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ATHEISMUS - EIN WEG?

- 35 BEWEISE DER EXISTENZ GOTTES -

- Gedanken eines Gefangenen -

Inhalt
Einführung
Die Auffassungen über Gott sind sehr verschieden
1. Das kosmologische Argument
2: Das Argument vom Vorhandensein des Gottesgedankens in unserem Verstand
3. Das theologische Argument
4. Das historische Argument
5. Das sittliche Argument
6. Das Argument von der Bewegung
7. Das Argument von den Prophetien
8. Das Argument vom Denken auf höchster Stufe
9. Das Argument von der Existenz der Glaubensfunktion
10. Das Argument von der Voreingenommen heit des menschlichen Verstandes
11. Das Argument von der Tatsache der Unzwangsläufigkeit
12. Das Argument von den Naturgesetzen
13. Das Argument von den Ausnahmen bei den Naturgesetzen
14. Das Argument von Wundern
15. Das Argument von der Ausdehnung des Universums
16. Das Argument vom zweiten Gesetz der Thermodynamik
17. Das Argument von der Existenz von Gene
18. Das Argument von der Existenz radioaktiver Elemente
19. Das Argument von der Existenz schwarzer Löcher
20. Das Argument von der Abstufung in allen Dingen
21. Das metaphysische Argument des Anselm von Canterbury
22. Das Argument von der Komposition aller Dinge in der Natur
23. Das Zeugnis der besten Exemplare aller Dinge in der Natur
24. Das Zeugnis von Wissenschaftlern
25. Der Beweis von großer Kunst
26. Das Zeugnis von Bauern
27. Das Zeugnis von Tiererfahrungen
28. Der Beweis von der Stillung unserer Bedürfnisse
29. Der Beweis von künstlichen Satelliten
30. Der Beweis von der automatisierten Industrie
31. Der Beweis von erhörten Gebeten
32. Das Argument von der Notwendigkeit eines ewigen Geistes
33. Der Beweis von der Existenz des Bösen
34. Das Argument vom Glauben eines Menschen
35. Das Argument von der Unmöglichkeit, das Gegenteil zu beweisen

Einführung
Ein Philosoph konfrontierte Rabbi Levi Yitzak von Berditschew einmal mit Argumen
ten, die die Existenz Gottes widerlegten. Der Rabbi hörte ihm lange und tief in
Gedanken versunken zu; plötzlich blickte er seinem Gesprächspartner ohne Umschw
eife in die Au gen und sagte leise: »Und was, wenn es doch wahr wäre, daß es Got
t gibt? Sagen Sie mir, was wäre, wenn es doch stimmte?«
Der Philosoph war von diesen Worten mehr betrof fen als von all den Argumenten f
ür die Religion, die er bislang gehört hatte. Er erkannte, daß er in Gefahr war,
und wurde gläubig, da er zum ersten Mal seine Verwundbarkeit und Verantwortlich
keit vor einem wirklichen Gott spürte.
*
Ein armer Mensch bekam eine Uhr geschenkt, die erste, die er je besessen hatte.
Er war sehr stolz darüber, bis eines Tages seine Freude angesichts der Er kennt
nis verblaßte, daß sie nicht die richtige Zeit anzeigte.
Er brachte die Zeiger dem Uhrmacher zur Repara tur.
»Aber ich brauche die ganze Uhr!« sagte der Uhr macher.
Der Arme antwortete aufgebracht: »Sie wollen die ganze Uhr nur, damit Sie mehr G
eld für die Reparatur verlangen können. Die Uhr ist vollkommen in Ord nung. Nur
die Zeiger müssen repariert werden.«
*
Auch im Leben läßt sich kein Problem isoliert lö sen, ohne das Ganze zu berühren
. In der Medizin nennt man das »Ganzheitsmethode« oder »Psychoso matik«, die Erk
enntnis, daß Körper, Seele und Geist im Krankheitsfalle oder bei Beschwerden mit
betrof fen sind. Ein guter Arzt behandelt nicht das Ge schwür, sondern seine Ur
sache. Die Lösung sozialer Probleme muß ebenfalls die ganze Person mit einbe zie
hen, oder ein Scheitern ist so gut wie sicher.
Niemand ist eine Insel, isoliert von Familie, Gesell schaft oder Universum. Das
Gefühl zu jemandem oder zu etwas zu gehören, ist nicht nur für das Wohlbe finden
wesentlich, sondern ist eine unwiderlegliche Tatsache des Seins.
Die Frage ist, zu wem wir gehören.
Gibt es ein höheres Wesen, jemanden, der über uns steht? Gibt es vielleicht eine
n Gott, dem wir angehören? Wir wollen diese Frage sine ira et studio angehen, o
hne den religiösen beziehungsweise den atheistischen Standpunkt zu bevorzugen o
der hinten anzustel len.
Jede einseitige Untersuchung eines Problems ist ge fährlich. Nur wer beide Seite
n hört, sieht klar. Ein einseitiger Mensch bleibt im dunkeln.
Lenin hat einmal gesagt: »Um ein Problem wirklich zu kennen, müssen wir alle sei
ne Aspekte und Zusammenhänge ins Auge fassen und studieren. Wir werden das nie
vollkommen erreichen können, doch die Bemühung, alle seine Aspekte abzuwägen, b
ewahrt uns vor Irrtum und Täuschung.«
Es ist daher falsch und antileninistisch seitens kom munistischer Länder, wenn s
ie nur atheistische Bü cher als Lektüre zulassen. In anderen Ländern sind so woh
l religiöse als auch antireligiöse Bücher frei erhält lich.
Mao schrieb: »Nur eine Seite von etwas zu sehen, bedeutet im Absoluten zu denken
; bedeutet Probleme metaphysisch zu betrachten.« Da Kommunisten Geg ner der Meta
physik sind, sollen sie doch die freie Meinungsäußerung gestatten!
Ein altes Sprichwort sagt: »Bewahre uns, Herr, vor einem Menschen, der nur ein e
inziges Buch liest!« Ich würde mich vor einem Menschen, der nur ein Buch liest,
hüten, selbst wenn dieses Buch die Bibel wäre.
Ein Frosch in einem Brunnen sagte: »Der Himmel ist nicht größer als die Öffnung
des Brunnens.« Rich tig wäre es gewesen, wenn der Frosch gesagt hätte: »Der Teil
des Himmels, den ich sehe, ist so groß wie die Öffnung des Brunnens.«
Der Himmel, den Atheisten von ihrer begrenzten Warte aus sehen, enthält keinen G
ott, so wie der Him mel manch eines engstirnigen Gläubigen kein Ver ständnis für
den Standpunkt des Atheisten birgt. Der Himmel ist jedoch selbst in der Naturwe
lt weitaus grö ßer als der kleine Ausschnitt, den wir sehen.
Wir wollen daher unsere Sicht vergrößern und auf einer Stufe, die sich von der h
erkömmlichen Weisheit vergangener Jahrhunderte unterscheidet, über den Glauben a
n Gott kontra Atheismus sprechen.
*
Der italienische Schriftsteller Dino Buzzati erzählt folgende Legende: Iblis, de
r Todesengel, erschien Einstein, als dieser gerade an seiner Relativitätstheori
e ar beitete, und sagte: »Deine Zeit ist abgelaufen. Du mußt mir in die andere W
elt folgen.« Einstein erbat sich eine Frist von einem Monat, innerhalb der er se
in Werk vollenden wollte. Die Frist wurde gewährt. Nach Ablauf des Monats bat Ei
nstein um einen weite ren.
Schließlich beendete er sein Werk und ging getreu der Vereinbarung in einer Deze
mbernacht in den Park, um den Todesengel zu treffen. Einstein, der kei nen persö
nlichen Ehrgeiz für Erfolg, Ruhm und Geld hegte, war damit zufrieden, daß er der
Wissenschaft gedient hatte.
Iblis fragte ihn: »Hast du deine Arbeit beendet?« - »Ja.«
»Dann kannst du dableiben. Ich habe kein Interesse mehr an dir. Ich habe dich mi
t der Vorstellung des bevorstehenden Todes erschreckt, damit du schneller ar bei
test. Ich bin der Bote des Teufels. Ich weiß, daß du lauteren Herzens gearbeitet
hast. Aber auf der Grund lage dessen, was du entdeckt hast, werden Raketen und
Killersatelliten entwickelt werden, um die Erde und ihre Bewohner zu zerstören.
Wir fördern die Ent wicklung einer Pseudowissenschaft, die nicht nur auf Wahrhei
t und Liebe ausgerichtet ist, sondern auch auf die Werke des Bösen. >Nur schnell
, schnell< ist unsere Devise.«
Der Teufel möchte nicht, daß wir viel Zeit mit Nach denken verbringen. Er hat ei
nen Widerwillen gegen Tiefe. »Schicke uns nicht in die Tiefe«, baten die Teufel
Jesus (Lukas 8:31).
Hierin sind sie ganz anders als Gott, der Oberfläch lichkeit meidet und sich vor
den Tiefen nicht scheut (Psalm 18:11).
»Schnell, schnell!« drängt der Teufel. »Baut Häuser, Städte, Staaten, Reiche, ku
lturelle, wissenschaftliche und politische Einrichtungen, Kirchen und Missio nen
! Tut große Dinge und tut sie schnell! Vergeudet eure Zeit nicht mit Feinabstimm
ungen oder Einzelhei ten! Denn so könnt ihr mir bei der Entfachung des Feuers, d
es kosmischen Holocaust, der Götterdäm merung behilflich sein, in der von Gottes
Schöpfung nichts übrigbleiben wird.
Unser Dämonenheer wird als einziges überleben, und dann wird Gott uns wieder auf
nehmen und nach unseren Bedingungen mit uns Frieden schließen müs sen« (Buzzati)
.
Dieses Buch ist für jene gedacht, die nicht in Eile und, die, ehe sie ein Haus b
auen oder einen Kampf austragen, sich zuerst hinsetzen, die Kosten berech nen un
d über die letztlichen Konsequenzen dessen, was sie tun, nachdenken, so wie Jesu
s es gelehrt hat (Lukas 14:28, 31).
Jahrelang saß ich allein und, wegen schwerer Ket ten, nahezu unbeweglich in eine
r sehr kleinen Gefängniszelle, ohne Bücher und Papier und ohne jemals mit jeman
dem sprechen zu können. Ich konnte nur denken. Ich konnte nur in die Tiefen zu
dringen versuchen. Sei still und lausche!
*
Manche glauben an Gott und manche nicht. Man che sagen anderen, sie sollen glaub
en oder nicht glau ben. Einige gehen noch weiter: Sie versuchen andere zum Glaub
en oder Nichtglauben zu zwingen. Im Iran läßt Khomeini Menschen töten, weil sie
nicht an Gott glauben; in Rußland werden Menschen von Kommu nisten getötet, weil
sie an Gott glauben.
Erwarten Sie daher keine einfache Lösung der Frage, ob es einen Gott gibt oder n
icht. Wenn es eine einfache Lösung gäbe, wäre diese Frage schon längst aus der W
elt geschafft.
Der Streit ist um ein Wort, das Wort »Gott«, obwohl bezüglich des Begriffes »Got
t« Einheit herrscht.
Im Hebrä ischen gibt es den Ausdruck »Wort« nicht. Statt dessen wird das Wort »D
avar« verwendet, welches »das Wirk liche« oder auch »der Grund« bedeutet. Unsere
Sprache dient nicht dazu, Wirkliches zu übermitteln oder Gründe aufzudecken. Un
sere Worte sind daher zerbrechliche Gefäße, die häufig in den Untiefen von Mißve
rständnissen und Uneinigkeit versinken. Kluge Worte kommen aus tiefem Schweigen.
Die Wirklichkeit übersteigt Streitigkeiten. Die Wirk lichkeit übersteigt sogar S
tandpunkte für oder gegen die Wahrheit. Wenn einer Gott ist, kann Er sich selbst
verteidigen.
Selbst jene, die für Gott sprechen, reden oft zuviel. Sie bemerken nicht, wenn s
ie, von Gott redend, dazu übergehen, von Seinen Eigenschaften zu sprechen. Eigen
schaften, Attribute! Das lateinische Wort »Attribut« bedeutet: jemandem etwas z
uschreiben. Das Wort an sich zeigt schon, daß es nicht über Gott spricht, wie di
eser an sich ist. Wenn es Ihn gibt, dann ist Er sicher nur wie Er ist (Exodus 3:
14), und nicht so, wie wir meinen und sagen.
»Der Herr ist in seinem heiligen Tempel. Es sei vor ihm stille alle Welt!« (Haba
kuk 2:20), heißt es in der Bibel.
Nur die Schweigsamen können die Wahrheit sa gen, wenn sie, sehr selten, von Gott
sprechen.
Es gibt eine letzte Wahrheit. - Wäre es daher nicht aufrichtig, wenn wir nach ei
ner besseren letzten Wahrheit Ausschau halten als nach der, daß es keine letzte
Wahrheit gibt?
Auf die Frage, ob es einen Gott gibt, würde der Atheist antworten: »Ein vernünft
iger Mensch glaubt nur an das, was er sieht.«
Wenn man den Atheisten um eine genauere Erklä rung ersuchen würde, würde dieser
zweifelsohne seine Behauptung ein bißchen ändern. Offenbar glaubt auch er an die
Sonne, auch wenn diese nicht scheint, an die Liebe, auch wenn er sie nicht spür
t, oder an sei nen Verstand, den er nicht sehen kann. Er glaubt an Behauptungen
von Wissenschaftlern über Galaxien oder Mikropartikel sowie den Erklärungen von
Historikern über Ereignisse der Vergangenheit.
Prüfe selbst, ob es eine gewisse Antipathie ist, die dich Gottes Existenz ablehn
en läßt. Furchtbares ist im Namen Gottes getan und große Dummheiten sind als Sei
ne angebliche Offenbarung gepredigt oder geschrieben worden. »Gott« ist wirklic
h ein beflecktes, menschliches Wort. In Seinem Namen sind Standbilder von Ungeh
euern für heilig erklärt worden. In Sei nem Namen sind Religionskriege, oft die
erbittertsten und heftigsten, ausgefochten worden. In Seinem Na men wurden Inqui
sitionen durchgeführt. Soldaten im Nationalsozialismus trugen Koppelschlösser mi
t der Aufschrift »Gott mit uns«.
Aus diesem Grund rufen Gläubige nie jemanden zu dem Wort »Gott«, sondern zu der
Wirklichkeit, die »Gott« benannt wird. Es ist wichtig, sorgfältig zwi schen Name
und Wirklichkeit zu unterscheiden. Wer nicht gut unterscheidet, kann auch nicht
gut denken.
Wir gebrauchen viele falsche Bezeichnungen in un serer Sprache. "Glaube an Gott"
könnte auch eine falsche Bezeichnung sein. Mit Gott müssen wir den wah ren Got
t meinen, und nicht ein Phantasiegebilde.
Die Auffassungen über Gott sind sehr verschieden.
Manche glauben an Gott nur als »den großen Baumeister des Universums«. Das ist e
ine neutrale Vorstellung. Jeder hat recht, Juden, Christen, Moslems, Buddhisten
. Einige haben überhaupt kein Dogma. Nicht nur, daß sie keine Wahrheit hätten; s
ie weigern sich ent schieden, sie zu haben.
Lessing hat geschrieben: »Wenn Gott die ganze Wahrheit in seiner Rechten und den
lauteren und stets aktiven Drang zur Wahrheit in seiner Linken hielte, obgleich
mit dem Zusatz, mich immer und ewig zu täuschen, und wenn er zu mir sagen würd
e: >Wähle!<, würde ich demütig in seine Linke fallen und sagen: >Vater, gib ihn
mir! Die reine Wahrheit gebührt nur Dir allein.«< (G. E. Lessing, Duplik, 1977,
Gesammelte Werke; V, 100)
Jeder normale Mensch möchte genau wissen, wel ches Essen gut für ihn ist und wel
ches giftig, welche Arznei ihn von seiner Krankheit heilt und welche sie verschl
immert. In der Mathematik und Wissenschaft möchten wir die Wahrheit wissen. Was
die Religion an belangt, erklären manche: »Wir wollen sie nicht. Kein Dogma, das
heißt keine eindeutige Wahrheit in Sa chen Religion!« Sie glauben lediglich an
den großen Baumeister des Universums, der offensichtlich nicht groß genug ist, s
ich vorzustellen.
Wer immer sagt: »Ich lehne die Möglichkeit, bezie hungsweise den Wunsch, zu eine
r unzweideutigen Wahrheit zu gelangen, ab«, erklärt damit: »Ich habe eine letzte
Wahrheit, und es ist wünschenswert, daß man sie kennt. Diese ist, daß es keine
letzte Wahrheit gibt.« Damit sind wir wieder an unserem Ausgangspunkt angelangt
.
Es gibt eine letzte Wahrheit. - Wäre es daher nicht aufrichtig, wenn wir nach ei
ner besseren letzten Wahrheit Ausschau halten als nach der, daß es keine letzte
Wahrheit gibt?
*
Auf die Frage, ob es einen Gott gibt, würde der Atheist antworten: »Ein vernünft
iger Mensch glaubt nur an das, was er sieht.«
Wenn man den Atheisten um eine genauere Erklä rung ersuchen würde, würde dieser
zweifelsohne seine Behauptung ein bißchen ändern. Offenbar glaubt auch er an die
Sonne, auch wenn diese nicht scheint, an die Liebe, auch wenn er sie nicht spür
t, oder an sei nen Verstand, den er nicht sehen kann. Er glaubt an Behauptungen
von Wissenschaftlern über Galaxien oder Mikropartikel sowie den Erklärungen von
Historikern über Ereignisse der Vergangenheit. Er würde sich sodann korrigieren
: »Ein vernünftiger Mensch glaubt nur an das, was er selbst oder andere sehen kö
n nen. Wenige haben beispielsweise Zugang zu atoma ren Anlagen oder riesigen Ste
rnwarten, aber manche haben die Dinge gesehen. Deshalb kann ich daran glauben.
Der Gläubige könnte daraufhin sagen: »Wir befin den uns in derselben Lage. Wenig
e nur können be haupten, sie seien heilig oder sie hätten ein reines Herz, was d
ie Voraussetzung ist, um Gott zu schauen. Manche haben jedoch Gott geschaut. Die
alten Propheten sagen, daß sie Gott geschaut hätten. Jesus hat gesagt, Er komme
von Gott. Deshalb können wir glauben.«
Ich weiß, daß es das Land Tibet gibt, obwohl ich es noch nicht gesehen habe. Ich
weiß, daß manche Menschen sehr gütig sind, wenn auch nur vom Hörensa gen: ich
glaube, daß es meinen Gott gibt, auch wenn ich selbst Ihn noch nie gesehen habe.
Wie viele Zeugen haben wir dafür, daß Hannibal oder Dschingis-Khan tatsächlich g
elebt haben? - Nur sehr wenige, aber dennoch haben wir keinen Zweifel daran. Für
die Existenz Gottes gibt es wesentlich mehr Zeugen.
In der Nacht sehen wir viele Sterne am Himmel; sie verschwinden jedoch von unser
er Sicht, sobald die Sonne aufgeht. Können wir behaupten, tagsüber seien keine S
terne am Himmel? Wenn wir Gott nicht sehen können, durchlaufen wir vielleicht ge
rade die Nacht der Unwissenheit in dieser Sache. Es ist vorei lig, zu behaupten,
es gäbe Ihn nicht.
Prüfe selbst, ob es eine gewisse Antipathie ist, die dich Gottes Existenz ablehn
en läßt. Furchtbares ist im Namen Gottes getan und große Dummheiten sind als Sei
ne angebliche Offenbarung gepredigt oder geschrieben worden. »Gott« ist wirklic
h ein beflecktes, menschliches Wort. In Seinem Namen sind Standbilder von Ungeh
euern für heilig erklärt worden. In Sei nem Namen sind Religionskriege, oft die
erbittertsten und heftigsten, ausgefochten worden. In Seinem Na men wurden Inqui
sitionen durchgeführt. Soldaten im Nationalsozialismus trugen Koppelschlösser mi
t der Aufschrift »Gott mit uns«.
Aus diesem Grund rufen Gläubige nie jemanden zu dem Wort »Gott«, sondern zu der
Wirklichkeit, die »Gott« benannt wird. Es ist wichtig, sorgfältig zwi schen Name
und Wirklichkeit zu unterscheiden. Wer nicht gut unterscheidet, kann auch nicht
gut denken.
*
Wir gebrauchen viele falsche Bezeichnungen in un serer Sprache. "Glaube an Gott"
könnte auch eine falsche Bezeichnung sein. Mit Gott müssen wir den wah ren Got
t meinen, und nicht ein Phantasiegebilde.
Es gibt die Wahrheit. Es gibt die Wahrheit über die Wahrheit, die, um von den Me
nschen verstanden zu werden und um der Unwahrheit entgegenzuwirken, angepasst, v
erändert und gemildert wird. Dann gibt es die Darstellung der Wahrheit über die
Wahrheit in leicht verständlicher Form auf verschiedenen Ebenen, damit sie von K
indern, Unwissenden, ge wöhnlichen Menschen und Genies verstanden werden kann. D
ies Ganze wird die Wahrheit über die Wahrheit über die Wahr heit. Sie einfach »W
ahrheit« zu nennen, ist eine falsche Bezeichnung. Nur die Wahrheit ist die Wahrh
eit, nicht ihre Anpassung oder menschliche Sprachhülle.
Wer kann die Wahrheit fassen? Wer weiß genug über sie, um sie in Abrede zu stell
en? Sie übersteigt unsere Standpunkte und Spekulationen.
Plato hat geschrieben: »Ein Mensch muß sieben Jahre still für sich forschen, bis
er die Wahrheit erfährt, aber er braucht vierzehn Jahre, um zu lernen, wie er s
ie seinem Nächsten vermitteln kann.«
Ich weiß nicht, warum Plato gerade die Zahl vier zehn wählte. Warum beschloß Ale
xandre Dumas, daß der Held in seinem Roman »Der Graf von Monte Christo« ebenfall
s vierzehn Jahre im Gefängnis sitzen sollte?
Nachdem ich vierzehn Jahre eines auf fünfundzwan zig Jahre lautenden Urteils abg
esessen hatte, wurde ich unerwartet aus der Haft entlassen. Geschah das deshalb,
weil ich meine Lektion gelernt hatte und nun wußte, wie ich die Wahrheit lehren
sollte?
Gott ist die Wahrheit. Jesus sagte: »Ich bin die Wahr heit.« Die Bibel ist ebenf
alls die Wahrheit, und sie spricht von der Schönheit der Heiligkeit Gottes. From
me Menschen nennen die Kirche die Säule der Wahrheit.
Werde ich nach vierzehn Jahren Gefängnis in der Lage sein, diese Wahrheit auf an
sprechende und überzeugende Art zu vermitteln?
*
Die Welt ist komplizierter, als es den Anschein hat. Die Wirklichkeit ist schwer
er zu deuten, als wir es glau ben möchten. Unser Wissen ist weniger zuverlässig,
als wir meinen. Eine allgemein als wahr angenommene Behauptung kann möglicherw
eise nur relativ ge sehen wahr sein, da die Wahrheit viele Seiten hat.
Ein gutes Beispiel hierfür ist die klassische Ge schichte von den Blinden und de
m Elefanten: Auf die Frage, wie er sich einen Elefanten vorstellte, hatte je der
Blinde eine andere Antwort. Einer befühlte das Bein des Elefanten und sagte: »D
er Elefant ist so et was wie ein Baum.« Ein anderer tastete den Rüssel des Elefa
nten ab und sagte: »Ein Knochen«. Ein drit ter ergriff den Schwanz und sagte: »E
ine Schlange«! Kein einziger von ihnen hatte jedoch eine Vorstellung davon, wie
ein Elefant in Wirklichkeit aussieht.
Nur die vollkommene Seele kann die Wahrheit ganz und absolut sehen, und das nur,
wenn sie das ganze Universum in einem einzigen Akt ewigen Wissens überblickt.
Meinte Jesus das, als Er sagte: »Selig sind, die rei nes Herzens sind; denn sie
werden Gott schauen« (Matthäus 5:8), Gott, in dem alle ihr Sein und ihr Tun habe
n?
Gott schauen? Gibt es einen Gott?
*
Gott ist Gott. Unter dem Begriff »Gott« verstehen wir eine allmächtige Person be
ziehungsweise Macht, die das All lenkt und die das Objekt unserer positiven oder
negativen Gedanken und Gefühle ist. Ich bin das Subjekt, Er ist das Objekt.
Wenn ich so über Ihn denke, stellen sich große Wi dersprüche ein.
Warum verhindert Er nicht Erdbeben, Wirbel stürme, Kriege, Blutvergießen, Armut
und Sünde, wenn Er allmächtig und auch barmherzig ist? Wenn Er die Macht hat, Un
heil abzuwenden, und es trotzdem nicht tut, hat Er keine Entschuldigung.
Viele Juden sagen: »Ich habe geglaubt, bis Millio nen von uns von Hitler vergast
wurden. Soll sich doch Gott jetzt ein anderes Volk aussuchen!«
Gott hat keine Entschuldigung. Vielleicht braucht Er keine. Entschuldigt sich ei
n Töpfer bei dem Ton für das, was er aus ihm formt; dafür, daß er das von ihm Ge
formte in den brennenden Ofen schiebt, damit es hart wird?
Gottes Kraft ist in der Tat von ganz anderer Art. Es gibt viele Arten von Kraft:
nukleare, atomare, kalori sche, elektrische, mechanische, geistliche.
Gott ist Geist. Seine Macht muß daher geistlicher Art sein. Diese Energie unters
cheidet sich von ande ren Energiearten insofern, als sie keinen Zwang aus übt. S
ie ist keine zwingende Ursache, der eine be stimmte Wirkung folgen muß.
Vielleicht ist Er allmächtig in Seiner Macht zu über zeugen, zu lehren, zu überr
eden, Beispiele zu geben, eine von Erziehern, Pfarrern und Schriftstellern ver w
endete Macht. Gott zwingt die Menschen nicht, gut zu sein, aber Er zeigt Seine A
llmacht dadurch, daß Er ein kleines Kind in einer Krippe wird, ein Wanderpredig
er, der Liebe oder Haß auslöst, ein Mensch, der zwischen Räubern gekreuzigt wird
und alles mit Liebe erduldet. Und aufgrund Seines höchsten Opfers hat Er die Ma
cht, viele Menschen in vielen Ländern für Liebe und Güte zu gewinnen.
Gott ist nicht eine Art Supermann, der immer als deus ex machina erscheint, um M
enschen in Not zu retten. Er ist vielmehr ein allmächtiges, gelassenes, heiteres
, geduldiges Wesen, das Menschen überzeugt, eben diese Eigenschaften aus Seiner
freigebigen Hand entgegenzunehmen.
Es gab einen Zeitpunkt, da Er ein Wort sprach und das ursprüngliche Chaos ein ge
ordnetes Universum wurde. Er hauchte einer sog. Lehmfigur den Odem ein, und sie
wurde eine lebendige Seele.
Er trat mit Seinen Geschöpfen in Verbindung, und sie wurden Heilige.
Er hat die Macht, zu den Menschen durchzudrin gen, zu ihnen zu sprechen, sie zu
überzeugen, zu verändern und in alle Ewigkeit glücklich zu machen.
Ihre Glückseligkeit rührt nicht daher, daß sie von all ihren Mühsalen befreit wü
rden, sonder daher, daß sie in ihrem Wesen so werden wie Er.
Gott ist nicht eine Macht in dem Sinne, daß Er ei nen Menschen vor dem Sterben b
ewahrt (obwohl es solche Ausnahmen gegeben hat). Tatsache ist, daß uns das Leben
oft wie eine Harpyie reitet, ein Stachel und eine Plage. Beim Sterben aber lock
ert sie ihren Griff, und wir sehen sie verwandelt in Gestalt eines schönen Mädch
ens. Alles Leiden, das wir erduldet haben, wird ein Grund zur Freude.
Jesus, der menschgewordene Gott, wollte ungeach tet all Seiner Macht im Himmel u
nd auf Erden äußere Umstände nicht ändern, einen sehr schmerzhaften Tod am Kreuz
nicht umgehen. Indem Er Sein Schick sal mit Liebe und Vergebung annahm, zeigte
Er viel mehr, daß wir den Tod nicht zu fürchten brauchen. Ist diese Angst einmal
überwunden, wird das Leben selbst reicher, wie Er es jenen verheißen hat, die I
hm nachfolgen.
Es ist ein großer Nachteil, wenn man Gott nicht kennt, aber ein noch größerer Na
chteil ist es, wenn wir die falschen Schlüsse aus unserem Irrtum ziehen.
In gewisser Hinsicht ist das ganze Leben ein Wagnis, da wir als Menschen nicht d
ie Zukunft voraussagen können. Ich weiß nicht, ob die Heirat, die ich erwäge, mi
ch glücklich machen wird, und ich weiß auch nicht, ob ich glücklicher wäre, wenn
ich ledig bliebe. Ich weiß nicht, was mir die Laufbahn, die ich eingeschla gen
habe, bringen wird. Ich weiß nicht mit Bestimmt heit, ob das Essen, das ich gera
de verspeist habe, mir bekommen wird: Aber wir alle treffen Entscheidun gen, ges
tützt auf Vermutungen.
Laßt uns bezüglich der Existenz Gottes ebenso vor gehen.
Laßt uns »spielen«, wie Blaise Pascal vor schlägt. Dieser sagt tatsächlich: »Wen
n ich mein Ver trauen in Gott setze und dieser nicht existiert, verliere ich nic
hts außer die sündigen Annehmlichkeiten, auf die ich verzichten muß und die in j
edem Fall schädlich sind. Wenn es Ihn aber gibt, oh, dann habe ich ewige Freude
gewonnen.«
Bereits im Jahre 1912 schrieb Lenin in einem Brief an Gorki: »Millionen von Gewa
ltakten, Krankheiten und Epidemien sind weniger gefährlich als der geringste Ged
anke an einen Gott ... Gott ist der persönliche Feind der kommunistischen Gesell
schaft.«
Lenin schrieb auch: »Religion ist eine Art geistli cher Wodka, in dem die Sklave
n des Kapitals ihre menschlichen Merkmale und ihre Ehrfurcht vor ei nem irgendwi
e würdevollen menschlichen Leben ertränken.« Einige Menschen denken wie er; and
ere im Gegenteil glauben an Gott.
Für dich mag es vielleicht zweifelhaft sein, ob es ei nen Gott gibt, aber die fo
lgende jüdische Geschichte gibt es mit Sicherheit:
Ein Rabbi stellte einem Mann in seiner Gemeinde folgende Frage: »Zwei Männer kom
men in ein Haus durch den Kamin. Der eine von ihnen ist schmutzig, der andere sa
uber. Welcher von beiden wäscht sich?«
Der Jude antwortet: »Zweifellos der schmutzige.«
»Nein«, sagt der Rabbi. »Da der schmutzige Mann sieht, daß der andere sauber ist
, vermutet er, daß auch er sauber sei. Der saubere Mann, der am anderen den Schm
utz sieht, glaubt, daß er schmutzig sei, und wäscht sich.«
»Jetzt habe ich eine zweite Frage«, fährt der Rabbi fort. »Zwei Männer kommen in
ein Haus durch den Kamin. Der eine von ihnen ist schmutzig, der andere sauber.
Welcher von beiden wäscht sich?«
Der Jude antwortet: »Jetzt weiß ich es: der sau bere.«
»Nein«, sagt der Rabbi. »Der saubere Mann be trachtet prüfend seine Hände und se
ine Kleidung und sieht, daß sie sauber sind. Warum soll er sich da wa schen? Der
andere Mann sieht, daß er überall schmut zig ist, und wäscht sich.«
Der Rabbi stellt eine dritte Frage: »Zwei Männer kommen in ein Haus durch den Ka
min. Der eine ist sauber, der andere schmutzig. Welcher wäscht sich?« Verzweifel
t sagt der Jude: »Beide!«
»Falsch«, antwortet der Rabbi. »Wenn zwei Männer durch einen Kamin kommen, wie k
ann da einer sau ber bleiben? Hast du nicht gemerkt, daß die Frage tö richt ist?
«
Jedes menschliche Fragen nach Gott ist töricht. Wenn es keinen intelligenten Sch
öpfer gäbe, gäbe es auch kein intelligentes Wesen, das Fragen stellt oder den in
telligenten Schöpfer verneint. Gott existiert ganz einfach. Selbst die Behauptun
g, daß es Ihn gibt, ist eine Herablassung auf die Unsinnigkeit gewöhnli chen Den
kens.
*
Ich spreche über Gott. Wenn es einen Gott gibt und ich Sein Geschöpf bin; so ist
das reine Verwegenheit. Er ist ein ewiger Geist, während ich ein Mensch aus Fle
isch und Blut bin. Er ist ewig, während ich vergänglich bin.
Andererseits, wenn es keinen Gott gibt, bin ich das Produkt des zufälligen Zusam
mentreffens von Molekülen. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, daß dieses Zufa
llsprodukt die Wahrheit kennt?
Wenn der Atheismus recht hat, wenn es keinen ewi gen Gott und kein ewiges Leben
gibt, wenn wir als Folge zufälliger Bewegungen von Molekülen der Ma terie entsta
nden, die auch nur als Zufall vorhanden ist, wenn der Tod sowohl für den Ungläub
igen als auch den Gläubigen das Ende bedeutet, wenn letztlich nicht bloß die gan
ze Menschheit, sondern auch die Erde und das ganze Universum in einem Prozeß na
mens Entropie »den Bach hinuntergehen« wird, ist al les nichtig.
Die ganze Geschichte wird ein Ende haben, ohne daß eine einzige Seele übrig blei
bt, die sich dafür interessieren würde, was mit der Menschheit in der kurzen Ze
itspanne, in der sie zufällig existierte, geschehen ist.
Wenn es einen Gott gibt, braucht Er nicht verteidigt zu werden. Wenn es Ihn nich
t gibt, wen greife ich an? Ein Hirngespinst? Warum stellen wir nicht andere Märc
hen in Frage?
Den Glauben an Gott angreifend, erweist der Atheismus sich selbst einen schlecht
en Dienst.
Ein russischer Bauer wurde gefragt: »Glauben Sie an Gott?« Er sagte: »Ja, natürl
ich.«
»Warum glauben Sie an Ihn? Haben Sie Ihn schon einmal gesehen?«
»Nein, aber ich habe auch noch nie einen Japaner gesehen. Ich glaube aber, daß e
s Japaner gibt, weil unsere Armee gegen sie Krieg geführt hat. Und ich glaube a
n Gott, weil unsere Regierung einen so erbit terten Krieg gegen Ihn führt. Kämpf
en Sie gegen ein nichtexistentes Wesen?«
*
Ich weiß, es ist anmaßend von mir, über dieses Thema zu schreiben. Doch obwohl i
ch ängstlich zur Feder greife, glaube ich, daß mich nahezu fünfzig Jahre des Stu
diums und der Meditation über dieses Thema zu der Hoffnung ermächtigen, daß ich
einen nicht ganz unbedeutenden, wenn auch geringen, Bei trag auf diesem Gebiet l
eisten kann.
Dieses Buch ist vermutlich nicht für jedermann von Interesse. Ein Musikstudent s
agte vor dem Empire State Building, einem der höchsten Gebäude in New York, zu s
einem Freund: »Wie schön das Kind da drü ben auf der anderen Straßenseite pfeift
!« Sein Ge fährte wunderte sich. »Wie kannst du das bei all dem Lärm hören?« Der
Musiker warf eine Münze auf das Pflaster. Sogleich traten mehrere Personen hinz
u. Der Beweis war erbracht: Jeder hört das, was ihn interes siert.
Die an Geld interessiert sind, hören das Klimpern einer Münze. Die an Musik Inte
ressierten hören sogar das Rascheln von Blättern, die der Wind aufwirbelt. Die n
ach der Wahrheit dürsten, werden in diesem Buch etwas Nützliches finden.
Das, was ich schreibe, ist nur für Menschen, die nach Wissen stre ben, die das L
icht der Wahrheit der Dunkelheit der Unwissenheit vorziehen.
Manche glauben, die Existenz Gottes sei nur eine ethische Frage: Wir brauchen di
e Vorstellung von Gott, weil ohne sie die Moral zusammenbricht.
Ungarische Kommunisten drehten einen Film mit dem Titel »Die Spiralleiter«. Er h
andelt von einem Ehemann mit zwei Kindern. Als guter Kommunist und guter Arbeite
r wird er von der Partei für kulturelle Zwecke von einer Provinzstadt nach Budap
est geschickt. Infolge der in Budapest herrschenden Wohnungsnot muß er eine Zei
tlang seine Familie zurück lassen. Er verliebt sich in seine Sekretärin und läßt
seine Familie im Stich.
In einer Szene - er ist gerade mit seiner Geliebten im Bett - fragt er: »Hast du
keine Gewissensbisse, daß du meine Familie entzweist?«
Sie antwortet: »Als ich ein Kind war, lehrte man mich, meine Leidenschaften zu b
ezähmen, weil es eine Belohnung im Königreich des Himmels für dieje nigen gäbe,
die so handeln, und eine Strafe in der Hölle für diejenigen, die nicht so handel
n. Ich glaube aber nicht mehr an solche Dinge. Warum sollte ich dann auf meine L
ust verzichten oder mir wegen deiner Familie Sorgen machen?«
Dostojewski hat es bereits in den »Brüdern Karama sow« gesagt: »Wenn es keinen G
ott gibt, ist alles erlaubt.« Es wäre daher wohl wünschenswert, Gott zu er finde
n, wenn es Ihn nicht gäbe, damit die Gesellschaft funktionieren und überleben k
ann.
»So nicht«, antwortet Jesus überraschend. »Wenn es keinen Gott und keinen Himmel
gibt, soll es jeder wis sen. In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn'
s nicht so wäre, hätte ich's Euch gesagt.« (Johan nes 14.2)
Angenommen, Gott existiert nicht, sollen wir, da es keinen Meister, keinen Richt
er gibt, die wenigen Freuden, die das Leben bietet, so schnell wie möglich aus
kosten? Auch eine andere Schlußfolgerung ist möglich.
*
Im siebzehnten Jahrhundert, als der Atheismus im jüdischen Volk noch nahezu unbe
kannt war, sagte ein Jude zu seinem Rabbi: »Ich glaube nicht an Gott.«
Da umarmte ihn der Rabbi und sagte: »Wie ich dich beneide! Um deinen Seelenzusta
nd ist es so viel besser bestellt als um meinen. Wenn ich einen Menschen sehe, d
er krank, arm oder in Not ist, tröste ich mich mit dem Gedanken: >Gott wird ihm
schon helfen!< Da du aber nicht an Gott glaubst, mußt du ihm helfen. Es liegt al
lein an dir, das zu tun, was Gott täte, wenn es Ihn gäbe. Lebe so, und du wirst
Licht finden.«
Als mein Sohn Mihai etwa fünf Jahre alt war, sagte er etwas ähnliches: Er hörte,
wie ich für eine arme Familie betete. Er unterbrach mich: »Warum das Pro blem
Gott sagen? Greif in die eigene Tasche und gib dein Geld den Armen!«
*
Gott hat alles erschaffen, und alles existiert durch Seine selbstexistente Macht
. »Denn in Ihm leben, we ben und sind wir« (Apostelgeschichte 17:28).
Nur Er existiert wahrhaft. Die Sprache zwingt mich, mich selbst mit »ich« anzure
den, doch eigentlich hätte nur Gott das Recht, das Wort »Ich« zu sagen. Ich exi
stiere nur »in Ihm.« Wissenschaftler, Gläubige wie auch Atheisten, sind sich ein
ig: »Es gibt nur einen.« - Wer ist dieser eine?
*

Gibt es einen Gott oder nicht?


