugekommen“, berichtet Nora Kanzler stolz von dem neuen Projekt. Diese
Fülle an Information ist nur mit Hilfe von engagierten Leserinnen und Lesern zu
bewältigen, die regelmäßig über Babies, Hochzeiten und das lokale Geschehen
berichten. Zudem erhalten die Gemeinden die Möglichkeit, Ortsinformationen
online zu veröffentlichen. 2,2 Millionen Visits belohnen das Engagement der aus
50 Mitarbeitern bestehenden Online-Redaktion. Der Break Even wurde laut
Geschäftsführerin Barbara Ebner bereits vor einigen Jahren erreicht. Neben dem
bundesweiten Werbegeschäft gibt es auch spezielle Produkte für die regionalen
Anzeigenkunden.

Der Westen
Ebenfalls auf ausgeprägte Regionalisierung und Userbeteiligung setzt das im
Herbst 2007 gestartete Internetportal „Der Westen“ der WAZ-Gruppe unter
derwesten.de. Das mit zahlreichen Web 2.0-Elementen wie Weblogs und
Geotagging ausgestattete Angebot wird von 90 Lokalredaktionen, in denen
insgesamt 800 Journalisten arbeiten, mit Information über 140 Städte aus dem
Ruhrgebiet beliefert. Für die Umsetzung wurde die Bloggerin Katharina Borchert
engagiert. Bislang einzigartig im deutschen Sprachraum ist die im März 2008
angekündigte Kooperation des Verlagshauses WAZ mit der öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalt WDR, die regionale Radio und Fernsehbeiträge zur Verfügung
stellen wird.

Facts 2.0

Im Juni 2007 wurde „Facts“, das einzige deutschsprachige Nachrichtenmagazin


der Schweiz, eingestellt. Da das Verlagshaus Tamedia die Marke und Domain
verwerten wollte, wagte es mit Facts 2.0 einen radikalen Neustart.

Das Social-News-Network, das Information zu einem großen Teil aus 430


Nachrichten-Quellen aggregiert, basiert auf einem ausgewogenen Verhältnis von
Community, Technologie und Redaktion.

Projektleiter Christoph Lüscher versucht dies folgendermaßen zu erklären:


„Sowohl Community, als auch Technologie, wie etwa ein Bewertungssystem, das
auf Nennungs- und Verlinkungsfrequenzen basiert, können der Redaktion
Indikatoren für die Newsbewertung liefern. Ziel ist es, auf FACTS 2.0 mit der Zeit
die Gewichtung der Community-Inputs und Inputs aus einer technologischen
Aggregationslösung mit den Redaktionsinputs so auszutarieren, dass ein System
mit eigener Dynamik entsteht, das Endprodukt jedoch weiterhin von hohem
Niveau und allgemeinem Interesse bleibt – und nicht etwa zu einem reinen
Community- oder Technologieprodukt wird.“

Die äußerst schlanke Redaktion, die lediglich an der Auswahl der Themen
mitarbeitet, besteht aus einer halben und drei 20-Prozent-Stellen. Das im
September 2007 gestartete Projekt soll aus Werbung finanziert werden. Immerhin
hat facts.ch mit 93.000 Visits im Februar bereits mehr Zugriffe als die
ursprüngliche Facts-Site. Eine spannende Geschäftsidee ist das zukünftige
Angebot, die innovative Kommentarkultur bei facts.ch, in technischer und sozialer
Hinsicht, an andere Portale in Form von Beratungsdienstleistungen zu verkaufen.

Zum Abschluss sei nochmals Lorenz Lorenz-Meyer zitiert: „Wer Geld verdient, tut
gut daran, in Qualität zu investieren, denn auf lange Sicht werden die bekannten
Marken alleine nicht reichen, um ein interessiertes Publikum anzuziehen und zu
halten. In Deutschland setzen die großen Anbieter und viele Werbetreibende
erstaunlicher Weise weiterhin auf das alte Rezept Reichweite, als hätten sie
immer noch nicht verstanden, dass die wahre Revolution im Internet die
Zielgruppengenauigkeit ist. Gewinnen werden auf lange Sicht diejenigen, die sich
vom Fetisch Reichweite verabschieden und sich das Prinzip der genauen und
qualitativ hochwertigen Zielgruppenansprache zunutze machen.“
Links:

Newsletter, na-news aktuell der dpa, April 2008


Bericht über die Umfrage unter 3.000 Journalisten zu den Internetinvestitionen
der Verlage
http://www.newsaktuell.de/pdf/newsletter12008.pdf

Österreichische Webanalyse/ÖWA
http://www.oewa.at

Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern


http://www.ivw.eu/

Internetforschung NET-Metrix
http://www.net-metrix.ch/

Kasten:

Aufsteiger:

• SPIEGEL online
Stetiger Ausbau der Marktposition durch vorsichtige Innovation

• Facts 2.0
Das Beste aus Web 1.0 und Web 2.0

• Kleine Zeitung
Regionalisierung mit User Generated Content

• Der Westen
Regionalisierung, Web 2.0 und Kooperation mit WDR

• 20 Minuten Online
Schnell, übersichtlich, multimedial

David Röthler ist Berater und Autor zum Thema „Neue Internetanwendungen“ in
Salzburg
Weblog: politik.netzkompetenz.at; Email: david@roethler.at

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