Niemand weiß, warum die Schöpfung entstanden ist, und warum das Universum sowohl
aus Materie als auch Geist besteht.
Atheisten und Gläubige wissen auf viele Fragen keine Antwort.
Viele werden aufgrund der zahlreichen unbeantwor teten Fragen zu Atheisten.
Die Menschheit ist vom Jagen mit Pfeil und Bogen und vom Töten mit einem Stein z
um Vernichten mit ei ner Atombombe übergangen. Wo ist Gott in diesem Bild? Sartr
e scheint recht zu haben, wenn er die Beobachtung macht, daß »die Geschichte vo
ranschreitet, ohne um sich selbst zu wissen«, sonst hätte sie diesen blutigen We
g nicht eingeschlagen.
Die Bibel sagt, daß Gott kein Unrecht sehen kann. Wie kann Er dann den Anblick d
ieser schlechten Welt ertragen und sie in ihrer Schlechtigkeit weitermachen lass
en?
Des weiteren sagt die Bibel, daß kein Mensch le bend Gott schauen kann (2. Mose
33:20). Doch sie vervollständigt diesen Gedanken ein paar Verse weiter unten, in
dem sie sagt, daß wir nur Seine Rückseite se hen können (Vers 23). Während die Z
ukunft für uns ein Rätsel bleibt, können wir Ihn nur in vergangenen Ereignissen
sehen.
Christen glauben, daß am Ende der Geschichte ein Licht scheinen wird, das alles
Vergangene erhellt. Doch der vor uns liegende Weg ist schwer und die Ant wort li
egt in weiter Ferne. Die Dunkelheit von heute läßt den Atheismus nicht nur in ko
mmunistischen Län dern entstehen, sondern auch in vielen Teilen der west lichen
Welt.
Wenn es in der Heiligen Schrift heißt, daß Gott Jona von einem Fisch verschlinge
n ließ (Jona 2,1), könnte Er vielleicht auch diese große Flut des Atheismus vor
bereitet haben, die so viele Menschen verschlingt?
Atheisten bemerken, daß Christen beten: »Dein Reich komme.« Der gewöhnliche Mens
ch kann nicht ermessen, wie schrecklich es für einen König sein muß, ohne ein Kö
nigreich zu sein.
Wie viele Menschen scharen sich um die entthron ten Könige Rumäniens, Bulgariens
, Griechenlands oder des Iran? Warum sollen wir uns da wundern, daß Gott nicht m
ehr Anhänger hat? Es ist vielmehr ein Wunder, daß Er überhaupt so viele Ihn Lieb
ende hat! Er ist der einzige König ohne Königreich, den Millio nen Menschen prei
sen und anbeten.
Da Er ein König ohne Königreich ist - zumindest ei nes in dieser Welt sichtbaren
Königreiches -, bedeutet das Mit-Gott-Sein anscheinend, daß man vieler Freu den
beraubt ist.
Im Gleichnis vom verlorenen Sohn erzählt Jesus von einem jungen Mann, der vom re
chten Weg abkam und dann wieder in sein Vaterhaus zurückkehrte. Vol ler Freude l
ieß der Vater Musikanten kommen und aus diesem Anlaß ein Fest geben. Als der ält
ere Bruder des verlorenen Sohnes von der Arbeit kam und die Musik hörte, erkundi
gte er sich nach dem Grund. Mu sik war in seines Vaters Haus selten zu hören.
Musik ist auch in unserem Vaterhaus selten. Die Ihm treu sind, stöhnen unter ihr
em schweren Kreuz. Können wir jemandem Vorwürfe machen, der den Weg schweren Lei
dens meidet und den von Glück und Freude vorzieht? Nachtigallen und Lerchen möch
ten lieber singen.
Nicht für jede atheistische Einstellung trägt der Atheist die Schuld.
Niemand tritt einem Glauben bei. Man schließt sich dem Gläubigen an. Wenn Mensch
en unseren Glauben nicht annehmen, könnte dies auch daran liegen, daß die Chris
ten selbst ihn nicht praktizieren.
Von Jesus steht geschrieben, daß Er Gottes Eben bild ist (Hebräer 1:3), doch Er
entäußerte sich dessen (Phìlipper 2:7). Christen beten, daß Sein Name gehei ligt
werde, weil Er selbst nicht genug um Seinen guten Ruf bedacht zu sein scheint.
Da Er sich erniedrigt, kann man es Atheisten in gewissem Sinne nicht verübeln,
wenn sie in Ihm nicht den König erkennen.
Aber nicht nur Gott ist schwierig zu verstehen. Die ganze Wirklichkeit ist unfaß
bar. Ein Atom ist ein Rät sel, desgleichen eine Pflanze, ein Mensch, ein Talent.
Christen opfern für Christus ihren Intellekt, wie sie ihre Zeit, ihr Geld, ihr L
eben opfern. Sie sind ohne Begierde. Sie sind mit dem zufrieden, was sie verste
hen können. Bezüglich des Rests begnügen sie sich da mit, das Geheimnis als Gehe
imnis anzunehmen.
*
Der Atheismus hat seine guten Gründe. Doch die Menschen entwickeln viele Arten,
mit der Wirklich keit umzugehen. Die Religion dürfte ebenfalls einige gute Gründ
e haben. Willst du sie nicht in Betracht zie hen?
Wenn nicht, dann nimm bitte zur Kenntnis, daß wir bereit sind, deinen Mut zu wür
digen, besonders wenn du in einer christlichen Umgebung lebst.
In einer Ansprache vor Schülern führte ein Bischof einmal folgendes Beispiel für
sittlichen Mut an: »Ein Junge, der vor allen anderen im Schlafsaal niederkniet
und betet, ehe er zu Bett geht.« Sodann fragte er die Jungen, ob sie sich noch e
in anderes Beispiel vorstel len könnten. »Ja«, piepste da ein Stimme.»Ein Bisch
of, der in einem Schlafsaal voller Bischöfe in sein Bett hüpft, ohne vorher zu b
eten.«
Atheisten sollten andererseits gewillt sein, den Mut von Gläubigen anzuerkennen.
*
Ein aus Uganda zurückgekehrter Missionar er zählte folgende Geschichte:
Seine Kirche veranstaltete einen Bazar. Doch an statt die Geschenke zuvor zu Dek
orationszwecken abzugeben, brachten die Gläubigen sie erst am Sonntag morgen. A
ls der Gottesdienst aus war, und der Missio nar den Berg von Geschenken betracht
ete, glaubte er, etwas zu hören. Er schaute das Kirchenschiff hinunter und erbli
ckte ein kleines afrikanisches Mädchen.
Der Missionar fragte: »Möchtest du mich spre chen?« Sehr scheu trat das kleine M
ädchen vor und sagte: »Bitte, ich möchte auch etwas geben!« Darauf hin zog es ei
ne Tasche unter seiner armseligen Klei dung hervor, öffnete sie und holte eine H
andvoll Sil ber und Gold nach der anderen heraus, bis sich ein ganzer Silberberg
auf dem Tisch angesammelt hatte, der mehr wert war als all die anderen Geschenk
e zu sammen.
Der Missionar sagte: »Das hättest du nicht tun sol len. Sag uns, woher du das Ge
ld hast, und wir werden es zurückbringen!«
Da brach das Kind in Tränen aus. »Es gehört alles mir.« Der Missionar rief aus:
»Das kann doch nicht dein Geld sein. Dazu bist du viel zu arm.«
Es stellte sich heraus: Das Mädchen hatte sich als Sklavin verkauft, um der Kirc
he Geld zu spenden.
Selbstaufopfernd wie Gott zu werden, so zu wer den, wie Gott wäre, wenn es Ihn a
uf Erden gäbe, ist ein ausge zeichneter Weg, Gott zu finden. Das hat der Rabbi e
mpfohlen. Hast du es je versucht?
*
Auch die biblischen Vorstellungen von Gott stellen nicht alle Menschen von heute
zufrieden. In der Heiligen Schrift sind Vorstellungen von Gott enthalten, die n
ur für einen kleinen Teil der Gesellschaft annehmbar sind. Je mehr man sich in d
ie Bibel vertieft, um so größer werden tatsächlich die Schwierigkeiten.
Die Richter Jesu konnten sich auf die gegen Ihn aussagenden Zeugen nicht verlass
en, weil sie in einigen Details unterschiedlicher Meinung waren. Aber auch kein
einziger Seiner Chronisten sagt die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit.
Der heilige Paulus gibt offen zu, daß er die Wahrheit seiner Zuhörerschaft anpaß
t: Den Juden ist er wie ein Jude, und denen, die ohne Gesetz sind, wie einer, de
r ohne Gesetz ist (l. Korinther 9:20,21). Er gesteht auch, daß er unterschiedlic
he Dosen von Wahrheit verabreicht: geistliche Milch für die einen und kerniges F
leisch für die anderen.
Wenn man sich mit der Heiligen Schrift in ihren Originalsprachen beschäftigt, ne
hmen die Schwierigkeiten zu. Gott wird »kadosh« - heilig - genannt. Im Hebräisch
en bedeutet dieses Wort jedoch auch »lasterhaft.« Gott eignet sich eine zweideut
ige Bezeichnung zu.
Er mag vielleicht einen guten Grund dafür haben; nämlich um zu zeigen, daß Er si
ch in Seiner Barmherzigkeit mit den schlechtesten Menschen identifiziert, und da
ß sie Zugang zu Ihm haben können.
Doch das vereinfacht es für einen Atheisten nicht, Ihn anzunehmen.
Was soll ein Mensch, der den Frieden liebt, mit einem Seiner Namen »Herr der Hee
rscharen« oder einfacher »Gott der Heere« anfangen?
Was soll einer, der die Tugend liebt, mit der Tatsache anfangen, daß Männer wie
David und Jehu in der Bibel gepriesen werden, die weit davon entfernt waren, Bei
spiele für Tugendhaftigkeit zu sein?
Im Alten Testament, das ja zur Zeit Christi die ganze Bibel war, ist vieles nich
t einfach zu verstehen. Warum waren Tieropfer nötig? Warum beschloß Gott nach de
m Sündenfall von Adam und Eva, sie in Felle zu kleiden? Warum wurde Abels Opfer
- ein unschuldiges Lamm - von Gott angenommen und Kains Opfer der Früchte des Fe
ldes abgelehnt? Warum war es viele Jahrhunderte später, als die jüdischen Sklave
n sich anschickten, Ägypten zu verlassen, notwendig, das Blut eines Lammes auf d
ie Türschwellen und Türpfosten zu streichen, um gerettet zu werden?
Außerdem lesen wir, daß Gott Dürren und Hungersnöte über das Land kommen ließ. E
inmal schickte Er einen Todesengel, der in einer Nacht ein assyrisches Heer von
185.000 Mann zerschlug.
Als die Israeliten unter der Führung Josuas, der von Gott zu Moses Nachfolger be
stimmt worden war, in das Land Kanaan zogen, wurde ihnen befohlen, nicht nur Män
ner und Frauen zu töten, sondern auch Kinder.
Als ich die Geschichten von Josua meinem sechsjährigen Sohn vorlas, meinte diese
r: »Gott hat diese Dinge befohlen, ehe Er Christus wurde.«
Wir mögen vielleicht über diese Erklärung eines Kindes lachen, aber es gab eine
Zeit, da Gott Grausamkeit zugeschrieben wurde - im Gegensatz zu Christus, der Se
ine Liebe offenbarte. Warum dieser Unterschied?
Um das Ganze noch mehr zu komplizieren, hat die Kirche in ihr Arsenal der Wahrhe
it noch andere Dinge aufgenommen, wie Kardinal Newman selbst schreibt: »Die Benu
tzung von Kirchengebäuden, und diese wiederum bestimmten Heiligen geweiht und ze
itweilig mit Baumzweigen geschmückt, Weihrauch, Lampen und Kerzen, Votivgaben be
i Genesung von einer Krankheit, Weihwasser, Zufluchtsstätten, Feiertage und Kirc
henjahr, die Benutzung von Kalendern, Prozessionen, Wettersegen, Meßgewänder, di
e Tonsur, der Ring bei der Eheschließung, das Sich-nach-Osten Wenden, spätere Bi
ldnisse, vielleicht der Kirchengesang und Kyrieeleison, sind samt und sonders he
idnischen Ursprungs und durch ihre Aufnahme in die Kirche angesegnet worden.«
Wir geben somit zu, daß es für einen Atheisten nicht leicht ist, zu Gott zu komm
en. Wir können den Atheisten gut verstehen. Er ist nicht allein, wenn er sich sc
hwierige Fragen in bezug auf Gott stellt. Gläubige und sogar Heilige haben weit
mehr über Ihn gefragt, als Atheisten dies jemals tun.
Die heilige Theresa von Avila, eine der hingebungsvollsten Lehrerinnen der chris
tlichen Kirche, die das viele Leid beobachtete, welches dem Gläubigen widerfährt
, sagte: »Oh, mein Herr, wie wahr ist es doch, wenn man sagt, daß du, sobald dir
jemand einen Dienst erweist, ihn mit großer Drangsal belohnst.« Hiob und David
beklagten sich bei Gott wegen ähnlicher Ungerechtigkeiten.
Christen wissen etwas Besseres, als zu behaupten, sie hätten alle Antworten und
das ganze Licht. Sie geben nicht nur das Vorhandensein von Licht und Fin sternis
zu, sondern auch das von Zwielicht. Wenn Jesus davon spricht, »voll des Lichtes
« zu sein, meint Er damit lediglich »den hellen Schein einer Kerze« (Lukas 11:33
), und nicht starke Scheinwerfer oder Laserstrahlen.
Das Christentum steht unter Dauerstress, bedingt durch ungelöste Probleme. Jeder
Christ ist ein Kreuzträger. Wenn er kein anderes Kreuz zu tragen hat, erträgt e
r quälende Fragen, die bis zu seinem letzten Atemzug eine Last für ihn sind. Was
das Ganze noch schwieriger macht, ist der Umstand, daß er nicht einmal jetzt na
ch einer Antwort sucht, da er weiß, daß die Antworten außerhalb dieser Welt lieg
en.
*
Als Kaiphas, der Hohepriester und Richter Jesu, mit Zeugen konfrontiert wurde, d
ie sich gegenseitig widersprachen, besaß er die Weisheit, Jesus direkt zu fragen
. Das ist auch die einzige Lösung unserer Probleme. Jesus lebt heute und man kan
n Ihn fragen. Stelle deine Fragen Ihm direkt! Ich habe das so gemacht und eine e
rstaunliche Antwort bekommen:
Es ist offensichtlich, daß es Gott nicht gibt. Wie könnte ein liebender und allm
ächtiger Gott die Auschwitz- und Gulag- Vernichtungslager anordnen oder gar zula
ssen? Man gelangt jedoch nur dann zur Wahrheit, wenn man das Offensichtliche auf
gibt. Es ist offensichtlich, daß die Erde sich um die Sonne dreht. Die ganzen Er
fahrungen der Menschheit bestätigen diese »Tatsache«. Wir haben die Wahrheit jed
och nur entdeckt, indem wir das Offensichtliche in Frage stellten. Es ist auch o
ffensichtlich, daß wir in einer materiellen Welt leben. Die Wahrheit ist, daß wi
r in einem leeren Raum leben, in dem Elementarteilchen umherschwirren, die, im V
erhältnis zu ihrer Größe, so weit voneinander entfernt sind wie die Erde von der
Sonne.
»Es mag daher offensichtlich sein, daß es Gott nicht geben kann, aber suche die
Wahrheit außerhalb des Offensichtlichen.«
*
An diesem Punkt sollte es klar geworden sein, daß ich so manches Argument gebrac
ht habe, das Atheisten nie anführen. Ich habe das aus einem Übermaß an Liebe für
sie getan. Die Wahrheit ist, daß die meisten Atheisten überhaupt kein Argument
haben.
Jonathan Swift hat geschrieben: »Es ist sinnlos, wenn wir versuchen, mit logisch
en Gründen einen Menschen aus einer Sache heraus zu ziehen, in die er sich nie h
ineingedacht hat.« Deshalb werde ich alle oben aufgeführten atheistischen Argume
nte nicht beantworten.
Es könnte den Anschein haben, daß manche Menschen zufällig Atheisten sind, so wi
e andere zufällig Gläubige sind. Tatsächlich sind Atheisten oft nicht einmal so
sehr Gottesleugner als vielmehr Menschen, die sich von Gott verleugnet fühlen. S
ie suchen dann Vernunftgründe für ihre tragische Situation.
Sie sind wie der Fuchs in Äsops Fabel, der, als er die Trauben betrachtet, die e
r nicht erreichen kann, zu dem Schluß kommt: »Sie sind sicher sauer. Ich will si
e gar nicht haben.« Viele leugnen Gott, weil sie Ihn nicht erreichen können.
Und so werde ich einfach sagen, daß es Gott gibt. Wir müssen das wegen der Armut
der menschlichen Sprache wiederholen, obgleich wir erkennen, daß es eine Tautol
ogie ist, wenn man sagt: »Gott existiert.« Im Worte »Gott« ist bereits »Existenz
« mit einbegriffen.
Simone Weil, die tiefgründige jüdisch-christliche Schriftstellerin, hat gesagt:
»Wenn auf einer völlig von der übrigen Welt abgeschnittenen Insel nur Blinde le
ben würden, wäre Licht für sie dasselbe wie das Übernatürliche für uns. Licht wä
re nichts für sie. Licht schlägt nicht, ist nicht schwer und kann nicht gegessen
werden. Für sie würde Licht schlichtweg nicht existieren.«
Doch ob die Blinden das Licht nun erkennen oder nicht, das Licht macht es, daß P
flanzen und Bäume, - trotz des Gesetzes der Schwerkraft, in die Höhe wachsen. Oh
ne Licht würden wir nichts zu essen haben.
Im Kino kann man alle Arten von Ereignissen stundenlang auf der Leinwand verfolg
en. Wenn plötzlich das Licht ausfällt, gibt es keine Ereignisse mehr. Obwohl das
Licht mit dem Filmgeschehen nichts zu tun haben mag, gibt es ohne Licht keine H
andlung.
Blinde haben nur vier Sinne anstatt fünf wie andere Menschen. Könnte einem Athei
sten nicht ein Sinn fehlen, den Gläubige besitzen? Für den Blinden würde Licht d
em Reich der Metaphysik angehören. Für einen Atheisten ist der Glaube an die Exi
stenz Gottes, der für Christen so natürlich ist wie der Glaube an die Existenz a
lles anderen, gleichfalls eine metaphysische Vorstellung.
Gläubige betrachten Gott nicht als eine Art Versicherungsgesellschaft, die ihnen
Sicherheiten gegen die Mißgeschicke des Lebens anbietet. Er bietet vielmehr die
Herausforderung, Ihn in Liebe und Selbstaufopferung nachzuahmen.
Er ist weder ein Allheilmittel gegen alles Böse noch der Löser aller Probleme. E
r, der die Liebe und die Wahrheit ist, beruft Menschen zu dem großen Abenteuer,
die Gipfel zu erklimmen und andere zu erheben. Die Religion fordert einen auf, z
u kämpfen und zu opfern. Religion, die nicht das Tragische mit einschließt, ist
nicht Religion.
*
Nach all diesen Ausführungen fordern wir Atheisten auf, ihre kleinen Egos beisei
te zu legen, wenn sie die Wahrheit erkennen wollen. Das Ich hat keinen Platz bei
der Suche nach Wahrheit.
Welcher Krankheitskeim würde sich - wenn er denken könnte - mit Pasteur verbünde
n? Er würde ihn für einen Hitler halten. Wenn dieser Krankheitskeim aber erkenne
n könnte, daß seine Benützung bei Tierversuchen und seine Vernichtung nötig sind
, um eine bessere Welt zu schaffen, die über seine Erfahrungen hinausgeht, würde
er vielleicht bereitwillig sein Schicksal aufnehmen.
Was, wenn unser Leiden ein Opfer ist, das für eine höhere Sache notwendig ist? N
och besser - was, wenn unser irdisches Leiden in dieser armseligen Welt uns befä
higt, all die Freuden und Vorteile dieses Opfers in einer jenseitigen Existenz z
u erkennen, der wir durch sie teilhaftig werden?
So kann ich einen Gott verstehen und Ihn nicht nur in Seinem Schöpfungswerk anbe
ten, sondern auch in Seinem Zerstörungswerk. Wir beten Ihn als den Einen an, der
tötet und Leben spendet (l. Samuel 2:6), der zerstört und aufbaut, und zwar in
dem Prozeß der Errichtung Seines ewigen und glorreichen Königreiches, an dem wir
Gläubige, die wir heute leiden müssen, eines Tages teilhaben werden.
Es ist belustigend, wenn ein Kind, das man zwingt, Möhren und Erbsen zu essen, w
eil diese Vitamine enthalten, fragt: »Warum hat Gott die Vitamine nicht in Süßig
keiten und Eiskrem gegeben?« Ein Kind kann entschuldigt werden, daß es die anste
henden Probleme nicht versteht.
Erwachsene sollten jedoch das Gute nicht mit dem rein Angenehmen verwechseln.
Falsche Vorstellungen entstehen, wenn man nur die Existenz dieses Lebens zugeste
ht. Das ist so, wie wenn einer von Bangladeschs hilflosen Millionen behaupten wü
rde: » Es gibt nur ein Leben des Hungerleidens. Ein besseres Leben kann es nicht
geben.« Oder wie wenn ein Embryo im Mutterleib zu dem Schluß käme: »Dieser fins
tere Ort ist die ganze Existenz. Außerhalb dieser wässerigen Schutzhülle gibt es
kein Leben.«
Wir verzweifeln, wenn wir unsere Existenz auf das enge, von unseren Sinnen wahrg
enommene und nur vom Verstand erfaßte Gefängnis beschränken. Mit der Zeit bezwei
feln wir nicht nur die Möglichkeit eines anderen Lebens, sondern wir wollen es n
icht einmal mehr, wie ein im Hungerstreik befindlicher Mensch nach den ersten fü
nf oder sechs Tagen jegliches Hungergefühl verliert.
Wir haben die Sicherheit, daß es ein anderes Leben gibt, weil es einen Gott gibt
, der es schenken kann.
*
Christen wissen, daß Gott verborgen bleibt, auch wenn Er sich in der Bibel offen
bart hat. Das lateinische Wort »revelatio« hat zwei Bedeutungen, nämlich Offenba
rung und Wiederverdeckung. Christen wissen über die Herrlichkeit, die hinter dem
Schleier verborgen ist.
Lakaien sind oftmals besser gekleidet als Prinzen. Für die meisten Menschen ist
das Wirkliche und Fühlbare verlockender als ein unsichtbarer Gott. So entstand d
er Götzendienst. Wir aber wollen uns nicht vom Schein verführen lassen, ganz gle
ich wie augenfällig oder schön er sein mag. Wir suchen den Unsichtbaren, der das
Sichtbare mit soviel Glanz versehen hat.
Wir freuen uns über das wenige, das wir über Ihn wissen können, auch wenn wir de
m heiligen Bonaventura beipflichten, der gesagt hat: »Ouod de Deo scire possimus
, quid non fit, non quid fit« -Wir können über Gott nur das wissen, was Er nicht
ist und nicht das, was Er ist.«
Andere Denker sind zu demselben Ergebnis gelangt. Nikolaus von Kusa hat gesagt:
»Der Verstand weiß, daß er Dich nicht kennt, weil er weiß, daß man Dich nicht ke
nnen kann, weil das Unerkennbare nicht erkannt, das Unsichtbare nicht gesehen un
d das Unerreichbare nicht erreicht werden kann.« Und weiter: »Wenn jemand ein Ko
nzept entwickeln sollte, mit dem man Dich erfassen könnte, wüßte ich, daß dieses
Konzept nicht von Dir ist, denn jedes Konzept endet an der Mauer zum Paradies .
. . So auch, wenn jemand sagen sollte, er würde dich verstehen und eine Möglich
keit anbieten würde, Dich zu verstehen, ist dieser Mensch doch fern von Dir . .
. da Du absolut über all den Vorstellungen stehst, die ein Mensch haben kann.«
Goethe hat gesagt: »Über den Höchsten läßt sich nicht sprechen. «
Tersteegen hat geschrieben: »Ein Gott, der verstanden wird, ist kein Gott. Du da
rfst nicht so plausible Erklärungen über Ihn abgeben, als ob du das Geheimnis, d
as Ihn umgibt, verbannen wolltest. «
Und Pascal: »Wenn Atheisten doch nur zuerst die Religion, die sie bekämpfen, ken
nen lernen würden, ehe sie sie bekämpfen! Unsere Religion rühmt sich nicht, daß
sie eine klare Anschauung von Gott habe, daß sie Ihn ohne einen Schleier sieht.
Im Gegenteil, wir sagen, daß die Menschen in Finsternis und fern von Gott sind,
daß Er unserem Wissen verborgen ist, und daß sogar der Name, den Er in der Heili
gen Schrift hat, Gott verbirgt.«
Obwohl kein Mensch Gott gesehen hat, ist alles von Ihm, für Ihn und in Ihm.
Doch die Tatsache, daß ein Wesen nicht nach unserer Vernunft handelt, beweist ni
cht, daß es unexistent wäre. Der heilige Paulus schreibt kühn über die Torheit G
ottes, aber er weiß, daß Er ist, und er liebt Ihn so, wie Er ist.
Er ist allzeit gegenwärtig, auch wenn viele Seiner Kinder qualvoll sterben. Chri
sten sind Ihm treu, auch wenn Er sie anscheinend im Stich läßt. Hiob sagt: »Auch
wenn Er mich tötet, werde ich Ihm vertrauen. Ich weiß, daß mein Erlöser lebt.«
Er wußte, daß es besser war, einen geliebten Gott zu haben als einen ungeliebten
. Jedes Wesen reagiert besser auf Liebe, umsomehr Gott, der Liebe ist.
Christen lieben Gott nicht wegen dem, was sie von Ihm bekommen können - Erfolg,
Talent oder Gesundheit. Sie lieben Ihn wie Er ist.
In dem Film »Gott ist ein Monster« sagt Ingrid Bergman: »Ich suchte einen Gott,
der mich liebte. Erst als ich mich in dieselbe Situation versetzt sah wie der Ei
ne, der am Kreuz sagte: >Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?<, w
ußte ich, daß es einen Gott gibt.«
*
Es gibt nur vier Lösungen der Frage nach dem Ursprung des Universums:
1. Die buddhistische Lösung, daß das Universum eine Illusion ist. Das löst aber
nicht die Frage, wer die Illusion geschaffen hat. Wie ist sie entstanden? Wie ko
mmt es, daß es einen Verstand gibt, der diese Illusion hegt, und - was ein noch
größeres Wunder ist - daß es einen Verstand gibt, der groß genug ist, um zu erke
nnen, daß das Universum illusorisch ist?
2. Die Vorstellung, daß das Universum spontan aus nichts entstanden ist. Doch ei
n Nichts, das eine Welt hervorbringt, ist nicht ein Nichts.
3. Das Universum besteht seit jeher. Das aber würde dem zweiten Gesetz der Therm
odynamik widersprechen. Ein solches Universum wäre infolge zunehmender Entropie
heruntergekommen, und alles hätte dieselbe niedrige Temperatur, weil das Verhält
nis von nicht verfügbarer zu verfügbarer Energie ständig steigt.
4. Das Universum ist erschaffen worden. Es gibt einen Gott, und auf Sein Geheiß
entstand, was Astronomen gern den »Urknall« nennen, durch den Materie, Energie,
Raum, Zeit und die Gesetze der Physik selbst ins Dasein gerufen wurden.
Wir wissen heute, daß das Universum nicht seit jeher besteht. Es wird anerkannt,
daß es einen Anfang hatte und ein Ende haben wird. Wie ist es dann entstanden?
Kann es ohne einen Schöpfer eine Harfe geben, geschweige denn einen zwitschernde
n Vogel?
Wissenschaftler sehen es jetzt als wahrscheinlich an, daß es ihnen bald gelingen
wird, einen Virus synthetisch herzustellen. Sie glauben, daß sie in der Lage se
in werden, auf diese Weise aus unbelebten Partikeln Leben zu erzeugen.
Diese Behauptung ist jedoch nicht richtig. Um Leben synthetisch herstellen zu kö
nnen, benötigen sie materielle Gegenstände, Chemie- und Physikkenntnisse und men
schliche Kreativität. Ohne letztere könnte nichts bewerkstelligt werden. Ziegel
allein ergeben noch kein Haus. Als erstes braucht man einen Architekten und eine
n Plan.
Der Darwinismus kann die Evolution nicht erklären. Was für einen Beitrag gibt he
rrliche Musik der Evolution? Menschen können ohne sie leben.
Wie sind dann der Kanarienvogel, die Lerche und die Nachtigall entstanden? In de
r Natur wie auch im Leben des Menschen zeigt es sich, daß Energie auch für das,
was zum biologischen Überleben nicht notwendig ist, aufgewendet wird.
Nach dem Darwinismus ist die menschliche Sprache das Ergebnis zufälliger Mutatio
nen. Damit jedoch ein Mensch sprechen kann, müssen große Veränderungen gleichzei
tig im Gehirn, Nacken, Kiefer, Mund und in der Zunge stattfinden. Wie groß ist d
ie Wahrscheinlichkeit eines derartigen, zufälligen Zusammentreffens?
George Gallup, der Dekan der amerikanischen Meinungsforscher, hat geschrieben, e
r könne Gott statistisch beweisen.
Man nehme beispielsweise nur einmal den menschlichen Körper mit seinen Blutgefäß
en, die Tausende von Kilometer lang sind. Würde jemand behaupten, das Straßennet
z der Vereinigten Staaten sei spontan entstanden? Die Blutgefäße des Menschen mi
t ihren geordneten Funktionen sind jedoch weitaus komplizierter. Die Behauptung,
daß dieses Körpernetz - geschweige denn andere menschliche Systeme - nur durch
Zufall entstanden sein soll, ist eine statistische Ungeheuerlichkeit.
Gott wird in der Natur und im Leben nicht weniger herrlich offenbart als in der
Bibel.
Energien, Materie und Gesetze in der Himmelssphäre sind wie die auf unserem Plan
eten. Auf der Erde durchgeführte Experimente geben Auskunft über die Sterne. Got
t hat ein Universum erschaffen, das wir, wenn wir es begreifen wollen, verstehen
können.
Einstein hat gesagt: »Das Unfassbarste am Universum ist, daß es faßbar ist.«
In seiner Nobelpreisrede sagte Max Delbruck im Jahre 1969: »Die Wahrheit, Kinder
, ist, daß wir alle in einem Spiel von Marionetten, von Puppen, mitwirken. Das W
ichtigste in einem solchen Spiel ist, daß man die Idee des Autors nicht aus den
Augen verliert.«
Pascal legte in »Gedanken« richtig dar: »Die Natur weist einige Vollkommenheiten
auf, um zu zeigen, daß sie das Bildnis Gottes ist, und Mängel, um zu zeigen, da
ß sie nur Sein Bildnis ist. Die Natur ist so beschaffen, daß sie überall einen v
erlorenen Gott offenbart.«
Laßt uns daher den großen Gott suchen, den wir verloren haben, der ein Universum
aus nichts geschaffen hat. Es ist nämlich bezeichnend, daß das Universum nicht
nur vom Schöpfer spricht, sondern auch von dem Nichts, aus dem es erschaffen wur
de.
In einem Teelöffel Wasser sind etwa so viele Moleküle enthalten, wie es Teelöffe
l Wasser im Atlantik gibt. Kein von Menschenhand gebauter Computer könnte berech
nen, wie viele es sind.
Wenn wir andererseits so viele Eisenatome eng aneinander binden könnten, wie die
USA Einwohner haben - rund 200 Millionen -, würden wir eine nur zwei Zentimeter
lange Kette erhalten. Wenn einen das stutzig macht, möge man die Tatsache beden
ken, daß das Atom weiter geteilt werden kann, und daß es in der Hauptsache aus l
eerem Raum besteht, so wie die Moleküle, die aus Atomen bestehen.
Wir haben jedoch lediglich die Tür zur Komplexität geöffnet. Um die Mitte dieses
Jahrhunderts stellte man sich das Atom wie ein Sonnensystem vor: in der Mitte e
in aus Protonen und Neutronen bestehender Kern, wobei Elektronen diese nukleare
»Sonne« wie Planeten umkreisen.
Protonen, Neutronen und Elektronen in verschiedenen Verbindungen erklärten, je n
ach dem Element, das sie bildeten, das ganze Geheimnis der Materie. Das Atom, da
s auf Griechisch »das Unteilbare« bedeutet, war gespalten worden. Hier hatte es
den Anschein, als hätte sich unser Forschen erschöpft. Die drei Komponenten des
Atoms waren fundamental und unteilbar.
Zehn Jahre später wurden rund 100 weitere Elementarteilchen entdeckt, ein wahrer
Partikelzoo.
Zu jener Zeit stellten zwei Wissenschaftler, Gell -Mann und Zweig vom kalifornis
chen Institut für Technologie, fest, daß sie alle ein paar gemeinsame Muster auf
wiesen, was sich am besten so erklären ließ, daß man sich vorstellte, die Gebild
e, die noch immer die falsche Bezeichnung »Elementarteilchen« tragen, seien gar
nicht elementar. Sie verdanken ihre Verschiedenheit den unterschiedlichen Verbin
dungen von fünf noch kleineren Gebilden, »Quarks« genannt. Derzeit sieht man sie
als die grundlegenden Komponenten der Materie an. Jedes Gebilde hat seinen eige
nen Namen bekommen, aber nicht mehr »Mesonen« oder »Leptonen«, wie es bei den »E
lementar«-Teilchen der Fall war. Derartige Bezeichnungen schienen für diese neue
n Entdeckungen unzulänglich zu sein.
Die Namen, die nüchterne Wissenschaftler den verschiedenen Quarks gegeben haben,
sind zumindest außergewöhnlich: »Anmut«, »Wahrheit«, »Schönheit«, »Farbe« und »
Wohlgeruch«.
Wie bei der Eiscreme gibt es verschiedene Arten von Quarks. Es gibt Oben- und Un
tenquarks und wundersame Arten von Quarks. So zum Beispiel ergeben zwei Obenquar
ks und ein Untenquark das Elementarteilchen Baryon.
Es gibt auch Antiquarks, so wie es für jedes Elementarteilchen eine Antipartikel
gibt.
Wo es Gott gibt, gibt es auch den Teufel; ohne einen Antichristen hätte es Chris
tus nicht geben können. Für einen, der sich in der Physik auskennt, sollte das o
ffenkundig sein.
Gell-Mann und Zweig wußten jetzt zwar vieles über das Quark - aber nicht, ob es
wirklich existierte. Sein Dasein vorauszusetzen, war für mathematische Operation
en sehr nützlich, so wie die Hypothese »Gott« vieles im Universum erklärt. Warum
sollen wir daher nicht mit einer Hypothese beginnen?
Die beiden Wissenschaftler hatten lange Zeit mit Quarks gearbeitet, ehe sie wußt
en, ob sie nur mathematische Funktionen oder wirkliche Gebilde waren.
Heute ist ihre Existenz eindeutig bewiesen. Man kann auch eine eindeutige Gewißh
eit über die Existenz Gottes haben.
Auch du kannst Gott entdecken.
Laplace, der ein gläubiger Christ war, hat gesagt: »Ich brauche die Hypothese >G
ott< nicht.« Das bezog sich auf das damals bekannte Universum. Doch seit seiner
Zeit ist es weitaus komplizierter geworden: Die »unteilbaren« Partikel bestehen
aus »Anmut«, »Schönheit« und »Wahrheit«. Als nächstes stellt sich für die Wissen
schaft - nicht für die Theologie - die Frage, was »Wahrheit«, »Schönheit« und »A
nmut« ist. Forscher schauen vielleicht in die Bibel und entdecken, daß das alte
Bezeichnungen für Christus sind.
Unser Zeitalter ist nicht mehr so, wie das von Laplace. Wir brauchen die Hypothe
se »Gott.«
*
Von der Kompliziertheit der Natur bis zu ihrer scheinbaren Intelligenz ist es nu
r ein kleiner Schritt. Mäterlinck hat in seiner »Intelligenz der Blumen« geschri
eben:
»Wann wird es uns gelingen, einen so stabilen, dünnen und sicheren Fallschirm wi
e den des Löwenzahns zu konstruieren? ... Die unterschiedlichen Entwicklungsstuf
en von Pflanzen in bezug auf Befruchtung usw. folgen genau der Grundlinie von Er
findung und Fortschritt bei uns. Einer schwerfälligen Vorrichtung folgt eine ein
fachere ... Es hat wirklich den Anschein, als ob den Pflanzen auf dieselbe Weise
Ideen kommen würden wie uns ... Die Pflanzen tasten in derselben Dunkelheit umh
er und stoßen auf dieselben Hindernisse. Sie scheinen unsere Geduld, Standhaftig
keit und Eigenliebe zu besitzen, dieselbe unterschiedliche und modifizierte Inte
lligenz, nahezu dieselben Hoffnungen und dieselben Ideale. Sie kämpfen, wie wir
selbst, gegen eine große, gleichgültige Umgebung, was ihnen schließlich hilft.«
Damit wir uns aber nicht von Mäterlincks Begeisterung davontragen lassen, wollen
wir uns daran erinnern, daß der Mensch die Pflanzen anbauen muß.
Gott hat eine unvollendete Welt geschaffen, damit wir an der Freude der Schöpfun
g teilhaben können. Er erschuf Flüsse; wir müssen Brücken über sie bauen. Er hat
Wälder, Rohmaterialien, unfertige Produkte zur Verfügung gestellt - alle erdenk
lichen Möglichkeiten für uns, das zu verbessern, was Er gegeben hat.
Der Mensch kann jedoch nur neu ordnen und umgestalten. Er kann nicht erschaffen.
Ein nachdenklicher Mensch hat nur eine einzige wirkliche Wahl: Entweder leben wi
r in einem totgeborenen, selbstabortiven, absurden Universum, in dem alle mensch
lichen Bemühungen erstickt werden und sich als umsonst und sinnlos herausstellen
, ... oder das Universum kommt von einem gedankenvollen Gott und weist auf ein h
errliches Königreich des Friedens, der Liebe und der Klarheit hin. Vor eine solc
he Wahl gestellt, kann nur der Tor sagen: »Es gibt keinen Gott«.
*
Alphons von Liguorie hat in seinem »Dialog zwischen einem christlichen Priester
und einem Gläubigen« geschrieben: »Menschen, die Tiere, das Meer, die Berge, die
Pflanzen und andere derartige Dinge sind sicher alles erschaffene Geschöpfe, di
e ihre Existenz von einem Ersten Prinzip ableiten. Wenn diese nämlich nicht seit
jeher existiert hätten, hätten sie sich nicht ein Sein geben können, das sie ni
cht zuvor schon hatten. Etwas Nichtexistentes kann nichts tun. Deshalb müssen si
e ihre Existenz aus einer anderen Welt bekommen haben. Und diese Quelle muß ihre
Existenz von sich aus in einer Vergangenheit ohne Anfang haben.
Wenn sie nämlich von etwas anderem hervorgebracht worden wäre, wäre sie nicht fü
r Dinge verantwortlich, wie es der Fall wäre, wenn sie das Erste Prinzip oder de
r Schöpfer wäre, sondern sie wäre ein Geschöpf wie alle anderen Dinge. Wir sprec
hen daher von einem Ersten Prinzip. Sie wäre nicht ein solches Prinzip, wenn sie
keine Vergangenheit ohne Anfang hätte. Wenn sie nämlich nicht seit ewig existie
rt hätte, hätten sie sich nicht Existenz geben können. Dieses Erste Prinzip nenn
en wir >Gott<, und Er, der Seine Existenz von sich aus hat, besitzt alle Vollkom
menheit, die man nur haben kann. Wenn man wirklich voraussetzt, daß Er von niema
ndem abhängig ist, wird es niemand anders gegeben haben, der Ihm hätte zuteilen
können, welche Vollkommenheiten Er haben könnte, Seine Rolle besteht darin, alle
n Dingen ihre jeweilige Rolle oder entsprechenden Vollkommenheiten zu verleihen.
Wir sollten daher zu dem Schluß kommen, daß Er ein Gott von unendlicher Weishei
t ist, der um alles Gegenwärtige, Vergangene und Zukünftige weiß, um Dinge, die
sein werden, und um Dinge, die möglich sind; daß Er ferner ein Gott von unendlic
her Macht ist, der tun kann, was immer Er will-, daß Er von unendlicher Güte und
somit unendlich heilig und gerecht ist ...
Wenn diese Welt allein aus Materie entstanden ist, und die Welt durch jene Kräft
e, die dieser Materie innewohnen, ins Dasein gerufen worden ist, was jeglichen S
innes entbehrt, dann würden wir sagen müssen, daß alles durch Zufall geschehen i
st und weiterhin geschieht. Wir sehen aber in dieser Welt eine Ordnung, wie sie
mit einer solchen Schönheit und Beständigkeit nicht hätte entstehen oder erhalte
n werden können, außer durch einen Verstand, der unendliche Weisheit besitzt.
Wir sehen, wie die Sonne fortwährend ihre Bahn zieht - Jahr für Jahr. Wir sehen
die Tiere, die immer ihre eigene Art hervorbringen. Wir sehen die Bäume, die ste
ts dieselben Früchte tragen und immer in derselben Jahreszeit. Wer könnte jemals
glauben, daß der Zufall, der keinen Verstand besitzt, diese Welt gemacht und ei
ne so feste Ordnung in ihr bewahrt haben könnte? Denn die Erhaltung dessen erfor
derte und erfordert ständig große Intelligenz.
Die Gott leugnen, könnten zur Antwort geben, daß diese ganze Ordnung das Werk de
r Natur sei. Die Antwort darauf lautet, daß die Natur entweder keinen Verstand b
esitzt - und ich wiederhole, daß eine Natur ohne Verstand niemals diese Welt her
vorgebracht haben könnte, deren Gestaltung höchste Intelligenz erforderte, oder
daß die Natur (von der sie reden) über eine reine, vollkommene Intelligenz verfü
gt - und ich antworte, daß eine solche Natur eben jener Gott ist, der die Welt e
rschaffen hat und den wir anbeten.«
*
Alphons von Liguori hat ferner gesagt: »Was stellen wir uns vor, wenn wir den Na
men Gottes gebrauchen? Wir suchen nach einem höchst vollkommenen Wesen. Wir könn
en uns nichts Besseres vorstellen. Wenn Gott der höchste Herr sein soll, muß Er
über grenzenlose Weisheit, grenzenlose Macht und alle anderen Vollkommenheiten v
erfügen, und diese müssen alle unendlich sein.
Wollen wir nun unterstellen, daß es viele Götter gibt, so sind diese Götter entw
eder nicht alle gleich, jeder vom anderen abhängig, oder einer von ihnen ist der
höchste, unabhängig und am vollkommensten, und die anderen sind von Ihm abhängi
g und folglich weniger vollkommen. Wenn wir unterstellen, daß sie alle gleich un
d abhängig sind, müssen wir sagen, daß keiner von ihnen der wahre Gott ist, denn
keiner von ihnen wäre so überaus vollkommen, wie Gott es sein muß. Wie wir näml
ich bereits gesagt haben, bedeutet Gott zu sein, der Höchste an Vollkommenheit z
u sein ... Wenn Gott dieser Höchste ist, muß es nur Ihn allein geben und keinen
Ihm Gleichgestellten.
Wenn wir im übrigen zwei höchste Wesen gelten lassen wollten, wäre keines von be
iden das Höchste und keines von beiden wäre daher Gott ... Aus diesem Grund hat
Tertullian gesagt: >Wenn Gott nicht einer ist, gibt es Gott nicht. Denn um wahrh
aft Gott zu sein, darf es niemanden geben, der ebenso groß ist; wenn es nämlich
so jemanden gäbe, würde jemand Ihm gleichkommen, und wenn Ihm jemand gleichkäme,
wäre Er nicht der Höchste.< (Contra Marcionem)
Wenn es ferner mehr als einen höchsten Gott gäbe, wäre keiner von ihnen allmächt
ig, denn wenn einer von ihnen etwas frei und ungehindert tun wollte, dann könnte
n ihn die anderen daran hindern. Wenn sie ihn daran hindern könnten, wäre er nic
ht über alle Maßen mächtig.
Außerdem wäre keiner von ihnen allwissend und allweise, da jeder um alles wüßte.
Wenn keiner von ihnen ein Geheimnis verbergen könnte, wäre er nicht allmächtig.
Wenn er es andererseits verbergen könnte, wären die anderen nicht allwissend.
Außerdem kann man die Wahrheit, daß ein einziger Gott die Welt regiert, daraus e
rsehen, daß hier unten eine derart einheitliche und beständige Harmonie erkennba
r ist. Das befähigt uns zu der Einsicht, daß es einen alleinigen Herrscher gibt,
der alles lenkt.«
*
Feuerbach, einer von Marx' Lehrern, hat erklärt, daß es Luther gewesen sei, der
ihn zu der erstaunlichen Einsicht geführt habe, daß eher der Mensch einen Gott e
rschafft, wie er ihn haben will, als daß Gott den Menschen nach Seinem Ebenbild
erschafft. Feuerbach sagt oft von sich im Spaß: »Ich bin Luther Nummer zwei.« Se
ine Rechtfertigung war Luthers Erklärung, daß »der Glaube der Schöpfer der Gotth
eit ist«. Er unterließ es jedoch, Luthers Beobachtung vollständig zu zitieren: »
Der Glaube ist der Schöpfer der Gottheit, nicht als Person, sondern auf Erden.«
Das Spiegeln der Sonne auf einem See beweist die Existenz der Sonne. Ähnlich bew
eist das Spiegelbild Gottes in einem reinen, menschlichen Herzen die Existenz Go
ttes. Durch sein Gedanken- und Gefühlssystem erschafft der Mensch den inneren Go
tt, so wie eine bestimmte Anordnung der Oberflächenmoleküle des Sees eine deutli
ch sichtbare Sonne im Wasser bewirkt. Doch dies beweist nicht die Nichtexistenz
Gottes, wie Feuerbach mutmaßte.
Es ist der wahre Gott, der die größten Werke der Kunst und Literatur eingegeben
hat. Was wären Dante, Michelangelo, Raphael und Bach, wenn es keinen Gott gegebe
n hätte, der ihnen ihre Höchstleistungen eingegeben und die zum Ruhme seines Nam
ens geschaffenen Werke gesegnet hätte?
Lenin hat gesagt: »Man kann kein Kommunist sein, wenn man nicht von all jenen Re
ichtümern Besitz ergreift, die die Menschheit geschaffen hat«, aber religiöse Re
ichtümer schloß er nicht mit ein.
Ein Ideal ist nur der tiefste Sinn für künftige Wirklichkeit. Und das Ideal der
Religion, der Vereinigung mit dem unsichtbaren Gott, ist die Vorahnung geistlich
er Wirklichkeit.
Lodge argumentierte folgendermaßen: »Unsere höchsten Gedanken sind wahrscheinlic
h der Wirklichkeit am nächsten. Sie müssen Stufen in Richtung der Wahrheit sein,
sonst wären sie uns nicht eingefallen und als die höchsten erkannt worden.«
Wir dürfen der Wirtschaft der Natur vertrauen. Sie vergeudet ihr Material nicht!
Sie hat weder das Rind auf der Weide noch den Fisch in der See mit einer Erwart
ung geschaffen, die deren Beschränkungen übersteigt. Warum hätte sie dann an den
Menschen den grenzenlosen Reichtum von Erwartung, geistlichem Verlangen oder de
s Glaubens verschwendet?
Warum wäre ein endliches, in Zeit und Raum lebendes Geschöpf auf den Gedanken ge
kommen, ein ewiges Wesen zu erfinden?
Warum hätte der Verstand von Sündern eine Religion ersonnen, die den Menschen sa
gt, daß sie nicht sündigen sollen?
Ohne einen Gott, der ihn schenkt, könnte es keinen Glauben geben. Die Existenz d
es Glaubens an einen geheimnisvollen Gott ist in sich selbst ein Geheimnis, einw
under, da es so viele Tatsachen gibt, die ihm zu widersprechen scheinen.
Seit Jahrhunderten singen Christen: »Von Sieg zu Sieg wird Jesus Sein Heer führe
n«, obwohl die Kirche enorme Niederlagen erlitten hat und noch erleidet. Christe
n, gespalten in Hunderte von Konfessionen, sagen alle: »Wir glauben an die eine,
heilige Kirche«, und verkündigen einen Glauben, der im Widerspruch zur Wirklich
keit steht. Sie glauben das, was dem Verstand absurd erscheint, was bedeutet, da
ß der Glaube selbst eine andere Wirklichkeit ist, ein anderer Weg des Wissens al
s das Denken.
Der Glaube benötigt keine Beweise. Der Glaube ist ein Beweis für die Existenz Go
ttes. Es gibt keine andere Möglichkeit zu erklären, warum Menschen, die in einer
bösen Weit leben, an einen guten Gott glauben.
Der Glaube braucht wie die Liebe kein verbürgtes Wissen. Ein Romeo braucht keine
n Beweis, daß Julia sein Verlangen stillt. Julia selbst verkörpert den Beweis.
Da das menschliche Auge begrenzt ist, hat die Wissenschaft nach neuen Möglichkei
ten des Sehens gesucht. Das Sehvermögen wurde durch Vergrößerungsgläser, Röntgen
strahlen, Elektronenmikroskope und computergesteuerte Tomographie erweitert. Wir
erleben heute eine Explosion neuer Sichtgeräte, bei denen sich nur noch Technik
er auskennen. Mit ihrer Hilfe sehen wir Wirklichkeiten, die die Fähigkeiten des
Auges übersteigen.
Der Glaube ist nur eine Möglichkeit mehr, wei ter zu sehen, als das menschliche
Auge reicht. Mit Hilfe des Glaubens sieht man die Welt Gottes.
Wie die Liebe, bedarf auch der Glaube keiner wissenschaftlichen Formulierung.
Verneint man die Wissenschaft, wenn der Verliebte die Geliebte nicht zuerst wieg
t und mißt, oder sich nicht nach der Blutgruppe, dem Grundstoffwechsel, dem Horm
onhaushalt oder den Bakterien im Darm der Geliebten erkundigt?
Soll das doch die Medizin machen! Die Liebe dient ganz einfach und gibt ihr Lebe
n für den geliebten Menschen.
Wissenschaftliche Theologie im Christentum ist daher papperlapapp.
Glaube einfach an Gott, ohne die Logik und Wissenschaft gelehrte Fragen stellen
zu lassen. Du wirst es nie bereuen.
*
Als ich in einem kommunistischen Gefängnis war, drohte mir einmal ein mit einem
Gummiknüppel bewaffneter Offizier: »Wage es noch einmal, in der Gefängniszelle v
on Gott zu sprechen, und du wirst deinen Teil bekommen! Was für einen Beweis has
t du überhaupt, daß es einen Gott gibt?«
Ich antwortete: »Es ist schwierig, einem Menschen, der einen Stock in der Hand h
ält, Beweise zu geben. Ein Stock kann den Kopf, der den Beweis enthält, zerschla
gen.
Lassen Sie mich aber nur eine einzige Frage stellen: Ich selbst kenne unzählige
Atheisten, die in ihrer Todesstunde bedauerten, daß sie nicht geglaubt hatten, u
nd Buße taten. Im letzten Augenblick riefen sie Gott! oder Jesus! oder Maria! od
er Mohammed! Können Sie sich aber einen sterbenden Christen vorstellen, der es b
edauert, daß er gläubig gewe sen ist und fleht: Darwin! ... Marx! ... Voltaire!
... kommt und befreit mich vom Glauben?
Der Mensch wird von seinen eigenen Gedanken gelenkt. Auf welche von ihnen soll e
r sich aber verlassen? Wie alles andere, kennt auch das Denkvermögen Höhen und T
iefen. Manchmal sind wir ganz oben, ein anderes Mal tief unten oder schlichtweg
dumm. Wir müssen unseren Gedanken vertrauen, wenn diese in Höchstform sind. Das
ist der Fall, - der Philosoph Jaspers nennt es >Grenzsituationen<, wenn die Seel
e beim Anblick von etwas Schönem begeistert ist oder im Augenblick großer Gefahr
, wie beispielsweise beim Hinübertreten in eine unbekannte Welt, dringend nach A
ntwort sucht. Dann arbeitet der Verstand am eifrigsten. In diesem Augenblick gib
t es keine Atheisten.
Wenn der Mensch den Tod auf sich zukommen sieht, ist er von Scheu ergriffen. Er
tritt ein in das große Geheimnis. Gläubige entsagen in diesem Augenblick ihrem G
lauben nicht, aber Atheisten geben häufig ihren Unglauben auf, weil zu glauben d
as rechte Ding ist.«
An jenem Tag blieben mir Schläge erspart.
*
Ich glaube, daß es einen Gott gibt, und daß Er überaus vertrauenswürdig ist. Ich
denke da an ein Argument, das eine rätselhafte Reaktion geben dürfte.
Die Bibel erklärt sich zu einem von Gott eingegebenen Buch. Doch dieser Gott ist
sehr merkwürdig. Er hat biblischen Autoren eingegeben, in ihre Bücher ganze Kap
itel mit Klagen gegen Ihn aufzunehmen, als ob Er die Menschen aufforderte, sich
Erleichterung zu verschaffen, indem sie alle ihre Beschwerden bei Ihm abladen.
Man braucht nur Hiob 16:11 - 14, Psalm 88, Klagelieder 3 und andere derartige Te
ile der Heiligen Schrift zu lesen. In diesen Abschnitten fällt kein Wort zur Ver
teidigung Gottes.
Man bedenke folgende Worte des Propheten Jeremia:
»Ich bin der Mann, der Elend sehen muß durch die Rute des Grimmes Gottes«.
»Er hat mich geführt und gehen lassen in die Finsternis und nicht ins Licht«.
»Er hat seine Hand gewendet gegen mich und erhebt sie gegen mich Tag für Tag«.
»Er hat mir Fleisch und Haut alt gemacht und mein Gebein zerschlagen«.
»Er hat mich ringsum eingeschlossen und mich mit Bitternis und Mühsal umgeben.«.
»Er hat mich in Finsternis versetzt wie die, die längst tot sind«.
»Er hat mich ummauert, daß ich nicht heraus kann, und mich in harte Fesseln gele
gt«.
»Und wenn ich auch schreie und rufe, so stopft er sich die Ohren zu vor meinem G
ebet«.
»Er hat meinen Weg vermauert mit Quadern und meinen Pfad zum Irrweg gemacht«.
»Er hat auf mich gelauert wie ein Bär, wie ein Löwe im Verborgenen«.
»Er läßt mich den Weg verfehlen, er hat mich zerfleischt und zunichte gemacht«.
»Er hat seinen Bogen gespannt und mich dem Pfeil zum Ziel gegeben«.
»Er hat mir seine Pfeile in die Nieren geschossen«.
»Ich bin ein Hohn für mein ganzes Volk und täglich ihr Spottlied«.
»Er hat mich mit Bitterkeit gesättigt und mit Wermut getränkt«.
»Er hat mich auf Kiesel beißen lassen, er drückte mich nieder in die Asche« (Kla
gelieder 3:1 - 16).
So beklagt sich ein Prophet Gottes. Er treibt Propaganda gegen seinen Gott, und
Gott wiederum macht es in der ganzen Welt bekannt. - Ein Gott, der zulässt, daß
ein Prophet Ihn in Seinem heiligen Buch als einen beschreibt, der »auf mich gela
uert hat wie ein Bär und wie ein Löwe im Verborgenen«, ist mit Sicherheit vertra
uenswürdig. Er wird die Wahrheit vor mir nicht verbergen.
*
Wenn du wenig über Gott weißt, dann höre auf deine innere Stimme, Gewissen genan
nt. Sie warnt dich, daß jemand auf das schaut, was du tust. Wer ist dieser Jeman
d? Die Reue ist einer der Beweise für die Existenz Gottes.
Atheisten wie auch Gläubige kennen die Qual, die sich einstellt, wenn man etwas
Unrechtes getan hat. Vor wem klagen sie sich an? Wem gestehen sie Ihre Schuld? S
ie kennen auch die Augenblicke der Erleichterung, wenn sie spüren, daß ihnen ver
geben wurde. Wer vergibt?
Ein Klopfen spät abends an der Tür bedeutet, daß jemand draußen im Dunkeln ist.
Das Gewissen beweist die Existenz Gottes.
*
Wir glauben an Wunder. Während die Naturgesetze die gewöhnlichen Gedanken Gottes
widerspiegeln, stellen Wunder Seine außergewöhnlichen Gedanken dar. Nicht jeder
erkennt Wunder, aber jeder hat schon merkwürdige »Zufälle« erlebt. Zufälle sind
einfach kleine Wunder, bei denen Gott anonym bleibt.
Einstein besuchte einmal den Vater des berühmten Geigers Yehudi Menuhin, der dam
als trotz seiner erst sieben Jahre bereits ein Konzertvirtuose war. In einem Ges
präch mit dem Vater bestritt Einstein die Existenz Gottes.
Da mischte sich das Kind ein: »Herr Einstein, ich werde Seine Existenz beweisen.
«
Der große Wissenschaftler blickte belustigt auf den Jungen. »Gut, ich werde dir
zuhören. «
Yehudi holte seine Geige hervor und spielte auf seine einmalige, meisterhafte We
ise. Als er geendet hatte, sagte Einstein: »Es gibt einen Gott. Wie könnte diese
s Kind so geigen, wenn es Ihn nicht gäbe?«
Für diejenigen, die keine Wunder anerkennen, sollten die einfachen Tatsachen der
Natur sowie die Feinheiten ihres Verstandes und ihrer Seele genügen, um sich vo
r Gott zu verbeugen. Sie sollen aber vorsichtig sein, daß sie sich vor dem einen
wahren Gott verbeugen.
*
Angeblich soll die Wissenschaft im Widerspruch zur Religion stehen. Seltsamerwei
se weiß Albert Einstein, der größte Wissenschaftler dieses Jahrhunderts, dessen
Name das Universum trägt, nichts von diesem Widerspruch.
Obwohl er auf dem Gebiet der Religion bestimmt kein Fachmann war, ist es für uns
ere Zwecke lediglich wichtig zu wissen, daß er auf der Seite der Religion stand.
»In ihr«, so sagt er, »spürt der einzelne die Nichtigkeit menschlicher Wünsche
und Vorhaben sowie die Majestät und wunderbare Ordnung, die sich in der Natur un
d in der Gedankenwelt offenbaren.«
Er forderte, daß die Wissenschaft und Kunst diese Gefühle im Menschen wecken und
am Leben erhalten sollen. Er schrieb: »Die kosmische Religion ist der gewaltigs
te und edelste Impuls zu wissenschaftlichem Forschen ... Das Schönste und Tiefst
e, das der Mensch erfahren kann, ist das Gefühl des Geheimnisvollen. Wer es nich
t erfahren hat, kommt mir wie tot, zumindest aber wie blind vor ... DasWissen un
d die Existenz des für uns Unerforschlichen, der Offenbarungen tiefster Vernunft
und strahlender Schönheit, zu denen unser Verstand nur in seiner ursprünglichst
en Form gelangen kann, dieses Wissen und Gefühl ist wahre Religiosität ... Meine
Religiosität besteht in einer demütigen Bewunderung für den unendlich überlegen
en Geist, der sich in dem Wenigen offenbart, das wir mit unserem schwachen und v
ergänglichen Verstand über die Wirklichkeit wissen können.«
Die Wissenschaft wagt der Religion nicht zu widersprechen, da sie, von allen Dis
ziplinen am besten weiß, wie wenig sie eigentlich weiß.
Newton hat geschrieben: »Ich weiß nicht, was für einen Eindruck die Welt von mir
haben mag, aber mir selbst kommt es so vor, als ob ich nur ein Junge gewesen wä
re, der am Strand spielt und sich damit zerstreut, daß er hin und wieder einen h
übscheren Kieselstein oder eine schönere Muschel findet, während der große Ozean
der Wahrheit vollkommen unentdeckt vor Ihm liegt.«
Die Aussage, die Wissenschaft widerspreche der Religion, ist so, wie wenn man sa
gen würde, daß ein dreijähriger Junge, der am Strand spielt, ihr widerspricht.
Wo sind denn eigentlich die antireligiösen Behauptungen der Wissenschaft? Unsere
Auseinandersetzung wird nicht mit der Wissenschaft ausgetragen, sondern mit Wis
senschaftlern.
Wissenschaftler sind nur sehr kleine Geschöpfe auf einem winzigen Staubkörnchen
des Universums ...
Wo ist denn die reine, nichtreligiöse Wissenschaft? Einstein sagt in Die Welt, w
ie ich sie sehe: »Wir haben große Schwierigkeiten, uns die Erfahrungswelt vor Au
gen zu führen ohne die Brille der althergebrachten (d. h. mystisch-religiösen, b
egrifflichen) Interpretation. Eine weitere Schwierigkeit ist, daß unsere Sprache
auf Worte zurückgreifen muß, die untrennbar mit diesen ursprünglichen (d. h. re
ligiösen) Vorstellungen verknüpft sind.«
Die Wissenschaft selbst ist so sehr mit der ganzen religiösen Anschauung verbund
en und umgekehrt, daß der Ausspruch, die Wissenschaft widerspreche der Religion,
auf dasselbe hinausläuft, wie wenn man sagen würde, die Religion widerspreche d
er Religion.
Die Religion kann in ihrem Verhältnis zur Wissenschaft sehr ruhig sein. Als Eins
tein einmal Kardinal Faulhaber einen Besuch abstattete, fragte er ihn: »Was würd
en Sie tun, wenn die Mathematik den Beweis erbringen würde, daß Ihr Glaube falsc
h ist?« Der Kardinal erwiderte: »Ich würde abwarten, bis die Mathematiker ihren
Rechenfehler gefunden haben.«
*
Nehmen wir aber an, die Wissenschaft widerspreche der Religion: Wäre es dann unv
ereinbar, wenn man beide akzeptieren würde? Warum muß man konsequent sein? Die W
issenschaft selbst ist nicht mehr konsequent; sie selbst lehrt Widersprüchliches
.
Werner Heisenberg sagt in Schritte über die Grenze: »Es läßt sich wahrscheinlich
allgemein sagen, daß wir in der Geschichte des menschlichen Denkens die fruchtb
arsten Entwicklungen dort gehabt haben, wo zwei unterschiedliche Denkweisen aufe
inander getroffen sind. Diese unterschiedlichen Denkweisen dürften ihre Wurzeln
in verschiedenen Bereichen menschlicher Kultur oder in verschiedenen Perioden, i
n verschiedener kultureller Umgebung oder verschiedenen religiösen Traditionen h
aben. Wenn sie wirklich zusammentreffen, wenn sie zumindest so weit miteinander
in Berührung kommen, daß ein gegenseitiges Sich-Beeinflussen stattfindet, können
wir hoffen, daß neue und interessante Entwicklungen nachfolgen.«
Das Atom wird, nach Bedarf, sowohl als ein Partikel als auch eine Welle angesehe
n. Niemand hat je ein Atom gesehen oder den Ort eines bestimmten Atomes angeben
können. Man kann es mit einem Punkt vergleichen, der ein Gebilde ohne Dimensione
n ist.
Ein Wissenschaftler lebt auf zwei Ebenen. In seinem Labor ist die Welt, mit der
er sich befaßt, ein Gewirr von Atomen, Protonen, Elektronen, Neutronen. Seine Eh
efrau ist auch eine Ansammlung solcher Gebilde, die mit Sicherheit nicht Liebe e
ntfachen. Sobald er jedoch zu Hause ist, vergißt er die Wissenschaft, und seine
Frau wird zu einem lieben Partner.
Ebenso braucht ein Wissenschaftler bezüglich seines geistlichen Lebens nicht wis
senschaftlich vorzugehen. Im Labor kann er die Zusammensetzung von Materie erfor
schen, und in der Kirche kann er den Geist der Liebe verehren, der das All regie
rt.
Die Wissenschaft hat die Forderung nach unbedingter Folgerichtigkeit über Bord g
eworfen. Laßt uns in anderen Bereichen auf sie verzichten! Eine Seele kann den i
n der praktischen Religion verehrten menschenähnlichen Gott mit den erhabenen me
taphysischen Vorstellungen vom unfaßbaren Gott verschmelzen lassen. Wir können a
uch von Liebe inspirierte, widersprüchliche sittliche Haltungen vereinen.
Die Wahrheit sitzt auf einem Stuhl mit vier Füßen, wovon die Wissenschaft nur ei
n Fuß ist. Die anderen sind Vernunft, Glaube und Intuition. Die Wahrheit nährt s
ich auch von der Phantasie.
Aus diesem Grund lassen wir uns nicht so leicht aus der Fassung bringen, wenn ei
n Zweig der Wissenschaft eine Zeitlang anscheinend der Religion widerspricht. Er
wird seine Kenntnisse erweitern und es schließlich eines Tages, wann immer auch
, bestimmt besser wissen.
In der Antike und im frühen Mittelalter wußten die Menschen noch nicht, was man
heute über die Menschheit und den Kosmos weiß. Das Schloß kannten sie zwar nicht
, aber sie besaßen den Schlüssel, welcher Gott ist. Heute haben viele zwar beste
Beschreibungen über das Schloß, aber sie haben den Schlüssel verloren. Die rich
tige Lösung ist die Vereinigung von Religion und Wissenschaft. Wir sollten sowoh
l im Besitz des Schlosses als auch des Schlüssels sein.
*
Nehmen wir also an, daß es einen Gott gibt. Gut, wer ist Er? Was meinen wir, wen
n wir »Gott« sagen?
Auf diese Fragen gibt es nur eine einzige mögliche Antwort: Gott ist Gott. Jede
Beschreibung von Gott ist nur eine Beschreibung von Ihm, und nicht Gott. Jede Au
fzählung der Eigenschaften Gottes ist eine Aufzählung Seiner Eigenschaften, und
nicht Gott.
Der Name »Gott« ist nicht Gott, ebensowenig wie ich mein Name bin. Nur Gott ist
Gott.
Da Gott über jedem anderen Geschöpf steht, bekommen alle über Ihn in Worte gemac
hten Behauptungen, die auf andere Geschöpfe anwendbar sind, einen unterschiedlic
hen Sinn. Was ein Häftling und ein Millionär als gutes Essen bezeichnen, sind zw
ei verschiedene Dinge. Für einen primitiven Menschen ist eine Beethoven-Symphoni
e keine gute Musik.
Wie ist Gott? In der Bibel steht geschrieben, daß »Er ... anzusehen war gleichwi
e der Stein Jaspis und Sarder« (Offenbarung 4:3). Wenn du dich fragst, warum Er
mit einem Stein verglichen wird, lautet die richtige Antwort hierauf, daß du, wä
re ein anderer Vergleich benutzt worden, dieselbe Frage gestellt hättest. In der
Bibel wird Gott auch »Mann«, »Krieger« und »Weingärtner« genannt. Er wird mit e
inem »brüllenden Löwen« verglichen usw., um zu zeigen, daß Gott als allem ähnlic
h verstanden werden kann.
In »Exodus Rabbah« wird uns berichtet, daß Rabbi Josua ben Perachiah gefragt wur
de, warum Gott zu Mose aus einem Dornbusch gesprochen habe. Er erwiderte: »Alles
, was Gott tut, kann in Frage gestellt werden, aber ich werde dich nicht ohne ei
ne Antwort gehen lassen. Gott hat diesen kargen, kleinen Strauch gewählt, um dic
h zu lehren, daß es keinen Platz auf Erden gibt, an dem Gott nicht zugegen sein
kann, nicht einmal ein Dornbusch.«
Luther versuchte, die Frage zu beantworten »Was bedeutet es, einen Gott zu haben
?« oder »Was ist Gott?«: »Gott ist der Eine, von dem man alles Gute erwartet und
erhält und bei dem man in jeglicher Not Zuflucht sucht. Einen Gott zu haben bed
eutet daher nichts anderes, als aufrichtig an Ihn zu glauben und Ihm zu vertraue
n. Nur die Art und Weise, wie ich in meinem Herzen glaube und vertraue, bestimmt
, ob ich einen Gott oder einen Abgott habe. Wenn dein Glaube und Vertrauen echt
und recht sind, hast du deinen wahren Gott. Wenn dein Vertrauen falsch und unech
t ist, ist der wahre Gott nicht da, weil die beiden zusammengehören, Glaube und
Gott. Der Eine, an den du dein Herz hängst, und dem du vertraust, ist wirklich d
ein Gott.«
Das ist keine Definition, weil wir Gott zu wenig kennen, um Ihn definieren zu kö
nnen. Ein französisches Sprichwort sagt: »Un dieu de fini est un dieu fini«, ein
definierter Gott ist ein toter Gott.
Wir sind mit dem Wenigen zufrieden, das uns durch den Glauben gewährt wird.
Die Bibel sagt, daß für Gott ein Tag wie tausend Jahre ist, und tausend Jahre wi
e ein Tag. Dem ist so, weil Er außerhalb der Zeit lebt. Ähnlich ist ein Gramm im
Zustand der Schwerelosigkeit wie tausend Kilos.
Eines Tages wird es für uns keine Zeit mehr geben. Wir werden bei Ihm sein. Dann
werden wir wissen.
Bis dahin belästigen wir Ihn nicht mit Fragen, vor al lem nicht mit all unseren
Warums und Wozus. Da Gottes Welt zeitlos ist, läßt sie sich nicht ohne weiteres
in Ursache und Wirkung einteilen. Die Frage »Warum?« gehört einem anderen Bereic
h an und ist daher religiös nicht zu beantworten.
*
Anstatt zu versuchen, in unergründbare Tiefen hinabzusteigen, sollten wir unser
Bestes tun, um Gott Ehre zu bringen. Wenn jemand wissen möchte, wie Gott ist, so
ll er einen wirklichen Gläubigen betrachten. Suche den Menschen, der Gott am ähn
lichsten ist, der so ist, wie Gott wäre, wenn Er auf Erden wandeln würde, und du
wirst ein wenig davon erfahren, wer Er ist.
Viele haben Gott im Himmel gesucht. Ihr Suchen war zum Scheitern verurteilt. Wie
kann man erfolgreich jemanden suchen, dessen Namen, Aussehen und Wohnsitz man n
icht kennt?
Gott lebt unter vielen Gestalten und Namen, wie einer, der nicht entdeckt werden
möchte. Niemand hat Ihn je gesehen. Wir haben weder ein Photo von Ihm, noch Sei
ne Fingerabdrücke. Seinen ehemaligen Tempel in Jerusalem gibt es nicht mehr, des
gleichen die liebende Urkirche, in der alle Gläubigen ein Herz und eine Seele wa
ren.
Es gibt nicht die geringste Möglichkeit, einen solchen Gott zu finden.
Aber Er findet uns, und Er fordert uns auf, wiedergeboren zu werden und ein neue
s Leben zu beginnen, wie Gott es leben würde, wenn Er auf Erden wäre.
Der unsichtbare Gott wird in denen sichtbar, die durch den Glauben von einer Her
rlichkeit zur anderen in Sein Bild verklärt werden (2. Korinther 3:18).
*
Diamanten und andere kostbaren Juwelen werden in Safes aufbewahrt und nur selten
, und dann nur unter großen Sicherheitsvorkehrungen, ausgestellt. Sind sie wenig
er wirklich, weil man sie geheim aufbewahrt? Auch der Glaube hat seine Geheimnis
se. Das Schloß, das für seine Sicherheit garantiert, findet man in den Worten Je
su, der gesagt hat: »Ihr sollt das Heilige nicht den Hunden geben, und eure Perl
en sollt ihr nicht vor die Säue werfen, auf daß sie dieselben nicht zertreten mi
t ihren Füßen und sich wenden und euch zerreißen« (Matthäus 7:6).
Selbst in diesem Buch könnte ich die Sünde begehen, zu weit zu gehen, und dadurc
h zu sündigen. Doch die Liebe zu Atheisten und der Wunsch nach ihrem Heil haben
mich veranlaßt, das Unzulässige zu tun, das Unaussprechliche zu sagen und das Un
erklärliche zu erklären.
Gott braucht keine Verteidigung. Mein Eifer und meine Ungeduld, dich auf der Sei
te Gottes zu sehen, zwingen mich, diese Zeilen zu schreiben.
*
Auf die Frage, was Gott vor der Erschaffung der Welt getan hat, antwortete Luthe
r trocken: »Zuvor saß Gott in einem Wald und schnitt Ruten, mit denen er diejeni
gen züchtigen wollte, die dumme Fragen stellen.«
Dies war nicht ernst gemeint. Das einzige, was wir über Gott vor der Erschaffung
der Welt wissen, ist das, was Er selbst offenbart: daß Er einen Sohn hatte, den
Er liebte und verherrlichte (Johannes 17:5), und daß der Heilige Geist von ihne
n beiden ausging. Wir nennen das die »Dreifaltigkeit.«
Aristoteles hat geschrieben: »Das Dreigeteilte umfaßt einen Anfang, eine Mitte u
nd ein Ende und ist daher geeignet, den Gedanken von Vollendung auszudrücken. Es
liefert uns auch eine Grundform für die Raumverhältnisse.«
Im Christentum ist die Vorstellung von Trinität jedoch weitaus sorgfältiger durc
hdacht.
Gott ist höchste Güte. Unter »Gott« versteht man ein Wesen, wie man sich ein Höh
eres nicht vorstellen kann. Da Er gut ist, muß Er Liebe zeigen. Keiner zeigt Lie
be, wenn er nur sich selbst liebt. Wenn Gott liebt, muß es immer den Liebhaber,
den Geliebten und die Liebe gegeben haben:
Vor der Erschaffung der Welt muß es eine Trinität gegeben haben.
Ein Wesen kann nur für einen Gleichgestellten höchste Liebe empfinden. Die gelie
bte Person in der Trinität muß dem Vater gleichgestellt sein. Gott wäre nicht vo
llkommen, wenn Er nicht mit einem anderen Seinen ganzen Ruhm teilen würde.
Es gibt jedoch noch etwas Größeres und Höheres, als nur eine andere Person zu li
eben, nämlich diese beiderseitige Liebe mit jemand anderem zu teilen, so daß jed
e Person Anteil hat an der Liebe, die sie gibt, und an der Liebe, die sie empfän
gt. Wieder würden die beiden all ihren Ruhm mit einer dritten Person teilen müss
en. Und die drei müssen einander ebenbürtig sein. Die Wonne des Liebens und Geli
ebtwerdens muß von den beiden mit der dritten Person geteilt werden, die wiederu
m all ihre Liebe teilen würde. Drei sind vonnöten, um vollkommene Liebe zu verkö
rpern und zu teilen. Das ist die einzige annehmbare Vorstellung von Gott. Gott m
uß dreifaltig sein.
Gott ist eins, sagt die hebräische Bibel. Eins ist Gott, heißt es wortwörtlich i
m griechischen Original des Neuen Testamentes. Einheit schließt jedoch Dreifalti
gkeit nicht aus. Es trifft nicht zu, daß eins nicht gleich drei sein kann.
Das ist das Maximale, was wir über Gott sagen können. Wir kennen nicht einmal di
e Struktur eines Atoms. Wie können wir die Einzelheiten über die Dreifaltigkeit
wissen?
*
Wenn man von Einheit spricht, bedeutet das nicht, daß es keine Spannungen zwisch
en den Personen der Dreifaltigkeit gibt. Wenn es keine Spannungen gäbe, wozu brä
uchte man dann die Liebe? Liebe ist das Überbrücken von Verschiedenheit. Wenn es
keine Verschiedenheit gäbe, warum wäre dann die Frage der Einheit unter den Per
sonen der Dreifaltigkeit wichtig? Einheit muß nur dann begründet werden, wenn es
Individualität gibt.
Jesus, der Sohn Gottes, betete im Garten Gethsemane zum Vater, daß der bittere K
elch, gekreuzigt zu werden, von Ihm genommen werde. Doch der Vater kommt dem Wun
sch Seines Sohnes nicht nach. Der Prophet Jesaja hat geschrieben: »Der Herr woll
te Ihn zerschlagen« (Jesaja 53: 10). Nach Seiner Auferstehung sagte Jesus zu Sei
nen Jüngern, daß der Heilige Geist erst nach Seinem Weggehen auf sie herabkäme,
als ob die zwei nicht auf unserem Planeten zusammen sein könnten.
Die Kreuzigung des Gottessohnes auf Seines Vaters Erde war das dramatischste Ere
ignis der Geschichte. Jesus rief in Seiner Pein am Kreuz: »Mein Gott, mein Gott,
warum hast du mich verlassen?« In diesem Äußersten aber wurden die Liebe und Ei
nheit zwischen den beiden erhöht, wie die nachfolgenden Worte Jesu zeigen: »Vate
r, in deine Hände befehle ich meinen Geist.«
Vater, Sohn und Heiliger Geist sind einander ebenbürtig aber nicht miteinander i
dentisch. Zwischen einer gotterfüllten, christuserfüllten und geisterfüllten Per
son besteht ein Unterschied.
Eine gotterfüllte Person umfängt das ganze Univer sum. Für eine christuserfüllte
Person ist einfach Gott plus der Mensch eins. Während Gott reine Einheit ist, i
st Christus der Mittler zwischen zwei Parteien. Angelus Silesius hat geschrieben
: »Ohne den Menschen ist Gott nicht eins. « Die christuserfüllte Person ist hist
orisch begrenzt. Sie ist an eine Episode in der Existenz der Erde gebunden: an d
as Leben Christi.
Nach Seiner Auferstehung fragte Jesus zwei Jünger, die auf dem Weg nach Emmaus w
aren: »Was ist in den letzten Tagen in Jerusalem geschehen?« - Vieles war gesche
hen: Stürme hatten getobt, die Natur war erschüttert worden, die Erde hatte gebe
bt und eine überirdische Finsternis war über das Land hereingebrochen. Kinder wa
ren zur Welt gekommen, Menschen waren gestorben; Männer hatten in ihren Berufen
gearbeitet, Frauen die Mahlzeiten zubereitet. Jerusalem hatte viele Besucher ges
ehen, die alle in diese Ereignisse mit hineingezogen worden waren.
Aber diese Jünger waren christuserfüllt. Als sie daher gefragt wurden, was in Je
rusalem geschehen sei, berichteten sie nur, was Jesus widerfahren war.
Christus ist ein aus vielen einzelnen Personen bestehendes Wesen. Die Bibel sagt
, daß jeder Gläubige ein Glied Seines Leibes ist.
Der geisterfüllte Mensch wird gänzlich von den Dingen des Heiligen Geistes in An
spruch genommen. Die Bibel spricht davon, wie er im Licht geht und »die Früchte
des Geistes sind: Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sa
nftmut und Selbstbeherrschung. Wider solche ist das Gesetz nicht«, schreibt der
Apostel Paulus (Galater 5:22,23).
»Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde ... und schuf sie als Mann und Frau
« (l. Mose 1:27). Er ist der Ursprung des Höchsten und Besten in Frau und Mann.
Die Eigenschaften eines jeden wurden von Gott gegeben.
Im Jakobusbrief (1:18) wird der griechische Aus druck »apegneseu«, gebären, in b
ezug auf Gott verwendet, obwohl dieser Ausdruck im Griechisch sonst ausschließli
ch in bezug auf eine Mutter gebraucht wird.
Hier haben wir einen weiblichen Ausdruck für Gott. Er ist ein Vater, aber nicht
nur ein Vater. Im Propheten Jesaja (49:15) wird mit den folgenden unvergeßlichen
Worten Gott mit einer Mutter verglichen: »Kann auch ein Weib ihres Kindleins ve
rgessen, daß sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie seine
r vergäße, so will Ich doch deiner nicht vergessen.«
Der Glaube an Gott verändert vollkommen die Einstellung eines Menschen sowohl zu
m Leben als auch zum Tod.
Im antiken Griechenland erdrosselten Spartaner schwächliche Kinder. Nietzsche, d
er Lieblingsphilosoph Hitlers und Mussolinis, schimpfte über Kranken- und Waisen
häuser. Hegel sagte, der Mensch habe das unbestrittene Recht, durch den Tod alle
m Leiden ein Ende zu setzen. Heute macht das Thema »Euthanasie« Schlagzeilen.
Wenn man beweisen könnte, daß das Universum ohne Gott ist, hätten Nietzsche und
Hegel recht.
In meiner Jugend war ich mir sehr sicher, daß es keinen Gott gäbe, doch das stim
mte mich traurig. Ich wünschte, daß es einen Gott gäbe, und bedauerte, daß Er ni
cht existiert, weil jemand, der weiß, daß es einen Gott gibt, sich beschützt und
behütet fühlt. In der Bibel bedeutet der Name von Gottes heiligem Berg Zion tre
ffenderweise »Schutz.«
In dem Maße, in dem auch Atheisten das Gefühl haben, beschützt zu sein, haben si
e sich unbewußt Gott zugewandt. Sie hatten sich nach Ihm gesehnt. Ihnen fehlen j
edoch all die vielen großen und übernatürlichen Hilfen, die sich nur einstellen,
wenn man an Ihn glaubt. Der Glaube, ohne den es unmöglich ist, Gott zu gefallen
und in den Genuß der Gemeinschaft mit Seinen anderen Kindern zu kommen, kennzei
chnet den Beginn des Heiles eines Menschen. Der Glaube an Gott bringt einen in d
en Bereich der Vergebung.
Ein Mensch, der als Erwachsener ohne Glauben stirbt, kann nach dem Gesetz Gottes
normalerweise nicht erlöst werden, sondern überantwortet sich dem Höllenfeuer.
Wenn er an Gott glaubt, hat er hingegen geistigen Frieden und die Antwort auf so
manche Fragen über den Sinn des Lebens und was ihm folgt.
Wenn er einmal erfahren hat, was es bedeutet, an einen guten Gott zu glauben, sc
hwindet seine Verzweiflung gänzlich. In der Tat ist Verzweiflung für einen Gläub
igen Sünde, da er das ganze Leben so anzunehmen lernt, wie es auf ihn zukommt, w
eil er weiß, daß hinter dem düsteren Unbekannten Gott im Schatten steht und über
die Seinen wacht.
Der Glaube an diesen guten Gott veranlaßt einen, Ihn fortwährend zu preisen. Die
Unzufriedenheit mit den Ungerechtigkeiten des Lebens schwindet dahin wie Morgen
tau. Mühsal wird von einem weisen und wohlwollenden Vater zugelassen, den wir de
rzeit noch nicht verstehen. Das ist alles.
Niemand könnte uns überzeugen: »Alle Menschen stammen von Affen ab; wir sollen d
aher einander lie ben.« Stalin, ein Bewunderer Darwins, zog den logischen Schluß
aus dessen Buch: Der Mensch ist das Ergebnis eines erbitterten Lebenskampfes ge
gen andere Arten. In diesem Kampf überlebten die erbarmungslosesten. Daher werde
ich erbarmungslos sein!
Nur der Glaube an einen Gott der Liebe, der unser gemeinsamer Schöpfer war, kann
bewirken, daß wir einander lieben.
Der Glaube an diesen Gott macht einen tugendhaft.
*
Es heißt, daß eine sündige Frau einmal den heiligen Ephräm zur Unzucht verführen
wollte. Als Ephräm ihren bösen Plan durchschaute, sagte er zu ihr: »Komm mit!«
An einen Ort mit vielen Menschen angelangt, sagte er: »Jetzt kannst du tun, was
dir beliebt.« Sie antwortete: »Es wäre schmachvoll, es vor so vielen Menschen zu
tun.« - »Wenn wir uns vor den Menschen schämen«, kam die Erwiderung, »um wievie
l mehr sollten wir uns dann vor Gott schämen, der selbst in der Dunkelheit Verbo
rgenes sieht.« Da tat sie Buße und gabt ihre üblen Absichten auf.
*
Niemand liebt Gott wirklich, wenn er Dinge liebt, die Gott verboten hat. Wer Got
t nicht vor sich schützt, liebt Gott nicht. Wenn du eine ansteckende, abstoßende
Krankheit hättest, würdest du deine Lieben vor jeglichem Umgang mit dir schütze
n. Da jede Begegnung Gottes mit einem Sünder Gott degradiert, achtet der wahre G
läubige darauf, daß er Gott nicht zu sehr mit seiner Gegenwart belästigt.
Gott ist allwissend, was bedeutet, daß Er alles weiß, was zum Bereich des Wissen
s gehört. Er sieht alles, was zum Bereich des Sehens gehört. Er hört alles, was
zum Hören gehört. Wie steht es aber mit Überraschungen? Wäre Er vollkommen, wenn
Er die Freude von Überraschungen nicht kennen würde und wenn es keine Notfälle
gäbe, die neue Maßnahmen von Ihm erforderten?
Man kann gewissermaßen Dinge beobachten, und man kann die Kausalkette, in die si
e einbezogen sind, kennen, doch nicht alles hat eine Ursache. Heisenberg hat den
Begriff des »Indeterminismus« in die Physik eingeführt. Jesus sagt in bezug auf
Seine Widersacher: »Sie hassen mich ohne Ursache« (Johannes 15:25).
Nicht jede menschliche Handlung hat eine Ursache. Wir haben schon gewisse Dinge
Gott zu sagen. Auch wenn Er alles weiß, freut Er sich, meine Meinung zu hören. E
r wünscht auch, daß Menschen mit Ihm auf Seinem Thron sitzen, von dem aus Er das
Universum erschafft und lenkt (Offenbarung 3:21).
*
Sogar einige Theologen sind der merkwürdigen Ansicht, daß es in Glaubensangelege
nheiten kaum Beweise gäbe. Sie kennen die Beweise nicht - das ist alles.
Es ist nunmehr an der Zeit, die Beweise der Existenz Gottes systematisch anzufüh
ren. Auf einige Beweise möchte ich näher eingehen, andere werde ich nur erwähnen
.
1. Das kosmologische Argument oder das Argument von Ursache und Wirkung.
Jedes Bauwerk zeugt von der Existenz eines Baumeisters oder eines Architekten. S
elbst wenn man den Baumeister nicht kennt, ist die Tatsache, daß das Gebäude vor
handen ist, Beweis genug, daß er existiert.
Wir alle leben in einem ungeheuer großen Haus, Kosmos genannt. Das Werk »Welt« b
eweist die Exi stenz einer wirkenden Ursache, eines weisen Architekten.
Heute können wir mit Hilfe von Atomuhren selbst winzigste Unregelmäßigkeiten der
Bewegung der Erde feststellen. Man hat herausgefunden, daß diese Bewegung langs
amer wird. Befürworter der Urknalltheorie für den Ursprung der Erde haben festge
stellt, daß, rückblickend, die Länge des Tages sich um 0,002 Sekunden pro Jahrhu
ndert verringert, was bedeutet, daß unser Tag alle 50.000 Jahre um eine Sekunde
kürzer wird. Durch Zurückrechnen bis zu einem Tag mit Null-Länge behaupten sie,
das Alter der Erde herausgefunden zu haben: viereinhalb Milliarden Jahre.
Lange davor gab es den ersten Urknall, durch den das Universum entstanden ist.
Es war keine Explosion im üblichen Sinne. Es war nicht die Ausbreitung von Mater
ie in einem existenten Raum. Raum und Zeit sind Eigenschaften von Materie. Beim
ersten Urknall traten Zeit, Raum, Materie sowie alle ihre Gesetze und Kräfte gle
ichzeitig in Erscheinung.
Der menschliche Geist kann es nicht fassen, die menschliche Sprache kann es nich
t in Worte kleiden.
Wenn man diese Theorie voraussetzt, muß es jemanden gegeben haben, der den Urkna
ll auslöste.
Die von Augustinus gestellte Frage: »Was tat Gott, ehe Er das Universum schuf«,
ist falsch und daher nicht zu beantworten. Es hat kein »Zuvor« gegeben. Die Zeit
entstand zusammen mit der Materie. Vor dem Urknall gab es Gott, den Ewigen, ohn
e Zeit, ohne Raum.
Laßt uns die Wunder Seiner Schöpfung betrachten! Laßt uns einen Blick auf einen
ihrer kleinsten Teile, unsere sehr kleine Sonne, werfen!
Wenn ihre gelieferte Gesamtenergie nur um ein paar Bruchteile zunähme, würde die
Temperatur auf der Erde steigen: Die Gletscher würden schmelzen, der Meeresspie
gel würde steigen und das Land überschwemmen, menschliches Leben würde zugrunde
gehen. Wenn die Sonne aber ihre Leistung um ein paar Grade verringern würde, wär
en Kontinente von Gletschern bedeckt, und die Menschheit würde erfrieren.
Wer hat veranlaßt, daß die Sonne genau die richtige Temperatur hat? Ist es einfa
ch so geschehen?
Ist es einfach so geschehen, daß Ziegel zusammen kamen und ein Haus bildeten? Is
t es einfach so geschehen, daß Räderwerk, Hebel und Schrauben zusammenkamen und
eine Uhr bildeten? Absurd, sagst du. Mit Sicherheit steckte ein Verstand hinter
dem Bau des Hauses und der Uhr.
Der Verstand hinter der Sonne ist Gott.
Wenn das für die Verbreitung des Atheismus aufgewendete Geld und die geistige En
ergie darauf verwendet würden, wissenschaftliche Entdeckungen zu fördern, könnte
das Sonnenlicht und die Sonnenenergie zur Lösung vieler bedrückender Weltproble
me herangezogen werden.
Wir lassen die Energie des Sonnenlichtes, die kostbarste Hilfsquelle allen Leben
s, praktisch ungenutzt entweichen.
Die Photosynthese in Pflanzen fängt nur ein Zehntel Prozent der verfügbaren Ener
gie ein. Der Rest wird vergeudet.
Um etwas einmal finanziell auszudrücken: Sonnenlicht im Wert von 500.000 DM ist
vonnöten, um eine Fischmenge im Wert von 5 DM zu produzieren. Die jährliche Ener
gienutzung des Menschen entspricht dem Wert von lediglich einer Stunde des Gesam
tsonnenscheins, der die Erde badet. Gott hat uns auf Erden Reichtümer zur Verfüg
ung gestellt, die wir als Seine Gaben gut nutzen sollten.
Laßt uns ein anderes kleines Gotteswunder betrachten: das Wasser. Es ist eines d
er einfachsten Moleküle, bestehend aus einem Atom Sauerstoff und zwei Ato men Wa
sserstoff. Sein Molekulargewicht ist 18. Im Vergleich dazu besteht ein Molekül I
nsulin aus 777 Atomen und besitzt das Molekulargewicht 5733.
Der Verstand, der das Wasser so einfach gemacht hat, muß unglaublich scharfsinni
g sein. Diese Einfachheit läßt das Wasser ungehindert durch Membranen lebender Z
ellen gleiten, ein Vorgang, der bei größeren Molekülen unmöglich ist.
Wasser besitzt stark auflösende Eigenschaften. Substanzen können nur in Wasser a
ufgelöst in und aus lebenden Zellen gelangen. So wird ihnen Nahrung zugeführt, u
m Leben zu erhalten und Abfallprodukte auszuscheiden.
Um der Menschheit am besten dienen zu können, besitzt das Wasser keinen ausgespr
ochenen guten Geschmack, um nicht Wassersucht zu erzeugen, und auch keinen schle
chten Geschmack, um nicht auf Ablehnung zu stoßen. Die zwei Verbindungen, die in
der Molekularstruktur dem Wasser am ähnlichsten sind, nämlich Hydrogensulfid (H
2S) und Ammoniak (NH 2), sind ätzende Gase, die in bezug auf Geschmack, Geruch u
nd als Giftstoffe lebenden Zellen abstoßend sind. (Auszug aus »Signs of the Time
s«, November 1980).
Man betrachte einmal das wirklich große Wunder, den Menschen. Die sechzig Trilli
onen Zellen des menschlichen Körpers wirken zusammen, um eine einmalige Persönli
chkeit aus ihm zu machen. Keine zwei Menschen sind gleich. Selbst Fingerabdrücke
sind einmalig. Wenn eine Fingerspitze verletzt wird, heilen die Windungen wiede
r zu ihrem vorherigen Muster nach.
Man denke an die Lunge mit ihren Millionen elastischer Membranensäcken. Oder man
denke an die Fähigkeit des Knochens, nach Verletzung selbst zu heilen.
Wie kommt es, daß die Ansammlung lebender Zellen namens »Auge« so gut sehen kann
wie die teuerste Kamera? Ist eine Kamera das Zufallsprodukt eines Evolutionspro
zesses oder ist jede Kamera die Konstruktion eines intelligenten Wesens?
Wer hat das Gedächtnis gemacht, das auf Kommando Eindrücke der Vergangenheit aus
den Milliarden Partikeln, die in der persönlichen Datenbank eines Menschen gesp
eichert sind, abrufen kann? Wer hat die Phantasie geschaffen, die Macht, die unt
er den unglücklichsten Umständen Freude geben kann, die sich sogar eine Welt ohn
e Gott vorstellen kann, wenn der Mensch dazu neigt?
Der menschliche Körper besteht zu zwei Drittel aus Wasser. Er enthält zwei Milli
onen Schweißdrüsen, die mit dem Wasser, das sie freigeben, um den Körper kühl zu
halten, Abfallprodukte ausscheiden. ...
Man könnte endlos lange über den Aufbau und die Funktionen des menschlichen Körp
ers staunen.
Niemand würde glauben, daß es eine Uhr ohne Uhrmacher gibt, und der menschliche
Körper, geschweige denn das Universum, liefert unendlich mehr Hinweise auf einen
intelligenten Schöpfer als eine Uhr.
Wenn hinter der Schöpfung kein Geist steht, wie kommt es dann, daß die Atmosphär
e für unseren Atmungsapparat genau richtig ist und auch genau richtig, damit die
Erde am Tage nicht versengt wird und in der Nacht nicht gefriert? Daß die Tempe
ratur gerade die richtige bleibt, um Leben zu erhalten? Daß es eine Ozonschicht
gibt, die genau richtig ist, um tödliche kosmische Strahlen aus dem Weltall zu f
iltern?
Die Neigung der Erde beträgt 23,5 Grad; diese ist genau richtig, um der Abwechsl
ung von Eis und Fluten, sengender Hitze und beißender Kälte vorzubeugen.
Menschliches Leben wäre beispielsweise auf dem Merkur nicht möglich, welcher auf
der einen Seite Temperaturen von über 400' Celsius hat, während sich die andere
Seite unter dem Null-Grad-Bereich bewegt.
Die eine Seite liegt immer in Richtung der Sonne, während es auf der anderen dun
kel und kalt ist. Die Erde dagegen hat gerade die richtige Entfernung von der So
nne, um geeignetes Licht, Wärme und Kraft zum Leben zu empfangen. Alle diese Ums
tände deuten auf die Vorsehung und den Genius Gottes hin.
Ein Fuß- oder Fingerabdruck genügt manchmal für einen Polizisten, um einem Verdä
chtigen auf die Spur zu kommen. Doch das ganze Universum mit all seinen Wundern
genügt für den Atheisten nicht, den Einen zu entdecken, der es mit dem Fingerabd
ruck Seiner Weisheit versehen hat. Er ist sowohl blind als auch taub. Und genaus
o wie ein Tauber nicht die Aufgabe hat, über Musik zu schreiben, und ein Blinder
nicht die Aufgabe, ein Gemälde zu beschreiben, ist es nicht richtig, wenn Athei
sten von Dingen sprechen, die ihnen verborgen sind.
Hören wir jetzt, was Darwin, der große Günstling von Atheisten, über den Atheism
us sagt: »Die Unmöglichkeit, zu begreifen, daß dieses wunderbare Universum durch
Zufall entstand, scheint mir das Hauptargument für die Existenz Gottes zu sein.
«
Ein Atheist behauptete einmal, das Universum sei als das Produkt zufälliger Kräf
te entstanden. Einer, der ihn das sagen hörte, erwiderte unhöflich: »Das ist doc
h barer Unsinn!«
Der Atheist war beleidigt. »Sie sollten bedenken, daß Sie mit einem Doktor der P
hilosophie sprechen!«
»Und wenn? Ein Doktorat ist doch nur eine Zufallserscheinung«, entgegnete da der
andere.
»Ich habe aber jahrelang an meiner Dissertation gearbeitet!«
»Wenn Sie glauben, Ihr Verstand sei für Ihre Dissertation erforderlich gewesen,
um wieviel mehr ist dann Intelligenz für das Universum notwendig!«
Der herrlichste Beweis für die Existenz Gottes ist das Universum.

2. Das Argument vom Vorhandensein des Gottesgedankens in unserem Verstand.


Der englische Philosoph Roger Bacon hat einmal gesagt: »In unserem Intellekt ist
nichts, was nicht zuerst durch unsere Sinne gegangen wäre.«
Wir haben in unserem Verstand keine einzige Vorstellung, die nicht entweder eine
wahre oder eine verzerrte Widerspiegelung der Wirklichkeit ist.
Ein Dschungelbewohner hat keine Vorstellung vom »Fernsehen«, weil diese Wirklich
keit in seiner Welt nicht existiert.
Die große Mehrheit der Menschheit hat zu allen Zeiten auf die eine oder andere W
eise an Gott geglaubt. Auch wenn einzelne Menschen nicht ihr Leben lang an Ihn g
laubten, glaubten sie doch in manchen Augenblicken ihres Lebens an Ihn.
Wenn die Menschheit nicht schon einige Erfahrungen mit Gott gemacht hätte, wenn
Er nie wahrgenommen worden wäre, hätte der Gottesgedanke nicht in den menschlich
en Verstand dringen und sich dort mit solcher Macht verankern können.

3. Das teleologische Argument


(abgeleitet von dem griechischen Wort »telos«, welches »Zweck« bedeutet).
Alles auf dieser Welt ist auf einen Zweck ausgerichtet. Das befruchtete Ei im we
iblichen Uterus entnimmt der Mutter soviel Nahrung, wie es benötigt, um ein Embr
yo, dann ein Fötus und schließlich ein menschliches Wesen zu werden. Bei einem w
eiblichen Embryo entwickeln sich bereits im Mutterleib Brustdrüsen, die erst dan
n gebraucht werden, wenn die betreffende Person vielleicht zwanzig oder dreißig
Jahre später selbst Mutter wird.
Der Same einer Pflanze entnimmt dem Boden genau die Wasser-, Phosphat- und Nährs
toffmenge usw., die er benötigt, um eine Pflanze zu werden.
Die Sonne und alle ihre Satelliten bewegen sich unaufhörlich auf einen bestimmte
n Apex im Weltraum zu, als ob sie dort eine Begegnung hätten.
Wie läßt sich die Tatsache erklären, daß es in wasserarmen Gebieten, wo sich die
Menschen auf Transporttiere verlassen mußten, die wochenlang ohne Wasser auskom
men können, das Kamel gibt? Wie kommt es, daß Bienen für die Bestäubung wesentli
ch sind? Sind der Obstbaum und die Biene gleichzeitig durch Zufall entstanden? O
der weist eine solche Symbiose auf eine hinter der Wirklichkeit stehende Intelli
genz hin?
Nur intelligente Wesen können sich zweckmässig entscheiden. Weder die Sonne noch
die Eizelle, weder der Pflanzensame noch das Kamel können sich ihre Funktion au
ssuchen.
Es muß ein anderes Wesen geben, das ihre Funktionen zuvor festgelegt hat. Dieses
Wesen ist Gott.

4. Das historische Argument


Wenn die meisten Menschen aller Zeiten - einschließlich der größten Genies - an
Gott geglaubt haben, und wenn der Glaube in einer so überaus wichtigen Sache rei
ne Täuschung ist, dann ist der Verstand vollkommen unzuverlässig und nicht in de
r Lage, den Atheismus zu bestätigen.
Wie archäologische Funde bewiesen haben, gibt es seit frühester Zeit Beweise der
Existenz religiösen Glaubens. In allen untergegangenen Zivilisationen hat es ih
n gegeben. Die Geschichte kennt eine natürliche Auslese von Gedanken. Was untaug
lich ist, wird ausrangiert. Die Beständigkeit des Gottesgedankens trotz der Jahr
tausende sozialer Veränderungen beweist seinen Wert. Schiller hat es treffend au
sgedrückt: »Die Weltgeschichte ist das Weltgerichte.«
5. Das sittliche Argument
Es gibt genügend Erklärungen für das Vorhandensein von Schlechtem und Bösem in d
er Welt. Das Leben lehrt die Menschen, böse zu sein, und führt sie auf schlechte
Wege. Der eine muß dem anderen ein Wolf sein, um überleben zu können. Es hat de
n Anschein, als ob nur der Erfolg hat, der andere mit Füßen tritt.
Wie ist es aber zu erklären, daß es auch Liebe, Sanftmut und all die anderen Tug
enden gibt? Sie haben ihren Ursprung nicht in menschlichen Erfahrun gen. Wie kom
mt es, daß es ein Gewissen gibt, das einen von schlechten Taten zurückhält oder
zumindest nach der Tat kritisiert? Woher die Reue?
Das erleuchtete Gewissen kann nur die Stimme eines anderen Wesens in uns sein, d
ie Stimme des Wesens, das wir Gott nennen.

6. Das Argument von der Bewegung


Ohne Motor oder Beweger ist Bewegung nicht möglich. Daß ständige Bewegung nicht
möglich ist, hat manch Möchtegernerfinder entdeckt. Das Universum ohne Gott wäre
aber ein Perpetuum mobile.
In unserem Universum ist alles, vom Elementarteilchen bis zu den ungeheuren Gala
xien, in ständiger Bewegung. Es muß einen Urheber geben, der die Bewegung in Gan
g gesetzt hat und fortwährend erhält. Der Eine, der alles überwacht, der Partike
l und Planeten lenkt und alles sich bewegen läßt, heißt Gott.

7. Das Argument von den Prophetien


Niemand kann mit Sicherheit sagen, was ihm in zehn Minuten zustoßen wird, aber e
s gibt ein Buch, die Bibel, das Prophetien über Ereignisse enthält, die sich ers
t Jahrhunderte, ja sogar Jahrtausende nachdem sie vorausgesagt worden waren, zug
etragen haben.
Die jüngsten Entdeckungen vieler alter biblischer Manuskripte in Wadi-el-Qumran
haben erneut das Alter dieser Prophetien bewiesen, von denen viele bereits in Er
füllung gegangen sind, während viele andere vor unseren Augen in Erfüllung gehen
.
Nur wenn wir die Existenz eines Weltenherrschers voraussetzen, der die ganze Ges
chichte der Menschheit voraussah, können wir die Existenz der Prophetie in der B
ibel erklären. Obwohl es auch etliche Weissagungen in anderen, nichtbiblischen S
chriften gibt, ist die Bibel mit ihren langfristigen, ausführlichen zeitlichen P
rophezeiungen, von denen die meisten in Erfüllung gegangen sind, einzigartig. Di
e wichtigsten davon sind Prophetien über die Geburt und das Wirken Christi.
Prophetie, die sich ereignet, ist ein Beweis für die Existenz eines allwissenden
Gottes.

8. Das Argument vom Denken auf höchster Stufe


Der Verstand, der einen Menschen leitet, arbeitet nicht immer optimal. Es sind n
ur Augenblicke, in denen er mit höchster Leistungsfähigkeit operiert. Das sind i
n der Regel Momente großer Gefühlsregungen oder großer Gefahr. Dann sind alle ge
istigen Kräfte konzentriert. Es gibt andere Augenblicke, in denen der Verstand u
mherschweift, abschweift oder unkonzentriert ist.
In Zeiten großer Bedrängnis ist der Mensch gewöhnlich gläubig. Das merkt man am
besten, wenn er in Todesgefahr schwebt oder auf dem Sterbebett liegt.
Es hat zahllose Fälle gegeben, in denen sterbende Menschen, die nicht geglaubt h
atten, im letzten Augenblick ihren Unglauben bereuten, aber es wird kaum einen M
enschen geben, der, nachdem er sein Leben lang gläubig war, im Angesicht des Tod
es bereut, daß er geglaubt hat, und daraufhin seinen Glauben ablegt. Das ist fas
t eine psychologische Unmöglichkeit.
Wenn jemand eine Brücke gebaut hat und einen Handwagen über sie schiebt, ist das
wohl kaum Beweis genug, daß die Brücke standhält. Ein Zug muß über sie fahren.
Der Beweis, daß eine Überzeugung gut ist, besteht darin, daß sie nicht bloß stan
dhält, wenn einem das Glück lacht, sondern wenn man eine schlimme Seelenkrise du
rchmacht, wenn man in Gefahr schwebt oder dem Tod ins Auge blickt. In solchen Au
genblicken sind die Menschen in der Regel religiös. Das trifft auch häufig zu, w
enn man Erfahrungen großer Schönheit hat. Nach einer Seereise schrieb Engels, ei
ner der führendsten atheistischen Denker: »Wir leben in Gottheit. Man sieht es a
m Besten, wenn man auf See ist.«

9. Das Argument von der Existenz der Glaubensfunktion


Weder Mensch noch Tier brauchten Ohren, wenn es keine Geräusche gäbe. Wir brauch
ten keine Augen, wenn es nicht Licht und Farbe gäbe. Wir hätten keine Verwendung
für Lungen, wenn es keine Luft zum Atmen gäbe. Das Organ setzt die Funktion vor
aus. Das Vorhandensein eines Sinnesorgans ist der Beweis, daß die durch dieses O
rgan wahrgenommene Wirklichkeit existiert.
Der Mensch besitzt das Organ des Glaubens an metaphysische Gegebenheiten. Dieses
Organ hätte sich niemals entwickelt und wäre nicht beibehalten worden, wenn es
die durch die Glaubensfunktion wahrgenommene Wirklichkeit nicht gäbe.

10. Das Argument von der Voreingenommenheit des menschlichen Verstandes


Wir müssen gegenüber unserem eigenen Denken kritisch sein. Wir können zwar viele
s sehen, aber nicht das Auge, mit dem wir sehen. Wir können jeden Ge danken prüf
en, nicht aber den Gedanken, mit dem wir prüfen.
Wenn man für einen Augenblick innehält vom Denken über Ereignisse, Menschen und
Dinge, und dann über das Denken nachzudenken beginnt, erkennt man bald, daß man
sich in einer geistigen Sackgasse befindet und daß der menschliche Verstand tats
ächliche Mängel aufweist. ...
Jüngste Forschungsergebnisse zeigen, daß sogar Farben unser Denkvermögen beeinfl
ussen. Auf schö nen Wiesen oder in hellblau, gelb oder orange gestrichenen Räume
n kommen wir auf glückliche Gedanken. Unser Verhalten ist in solcher Umgebung fr
eundlicher. In häßlichen Räumen haben wir häßliche Gedanken. Düstere, dumpfe Far
ben, die nicht von freundlichen Akzenten unterbrochen werden, können sehr bedrüc
kend wirken. Man denke nur an das Grau einer Gefängniszelle.
Eine schwarze Brücke über die Themse war bekannt für viele Selbstmordversuche, d
ie auf ihr begangen wurden. Nachdem die Brücke grün gestrichen wurde, nahmen Ver
suche dieser Art um mehr als ein Drittel ab. ...
Marxisten sind Meister, wenn es zu beweisen gilt, daß das soziale Umfeld, vor al
lem die wirtschaftlichen Verhältnisse, die Gedanken der Menschen bestimmen.
Wenn Revolutionäre an die Macht kommen, ändern sie sich vollkommen. Während sie
zuvor Streiks organisiert und unterstützt haben mögen, lassen sie, nachdem sie a
n die Macht gekommen sind, streikende Arbeiter erschießen.
Sogar bei Wissenschaftlern gibt es eine psychologische Voreingenommenheit. Oft s
ind ihre Beobachtungen darauf zugeschnitten, eher Erfahrungen und Daten auszuwäh
len, die ihre Voraussetzungen bestätigen, als solche, die ihnen widersprechen.
Unsere Denkweise ist oft primitiv. Wir denken sehr oft in Analogien. Aber ein Sp
richwort sagt: Vergleich ist nicht Argument.
Es ist nicht falsch, wenn wir Analogien benutzen, um etwas von Gott zu erfahren,
solange wir zugeben, daß Er unsere Bilder übersteigt und über jedem Namen steht
, den wir Ihm geben können. Dionysios der Areopagite hat gesagt: »Gott ist nicht
s«, in dem Sinne, daß Er nichts von dem ist, was wir uns vorstellen. In der Bibe
l sagt Gott einfach: »Ich bin, was ich bin. «
Sobald man Analogien und Anthropomorphismen in bezug auf Gott verwen det, wird d
as Risiko, etwas falsch darzustellen, sehr groß. Meister Eckhart, einer der groß
en christlichen Schriftsteller des Mittelalters, sagte daher zu Recht: »Nur eine
Hand, die ausstreicht, kann etwas Wahres schreiben.« Gläubige behaupten nicht n
ur die Tatsache der Existenz Gottes, sondern sie stellen auch vieles, was über I
hn gesagt wird, in Abrede, da sie wissen, daß der Atheismus zuweilen nur die Abl
ehnung eines Gottes ist, der nicht wirklich existiert.
Da wir jedoch Menschen sind, können wir nicht auf alle anthropomorphischen Besch
reibungen Gottes verzichten.
Der christliche Denker Nikolaus von Cusa setzte daher die »docta ignorantia«, di
e mit anderen Worten bekannte Unwissenheit, als den Anfang von Weisheit voraus.
Die Intelligenz, der Verstand allein ist die niedrigste menschliche Wissenskraft
und nicht in der Lage, die Wirklichkeit zu erfassen. Das Wissen um die eigene U
nfähigkeit ist das höchste Bewußtsein, das sie erreichen kann: Das ist »docta ig
norantia«.
Warum diese Machtlosigkeit? So ist das Wesen - zuerst die Wahrheit und dann das
Wissen. Alles Wissen kann nur Näherungswert und Mutmaßung sein, vor allem das Wi
ssen um die letztendliche Wirklichkeit.
Wir müssen einen besseren Verstand finden als den unsrigen, auf dem wir uns verl
assen können.
An Jesu Leben können wir klar erkennen, wie unzuverlässig der menschliche Versta
nd arbeitet.
Joseph, der Bräutigam der Jungfrau Maria, glaubte zu Unrecht, daß sie gesündigt
habe, als er entdeckte, daß sie schwanger war. Die bedeutendsten Priester der Ju
den, in Religionsfragen überaus bewanderte Männer, anerkannten Jesus nicht als d
en, der Er war, sondern verurteilten Ihn als vermeintlichen Gotteslästerer zum T
ode.
Pilatus bestätigte dieses Urteil, indem er seinen Verstand aus Furcht vernebeln
ließ. Jesu eigenes Volk lehnte Ihn, der Er ihre Zier war, ab. Judas waren dreißi
g Silberlinge lieber als die Freundschaft mit dem Gottessohn.
Petrus war die eigene Sicherheit lieber, als seinem Herrn treu zu bleiben. Zum Z
eitpunkt Seiner Gefangennahme ließen Ihn alle Apostel im Stich und flohen. Und t
atsächlich glaubten sie alle nicht an Seine Auferstehung, selbst nachdem sie Ihn
mit eigenen Augen gesehen hatten.
Die christliche Religion lehrt uns, zunächst unserem eigenen Verstand zu mißtrau
en und, was wichtiger ist, die Gedanken Gottes anzunehmen, der von äußeren Umstä
nden unabhängig und keinen irdischen Einflüssen unterworfen ist. Er ist der einz
ige, der die letzte Wahrheit erfassen kann, da Er ihr Urheber ist. Nur in der Re
ligion kann somit Wahrheit gefunden werden; nur in Gott kann alles gewußt werden
. In dem Maße, in dem wir uns von Gott entfernen, schließen wir uns von der Wahr
heit aus.
Wie bereits gesagt, hätte der Gottesgedanke gar nicht in unseren Verstand dringe
n und sich dort mit solcher Macht verankern können, wenn die Menschheit nicht Er
fahrungen mit Gott gemacht hätte.
Viele andere Faktoren könnten jedoch diesen Gedanken getrübt oder verfälscht hab
en. Weder in der Religion noch im Atheismus können wir uns auf unseren Verstand
allein verlassen. Ohne eine höhere Offenbarung sind wir zum Irrtum verdammt.
Der Atheismus hat keine Offenbarung aus höheren Sphären und ist daher nicht glau
bwürdig. Die Reli gion besitzt Offenbarung, und diese sagt uns, daß es einen Got
t gibt.

11. Das Argument von der Tatsache der Unzwangsläufigkeit


Alles auf der Welt ist Veränderungen ausgesetzt und vergänglich. Nichts ist stab
il. Mensch und Materie sind in gleicher Weise einer so alltäglichen Erscheinung
wie dem Wetter unterworfen - Luftdruck, Niederschlag, Luftfeuchtigkeit, Temperat
ur.
Das Entropiegesetz besagt, daß alles zur Auflösung und Zersetzung neigt. Verände
rung und Verfall ist in allem, was ich sehe.
Dinge, die heute vorhanden sind, werden morgen verschwinden. Dies trifft, angefa
ngen von den winzigen Partikeln im Atom bis zum Kosmos, zu. Es trifft auch im ge
istlichen Bereich zu.
Alles Veränderliche und Vergängliche ist daher kontingent. Etwas, das heute da u
nd morgen weg ist, könnte heute auch nicht dagewesen sein. Es steht der Existenz
gleichgültig gegenüber. Es kann sein und auch nicht sein.
Folglich muß es eine Ursache außerhalb von sich selbst haben. Wenn diese Ursache
ebenfalls unzwangsläufig ist, muß sie ihrerseits eine Ursache haben. Diese Kett
e von Ursache und Wirkung kann nicht ohne Anfang und ohne Ende sein, denn, wenn
alles unzwangsläufig wäre, könnte es genausogut nicht existiert haben.
Wie und warum ist dieses Rad in Bewegung gesetzt worden?
Die Welt der Kontingenz setzt die Existenz eines Wesens voraus, das notwendigerw
eise existiert, das nicht nicht sein kann, das keine Ursache außerhalb von sich
selbst hat. Es ist wirklich, ohne von etwas abhängig zu sein. Es könnte nicht ni
cht sein oder anders sein. Wir nennen dieses Wesen »Gott«. Er muß existieren. Er
könnte nicht nicht sein.
12. Das Argument von den Naturgesetzen
In der Natur, in der Gesellschaft, in der Seele und in unserem Körper läuft alle
s nach bestimmten Gesetzen ab, Naturgesetzen, soziologischen, physiologischen, p
sychologischen Gesetzen. Es ist unvorstellbar, daß es Gesetze ohne einen Gesetzg
eber und Vollstrecker geben soll, der darauf achtet, daß alles gesetzmäßig abläu
ft.
Gott ist der Gesetzgeber, dessen Gesetze wir durch die Wissenschaft entdecken.
Wir sprechen von chemischen, physikalischen oder biologischen Gesetzen. Wir woll
en uns der Tatsache sehr wohl bewußt sein, daß die Chemie und Physik nicht einfa
ch nur chemisch und physikalisch sind. Der menschliche Verstand ist nötig, um si
e zu entdecken.
Als Fleming für die Entdeckung des Penicillins gedankt wurde, sagte er: »Ich bin
über diese Dankbarkeit erstaunt. Nicht ich habe das Penicillin gemacht, sondern
die Natur bringt es hervor. Ich habe es nur entdeckt.«
Die Tatsachen der Natur sind einfach da und warten nur darauf, vom Menschen in s
einem ewigen Wissensdrang entdeckt zu werden. Da sie von Gesetzen bestimmt werde
n, sind diese Tatsachen wohlgeordnet und letztendlich zu erkennen. Die Chemie un
d Physik ändern sich nur, wenn Wissenschaftler ihre Forschungsergebnisse bericht
igen, um sie mit den bestehenden Tatsachen in Einklang zu bringen. Die Ordnung d
er Natur bleibt dieselbe.
Doch die Wissenschaftszweige der Chemie und Phy sik sind mehr als nur ein Zusamm
entragen objektiver Tatsachen. In ihnen steckt ein Geist. Sie sind von dem Geist
beseelt, der die Gesetze von Anfang an erlassen hat.

13. Das Argument von den Ausnahmen bei den Naturgesetzen


Selbst wenn es vorstellbar wäre, daß Gesetze der Natur zu eigen und nicht von ei
nem bewußt erschaffenden Wesen erlassen worden sind, wie kommt es, daß es Ausnah
men von diesen Gesetzen gibt?
Ein Mechanismus kann keine Ausnahmen machen, er funktioniert stereotyp. In der N
atur gibt es jedoch Ausnahmen.
Alle Körper schrumpften bei Kälte. Nur das Wasser bildet eine Ausnahme: Wasser d
ehnt sich bei Kälte aus. Eis ist daher leichter als Wasser in seinem flüssigen Z
ustand und schwimmt oberhalb, indem es eine Schicht bildet, die Tümpel und Seen
vor der äußeren Kälte schützt. Aus diesem Grund können Fische den Winter überleb
en. Wer hat diese Ausnahme beim Wasser gemacht?
Alle Wasserstoffverbindungen sind giftig, mit wieder einer Ausnahme: dem Wasser.
Ohne diese Ausnahme wäre Leben nicht möglich. Wer war dafür verantwortlich?
Wer hat bestimmt, daß die Frau Jahrhunderte hindurch nur durch sexuellen Verkehr
schwanger werden konnte, und sah dann zu, daß eine Jungfrau ein Kind empfangen
und gebären sollte - Maria, die Mutter Jesu?
Die Ausnahmen von den Naturgesetzen sind ein Beweis für die Existenz Gottes.

14. Das Argument von Wundern


Es gibt ein Argument, das dem vorausgegangenen sehr ähnlich ist: die Existenz vo
n Wundern.
Die Bibel berichtet von vielen Wundern. Eines der auffälligsten ist die Existenz
Israels, Gottes auserwähltem Volk.
Den frühesten Hinweis auf Israel außerhalb der Bibel findet man auf der berühmte
n Merneptah-Säule. Merneptah war der Nachfolger des Pharao Ramses II. Die Säule
dokumentiert seine militärischen Erfolge, darunter auch die Prahlerei, daß es »k
einen Samen Israels mehr gibt.«
Dreitausenddreihundert Jahre lang hat die Welt die folgende Behauptung wiederhol
t: »Israel ist zerstört; es hat aufgehört zu bestehen oder »es ist assimiliert w
orden.«
Am Triumphbogen des Titus in Rom, der nach Zerstörung des jüdischen Staates erri
chtet wurde, befindet sich die Inschrift: »Mit Judäa ist es zu Ende.« Heute flan
ieren Roms Juden in der Nähe dieses Bogens. Was das Römische Weltreich anbelangt
, dieses ist allerdings zu Ende.
Die Geschichte der Kirche ist auch voller Wunder, die nicht hätten geschehen kön
nen, wenn es keinen Gott gäbe. Ich möchte nur ein einziges herausgreifen:
Der Erzbischof von Ufa, Andrej Uchtomskij, wurde zum Tode verurteilt und im Gefä
ngis von Jaroslawl erschossen. Vor der Hinrichtung bat der Erzbischof um die Erl
aubnis, beten zu dürfen. Das Erschießungskommando räumte dem Verurteilten mehrer
e Minuten ein. Als er niederkniete, war es, als ob eine Wolke ihn bedeckte, und
er entschwand ihren Blicken. Die das Urteil vollstrecken sollten, wurden so kopf
los, daß sie nicht mehr wußten, was sie tun sollten. Er konnte nicht entkommen -
und doch war er nicht da!
Erst nach etwa einer Stunde erschien der Hierarch wieder, auf den Knien an derse
lben Stelle betend und wie von einer leuchtenden Wolke umhüllt, die sich rasch a
uflöste. Die Mörder waren erleichtert, daß sie ihr Opfer wieder vor sich hatten,
und beeilten sich, ihn zu erschießen.
Viele Leute können sich, wenn sie es recht bedenken, an wundersame Begebenheiten
in ihrem Leben erinnern, die ohne Gott nicht hätten eintreten können.
Manche Wunder dieser Art nennen wir »Zufall«, was lediglich ein kleineres Wunder
ist, in dem Gott anonym bleiben möchte.
Anatole France hat gesagt: »Zufall ist das Pseudonym, welches Menschen gebrauche
n, wenn sie Gott nicht beim Namen nennen wollen. «
Merkwürdigerweise erachten es Atheisten für schwierig, an Gottes Wunder zu glaub
en. Wie einfach muß es für Gott, der das Rote Meer erschaffen hat, gewesen sein,
es zu teilen, damit Sein Volk es trockenen Fußes durchschreiten konnte.
Viele Atheisten glauben an weitaus unannehmbarere Dinge.
Allein aufgrund der Autorität des Zentralkomitees glaubten sowjetische Kommunist
en einmal, daß Stalin gleichzeitig der größte Politiker, der größte Strategie, d
er größte Linguist und der größte Wissenschaftler und Philosoph sei. Sie glaubte
n, daß dieser einfache Mann, der wegen Diebstahls im Gefängnis gesessen hatte, p
raktisch unfehlbar sei. Nach seinem Tode glaubten sie aufgrund einer einzigen vo
n Chruschtschow gehaltenen Rede, daß dieser selbe Mann der größte Massenmörder i
n der Geschichte war.
Nach einer Mitteilung Chruschtschows im Jahre 1959 glaubten sie, daß Sowjetrußla
nd innerhalb von fünf Jahren den materiellen Standard der Vereinigten Staaten er
reichen und übertreffen würde. Wir schreiben inzwischen das Jahr 1986, und noch
immer kann das kommunistische Rußland nur dadurch leben, daß es Weizen aus kapit
alistischen Ländern einführt, hauptsächlich aus den Vereinigten Staaten.
Sowjetische Atheisten haben passiv und auf unterwürfige Weise alle Märchen akzep
tiert, daß der Kommunismus Brüderlichkeit unter den Völkern stiften wird. Sie so
llen einmal chinesische, jugoslawische und russische kommunistische Zeitungen le
sen, und sie werden sehen, wie sich die Genossen gegenseitig hassen.
Sie glauben unkritisch, was der jeweilig oberste Herrscher gerade verkündet.
Die Bibel ermahnt uns, unsere kritischen Fähigkeiten zu gebrauchen. Zum Beispiel
: »Ihr Lieben, glaubet nicht einem jeglichen Geist, sondern prüfet die Geister,
ob sie von Gott sind« (l. Johannes 4: 1); »Propheten aber lasset reden zwei oder
drei, und die andern lasset die Rede prüfen« (l. Korinther 14:19).
Der christliche Glaube appelliert in hohem Maße an die Vernunft. So steht beispi
elsweise geschrieben: »Kommt denn und laßt uns miteinander rechten, spricht der
Herr« (Jesaja 1: 18). Eine der Hauptthesen Martin Luthers war das Recht auf eine
persönliche Auslegung der Heiligen Schrift. Er gab den Impuls zur Meinungsfreih
eit in der Welt.
Kommunisten verneinten diese biblische Freiheit und gelangten dazu, an unexisten
te politische Wunder zu glauben.
Es heißt, die Wunder der Heiligen Schrift widersprächen den Naturgesetzen, doch
die Menschen vergessen dabei, daß sie selbst, obwohl sie nur über sehr begrenzte
Kräfte verfügen, fortwährend gegen die Naturgesetze verstoßen.
Wenn man am Morgen aufsteht, überwindet man beim Aufstehen das Naturgesetz der S
chwerkraft. Wenn man mit dem Auto fährt, widersetzt man sich dem Trägheitsgesetz
. Wenn man ein Atom spaltet, bricht man das Kohäsionsgesetz. - Wenn der Mensch d
iese Gesetze übertreten kann, wie logisch ist es dann nur, zu glauben, daß eine
höhere Ordnung von Wesen - Engel, geschweige denn Gott selbst - Dinge tun können
, die uns nicht möglich sind, so wie der Wissenschaftler Dinge tun kann, die ein
en unwissenden Menschen verwirren.
John Stuart Mill hat einmal gesagt: »Ein Wunder steht nicht im Widerspruch zu de
m Gesetz von Ursache und Wirkung. Es ist eine neue Wirkung, die vermutlich durch
Einführung einer neuen Ursache herbeigeführt wird.« Diese Ursache ist Gott.

15. Das Argument von der Ausdehnung des Universums


Die Verschiebung zum Infrarot des spektroskopischen Bildes, das wir von fernen G
alaxien erhalten, beweist, daß sich unser Universum ständig ausdehnt. Astronomen
vergleichen das Universum manchmal mit einem Luftballon, einem Spielzeug, auf d
em Sterne gemalt sind. Wenn man den Ballon aufbläst, entfernen die Sterne sich v
oneinander.
Da Astronomen die Geschwindigkeit der Ausdehnung bekannt ist, können sie zurückr
echnen, wie groß die Entfernungen vor einer Milliarde oder fünf Milliarden Jahre
n waren.
Indem sie auf diese Weise zurückgehen, gelangen sie zum Ausgangspunkt - dem Ball
on im Zustand vor dem Aufblasen, dem Augenblick der Erschaffung des Universums,
oder dem, was Wissenschaftler heute, wie bereits gesagt, »Urknall« nennen.
Die Ausdehnung des Universums ist ein Beweis für die Existenz eines Gottes, der
dessen Anfänge festgelegt hat.

16. Das Argument vom zweiten Gesetz der Thermodynamik


Gemäß diesem Gesetz kann in einem geschlossenen System sich etwas nur von Ordnun
g zu Zufälligkeit, Chaos, Anarchie fortentwickeln. Wenn unser Universum seit jeh
er bestanden hätte, befände es sich in einem Zustand des Chaos. System und Ordnu
ng könnte es aufgrund der unumstößlichen Tatsache der Entropie nicht mehr geben.
Das Universum ist nur deshalb wohlgeordnet, weil es von einem Gott der Ordnung k
ommt.

17. Das Argument von der Existenz von Genen


Dieser Beweis ist in Wirklichkeit zwar nur eine Erweiterung, beziehungsweise ein
spezifische Anwendung des Argumentes vom zweiten Gesetz der Thermodynamik, doch
es hat einen gesonderten Wert.
In jedem Lebewesen gibt es einen genetischen Code, der bestimmt, wie es gebaut s
ein wird. Der Code ist eine Verbindung von Aminosäuren, die sich gemäß diesem Ge
setz der Thermodynamik - wie jede andere Materie spontan nur von Ordnung zu Chao
s fortentwickeln können. Woher kommt dann die Ordnung des genetischen Codes?
Jeder menschliche Spermatozyd und jedes Ovulum enthalten Informationen, die, aus
geschrieben, 1000 Bände mit je 500 Seiten füllen würden. Alles ist dort ausgesch
rieben: die Augen- und Haarfarbe, die Gesichtsmerkmale, Größe, Erbkrankheiten, a
ber auch vererbte Talente, alle Einzelheiten des Körpers sowie das psychologisch
e Hauptgerüst, usw. Kein Wissenschaftler mit all den modernen Geräten könnte auf
einen mikroskopisch so kleinen Raum diese Fülle an Informationen mit dem Impuls
zusammenfassen, daß der künftige Embryo und spätere Mensch dementsprechend lebt
.
Beim Spalten der Zellen werden sämtliche Informationen geschwind kopiert. Schlie
ßlich erhält man Milliarden von Kopien. Kein Kopiergerät könnte diese Leistung e
rbringen.
Was beim Menschen geschieht, geschieht auch mit den Zellen von Tieren und Pflanz
en. Milliarden von Informationen in den Genen sagen Lilien, Tulpen und Rosen, we
lche Farbe und welchen Duft sie entfalten, was für einen zierlichen Stengel sie
haben müssen und wie sie es an ihre Nachfolger weitergeben sollen.
Solche Ordnung kann nicht von Unordnung kommen. Der Mangel an Informationen und
Intelligenz in Säuren kann Genen nicht mitteilen, wie sie Intelligenz beim Mensc
hen entwickeln sollen. Säuremoleküle haben keinen Instinkt. Wie teilen sie dann
den Genen mit, wie sie bei Tieren Instinkte hervorbringen sollen?
Genen sind ein unwiderleglicher Beweis für einen intelligenten Schöpfer.

18. Das Argument von der Existenz radioaktiver Elemente


Indem sie Elektronen verlieren, durchlaufen radioaktive Elemente ein Stadium nac
h dem anderen, bis sie so weit degradiert sind, daß sie zu Blei werden. Das nenn
t man radioaktive Filiation.
Wissenschaftler wissen nun, wie lange es dauert, bis sich ein radioaktives Eleme
nt in ein anderes verwandelt hat und schließlich zu Blei wird.
Wenn es das Universum seit jeher gegeben hätte und es nicht erschaffen worden wä
re, oder wenn es seit Abermilliarden von Jahren existiert hätte, wären alle radi
oaktiven Elemente längst zu Blei geworden.
Wie kommt es dann, daß sie noch immer vorhanden sind? Ihr Vorhandensein selbst b
eweist, daß das Universum nicht seit jeher von sich aus existiert, daß es einen
Anfang hat, daß wir in einem erschaffenen Universum leben und, daß es folglich e
inen Schöpfer gibt.

19. Das Argument von der Existenz schwarzer Löcher


In den sechziger Jahren entdeckten Astronomen die Pulsare oder Neutronensterne.
Sie werden auch als »weiße Zwerge« bezeichnet und bestehen aus unvorstellbar kom
primierter Materie. Ihre eigene Schwerkraft wirkte auf die Masse und ließ sie zu
sammenbrechen. Der Druck hatte eine Zunahme der Schwerkraft zur Folge. Wir haben
eine Kettenreaktion: Schwerkraft bewirkt Zusammenbruch, Zusammenbruch bewirkt e
ine erhöhte Schwerkraft und so weiter. Der Stern wird immer dichter. Solche Ster
ne neigen dazu, eine unendliche Dichte und vollkommenen Mangel an Dimension zu e
rreichen.
Diese Sterne beugen nicht nur das Licht, wie es bei anderen Sternen der Fall ist
, sondern sie schlucken es. In dieser Phase nennt man sie »schwarze Löcher.« Sie
werden für immer unsichtbar, wie alles an ihrem Horizont. Wir sehen Gegenstände
, weil sie Licht aussenden oder es reflektieren. Die »schwarzen Löcher«, die jed
en Lichtstrahl schlucken, sind unsichtbare Materie. Wo bleibt der vulgäre Atheis
t, der sagt, er glaube nur an das, was er sehen könne?
Es gibt drei Zonen: In einer bestimmten Entfernung von dem »schwarzen Loch« ist
das Licht sicher. Es kann von diesem merkwürdigen Stern nicht geschluckt, sonder
n nur gebeugt werden, wie jedes Objekt es beugt. In einer anderen Entfernung wir
d es geschluckt. Es gibt eine Zone zwischen diesen beiden, den sogenannten »Hori
zont der Ereignisse«, in der das Licht weder geschluckt noch gebeugt, sondern ge
fangen genommen wird. Es wird ihn in einer Umlaufbahn für immer umkreisen. Die Z
eit wird für es zu existieren aufgehört haben.
In diesem »Horizont der Ereignisse« gibt es das Raum-Zeitkontinuum, welches unse
r Universum ist, nicht mehr, weil das Element Zeit verschwunden ist. Wir kommen
an die Grenze zwischen unserer Wirklichkeit und einer anderen.
Die Behauptung des dialektischen Materialismus, daß unsere Wirklichkeit, von der
Wissenschaft »Raum-Zeit-Kontinuum« genannt, die einzige sei, steht im Widerspru
ch zu der Existenz »schwarzer Löcher«, die die Grenze zwischen unserer Wirklichk
eit und einer anderern sind, welche, außerhalb der Zeit, ewig ist.
A. Wilder-Smith schreibt in »Die Demission des wissenschaftlichen Materialismus«
: »Jenseits des Horizontes der Ereignisse treten alle uns bekannten Gesetze der
Materie außer Kraft. Die chemischen Gesetze, die wir kennen, erlöschen; dasselbe
geschieht mit den physikalischen Gesetzen und der Materie sowie unserer Wirklic
hkeit von Materie-Zeit. Die zeitliche Wirklichkeit gelangt nur bis zu dieser Gre
nze. Was jenseits dieser Grenze liegt, gehört >dem Jenseits< an.«
Die Bibel ist ein einzigartiger Durchbruch von einer anderen Wirklichkeit, der W
irklichkeit Gottes, in unser Raum-Zeitkontinuum. Das grundlegende Dogma des Mate
rialismus, daß die von unseren Sinnen wahrgenommene Wirklichkeit die einzige sei
, ist zusammengebrochen, als wir die zusammenbrechenden Sterne entdeckten.

20. Das Argument von der Abstufung in allen Dingen


Der heilige Thomas von Aquin machte folgende Beobachtung: »Unter den Geschöpfen
gibt es mehr oder weniger gute, wahre, edle und so weiter. >Mehr< oder >weniger<
sind jedoch Prädikate verschiedener Dinge, je nachdem, wie sie in ihrer untersc
hiedlichen Art etwas gleichen, welches das Höchste ist, so wie etwas als wärmer
bezeichnet wird, je nachdem, wie es etwas nahe kommt, das am wärmsten ist. Es gi
bt daher etwas, was am wahrsten, am besten, am edelsten und folglich das Höchste
ist.«
Das nennt man Gott.

21. Das metaphysische Argument des Anselm von Canterbury


Konfuzius wurde gefragt, wie er anfangen würde, wenn er ein Land regieren müßte.
Er entgegnete: »Ich würde den Sprachgebrauch verbessern.«
Seine Zuhörer waren erstaunt. »Das hat doch mit unserer Frage nichts zu tun!«
Da erklärte Konfuzius folgendes: »Wenn die Sprache nicht stimmt, entspricht das,
was man sagt, nicht dem, was man meint. Wenn das, was man sagt, nicht mit dem ü
bereinstimmt, was man meint, wird die Arbeit nicht sauber verrichtet. Wenn die A
rbeit nicht sauber verrichtet wird, gedeihen Sitte und Kunst nicht. Wenn Sitte u
nd Kunst nicht gedeihen, gibt es keine Gerechtigkeit. Wenn es keine Gerechtigkei
t gibt, weiß das Volk nicht, wohin es Hand und Fuß setzen soll. Deshalb sollte e
ine willkürliche Wortwahl nicht geduldet werden. Von ihr hängt nämlich alles ab.
«
In demselben Sinn hat der heilige Thomas von Aquin gesagt: »Es gibt offensichtli
che Dinge, die man kennt, sobald die Begriffe bekannt sind. Wenn daher das Wesen
des Ganzen und des Teils bekannt ist, ist es offensichtlich, daß jedes Ganze gr
ößer ist als ein Teil von ihm.«
Sobald die Bedeutung des Wortes »Gott« verstanden wird, erkennt man sogleich, da
ß es Gott gibt. Denn mit diesem Wort wird etwas zu verstehen gegeben, jenseits d
essen man sich nichts Größeres vorstellen kann. Doch was tatsächlich existiert,
ist größer als das, was nur im Intellekt existiert. Sobald daher das Wort »Gott«
verstanden wird und es im Intellekt existiert, folgt daraus auch, daß es tatsäc
hlich existiert.
Die Behauptung: »Gott existiert«, ist somit offensichtlich, da die Existenz der
Wahrheit offensichtlich ist. Wenn man deren Existenz leugnet, muß deine Behauptu
ng: »Es gibt keine Wahrheit«, richtig sein. Folglich gibt es Wahrheit.
Gott ist Wahrheit. In dem Satz: »Gott existiert«, ist das Prädikat dasselbe wie
das Subjekt. Die Existenz Gottes ist offensichtlich.
Spinoza hat geschrieben: »Nur wenn die Wesenheit Gottes Existenz nicht mit einbe
zieht, könnte man sagen, daß Er nicht existiere.«
Das ist absurd. Daher existiert Gott zwingenderweise, was es aufzuzeigen gilt. M
an kann zwar sagen, daß es, obwohl wir die Worte »rechteckiger Kreis« haben, es
keinen rechteckigen Kreis gibt, weil dies einen Widerspruch in sich birgt. Das i
st aber bei Gott nicht der Fall. Was sollte Gott am Existieren hindern? Keine äu
ßere und auch keine innere Ursache können bewirken, daß Er nicht existiert. Voll
kommenheit befähigt zum Existieren; Unvollkommenheit behindert es. Keiner Existe
nz können wir uns sicherer sein als der des absoluten, unendlichen oder vollkomm
enen Seins, das heißt Gott.
Wir haben diesen Begriff. »Existieren« ist darin mit eingeschlossen. Wir können
uns der logischen Schlußfolgerung, daß Gott existiert, nicht länger entziehen. K
ant sagt: »Es ist widersinnig zu fragen, ob es einen Gott gibt«, weil der Begrif
f »Gott«, welcher das vollkommenste Wesen bedeutet, das Merkmal »existieren« mit
einschließt. Anselm von Canterbury schreibt in »Proslogion«: »Wenn man sagt, Go
tt existiere nicht, meint man das Sein, wovon man sich ein größeres nicht vorste
llen kann. Es muß aber existent sein, sonst könnte man sich ein größeres Sein vo
rstellen. Es muß auch ein Sein sein, von dem man sich nicht vorstellen kann, daß
es nicht existiert. Niemand, der versteht, was Gott ist, kann sich vorstellen,
daß Gott nicht existiere ... Gott ist so, wie man Ihn sich größer nicht vorstell
en kann. Und wer das gänzlich versteht, versteht sicherlich, daß dieses Sein so
wahrhaftig existiert, daß es nicht einmal in Gedanken nichtexistent sein kann.«
- Ich wiederhole: Wenn Gott vorstellbar ist, ist Seine Nichtexistenz unvorstellb
ar.
Fénelon schreibt in Zusammenhang mit diesem Argument: »Existenz, Wahrheit und Gü
te sind ein und dasselbe: Böses hat nichts Wirkliches. Es ist unbestreitbar, daß
ich mir ein unendliches Sein von unendlicher Vollkommenheit vorstellen kann, un
d weil ich es mir vorstellen kann, muß es existieren. Dieses Sein ist mit meiner
Vorstellung von ihm identisch; es kann nur als Existenz erfaßt werden, weil Exi
stenz in seiner Wesenheit erfaßt wird. Meine Vorstellung davon erfaßt deutlich s
eine tatsächliche Existenz. Wir müssen die tatsächliche Existenz dieses unendlic
h vollkommenen Seins bejahen, wie ich die tatsächliche Existenz meines tatsächli
chen Gedankens bejahe.« - Malebranche sagt: »Es genügt, über Gott nachzudenken,
um zu wissen, daß es Ihn gibt.« - Descartes schreibt: »Die Vorstellung von >unen
dlich< könnte im Geiste eines endlichen Wesens nicht existieren, wenn sie ihm ni
cht von einem unendlichen Wesen eingegeben wäre.«

22. Das Argument von der Komposition aller Dinge in der Natur
In der Natur ist alles zusammengesetzt. Was für einen komplizierten Aufbau finde
t man selbst in einem Atom, in einer lebenden Zelle, in einem seelischen Komplex
! Alles Zusammengesetzte dient etwas anderem als sich selbst. Ein Bett und ein S
tuhl dienen dem Menschen; eine Zelle dient einem Organismus; Moleküle dienen ein
er Zelle; Elementarteilchen dienen einem Molekül usw.
Nie gehört eine Absicht der Masse selbst, die keine Intelligenz hat und folglich
auch keine Absicht verfolgen kann. Jedes zusammengesetzte Etwas beweist die Exi
stenz des Schöpfers: die zusammengesetzten Dinge des Universums beweisen die Exi
stenz des göttlichen Schöpfers.
Gott muß eine einfache Substanz und nicht zusammengesetzt sein, denn wenn Er ein
e Anhäufung wäre, würde Er wiederum den Absichten von etwas anderem dienen, und
so endlos fort. Da alle Dinge Gott dienen, muß Er sich wesentlich von ihnen unte
rscheiden. Da Er nicht zusammengesetzt ist, ist Er keinen Veränderungen unterwor
fen, da Veränderungen von den Reaktionen zwischen Bestandteilen verursacht werde
n.
Da Gott somit unveränderlich und unveränderbar ist, ist Er offensichtlich auch u
nsterblich.
23. Das Zeugnis der besten Exemplare der Menschheit
Die Argumente für die Existenz Gottes betrachtend, wollen wir wie ein unparteiis
cher Richter sein, der alle Zeugen hört, und wie ein gerechter Richter, der ihre
Glaubwürdigkeit abwägt.
Zeugen für die Existenz Gottes sind jene Exemplare der Menschheit, die Eigenscha
ften der Güte, Sanftmut, Liebe und Heiligkeit an den Tag gelegt haben.
Propheten, die Religionsstifter, Jesus Christus, die Apostel und Heiligen aller
Zeiten und in allen Teilen der Welt waren Zeugen für Seine Existenz. Ausnahmslos
sprechen sie von ihrer persönlichen Erfahrung mit Gott. Die Propheten vernahmen
Seine Stimme. Die Apostel kannten Ihn in der Person Jesu, von dem geschrieben s
teht, daß »Er aus des Vaters Schoß kommt«.
In allen Zeiten hat sich der Vater in vielerlei Weise den Heiligen offenbart. Wa
hrheit ist das Leitprinzip im Leben all dieser Zeugen gewesen, von denen viele i
n den Tod gegangen sind, um sie zu verteidigen.
Kein Richter würde die Aussagen solcher Zeugen ohne weiteres unter den Teppich k
ehren. Das sollen auch wir nicht tun. Ihr vielfältiges Zeugnis ist ein zwingende
r Beweis für die Existenz Gottes.
Ich möchte die Geschichte von nur einem von ihnen erzählen - von Bartolome de la
s Casas.
Im Jahre 1502 kam er nach Santo Domingo und lebte, wie es Brauch war, mit Indios
als Sklaven. Als er das Evangelium hörte, erkannte er, daß seine Männer und der
Wohlstand, den sie ihm brachten, unrechtmäßige Güter waren. Unverzüglich setzte
er seine Sklaven auf freien Fuß und rief auch seine Mitkolonisten auf, seinem B
eispiel zu folgen und keine Tyrannen mehr zu sein.
Es gelang ihm, die spanischen Behörden zu überzeugen, selbstverwaltete Landwirts
chaftskommunen von Indios zu gründen, in denen sie den größten Teil des Gewinnes
erhalten würden.
Nachdem er später zum Priester geweiht worden war, gebot er Eroberungsfeldzügen
und der Sklavenjagd in Nicaragua Einhalt und brachte Soldaten dazu, daß sie den
Befehlen von Sklavenhaltern nicht gehorchten.
Schließlich veranlaßte er Kaiser Karl V., die Sklaverei von Indios im Jahre 1542
abzuschaffen. Papst Paul III. hatte sich in seiner Bulle »Sublimis Deus« bereit
s gegen sie ausgesprochen.
Inzwischen war Bartolome zum Bischof geworden. Er verweigerte Sklavenhaltern die
Absolution und verteidigte seinen Standpunkt in dem Büchlein »Confessionario«,
welches einen Aufschrei gegen ihn in Spanien auslöste. Die Regierung war der Ans
icht, daß er zu weit gegangen sei: »Verräter! Er ist ein Verräter! Wir haben kei
n Anrecht auf Indianer, wenn, wie er sagt, alles, was wir dort getan haben, unbi
llig ist.«
Selbst Humanisten behaupteten zu jener Zeit, die Indios, eine untergeordnete Ras
se, seien von Natur aus Sklaven, und rechtfertigten damit die spanische Eroberun
g. Las Casas erwiderte: »Das ganze Menschengeschlecht ist eins«, und er sagte, d
aß die Spanier nicht das Recht hätten, zu erobern oder auszubeuten. Sein Einfluß
führte zur friedlichen Kolonialisierung der Philippinen.
Er veröffentlichte ein Buch nach dem anderen zur Verteidigung der Unterdrückten.
Von ihm stammt auch das Pamphlet »Kurzbericht über die Zerstörung Westindiens«,
welches die Geschichte von dem indianischen Kaziken auf Kuba enthält, der, als
man ihm sagte, daß Spanier in den Himmel kämen, antwortet: »Dann möchte ich nich
t dorthin kommen, sondern lieber in die Hölle, damit ich nicht dort bin, wo so g
rausame Menschen sind.«
Woher nahm Las Casas seinen Mut? Er gibt die Antwort selbst: »In Seiner Güte und
Barmherzigkeit erachtete es Gott für richtig, mich, obwohl unwürdig, zu Seinem
Diener zu wählen, um für alle diese Menschen Westindiens einzutreten gegen die U
ntaten und das Unrecht, von denen man bislang weder gehört noch gesehen hat. Und
ich habe etwa 50 Jahre lang allein für Gott gearbeitet.«
Wir können zugunsten der Religion - vor allem der christlichen Religion - die Sc
hriften und Aufzeichnungen zahlloser Heiliger aller Zeiten anführen. Welche Auto
ritäten können Atheisten zur Untermauerung ihrer Anschauung auftreiben?
Sie können keine Wohltäter der Menschheit für sich beanspruchen. Ihre Zeugen sin
d die größten Verbrecher des Menschengeschlechts: Stalin, Chruschtschow, Breschn
ew, Tito, Mao Tse-tung, Pot Pol und Karl Marx, den Urheber des Horrors und Holoc
austs.
Welcher unparteiische Richter hätte die geringste Schwierigkeit, sich für die Ex
istenz Gottes zu entscheiden, wenn er zwischen diesen zwei Arten von Zeugen zu w
ählen hätte?

24. Das Zeugnis von Wissenschaftlern


Die meisten wirklich großen Wissenschaftler - diejenigen, die den Bau des Univer
sums und das Geheimnis des Lebens am besten kannten - sind Gläubige gewesen.
Unser Universum hatte zwei Namen: das Newtonsche und das Einsteinsche Universum.
Sowohl Newton als auch Einstein glaubten an Gott, wenn auch auf verschiedene W
eise. Nils Bohr, Piccard, Pasteur, Mendel, Filatow und unzählige andere Wissensc
haftler und Begründer wissenschaftlicher Disziplinen waren Gläubige.
Sie sind ein beredtes Zeugnis für die Existenz Gottes. Ich glaube nicht, daß jem
and mehr berechtigt ist, im Namen der Wissenschaft zu sprechen als Einstein, wen
n auch nur deshalb, weil das Universum seinen Namen trägt. Er sagte, daß unsere
bisherigen Erfahrungen unser Gefühl rechtfertigten, daß »in der Natur die Idee m
athematischer Einfachheit verwirklicht ist«. Laut Einstein ist das Universum som
it die Verwirklichung einer Idee. Er weigerte sich, seine Relativitätstheorie au
fzugeben, und sagte, daß »man weder logische noch experimentelle Gründe und auch
nicht die Überlegung von Einfachheit und Schönheit gegen sie anführen kann«.
Wenn das Universum aber erfüllte Schönheit ist, muß es einen Künstler geben, der
sie ersonnen hat.
Ich habe vollen Respekt vor den wissenschaftlichen Kenntnissen atheistischer Den
ker, aber sie müssen auch zugeben, daß Einstein eine größere Autorität ist als s
ie.
In der Universität Princeton stehen in einem der schönen Säle über dem Kamin fol
gende Worte Einsteins: »Gott, der die Natur erschafft und in ihr ist, ist sehr s
chwierig zu verstehen, aber er ist nicht willkürlich oder arglistig.« Ein Gott,
der denkt, ein Denker; ein Gott, der nach Schönheit trachtet, ein Künstler; ein
Gott, der Güte ist - so Einstein. Und im Vergleich zu ihm sind wir alle - selbst
Mitglieder der Moskauer Akademie der Wissenschaften - Zwerge.
Vielleicht möchtest du gern wissen, was der große Physiker Max Planck in seiner
wissenschaftlichen Autobiographie sagt. Er ist der Begründer der Lichttheorie. H
ier seine Worte: »Religion und Naturwissenschaft kämpfen einen gemeinsamen Kampf
in einem unablässigen, niemals nachlassenden Feldzug gegen Skeptizismus und geg
en Dogmatismus, gegen Unglauben und gegen Aberglauben, und der Sammelruf in dies
em Feldzug war immer und wird immer sein: >Hin zu Gott<! «
Möglicherweise räumen Atheisten ein, daß manche Wissenschaftler zwar religiös se
ien - aber nur von Tradition aus -, und daß die Religion in Wirklichkeit keine b
edeutende Rolle in ihrem Leben spiele. Das stimmt nicht. Einstein war in seiner
Jugend ein Atheist. Von Geburt war er Jude, so daß ihn seine ganze Erziehung geg
en das Christentum voreingenommen machte. Seine wissenschaftlichen Erkenntnisse
machten jedoch einen religiösen Menschen und großen Verehrer Jesu Christi aus ih
m.
Und da wir es gerade von Einstein haben, zitieren wir ihn abermals: »Die meisten
Leute sagen, es sei der Intellekt, der einen großen Wissenschaftler ausmache. S
ie haben unrecht, es ist der Charakter.« Der Charakter wird aber nicht vom Athei
smus, sondern von der Religion hervorgebracht.
Man kann kein wahrer Wissenschaftler sein, wenn man nicht einen aufrichtigen und
unverfälschten Charakter hat, der dem Atheismus fremd ist.

25. Der Beweis von großer Kunst


Die Religion hat zu Kunstwerken inspiriert, wie beispielsweise den Gemälden Mich
elangelos, Raphaels und Rembrandts, der Musik von Palestrina, Bach und Mendelsso
hn sowie der Dichtung von David, Dante und Milton. Können Atheisten wenigstens e
in Kunstwerk nennen, zu dem die Gottesleugnung inspiriert hätte?
Nie ist jemand für den Atheismus beredt gewesen; nie könnte man den Atheismus ma
len, ihn besingen oder ein Gedicht über ihn machen. Allein diese Tatsache sollte
einem zu denken geben. Sie ist eine der gewichtigsten Argumente gegen den Athei
smus.

26. Das Zeugnis von Bauern


Der Atheismus ist das Kind von Städtern, die von Mauern umgeben sind und das Uni
versum durch ver rußte Fensterscheiben sehen. Sie sehen das Universum nicht so,
wie es wirklich ist.
Bauern, die noch in engem Kontakt zur Natur leben, wissen es am besten. - Bauern
sind nicht Atheisten, weil sie wissen, daß man die Natur nur als Gottes Schöpfu
ng verstehen kann.

27. Das Zeugnis von Tiererfahrungen


Da der Mensch nicht der einzige Bewohner des Universums ist, ist es nicht richti
g, wenn man allgemeine Schlüsse bezüglich der wichtigsten Probleme zieht, ohne ü
ber die Erfahrungen anderer Arten Betrachtungen anzustellen.
Alle, die mit Tieren vertraut sind, vor allem Landwirte, erkennen die Tatsache,
daß Haustiere, vor allem Hunde, aber auch Pferde, ein Gespür für metaphysische W
irklichkeiten haben, das dem Menschen fehlt. Der Hund im Haus scheint den Tod se
ines Herrchens im voraus zu wissen, selbst wenn dessen Tod in einiger Entfernung
oder unerwartet eintritt. Dieses Wissen äußert sich in melancholischen Zustände
n, die zur Nahrungsverweigerung, ja bis zum Tod des betreffenden Tieres führen k
önnen ...
In der Regel schreibt man das dem Instinkt zu, aber was nehmen die Tiere durch d
en Instinkt wahr? Sie nehmen ein Wesen wahr, das wir nicht sehen den Todesengel.
Die metaphysische Wirklichkeit, deren letzter Ausdruck Gott ist, wird durch die
Erfahrungen der Tierwelt bestätigt.
Es ließe sich noch vieles mehr im Zusammenhang mit dem Tierleben sagen.
Für Materialisten ist das Denken eine Funktion des Gehirns. Die komplizierte Str
uktur des menschlichen Gehirns soll angeblich unsere Fähigkeiten erklären. Wie k
ommt es aber, daß Bienen rechnen können? Verfügen sie über einen solchen überau
s hochqualifizierten Verstand?
Professor Dr. James Gould von der Universität Princeton berichtete 1983 auf eine
r Konferenz in den USA von einem erstaunlichen Experiment, das er mit Bienen gem
acht hatte.
Er stellte eine Schale mit Zuckersirup in einer bestimmten Entfernung zum Bienen
stall auf. Nachdem die Bienen den Sirup entdeckt hatten, rückte er die Schale um
das 1,25 fache weiter weg vom Bienenstall. Beim dritten Versuch war die Entfern
ung 1,25 mal so groß wie beim zweitenmal und so weiter, bis die Schale 900 Meter
vom Bienenstall entfernt war.
Als Professor Gould jedoch dort anlangte, erlebte er eine Überraschung: Die Bien
en waren schon vor ihm da und warteten auf den Sirup.
Die Bienen wußten, daß sich die Entfernung jedesmal um den Faktor 1,25 vergrößer
te und hatten den neuen Standort der Schale vorher angerechnet.
Als Gould gefragt wurde, ob er eine Erklärung dafür habe, antwortete er: »Nein.
Es hätte mir gefallen, wenn sie es nicht getan hätten«, dies, weil er vor einem
Rätsel stand. Tierische Fähigkeiten sind nicht erklärbar, außer wenn es einen Go
tt gibt, der für sie denkt.
An vielen Orten der Ostküste der USA werfen Möwen Austern auf den Beton von Park
s. Die Schalen zerbrechen, und sie können das Fleisch verspeisen, an das sie son
st nicht herankommen könnten. Geier in Afrika, die nicht in der Lage sind, die h
arten Schalen bestimmter Eier zu öffnen, bombardieren sie mit Felsstückchen. Den
ken sie logisch ohne einen entsprechenden Verstand und ohne Aristoteles' Denkreg
eln zu kennen? Oder gibt es einen Gott, der für alle Seine Geschöpfe sorgt?
Wale verständigen sich mit Signalen von so hoher Frequenz, daß das menschliche O
hr sie nicht wahrnehmen kann. Sie können Geräusche unterscheiden, mit denen sie
Wohlbefinden ausdrücken, den Wunsch, sich zu vergewissern, daß die Familie in de
r Nähe ist, den Wunsch, zu spielen oder zu schlafen. Es gibt ein Geräusch für Sc
hmerz infolge Krankheit und ein anderes für Geburtswehen. Sie haben ihre Liebesl
ieder, Schlummerlieder für junge Wale, Informationen über Nahrungsplätze, Komman
dos wie »vorwärts« oder »halt« sowie Trauerlieder der Todesfälle.
Einige afrikanische Affen haben für verschiedene Tiere etwas, was wir als »Namen
« bezeichnen könnten. Sie warnen ihre Freunde in verschiedenen Tonhöhen, je nach
dem, ob die Gefahr von einem Leopard, einer Schlange oder einem Greifvogel droht
. Vor Schlangen verstecken sie sich auf Baumwipfeln und vor Vögeln in dornigen S
träuchern usw. (»Welt«, 5. Juni 1983)
Das Tierleben sagt uns, daß es einen Gott gibt.
28. Der Beweis von der Stillung unserer Bedürfnisse
Für alle grundlegenden menschlichen Bedürfnisse gibt es eine Wirklichkeit, die a
ußerhalb der Reichweite des Menschen liegt. Wir werden mit Lungen geboren, und w
ir finden Luft zum Atmen. Wir kommen, von Milch abhängig, zur Welt und finden ei
ne Mutterbrust. Wir wachsen heran, und unsere Bedürfnisse ändern sich; dementspr
echend ändert sich auch die Milch in der Mutterbrust. Wir werden mit dem Verlang
en nach Nahrung geboren und treffen in der Welt, die wir bewohnen sollen, Gemüse
, Obst und Fleisch an. Wir werden mit einem Körper geboren, der krank werden kan
n, und wir finden in der Erde, in ihren Salzen, Pilzen und Kräutern, Heilmittel
für alle unsere Krankheiten. Die Wirklichkeit auf Erden entspricht somit immer u
nseren grundlegenden Bedürfnissen.
Doch der Mensch ist nicht bloß Körper. Er ist ein Organismus, der einen Vater br
aucht, der ihn beschirmt und tröstet und ihn zu sittlicher Ordnung ermutigt. Es
wäre in der Tat merkwürdig, wenn eine äußere Wirklichkeit allem anderen entsprec
hen sollte und dem nicht.
Der Wunsch, glücklich zu sein, und die Fähigkeit des Menschen, sich das vorzuste
llen, übersteigen bislang die glücklichsten Augenblicke einer begünstigten - ges
chweige denn einer elenden - Existenz so sehr, daß es unvorstellbar ist, daß es
keine äußere Wirklichkeit gibt, die dem entspricht. Wenn Verlangen Erfüllung vor
aussetzt, dann muß es das in der Vorstellung existierende Paradies tatsächlich g
eben. Und das Paradies, die erträumte Vollkommenheit, die die verborgenen Sehnsü
chte aller Menschen erfüllt, ist die Wohnung Gottes, der sie allen, die darin wo
hnen möchten, anbietet.
Und wie steht es mit Gut und Böse?
Wenn es keinen obersten Richter gibt, der Gutes belohnt und Böses bestraft, hätt
e es keinen Sinn, sittsam zu leben.
Und wenn der Glaube an diesen Richter schwindet, schwindet auch der grundlegende
Kitt der Gesellschaft. Die menschliche Gesellschaft braucht einen gerechten Got
t. Dieser Notwendigkeit entspricht auch eine äußere Wirklichkeit.

29. Der Beweis von künstlichen Satelliten


Heute sind die Menschen selbst Erbauer von »Sternen«. Ich rede von künstlichen S
atelliten. Diese sind zwar sehr winzige Planeten, doch sie haben uns experimente
ll bewiesen, daß selbst hinter den kleinsten Punkten im Weltall, die nur eine Ha
ndvoll Menschen enthalten, stets eine ungeheure Intelligenz steckt.
Unsere von Menschenhand geschaffenen »Sterne«, für die knifflige Berechnungen un
d komplizierte Geräte erforderlich sind, haben nur eine kurze Lebensdauer. Und d
och sind sie als Errungenschaften ganz außerordentlich.
Könnten sie nur durch Zufall entstanden sein?
Unsere Erde ist auch ein Satellit, der seine Milliarden von Bewohnern jedes Jahr
um die Sonne trägt. In der ganzen Geschichtsschreibung ist sie nie vom Kurs abg
ekommen oder in die feurige Umlaufbahn der Sonne geraten. Hinter unserer Erde un
d hinter den Millionen ähnlicher Satelliten und anderen Sonnen, hinter all den z
ahllosen Sternen am Himmel muß auch ein Verstand stehen, der diese Wunder ersonn
en hat, eine Person, die sie geschaffen hat und lenkt. Diese Person ist Gott.
30. Der Beweis von der automatisierten Industrie
In einem automatisierten Betrieb kann man lange umhergehen, bis man einen Ingeni
eur oder Arbeiter zu Gesicht bekommt. Die Motoren und Maschinen beeinflussen sic
h gegenseitig und stellen alle nötigen Bewegungsabläufe her. Hinter der Automati
sierung steht aber der Ingenieur, der sie erfunden und ausgeklügelt hat, und wäh
rend des Arbeitsablaufes führt der Arbeiter das Kommando.
In ähnlicher Weise scheint das materielle Universum automatisch zu funktionieren
. Doch lassen wir uns nicht täuschen: Ohne einen Konstrukteur und Lenker hätte e
s nie entstehen können. Sein Baumeister und Schöpfer ist Gott.

31. Der Beweis von erhörten Gebeten


Seit Jahrhunderten und Jahrtausenden haben unzählige Gläubige die Tatsache bezeu
gt, daß in ausweglosen Situationen gesprochene Gebete, da menschlich gesehen all
es bereits verloren zu sein schien, erhört wurden, manchmal auf bemerkenswerte W
eise.
Wenn solche Erfahrungen nicht bestätigt worden wären, wäre die Praktik des Beten
s schon längst verloren gegangen, zusammen mit vielen abergläubischen Vorstellun
gen, die mit der Zeit verschwunden sind. - Erhörtes Gebet ist ein Beweis für die
Existenz des Einen, der es hört und erhört.

32. Das Argument von der Notwendigkeit eines ewigen Geistes


Dieses Argument ist hauptsächlich von dem englischen Philosophen Bishop Berkley
herausgearbeitet worden, welcher sagt, daß das Universum nur in einem Geist exis
tieren könne. Der Geist ist der »Computer«, der die Millionen von Eindrücken ver
arbeitet, die er tagtäglich über die Sinne empfängt, und aus ihnen ein Universum
schafft. Nach gebührender Überlegung ordnet der Geist alle über die Sinne wahrg
enommenen Ereignisse in die Kategorien Ouantität, Oualität, Kausalität, Modalitä
t und Finalität ein.
Der Tastsinn sagt dem Verstand, daß er etwas Weiches fühlt; die Zunge sagt, daß
sie etwas Salziges schmeckt; das Auge erkennt etwas Gelbes. Daraus konstruiert d
er Verstand den Begriff »Käse.«
Jenseits objektiver Analysen stattet der Verstand Gegenstände mit Wertvorstellun
gen aus. Die Rose ist nur für das Auge eines das Schöne liebenden Menschen schön
. Das Universum ist somit in einem Geist konstruiert.
Wo war aber das Universum, als es den menschlichen Verstand noch nicht gab?
Da das Universum nachweisbar älter ist als der menschliche Verstand, muß es scho
n immer einen Verstand gegeben haben, der es ersonnen hat. Dieser ewige Verstand
ist Gott.

33. Der Beweis von der Existenz des Bösen


Anstatt diesen Beweis anzuführen, möchte ich berichten, wie er einen führenden K
ommunisten überzeugte.
Kommunisten hassen, verhaften, foltern und töten sich gegenseitig in Gewaltorgie
n.
In der Stalinära wurde in der Tschechoslowakei ein führender Kommunist namens Lö
b von seinen eigenen Genossen ins Gefängnis gesteckt und einer Gehirnwäsche unte
rzogen. Allein in einer Zelle mußte er Tag und Nacht anhören, wie ein Lautsprech
er zum Wahnsinn treibende Worte schmetterte: »Spion! Verräter! Konterrevolutionä
r! - Oh nein, entschuldige, lieber und treuer Genosse! - Nein, Spion! Verräter!
Nein, Genosse! - Man wird dich aufhängen! Es ist alles so verwirrend: Man wird d
ich bald wieder auf freien Fuß setzen. Deine Verhaftung ist ein Irrtum gewesen.
Roter, niederträchtiger, lieber Genosse, unschuldiges Opfer von Ungerechtigkeit
... « und so fort. Das ging wochenlang so weiter.
Da hatte er plötzlich eine Erleuchtung. Es kam ihm folgender Gedanke: »Wenn Komm
unisten Christen oder andere Feinde foltern, so hat das einen Sinn. Wir können n
icht den Sieg davontragen, wenn wir sie nicht unschädlich machen. Wenn aber Komm
unisten Kommunisten foltern, so ist das Bosheit ohne jeden Sinn; es ist Böses um
des Bösen willen.
»Ich habe jetzt die tiefsten Tiefen des Bösen erlebt. Es gibt aber keine Elektri
zität ohne zwei Pole, keine Münze ohne zwei Seiten. Wenn es eine extreme Tiefe d
es Bösen gibt, muß es auch eine extreme Höhe der Liebe geben. Diese ist Gott.«
Als er daraufhin wieder zum Verhör gerufen wurde, sagte er zum Polizeibeamten: »
Sie können den Lautsprecher jetzt abschalten. Ich habe zu Gott gefunden.«
In der Physik gibt es ein Gesetz, welches besagt, daß es für jede Aktion eine gl
eich große Gegenreaktion gibt. In diesem Sinne beweisen Exzesse des Bösen, wie A
uschwitz, der Archipel Gulag oder die Massaker in Kambodscha, Gottes Existenz.
Jedes tiefe menschliche Leid ist nicht ein begründetes atheistisches Argument, s
ondern ein Beweis dafür, daß es einen Tröster geben muß, der es entlohnt.
Viel Leid ist, direkt oder indirekt, Gottes Strafe für Sünde. Von solchem Leid a
bzuleiten, daß es keinen Gott gibt, heißt, die Zweckdienlichkeit in Abrede zu st
ellen. Man könnte ebenso gut beweisen, daß ein Kind keinen Vater hat, weil sein
Vater es züchtigt.
Aus menschlicher Sicht mag die Bestrafung für ein Vergehen unerhört hart erschei
nen. Aber Gott ist darum besorgt, seine Geschöpfe so zu formen, daß sie ewige Ve
rkörperungen von Güte und Heiligkeit sind. Für eine große Statue benötigt man Ha
mmer und Meißel sowie eine Feile und eine weiche Bürste.

34. Das Argument vom Glauben eines Menschen


Jeder sollte an der Formulierung seiner Denkweise so lange arbeiten, bis sie zur
sicheren Wahrheit wird, so wie Jesus die Wahrheit in Person war.
Sowie man in seinen Denkprozessen Fortschritte macht, schwinden innere Zweifel.
Für einen solchen Menschen ist die Tatsache, daß er an Gott glaubt, Grund genug,
die Gewißheit zu haben, daß es Gott wirklich gibt.
Wahrheit ist die Denkweise eines heiligen, Jesus ähnlichen Menschen. Sowie er me
hr und mehr wie Jesus wird, weiß er, daß sein Glaube wahrhaftig ist. Sein Leben
bestätigt seine Denkweise.
35. Das Argument von der Unmöglichkeit das Gegenteil zu beweisen
Niemand wird jemals in der Lage sein, die Vernünftigkeit des Atheismus zu beweis
en, der damit beginnt, daß er die Existenz eines bestimmten Forschungsobjektes,
nämlich Gott, bestreitet.
Wenn man ein Zimmer gründlich nach einem Gegenstand durchsucht und diesen nicht
findet, ist das noch kein Beweis, daß er nicht existieren würde, sondern nur, da
ß die Suche bislang erfolglos verlaufen ist: Der Gegenstand ist vielleicht gut v
ersteckt oder der Suchende vielleicht blind.
Wenn ein Suchender schon in einem Zimmer erfolglos sein kann, um wieviel mehr er
st im Universum? Wer wird je in der Lage sein, die enormen Ausdehnungen des unen
dlichen Universums auszuloten, um feststellen zu können, daß das Objekt »Gott« n
icht existiert?
Unseren Sinnen, unserer Intuition, unseren rationalen Überlegungen sind Grenzen
gesetzt. Wie kann man selbstsicher die Existenz einer Wesenheit in Abrede stelle
n, die vielleicht unser Wahrnehmungsvermögen, unsere »Antenne« übersteigt?
Selbst wenn keine einzige Person jemals die Existenz Gottes erfahren hätte, würd
e diese noch immer nicht Seine Nichtexistenz beweisen.
Jede Sekunde gehen 1.000.000.000.000.000 Neutri nos - Elementarteilchen ohne ele
ktrische Ladung und mit wenig oder gar keiner Masse, von der Sonne ausgestrahlt
- durch jeden menschlichen Körper. Dieses alarmierende Stück Information war bis
vor kurzem unbekannt. Noch jetzt ist nicht einmal einer von tausend oder vielle
icht gar einer Million sich dessen bewußt.
Wesenheiten können ohne unser Wissen existieren. Schlüsselblumen wuchsen auf Ber
ggipfeln, lange bevor Menschen sie entdeckten.
Bis vor ein paar Jahren wußte niemand etwas von Neuropeptiden - einer kurzen Ket
te von Aminosäuren, die im Nervensystem aktiv sind -, die unser Verhalten zum Tr
inken und den Sexualtrieb beeinflussen können. Und doch waren sie ohne unser Wis
sen beziehungsweise unsere Zustimmung vorhanden.
Heute würde ein Buch, das die Nichtexistenz von Neutrinos und Schlüsselblumen be
weisen wollte, in der Tat sehr töricht erscheinen. Und ein an-europeptidisches D
enksystem wäre nicht weniger unsinnig.
Wenn alles gesagt und getan ist, hat niemand einen unüberwindlichen Grund zu gla
uben, daß Gott nicht existiere. In der Tat gibt es zahlreiche Beweise für Seine
Existenz (von denen wir hier lediglich ein paar erwähnt haben), aber keinen einz
igen für Seine Nichtexistenz. Ob Atheisten es zugeben mögen oder nicht, sie müss
en es ohne Beweis annehmen, daß Gott nicht existiert.
Erzbischof Fulton Sheen hat einmal scharfsinnig bemerkt: »Gott ist die offensich
tlichste Tatsache menschlicher Erfahrung. Wenn wir uns Seiner nicht bewußt sind,
dann weil wir zu kompliziert sind oder unsere Nase stolz in die Höhe recken. Se
ht her! Er ist zu unseren Füßen.«
Man muß einen starken Glauben an viel Ungereimtem haben, um Atheist zu sein.
*
Stalin erklärte einmal in einem Interview, das er einer finnischen Zeitschrift g
ab, den Gedankengang, der ihn dazu geführt habe, gottlos zu werden: »Wenn es Got
t gibt, muß Er die Sklaverei, den Feudalismus und den Kapitalismus eingesetzt ha
ben. Er muß den Wunsch haben, daß die Menschheit leidet, wie die Mönche mir imme
r sagten ... Dann aber würde es keine Hoffnung für die sich abplackenden Massen
geben, sich von ihren Unterdrückern zu befreien.«
Wo bleibt hier die Logik? Beweist die Tatsache, daß Stalin einige Gesellschaftso
rdnungen mißfielen, von denen Mönche sagten, sie seien von Gott eingesetzt, daß
Gott nicht existiert?
Es wäre logischer gewesen, zu sagen: »Ich will mich diesem ungerechten Gott entg
egenstellen«, oder »ich finde vielleicht einen anderen Urheber der Leiden der Me
nschheit als Gott.« (Stalin wurde später der berüchtigste Leidensstifter in der
Geschichte des Menschengeschlechts).
Zu sagen: »Gott existiert nicht«, weil ich den Feudalismus oder den Kapitalismus
nicht mag, ist eindeutig absurd.
Louis Blanc, einer der bedeutendsten Führer des Sozialismus, soll einmal gesagt
haben: »Als ich ein Baby war, rebellierte ich gegen meine Kinderschwester. Als i
ch ein Kind war, rebellierte ich gegen meine Lehrer und gegen meine Eltern. Als
ich ein Mann war, rebellierte ich gegen die Regierung. Wenn ich sterbe, und es g
ibt einen Himmel und ich dorthin komme, werde ich gegen Gott rebellieren.«
Der Atheismus ist daher nicht so sehr Ausdruck einer Philosophie, als vielmehr e
ines rebellischen Charakters. Worin besteht sein Nutzen?
Sechzig Prozent der Weltbevölkerung sind noch immer Analphabeten. Es gibt ganze
Stämme, die noch immer in der Steinzeit leben, so in Neuguinea, im tiefen Dschun
gel von Ecuador oder auf den Philippinen.
Männer, die an Gott glauben, sind zu diesen Stämmen gegangen, um die Eingeborene
n von ihrer Unwissenheit und Verwahrlosung zu befreien und sie zu erziehen. Das
ist nur möglich, wenn man ihnen die Botschaft Gottes bringt.
Ist es vorstellbar, daß man zu Eingeborenen und Kannibalen, die noch in der Stei
nzeit leben, geht und ihnen sagt, daß es keinen Gott gäbe und sie deshalb ihr Le
ben neu gestalten und als edle Menschen leben müßten?
Man sagt, ein kommunistischer Agitator habe es sich auf den Neuen Hebriden zur A
ufgabe gemacht, den Eingeborenen zu erklären, daß es keinen Gott gäbe. Nachdem s
ie ihm aufmerksam zugehört hatten, sagten sie: »Geh nach Hause und danke Gott, a
n den du nicht glaubst, daß du nicht als erster hierher gekommen bist. Vor dir i
st ein Missionar dagewesen, der uns von Gott erzählt und aus Kannibalen zivilisi
erte Menschen gemacht hat! Wenn er nicht vor dir gekommen wäre, hätten wir dich
aufgefressen.«
*
Die Geschichte beweist, daß es noch nie so grausame Regime gegeben hat wie die v
on Atheisten gelenkten. Es hat viel Barbarei auf der Welt gegeben, aber die größ
ten Grausamkeiten sind von den sowjetischen Herrschern Lenin und Stalin begangen
worden, gefolgt von Chruschtschow und Breschnew, ganz zu schweigen von den raff
inierten Greueltaten MaoTsetungs und Pol-Pots.
In der ganzen kommunistischen Welt findet man keine einzige private Wohltätigkei
tsinstitution.
Ein herzloser Staat mag sich zwar um die Kranken, Alten und Waisen kümmern, aber
ein von Liebe geleitetes Krankenhaus ist etwas ganz anderes als ein Krankenhau
s, das vom Staat als Geschäft betrieben wird.
In einer portugiesischen Kolonie stellte man fest, daß die örtliche Bevölkerung
das entfernte Missionskrankenhaus im Vergleich zum staatlichen Krankenhaus bevor
zugt aufsuchte. Eines Tages fragte eine Ordensschwester: »Warum geht ihr nicht i
ns staatliche Krankenhaus? Dort gibt es doch dieselben Medikamente wie bei uns.«
Die Antwort lautete: »Die Arzneien sind dieselben, aber die Hände sind nicht di
eselben.«
Der Atheismus kennt die Meditation nicht. Wenn ich über Gott und Sein Wort medit
iere, werde ich stark und von Freude erfüllt, da ich weiß, daß ich einen Erlöser
habe, einen Vater, der an mich denkt. Atheisten müssen jedoch die Meditation üb
er die letzte Wahrheit meiden.
Pascal schrieb: »>Es gibt keinen Gott.< Ist das etwas, was man gerne sagt? Ist e
s nicht eher etwas, was man mit Tränen in den Augen als das Traurigste auf der W
elt sagt?«
*
Atheisten haben in Augenblicken der Verzweiflung keinen Tröster. Ein allzu kurze
s irdisches Leben, das in der Angst zugebracht wird, man könnte ohne jegliches M
otiv aus Laune eines grausamen Diktators verhaftet werden, kann wenig Muße bezie
hungsweise Zufriedenheit schenken.
Der Autor dieses Buches hat jahrelang in einer Einzelhaftzelle gesessen. Die sch
limmste Folter der Einzelhaft ist die extreme Langeweile. Für einen Menschen ohn
e Christus ist sie unerträglich. Aber ich kann mir nichts Langweiligeres vorstel
len als den Atheismus, der sagt: »Die Welt ist ein leerer Raum. Ich habe niemand
en, weder hier noch danach, weil es kein Da nach gibt. Ich bin allein. Ich habe
keinen Freund hier und auch keinen im Himmel, weil es keinen Himmel gibt. Es ist
niemand da, der mich versteht, niemand, der mich liebt. Eines Tages werde ich s
terben und für immer verschwinden und niemand wird sich darum scheren. Meine Geb
urt war ein Zufall. Mein Tod hat keine Bedeutung. Und ich bin allein.«
Der Atheismus ist Langeweile quälendster Art. Sein Kind ist Verzweiflung, seine
Enkel Trunksucht und Selbstmord.
Während der heilige Johannes in einer Vision die himmlische Stadt Jerusalem mit
einem Fluß sah, der Wasser des Lebens mit sich führte, beschreibt der bekannte a
theistische Dichter James Thompson die Stadt des Atheismus mit folgenden düstere
n Worten:
»Der gewaltige Fluß fließt dunkel und tief bei Ebbe und Flut von den entlegenen
Gezeiten. Sein Name klingt durch der Stadt schlaflosen Schlaf, der Fluß der Selb
stmorde.«
Ein aufrichtiger Atheist, Dr. E. Wengraf, gestand einmal im Neuen Wiener Journal
: »Jedes Stück antireligiöser Propaganda kommt mir wie ein Verbrechen vor. Zwar
möchte ich nicht, daß es als ein Verbrechen geahndet wird, aber ich halte es für
unmoralisch und widerlich; nicht aus Begeisterung für meine Überzeugung, sonder
n aufgrund des durch eine lange Lebenserfahrung erworbenen simplen Wissens, daß
unter denselben Bedingungen ein religiöser Mensch glücklicher ist als ein arelig
iöser.
»In meiner Gleichgültigkeit und skeptischen Einstellung gegenüber jeglichem posi
tiven Glauben habe ich oft andere Menschen beneidet, denen tiefe Religiosität ei
ne starke Hilfe in all den Stürmen des Lebens war. Die Seelen solcher Menschen z
u entwurzeln ist eine verachtenswerte Tat. Ich verabscheue jegliches Bekehrertum
. Und doch kann ich verstehen, warum jemand, der fest an einen rettenden Glauben
glaubt, andere zu bekehren versucht. Aber Propaganda für den Unglauben kann ich
nicht verstehen. Wir haben nicht das Recht, jemandem seinen schützenden Untersc
hlupf wegzunehmen, und sei es auch eine noch so schäbige Hütte, wenn wir nicht s
icher sind, daß wir ihm ein besseres, schöneres Haus anbieten können. Doch Mensc
hen aus der angestammten Heimat ihrer Seelen zu locken und sie dann in der Wildn
is von Hypothesen und philosophischen Fragezeichen umherirren zu lassen, ist ent
weder krimineller Fatalismus oder kriminelle Rücksichtslosigkeit.«
*
Das eine oder andere Argument für die Existenz Gottes kann zwar isoliert gesehen
in Frage gestellt werden, doch die gemeinsame Kraft der zwingendsten Argumente
ist wie das aus vielen Fasern bestehende Tau, das eine Brücke hält.
Andererseits verfügt der Atheismus, obgleich er viele Fragen haben mag, über kei
nerlei Argumente.
Die Argumente für die Existenz Gottes mögen dich vielleicht nicht ganz überzeugt
haben, doch wisse, daß es gar keine Argumente für den Atheismus gibt. Auf welch
e Seite stellst du dich? Wie wird es sein, wenn es Gott doch gibt, und du dein L
eben, fern von Ihm, verlierst?
Der französische Philosoph Holbach, der sich »der persönliche Feind Gottes« nann
te, stellte Seine Existenz in Abrede, indem er sagte, daß nur die Natur wirklich
sei. Er beschreibt die Natur als nicht geschaffen, aber alles erschaffend, als
ewig, und unendlich, Weisheit, Schönheit, Organisation, Geist, Plan und Ordnung
enthaltend.
Armer Tor! Er hat Gott lediglich einen anderen Namen gegeben - Natur-, während e
r gleichzeitig an alle Seine Eigenschaften glaubte.
Die Beweise für die Existenz Gottes mögen diskutabel sein, nicht aber diejenigen
für Seine Nichtexistenz. Solche gibt es überhaupt nicht.
Mehr noch, die Nichtexistenz Gottes ist undenkbar. Wie wäre die Menschheit ohne
einen Gott auf diesen Gedanken gekommen, der ihren Sinneswahrnehmungen so fremd
ist? Selbst Science-fiction-Schriftsteller und Filmemacher scheinen trotz all ih
rer schöpferischen Freiheit nicht in der Lage zu sein, sich Geschöpfe anderer Or
dnung vorzustellen: Ihre außerirdischen Wesen haben stets Augen, Ohren und Mund.
Wer hätte sich den Gott der Hebräer und Christen ausdenken können, wenn Er sich
nicht offenbart hätte?
Glaube an den Einen, nach dem sich dein Inneres so sehr sehnt, wenn du ehrlich m
it dir selbst bist. Er heißt Gott.
Uns fehlt die Antwort auf die wichtigste Frage: Was soll ich mit meinem Leben an
fangen? Goethe hat gesagt: »Ein nutzloses Leben ist ein früher Tod.«
*
An dieser Stelle möchte ich nicht bestreiten, daß viele Fragen unbeantwortet ble
iben, auch wenn all die Argumente für Gottes Existenz akzeptiert werden. Wenn de
m nicht so wäre, könnten die Seelen großer Gläubiger nicht von Stürmen des Zweif
els heimgesucht werden, wie das manchmal vorkommt.
Laß mich dir das schlagkräftigste Argument gegen den Glauben an einen guten und
allmächtigen Gott sagen. Es ist die Existenz menschlichen Leidens. Manches davon
läßt sich als menschlichen Ursprungs erklären, aber wie steht es mit Erdbeben u
nd sonstigen »Taten Gottes« genannten Katastrophen? Wie steht es mit Kindern, di
e mit schweren Behinderungen zur Welt kommen, die nur ein paar tragische Tage, W
ochen oder Jahre zu leben haben und sonst nichts? Können wir Gott dahinter vertu
schen?
Meine Antwort: Ein Mensch, dem ein Finger oder ein Bein amputiert werden mußte,
kann an »Phantomschmerzen« leiden, die oft sehr stark sind. Er spürt Schmerzen i
n dem Glied, das nicht mehr zu seinem Körper gehört. Ein Mensch kann an einer im
aginären Krankheit sterben, was bedeutet, daß selbst die eingebildete Krankheit
äußerst real ist.
Wie, wenn das ganze Leiden illusorisch, traumhaft wäre?
Viele innere Organe haben keine Nerven, um Schmerz zu übermitteln, so die Lungen
, die Leber und das aus dreizehn Milliarden Zellen bestehende Aggregat namens Ge
hirn. Außergewöhnliche Menschen empfinden manchmal gar keine Schmerzen. Es gibt
eine Art von geistlicher Anästhesie. Manche Heilige schienen keine Schmerzen zu
spüren, als sie auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden.
Es hat auch in meinem eigenen Leben Zeiten gegeben, da ich, nachdem man mich dab
ei ertappt hatte, wie ich in einer kommunistischen Gefängniszelle predigte, übel
verprügelt wurde und absolut nichts spürte.
Während mich die Wachsoldaten schlugen, dachte ich darüber nach, wie ich meine P
redigt beenden sollte. Als man mich wieder in die Zelle zurückbrachte, fuhr ich
ruhig mit meiner Ansprache fort.
Pascal löste schwierige mathematische Probleme, als er von Zahnschmerzen geplagt
wurde. Die meisten Frauen stehen Geburtswehen recht gut durch. Der Schmerz ist
nicht eine notwendige und objektive Tatsache des Lebens. Heute weiß man, daß das
menschliche Gehirn Endorphine produziert, die wie ein Betäubungsmittel wirken.
Schmerz entspringt manchmal einer falschen Lebenseinstellung des Menschen, der,
von Gott abgefallen, sich zum Richter über die Wirklichkeit aufschwingt und Erei
gnisse in Gut und Böse einstuft.
Wir sind nicht Richter, sondern Teil der Wirklichkeit, und das Gotteskind nimmt
die ganze Wirklichkeit - Erdbeben und Zahnweh - mit Gleichmut an.
Gott ist eins, und die Wirklichkeit ist eins. Ein geheiligter Geist teilt sie ni
cht in angenehme und unangenehme Dinge. Im Maße, in welchem wir im Glauben Fort
schritte machen, werden wir aufnahmebereiter und weniger kritisch, und wir klage
n weniger.
Bist du als Kind einmal auf einem kleinen Stuhl gesessen und hast zu der Sticker
eiarbeit deiner Mutter hochgesehen? Von deinem Standpunkt aus war es ein Durchei
nander von bunten Zickzacklinien und ein Gewirr von Fäden. die keinen Sinn ergab
en. Da drehte deine Mutter, die deine Verwirrung bemerkte, die Stickerei um und
zeigte dir die rechte Seite, und du hast es verstanden.
So kann letztendlich nichts Unglückliches im Leben des Gläubigen geschehen, der
weiß, daß Gott unser Leben kontrolliert. Wenn wir uns zu himmlischen Orten empor
schwingen, können wir von oben heruntersehen und erkennen, daß unsere vergänglic
hen Leiden nur eine Ansammlung von Perlen und Juwelen sind, die unser Leben für
die Ewigkeit schmücken.
Ich gebe zu, es steckt etwas Sinnwidriges in unserem Glauben an Gott, selbst nac
hdem ich all die Argumente, Offenbarungen und Erklärungen angeführt habe. Aber n
och sinnwidriger ist es, nicht an Ihn zu glauben und statt dessen anzunehmen, da
ß die sowohl im Atom als auch im Kosmos zutage tretende Ordnung ohne das Dazutun
eines Schöpfers entstanden sei. Es ist absurd zu glauben, daß es nichts gäbe, w
as religiöse Nöte stille, wenn es Nahrung gibt, um körperlichen Hunger zu stille
n. Noch absurder ist es, zu glauben, daß sich alle Heiligen und die größten Wiss
enschaftler geirrt hätten, als sie ihr Vertrauen in Gott setzten und, in einigen
Fällen, sogar um dieses Glaubens willen starben.
Leben bedeutet, Mühsal zu ertragen. Es gibt auch Mühsal im Glauben. Doch wenn ma
n zwischen den beiden Extremen - Glaube an Gott und Glaube an den Atheismus - zu
wählen hat, ist es sicher weiser, sich für das erstere zu entscheiden.
Wir Gläubige erkennen, daß unser »Wissen bruchstückhaft ist«, daß wir »schemenha
ft durch ein Glas sehen«, in trübem Licht handeln. Aber es ist besser, ein Glas
halb voll zu sehen als halb leer. Der Eine, der das Glas halb voll gefüllt hat,
kann es bis zum Rand füllen, ja noch mehr, so daß »mein Kelch überläuft.«
Die Argumente, die wir für die Existenz Gottes anführen, machen lediglich den Gl
aubenssprung in Dingen, die wir nicht begreifen, vernünftiger.
Weder der Verstand des Gläubigen noch der des Ungläubigen kann alle Fragen lösen
, aber wir können einige davon einklammern.
Die Vielzahl von Argumenten, die die Existenz Gottes untermauern, bestätigen aus
nahmslos, daß Er ist. Für manche ist die Existenz Gottes, obgleich gut argumenti
ert, eine Wirklichkeit, die mit einer anderen Wirklichkeit, dem Leiden, nicht ha
rmoniert. Wenn wir jedoch die Existenz eines weisen und liebenden Wesens, des Sc
höpfers des Universums, anerkennen, so hat diese Wirklichkeit mit Sicherheit Vor
rang vor einem bestimmten Aspekt der Wirklichkeit, nämlich daß es auf einem klei
nen Fleckchen des Universums, nämlich unserer Erde, Leiden gibt.
Da dieser Widerspruch aber existiert, entscheide ich mich dafür, ihn in meinem V
erstand einzuklammern.
Nicht alles muß gelöst sein, ehe ich gläubig werde. Eine Frage einzuklammern bed
eutet nicht, vor ihr davonzulaufen. Die Zeit selbst klärt oftmals Dinge, die man
heute nicht versteht.
Niemand begreift den gesamten christlichen Glauben sofort. Wir kennen ihn nur br
uchstückhaft, doch der Anteil, den wir kennen, wird mit der Zeit immer größer.
Ich selbst hatte große Schwierigkeiten mit dem Problem des Leidens, aber ich lie
ß nicht zu, daß es mich verwirrte.
Max Planck, der Begründer der Quantentheorie, hat gesagt: »Sowohl die Religion a
ls auch die Naturwissenschaft benötigen den Glauben an Gott. Für die eine kommt
Gott am Anfang, für die andere am Ende allen Denkens.«
Während ich, ungeachtet der Frage des Leidens glaubte, kam mir eines Tages folge
nde Erleuchtung:
Es gibt zwei Arten von Liebe: Liebe wegen des Guten und Schönen an einem Mensche
n und Liebe trotz all dem, was dieser Mensch tut, um uns zu verwirren und zu ver
letzen. Offensichtlich ist die »Liebe trotz etwas« höherstehend. Sie ist das hoc
hkarätigste Juwel, das man im Universum findet. Gott liebt uns trotz unserer Sün
den. Jesus liebte Seine Folterer ungeachtet dessen, was sie Ihm antaten.
Wir können Gott nicht nur wegen der herrlichen Dinge, die uns am Universum faszi
nieren, lieben, sondern auch trotz des Leidens, dem wir begegnen. Ohne Schmerz a
uf dieser Welt könnte es die höchste Form der Liebe nicht geben. Diese Liebe ist
ihren Preis wert.
Ich habe keinen Grund, wegen des Leidens Gott zu entsagen.
Es heißt, daß der Zweck nicht die Mittel heilige. Was sonst könnte die Mittel he
iligen, wenn nicht ein schöner Zweck? Das Zutagetreten der höchsten Form der Lie
be rechtfertigt das viele Leiden.
Ohne Gott ist das Leben ein großes Fragezeichen ohne Antwort. Ohne Gott ist das
Leben wie ein vom Wind umhergetriebener Vogel oder wie ein tiefer See, der abwec
hselnd stürmisch und ruhig, geheimnisvoll und unergründlich ist. Ohne Gott ist d
as Leben nur eine Wolke, die von einem Ende zum anderen treibt, bis sie sich auf
löst und verschwindet, ohne ein Zeugnis ihrer Existenz zurückzulassen.
Nur mit Gott wird das Leben wirklich zum Leben.
Suche daher Gott!

Auszüge aus dem Buch ATHEISMUS EIN WEG ? Die Hervorhebungen sind von mir. Horst
Koch, Herborn, im September 2007
--

Richard Wurmbrand

Gefoltert für Christus

Ein Bericht vom Leiden und Bekennen der Unterdrücktenkirche in Ländern hinter de
m Eisernen Vorhang

Inhaltsverzeichnis
Warum ich dieses Buch schreibe

1. Kapitel
Ein Atheist findet zu Christus
Mein Dienst an den Russen
Die Sprache der Liebe und die Sprache der Verführung klingen gleich
Die Russen - ein Volk mit dürstenden Seelen
Unser verborgener Dienst für ein geknechtetes Volk
Wie die Kirche aus dem Untergrund in die Öffentlichkeit hineinwirkte
2. Kapitel
Unsagbare Folterungen
Wie Gehirnwäsche aussieht
Kurze Freiheit - neue Verhaftung
Ein Abkommen: wir predigten - sie schlugen
Was mit meiner Frau und meinem Sohn geschah
3. Kapitel
Warum ich das kommunistische Rumänien verließ
4. Kapitel
Voller Freude - auch im Gefängnis
Wie wir den Kommunismus geistig überwinden können
Nichts aus der Geschichte gelernt
Was ich vorfand, als ich freigelassen wurde
Warum ich im Westen leide
Die Verfolgung der Untergrundkirche nimmt zu
5. Kapitel
Meine Botschaft an Euch von der Untergrundkirche
Wie freie Christen helfen können
Die Tragödie der Familien verfolgter Christen

Über den Verfasser


Pfarrer Richard Wurmbrand ist ein evangelischer Pfarrer, der vierzehn Jahre komm
unistischer Haft und Folter in seiner Heimat Rumänien durchgemacht hat. Er ist e
iner der weithin bekannten führenden Christen Rumäniens, sowohl als Schriftstell
er wie auch als geistlicher Erzieher. Kaum ein Name ist in seiner Heimat so beka
nnt. Als die Kommunisten 1945 Rumänien besetzten und sich anschickten, die Kirch
en ihren Zwecken zu unterwerfen, rief Richard Wurmbrand gleichzeitig eine selbst
ändige, im Untergrund arbeitende Gemeinde ins Leben, die nicht nur seinem unterd
rückten Volk diente, sondern auch den einmarschierenden russischen Soldaten.
Er wurde schließlich 1948 zusammen mit seiner Frau Sabine eingekerkert. Seine Fr
au hatte drei Jahre lang Zwangsarbeit zu verrichten. Richard Wurmbrand dagegen w
urde drei Jahre in Einzelhaft gehalten und bekam niemand zu Gesicht als seine ko
mmunistischen Peiniger. Nach diesen drei Jahren wurde er in eine Gemeinschaftsze
lle verlegt, wo sich seine Qualen weitere fünf Jahre fortsetzten. Dank seinem in
ternationalen Ansehen als einer führenden christlichen Persönlichkeit erkundigte
n sich Vertreter ausländischer Gesandtschaften bei der kommunistischen Regierung
nach seinem Ergehen. Man erzählte ihnen, er sei aus Rumänien geflohen. Geheimpo
lizisten, die sich als entlassene Mitgefangene ausgaben, berichteten seiner Frau
, sie hätten seiner Beerdigung auf dem Gefängnisfriedhof beigewohnt. Seiner Verw
andtschaft in Rumänien und seinen Freunden im Ausland wurde mitgeteilt, ein Nach
forschen erübrige sich, da er tot sei.
Nach acht Jahren wurde er aus dem Gefängnis entlassen und nahm unverzüglich sein
en Dienst in der Untergrundkirche" wieder auf. Zwei Jahre später, 1950, wurde er
wieder verhaftet und zu fünfundzwanzig Jahren Gefängnis verurteilt. Auf Grund ei
ner allgemeinen Amnestie wurde er 1964 begnadigt, und wiederum setzte er seine A
rbeit in der unterdrückten Kirche fort. In Anbetracht der großen Gefahr einer dr
itten Verhaftung nahmen Christen in Norwegen Verbindung mit den kommunistischen
Behörden wegen seiner Ausreise aus Rumänien auf. Sie bezahlten den von der Regie
rung geforderten Preis und ermöglichten so die Ausreise Wurmbrands in den Westen
.

Einführung
Warum ich dieses Buch schreibe
Ich habe jedem in Freiheit lebenden Christen eine Botschaft zu bringen von der U
nterdrücktenkirche hinter dem Eisernen Vorhang. Die Unterdrücktenkirche, die ich
viele Jahre leitete, hat beschlossen, dass ich alles versuchen sollte, um in di
e Freiheit zu gelangen und Euch eine dringende Botschaft zu übermitteln. Durch e
in Wunder, dessen Einmaligkeit Ihr aus dem Folgenden ersehen werdet, blieb ich a
m Leben und gelangte tatsächlich in die freie Welt. In diesem Buch entledige ich
mich nun der Botschaft, die mir aufgetragen worden ist von der glaubenden, leid
enden Kirche in der Unterdrückung der kommunistischen Länder. Damit Ihr aber auc
h in die Lage versetzt werdet, diesen Hilferuf aus der Unterdrücktenkirche ersch
öpfend und genau zu prüfen, möchte ich zuerst davon Zeugnis ablegen und Euch von
der Arbeit dieser Kirche berichten.

1. Kapitel Ein Atheist findet zu Christus


Ich wurde in einer Familie aufgezogen, in der keine Religion anerkannt wurde. Wä
hrend meiner ganzen Kindheit erhielt ich keinerlei religiöse Unterweisung, und m
it vierzehn Jahren war ich schon ein überzeugter, verhärteter Atheist. Das war v
or allem das Ergebnis einer bitteren Kindheit.
Von meinen ersten Lebensjahren an war ich Waise, und ich habe in den schweren Ja
hren des Ersten Weltkriegs Armut kennen gelernt. So war ich schon mit jungen Jah
ren ein so überzeugter Gottesleugner, wie es die Kommunisten heute sind. Ich hat
te atheistische Bücher gelesen, und es ging mir nicht einfach darum, dass ich ni
cht an Gott oder Christus glaubte - nein, ich haßte geradezu diese Vorstellung u
nd betrachtete sie als schädlich für den menschlichen Geist. Deshalb wuchs ich i
n bitterer Feindschaft gegen die Religion auf.
Dennoch wurde mir, wie ich es später erfassen durfte, die Gnade zuteil, einer de
r von Gott Erwählten zu sein - aus Gründen, die ich mit der Vernunft nicht begre
ife. Es waren Gründe, die mit meinem Charakter nicht das Geringste zu tun hatten
, weil mein Charakter sehr schlecht war.
Obgleich ich Atheist war, zog mich ständig etwas Unerklärliches in die Kirchen.
Es fiel mir schwer, an einer Kirche vorbei zukommen und nicht hineinzugehen. Jed
och verstand ich dann nie, was in diesen Kirchen vor sich ging. Ich lauschte den
Predigten, aber sie drangen nicht zu meinem Herzen. Ich war mir ganz sicher, da
ss es einen Gott nicht gab.
Ich haßte die Vorstellung von Gott als einem Herrn, dem ich zu gehorchen hätte.
Aber ich hätte gar zu gern gewußt, ob irgendwo im Zentrum dieses Weltalls ein li
ebendes Herz existierte. Ich hatte nur wenig Freude in meiner Kindheit und Jugen
d erfahren. Deshalb sehnte ich mich danach, dass irgendwo ein liebendes Herz auc
h für mich schlagen möchte. Zwar sagte mir mein Wissen, dass es Gott nicht gab,
aber ich war traurig, dass solch ein Gott der Liebe nicht existierte.
In meinem inneren geistigen Zwiespalt ging ich damals in eine katholische Kirche
; ich sah dort Leute knien und irgendetwas sagen. Ich faßte den Gedanken, ich wi
ll einfach neben ihnen knien, will aufnehmen, was sie sagen, will die Gebete nac
hsprechen und sehen, ob etwas geschieht. Sie sprachen gerade ein Gebet zur Heili
gen Jungfrau: Gegrüßt seist du, Maria, reich an Gnaden." Ich wiederholte nach ihn
en die Worte immer wieder, ich blickte nach dem Standbild der Jungfrau Maria, ab
er nichts ereignete sich. Ich war sehr traurig darüber. Und eines Tages ertappte
ich mich beim Beten zu Gott - obwohl ich ein überzeugter Atheist war. Mein Gebe
t war etwa wie das folgende:
Gott, ich weiß genau, dass du nicht existierst. Aber wenn du vielleicht doch exis
tierst, was ich bestreite, dann ist es nicht meine Pflicht, an dich zu glauben;
es ist vielmehr deine Pflicht, dich mir zu offenbaren."
Ich war noch ein Atheist, aber der Atheismus gab meinem Herzen keinen Frieden. Z
u dieser Zeit meiner inneren Zerrissenheit betete -- wie ich später herausfand -
in einem Dorf hoch in den Bergen Rumäniens ein alter Schreiner zu Gott: Mein Got
t, ich habe dir auf Erden gedient und möchte gern noch in dieser Welt wie auch s
päter im Himmel meinen Lohn haben. Und mein Lohn soll sein, dass ich nicht eher
sterbe, bis ich einen Juden zu Christus gebracht habe, weil Jesus vom jüdischen
Volke kam. Aber ich bin arm, alt und krank. Ich kann nicht mehr umhergehen und e
inen Juden suchen. In meinem Dorfe sind keine. Bringe du einen Juden in mein Dor
f, und ich will mein Bestes tun, ihn zu Christus zu führen."
Irgendetwas Unwiderstehliches zog mich zu jenem Dorf. Ich hatte dort nichts zu s
uchen. Rumänien hat über 12000 Dörfer. Aber ich ging ausgerechnet in jenes Dorf.
Als der Schreiner sah, dass ich ein Jude war, warb er um mich, wie wohl noch ni
e einer um ein schönes Mädchen geworben hat. Er sah in mir die Antwort auf sein
Gebet, und er gab mir die Bibel zu lesen. Ich hatte auch vorher schon die Bibel
öfter gelesen, weil es zur Allgemeinbildung gehörte. Aber die Bibel, die er mir
gab, war eine Bibel von anderer Art. Wie er mir später erzählte, hatte er oft st
undenlang mit seiner Frau für meine und meiner Frau Bekehrung zu Gott gebetet. S
o war die Bibel, die er mir damals gab, eigentlich nicht in Buchstaben geschrieb
en, sondern in Flammenzeichen der Liebe, die seine Gebete entzündet hatten.
Ich konnte sie nur mit Mühe lesen. Denn ich konnte nur darüber weinen, wenn ich
mein schlechtes Leben mit dem Leben Jesu verglich, meine Unreinheit mit seiner R
einheit, meinen Hass mit seiner Liebe. Und er nahm mich an, damit auch ich zu de
n Seinen gehörte.
Bald nach mir wurde auch meine Frau zu Gott bekehrt. Sie brachte noch andere Men
schen zu Christus, und diese anderen brachten wieder andere zu Christus, und so
entstand eine neue evangelische Gemeinde in Rumänien. Dann kam die Nazizeit. Wir
hatten viel zu leiden. In Rumänien nahm der Nationalsozialismus die Form einer
Diktatur extrem griechisch-orthodoxer Elemente an, die protestantische Gruppen e
benso wie die Juden verfolgten. Längst vor meiner eigentlichen Ordination und be
vor ich überhaupt für mein geistliches Amt ausgebildet wurde, war ich in Wirklic
hkeit schon der Leiter dieser Kirche, da ich ihr Gründer war. Ich trug die Veran
twortung für sie.
Meine Frau und ich wurden mehrmals verhaftet, geschlagen und vor Nazirichter gez
errt. Der Naziterror war schlimm, aber nur ein Vorgeschmack von dem, der unter d
en Kommunisten kommen sollte. Meinem Sohn Mihai mußten wir einen nichtjüdischen
Namen geben, um ihn vor dem Tod zu bewahren. Aber diese Zeit unter dem Naziregim
e barg auch einen großen Gewinn. Sie lehrte uns, dass körperliche Mißhandlungen
zu ertragen waren, dass die geistige Kraft des Menschen mit Gottes Hilfe selbst
fürchterliche Qualen überstehen kann. Sie lehrte uns auch die Methode verborgene
r Gemeindearbeit, was eine Vorbereitung war auf eine weit schlimmere Prüfung, di
e über uns kommen sollte - eine Feuerprobe, die uns unmittelbar bevorstand.

Mein Dienst an den Russen


Weil ich es tief bereute, dass ich ein Atheist gewesen war, wünschte ich nichts
sehnlicher vom ersten Tag meiner Hinkehr zu Gott, als den Russen ein Zeuge Jesu
zu sein. Die Russen sind heute ein Volk, dessen Menschen von Kindheit an im Athe
ismus erzogen werden. Mein Wunsch, gerade Russen für das Evangelium zu gewinnen,
ist erfüllt worden. Seine Verwirklichung hatte schon zur Zeit der nationalsozia
listischen Besatzung angefangen, denn wir hatten in Rumänien viele Tausende krie
gsgefangener Russen, und wir konnten missionarische Arbeit unter ihnen tun. Es w
ar eine bewegende, erschütternde Arbeit. Meine erste Begegnung mit einem russisc
hen Kriegsgefangenen werde ich nie vergessen. Er erzählte mir, er sei Ingenieur.
Ich fragte ihn, ob er an Gott glaube. Hätte er nein" gesagt, wäre ich nicht einm
al erstaunt gewesen. Es steht jedem frei, zu glauben oder nicht zu glauben. Aber
als ich ihn fragte, ob er an Gott glaube, blickte er verständnislos zu mir auf
und sagte: Ich habe keinen solchen militärischen Befehl zu glauben. Wenn ich eine
n Befehl bekomme, werde ich glauben." Tränen rannen mir über die Wangen. Ich füh
lte geradezu mein Herz in Stücke gerissen. Hier stand ein Mann vor mir, dessen G
eist tot war, ein Mensch, der die größte Gabe, die Gott der Menschheit gegeben h
at, verloren hatte: ein Individuum, eine unverwechselbare Person zu sein. Er war
ein willenloses Werkzeug in den Händen der Kommunisten, bereit, auf Befehl zu g
lauben oder nicht. Von sich aus konnte er nicht mehr entscheiden. Das war ein ty
pischer Russe, geprägt von all den Jahren kommunistischer Herrschaft. Nach diese
r erschütternden Erfahrung über das, was der Kommunismus menschlichen Wesen ange
tan hat, gelobte ich Gott, diesen Menschen von nun an mein Leben zu weihen, um i
hnen ihre Persönlichkeit wieder zu verschaffen und ihnen zum Glauben an Gott zu
verhelfen. Ich brauchte nicht nach Russland zu gehen, um die Russen zu erreichen
. Seit dem 23. August 1944 waren etwa eine Million russischer Truppen in Rumänie
n eingerückt, und schon kurz danach kamen die Kommunisten in unserem Land zur Ma
cht. Damit zog eine Schreckensherrschaft herauf, die die Leiden unter den Nazis
als harmlos erscheinen ließ. Zu der Zeit hatte die kommunistische Partei in Rumä
nien, dessen Bevölkerung damals 18 Millionen zählte, nur zehntausend Mitglieder.
Aber Wischinsky, der damalige Außenminister der Sowjetunion, stürmte in die Res
idenz König Michaels I., der beim Volk sehr beliebt war, schlug mit der Faust au
f den Tisch und forderte: Sie müssen Kommunisten in die Regierung hereinnehmen."
Unsere Armee und Polizei wurden entwaffnet, und so kamen, unter Gewalt und von v
ielen gehaßt, die Kommunisten an die Macht. Dies vollzog sich nicht ohne die Mit
wirkung der amerikanischen und britischen Staatsmänner jener Zeit. Menschen sind
vor Gott nicht nur für ihre persönlichen Sünden verantwortlich, sondern auch fü
r die politischen Sünden ihres Volkes. Die Tragödie all der versklavten Völker O
steuropas geht auch zu Lasten der amerikanischen und britischen Christen. Die Am
erikaner müssen zur Kenntnis nehmen, dass sie seinerzeit den Russen, wenn auch o
hne es zu beabsichtigen, geholfen haben, uns ein Mord- und Terrorregime aufzuzwi
ngen. Deshalb haben die Amerikaner auch die Pflicht, dies wieder gutzumachen, in
dem sie mithelfen, den geknechteten Völkern das Licht des Evangeliums in ihre Fi
nsternis zu bringen.
Die Sprache der Liebe und die Sprache der Verführung klingen gleich
Nachdem die Kommunisten einmal zur Macht gekommen waren, gebrauchten sie meister
haft das Mittel der Täuschung gegenüber den Kirchen. Denn die Sprache der Liebe
und die Sprache der Verführung klingen gleich. Derjenige, der ein Mädchen zur Fr
au begehrt, und derjenige, der sie nur für eine Nacht haben will, um sie danach
wieder wegzuwerfen, beteuern beide: Ich liebe dich." Jesus mahnt uns in seinem Wo
rt, die Sprache der Verführung von der Sprache der Liebe zu unterscheiden und ei
nen Unterschied zu machen zwischen Wölfen in Schafskleidern und echten Schafen.
Als die Kommunisten die Macht innehatten, wußten Tausende von Priestern, Pfarrer
n und Predigern die beiden Sprachen nicht zu unterscheiden. Die Kommunisten beri
efen einen Kongreß aller christlichen Körperschaften in unserem Parlamentsgebäud
e in Bukarest. Dort waren viertausend Priester, Pastoren und Prediger aller Reli
gionsgemeinschaften versammelt. Diese viertausend Geistlichen wählten Joseph Sta
lin zum Ehrenpräsidenten dieses Kongresses. Gleichzeitig war Stalin amtierender
Präsident des Weltverbandes der Gottlosenbewegung und ein Massenmörder von Chris
ten. Aber einer nach dem anderen, ob Bischof oder Pfarrer, erhob sich in unserem
Parlament und erklärte öffentlich, dass der Kommunismus und das Christentum in
ihren Grundlagen gleich seien und friedlich nebeneinander bestehen könnten. Ein
Geistlicher nach dem andern fand preisende Worte für den Kommunismus und versich
erte der neuen Regierung die treue Mitarbeit der Kirche. Meine Frau und ich ware
n auf diesem Kongreß anwesend. Meine Frau saß neben mir und sagte zu mir: Richard
, steh' auf und wasche diese Schande vom Antlitz Christi! Sie speien ihm ins Ges
icht." Ich sagte zu meiner Frau: Wenn ich das tue, verlierst du deinen Mann." Sie
erwiderte: Ich möchte keinen Feigling zum Mann haben." Da stand ich auf und spra
ch zu diesem Kongreß, und ich pries nicht die Mörder der Christen, sondern Chris
tus und Gott und sagte, dass wir zuallererst Ihm unsere Treue schulden. Alle Red
en wurden auf diesem Kongress durch Rundfunk übertragen, und das ganze Land konn
te die von der Rednertribüne des kommunistischen Parlaments verkündigte Botschaf
t von Jesus Christus hören. Später musste ich dafür bezahlen, aber das war es we
rt gewesen. Orthodoxe und protestantische Kirchenführer wetteiferten miteinander
, den Kommunisten ihre Ergebenheit auszudrücken. Ein orthodoxer Bischof steckte
sich Hammer und Sichel auf das Gewand und forderte seine Priester auf, ihn nicht
mehr Euer Gnaden" zu nennen, sondern Genosse Bischof". Ich nahm am Baptistenkongr
ess in der Stadt Resita teil - auch ein Kongress unter der roten Fahne, wo man s
tehend miteinander die sowjetische Nationalhymne sang. Der Präsident der Baptist
en verkündigte dort, dass Stalin nichts anderes getan habe als die Gebote Gottes
erfüllt. Er pries Stalin als einen großen Lehrer der Bibel. Priester wie Patras
coiu und Rosianu drückten es noch deutlicher aus. Sie wurden Beamte der Geheimpo
lizei. Rapp, stellvertretender Bischof der lutherischen Kirche in Rumänien, lehr
te nun in dem Theologischen Seminar, dass Gott sich dreimal offenbart habe: einm
al durch Mose, dann durch Jesus und das dritte Mal durch Stalin, wobei letzterer
seinen Vorgänger noch überrage. Man darf über all dem nicht vergessen, dass die
echten Baptisten, mit denen ich eng verbunden bin, nicht mitmachten, sondern Je
sus Christus treu blieben, wofür sie viel zu leiden hatten. Die Kommunisten best
immten jedoch durch Wahl" ihre Leiter, und die Baptisten hatten keine andere Wahl
, als sie anzunehmen. Dasselbe Verfahren ist heute kennzeichnend für die Art der
Besetzung aller einflussreichen Stellen der Religionsgemeinschaften. Jetzt bega
nnen diejenigen, die statt Diener Christi Diener des Kommunismus geworden waren,
die Glaubensbrüder zu denunzieren, die sich ihnen nicht anschließen wollten. So
wie nach der Russischen Revolution die Christen dort eine Untergrundkirche gebi
ldet hatten, zwangen uns nun die Machtergreifung des Kommunismus und der Verrat
vieler offizieller Kirchenführer, auch in Rumänien eine Untergrundkirche zu scha
ffen: eine, getreu ihrem Auftrag zu evangelisieren, die Frohe Botschaft zu verkü
ndigen und die Kinder für Jesus Christus zu gewinnen. Die Kommunisten verboten d
as alles, und die offizielle Kirche fügte sich. So begann ich gemeinsam mit ande
ren, Gemeindearbeit im geheimen zu betreiben. Nach außen hin hatte ich eine sehr
angesehene soziale Stellung, die mit meiner eigentlichen verborgenen Reichsgott
esarbeit nichts zu tun hatte und nur als Deckmantel diente. Ich war Pastor der N
orwegischen Lutherischen Mission, und gleichzeitig arbeitete ich im rumänischen
Ausschuss des Weltkirchenrates. (In Rumänien hatten wir nicht die blasseste Ahnu
ng, dass diese Organisation in irgendeiner Weise mit den Kommunisten zusammenarb
eiten würde. Zu jener Zeit diente sie jedenfalls in unserem Land ausschließlich
der Erleichterung unserer Arbeit.) Diese beiden Ämter gaben mir einen sehr guten
Stand gegenüber den Behörden, die von meiner Untergrundarbeit nichts wussten. S
ie umfasste zwei Arbeitsgebiete. Das erste war unsere getarnte Arbeit unter den
Abertausenden russischer Soldaten. Das zweite Gebiet bildete unser verborgener m
issionarisches Dienst an den unterdrückten Völkern Rumäniens.

Die Russen - ein Volk mit dürstenden Seelen


Für mich bedeutete es den Himmel auf Erden, den Russen das Evangelium zu predige
n. Ich habe die Heilsbotschaft Menschen aus vielen Nationen gepredigt, aber ich
habe noch nie ein Volk das Evangelium so in sich einsaugen sehen wie die Russen.
Ihre Seelen dürsten geradezu. Ein orthodoxer Priester, ein Freund von mir, rief
mich eines Tages an und erzählte mir, dass ein russischer Offizier zum Beichten
zu ihm gekommen sei. Mein Freund konnte kein Russisch. Da er wusste, dass ich R
ussisch spreche, hatte er ihm meine Adresse gegeben. Am andern Tag kam dieser Ma
nn zu mir. Er war für Gott aufgeschlossen, er sehnte sich nach Gott, aber er hat
te noch nie eine Bibel gesehen, hatte noch nie einen Gottesdienst besucht (in Ru
ssland sind Kirchen ohnehin sehr spärlich vorhanden). Er hatte keine religiöse E
rziehung gehabt. Er hegte eine Liebe zu Gott, ohne die geringste Kenntnis von Ih
m zu haben. Ich begann damit, ihm die Bergpredigt vorzulesen und die Gleichnisse
Jesu. Als er sie gehört hatte, sprang er in ausgelassener Freude im Zimmer umhe
r und rief: Was für eine einmalige Schönheit! Wie konnte ich leben, ohne diesen C
hristus zu kennen!" Es war das erste Mal, dass ich jemand in so überschwängliche
r Freude in Christus sah. Dann beging ich einen Fehler. Ich las ihm den Leidensw
eg und die Kreuzigung Christi vor, ohne ihn darauf vorbereitet zu haben. Er hatt
e das nicht erwartet, und als er hörte, wie Christus geschlagen, wie er gekreuzi
gt wurde und dass er am Ende starb, sackte er in seinen Lehnstuhl und begann fas
sungslos zu weinen. Er hatte an einen Erretter geglaubt, und nun war sein Errett
er tot. Ich sah ihn an und war beschämt, dass ich mich Christ und gar Pfarrer na
nnte, der bisher geglaubt hatte, andere unterweisen zu können. Ich hatte niemals
am Leiden Christi solchen Anteil genommen, wie dieser russische Offizier es tat
. Wie ich ihn jetzt anschaute, war es mir, als sähe ich Maria Magdalena am Fuß d
es Kreuzes weinen, aufrichtig weinen, selbst als Jesu Leichnam schon im Grabe la
g. Dann las ich ihm den Bericht von der Auferstehung vor. Er wusste ja nichts da
von, dass sein Erlöser wieder aus dem Grabe hervorkommen würde. Als er diese wun
derbare Nachricht hörte, schlug er sich auf die Schenkel und stieß einen derben,
aber wie ich glaube, ihm selber heiligen" Fluch aus. Das gehörte zu seiner grobe
n Art zu sprechen. Jetzt jubelte er wieder. Vor Freude rief er laut: Er lebt! Er
lebt!" Und von neuem hüpfte er in der Stube umher, überwältigt von Glückseligkei
t. Ich sagte zu ihm: Lass uns beten!" Er kannte keine Gebete. Er kannte nicht uns
ere frommen Phrasen. Er fiel mit mir auf die Knie, und sein Gebet bestand aus de
n Worten: Oh Gott, was bist du für ein guter Kerl! Wenn ich du wäre und du wärst
ich, hätte ich dir nie deine Sünden vergeben. Aber du bist wirklich ein prima Ke
rl. Ich hab' dich von ganzem Herzen lieb." Ich glaube, dass alle Engel im Himmel
einhielten mit dem, was sie gerade taten, um diesem vollendeten Gebet eines rus
sischen Offiziers zu lauschen. Der Mann war für Christus gewonnen worden. In ein
em Laden begegnete ich einem russischen Hauptmann und einem weiblichen Offizier.
Sie waren dabei, allerlei einzukaufen, und hatten große Mühe, sich dem Verkäufe
r, der nicht Russisch verstand, verständlich zu machen. Ich erbot mich, für sie
zu dolmetschen, und wir wurden miteinander bekannt. Ich lud sie zum Essen bei un
s ein. Bevor wir zu essen anfingen, sagte ich ihnen: Sie sind hier in einem chris
tlichen Haus, und wir haben die Sitte zu beten." Ich sprach das Gebet in Russisc
h. Sie legten darauf Messer und Gabel wieder hin und waren an der Mahlzeit nicht
mehr interessiert. Aber sie stellten Fragen über Fragen nach Gott, Christus, de
r Bibel. Sie hatten keine Ahnung davon. Es war nicht leicht, mit ihnen darüber z
u sprechen. Ich erzählte ihnen das Gleichnis von dem Mann, der hundert Schafe ha
tte und eins davon verlor. Sie verstanden überhaupt nicht. Sie fragten: Wie kommt
es, daß er hundert Schafe hat? Hat die kommunistische Kolchose sie ihm nicht ab
genommen?" Dann sagte ich, daß Jesus ein König sei. Sie antworteten: Alle Könige
seien schlechte Menschen gewesen, die das Volk tyrannisierten, folglich müsse Je
sus ein Tyrann gewesen sein." Als ich ihnen das Gleichnis von den Arbeitern im W
einberg erzählte, sagten sie: Die haben ganz recht daran getan, gegen den Besitze
r des Weinbergs zu rebellieren. Der Weinberg hat dem Kollektiv zu gehören." Alle
s war ihnen neu. Als ich ihnen von der Geburt Jesu berichtete, fragten sie etwas
, was im Munde westlicher Menschen fast wie Lästerung erscheinen würde: War Maria
Gottes Ehefrau?" Und ich begriff in dieser Diskussion wie auch noch in vielen a
nderen, dass wir heute, wenn wir den Russen nach so vielen Jahren des Atheismus
das Evangelium predigen wollen, eine völlig neue Sprache verwenden müssen. Die M
issionare, die nach Innerafrika kamen, hatten große Schwierigkeit bei der Oberse
tzung des Jesajawortes: Wenn eure Sünde gleich blutrot wäre, so soll sie doch sch
neeweiß werden." Niemand in Äquatorialafrika hat jemals Schnee gesehen. Sie hatt
en kein Wort dafür. Deshalb übersetzten sie: Eure Sünde soll weiß werden wie der
Kern der Kokosnuss." Genauso mussten wir das Evangelium in die Sprache des Marxi
smus übertragen, um es ihnen verständlich zu machen. Es war etwas, was wir von u
ns selber nicht vermochten; aber der Heilige Geist wirkte es durch uns. Der Haup
tmann und der weibliche Offizier kamen noch am selben Tag zum Glauben an Gott. I
n der Folgezeit halfen sie uns noch viel bei unserer verborgenen missionarischen
Arbeit an den Russen. Wir druckten im geheimen Tausende von Neuen Testamenten u
nd andere christliche Literatur und verteilten sie unter den Russen. Durch die r
ussischen Soldaten, die vom Atheismus zum lebendigen Glauben an Gott bekehrt wor
den waren, konnten wir viele Bibeln und Bibelteile nach Russland schmuggeln. Wir
fanden noch einen anderen Weg, um Gottes Wort den Russen in die Hand zu spielen
. Die russischen Soldaten waren schon jahrelang an der Front gewesen, und viele
von ihnen hatten daheim Kinder, die sie die ganze Zeit über nicht gesehen hatten
. (Die Russen sind ausgesprochen kinderlieb.) Mein Sohn Mihai und andere Kinder
unter zehn Jahren suchten die Russen täglich auf den Straßen und in den Parkanla
gen auf und nahmen dabei immer Bibeln, Evangelien und christliche Broschüren in
ihren Taschen mit. Man sah dann die russischen Soldaten ihnen übers Haar streich
en, freundlich mit ihnen reden, wobei sie wohl an ihre eigenen Kinder dachten, d
ie sie seit vielen Jahren nicht gesehen hatten. Sie gaben ihnen immer Schokolade
und Süßigkeiten, und die Kinder zeigten sich ihrerseits auch erkenntlich: mit B
ibeln und Evangelien, die ihnen jene begierig abnahmen. So verrichteten oft unse
re Kinder, was für uns Erwachsene zu gefährlich auf offener Straße gewesen wäre,
völlig unangefochten. Sie waren den Russen junge Missionare. Die Ergebnisse die
ser Arbeit waren hervorragend. Viele russische Soldaten erhielten auf diese Weis
e das Evangelium, wozu sonst keine Möglichkeit bestanden hätte.

Predigen in russischen Kasernen.


Wir arbeiteten unter den Russen nicht nur durch unser Zeugnis im persönlichen Ge
spräch. Daneben konnten wir auch missionarischen Dienst in kleinen Versammlungen
tun. Die Russen hatten es ganz besonders auf Armbanduhren abgesehen. Sie organis
ierten" Uhren, wo sie nur konnten. Sie hielten die Menschen auf der Straße an, u
nd jeder musste ihnen seine Uhr aushändigen. Russen, die an jedem Arm mehrere Uh
ren aufgereiht hatten, waren keine Seltenheit. Ja, man konnte sogar weiblichen r
ussischen Offizieren begegnen, die einen Wecker um den Hals hängen hatten. Sie h
atten eben vorher noch nie eine Uhr gehabt, und jetzt konnten sie nicht genug da
von ergattern. Rumänen, die eine Uhr haben wollten, brauchten nur zu den Unterkü
nften der russischen Armee zu gehen, um eine der gestohlenen zu kaufen, wobei si
e zuweilen ihre eigene zurückkauften. So wurde es üblich für uns Rumänen, in den
russischen Kasernen ein- und auszugehen. Wir von der Untergrundkirche hatten da
durch einen guten Vorwand - nämlich Uhren zu kaufen - um auch hineinzugelangen.
Für meinen ersten Versuch, in einer russischen Militärbaracke zu predigen, wählt
e ich ein Fest der Orthodoxen Kirche, den Tag der Heiligen Peter und Paul". Ich g
ing zum russischen Militärbezirk und gab vor, eine Uhr kaufen zu wollen. Nun war
mir die eine zu teuer, die nächste zu klein, eine andere zu groß. Mehrere Solda
ten scharten sich um mich, und jeder bot mir etwas zu kaufen an. Zwischendurch f
ragte ich im Scherz: Heißt einer von euch Peter oder Paul?" Es waren einige darun
ter. Darauf sagte ich: Wisst ihr auch noch, dass heute der Tag ist, an dem eure o
rthodoxe Kirche des heiligen Petrus und Paulus gedenkt?" Einige der älteren Russ
en wussten es noch. Deshalb fuhr ich fort: Wer weiß denn, wer Peter und Paul ware
n?" Niemand wusste es. Deshalb fing ich an, ihnen von Petrus und Paulus zu erzäh
len. Einer der älteren russischen Soldaten unterbrach mich und sagte: Du bist nic
ht gekommen, um Uhren zu kaufen. Du bist hergekommen, um uns über den Glauben et
was zu sagen. Setz' dich hier zu uns und sprich zu uns. Aber sei dabei vorsichti
g! Wir wissen, vor wem wir uns vorzusehen haben. Die hier um mich herum sind all
es gute Leute. Wenn ich dir meine Hand aufs Knie lege, darfst du nur von Uhren s
prechen. Wenn ich die Hand wegziehe, kannst du mit deiner Botschaft wieder fortf
ahren." Eine ganz schöne Menge Menschen war inzwischen um mich herum, und ich er
zählte ihnen von Petrus und Paulus, auch von dem Christus, für den schließlich P
etrus und Paulus in den Tod gegangen sind. Dann und wann kam einer in die Nähe,
denn sie nicht trauten. Der Landser legte mir dann seine Hand aufs Knie, und sog
leich fing ich an, über Uhren zu reden. War der Betreffende verschwunden, predig
te ich weiter von Jesus Christus. Durch die freundliche Hilfe der Christen unter
den russischen Soldaten konnte ich solche Besuche noch viele Male wiederholen.
Auch von ihren Kameraden fanden viele Christus. Tausende von Evangelien verteilt
en wir mit ihnen heimlich. Viele unserer Brüder und Schwestern aus der Untergrun
dkirche wurden gefasst und schwer misshandelt, aber sie verrieten nie unsere Org
anisation. Wir hatten aber auch die große Freude, bei unserer Arbeit Brüder aus
der Untergrundkirche in Russland zu treffen und ihre Erfahrungen zu hören. Was u
ns vor allem an ihnen auffiel, waren Wesenszüge, wie sie von großen Heiligen ber
ichtet werden. Und dabei waren sie durch so viele Jahre kommunistischer Beeinflu
ssung hindurchgegangen. Einige von ihnen hatten sogar kommunistische Universität
en absolviert; aber in der Weise, wie ein Fisch im Salzwasser lebt und doch sein
Fleisch süß erhält, hatten sie die kommunistischen Schulen durchlaufen, jedoch
ihre Seelen dabei klar und rein in Christus bewahrt. Was hatten diese russischen
Christen für herrliche Seelen! Wir wissen", sagten sie, dass der Stern mit Hammer
und Sichel, den wir an unseren Mützen tragen, das Zeichen des Antichristen ist.
" Sie sagten das mit großem Kummer. Und sie halfen uns überall, das Evangelium u
nter den anderen russischen Soldaten auszubreiten. Ich muss sagen, dass sie eige
ntlich alle christlichen Tugenden besaßen, ausgenommen eine, die Freude. Diese z
eigten sie lediglich bei der Bekehrung zu Christus. Dann verschwand sie wieder.
Ich verwunderte mich immer darüber. Einmal fragte ich einen Baptisten: Wie kommt
es, dass ihr keine Freude kennt?" Er antwortete: Wie kann ich freudig sein, wenn
ich vor dem Pfarrer meiner Kirche verbergen muss, dass ich es ernst meine mit me
inem Christsein, dass ich ein Gebetsleben führe, dass ich Menschen für Christus
zu gewinnen trachte? Der offizielle Pfarrer der Kirche ist ein Verbindungsmann d
er Geheimpolizei. Bei uns wird einer vom anderen überwacht; die Hirten sind bei
uns diejenigen, die die Herde verraten. Wohl existiert ganz tief in unserem Herz
en die Freude über die Errettung, aber die für andere sichtbare Freude, wie ihr
sie habt - sie hat bei uns keinen Platz mehr. Christsein ist bei uns eine aufreg
ende Sache geworden. Wenn ihr in Freiheit lebenden Christen jemand für Christus
gewinnt, so gewinnt ihr einer in ihrer Arbeit ungestörten Kirche ein neues Mitgl
ied. Wenn wir aber einen Menschen hinzugewinnen, dann wissen wir schon, dass er
ins Gefängnis kommen kann, dass seine Kinder vielleicht Waisen werden. Die Freud
e, jemand zu Christus gebracht zu haben, ist immer getrübt von dem dunklen Gefüh
l, dass ein Preis dafür bezahlt werden muss." Wir hatten hier einen völlig neuen
Typ von Christen vor uns: den Christen der unterdrückten Kirche. Hier gab es no
ch viele Überraschungen für uns. Wie es viele gibt, die von sich meinen, sie sei
en Christen, es in Wirklichkeit aber nicht sind, so fanden wir unter den Russen
viele, die meinten, sie seien Atheisten, doch in Wirklichkeit waren sie es nicht
. Da saß jenes russische Ehepaar vor mir, beide Bildhauer. Als ich zu ihnen von
Gott sprach, kam die spontane Antwort: Nein! Gott gibt es nicht. Wir sind Bezboshn
iki , gottlos. Aber wir wollen Ihnen etwas Interessantes erzählen, was uns passier
t ist." Damals arbeiteten wir gerade an einem Stalinstandbild. Während der Arbeit
fragte mich plötzlich meine Frau: Mann, was für eine sonderbare Sache ist es doc
h mit dem Daumen! Wenn wir den Daumen den andern Fingern nicht entgegensetzen kö
nnten -- wenn die Finger der Hand genauso wären wie die Zehen - wir könnten ja k
einen Hammer festhalten und keinen Meißel, weder irgendein Werkzeug noch ein Buc
h oder auch nur ein Stück Brot. Menschliches Leben wäre ohne diesen kleinen Daum
en unmöglich. Wer hat bloß den Daumen gemacht? Wir haben doch beide in der Schul
e den Marxismus gelernt und wissen, dass Himmel und Erde aus sich selber entstan
den sind. Sie sind nicht von Gott geschaffen. Das hab' ich gelernt, und das glau
b' ich. Aber wenn Gott auch nicht Himmel und Erde geschaffen hat, wenn er nur de
n Daumen erschaffen hat, wäre er allein wegen diesem kleinen Ding schon zu loben
. Wir rühmen Edison und Bell und Stephenson, die die Glühlampe, das Telefon und
die Eisenbahn erfunden haben und noch viele andere Dinge. Aber warum sollten wir
nicht auch den rühmen, der den Daumen gemacht hat? Wenn Edison keinen Daumen ge
habt hätte, hätte er gar nichts erfinden können. Es ist recht und billig, Gott d
afür zu verehren, dass er den Daumen gemacht hat." Ihr Mann wurde sehr ärgerlich
, wie es Ehemänner öfter werden, wenn ihre Frauen ihnen kluge Dinge sagen. Sprich
keine Dummheiten! Du hast doch gehört, dass es keinen Gott gibt. Genauso wenig,
wie wir wissen können, ob ein Haus nicht verwanzt ist und ob uns nicht ein Ungl
ück zustoßen wird! Lass dir ein für allemal gesagt sein, es gibt keinen Gott. Im
Himmel ist niemand!" Sie erwiderte: Das ist ein noch größeres Wunder. Wenn im Hi
mmel der allmächtige Gott wäre, an den in ihrer Dummheit unsere Vorväter geglaub
t haben, dann wäre es ganz natürlich, dass wir Daumen hätten. Ein allmächtiger G
ott kann alles schaffen, also kann er auch Daumen machen. Aber wenn im Himmel ni
emand ist, dann bin ich, was mich betrifft, entschlossen, von ganzem Herzen dies
en Niemand' zu verehren, der den Daumen gemacht hat." So wurden sie Verehrer des N
iemand". Ihr Glaube an diesen Niemand" wurde mit der Zeit umfassender, da sie an
ihn nicht nur als den Schöpfer des Daumens, sondern auch der Sterne, Blumen, Kin
der, überhaupt alles Schönen im Leben glaubten. Sie glichen jenen, die einst Pau
lus in Athen als Verehrer des Unbekannten Gottes" angetroffen hatte. Dieses Paar
war unsagbar glücklich, als sie hörten, sie hätten zu Recht geglaubt, dass im Hi
mmel wirklich ein Nie-man(d)" ist, ein Gott, der Nicht-Mensch", sondern Geist ist:
ein Geist der Liebe, der Wahrheit, der Weisheit und der Kraft, der sie so gelie
bt hat, dass er seinen eingeborenen Sohn sandte und sich selber für sie am Kreuz
geopfert hat. Sie hatten an Gott geglaubt, ohne zu wissen, dass sie es schon ta
ten. Mir wurde das große Vorrecht zuteil, sie noch einen Schritt weiter zu führe
n -- zu der persönlichen Erfahrung der Errettung und Erlösung. Ein andermal bege
gnete mir auf der Straße eine Russin in Offiziersuniform. Ich ging auf sie zu un
d entschuldigte mich: Ich weiß, es ist unhöflich, eine unbekannte Dame auf der St
raße anzusprechen, aber ich bin Pfarrer, und mein Anliegen ist ernsthaft. Ich mö
chte mit Ihnen über Christus sprechen." Sie fragte mich: Lieben Sie Christus?" Ja"
, sagte ich, von ganzem Herzen." Da fiel sie mir in die Arme und küsste mich imme
r wieder. Es war eine sehr peinliche Situation für einen Pastor, deshalb küsste
ich sie ebenfalls, in der Hoffnung, die Leute dächten, wir seien Verwandte. Sie
erklärte mir: Auch ich liebe Christus." So nahm ich sie mit nach Hause. Dort entd
eckte ich zu meinem Erstaunen, dass sie nichts von Christus wusste - absolut nic
hts - außer dem Namen. Und doch liebte sie ihn. Sie wusste nicht, dass er der Ret
ter" ist, noch was Errettung" bedeutet. Sie wusste nicht, wo und wie er gelebt ha
t und wofür er gestorben ist. Sie kannte nicht seine Lehren, sein Leben noch sei
nen göttlichen Auftrag. Sie war für mich ein psychologisches Rätsel. Wie kann ma
n jemand lieben, wenn man nur seinen Namen kennt? Als ich nachforschte, erklärte
sie es mir: Als Kind brachte man mir bei, anhand von Bildern zu lesen. Für ein A'
stand ein Apfel, für ein B' ein Baum, für ein D' ein Dach und so fort. Als ich sp
äter zur Hochschule kam, lernte ich als heilige Pflicht', das kommunistische Vate
rland zu verteidigen. Ich wurde auch in kommunistischer Moral unterwiesen. Aber
ich konnte mir nicht vorstellen, wie eine heilige Pflicht' oder Moral' aussah. Den
n ich brauchte ein Bild dafür. Nun wusste ich aber, dass unsere Vorväter ein Bil
d für alles Schöne, Preiswürdige und Wahre im Leben hatten. Meine Großmutter nei
gte sich immer vor diesem Bild, und sie sagte auch, dass es das Bild von einem w
ar, der Cristos' hieß. Allein schon diesen Namen liebte ich. Er gewann für mich e
ine eigenartige Wirklichkeit. Ich muss schon sagen, dieser Name verschaffte mir
geradezu Freude." Während ich ihr zuhörte, kam mir in den Sinn, was im Philipper
brief geschrieben steht, dass sich vor seinem Namen einmal alle Knie beugen werd
en. Vielleicht könnte es dem Antichrist gelingen, die Erkenntnis Gottes eine Zei
tlang zu verdunkeln und aus der Welt zu schaffen. Aber in dem bloßen Namen Chris
tus steckt schon so viel Kraft, und diese wird die Menschen wieder zum Licht füh
ren. In meiner Wohnung fand sie Jesus Christus, nun voller Freude darüber, dass
der Eine, dessen Namen sie schon liebte, jetzt selbst in ihrem Herzen lebte. Jed
e Begegnung, die ich mit Russen hatte, war voller Poesie und tiefer Bedeutung. E
ine Schwester, die das Evangelium auf Bahnhöfen verteilte, gab einem daran inter
essierten Offizier meine Adresse. Eines Abends kam er zu mir ins Haus - ein hoch
gewachsener, stattlicher russischer Leutnant. Ich fragte ihn: Wie kann ich Ihnen
dienen?" Er antwortete: Ich bin gekommen, um göttliches Licht zu erhalten." So f
ing ich an, ihm die wesentlichsten Stellen aus der Heiligen Schrift vorzulesen.
Da legte er mir seine Hand auf meine und sagte: Ich bitte Sie ganz herzlich, führ
en Sie mich nicht irre. Ich gehöre zu einem Volk, das im Dunkeln gehalten wird.
Sagen Sie mir aufrichtig, ist dies wirklich Gottes Wort?" Ich gab ihm die Zusich
erung. Er hörte stundenlang zu -- und nahm Christus an. Russen sind niemals gekü
nstelt oder oberflächlich in religiösen Dingen. Ob sie gegen die Religion gekämp
ft haben oder dafür eingetreten sind und Christus gesucht haben, in beides haben
sie stets ihre ganze Seele gelegt. Das ist ein Grund, warum in Russland jeder C
hrist ein Missionar wird, der Seelen zu gewinnen sucht. Das ist aber auch ein Gr
und, warum kein Land der Erde so aufgeschlossen und reif für die Arbeit des Evan
geliums ist. Die Russen sind eines der von Natur aus am stärksten religiös veran
lagten Völker der Erde. Der Gang der Weltgeschichte könnte verändert werden, wen
n wir sie dem Angriff des Evangeliums aussetzten. Es ist eine wahre Tragödie, da
ss dieses russische Land und seine Völker geradezu einen Hunger nach Gottes Wort
haben, es jedoch den Anschein hat, als ob alle Christen hier die Russen abgesch
rieben hätten. Bei einer Bahnfahrt saß mir in dem Abteil ein russischer Offizier
gegenüber. Ich hatte mit ihm über Christus zu sprechen versucht, als er mir sch
on nach wenigen Minuten mit einem wahren Ausbruch atheistischer Argumente entgeg
entrat. Von Marx, Stalin, Voltaire, Darwin und anderen Gewährsleuten flossen ihm
Zitate gegen die Bibel nur so aus dem Mund. Er gab mir keine Gelegenheit, ihn z
u widerlegen. Er redete fast eine Stunde lang, um mich davon zu überzeugen, dass
es keinen Gott gibt. Als er zu Ende war, fragte ich ihn: Wenn es keinen Gott gib
t, warum beten Sie denn, wenn Sie in Not sind?" Wie ein beim Stehlen überraschte
r Dieb erwiderte er: Woher wissen Sie denn, dass ich bete?" Ich erlaubte ihm nich
t zu entschlüpfen. Ich habe meine Frage zuerst gestellt. Ich habe gefragt, warum
Sie beten. Bitte, antworten Sie!" Er senkte etwas den Kopf und gab zu: Als wir an
der Front von den Deutschen eingeschlossen waren, haben wir alle gebetet. Wir w
ussten nicht recht, wie wir es anstellen sollten. Deshalb sagten wir einfach: Du
Gott und mütterlicher Geist ..." - was in den Augen dessen, der die Herzen ansieh
t, sicherlich ein sehr gutes Gebet ist." Unser Dienst an den Russen hat viel Fru
cht gebracht. Hier erinnere ich mich besonders an Piotr. Niemand von uns weiß, i
n welchem russischen Gefängnis er gestorben ist. Er war noch so jung! Vielleicht
zwanzig. Er war mit der russischen Armee nach Rumänien gekommen. Er wurde in ei
ner unserer Untergrundversammlungen vom Atheismus zu Gott bekehrt und bat mich,
ihn zu taufen. Nach seiner Taufe forderte ich ihn auf, uns zu erzählen, was für
ein Wort aus der Bibel den stärksten Eindruck auf ihn gemacht und ihn dazu gebra
cht habe, zu Christus zu kommen. Er habe, sagte er, in einer unserer geheimen Ve
rsammlungen ¬ich hatte aus Lukas 24 gelesen - aufmerksam die Geschichte verfolgt
, wo Jesus die zwei Jünger auf dem Wege nach Emmaus trifft. Als sie nahe an das
Dorf kamen, heiße es im Evangelium, tat er so, als habe er weitergehen wollen". P
iotr sagte: Ich wollte gern wissen, warum Jesus das getan hat. Sicherlich wollte
er doch bei seinen Jüngern bleiben. Warum aber hat er denn gesagt, dass er weite
rgehen wollte? Meine Erklärung war, dass Jesus sehr rücksichtsvoll ist. Er wollt
e eben ganz sicher sein, dass er erwünscht war. Als er dann sah, dass er willkom
men war, trat er froh mit ihnen ins Haus ein. Die Kommunisten sind rücksichtslos
. Sie drängen sich mit Gewalt in unser Herz und unsern Geist. Sie zwingen uns vo
m frühen Morgen bis zum späten Abend, ihnen zuzuhören. Sie tun es in ihren Schul
en, sie tun es durch Rundfunk und Zeitungen, durch Plakate und Filme, durch athe
istische Versammlungen, ja, überall, wo man sich aufhält. Man muß beständig ihre
r Gottlosenpropaganda zuhören, ob man will oder nicht. Jesus dagegen achtet unse
re Freiheit. Er klopft sanft an die Tür. Jesus hat mich durch seine höfliche Rüc
ksicht gewonnen." Dieser unübersehbare Kontrast zwischen dem Wesen des Kommunism
us und dem von Christus hatte ihn überwunden. Er war nicht der einzige Russe, de
m sich dieser Wesenszug Jesu tief eingeprägt hatte. Ich muss gestehen, dass ich,
als Pfarrer, von diesem Gesichtspunkt aus noch nie darüber nachgedacht hatte. N
ach seiner inneren Umwandlung setzte Piotr immer wieder seine Freiheit und sein
Leben aufs Spiel, indem er christliche Literatur nach Russland einschleuste und
von Rumänien aus der Untergrundkirche in der Sowjetunion Hilfe brachte. Am Ende
wurde er verhaftet. Ich weiß nur, dass er noch 1959 im Gefängnis war. Ist er inz
wischen gestorben? Ist er schon bei Christus, oder kämpft er in dieser Welt noch
den guten Kampf des Glaubens? Ich weiß es nicht. Aber es genügt, dass Gott weiß
, wo er jetzt ist. Ähnlich wie bei ihm blieb es auch bei vielen anderen nicht be
i der eigenen Hinwendung zu Gott. Keiner von uns sollte dabei stehen bleiben, ei
ner Seele zum Heil in Christus verholfen zu haben. Vielmehr muss jede Seele, die
für Christus gewonnen wurde, selber wiederum zu einem Seelengewinner gemacht we
rden. Die Russen wurden nicht bloß zu Gott bekehrt, sondern zugleich auch wieder
Missionare in der Untergrundkirche. Sie waren unbekümmert und voller Wagemut fü
r Christus und beteuerten immer wieder, wie wenig das sei, was sie für Christus
tun könnten, wo er doch für sie gestorben sei.
Unser verborgener Dienst für ein geknechtetes Volk
Das zweite Arbeitsgebiet war unsere geheime missionarische Arbeit unter den Rumä
nen selber. Sehr bald schon ließen auch bei uns die Kommunisten die Maske fallen
. Am Anfang hatten sie noch Methoden angewandt, um die Kirchenführer auf ihre Se
ite zu ziehen; dann aber begann der offene Terror. Tausende wurden verhaftet. Ei
nen Menschen für Christus zu gewinnen wurde auch für uns jetzt eine aufregende S
ache, wie sie es für die Russen schon lange war. Später war ich dann selber im G
efängnis mit solchen Menschen zusammen, die Gott mich vorher hatte für Christus
gewinnen lassen. Ich war mit einem zusammen in derselben Zelle, der sechs Kinder
zurückgelassen hatte und nun um seines Glaubens willen im Gefängnis saß. Seine
Frau und die Kinder litten Hunger.
Wahrscheinlich sah er sie nie mehr wieder. Ich fragte ihn: Hegst du irgendeinen G
roll gegen mich im Herzen, weil ich dich zu Jesus Christus gebracht und dadurch
deine Familie in solches Elend gestürzt habe?" Er sagte: Ich habe keine Worte, um
meinen Dank auszudrücken, dass du mich zu dem wunderbaren Retter gebracht hast.
Ich wollte es nie mehr anders haben." Unter den neuen Bedingungen Christus zu p
redigen war nicht leicht. Es gelang uns, verschiedene christliche Traktate zu dr
ucken und sie durch die strenge Zensur der Kommunisten hindurch zubringen. Wir l
egten dem kommunistischen Zensor eine Broschüre vor, die auf ihrem Titelblatt ei
n Bild von Karl Marx aufwies, dem Begründer des Kommunismus. Das Buch war betite
lt Religion ist Opium für das Volk", andere hatten ähnliche Titel. Der Beamte hie
lt sie für kommunistische Literatur und drückte seinen Stempel darauf. In diesen
Büchern gaben wir nach ein paar Seiten mit Zitaten von Marx, Lenin und Stalin,
die den Prüfer zufrieden stellten, unsere Botschaft von Jesus Christus heraus. E
ine Untergrundkirche ist nicht ganz verborgen. Einem Eisberg vergleichbar, bleib
t ein kleiner Teil ihrer Arbeit sichtbar. So gingen wir zu den kommunistischen M
assenversammlungen und verteilten dabei diese kommunistischen" Broschüren. Die Ko
mmunisten drängten sich, das Buch zu kaufen, als sie das Bild von Karl Marx dara
uf sahen. Beim Lesen kamen sie schon noch auf Seite zehn, und wenn sie dann hera
usfanden, dass das Folgende von Gott und Jesus Christus handelte, waren wir wied
er im Untergrund. Dennoch war die Verkündigung unter diesen Bedingungen nicht ei
nfach. Das ganze Volk wurde ja in schwerster Unterdrückung gehalten. Die Kommuni
sten nahmen den Leuten praktisch alles. Dem Bauern nahmen sie sein Land und sein
Vieh, dem Friseur seinen kleinen Laden und dem Schneider seine Werkstatt. Nicht
nur die Kapitalisten wurden enteignet. Auch arme Leute hatten sehr zu leiden. E
s gab kaum eine Familie, die nicht einen Angehörigen im Gefängnis hatte. Die all
gemeine Not war riesengroß. Die Leute fragten: Wie ist es möglich, dass ein Gott
der Liebe den Triumph des Bösen zulässt?" Den ersten Aposteln wäre es kaum leich
ter gefallen, am Karfreitag die Botschaft von Jesus Christus zu predigen, nachde
m er am Kreuz gestorben war und die Worte ausgerufen hatte: Mein Gott, mein Gott,
warum hast du mich verlassen?" Die Tatsache aber, dass Sein Werk dennoch unter
uns getan wurde, erweist, dass es von Gott war und nicht von uns. Daher kann nur
der Glaube an Jesus Christus jene Fragen beantworten. Jesus erzählt die Geschic
hte vom armen Lazarus, der auch so unterdrückt war wie wir - am Sterben, Hunger
leidend, nur noch Hunde um ihn herum, die seine Schwären leckten - aber am Ende
trugen ihn Gottes Engel in Abrahams offene Arme.

Wie die Kirche aus dem Untergrund in die Öffentlichkeit hineinwirkte


Die Untergrundkirche versammelte sich in Privathäusern, in Wäldern, in Kellerges
chossen - wo immer sie konnte. Dort, im geheimen, bereitete sie ihre Arbeit in d
er Öffentlichkeit vor. Unter den Augen der Kommunisten entwarfen wir unseren Pla
n für eine Straßenmission, die zwar mit der Zeit immer gefahrvoller wurde, aber
auf diese Art viele Menschen erreichte, die wir sonst nie erreicht hätten. Beson
ders meine Frau war darin sehr aktiv. Ein paar Christen sammelten sich unauffäll
ig an einer Straßenecke und fingen an zu singen. Die Leute blieben um sie herum
stehen, um den schönen Gesang zu hören, und meine Frau sagte ihnen dann die Froh
e Botschaft. Wir verließen den Platz, bevor die Straßenpolizei herbeikam. Eines
Nachmittags, während ich woanders tätig war, verkündigte meine Frau die Botschaf
t von Jesus Christus vor Tausenden von Arbeitern der großen Malaxa"-Fabrik im Her
zen von Bukarest. Sie sprach zu den Arbeitern über Gott und die Erlösung. Am fol
genden Tag wurden viele Arbeiter in dieser Fabrik nach einem Aufstand gegen Unge
rechtigkeiten der Kommunisten erschossen. Sie hatten noch rechtzeitig die Frohe
Botschaft gehört. Wir waren zwar eine Kirche im Untergrund, aber wie Johannes de
r Täufer sprachen wir ganz öffentlich zu den Menschen und auch zu den Herrschend
en von der Errettung durch Jesus Christus. Eines Tages bahnten sich zwei unserer
Brüder über die Stufen unseres Regierungsgebäudes ihren Weg zu unserem Minister
präsidenten Gheorghiu Dej. In den wenigen Augenblicken, die ihnen zur Verfügung
standen, bezeugten sie ihm das Evangelium von Jesus Christus, legten ihm dringen
d ans Herz, von seinen Sünden und der Verfolgung der Christen abzulassen. Er lie
ß sie für ihr freimütiges Zeugnis ins Gefängnis werfen. Jahre später, als dersel
be Ministerpräsident Gheorghiu Dej sehr krank war, trug die Saat des Evangeliums
, die sie damals ausgesät und wofür sie schwer gelitten hatten, ihre Frucht. In
der Stunde seiner Not erinnerte sich der Ministerpräsident an die Worte, die sie
damals zu ihm gesprochen hatten. Diese Worte waren, wie die Bibel sagt, lebendig
und kräftig und schärfer denn ein zweischneidig Schwert" (Hebräer 4, 12). Sie d
rangen durch den Panzer seines Herzens, und er übergab sein Leben Christus. Er b
ekannte seine Sünden, nahm den Erretter an und fing noch in seiner Krankheit an,
Ihm zu dienen. Nicht lange danach starb er, aber er ging heim zu seinem Heiland
, der ihn wie einen Brand aus dem Feuer gerettet hatte, weil zwei Christen berei
t gewesen waren, den Preis dafür zu bezahlen. Die Haltung dieser beiden ist beis
pielhaft für das mutige Zeugnis der Christen in atheistischen Ländern heute. Die
Untergrundkirche arbeitete nicht nur in geheimen Versammlungen und getarnten Un
ternehmungen, sondern ebenso in unerschrockener, offener Verkündigung des Evange
liums auf den Straßen und vor hohen kommunistischen Funktionären. Das kostete ei
nen Preis. Wir waren darauf vorbereitet, ihn zu zahlen. Und die unterdrückte Kir
che ist immer noch bereit, ihn auch heute zu zahlen. Die Geheimpolizei verfolgte
die Untergrundkirche deshalb so hart, weil sie in ihr den einzigen wahrhaft wir
ksamen Widerstand erkannt hatte. Denn nur diese Art von Widerstand, der geistige
Widerstand, vermöchte ihre atheistische Macht zu untergraben, wenn sie ihn unge
hindert wirken ließen. Sie erkannten darin, wie es nur dem Teufel möglich ist, e
ine unmittelbare Bedrohung für sie selber. Sie wussten, wenn ein Mensch an Chris
tus glaubte, würde er nie zu einem geistlosen, willfähigen Werkzeug werden. Sie
wussten, dass sie wohl Menschen einkerkern konnten, aber nicht den Glauben an Go
tt. Dennoch hat die unterdrückte Kirche ihre Anhänger und Mitglieder selbst in d
er kommunistischen Regierung und sogar in der Geheimpolizei. Wir beauftragten Ch
risten, der Geheimpolizei beizutreten und die verachtete Uniform in unserem Land
anzuziehen, damit sie die Schritte der Geheimpolizei der Untergrundkirche melde
n konnten. Mehrere Brüder der Untergrundkirche befolgten das und hielten ihren G
lauben verborgen. Es ist keine Kleinigkeit, von der eigenen Familie und von Freu
nden verachtet zu werden, weil man die kommunistische Uniform trägt, und ihnen d
en wahren Auftrag nicht sagen zu können. Doch sie nahmen es auf sich - aus selbs
tloser Liebe zu Christus und seiner Gemeinde. Als ich von der Straße weg entführ
t und jahrelang unter strengster Geheimhaltung in Haft gehalten wurde, trat der
Fall ein, dass ein christlicher Arzt Mitglied der Geheimpolizei wurde, um meinen
derzeitigen Aufenthaltsort herauszufinden. Als Vertrauensarzt der Geheimpolizei
hatte er Zugang zu den Zellen aller Häftlinge und hoffte so, mich zu entdecken.
Alle seine Freunde mieden ihn, weil sie glaubten, er sei Kommunist geworden. In
der Uniform der Folterer umherzulaufen ist für einen Gläubigen ein weit größere
s Opfer, als die Kluft der Häftlinge zu tragen. Der Arzt fand mich in einer dunk
len Kellerzelle und gab Nachricht, dass ich noch am Leben war. Er war der erste
Freund, der mich während meiner ersten achteinhalb Jahre Gefängnis aufgespürt ha
tte. Ihm ist es zu verdanken, dass die Kunde, ich sei noch am Leben, hinaus dran
g, und als während des Eisenhower-Chruschtschow-Tauwetters im Jahre 1956 Häftlin
ge begnadigt wurden, stellten Christen der unterdrückten Kirche auch für mich ei
nen Entlassungsantrag, und ich wurde für kurze Zeit frei. Hätte sich dieser chri
stliche Arzt nicht dazu entschlossen, der Geheimpolizei beizutreten, um in erste
r Linie mich aufzuspüren, wäre ich nie herausgekommen. Ich wäre noch heute im Ge
fängnis oder im Grabe. Diese Glieder der Untergrundkirche benutzten ihre Stellun
g in der Geheimpolizei dazu, uns von Fall zu Fall zu warnen, und waren uns von g
roßer Hilfe. Die Untergrundkirche hat auch heute noch Vertrauensleute in der Geh
eimpolizei, die ihre christlichen Brüder dadurch schützen, dass sie rechtzeitig
sie vor drohender Gefahr warnen. Einige von ihnen sind in höchsten kommunistisch
en Führungsgremien, und indem sie ihren Glauben verbergen, helfen sie uns in gro
ßem Maße. Dereinst können sie Christus, dem sie jetzt verborgen dienen, öffentli
ch bezeugen. Dennoch werden viele Mitglieder der Untergrundkirche entdeckt und ei
ngekerkert. Auch wir hatten unsere Judasse, die ausplauderten und der Geheimpoli
zei berichteten. Die Kommunisten scheuten kein Mittel, durch Schläge und Verwend
ung von Drogen, durch Drohung und Erpressung Geistliche und Laien ausfindig zu m
achen, die bereit wären, über ihre Brüder laufend Berichte zu machen.

2. Kapitel
Bis zum 29. Februar 1948 war ich in zwei Funktionen tätig: in einer der Öffentli
chkeit sichtbaren und einer im Untergrund verborgenen. Es war an einem Sonntag -
einem besonders schönen Sonntag. An jenem Sonntag wurde ich auf meinem Wege zur
Kirche von der Straße weg gewaltsam von der Geheimpolizei entführt. Schon oft h
atte ich wissen wollen, was Menschenraub, der auch in der Bibel mehrmals erwähnt
wird, für den Betroffenen bedeutet. Der Kommunismus hat es uns begreifen gelehr
t. Viele wurden damals auf diese Art entführt. Ein geschlossener Wagen der Gehei
mpolizei hielt unmittelbar vor mir an, vier Männer sprangen heraus und stießen m
ich in den Wagen hinein. Ich blieb jahrelang verschwunden. Über acht Jahre lang
wußte niemand, ob ich noch am Leben oder schon tot war. Meine Frau wurde von Geh
eimpolizisten, die sich als entlassene Mitgefangene ausgaben, teilnehmend aufges
ucht. Sie erzählten ihr, sie wären bei meiner Beerdigung dabei gewesen. Ihr brac
h das Herz. Tausende aus Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften kamen zu je
ner Zeit ins Gefängnis. Nicht nur Geistliche wurden in den Kerker geworfen, auch
ganz einfache Bauern, junge Burschen und Mädchen, die für ihren Glauben eintrat
en. Die Gefängnisse waren überfüllt, und in Rumänien, wie überhaupt in kommunist
ischen Ländern, bedeutet, im Gefängnis sein, vielfach auch leiden. Die Folterung
en waren oft sehr hart. Ich möchte lieber nicht zuviel darüber sprechen. Immer w
enn ich es tue, kann ich nachts nicht schlafen. Es setzt mir zu sehr zu. In dem
Buch In Gottes Untergrund" berichte ich im einzelnen unsere Erfahrungen mit Gott
im Kerker.

Unsagbare Folterungen
Ein Pfarrer mit Namen Florescu wurde mit glühenden Schürhaken und mit Messern ge
foltert. Er wurde arg zusammengehauen. Dann wurden ausgehungerte Ratten durch ei
n Rohr in seine Zelle hineingetrieben. Er konnte nicht schlafen, sondern hatte n
ur damit zu tun, sich die ganze Zeit über zu verteidigen. Wenn er nur einen Auge
nblick ausruhte, griffen ihn die Ratten sofort wieder an. Er mußte zwei Wochen l
ang, Tag und Nacht, stehen. Die Kommunisten wollten ihn zwingen, seine Glaubensb
rüder zu verraten. Aber er blieb standhaft. Schließlich
brachten sie seinen vierzehn Jahre alten Sohn herbei und begannen, den Jungen vo
r den Augen des Vaters zu peitschen, und drohten, ihn so lange zu schlagen, bis
der Pfarrer aussagen würde, was sie von ihm hören wollten: Der arme Mann war hal
b von Sinnen. Er hielt aus, solange seine Kraft reichte. Als er es nicht mehr er
tragen konnte, rief er seinem Sohn zu: Alexander, ich muss jetzt aussagen, was si
e wissen wollen. Ich kann nicht länger ertragen, wie sie dich schlagen!" Der Jun
ge antwortete: Vater, tu mir das nicht an, dass ich einen Verräter zum Vater habe
. Bleib' standhaft gegen sie! Wenn sie mich töten, werde ich sterben mit den Wor
ten Jesus und mein Vaterland'." Voller Wut fielen die Kommunisten über das Kind
her und schlugen es zu Tode - die Zellenwände waren übersät mit Blutspritzern. N
och im Sterben pries er seinen Gott. Unser Bruder Florescu aber war nach diesem
Erleben nicht mehr derselbe wie vorher. Die Handfesseln, die uns um die Handgele
nke gelegt wurden, hatten auf den Innenseiten scharfe Spitzen. Wenn wir uns voll
kommen bewegungslos verhielten, stachen sie wenig. Aber in den bitterkalten Zell
en wurden unsere Handgelenke, da wir uns vor Kälte schüttelten, von den scharfen
Eisenspitzen aufgerissen. Einige Christen wurden an Tauen mit dem Kopf nach unt
en aufgehängt und dann so heftig geschlagen, dass ihre Körper unter den Schlägen
vor- und zurück schwangen. Andere wurden in Kühlfächer von Eisschränken gesteck
t, in denen der Frost das Eis schon an den Wänden hatte niederschlagen lassen. I
ch selber wurde in eine solche Eiszelle gesperrt mit kaum Bekleidung auf dem Lei
be. Gefängnisärzte überwachten uns durch eine Öffnung, bis sie die ersten Sympto
me tödlicher Starre bemerkten, gaben dann ein Warnzeichen, worauf Wachen herbeie
ilten, um uns in Empfang zu nehmen und wieder aufzuwärmen. Hatte sich der Körper
dann wieder etwas erwärmt, wurden wir von neuem in die Gefrierfächer gesteckt -
und das immer wieder! Auftauen, dann abkühlen bis knapp ein, zwei Minuten vor E
intreten des Erfrierungstodes, und wiederum auftauen. Das setzte sich schier end
los fort. Manchmal kann ich es selbst heute nicht ertragen, einen Kühlschrank zu
öffnen. Wir Christen wurden auch in Holzverschläge gesteckt, die kaum größer wa
ren als wir selber. Sie erlaubten keine Bewegungsfreiheit. Dutzende spitzer Näge
l waren in die Seitenwände getrieben und ragten mit ihren scharfkantigen Enden i
n den Verschlag hinein. Solange wir ganz still standen, war es noch erträglich.
Wir mußten in diesen Verschlägen aber Stunden um Stunden stehen. Wurden wir matt
und schwankten vor Ermüdung, bohrten sich die Nägel in unsere Körper. Schon wen
n wir uns bloß bewegten oder mit einer Muskel zuckten - sofort waren die quälend
en Nägel da. Was die Kommunisten den Christen angetan haben, übersteigt alle men
schliche Vorstellungskraft. Ich habe gesehen, wie Christen gefoltert wurden, und
die Gesichter der Folterer verzerrten sich dabei in hämischer Freude. Während s
ie ihre Opfer folterten, schrieen sie ihnen zu: Wir sind der Teufel!" Wir kämpfen
nämlich nicht gegen Fleisch und Blut, sondern gegen die Repräsentanten und Gewa
lten des Bösen selber. Uns ist es ganz deutlich geworden, dass dieses System nic
ht von Menschen stammt, sondern vorn Prinzip des Bösen, dem Teufel. Es stellt ei
ne geistige Gewalt dar, eine Macht des Bösen, und kann folglich nur durch eine g
rößere geistige Macht, den Geist Gottes, überwunden werden. Oft fragte ich die F
olterer: Habt ihr tatsächlich kein Mitleid in euren Herzen?" Gewöhnlich antwortet
en sie mit einem Zitat von Lenin: Man kann keine Omelette machen, ohne die Schale
der Eier zu zerbrechen, und man kann kein Holz spalten, ohne dass Späne fliegen
." Ich entgegnete: Ich kenne dieses Zitat von Lenin. Aber da besteht doch ein Unt
erschied. Wenn ein Stück Holz gespalten wird, fühlt es nichts. Hier aber habt ih
r es mit menschlichen Wesen zu tun. Jeder Schlag verursacht Schmerzen, und es gi
bt auch noch Mütter, die weinen." Es war alles umsonst. Sie sind Materialisten.
Für sie existiert nichts als Materie, und ein Mensch ist für sie wie ein Stück H
olz, wie eine Eierschale. Mit solchem Glauben sinken sie in unvorstellbare Tiefe
n der Grausamkeit. Für uns ist die Grausamkeit des Atheismus kaum zu fassen. We
nn aber ein Mensch nicht an eine Belohnung des Guten und eine Bestrafung des Bös
en glaubt, dann gibt es auch keinen Grund mehr, menschlich zu sein. Da gibt es k
eine Zurückhaltung mehr vor den Abgründen des Bösen, die im Menschen verborgen s
ind. Die kommunistischen Folterknechte sagten oft: Es gibt keinen Gott, kein Hern
ach, keine Bestrafung des Bösen. Wir können machen, was wir wollen." Einen diese
r Peiniger habe ich sogar sagen hören: Ich danke Gott, an den ich nicht glaube, d
ass ich diese Stunde erlebt habe, wo ich allem Bösen in meinem Herzen freien Lau
f lassen kann." Er brachte das auch in unglaublicher Brutalität und unmenschlich
er Folter, die er den Häftlingen antat, zum Ausdruck. Wenn ein Krokodil einen Me
nsch auffrißt, erregt das mein Mitleid, aber ich kann das Krokodil nicht verdamm
en. Es ist eben ein Krokodil. Es ist kein moralisches Wesen.
Ebenso wenig kann man über die Kommunisten ein moralisches Urteil fällen. Der Ko
mmunismus hat in ihnen jedes moralische Gefühl zerstört. Sie waren noch stolz da
rauf, dass sie kein Mitleid mehr in ihren Herzen fühlten. Ich habe von ihnen ein
s gelernt. Wie sie Jesus keinen Platz in ihrem Herzen einräumten, so entschloß i
ch mich, in meinem dem Satan auch nicht den geringsten Platz zu überlassen. Ich
habe vor dem Unterausschuß für Innere Sicherheit des amerikanischen Senats meine
Aussage gemacht. Dort habe ich über solche furchtbaren Dinge berichtet, wie Chr
isten vier Tage und Nächte lang an Kreuze gefesselt waren. Die Kreuze wurden auf
den Boden gelegt, und Hunderte von Häftlingen mußten nun ihre leibliche Notdurf
t über den Gesichtern und Leibern der Gekreuzigten verrichten. Dann wurden die K
reuze wieder aufgerichtet, und die Kommunisten frohlockten und spotteten: Betrach
tet euren Christus! Wie schön er ist! Was für einen Duft bringt er vom Himmel mi
t!" Ich habe geschildert, wie ein Priester, nachdem er durch das Foltern fast in
den Wahnsinn getrieben worden war, gezwungen wurde, menschlichen Kot und Urin z
u weihen und in dieser Form den Christen die Heilige Kommunion zu spenden. Das h
at sich in dem rumänischen Gefängnis von Pitesti ereignet. Ich habe den Priester
später gefragt, warum er nicht lieber gestorben sei, als an dieser Verhöhnung t
eilzuhaben. Er hat geantwortet: Bitte, maßen Sie sich kein Urteil über mich an. I
ch habe zuviel gelitten." Alle die aus der Bibel bekannten Darstellungen der Höl
le und auch die Qualen des Danteschen Infernos sind nichts im Vergleich mit den
Folterungen in kommunistischen Gefängnissen. Das hier Geschilderte ist nur ein k
leiner Ausschnitt von dem, was sich an einem Sonntag und an vielen anderen Sonnt
agen in dem Gefängnis von Pitesti zugetragen hat. Es geschahen dort Dinge, für d
ie sich einfach keine Worte finden. Ich fürchte, mein Herz würde aussetzen, soll
te ich sie immer von neuem beschreiben. Sie sind zu grauenhaft und zu obszön, um
hier niedergeschrieben zu werden. Aber eure Brüder in Christus haben sie durchl
ebt und müssen sie noch heute durchstehen! Einer der wahrhaft Großen im Glauben
war Pfarrer Milan Haimovici. Die Gefängnisse waren überfüllt, und die Wächter ka
nnten uns nicht mit Namen. Sie riefen gerade diejenigen auf, die zu fünfundzwanz
ig Peitschenhieben verurteilt worden waren, weil sie gegen irgendeinen Paragraph
en der Gefängnisordnung verstoßen hatten. Unzählige Male trat Pfarrer Milan Haim
ovici vor, um die Auspeitschung an Stelle eines anderen zu empfangen. Dadurch ge
wann er die Achtung der anderen Häftlinge nicht nur für sich, sondern auch für C
hristus, dessen Botschafter er war. Wenn ich fortfahren müßte, alle Greueltaten
der Atheisten und alle Selbstaufopferung der Christen darzustellen, käme ich zu
keinem Ende. Denn nicht nur die Folterungen wurden bekannt. Auch das heldenhafte
Verhalten kam ans Licht. Und dieses heldenhafte Beispiel von denen im Gefängnis
beflügelte die Brüder, die noch der Verhaftung entgangen waren, zum Zeugendiens
t. Unter unseren Mitarbeitern war auch ein junges Mädchen aus der Untergrundkirc
he. Die Polizei hatte herausgefunden, dass sie im geheimen Evangelien verteilte
und Kinder über Christus unterwies. Ihre Verhaftung war sicher. Um sie aber noch
peinigender und so qualvoll wie nur möglich zu machen, hatten sie wohl beschlos
sen, ihre Verhaftung noch einige Wochen aufzuschieben bis genau zu dem Tag, wo s
ie ihre Hochzeit festgesetzt hatte. Der Tag kam heran, das Mädchen war als Braut
geschmückt - der herrlichste, freudigste Tag im Leben eines Mädchens! Plötzlich
wurde die Tür aufgestoßen, und Geheimpolizisten stürzten herein. Als die Braut
die Geheimpolizisten sah, hielt sie ihnen ihre Arme entgegen, um sich widerstand
slos fesseln zu lassen. Roh legten sie ihr die Handschellen um die Handgelenke.
Sie blickte nach ihrem Geliebten, küßte dann die Ketten und sagte: Ich danke mein
em himmlischen Bräutigam für das Geschmeide, das er mir zu meinem Hochzeitstag g
eschenkt hat. Ich danke ihm, dass ich würdig bin, für ihn zu leiden." Sie wurde
fortgezerrt unter dem Weinen der Christen und den Tränen des zurückgelassenen Br
äutigams. Sie wußten, was jungen Mädchen, die Christus bekannten, in den Händen
kommunistischer Wachmannschaften zustößt. Nach fünf Jahren wurde sie entlassen -
eine zerstörte, gebrochene Frau, die dreißig Jahre älter aussah. Ihr Verlobter
hatte auf sie gewartet Sie sagte, es sei das Geringste gewesen, das sie für ihre
n Christus habe tun können. Solche ihrem Herrn ähnlichen Christen sind in der Un
tergrundkirche.

Wie Gehirnwäsche aussieht


Die Menschen im Westen haben wahrscheinlich von Gehirnwäsche im Koreakrieg und j
etzt in Vietnam gehört. Ich selbst bin durch eine solche Gehirnwäsche hindurchge
gangen. Sie ist wohl die allerschrecklichste Tortur. Jahrelang mußten wir sechze
hn Stunden am Tag still sitzen und ununterbrochen
hören: Kommunismus ist gut! Kommunismus ist gut! Kommunismus ist gut! Kommunismu
s ist gut! Christentum ist dumm! Christentum ist dumm! Christentum ist dumm! Chr
istentum ist dumm! Gib's auf! Gib's auf! Gib's auf! Gib's auf! Sechzehn lange St
unden am Tag - tagelang, wochenlang, monatelang. Es haben mich schon viele Chris
ten gefragt, wie wir der Hirnwäsche widerstehen konnten. Es gibt nur eine Method
e, der Gehirnwäsche zu widerstehen: sie heißt Herzwäsche". Wenn das Herz gereinig
t ist durch die Liebe Jesu Christi und dein Herz dann Ihn liebt, kannst du allen
Folterungen widerstehen. Was würde eine liebende Braut nicht tun für ihren Bräu
tigam, der sie liebt? Was würde eine liebende Mutter nicht für ihr Kind tun? Wen
n du Christus liebst, wie Maria es tat, die Jesus schon als kleines Kind in den
Armen hielt, wenn du Jesus Christus lieb hast wie eine Braut ihren Verlobten, da
nn kannst du solchen Folterungen widerstehen. Gott wird uns einmal nicht danach
beurteilen, wie viel wir erduldet haben, sondern wie viel Liebe wir aufgebracht
haben. Ich bin für die Christen in kommunistischen Gefängnissen Zeuge, dass sie
wirklich lieben konnten. Sie konnten Gott lieben und auch ihre Mitmenschen. Die
Folterungen hielten in ihrer Brutalität ohne Unterbrechung an. Wenn ich zuweilen
das Bewußtsein verlor oder gar zu benommen war, um den Peinigern noch irgendwel
che Hoffnung auf Geständnisse zu machen, wurde ich gewöhnlich wieder in meine Ze
lle zurück verfrachtet. Dort lag ich dann halb tot, aber doch unbeaufsichtigt un
d sammelte wieder etwas Kräfte, damit sie mich von neuem bearbeiten konnten. In
diesem Stadium der Folter starben viele. Aber irgendwie kehrten meine Kräfte imm
er wieder zurück. Im Laufe der folgenden Jahre brachen sie mir in verschiedenen
Gefängnissen vier Rückenwirbel und mehrere Knochen im Körper. An zwölf Stellen k
erbten sie mir tiefe Wundmale ein. Sie brannten und schnitten mir insgesamt acht
zehn Löcher in den Körper. Ärzte in Oslo, die all das gesehen haben und dazu die
Vernarbungen von einer Lungentuberkulose, die ich in jener Zeit durchgemacht ha
be, erklärten, es sei ein reines Wunder, dass ich überhaupt noch am Leben sei. N
ach dem Stand der Wissenschaft in ihren medizinischen Lehrbüchern hätte ich scho
n einige Jahre tot sein müssen. Ich selber weiß nur zu gut, dass es ein Wunder i
st. Gott ist ein Gott der Wunder. Ich glaube, Gott hat dieses Wunder getan, dami
t ihr meine Stimme es hinausschreien hört für die unterdrückte Kirche hinter dem
Eisernen Vorhang. Er hat einem erlaubt, lebend herauszukommen und laut die Kund
e von euren leidenden Brüdern in die Welt zu schreien!

Kurze Freiheit - neue Verhaftung


Das Jahr 1956 kam heran. Ich hatte achteinhalb Jahre im Gefängnis zugebracht. Ic
h hatte viel an Gewicht verloren, hatte böse Narben erworben, war brutal niederg
eschlagen worden und getreten, war verspottet worden, vor Hunger fast umgekommen
, unter seelischen Druck gesetzt, bis zum Erbrechen verhört, bedroht und dann li
nks liegen gelassen. Keins von allen diesen hatte das Ergebnis gezeitigt, auf da
s meine Zwingherren aus waren. So ließen sie mich schließlich voller Enttäuschun
g frei. Außerdem gingen bei ihnen ständig Proteste ein wegen meiner Inhaftierung
. Man erlaubte mir, in meine alte Stelle zurückzukehren - aber nur für eine Woch
e. Ich hielt ganze zwei Predigten. Dann riefen sie mich zu sich und teilten mir
mit, ich dürfte nicht mehr predigen noch mich in irgendeiner religiösen Arbeit w
eiterhin betätigen. Was hatte ich gesagt? Ich hatte meinen Gemeindegliedern den
Rat gegeben, Geduld, Geduld und nochmals Geduld" zu üben. Das bedeutet, Sie sagen
ihnen, nur geduldig abzuwarten, und die Amerikaner werden doch einmal kommen und
sie befreien!" schrie mir der Polizist entgegen. Ich hatte auch gesagt, dass si
ch das Rad der Geschichte weiterdreht und die Zeiten sich ändern. Sie wollen ihne
n damit sagen, dass der Kommunismus nicht immer regieren wird! Das sind konterre
volutionäre Lügen!" schrieen sie. Das war das Ende meines öffentlichen Pfarramte
s.
Wahrscheinlich glaubten die Behörden, nun hätte ich doch Angst, sie noch weiter
zu hintergehen und wieder wie früher meine Untergrundmission zu betreiben. Darin
hatten sie sich jedoch geirrt. Unauffällig kehrte ich in meine Arbeit zurück. M
eine Familie stand hinter mir. Nun bezeugte ich wiederum das Evangelium vor verb
orgenen Kreisen von Gläubigen, wobei ich wie ein Geist unter dem sicheren Geleit
von solchen, die vertrauenswürdig waren, zu ihnen kam und wieder verschwand. Di
eses Mal hatte ich zusätzlich Narben, die mein Urteil über das Böse des atheisti
schen Standpunkts bestätigten und schwankende Brüder ermutigten, ihr Vertrauen g
anz auf Gott zu setzen und standhaft zu bleiben. Ich richtete ein ganzes Netz vo
n Evangelisten ein, die in dem Gebiet Hand in Hand arbeiteten und das Evangelium
unter den durch Gottes Fügung blinden Augen der Kommunisten ausbreiteten. Denn
wenn ein Mensch so blind sein kann und Gottes Hand nicht am Werke sieht, wird er
wahrscheinlich die seiner Botschafter auch nicht ohne weiteres erkennen. Schlie
ßlich zahlte sich aber das pausenlose Interesse der Geheimpolizei für meine Täti
gkeit und meine Aufenthaltsorte aus. Ich wurde entdeckt und wieder eingekerkert.
Aus irgendeinem Grund steckten sie meine Familie diesmal nicht ins Gefängnis, v
ielleicht wegen des starken Widerhalls, den ich in der Öffentlichkeit gefunden h
atte. Achteinhalb Jahre Gefängnis hatte ich hinter mir und drei Jahre verhältnis
mäßiger Freiheit. Nun sollte ich weitere fünfeinhalb Jahre hinter Gefängnismauer
n verbringen. Meine zweite Inhaftierung war in mehrfacher Hinsicht schlimmer als
die erste. Ich wußte zu genau, was meiner wartete. Mein körperlicher Zustand ve
rschlechterte sich daher mit einem Schlage. Dennoch setzten wir die Untergrundar
beit der Untergrundkirche fort, auch im Untergrund kommunistischer Gefängnisse.

Ein Abkommen: wir predigten - sie schlugen


Es war mir streng verboten, den anderen Häftlingen Gottes Wort zu sagen. Es war
ein ungeschriebenes Gesetz, dass derjenige, der dabei ertappt wurde, eine schwer
e Prügelstrafe erhielt. Eine Anzahl von uns war willens, ihre Bedingungen anzune
hmen und den Preis zu zahlen für das Vorrecht, Christus zu predigen. Es war eine
Art Abkommen: Wir predigten, und sie schlugen uns dafür. Wir waren glücklich zu
predigen, sie waren glücklich, uns zu schlagen, so war jeder glücklich.
Der folgende Fall ereignete sich öfter, als dass ich mich an alle einzeln noch e
rinnern könnte: Ein Glaubensbruder war gerade dabei, den anderen Gefangenen zu p
redigen, als die Wächter plötzlich hereinstürzten und ihn mitten im Satz überras
chten. Sie zerrten ihn den langen Gang entlang zum Prügelzimmer". Nach schier end
losen Schlägen schleiften sie ihn zurück - blutüberströmt und zerschunden
- und warfen ihn auf den Gefängnisboden. Langsam richtete er seine zerschlagenen
Glieder auf, ordnete seine Kleider und sagte: Nun, Brüder, wo war ich stehen geb
lieben, als ich unterbrochen wurde?" Und er fuhr fort mit seiner Botschaft von C
hristus. Das waren wunderbare Erlebnisse. Manchmal waren die Prediger einfache L
aien. Schlichte Leute, aber erfüllt vom Heiligen Geist, die das Wort Gottes mit
Vollmacht verkündigten. Ihr ganzes Herz lag in ihren Worten, denn unter solchen
Strafandrohungen zu predigen war keine Kleinigkeit. Irgendwann kamen nämlich die
Wächter, holten den Prediger heraus und schlugen ihn halbtot. Im Gefängnis von
Gherla war ein Christ namens Grecu zum Tode durch Schläge verurteilt worden. Die
Prozedur zog sich über einige Wochen hin. In größeren Zeitabständen wurden ihm
die Schläge verabreicht. Zunächst wurde er einmal mit dem Gummiknüppel auf die F
ußsohlen geschlagen, dann ließ man von ihm ab. Einige Minuten danach traf ihn ei
n neuer Schlag, wenige Minuten später wieder einer. Plötzlich wurde er auf die H
oden geschlagen. Dann kam ein Arzt und gab ihm eine Spritze. Er kam wieder zu si
ch, man gab ihm sehr gutes Essen, um seine Kräfte wiederherzustellen, und dann w
urde er von neuem geschlagen - geschlagen, bis er unter diesen langsamen, ständi
g wiederholten Schlägen endlich starb. Einer, der die Folterung leitete, war Mit
glied des Zentralkomitees der kommunistischen Partei und hieß Reck. Zu einem bes
timmten Zeitpunkt pflegte dann Reck eine besondere Mitteilung zu machen, die die
Kommunisten den eingekerkerten Christen gern unterbreiteten: Jetzt weißt du es -
ich bin Gott. Ich habe Macht über Leben und Tod dir gegenüber. Der da im Himmel
ist, kann nicht entscheiden, ob du am Leben bleibst. Das hängt allein von mir a
b. Wenn ich es will, bleibst du am Leben. Und wenn ich es anders will, wirst du
getötet. Ich bin also Gott!" So verspottete er die Christen. Bruder Grecu gab in
seiner furchtbaren Lage diesem Reck eine sehr interessante Antwort, die ich spä
ter von Reck selber gehört habe: Du weißt gar nicht, was für ein tiefgründiges Wo
rt du gesagt hast. Du bist wirklich ein Gott. Jede Raupe ist ja in Wirklichkeit
ein Schmetterling, wenn sie sich richtig entwickelt. Du bist nämlich nicht dazu
geschaffen, um ein Folterer zu sein, ein Mensch, der andere tötet. Du bist gesch
affen, um ein gottähnliches Wesen zu werden. Jesus sagte zu den Juden seiner Zei
t: Ihr seid Götter.' Auch in euch schlummert das Leben der Gottheit. Viele, die g
enauso waren wie ihr, Verfolger wie der Apostel Paulus, haben zu einem bestimmte
n Zeitpunkt ihres Lebens entdeckt, dass es den Menschen schändet, Grausamkeiten
zu begehen, dass er ja weit Besseres tun könnte. Durch diese Erkenntnis sind sie
der göttlichen Natur teilhaftig geworden. Glauben Sie mir, Herr Reck, Ihre wirk
liche Berufung ist, ein Kind Gottes zu sein, von göttlicher Art - kein Folterer.
" In diesem Augenblick achtete Reck nicht besonders auf die Worte seines Opfers,
sowenig wie Saulus von Tarsus dem herrlichen Zeugnis des Stephanus Beachtung sc
henkte, der in seinem Beisein getötet wurde. Dennoch wirkten jene Worte in seine
m Herzen weiter. Und auch Reck hat später noch begriffen, dass dies seine wahre
Berufung gewesen ist. Aus all den Prügeleien, Folterungen und Metzeleien stieg u
ns eine tiefe Erkenntnis auf: dass der Geist Herr über den Körper ist. Gar oft,
wenn wir gefoltert wurden, fühlten wir wohl die Folter, aber doch wie im Abstand
von uns und weit entfernt von unserem Geist, der in die Herrlichkeit Christi un
d seine lebendige Gegenwart eingetaucht war. Als sie uns wöchentlich nur noch ei
ne Scheibe Brot und täglich eine schmutzige Suppe gaben, beschlossen wir, selbst
davon noch gewissenhaft den Zehnten zu geben. Jede zehnte Woche nahmen wir die
Scheibe Brot und gaben sie schwächeren Brüdern als unseren Zehnten an den Herrn.
Einer der inhaftierten Christen war zum Tode verurteilt. Bevor er hingerichtet
wurde, durfte er noch einmal seine Frau sehen. Seine letzten Worte an seine Frau
waren: Sei gewiß, dass ich in den Tod gehe und dennoch die liebe, die mich töten
. Sie wissen nicht, was sie tun, und meine letzte Bitte an dich ist, sie auch zu
lieben. Behalte keine Bitterkeit in deinem Herzen, weil sie den töten, den du l
iebst. Wir sehen uns im Himmel wieder." Diese Worte hinterließen einen tiefen Ei
ndruck in dem Offizier der Geheimpolizei, der bei der Unterhaltung zwischen den
beiden zugegen war und mir später die Geschichte im Gefängnis erzählt hat, in da
s er eingeliefert worden war, weil er ein Christ wurde. In dem Gefängnis von Tir
gu-Ocna befand sich ein sehr junger Häftling namens Matchevici. Er war mit achtz
ehn Jahren ins Gefängnis gekommen. Nach schweren Folterungen war er Tuberkulose
krank geworden. Seine Familie fand irgendwie heraus, dass sein Gesundheitszustan
d bedenklich war und schickte ihm einhundert Ampullen Streptomyzin, das über Leb
en und Tod entscheiden konnte. Der politische Offizier ließ ihn rufen, zeigte ih
m das Päckchen und sagte: Hier ist die Medizin, die dein Leben retten kann. Aber
es ist dir nicht gestattet, Päckchen von deiner Familie zu empfangen. Ich persön
lich möchte dir gerne helfen. Du bist noch jung. Ich möchte nicht, dass du im Ge
fängnis stirbst. Hilf mir, damit ich dir helfen kann! Gib mir Informationen über
deine Mitgefangenen. Das versetzt mich in die Lage, es vor meinen Vorgesetzten
zu rechtfertigen, dass ich dir die Medizin aushändigte." Matchevici antwortete o
hne Zögern: Ich möchte nicht am Leben bleiben und mich vor mir selber schämen müs
sen, wenn ich in einen Spiegel blicke, weil mich das Gesicht eines Verräters dar
aus anblickt. Solch eine Bedingung kann ich nicht annehmen. Dann will ich lieber
sterben." Der Beamte der Geheimpolizei gab ihm die Hand und sagte: Ich kann dich
nur beglückwünschen. Ich habe keine andere Antwort von dir erwartet. Ich möchte
dir aber gern einen anderen Vorschlag machen. Unter den Häftlingen hier sind ei
nige unsere Spitzel geworden. Sie geben vor, Kommunisten zu sein, und sie denunz
ieren euch. Sie spielen eine Doppelrolle. Wir haben kein Vertrauen in sie. Wir m
öchten gern wissen, wieweit sie aufrichtig sind. Euch gegenüber sind sie jedenfa
lls Verräter. Sie tun euch viel Böses an, indem sie uns über eure Gespräche und
Handlungen unterrichten. Ich kann verstehen, dass du deine Kameraden nicht verra
ten willst. Aber gib uns doch Nachrichten über diejenigen, die gegen euch sind,
dann kannst du dein Leben retten!" Matchevici antwortete ebenso unverzüglich wie
das erste Mal: Ich bin ein jünger Jesu Christi, und er hat mich gelehrt, auch un
sere Feinde zu lieben. Diese Leute, die uns verraten, tun uns zwar viel Leid an,
aber ich kann nicht Böses mit Bösem vergelten. Selbst gegen sie kann ich nicht
irgendwelche Aussagen machen. Sie tun mir leid, ich bete für sie, aber mit Kommu
nisten möchte ich nicht in irgendeiner Verbindung stehen." Matchevici kam von de
r Unterredung mit dem Polit-Offizier zurück und starb in derselben Zelle, in der
ich war. Ich sah, wie er starb - er lobte Gott. Die Liebe hatte bei ihm sogar d
en kreatürlichen Lebenshunger besiegt. Wenn ein armer Mann ein großer Musiklieb
haber ist, dann gibt er seine letzte Mark hin, um ein Konzert zu hören. Er ist d
ann zwar ohne Geld, aber er fühlt sich nicht enttäuscht, denn er hat etwas Wunde
rschönes gehört.
Ich habe nicht das Gefühl eines sinnlosen Verlustes, wenn ich an die vielen Jahr
e im Gefängnis denke. Ich habe dort herrliche Dinge erlebt. Was mich betrifft, s
o gehörte ich im Gefängnis zu den Schwachen und Unscheinbaren, aber ich habe das
Vorrecht gehabt, im selben Kerker mit großen Heiligen zusammen zu sein, mit Hel
den des Glaubens, die den Christen der ersten Jahrhunderte gleichkamen. Sie ging
en freudig für Christus in den Tod. Die geistige Schönheit solcher Heiligen und
Glaubenshelden läßt sich mit Worten nicht beschreiben. Die Dinge, die ich hier b
erichte, sind nicht etwa außergewöhnlich. Denn die übernatürlichen Dinge sind de
n Christen der Untergrundkirche natürlich geworden. Die Untergrundkirche ist die
Kirche, die zu der ersten Liebe zurückgefunden hat. Auch bevor ich ins Gefängni
s kam, liebte ich Christus sehr. Nun aber, nachdem ich die Braut Christi" - Seine
n geistlichen Leib - im Gefängnis gesehen habe, möchte ich sagen, ich liebe die
Untergrundkirche ebenso wie ich Christus selber liebe. Ich habe etwas von ihrer
Schönheit gesehen, von ihrem Geist der Selbstaufopferung.

Was mit meiner Frau und meinem Sohn geschah


Nach meiner Verhaftung war ich von meiner Frau getrennt worden. Ich wußte nicht,
was aus ihr danach geworden war. Erst viele Jahre später hörte ich, dass auch s
ie ins Gefängnis geworfen worden war. Frauen haben als Christen im Gefängnis vie
l mehr zu leiden als Männer. Junge Mädchen vor allem wurden von den Wachmannscha
ften brutal vergewaltigt. Ihr Spott, ihre unzüchtige Gemeinheit waren einfach ab
scheulich. Die inhaftierten Frauen wurden gezwungen, bei einem Kanalbau harte Ar
beit zu verrichten, und sie hatten dieselbe Arbeitslast zu erfüllen wie die Männ
er. Im Winter mußten sie Erde schaufeln. Prostituierte wurden zu ihren Aufseheri
nnen gemacht und überboten sich gegenseitig im Quälen der Gläubigen. Meine Frau
hat damals Gras gegessen wie das Vieh, nur um am Leben zu bleiben. Ratten und S
chlangen wurden von den ausgehungerten Gefangenen an diesem Kanal verzehrt. Eine
der Hauptbelustigungen der Wachmannschaften war an Sonntagen, Frauen in die Don
au zu werfen und sie dann wieder herauszufischen, sie dem allgemeinen Gelächter
preiszugeben und zu verspotten, wenn sie an ihren nassen Körpern heruntersahen,
sie dann wieder zurückzustoßen ins Wasser und von neuem herauszufischen. Auf die
se grausame Art ist auch meine Frau in die Donau
geworfen worden. Mein Sohn war auf die Straße gesetzt worden, als seine Mutter u
nd sein Vater ihm entrissen wurden. Mihai war von Kindheit an sehr religiös und
immer sehr interessiert gewesen an Glaubensdingen. Später, mit neun Jahren, als
ihm Vater und Mutter weggenommen waren, machte er in seinem Christenleben eine K
rise durch. Er war verbittert worden und stellte nun alle seine religiösen Ansch
auungen in Frage. In diesem Alter hatte er Probleme, die Kinder normalerweise no
ch nicht haben. Er mußte sich ja auch schon Gedanken machen, wie er seinen Leben
sunterhalt bestritt. Es war nämlich ein Verbrechen, den Familien verfolgter und
verurteilter Christen zu helfen. Zwei Frauen, die sich Mihais angenommen hatten,
wurden hinterher verhaftet und so arg geschlagen, dass sie noch heute Krüppel s
ind -- fünfzehn Jahre danach. Eine Frau, die damit ihr Leben wagte, dass sie Mih
ai in ihr Haus aufnahm, wurde zu acht Jahren Gefängnis verurteilt wegen des Verb
rechens, einem Kind aus einer Familie von politischen Gefangenen geholfen zu hab
en. Ihr wurden alle Zähne im Gefängnis ausgeschlagen. Man fügte ihr mehrere Knoc
henbrüche zu. Sie wird nie mehr arbeiten können. Auch sie wird zeitlebens ein Kr
üppel bleiben.
Mihai, glaube an Jesus!"
Vom elften Lebensjahr an verdiente Mihai seinen Lebensunterhalt als gewöhnlicher
Arbeiter selber. Das Leid, das er schon in jungen Jahren erfuhr, hatte eine Ers
chütterung in seinem Glauben hervorgerufen. Nachdem zwei Jahre von der Haftzeit
meiner Frau verstrichen waren, erlaubte man ihm einen kurzen Besuch. Er kam in d
as kommunistische Gefängnis und sah seine Mutter hinter Eisengittern. Sie war sc
hmutzig, abgemagert, hatte schrundige Hände und trug die schäbige Sträflingskluf
t. Er erkannte sie kaum wieder. Ihre ersten Worte waren: Mihai, glaube an Jesus!"
In wilder Wut zerrten sie die Wachen von Mihai weg und führten sie ab. Mihai we
inte, als er mit ansah, wie seine Mutter fort gestoßen wurde. Dies wurde die Stu
nde seiner Bekehrung. Wenn jemand unter solchen Umständen Christus noch lieben k
onnte, dann war Er sicherlich - so viel erkannte er jetzt - der wahre Erretter.
Später äußerte er: Wenn das Christentum keine anderen Argumente zu seinen Gunsten
hätte als allein die Tatsache, dass meine Mutter daran glaubt, dann ist das für
mich genug." An jenem Tag nahm er Christus ganz an.
In der Schule hatte er einen ständigen Kampf um seine Selbstbehauptung zu führen
. Er war ein guter Schiller, und als Belohnung wurde ihm ein rotes Halstuch gesc
henkt - als Zeichen seiner Mitgliedschaft bei den Jungen Pionieren der Kommunist
en. Da sagte mein Sohn: Ich werde niemals das Halstuch von denen tragen, die mein
en Vater und meine Mutter ins Gefängnis geworfen haben." Dafür wurde er von der
Schule verwiesen. Nachdem er ein Jahr verloren hatte, trat er in eine andere Sch
ule ein, verbarg aber diesmal, dass er der Sohn inhaftierter Christen war. Dort
sollte er einige Zeit später ein Streitgespräch gegen die Bibel abfassen. In die
ser Abhandlung schrieb er: Die Argumente gegen die Bibel sind schwach, und die an
geführten Zitate gegen die Bibel sind unwahr. Ganz sicher hat der Professor die
Bibel nicht gelesen. Die Bibel ist durchaus im Einklang mit der Wissenschaft." W
ieder flog er von der Schule. Diesmal mußte er zwei Schuljahre einbüßen. Schließ
lich durfte er doch noch im Theologischen Seminar studieren. Hier lehrte man ihn
Marxistische Theologie". Alles wurde hier nach dem Muster von Karl Marx erklärt.
Mihai protestierte öffentlich in der Klasse. Andere Studenten schlossen sich ih
m an. Das Ergebnis war, dass er auch von hier abgewiesen wurde und seine theolog
ischen Studien nicht abschließen konnte. Als in der Schule einmal ein Professor
eine atheistische Rede hielt, erhob sich mein Sohn Mihai, widersprach dem Profes
sor und sagte ihm, was er für eine Verantwortung trage, wenn er so viele junge M
enschen irreführe. Die ganze Klasse ergriff für ihn Partei. Es hatte nur des Ans
toßes bedurft, dass einer den Mut hatte und es als erster aussprach. Dann waren
die anderen schon auf seiner Seite. Andererseits, wenn er eine abgeschlossene Au
sbildung haben wollte, mußte er ständig die Tatsachen verbergen, dass er der Soh
n von Wurmbrand, dem inhaftierten Pfarrer, war. Allzu häufig wurde es aber entde
ckt, und dann folgte die schon vertraute Szene, dass er in das Direktorzimmer ge
rufen und von der Schule verwiesen wurde. Mihai litt in der ganzen Zeit großen H
unger. In atheistischen Ländern gehen die Angehörigen eingekerkerter Christen fa
st immer am Hunger zugrunde. Denn es gilt als großes Verbrechen, ihnen zu helfen
. Ich will hier nur einen Fall vom Leidensweg einer Familie berichten, die ich p
ersönlich gut kenne. Ein Glaubensbruder kam ins Gefängnis wegen seiner Arbeit in
der Untergrundkirche. Er ließ seine Frau mit sechs Kindern zurück. Die älteren
Töchter von siebzehn und neunzehn Jahren konnten keine Arbeit bekommen. Die einz
ige Stelle, die in einem kommunistischen Land Arbeitsplätze vergibt, ist der Sta
at, und er gibt Kindern von kriminellen" Christen keine Stellen. Was sich im Folg
enden in dieser Familie zugetragen hat, sollte nicht Gegenstand moralischer Entr
üstung sein. Laßt einfach die Tatsachen sprechen! Die beiden Töchter dieses verf
olgten Bruders aus der unterdrückten Kirche -- sie selber Christen - wurden Pros
tituierte, um ihre kleineren Brüder und ihre kranke Mutter zu ernähren. Einer vo
n ihren jüngeren Brüdern, gerade vierzehn Jahre alt, der das erfaßte, verlor den
Verstand und mußte in eine Heilanstalt gebracht werden. Als der Vater nach Jahr
en aus dem Gefängnis heimkam und hinter alles schaute, war seine einzige Bitte: H
err Gott, nimm mich zurück ins Gefängnis, ich kann es nicht ertragen, das mit an
zusehen!" Sein Gebet ist erhört worden. Er sitzt jetzt wieder im Gefängnis wegen
des Verbrechens, Kindern die Frohe Botschaft von Jesus Christus gesagt zu haben
. Seine Töchter sind keine Prostituierten mehr. Sie haben jetzt eine Stelle beko
mmen, weil sie sich der Forderung der Geheimpolizei gefügt, haben. Sie sind Spit
zel geworden. Als Töchter verfolgter Christen werden sie in jedem christlichen H
aus ehrenvoll aufgenommen. Sie hören nur zu, und dann berichten sie das Gehörte
der Geheimpolizei. Macht es euch nicht zu einfach, dass ihr sagt, das ist gemein
und unmoralisch - natürlich ist es das -, sondern fragt euch lieber einmal selb
er, ob es nicht auch ein Teil eurer Schuld ist, dass sich solche Tragödien abspi
elen können, dass solche Familien von Gläubigen allein gelassen werden - auch oh
ne Hilfe von euch, die ihr frei seid und noch helfen könnt.

3. Kapitel
Volle vierzehn Jahre hinter Gefängnismauern sind über mich hinweggegangen. Währe
nd dieser Zeit habe ich niemals eine Bibel oder irgendein Buch gesehen. Ich hatt
e fast das Schreiben verlernt. Unter dem ständig quälenden Hunger, der geistigen
Schwäche und den Folterungen konnte ich sogar die Heilige Schrift nicht mehr im
Gedächtnis behalten. Aber an dem Tage, an dem ich die vierzehn Jahre Kerker vol
l gemacht hatte, stieg aus der Vergessenheit meines Geistes der eine Vers in mei
n Bewußtsein: Jakob arbeitete um Rahel vierzehn Jahre, und es schien ihm eine kle
ine Zeit, denn er liebte sie." Bald hiernach wurde ich auf Grund einer allgemein
en Amnestie, die in unserem Land erlassen worden war, freigelassen, nicht zuletz
t auch durch den wachsenden Einfluß der öffentlichen Meinung in Amerika. Ich sah
meine Frau wieder. Sie hatte über vierzehn Jahre treu auf mich gewartet. Wir fi
ngen unser Leben noch einmal von vorne an, in größter Armut, weil einem, der im
Gefängnis sitzt, vom Staat einfach alles weggenommen wird. Die Priester und Pfar
rer, die entlassen wurden, konnten wieder kleine Kirchen erhalten. Mir teilte ma
n eine Kirche in der Stadt Orsova zu. Das kommunistische Referat für Religion sa
gte mir, es gebe fünfunddreißig Mitglieder dort und wies warnend darauf hin, es
dürften niemals sechsunddreißig sein! Man teilte mir weiterhin mit, dass ich ihr
Agent sein müsse und über jedes Mitglied dieser Kirche der Geheimpolizei zu ber
ichten hätte und vor allem alle Jugendlichen fernhalten müsse. Das ist die Metho
de, wie die Kommunisten die Kirche als Kontrollorgan benutzen. Ich wußte, dass v
iele kommen würden, wenn ich predigte. Deshalb versuchte ich erst gar nicht, in
der offiziellen Kirche meinen Dienst zu beginnen. So arbeitete ich wieder in der
Untergrundkirche und teilte alle Freuden und Gefahren dieser Arbeit. Während de
r Jahre, die ich im Gefängnis war, hatte Gott sein Werk wunderbar gefördert. Die
Untergrundkirche war jetzt nicht mehr so verloren und verlassen. Christen aus A
merika und anderen Ländern hatten angefangen, uns zu unterstützen und für uns zu
beten. Eines Nachmittags ruhte ich ein wenig im Hause eines Bruders in einer Pr
ovinzstadt. Plötzlich weckte er mich auf und rief: "Brüder aus dem Ausland sind
gekommen." Es gab also noch Christen im Westen, die uns nicht vergessen und abge
schrieben hatten. Mitglieder aus verschiedenen christlichen Kirchen hatten ein g
eheimes Hilfswerk in die Wege geleitet für Familien verfolgter Christen und für
die Einschleusung christlicher Literatur und praktischer Hilfe. Im angrenzenden
Zimmer fand ich sechs Brüder vor, die gekommen waren, um dieses Werk zu vollbrin
gen. Sie besprachen viele Fragen mit mir. Schließlich erwähnten sie auch, dass s
ich hier jemand aufhalten müsse, der vierzehn Jahre im Gefängnis verbracht habe,
und sie hätten ihn gern gesehen. Als ich ihnen sagte, ich sei es, entgegneten s
ie: "Wir haben erwartet, einen abgestumpften Menschen zu sehen. Sie können diese
Person doch nicht sein, denn Sie sind ja voller Freude!" Nochmals versicherte i
ch ihnen, ich sei der Häftling, meine Freude aber rühre daher, dass sie vom Ausl
and zu uns gekommen seien und wir jetzt nicht mehr vergessen seien. Eine gleich
bleibende, regelmäßige Unterstützung kam von nun an unserer Untergrundkirche zug
ute. Durch geheime Kanäle erhielten wir nun viele Bibeln und christliche Literat
ur und auch finanzielle Hilfe für die Familien christlicher Blutzeugen. Jetzt, w
o wir unterstützt wurden, konnten auch wir von der Untergrundkirche viel besser
arbeiten. Es ging nicht nur darum, dass sie uns Bibeln und damit Gottes Wort bra
chten, sondern wir sahen vor allem jetzt, dass man uns lieb hatte. Sie haben uns
zum ersten Mal wieder ein Wort des Trostes gebracht. Während der Jahre der Gehi
rnwäsche hatten wir nur das eine gehört: Niemand liebt euch mehr - niemand liebt
euch mehr - niemand liebt euch mehr..." Nun sahen wir auf einmal Christen aus En
gland und Amerika leibhaftig vor uns, die ihr Leben aufs Spiel setzten und uns b
ewiesen, dass sie uns wirklich liebten. Sie nahmen unseren Rat an und entwickelt
en eine besondere Methode zur Tarnung ihrer Arbeit. Sie schlichen in Häuser, die
von der Geheimpolizei umstellt waren. Die Polizei merkte nicht, dass sie hinein
gegangen waren. Der Wert der Bibeln, die auf diesem Wege eingeschmuggelt wurden,
kann gar nicht ermessen werden von den Christen in England oder Deutschland, di
e in Bibeln schwimmen". Meine Familie und ich hätten ohne die materielle Hilfe, d
ie wir von betenden Christen im Ausland empfangen haben, sicher nicht überlebt.
Dasselbe trifft auf viele Pfarrer der Untergrundkirche und die um ihres Glaubens
willen Verfolgten in all den anderen atheistischen Ländern ebenfalls zu. Ich ka
nn das
bezeugen aus meiner eigenen Erfahrung solcher materiellen und, was eigentlich no
ch wichtiger ist, moralischen Hilfe, die uns durch die Christliche Europa-Missio
n Großbritanniens zuteil geworden ist. Für uns waren ihre Männer wie Engel, die
Gott gesandt hatte! Wegen meiner erneut aufgenommenen Arbeit in der Untergrundki
rche stand ich in größter Gefahr einer abermaligen Verhaftung. In diesem kritisc
hen Zeitpunkt unternahmen es zwei christliche Organisationen, die Norwegische Mi
ssion an Juden und die Jüdisch-Christliche Allianz, ein Lösegeld von zweitausend
fünfhundert englischen Pfund (ca. 29.000 DM 1965) für mich zu zahlen. Jetzt konn
te ich Rumänien verlassen.

Warum ich das kommunistische Rumänien verließ


Ich hätte Rumänien, trotz aller Gefahren, nicht verlassen, wenn die Leiter der U
ntergrundkirche mich nicht beauftragt hätten, diese Gelegenheit zum Verlassen de
s Landes zu benutzen, um dadurch gleichsam die Stimme" der Untergrundkirche in de
r Freien Welt zu werden. Es war ihr Wunsch, dass ich zu euch in der westlichen W
elt in ihrem Namen über ihre Leiden und ihre Nöte sprechen sollte. So kam ich na
ch dem Westen, aber mein Herz blieb bei ihnen. Hätte ich nicht die dringende Not
wendigkeit, dass auch ihr vom Leiden und von der unerschrockenen Arbeit der Unte
rgrundkirche erfahrt, so deutlich gesehen, ich hätte nie Rumänien verlassen. Die
s ist mein einziger Auftrag. Bevor ich aber Rumänien verließ, wurde ich zweimal
zur Geheimpolizei bestellt. Zunächst bestätigten sie mir, dass das Geld für mich
eingegangen war. (Rumänien verkauft seine Bürger für Geld wegen der schweren Wi
rtschaftskrise, in die der Kommunismus unser Land gestürzt hat.) Darm sagten sie
zu mir: Gehe nun in den Westen und predige Christus, soviel du willst, aber laß
uns aus dem Spiel! Sprich ja kein Wort gegen uns! Wir sagen dir offen, was wir m
it dir im Sinne haben, wenn du etwa ausplauderst, was hier geschehen ist. In jed
em Fall könnten wir für fünftausend Mark einen Kriminellen anwerben, der dich li
quidiert. Wir können dich aber auch entführen. (Ich selber bin in derselben Zell
e mit dem orthodoxen Bischof Vasile Leul zusammen gewesen, der in Österreich ger
aubt und nach Rumänien entführt worden ist. Alle seine Fingernägel waren herausg
erissen. Ich bin auch mit solchen zusammengetroffen, die aus Berlin entführt wor
den waren. Und erst kürzlich sind
Rumänen aus Italien und aus Paris entführt worden.) Weiterhin sagten mir die Bea
mten: Wir können dich auch moralisch erledigen, indem wir irgendeine Geschichte ü
ber dich in die Welt setzen, etwa eine Sache mit einer Frau, einen Diebstahl ode
r irgendwelche Verfehlungen aus deiner fugend. Die Leute im Westen, besonders di
e Amerikaner, lassen sich sehr leicht täuschen und hinters Licht führen." Nachde
m sie mich so bedroht hatten, erlaubten sie mir, in den Westen zu gehen. Sie hab
en ein erstaunliches Vertrauen in ihre Gehirnwäsche gesetzt, durch die ich hindu
rchgegangen bin. Im Westen sind zurzeit noch viele, die dasselbe durchgemacht ha
ben wie ich - aber sie sind stumm. Einige von ihnen preisen sogar den Kommunismu
s, nachdem sie durch seine Leute gefoltert worden sind. Die Kommunisten waren da
her ganz sicher, dass auch ich schweigen würde. Dadurch konnte ich im Dezember 1
965 mit meiner Familie Rumänien verlassen. Meine letzte Handlung vor der Ausreis
e war, an das Grab jenes Obersten zu gehen, der Befehl zu meiner Verhaftung gege
ben und mir Jahre der Folterung verschafft hatte. Ich legte eine Blume auf sein
Grab. Während ich das tat, gelobte ich in meinem Herzen, die Freude über die Err
ettung durch Christus, die ich selber habe, auch den Kommunisten zu bringen, die
geistlich so völlig leer sind. Ich hasse das kommunistische System, aber ich li
ebe die Kommunisten. Das sei auch hier wieder gesagt. Ich hasse die Sünde, aber
ich liebe den Sünder. Ja, ich liebe die Kommunisten von ganzem Herzen. Die Kommu
nisten können wohl die Christen töten, aber ihre Liebe gerade zu denen, die sie
in den Tod schicken, können sie nicht töten.

4. Kapitel
Die Juden haben eine Legende, dass damals, als ihre Vorväter aus der Hand der Äg
ypter gerettet wurden und die Ägypter im Roten Meer ertranken, die Engel in die
Siegeslieder einstimmten, die von den Israeliten gesungen wurden. Da soll Gott z
u den Engeln gesagt haben: Die Juden sind Menschen und dürfen sich über ihre Erre
ttung freuen. Von euch aber erwarte ich ein tieferes Verstehen. Sind die Ägypter
nicht auch meine Geschöpfe? Liebe ich sie nicht ebenso? Wie ist es möglich, das
s ihr für meinen Kummer über ihr tragisches Schicksal kein Empfinden habt?" Als
Josua vor Jericho stand, hob er seine Augen auf und wurde gewahr, dass ein Mann
ihm gegenüberstand, der ein blankes Schwert in der Hand hatte. Da ging Josua zu
ihm hin und sprach zu ihm: Bist du mit uns oder mit unseren Feinden?" (Josua 5, 1
3). Wenn der Mann, den Josua dort getroffen hatte, ein Mensch gewesen wäre, hätt
e die Antwort nur sein können Ich bin mit euch", Ich bin mit euren Feinden" oder Ic
h bin neutral". Das sind die einzig möglichen menschlichen Antworten auf eine so
lche Frage. Aber das Wesen, dem Josua gegenüberstand, war aus einer anderen Welt
und gab daher auf die Frage, ob er für oder gegen Israel sei, eine Antwort, die
höchst unerwartet ist und schwer zu verstehen: Nein!" Was bedeutet dieses Nein"?
Der so sprach, kam von einer Welt, deren Bewohner nicht für" oder gegen" sind, son
dern wo jeder und jedes mit Erbarmen und Mitleiden angesehen und herzlich gelieb
t wird. Es gibt freilich einen Maßstab der Menschlichkeit. Gemessen an diesem Ma
ßstab, kann der Kommunismus nur abgelehnt werden. Ja, dieser Maßstab macht es un
s zur Pflicht, den atheistischen Materialismus zu bekämpfen, weil sie damit die
Bannerträger eines grausamen, unmenschlichen Ideals sind. Und doch sind Christen
noch mehr als dem Menschlichen verpflichtet: Sie sind Kinder Gottes und damit T
eilhaber seiner göttlichen Natur (2. Petrus 1, 4). Nur deshalb haben mich die Fo
lterungen, die ich in den Gefängnissen erduldet habe, nicht dazu gebracht, die K
ommunisten zu hassen. Auch sie sind Geschöpfe Gottes, obwohl sie das selber nich
t wahrhaben wollen. Wie könnte ich sie da hassen? Ich kann aber auch nicht mit i
hnen und ihr Freund sein. Freundschaft bedeutet, dass zwei ein Herz und eine See
le sind. Ich kann nicht ein Herz und eine Seele mit den Atheisten sein. Denn sie
hassen schon die bloße Vorstellung von Gott. Ich aber liebe
Gott. Wenn man mich nun fragte: Bist du für oder gegen die Kommunisten?" so würde
meine Antwort komplex sein. Der Kommunismus ist die größte Bedrohung der Mensch
lichkeit und deshalb der Menschheit. Von daher gesehen, muss ich auf der entgege
n gesetzten Seite sein und ihn bekämpfen, bis er über-wunden ist. Aber durch Got
tes Geist bin ich hier schon Christi Hausgenosse und Bürger der himmlischen Welt
. Da befinde ich mich in der Sphäre des Nein", jenes Weder-Noch", wo die Kommunist
en trotz all ihrer Verbrechen noch verstanden und geliebt werden, jener Sphäre,
in der Wesen von göttlicher Natur als Beauftragte Gottes walten und jedem ohne A
nsehen der Person helfen, das Ziel unseres menschlichen Lebens zu erreichen, zu
werden wie Jesus Christus. Daher ist mein einziges Ziel, das Evangelium den Komm
unisten zu bringen, auch ihnen das große Angebot Gottes eines unvergänglichen Le
bens zu verkünden. Christus, der mein Herr ist, liebt die Kommunisten. Er hat se
lbst gesagt, dass er alle Menschen liebt und eher neunundneunzig gerechte" Schafe
zurückläßt, als zuzugeben, dass das eine verirrte verloren geht. Seine Apostel
und alle späteren großen Lehrer der Christenheit haben diese universale Liebe in
Seinem Namen bezeugt. Der heilige Makarios sagt: Wenn ein Mensch alle Menschen i
nbrünstig liebt, von einem einzigen aber sagt, den könne er nicht lieben - dann
ist dieser Mensch, der das sagt, kein Christ mehr, denn seine Liebe ist nicht al
lumfassend." Und der Kirchenvater Augustin lehrt: Wenn die ganze Menschheit gerec
ht und nur ein einziger Mensch ein Sünder gewesen wäre, so wäre Christus doch ge
kommen und hätte für diesen einen Menschen dasselbe Kreuz erduldet - so sehr lie
bt er jeden einzelnen persönlich." Die christliche Lehre ist ganz klar. Als Mens
chen liebt Christus die Kommunisten. So handelt jeder, der Christi Geist hat. Wi
r lieben den Sünder, obwohl wir, ja, gerade weil wir die Sünde hassen.
Wir kennen die Liebe des auferstandenen Christus zu allen Menschen und darum auc
h zu den Kommunisten aus unserer eigenen Liebe zu ihnen. Ich habe Christen in de
n Gefängnissen gesehen mit fünfzig Pfund Ketten an ihren Füßen, gefoltert mit gl
ühenden Feuerhaken, in ihren Kehlen gewaltsam mit Löffeln eingeflößtes Salz ohne
den geringsten Zusatz von Wasser, ausgehungert, durchgepeitscht, vor Kälte zitt
ernd - und dennoch aus tiefem Herzen betend für die Kommunisten. Menschlich ist
das nicht zu erklären! Das ist nur aus der Liebe Christi möglich, die in ihr Her
z ausgegossen ist.
Später kamen von den Kommunisten, die uns gefoltert hatten, einige ebenfalls ins
Gefängnis. Unter der Herrschaft des Kommunismus werden manchmal die eigenen Leu
te, auch höhere Funktionäre, fast eben sooft ins Gefängnis geworfen wie ihre Geg
ner. Dann kam es vor, dass die Gefolterten und ihre Folterer in derselben Zelle
waren. Während nun die Nichtchristen gegen ihre früheren Peiniger blanken Hass a
n den Tag legten und sie schlugen, nahmen sie die Christen in Schutz, sogar auf
die Gefahr hin, selbst geschlagen zu werden und als Komplizen der Kommunisten un
ter den Häftlingen verschrien zu werden. Ich habe Christen ihre letzte Scheibe B
rot - es gab damals eine in der Woche - ebenso ihre Medizin, die ihnen selber da
s Leben retten konnte, an einen kranken Folterer, der jetzt ihr Mitgefangener wa
r, weggeben sehen. Die letzten Worte von Juhu Maniu, dem vorhergehenden christli
chen Ministerpräsidenten Rumäniens, der im Gefängnis starb, waren: Wenn die Kommu
nisten in unserem Land einmal überwunden werden, wird es die heiligste Pflicht e
ines jeden Christen sein, auf die Straße zu gehen und unter Einsatz seines Leben
s die Kommunisten vor dem gerechten Zorn der Massen, die sie tyrannisiert haben,
zu schützen!" In den ersten Tagen nach meiner Bekehrung zu Gott hatte ich das G
efühl, als ob ich nicht mehr weiterleben könnte. Wenn ich durch die Straßen ging
, empfand ich einen physischen Schmerz für jeden Mann und jede Frau, die an mir
vorübergingen. Es war fast wie ein Messer in meinem Herzen, so brannte mich die
Frage, ob er oder sie gerettet war oder nicht. War ein Glied der Gemeinde in Sün
de gefallen, mußte ich oft stundenlang weinen. Dieses Verlangen nach der Errettu
ng aller Seelen ist mir seit damals im Herzen geblieben, und die Kommunisten sin
d davon nicht ausgeschlossen. In Einzelhaft waren wir nicht mehr in der Lage, so
wie sonst zu beten. Wir hatten einen unvorstellbaren Hunger; wir waren so matt
und abgestumpft, dass wir fast wie Idioten wurden. Äußerlich sahen wir wie wande
lnde Skelette aus. Das Vater-Unser war uns zum Beten schon viel zu lang. Wir kon
nten uns nicht mehr so lange konzentrieren. Mein einziges Gebet, das ich immer w
ieder sprach, war: Jesus, ich liebe dich." Und dann erhielt ich an einem in meine
r Erinnerung herrlichen Tage Antwort von Jesus: Du liebst mich? Dann will ich dir
zeigen, wie ich dich liebe!" Momentan spürte ich einen brennenden Stich im Herz
en, der wie durch ein Brennglas gebündelte Sonnenstrahlen brannte. Die Jünger, d
ie auf dem Weg nach Einmaus waren, berichten, dass ihr Herz brannte, als Jesus m
it ihnen sprach. So erging es mir damals. Denn ich kannte die Liebe des Einen, d
er sein Leben am Kreuz für uns alle gegeben hat. Solche Liebe kann die Kommunist
en nicht ausschließen, wie schwer ihre Schuld auch sei. Die Kommunisten haben fu
rchtbare Greuel begangen und begehen sie heute noch, aber auch noch so viele Wass
er können die Liebe nicht ersticken, noch können die Fluten sie ertränken. Liebe
ist stärker als der Tod. Eifersucht dagegen ist nur grausam - wie das Grab". Un
d wie das Grab kalt und unnachgiebig alle zur Vernichtung haben will - Arme und
Reiche, Junge und Alte, Menschen aller Rassen, Nationen und politische Überzeugu
ngen, Heilige und Verbrecher - so umschließt die Liebe Christi auch alle, aber L
eben spendend. Jesus Christus, die Mensch gewordene Liebe Gottes, wird niemals a
ufhören, bis sie auch die Feinde gewinnt. In meine Gefängniszelle war ein Minist
er eingeliefert worden. Er war halb tot. Blut strömte ihm von Gesicht und Körper
. Er war fürchterlich geschlagen worden. Wir wuschen ihn. Einige unter den Häftl
ingen verfluchten die Peiniger. Stöhnend sagte er: Bitte, flucht ihnen nicht. Sei
d still! Ich möchte für sie beten."

Voller Freude - auch im Gefängnis


Wenn ich auf meine vierzehn Jahre Gefängnis zurückblicke, so will mir scheinen,
dass sie trotz allem auch eine Zeit voller Freude waren. Andere Häftlinge und se
lbst unsere Wächter gerieten immer wieder in Verwunderung darüber, wie Christen
sogar unter den furchtbarsten Umständen noch fröhlich sein konnten. Wir ließen u
ns nicht abhalten zu singen, obwohl wir dafür geschlagen wurden. So, stelle ich
mir vor, würden auch Nachtigallen noch singen, selbst wenn sie das Wissen hätten
, dass sie nach ihrem Gesang dafür sterben müßten. Es gab im Gefängnis Christen,
die von ihrer Freude so erfüllt waren, dass sie buchstäblich getanzt haben. Was
konnte sie unter solch erschütternden Bedingungen so fröhlich machen? Ich habe
im Gefängnis oft über ein Wort Jesu an seine Jünger nachdenken müssen: Glückselig
sind die Augen, die das sehen, was ihr seht!" Nun waren die Jünger aber gerade
von einer Reise durch ihr Land zurückgekommen, wobei sie Erschütterndes gesehen
hatten. Palästina war damals ein besetztes, unterdrücktes Land. Auf Schritt
und Tritt begegnete ihnen das furchtbare Elend eines unterjochten Volkes. Wo sie
hinkamen, stießen die Jünger auf Krankheit, Seuchen, Hunger und Not. Sie kamen
in Häuser, aus denen Patrioten verhaftet und ins Gefängnis geworfen worden waren
, in denen nur noch das Weinen der Eltern und Ehefrauen zurückgeblieben war. Es
war durchaus keine heitere Welt, die sich ihnen bot. Und doch sagte Jesus: Glücks
elig sind die Augen, die auch solches sehen, was ihr gesehen habt!" Der Grund wa
r, dass sie nicht nur Not und Elend gesehen hatten. Vor allem hatten sie den Erl
öser Jesus Christus gesehen, den Bringer alles Guten, das Endziel alles menschli
chen Strebens überhaupt. Zum ersten Mal haben damals ein paar häßliche Erdenwürm
er, Raupen, die auf ihren eng begrenzten Blättern krochen, das Geheimnis entdeck
t, dass nach diesem erbärmlichen Dasein noch ein ganz anderes Leben kommt, das e
ines unbeschwerten, herrlichen Schmetterlings, der sich über die Erdenschwere er
hebt und von Blüte zu Blüte schwebt. Diese Entdeckerfreude hatten auch wir. Rund
um mich her waren solche armen Würmer, Hiobsleute, von denen einige noch mehr g
equält waren, als es Hiob einst war. Aber ich kannte das Ende von Hiobs Lebensge
schichte: wie er doppelt soviel wiederbekam, als er vorher gehabt hatte. Auch Me
nschen wie den armen Lazarus hatte ich um mich, genauso hungrig und voller Gesch
würe. Aber ich wußte, Gottes Boten würden sie dem Abraham an die Brust tragen. I
ch sah sie so, wie sie dereinst sein werden. In dem schäbigen, elenden, schmutzi
gen Blutzeugen neben mir sah ich schon den Heiligen der hoheitsvollen Gemeinde J
esu Christi, dem die Krone göttlicher Gerechtigkeit gegeben wird. Wenn ich die M
enschen von dieser Warte aus betrachtete --nicht, wie sie zu der Zeit noch waren
, sondern wie sie sein würden - dann konnte ich auch in unseren Verfolgern, glei
ch dem Saul von Tarsus, zuweilen die künftigen Paulusse" entdecken. Einige von un
seren Verfolgern haben diese Wandlung erfahren. Beamte der Geheimpolizei, denen
wir Christus bezeugt haben, wurden selber Christen und schätzten sich danach glü
cklich, im Gefängnis dafür zu leiden, dass auch sie Christus gefunden hatten. In
den Gefängniswärtern, die uns auspeitschten, sahen wir die Möglichkeiten der Wa
ndlung eines Kerkermeisters von PhiIippi, der auch zuerst Paulus geschlagen hatt
e und dann zu Christus bekehrt worden war. Wir sehnten es geradezu herbei, dass
auch sie anfingen zu fragen: Was soll ich tun, dass ich selig werde?" (Apostelges
chichte 16, 30). Gerade in denen, die höhnisch zusahen, wie Christen mit Kot bes
chmiert und an Kreuze gebunden wurden, sahen wir die Vertreter jener Volksmenge
von Golgatha, die kurze Zeit später sich wegen ihrer Sünden reuevoll an die Brus
t schlugen. Dort im Gefängnis bestätigte sich unsere Hoffnung für die Peiniger,
dass auch sie das Heil in Christus annehmen können. In besonderem Maße ging uns
dort die Erkenntnis auf, dass wir ihnen gegenüber Verantwortung tragen. Und so s
eltsam es denn natürlichen menschlichen Empfinden erscheinen mag, wir lernten si
e, während wir gefoltert wurden, wahrhaftig zu lieben. Viele aus meiner Familie
sind ermordet worden. Es geschah aber auch in meinem Hause, dass ihre Mörder zu
Gott bekehrt wurden. War es doch auch der geeignetste Ort dafür. Und so wurde mi
tten in den Gefängnissen der Gedanke christlicher Mission an den Kommunisten geb
oren. Gott sieht die Dinge anders als wir sie sehen, und wir sehen sie wieder an
ders als eine Ameise. Vom menschlichen Standpunkt aus betrachtet, ist es etwas F
ürchterliches, an ein Kreuz gebunden und mit Kot beschmiert zu werden. Dennoch b
ezeichnet die Bibel die Leiden der Blutzeugen als leichte Trübsale" (2. Korinther
4, 17). Vierzehn Jahre im Gefängnis zu verbringen, ist für uns eine lange Zeits
panne. Die Bibel aber nennt sie nur einen Augenblick, der uns die Ehrenkrone erwi
rkt". Das berechtigt uns zu der Annahme, dass die furchtbaren Verbrechen der Kom
munisten, die uns Menschen so schwer erscheinen und gegen die wir mit vollem Rec
ht bis zum Äußersten ankämpfen müssen, mit Gottes Augen anders bemessen werden a
ls mit unseren. Ihre Gewaltherrschaft, die nun schon ein halbes Jahrhundert anda
uert, mag Gott, vor dem tausend Jahre wie ein Tag" sind, nur als ein Augenblick d
er Verirrung erscheinen. Deshalb besteht auch für sie die Möglichkeit der Errett
ung. Das himmlische Jerusalem ist eine Mutter und liebt wie eine Mutter alle Kin
der. Die Tore des Himmels sind den Kommunisten nicht verschlossen, und das Licht
göttlicher Gnade ist für sie wie für alle Menschen noch nicht erloschen. Sie si
nd noch fähig zu bereuen wie jeder andere. Und wir sind gefordert, sie zur Buße
zu rufen. Nur Liebe vermag diese Menschen zu ändern - eine Liebe freilich, die s
ich ganz klar von jener Willfährigkeit gegenüber dem Kommunismus unterscheidet,
wie sie heute von vielen Vertretern der Kirchen an den Tag gelegt wird. Hass mac
ht blind. Hitler war Antikommunist, aber einer, der haßte wie sie selber.
Anstatt sie zu besiegen, verhalf er den Kommunisten noch dazu, ein Drittel der W
elt sich zu unterwerfen. Noch im Gefängnis faßten wir daher einen Plan für ein M
issionswerk unter den Kommunisten, der nur von der Liebe Christi getragen war. U
nd in erster Linie dachten wir dabei an die Funktionäre. Ich habe oft den Eindru
ck, dass manche Leiter von Missionswerken die Geschichte ihrer Kirche nur wenig
studiert haben. Wie ist doch einst Norwegen für Jesus Christus gewonnen worden?
Einfach dadurch, dass König Olaf gewonnen wurde. Ebenso erhielt Russland das Eva
ngelium, als König Wladimir der Große Christ wurde. Und Ungarn ist dadurch für d
en christlichen Glauben gewonnen worden, dass der heilige Stephan, sein damalige
r König, vorher gewonnen wurde. Dasselbe trifft auch auf Polen zu. Und wo in Afr
ika der Häuptling eines Stammes für Christus gewonnen wurde, folgte der ganze St
amm nach. Wir dagegen beginnen heutzutage unsere Missionsarbeit gewöhnlich bei d
en einfachen Gemeindegliedern, die sicher gute Christen werden mögen, die aber n
ur wenig Einfluß haben und daher den Gesamtzustand nicht zu ändern vermögen. Wir
müssen die Verantwortlichen gewinnen: die führenden Persönlichkeiten aus Politi
k, Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst. Sie sind die Ingenieure der Massengesells
chaft, denn sie formen die Seelen der Menschen. Wenn man diese gewinnt, gewinnt
man zugleich die Menschen, die von ihnen gelenkt und beeinflußt werden. Vom miss
ionarischen Standpunkt aus bietet der Kommunismus einen großen Vorteil, den ande
re Gesellschaftssysteme nicht haben: Er ist weit mehr zentralisiert als alle and
eren. Wenn der Präsident der USA zu den Mormonen überträte, würde deswegen Ameri
ka noch lange nicht mormonisch. Wenn aber Mao Tse-tung Christ würde oder Breschn
ew oder Ceausescu, könnte ihr ganzes Land davon erfaßt werden. So groß ist dort
die Ausstrahlung der politischen Führer. Aber kann ein kommunistischer Führer üb
erhaupt zu Gott bekehrt werden? wird mancher fragen. Ganz gewiß, denn er ist im
Grunde auch unglücklich und innerlich so ungewiß und unsicher wie seine Opfer. V
iele kommunistische Politiker endeten im Gefängnis oder wurden von ihren eigenen
Genossen beseitigt. Dasselbe beobachten wir heute in China. Und in Russland end
eten selbst die Innenminister wie Jagoda, Yezhov, Beria, die doch alle Macht in
ihren Händen zu halten schienen, genauso wie der letzte Konterrevolutionär: eine
Kugel, und es war aus mit ihnen. Erst kürzlich sind Schelepin, Innenminister de
r Sowjetunion, und Rankovic, Innenminister von Jugoslawien, wie schmutzige Lumpe
n hinausgeworfen worden.
Wie wir den Kommunismus geistig überwinden können
Das kommunistische Regime macht niemand glücklich, nicht einmal seine Nutznießer
. Denn selbst diese zittern davor, dass eines Nachts der geschlossene Wagen der
Geheimpolizei sie abholt, weil die Parteilinie sich wieder einmal geändert hat.
Ich habe viele kommunistische Funktionäre persönlich kennen gelernt. Es sind sch
wer belastete Menschen. Auch ihnen kann nur Jesus Frieden geben. Führende Kommun
isten für Jesus Christus zu gewinnen, mag vielen ebenso erscheinen, wie die Welt
vor der nuklearen Zerstörung zu bewahren oder die Menschheit vor dem überall he
rrschenden Hunger zu befreien, der wiederum der Tatsache zuzuschreiben ist, dass
ihre an sich ausreichenden Einkünfte in kostspielige Rüstungen abgezweigt werde
n. In der Tat könnte es das Ende der gegenwärtigen internationalen Spannungen be
deuten, wenn es gelänge, die führenden Kommunisten für Christus zu gewinnen. Es
würde Christus und die Engel Gottes mit Freude erfüllen, ja, es könnte den Sieg
der Kirche Christi bedeuten. Alle jene Gebiete, in denen heute noch Missionare n
ur mit Mühe vorankommen wie etwa Neu-Guinea und Madagaskar, würden ohne Widerstr
eben folgen, wenn die Führer der kommunistischen Welt gewonnen wären, denn es gä
be der Ausbreitung des Evangeliums ganz neuen Auftrieb. Ich bin mit Kommunisten,
die sich vom Atheismus zu Christus bekehrt hatten, in persönliche Berührung gek
ommen. Ich war selber in meiner Jugend ein militanter Atheist. Bekehrte Atheiste
n lieben Christus ganz besonders, denn sie wissen, dass er ihnen viel vergeben h
at. Eine Art strategischen Denkens ist in der Mission notwendig. Von der persönl
ichen Errettung her gesehen, sind alle Menschen vor Gott gleich. Vom Standpunkt
einer missionarischen Strategie für die Erfüllung des göttlichen Heilsplans sind
sie durchaus nicht gleich. Es ist weit wichtiger, einen Menschen mit großem Ein
fluß zu gewinnen, der danach noch Tausende hinzugewinnen kann, als einem unzivil
isierten Bewohner des Dschungels das Heil in Christus zu predigen, damit er sich
bloß seiner eigenen Errettung freut. Deswegen wählte Jesus für die Erfüllung se
ines göttlichen Auftrags Jerusalem, das geistliche Hauptquartier der damaligen W
elt.
Aus demselben Grunde setzte Paulus alles daran, nach Rom zu gelangen. Gottes Wor
t sagt: Der Same des Weibes - des Menschen Sohn -- wird der Schlange den Kopf zer
treten." Wir dagegen kitzeln die Schlange nur am Bauche und bringen sie zum Lach
en. Der Kopf der Schlange ist aber irgendwo zwischen Moskau und Peking, nicht in
Tunis oder Madagaskar. Die kommunistische Welt muss das Hauptinteresse unserer
Kirchenführer und Missionsdirektoren wie überhaupt eines jeden Christen auf sich
ziehen. Wir müssen alle Routinearbeit aufgeben. Es steht geschrieben: Verflucht
sei, wer des Herrn Werk lässig tut" (Jeremia 48, 10). Ein mit den Waffen des Gei
stes geführter Angriff gegen den Kommunismus ist unserer Kirche nötig. Kriege kö
nnen nur durch eine Offensive, niemals durch eine bloß defensive Strategie gewon
nen werden. Gegenüber den Ländern des Ostens ist die Kirche bis jetzt vielfach n
ur in der Verteidigung gewesen, wobei sie ein Land nach dem anderen an den Kommu
nismus verloren hat. Dies muss sich in unserer gesamten Kirche von nun an grundl
egend ändern. In der Bibel heißt es, dass Gott eherne Türen und Eisenstäbe zerbr
icht (Psalm 107, 16; Jesaja 45, 2). Für Ihn wäre auch der Eiserne Vorhang ein kl
eines. Die Kirche der ersten Christen arbeitete im geheimen und illegal -- und s
iegte. Wir müssen es wieder lernen, auf dieselbe Weise zu arbeiten. Bevor der Ko
mmunismus kam, habe ich nie recht verstanden, warum so viele Personen des Neuen
Testamentes mit Decknamen erwähnt werden: z. B. Simeon, der Niger" hieß, Johannes
, genannt Markus", und viele andere. Auch wir gebrauchen bei unserer Arbeit in de
n kommunistischen Ländern heute solche Decknamen. Ebenso habe ich vorher nicht v
erstanden, warum Jesus, als er das letzte Mahl mit seinen Jüngern vorbereitete,
keine klare Adresse angab, sondern bloß sagte: Geht in die Stadt und haltet nach
einem Mann Ausschau, der einen Wasserkrug trägt." Jetzt verstehe ich das. Auch w
ir geben uns geheime Erkennungszeichen in der Arbeit der Untergrundkirche. Wenn
wir uns bereit finden, auch so zu arbeiten - also auf die Methoden der frühen Ch
ristenheit zurückzukommen - dann können wir auch in kommunistischen Ländern wirk
sam arbeiten. Als ich aber mit Kirchenvertretern der westlichen Welt deswegen zu
sammentraf, fand ich anstelle wirklicher Retterliebe zu den Kommunisten, die son
st schon längst zu einem Missionswerk in deren Ländern geführt hätte, ihre Kirch
enpolitik ganz im Einklang mit dieser. Und ich habe nicht jenes wahrhafte Mitlei
den des barmherzigen Samariters mit den verlorenen Seelen aus dem Hause Karl Marx
"` angetroffen. Im Grunde glaubt ja ein Mensch nicht das, was er in seinem Glaub
ensbekenntnis hersagt, sondern nur das, wofür er zu sterben bereit ist. Die Chri
sten der Untergrundkirche haben bewiesen, daß sie bereit sind, für ihren Glauben
zu sterben. Auch ich setze hier nur eine Arbeit fort, die für mich neue Einkerk
erung in einem kommunistischen Land bedeuten kann, neue Folterungen und auch den
Tod, weil ich eine geheime Mission hinter dem Eisernen Vorhang leite und damit
alle Risiken auf mich nehmen muss. Damit stehe ich für das ein, was ich schreibe
. Deshalb habe ich auch das Recht zu fragen: Wären die Kirchenführer Amerikas, D
eutschlands und anderer westlicher Länder, die sich offen mit dem Kommunismus an
freunden, auch bereit, für diese ihre Oberzeugung zu sterben? Wer hält sie davon
ab, ihre hohen Positionen im Westen aufzugeben und im Osten, in engster Zusamme
narbeit an Ort und Stelle mit den Kommunisten, ebenso die öffentlichen Pfarrämte
r und Kirchenstellen zu übernehmen? Der praktische Erweis einer solchen zur Scha
u getragenen Oberzeugung ist bis jetzt noch von keinem der westlichen Würdenträg
er der Kirche erbracht worden. Die menschliche Sprache ist aus dem Bedürfnis und
der Notwendigkeit entstanden, einander beim Jagen, Fischen und - im Laufe der Z
eit -- bei der gemeinsamen Erzeugung lebensnotwendiger Güter sich verständlich z
u machen und die wechselseitigen Beziehungen und Gefühle auszudrücken. Es gibt a
ber keine Worte in menschlicher Sprache, die in einer dem Gegenstand angemessene
n Weise die göttlichen Geheimnisse und die Erhabenheit geistlichen Lebens darste
llen könnten. In gleicher Weise gibt es keine menschlichen Worte, die die Tiefen
satanischer Grausamkeit beschreiben könnten. Oder kannst du noch in Worte fasse
n, was ein Mensch empfunden hat, der ausgesucht worden war, um in einen Verbrenn
ungsofen der Nazis geworfen zu werden, oder der mit ansehen mußte, wie seine Kin
der in diesen Glutofen geworfen wurden? Deshalb ist auch der Versuch vergeblich
zu beschreiben, was Christen unter kommunistischer Gewaltherrschaft erduldet hab
en und noch erdulden. Ich war im Gefängnis zusammen mit Lucretiu Patrscanu, dem
Mann, der den
Kommunismus in Rumänien an die Macht gebracht hat. Seine Genossen haben ihn dami
t belohnt, dass sie ihn ins Gefängnis steckten. Und obgleich er geistig normal w
ar, sperrten sie ihn danach mit wirklich Geisteskranken zusammen in ein Irrenhau
s ein, bis auch er wahnsinnig wurde. Dasselbe haben sie mit Anna Pauker gemacht,
ihrer früheren Außenministerin. Auch bei Christen wird diese Art der Behandlung
mit Vorliebe angewandt. Man gibt ihnen Elektroschocks, und sie werden in Zwangs
jacken gesteckt. Die ganze Welt hat sich kürzlich über das entsetzt, was sich au
f den chinesischen Straßen abspielte. Vor den Augen der Welt übten die roten Gar
den ihren Terror aus. Dann versucht euch einmal vorzustellen, was so manchem Chr
isten in einem chinesischen Gefängnis widerfährt, wo niemand mehr zuschaut! Die
letzte Nachricht, die uns von dort erreichte, berichtet von einem angesehenen Ch
inesen, einem evangelischen Schriftsteller, sowie einigen Mitchristen, die sich
geweigert hatten, von ihrem Glauben abzulassen, und denen man die Ohren abtrennt
e, die Zunge herausschnitt und die Beine amputierte. Das Schlimmste jedoch, das
die Kommunisten den Menschen antun, besteht nicht darin, dass sie sie foltern un
d ihren Leib töten. Viel unmenschlicher ist es, daß sie den Geist und die Gedank
en der Menschen verfälschen und vor allem die Jugend und die Kinder vergiften. S
ie haben ihre Leute in alle leitenden Stellen der Kirchen hineingebracht, um auc
h die Christen nach ihrem Willen zu lenken und die Gemeinden zugrunde zu richten
. Sie halten die Jugend nicht einfach davon ab, an Gott und Christus zu glauben,
vielmehr erziehen sie alle dazu, diese Namen geradezu zu hassen. Wer will mit W
orten die Tragödie jener verfolgten Christen beschreiben, die nach Jahren schwer
er Kerkerhaft endlich nach Hause kommen und von ihren Kindern mit Holm und Verac
htung empfangen werden, weil diese in der Zwischenzeit zu militanten Atheisten e
rzogen worden sind? Dieses Buch ist nicht so sehr mit Tinte geschrieben, vielmeh
r mit dem Blut verwundeter Herzen. Doch hier unterscheiden sich Christen von der
Welt. Wie die drei jungen Männer, die zu Daniels Zeiten in den Feuerofen geworf
en wurden, nach ihrer Befreiung nicht einmal den Geruch des Feuers an sich truge
n, ebenso wenig haftet den Christen, die in kommunistischen Gefängnissen geschma
chtet haben, ein Anflug von Bitterkeit oder Hass gegen die Kommunisten an.
Wenn man eine Blume unter den Füßen zertritt, belohnt sie einen noch mit dem Aus
strömen ihres Duftes. In gleicher Weise lohnten die Christen die Folterungen ihr
er Peiniger mit Liebe. Auf diese Weise brachten wir viele unserer Kerkermeister
zu Christus. Denn wir sind nur von dem einen Wunsch beseelt, den Kommunisten, un
ter denen wir schwer gelitten haben, das Beste zu geben, was wir haben, die Erlö
sung durch unseren Herrn Jesus Christus, darum lieben wir sie. Ich hatte nicht d
as Vorrecht, das viele meiner Glaubensbrüder hatten, den Märtyrertod im Gefängni
s zu sterben. Ich kam noch einmal heraus und konnte sogar aus Rumänien in den We
sten gelangen. Im Westen fand ich jedoch bei vielen Kirchenvertretern gerade die
entgegen gesetzte Einstellung vor, wie sie in der Untergrundkirche hinter dem E
isernen und dem Bambusvorhang vorherrschend ist. Viele Christen im Westen haben
nämlich keine Liebe für die Kommunisten. Der Beweis dafür ist darin zu sehen, da
ss sie einfach nichts für die Rettung dieser Menschen tun. Sie haben Judenmissio
nen, Moslemmissionen und Buddhistenmissionen. Sie unterhalten sogar Missionswerk
e, um Christen zum Wechsel von einer Konfession zu einer anderen zu bewegen. Abe
r sie haben keine Kommunistenmission! Sie lieben sie einfach nicht, sonst hätten
sie längst eine solche Mission ins Leben gerufen, so wie einst Carey aus Liebe
zu den Indern und Hudson Taylor aus Liebe zu den Chinesen ihre entsprechenden Mi
ssionswerke gegründet haben. Aber nicht genug, dass sie die Kommunisten nicht li
eben und nichts dafür tun, sie für Christus zu gewinnen - durch ihre Beschwichti
gung, ihre Lauheit, ja zuweilen sogar aktive Unterstützung bestärken einige west
liche Kirchenführer die Kommunisten noch in ihrer Zersetzungsarbeit. Sie leisten
ihren Vertretern Vorschub, in die Kirchen hier im Westen einzudringen und sogar
führende Stellen in den kirchlichen Organisationen der freien Welt einzunehmen.
Dort machen sie dann die Christen blind gegenüber den Gefahren des atheistische
n Kommunismus. Unter dem Vorwand, dass es ihnen ja gesetzlich nicht erlaubt sei,
in kommunistischen Ländern für Christus zu werben - als ob die ersten Christen
Nero um die Erlaubnis gefragt hätten, das Evangelium auszubreiten -, machen sie
erst richtig deutlich, dass sie weder Liebe für die Kommunisten noch für ihre ei
gene Herde haben. Wenn w i r aber nicht die Kommunisten für Christus gewinnen, w
erden s i e uns im Westen erobern und auch hier den Glauben an Christus bei viel
en zum Erliegen
bringen.
Nichts aus der Geschichte gelernt
In den ersten Jahrhunderten nach Christus gab es eine blühende christliche Kirch
e in Nordafrika. Aus ihr gingen hervor die Kirchenväter Augustin (Bischof von Hi
ppo, dem heutigen Bone), Athanasius (Bischof von Alexandria), Cyprianus (Bischof
von Karthago) und Tertullian. Aber die Christen von Nordafrika versäumten schli
eßlich eine unabdingbare Pflicht: die Mohammedaner in den folgenden Jahrhunderte
n für Christus zu gewinnen. Das Ergebnis war, dass die Mohammedaner nach Nordafr
ika vordrangen und das Christentum dort auf Jahrhunderte hin ausgerottet haben.
Noch heute gehört Nordafrika den Moslems, und sie werden von den Missionaren der
Christlichen Nordafrika-Mission der Block der Unbekehrbaren" genannt. Es ist an
der Zeit, dass wir aus der Geschichte lernen! Zur Zeit der Reformation trafen di
e religiösen Bestrebungen eines Hus, Luther und Calvin mit dem allgemeinen Inter
esse der europäischen Völker zusammen, von dem Joch des Papsttums freizuwerden,
das damals eine drückende politische und wirtschaftliche Macht darstellte. In gl
eicher Weise gehen heute die Interessen der Untergrundkirche bei der Ausbreitung
des Evangeliums unter Kommunisten wie auch ihren Opfern mit dem vitalen Interes
se aller freien Völker zusammen, in Unabhängigkeit und Freiheit fortzubestehen.
Es existiert keine politische Macht, die den Kommunismus überwinden könnte. Die
Kommunisten besitzen die Atommacht, und sie militärisch überwinden zu wollen wür
de den dritten Weltkrieg bedeuten mit Hunderten von Millionen an Opfern. Auch si
nd viele Politiker im Westen schon durch eine Gehirnwäsche gegangen und wünschen
gar nicht mehr, die kommunistischen Führer zu entmachten. Einige sagen das frei
heraus. Wohl setzen sie sich dafür ein, dass Rauschgifthandel, Verbrechertum, K
rebs und Tuberkulose abnehmen, nicht aber der atheistische Kommunismus, der scho
n weit mehr Opfer gefordert hat als sie alle zusammengenommen. Der sowjetische S
chriftsteller Ilya Ehrenburg sagte nach Stalins Tod: Wenn Stalin in seinem ganzen
Leben nichts anderes getan hätte, als die Namen aller seiner unschuldigen Opfer
aufzuschreiben, dann hätte sein Leben noch nicht lange genug
gedauert, um diese Arbeit abzuschließen." Chruschtschow stellte auf dem Zwanzigs
ten Parteitag der Kommunistischen Partei vor den Delegierten fest: Stalin hat Tau
sende von ehrenhaften und schuldlosen Kommunisten liquidiert... Von den hundertn
eununddreißig Mitgliedern und Kandidaten des Zentralkomitees, die auf dem Siebze
hnten Parteitag gewählt worden sind, wurden danach achtundneunzig, das sind sieb
zig Prozent, verhaftet und erschossen." Es bedarf keiner besonderen Vorstellungs
kraft, wie er mit den Christen verfahren ist. Chruschtschow leitete die Entstalin
isierung" ein, aber er blieb doch auf derselben politischen Linie. Seit 1959 ist
die Hälfte aller Kirchen Sowjetrusslands, die bis dahin noch offen waren, unter
Chruschtschows Führung geschlossen worden. In China wütet eine neue Welle des B
arbarentums, die schlimmer und grausamer ist als die der stalinistischen Ära war
. In der Öffentlichkeit hat jedes kirchliche Leben aufgehört. In Russland und Ru
mänien laufen neue Verhaftungen an. Gerade jetzt erreicht uns aus Russland die N
achricht von Massenverhaftungen unter den dortigen Christen. Mit Terror wie auch
mit ausgeklügelter List und raffinierter Verlockung wird heute in Ländern mit ü
ber einer Milliarde Einwohnern die gesamte junge Generation in offenem Hass gege
n alles Westliche und vor allem alles Christliche erzogen. So ist es heute in Ru
ssland kein ungewöhnlicher Anblick, dass Beamte der lokalen Behörden vor Kirchen
eingängen stehen und dort auf Kinder warten. Werden dabei welche ertappt, so wer
den sie geohrfeigt und hinausgeworfen. Die künftigen Totengräber der westlichen
Christenheit werden mit Sorgfalt und System herangezogen! Es gibt nur eine Kraft
, die den Kommunismus überwinden kann. Es ist dieselbe Macht, die einst die chri
stlichen Staaten in die Lage versetzte, den Platz des heidnischen Römischen Reic
hes einzunehmen. Es ist die Macht, die einst aus wilden Teutonen und Wikingern C
hristen machte, und auch die Macht, die schließlich die blutige Inquisition über
wand. Diese Macht zeigt sich auch heute wieder als Kraft des Evangeliums in der
Untergrundkirche, die in den kommunistischen Ländern existiert. Diese Kirche zu
stärken und laufend zu unterstützen ist nicht bloß eine Frage der Verbundenheit
mit unterdrückten Brüdern. Es bedeutet vielmehr Leben oder Tod auch für euer Lan
d und eure Kirchen. Diese Kirche zu stärken liegt daher nicht nur im Interesse d
er Christen innerhalb der Freien Welt, sondern sollte überhaupt ein
politischer Grundsatz aller freien Regierungen sein. Die Untergrundkirche hat sc
hon eine Reihe kommunistischer Funktionäre für Christus gewonnen. Gheorghiu Dej,
Rumäniens früherer Ministerpräsident, ist als ein zu Gott bekehrter Mann gestor
ben, nachdem er seine Schuld bekannt und sein in Sünden verstricktes Leben geänd
ert hatte. In kommunistischen Ländern gibt es Mitglieder der dortigen Regierunge
n, die im geheimen Christen sind. Das kann sich weiter ausbreiten. Dann können w
ir eines Tages damit rechnen, dass sich ein Wandel in der Politik einiger dieser
kommunistischen Regierungen vollzieht. Hier sind nicht solche Veränderungen gem
eint wie jene unter Tito und Gomulka, nach deren scheinbarem Frühling sich doch
dieselbe Diktatur einer klar atheistischen Partei fortsetzte, sondern ein Wandel
zu christlicher Auffassung und Freiheit hin. Gerade jetzt bestehen dazu einmali
ge Möglichkeiten. Die Kommunisten, die in ihrem Glauben an die marxistische Ideo
logie sehr oft ebenso aufrichtig sind wie die Christen in dem ihrigen, gehen zur
Zeit nämlich durch eine schwere Krise. Sie hatten tatsächlich geglaubt, dass de
r Kommunismus unter den Völkern wahre Brüderlichkeit herstellen könnte. Stattdes
sen müssen die führenden Männer nun feststellen, dass auch ihre Länder untereina
nder wie böse Hunde streiten. Und außerdem leiden ihre Völker Hunger. Aus kapital
istischen" Ländern muss Weizen eingeführt werden. Bisher hatten die Kommunisten
ihren Führern vertraut. Nun haben sie in ihren eigenen Zeitungen lesen müssen, d
ass Stalin ein Massenmörder war und Chruschtschow ein Dummkopf. Dasselbe erleben
die anderen mit ihren Nationalhelden Rakosi, Gerö, Anna Pauker, Rankovic, Novot
ny und anderen, die noch folgen. Die Kommunisten glauben nicht länger mehr an di
e Unfehlbarkeit ihrer Führer. Sie sind jetzt wie Katholiken ohne Papst. Deshalb
ist auch in ihren Herzen eine leere Stelle. Diese Leere kann einzig von Christus
ausgefüllt werden. Denn das menschliche Herz ist von Natur aus auf der Suche na
ch Gott. Es besteht eine geistige Leere in jedem Menschen, bis sie durch Christu
s ausgefüllt wird. Das gilt auch für Kommunisten. Im Evangelium steckt eine Kraf
t der Liebe, die auch zu ihnen spricht. Das habe ich unmittelbar erlebt. Deshalb
weiß ich, dass es möglich ist. Christen, die von den Kommunisten verspottet und
gefoltert worden waren, haben ihnen dennoch vergeben und vergessen, was jene ih
nen persönlich und auch ihren Familien angetan hatten. Gerade sie tragen am best
en dazu bei, dass die Kommunisten aus ihrer Krise den Weg zu Christus finden. Un
d für diese Aufgabe brauchen sie unsere Hilfe. Aber nicht dafür allein. Christli
che Liebe ist immer universal. Bei Christen gibt es keine Parteilichkeit und nac
h Sympathie auswählende Liebe. Jesus spricht, dass Gott seine Sonne über Gerecht
e und Ungerechte scheinen lässt. So verhält es sich auch mit der christlichen Li
ebe. jene erwähnten Kirchenführer im Westen, die den Kommunisten Freundschaft er
weisen, rechtfertigen ihre Haltung ebenfalls mit dem Hinweis auf Jesu Lehre, das
s wir auch unsere Feinde lieben sollen. Aber Jesus hat niemals gelehrt, dass wir
nur unsere Feinde lieben und unsere Brüder dabei vergessen sollen. Sie bezeugen
ihre Liebe, indem sie mit jenen schmausen und tafeln, deren Hände den Christen
blutiges Unrecht getan haben, nicht aber dadurch, dass sie ihnen die frohe Botsc
haft von Jesus Christus anbieten. Ihre Brüder jedoch, die von den Kommunisten un
menschlich unterdrückt werden, sind völlig vergessen. Von Liebe zu diesen ist ke
ine Rede. Die Evangelische und die Katholische Kirche in Deutschland haben in de
n letzten sieben Jahren fünfhundert Millionen Mark zur Bekämpfung des Hungers in
der Welt gespendet. Amerikanische Christen geben sogar noch mehr. Es gibt viele
hungernde Menschen in der Welt, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass irgend
jemand mehr Hunger leidet als die verfolgten Christen oder etwa eher Anspruch hä
tte auf die Hilfe der Christen hier im freien Westen. Wenn deutsche Kirchen und
ebenso die britischen, amerikanischen und skandinavischen so viel Geld aufbringe
n zur Linderung der allgemeinen Not, dann sollte es auch jedem, der in Not ist,
zugute kommen, zuallererst aber den um ihres Glaubens willen Verfolgten und ihre
n Familien. Wie steht es aber damit? Ich selber wurde ja von christlichen Organi
sationen losgekauft, was immerhin beweist, dass Christen losgekauft werden könne
n. Dennoch bin ich bis jetzt der einzige Fall eines Verfolgten, der durch ein Lö
segeld aus unserem Land herausgeholt worden ist. Und die Tatsache meiner Befreiu
ng durch Lösegeld ist zu¬gleich eine Anklage gegen viele christliche Organisatio
nen hier im Westen, dass sie in zahlreichen anderen Fällen, die es noch gibt, ih
re Pflicht zu erfüllen versäumt haben. Die ersten Christen stellten sich die Fra
ge, ob die neue Kirche Christi nur für Juden sei oder auch für die übrigen Völke
r. Die Frage erhielt damals die rechte Antwort. In verwandelter Form ist dieses
Problem im zwanzigsten Jahrhundert neu aufgetaucht. Das Christentum ist nicht nu
r für den Westen da, Christus gehört nicht nur Amerika, England, Deutschland und
den anderen demokratischen Ländern. Als er gekreuzigt wurde, war eine seiner Hä
nde nach dem Westen, die andere nach dem Osten ausgestreckt. Jesus will nicht mi
r der König der Juden sein, sondern der Herr aller Völker, auch der Herr der Kom
munisten und nicht nur seines Volkes in der westlichen Welt. Denn Jesus gebietet
: Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur!" Er gab sein B
lut zur Erlösung für alle hin, deshalb sollen auch alle diese Botschaft hören un
d daran glauben. Was uns so ermutigt, in allen Ländern das Evangelium zu predige
n, ist die Erfahrung, dass diejenigen, die dort Christen werden, voller Liebe un
d Eifer für Gottes Sache sind. Ich persönlich habe noch keinen einzigen lauen ru
ssischen Christen getroffen. Gerade junge ehemalige Kommunisten werden überwiege
nd zu hervorragenden Jüngern Jesu. Christus liebt die Kommunisten und möchte auc
h sie befreien, da er alle Sünder liebt und sie von ihrer Sünde freimachen will.
Dagegen praktizieren hier im Westen einige kirchliche Würdenträger anstelle die
ser einzig richtigen Haltung eine ganz andere: die der Beschwichtigung und Selbs
tgefälligkeit gegenüber dem Kommunismus.
Was ich vorfand, als ich freigelassen wurde.
Als ich nach meiner Entlassung aus dem Gefängnis wieder bei meiner Frau war, fra
gte sie mich, wie ich mir unsere Zukunft vorstellte. Da antwortete ich: Das Ideal
, das mir vorschwebt, ist ein zurückgezogenes Leben in geistiger Betrachtung." M
eine Frau bemerkte dazu, sie habe denselben Gedanken gehabt. In meiner Jugend wa
r ich ein ausgesprochen dynamischer Typ. Aber die lange Gefängniszeit und besond
ers die Jahre der Einzelhaft haben mich zu einem nachdenklichen, kontemplativen
Menschen geformt. Alle Stürme in meinem Herzen waren gestillt worden. Ich hatte
nichts gegen den Kommunismus. Ich nahm ihn nicht einmal mehr wahr. Ich war gebor
gen in den Armen meines Herrn und betete für die, die uns quälten.
Ich hatte ja nur wenig Hoffnung gehabt, jemals wieder aus dem Gefängnis herauszu
kommen, und wenn es mir doch gelegentlich einmal durch den Kopf ging, was ich wo
hl anfangen würde, falls ich wider Erwarten entlassen werden sollte, so erwog ic
h eigentlich nur, dass ich mich irgendwohin zurückziehen und in der Einsamkeit d
ie innige Gemeinschaft mit meinem himmlischen Herrn fortsetzen wollte.
Gott ist die Wahrheit". Die Bibel ist die Wahrheit über die Wahrheit". Theologie i
st die Wahrheit über die Wahrheit über die Wahrheit". Der Fundamentalismus - als
treuer Bibelglaube - ist die Wahrheit über die Wahrheit über die Wahrheit über di
e Wahrheit". Und die Christen leben in diesen vielen Wahrheiten über die Wahrhei
t und haben wegen dieser vielen nicht die eine, die Not tut. Hungrig, geschlagen
und erschöpft, hatten wir Theologie und Bibelkunde vergessen. Wir hatten alle d
ie Wahrheiten über die Wahrheit vergessen, und deshalb lebten wir nur noch in de
r Wahrheit. Es steht geschrieben: Des Menschen Sohn wird kommen zu einer Stunde,
da ihr es nicht meint, und an einem Tag, den ihr nicht wißt." Wir konnten damals
nicht mehr denken. Aber in den dunkelsten Stunden unserer Folter kam des Mensch
en Sohn zu uns und ließ uns die düsteren Gefängnismauern wie Diamanten leuchten,
so dass unsere Zellen mit Licht erfüllt waren. Irgendwo in der Ferne befanden s
ich die Folterer tief unter uns in der Sphäre des Körpers. Aber unser Geist freu
te sich in dem Herrn. Wir hätten diese Freude nicht gegen die in königlichen Pal
ästen hergegeben. Warum also jetzt gegen irgend jemand oder irgendetwas kämpfen?
Nichts lag meinem Geist ferner als das. Ich wollte überhaupt keine Kämpfe mehr
ausfechten, auch keine gerechten. Ich wollte lieber lebendige Tempel zur Ehre Ch
risti bauen. Mit dieser Hoffnung auf ruhige Jahre der inneren Betrachtung vor Au
gen verließ ich das Gefängnis. Aber schon vom ersten Tag meiner Entlassung an sa
h ich mich neuen Praktiken des Kommunismus gegenübergestellt. Einer um den ander
en, den ich von den bekannten Predigern und Pfarrern der verschiedenen Kirchen t
raf, selbst Bischöfe nicht ausgeschlossen, bekannten mir in tiefem Kummer, aber
ohne Beschönigung, dass sie Mittelsmänner der Geheimpolizei gegen ihre eigene He
rde geworden seien. Ich fragte sie, ob sie bereit wären, ihre Spitzeltätigkeit a
ufzugeben, auch auf die Gefahr hin, selber eingekerkert zu werden. Alle antworte
ten nein" und erklärten mir, es sei nicht die Furcht um ihre eigene Person, die s
ie davon zurückhielte. Sie berichteten mir von ganz neuen Entwicklungen im Berei
ch der Kirche, von Dingen, die vor meiner Verhaftung noch nicht bestanden hatten
- dass nämlich die Weigerung, Verbindungsdienste zu leisten, die Schließung der
Kirchen bedeuten konnte. In jeder Stadt gibt es einen Vertreter des Staates für
die Überwachung der Religionsgemeinschaften, einen Mann der kommunistischen Geh
eimpolizei. Er hat das Recht, jeden Priester oder Pfarrer zu sich zu bestellen,
wann immer es ihm paßt, und sie zu fragen, wer in der Kirche war, wer regelmäßig
die Kommunion in Anspruch nimmt, wer es mit seiner Religion ernst meint, wer an
dere zu gewinnen sucht, welche Leute beichten und so fort. Wenn einer keine Ausk
unft gibt, wird er abgesetzt und ein anderer Diener" an seine Stelle getan, der m
ehr sagen wird als er. Wo der Regierungsvertreter einen solchen Mann nicht finde
t, was aber nahezu niemals vorkommt, schließt er einfach die Kirche. Die meisten
Seelsorger haben der Geheimpolizei daher Auskünfte gegeben, mit dem einen Unter
schied, dass einige unter ihnen es widerstrebend taten und gewisse Dinge noch zu
verbergen suchten, während andere es sich zur Gewohnheit machten und ihr Gewiss
en abstumpften. Dann gab es noch welche, die sogar eine Leidenschaft dafür entwi
ckelten und mehr aussagten, als man von ihnen forderte. Ich habe Geständnisse vo
n Kindern aus Familien von Verfolgten gehört, die man erpreßt hatte, Auskünfte ü
ber diejenigen Familien zu geben, in die sie nach der Verhaftung ihrer Eltern au
s Barmherzigkeit aufgenommen worden waren. Im Weigerungsfalle drohte man ihnen,
dass sie ihr Studium nicht fortsetzen könnten. Ich habe an dem Baptistenkongreß
teilgenommen, einem Kongreß unter dem Zeichen der roten Fahne. Hier hatten einde
utig die Kommunisten bestimmt, wer die gewählten Führer" dieser Kirche zu sein ha
tten. So wußte ich, dass an der Spitze der offiziellen Kirchen jetzt Männer stan
den, die von der kommunistischen Partei benannt worden waren. Es wurde mir ganz
klar, dass ich hier den Greuel der Verwüstung an allerheiligster Stätte" sah, von
dem Jesus im Evangelium spricht. Es hat immer schon gute und schlechte Gemeinde
hirten gegeben. Aber jetzt entschied zum ersten Mal in der Geschichte der Kirche
das Zentralkomitee einer ausgesprochen atheistischen Partei, deren erklärtes Zi
el die Ausrottung aller Religion ist, wer die Kirche leiten sollte. Und zu welch
em Ziel hin leiten.? Ohne Zweifel dem ihrer eigenen Ausrottung. Dazu hat Lenin f
olgendes geschrieben: jede religiöse Vorstellung, erst recht jede VCorstellung vo
n Gott, ja schon das Spielen mit dem bloßen Gedanken an einen Gott, ist eine une
rträgliche Erniedrigung gefährlichster Art, eine ansteckende Krankheit von der a
bscheulichsten Sorte. Millionen von Sünden, verruchte Taten, Gewaltakte und böse
Seuchen sind weit weniger gefährlich als die subtile geistliche Vorstellung von
einem Gott." Die kommunistischen Parteien des gesamten sowjetischen Gebietes si
nd leninistisch. Für sie ist Religion schlimmer als Krebs, Tuberkulose oder Syph
ilis. Und sie entscheiden nun darüber, wer die religiösen Führer sein sollen. Mi
t ihnen arbeiten die Leiter der offiziellen Kirchen zusammen und schließen mit i
hnen mehr oder weniger weit reichende Kompromisse. Ich habe es erlebt, wie Kinde
r und jugendliche mit dem Atheismus vergiftet wurden, und die offiziellen Kirche
n haben nicht die geringste Möglichkeit, dagegen anzugehen. In keiner Kirche in
unserer Hauptstadt Bukarest gibt es noch eine Jugendversammlung oder einen Kinde
rgottesdienst. Als ich dies alles sah, konnte ich nicht anders, als meinen Kampf
wieder neu aufzurichten. Ich stellte mich nicht gegen den Kommunismus wegen dem
, was er mir persönlich angetan hatte, sondern wegen dem Unrecht, das er der Ehr
e Gottes, dem Namen Christi und den Seelen der über eine Milliarde Menschen unte
r seiner Herrschaft ständig antut. Bauern aus dem ganzen Land suchten mich auf u
nd erzählten mir, wie die Kollektivierung der Landwirtschaft durchgeführt wurde.
Nun waren sie auf einmal hungrige Sklaven auf ihren eigenen früheren Feldern un
d in ihren Weinbergen. Sie hatten kein Brot, ihre Kinder hatten keine Milch, kei
n Obst - und das in einem Land mit natürlichen Reichtümern, die denen im alten K
anaan gleichkommen. Glaubensbrüder bekannten mir, dass man Diebe und Betrüger au
s ihnen allen gemacht habe. Vor Hunger mußten sie nun stehlen, was eigentlich au
s ihren eigenen Feldern stammte, aber jetzt dem Kollektiv gehörte. Dazu mußten s
ie noch lügen, um ihren Diebstahl zu verbergen. Arbeiter berichteten mir von dem
Terror in den Fabriken und über die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft, wie sie sich
die Kapitalisten" nie hätten träumen lassen. Ein Recht zum Streiken hatten die A
rbeiter nicht mehr. Wissenschaftler mußten gegen ihre innere Überzeugung lehren,
dass es keinen Gott gebe.
Das ganze Leben und Denken eines guten Drittels der Welt ist hier zerstört und v
erfälscht worden. Junge Mädchen kamen und beklagten sich, dass man sie vor die k
ommunistische Jugendorganisation bestellt und zurechtgewiesen und bedroht hatte,
weil sie einen jungen Mann geküßt hätten, der Christ war - und gleichzeitig gab
man ihnen den Namen eines anderen, den sie küssen dürften. Alles war einfach ho
ffnungslos verdorben und niederträchtig. Dann traf ich die Streiter der Untergru
ndkirche - meine alten Mitstreiter von früher - von denen einige wenige noch nic
ht verhaftet und daher übrig geblieben waren, während andere, nachdem sie aus de
m Gefängnis entlassen worden waren, schon wieder den Kampf des Glaubens aufgenom
men hatten. Sie baten mich, mit ihnen zusammen den Kampf fortzusetzen. Ich besuc
hte ihre geheimen Versammlungen, bei denen sie aus handgeschriebenen Liederbüche
rn sangen. Mir kam Antonius der Große in den Sinn. Er hatte dreißig Jahre in der
ägyptischen Wüste zugebracht. Er hatte der Welt ganz und gar den Rücken gekehrt
, um sein Leben nur noch mit Fasten und Beten zu verbringen. Als er aber von dem
Streit des Athanasius und Arius um die Göttlichkeit Christi erfuhr, gab er sein
Leben der inneren Betrachtung auf und kam nach Alexandria, um der Wahrheit zum
Sieg zu verhelfen. So beschloß ich, was allen Christen zu tun aufgetragen ist: d
em Beispiel Christi, seiner Apostel und seiner Gemeinde der Heiligen zu folgen,
den Gedanken an ein zurückgezogenes Leben aufzugeben und den Kampf des Glaubens
von neuem aufzunehmen. Welcher Art würde der Kampf nun werden? Die Christen im G
efängnis haben immer für ihre Feinde gebetet und ihnen ein lauteres Zeugnis des
Evangeliums gegeben. Unser tiefster Wunsch war, dass auch sie errettet würden, u
nd wir waren jedes Mal überglücklich, wenn es sich ereignete. Aber das System ha
ßte ich und hatte nur einen Wunsch, die Untergrundkirche zu stärken, die einzige
Macht, die diese furchtbare Tyrannei durch die Kraft des Evangeliums über-winde
n kann. Ich dachte dabei nicht nur an Rumänien, sondern an die gesamte kommunist
ische Welt. Im Westen aber habe ich so viel Gleichgültigkeit angetroffen. Schrif
tsteller der ganzen Welt haben protestiert, als zwei kommunistische Schriftstell
er - Siniavski und Daniel - von ihren eigenen kommunistischen Genossen zu Gefäng
nisstrafen verurteilt wurden. Aber nicht einmal die Kirchen protestieren hier, w
enn Christen um ihres Glaubens willen ins Gefängnis geworfen werden. Wen kümmert
hier schon Bruder Kuzyck, der verurteilt wurde, weil er das Verbrechen" begangen
hat, verderbliche" christliche Schriften verbreitet zu haben? Es waren Teile der
Bibel und Andachtsbücher von Torrey. Wer weiß hier etwas über Bruder Prokofiev,
der verurteilt wurde wegen Verteilung abgeschriebener Predigten? Und wer weiß s
chon etwas über den Judenchristen Grunwald, der in Russland wegen ähnlicher Verg
ehen verurteilt worden ist und dem die Kommunisten seinen kleinen Sohn auf Leben
szeit fortnahmen? Ich weiß noch, wie mir zumute war, als man mir meinen Mihai we
gnahm. Deshalb leide ich mit Bruder Grunwald mit, ebenso mit Bruder Ivanenko, Gr
anny Shevchuk, Taisya Tkachenko, Ekaterina Vekazina, Georgi Vekazin, dem Ehepaar
Pilat in Lettland und so fort und fort - Namen von Glaubenshelden und Heiligen
im zwanzigsten Jahrhundert! Ich bücke mich vor ihnen und küsse ihre Ketten, wie
die ersten Christen die Ketten ihrer Mitchristen geküsst haben, wenn man sie abf
ührte, damit sie den wilden Tieren vorgeworfen würden. Es gibt hier im Westen fü
hrende Männer der Kirche, die nicht nach ihnen fragen. Die Namen dieser Verfolgt
en stehen nicht auf ihren Gebetslisten. Während sie dort gefoltert und zu schwer
en Strafen verurteilt wurden, sind die offiziellen Vertreter der russischen Bapt
isten und der orthodoxen Kirche, die sie denunziert und verraten haben, in Neu D
elhi, in Genf und auf anderen Konferenzen mit großen Ehren empfangen worden. Dor
t versicherten sie dann jedermann, dass in Russland völlige Religionsfreiheit be
steht. Einer der Präsidenten des Weltkirchenrates küßte den Erzbischof Nikodim,
als der diese Erklärung abgab. Dann hatten sie ein gemeinsames Festessen in dem
so imposanten Namen des Weltkirchenrates, während die Christen in den Gefängniss
en Kohlsuppe mit ungewaschenen Innereien aßen, wie ich sie jahrelang um Jesu wil
len gegessen habe. Dieser Zustand konnte auf die Dauer nicht hingenommen werden.
Deshalb entschied die Leitung der Untergrundkirche, dass ich, wenn sich die Gel
egenheit böte, mein Land verlassen und euch Christen hier über die wirklichen Ge
schehnisse informieren sollte. Ich bin entschlossen, den Kommunismus" anzuklagen,
obwohl ich die Kommunisten" lieb habe. In unserer Zeit halte ich es nicht für ri
chtig, das Evangelium zu predigen, ohne diese Wahrheit auszusprechen. Einige sag
en zu mir: Predige die reine Botschaft von Christus!" Das ruft mir in Erinnerung,
dass auch die Geheimpolizei mir dringend empfohlen hatte, nur Christus zu predi
gen, den Kommunismus aber nicht zu erwähnen. Ist es denn wirklich schon so, dass
diejenigen, die für ein - wie sie es nennen - reines Evangelium" eintreten, von
demselben Geist inspiriert sind wie jene von der kommunistischen Geheimpolizei?
Ich weiß nicht, was dieses so genannte reine Evangelium" ist. War die Predigt Joh
annes des Täufers rein"? Er sagte nicht bloß: Tut Buße, denn das Himmelreich ist n
ahe herbeigekommen." Er sagte auch: Du, Herodes, tust Böses." Er wurde enthauptet
, weil er sich nicht auf reine, abstrakte Verkündigung beschränkte. Jesus hielt
nicht nur die reine" Bergpredigt, sondern auch solche, die einige unserer heutige
n bekannten Theologen als negative Predigt" bezeichnet hätten: Weh über euch, ihr
Schriftgelehrten und Pharisäer! Weh euch, ihr Heuchler ... ihr Schlangen- und Ot
terngezücht!" Wegen dieses nicht-reinen" Predigens ist er gekreuzigt worden. Über
die Bergpredigt hätten sich die Pharisäer wahrscheinlich nicht weiter aufgeregt
. Sünde muss schon bei ihrem Namen genannt werden. Der Kommunismus als materiali
stischer Atheismus ist heute die gefährlichste Sünde in der Welt. Jede Verkündig
ung, die ihn nicht als solche entlarvt, ist nicht das reine Evangelium. Die Unte
rgrundkirche tut das und setzt Freiheit und Leben aufs Spiel. Wie viel weniger G
rund zu schweigen haben wir im Westen. Ich bin deshalb entschlossen, den Kommuni
smus als materialistischen Atheismus aufzuzeigen, jedoch nicht aus der Haltung,
aus der jene es tun, die sich Antikommunisten" nennen. Hitler war ein solcher Ant
ikommunist und dennoch ein Tyrann. Wir rufen zur Versöhnung mit Gott, darum hass
en wir die Sünde und lieben die Sünder.
Warum ich im Westen leide
Ich leide im Westen mehr, als ich in kommunistischen Ländern gelitten habe. Mein
Leiden besteht vor allem in der Sehnsucht nach der unaussprechlichen Schönheit
der unterdrückten Kirche - der Kirche, die den alten lateinischen Wahlspruch wah
r gemacht hat: Nudis nudum Christi sequi" (Dieweil wir nackt sind, sind wir Nachf
olger der Nacktheit Christi). Im kommunistischen Lager ist Jesu Wort wieder Wirk
lichkeit, dass des Menschen Sohn und diejenigen, die ihm angehören, nicht haben,
wo sie ihr Haupt hinlegen. Christen bauen sich dort keine Häuser. Wozu auch? Si
e werden ihnen bei ihrer ersten Verhaftung beschlagnahmt. Gerade der Umstand, da
ss du etwa ein neues Haus hast, kann der eigentliche Beweggrund dafür sein, dass
du ins Gefängnis kommst - weil die Kommunisten dieses Haus haben wollen. Dort e
rfüllt sich an dir das Wort, dass du deinen Vater nicht begräbst noch deine Fami
lie Lebewohl" sagst, wenn du Christus nachfolgst. Wer sind dort deine Mutter, dei
n Bruder, deine Schwester? In dieser Beziehung gleichst du dort Jesus. Mutter un
d Bruder sind dir nur jene, die den Willen Gottes tun. Was aber die natürlichen
menschlichen Bindungen anbelangt -- haben sie denn noch irgendeinen Wert angesic
hts der häufigen Tatsache, dass die Braut den Bräutigam denunziert, die Kinder i
hre Eltern, die Frauen ihre Ehemänner? Was wirklich Bestand hat, ist mehr und me
hr nur noch die geistliche Verbindung in Christus. Die Untergrundkirche ist ein
e arme und leidende Kirche, aber sie hat keine lauen Glieder. Ein Gottesdienst i
n der Untergrundkirche gleicht jenen Versammlungen in der frühchristlichen Kirch
e vor neunzehnhundert Jahren. Der Prediger kennt keine ausgearbeitete theologisc
he Exegese. Er weiß auch nichts vom Kanzelstil", sowenig Petrus davon wusste. Jed
er Theologieprofessor hätte Petrus eine schlechte Note für seine Pfingstpredigt
erteilt. Die Verse der Bibel sind in kommunistischen Ländern nicht so allgemein
bekannt, weil dort Bibeln selten sind. Und außerdem hat der Prediger höchst wahr
scheinlich jahrelang im Gefängnis gesessen ohne eine Bibel. Wenn sie dort ihren
Glauben an einen Vater im Himmel bekunden, so bedeutet das sehr viel, denn hinte
r dieser Versicherung stehen erschütternde Erlebnisse. Im Gefängnis haben sie nä
mlich diesen allmächtigen Vater täglich um Brot gebeten -¬und haben stattdessen
Kohl mit unbeschreiblichem Schmutz empfangen. Dennoch glauben sie, dass Gott ihr
liebender Vater ist. Sie sind wie Hiob, der sagte, er würde Gott vertrauen, sel
bst wenn Gott ihn schlüge. Sie sind wie Jesus, der Gott seinen Vater nannte, sel
bst als er dort am Kreuz allem Anschein nach verlassen war. Wer einmal die geist
liche Schönheit der Untergrundkirche kennen gelernt hat, der kann sich mit der L
eere so mancher Kirchen hier im Westen nicht mehr zufrieden geben.
Ich muss es noch einmal deutlich sagen: Ich leide hier im Westen mehr, als ich j
e im Kerker gelitten habe, weil ich hier mit eigenen Augen die westliche Kultur
sterben sehe. Oswald Spengler schrieb in seinem Untergang des Abendlandes": Ihr li
egt im Sterben. Ich sehe an euch alle die charakteristischen Merkmale des Zerfal
ls. Ich kann euch nachweisen, dass euer großer Reichtum und eure große Armut, eu
er Kapitalismus und euer Sozialismus, eure Kriege und eure Revolutionen, euer At
heismus und Pessimismus und auch euer Zynismus, eure Lasterhaftigkeit, eure zerr
ütteten Ehen, eure Geburtenkontrolle, die euch von der Substanz her ausblutet un
d auch von eurer geistigen Höhe stürzt - ich kann es euch beweisen, daß dies die
Wahrzeichen der Sterbeepoche aller antiken Staaten waren: Griechenlands und Ale
xandrias und des neurotischen Rom." Das ist 1926 geschrieben worden. Seitdem si
nd schon in der einen Hälfte Europas Demokratie und abendländische Kultur gestor
ben und uns ebenso fern geworden wie Cuba. Und der übrige Teil des Westens schlä
ft. Aber da ist eine Macht, die nicht schläft: der Kommunismus. Während im Osten
die Kommunisten enttäuscht sind und ihre Illusionen verloren haben, ist der Kom
munismus im Westen gefährlich geblieben. Denn im Westen will man die furchtbaren
Berichte über die Greueltaten, das Elend und die unmenschlichen Verfolgungen in
den kommunistisch regierten Ländern nicht wahrhaben. Mit unermüdlichem Eifer su
chen sie überall ihre Heilslehre" auszubreiten - in den Salons der oberen Schicht
en, in den Clubs der Intellektuellen, in den Universitäten und Hochschulen, in d
en Elendsvierteln und den Kirchen. Und wir, die Christen, sind häufig nur mit ha
lbem Herzen auf der Seite der ganzen Wahrheit. Sie aber sind mit ganzem Herzen a
uf der Seite der Lüge. Währenddessen erörtern die Theologen hier im Westen vielf
ach nur Nebensächlichkeiten. Aus der Geschichte drängt sich mir eine Parallele a
uf. Während die Truppen Mohammeds II. 1453 Konstantinopel einschlossen und die E
ntscheidung über Jahrhunderte zu treffen war, ob die Völker des Balkan unter chr
istlicher oder mohammedanischer Oberherrschaft leben sollten, diskutierte in der
belagerten Stadt ein Kirchenkonzil über folgende Probleme: Welche Farbe hatten
die Augen der Heiligen Jungfrau? Welchen Geschlechts sind die Engel? Was geschie
ht, wenn eine Fliege in geweihtes Wasser fällt? Ist die Fliege geweiht oder das
Wasser entweiht?
Selbst wenn es nur eine Legende sein sollte, soweit es die Einzelheiten betrifft
, so kommt doch die geistige Haltung der Zeit darin treffend zum Ausdruck. Und w
elche Haltung nehmen wir ein? Man blättere nur einmal die Wochenzeitungen unsere
r Kirche heute durch, und man wird in der einen oder anderen finden, dass die di
skutierten Fragen sich vielfach nicht all zu sehr von jenen unterscheiden. Unser
aller Bedrohung durch den atheistischen Kommunismus und die Leiden der unterdrü
ckten Kirche werden kaum jemals erwähnt. Da werden oft endlose Debatten über the
ologische Streitfragen geführt, über Gottesdienstordnungen, über Äußerlichkeiten
. Es war auf irgendeiner Gesellschaft. Einer fragte: Wenn Sie jetzt auf einem Sch
iff wären, das am Sinken ist, und Sie könnten sich auf eine einsame Insel retten
, jedoch vorher noch gerade ein Buch aus der Schiffsbibliothek mitnehmen - welch
es Buch würden Sie wählen?" Jemand sagte: Die Bibel", ein anderer Shakespeare". Ei
n Schriftsteller meinte: Ich würde ein Buch wählen, das mich anleiten könnte, wie
ich mir ein Boot bauen könnte, um wieder ans Festland zu gelangen. Dann hätte i
ch wieder die Freiheit zu lesen, was ich wollte." Diese Freiheit für alle Religi
onsgemeinschaften und theologischen Richtungen zu bewahren und es auch da öffent
lich zu beklagen, wo sie wegen der kommunistischen Diktatur und Verfolgung verlo
ren gegangen ist, das ist weit wichtiger, als etwa auf einer bestimmten theologi
schen Meinung zu beharren. Die Wahrheit wird euch freimachen" sagt Jesus (Johanne
s 8, 32). Aber ebenso sagt er auch: Nur der Geist der Freiheit führt euch in die
Wahrheit." Deshalb sollten wir, anstatt über unwesentliche Dinge zu streiten, un
s lieber in diesem Kampf für die Freiheit gegen jede Diktatur vereinen. Ich kann
nur mitleiden, wenn ich an den ständig zunehmenden Leiden der Kirche hinter dem
Eisernen Vorhang noch Anteil nehme. Da ich selber durch diese Leiden gegangen b
in, stehen sie mir besonders lebendig vor Augen. Im Juni 1966 beschuldigten die
sowjetischen Zeitungen Iswestija und Derewenskais Jisn die russischen Baptisten,
sie forderten ihre Mitglieder auf, zur Sühne für ihre Sünden ihre Kinder zu töt
en. Es ist die alte Beschuldigung des Ritualmordes, wie sie auch gegen die Juden
immer wieder erhoben worden ist. Viele werden so etwas hier nicht ernst nehmen.
Ich weiß jedoch, was es für die Betroffenen bedeutet. Ich war 1959 im Gefängnis
von Cluj in Rumänien mit dem Häftling Lazarovici zusammen, der tatsächlich ange
klagt war, an einem Mädchen einen Ritualmord vollzogen zu haben. Er war erst dre
ißig Jahre alt, aber sein Haar war über Nacht weiß geworden unter den Folterunge
n. Er sah wie ein alter Mann aus. Er hatte keine Fingernägel mehr. Man hatte sie
ihm ausgerissen, um ihn zum Geständnis zu bringen eines Verbrechens, das er nic
ht begangen hatte. Nach einem Jahr der Folterungen stellte sich heraus, dass er
unschuldig war, und er wurde entlassen. Die Freiheit bedeutete jedoch für ihn fo
rtan nichts mehr. Er war für immer ein gebrochener Mann. Es gibt viele, die eine
n solchen Zeitungsartikel lesen und bloß über die unsinnigen Anklagen der Sowjet
presse gegen die Baptisten dort lachen. Ich kann es nicht, denn ich weiß, was si
e für die Angeklagten bedeuten. Auch deshalb ist es für mich so furchtbar, hier
im Westen zu leben und ständig solche Beispiele von Unverständnis vor Augen zu h
aben. Wo ist wohl jetzt der Erzbischof Yermogen von Kaluga, und wo sind die ande
ren sieben Bischöfe, die gegen Auswüchse der Zusammenarbeit mit dem sowjetischen
Regime durch den Patriarchen Alexei und den Erzbischof Nikodim protestierten, d
ie ,beide Werkzeuge in den Händen der Kommunisten sind? Wenn ich nicht aus nächs
ter Nähe seinerzeit im Gefängnis die Bischöfe, die in Rumänien protestiert hatte
n, hätte sterben sehen, wäre ich jetzt nicht so besorgt um das Schicksal dieser
gottesfürchtigen Bischöfe. Die Pfarrer Nikolas Eshliman und Gleb Yakunin hatten
von dem Patriarchen einen Verweis bekommen, weil sie religiöse Freiheit für die
Kirche gefordert hatten. Der Westen hält das für selbstverständlich. Aber im Gef
ängnis war ich mit Vater Joan aus Vladimiresti in Rumänien zusammen, dem die gle
iche Sache vorgeworfen worden war. Nach außen gab es auch nur einen kirchlichen V
erweis". Aber unsere offiziellen Kirchenführer arbeiten wie alle offiziellen Kir
chenvertreter in kommunistischen Ländern - mit der Geheimpolizei Hand in Hand. W
er also unter ihrer Disziplinarstrafe steht, wird dann noch einmal unter eine we
sentlich wirksamere Ordnungsstrafe" gestellt - d. h. Folterungen, Schläge, Behand
lung mit Drogen - im Gefängnis nämlich. Deshalb zittere ich, wenn ich an die Lei
den jener armen Verfolgten denke. Ich zittere aber auch, wenn ich an die ewige B
estimmung ihrer Folterer denke. Und es überkommt mich ein banges Zittern um die
Christen im Westen, die ihren verfolgten Brüdern nicht beistehen. Auch ich möcht
e die Seligkeit meines geistlichen Weinbergs tief verschlossen in meinem Herzen
bewahren und nicht in einen solchen Kampf der Geister
hineingezogen werden. Wie gern wäre ich irgendwo in Ruhe und Abgeschiedenheit! A
ber es ist nicht möglich. Die Gefahr des Atheismus steht vor der Tür. Als die Ko
mmunisten in Tibet eindrangen, setzten sie all denen ein Ende, die einzig an Geg
enständen geistlicher Betrachtung interessiert waren. Und in meinem eigenen Land
beendeten sie den Traum all derer, die sich von der Wirklichkeit zurückgezogen
hatten. Kirchen und Klöster wurden aufgelöst, und nur so viele wurden belassen,
wie notwendig waren, um die Fremden hinters Licht zu führen. Stille und Ruhe, na
ch denen ich mich so sehr sehne, wären eine Flucht vor der Wirklichkeit und oben
drein für meine Seele höchst gefährlich. Ich muß diesen geistigen Kampf austrage
n, obwohl er mich in große Gefahr bringt. Wenn ich einmal plötzlich verschwinden
sollte, dann könnt ihr sicher sein, dass es die Kommunisten gewesen sind, die m
ich entführt haben. Haben sie mich doch 1948 auch schon auf offener Straße gewal
tsam entführt und mich unter falschem Namen in einem Gefängnis verschwinden lass
en. Damals sagte Anna Pauker, Rumäniens Außenministerin, zu dem schwedischen Bot
schafter Patrick von Reuterswaerde: Oh, Wurmbrand macht zur Zeit Spaziergänge auf
den Straßen von Kopenhagen." Der schwedische Gesandte hatte aber meinen Brief i
n der Tasche, den ich aus dem Gefängnis hatte hinausschmuggeln können. Er wusste
also genau, dass man ihm eine Lüge erzählte. Ein solcher Fall kann sich durchau
s wiederholen. Sollte ich ermordet werden, so kann der Mörder nur bestellt sein.
Niemand sonst hätte einen Grund, mich zu ermorden. Und wenn ihr einmal Gerüchte
über meine moralische Verkommenheit vernehmt, etwa über Diebstahl, Homosexualit
ät, Ehebruch, politische Unzuverlässigkeit, Betrügereien oder dergleichen, dann
ist das die Erfüllung jener Drohung der Geheimpolizei: Wir werden dich moralisch
erledigen." Aus zuverlässiger Quelle erreichte mich die Nachricht, dass die rumä
nischen Kommunisten nach meiner Aussage vor dem amerikanischen Senat beschlossen
haben, mich zu ermorden. Sie werden versuchen, mich tatsächlich zu töten oder a
ber mich durch Rufmord zu erledigen. Sie werden auch versuchen, mich zu erpresse
n, indem sie meine Freunde in Rumänien terrorisieren. Sie haben wirksame Mittel.
Aber ich kann dennoch nicht schweigen. Und eure Pflicht ist es jetzt, das in. R
uhe zu prüfen, was ich euch berichte. Selbst wenn ihr glaubt, dass ich - nach al
l dem, was ich durchgemacht habe - an einem Verfolgungswahn leide, dann müßt ihr
euch immerhin die Frage beantworten, was es mit dieser fürchterlichen Macht des
Kommunismus auf sich hat, die ihre Bürger in solche Komplexe hineintreibt. Was
ist das für eine Macht, die Menschen aus Mitteldeutschland auf einem Traktor mit
samt ihrem kleinen Kinde den Stacheldrahtverhau durchbrechen lässt, selbst auf d
ie Gefahr hin, mit der ganzen Familie erschossen zu werden? Müßte darüber der sc
hlafende Westen nicht endlich aufwachen? Menschen, die leiden, suchen gewöhnlich
einen Sündenbock, irgend jemand, auf den sie die Schuld für ihr Leid abladen kö
nnen. Wenn man einen solchen findet, erleichtert das die drückende Last. Dazu ka
nn ich mich nicht herbeilassen. Ich kann die Schuld nicht einfach auf einige füh
rende Männer der Kirche hier im Westen schieben, die mit dem Kommunismus Komprom
isse schließen. Das Übel kommt nämlich nicht von ihnen. Es ist viel älter. Sie h
aben den schlimmen Zustand in der Kirche nicht geschaffen. Sie haben ihn schon v
orgefunden. Seit ich hier im Westen bin, habe ich viele theologische Seminare be
sucht. Ich habe dort Vorlesungen gehört über die Geschichte der Kirchenglocken s
owie über die Geschichte liturgischer Gesänge, über kanonisches Recht, das schon
lange außer Kraft ist, über Kirchenzucht, die längst nicht mehr geübt wird. Ich
war Zeuge, wie Studenten der Theologie lernten, dass der Schöpfungsbericht nich
t wahr sei, noch der vom Sündenfall, noch der von der Sintflut, und auch nicht d
ie Wunder des Mose; dass die Prophezeiungen der Bibel niedergeschrieben worden s
ind nach ihrer Erfüllung; dass die Jungfrauengeburt ein Mythos sei; ebenso die A
uferstehung Jesu; dass seine Gebeine irgendwo in einem Grab geblieben seien; das
s die Briefe des Neuen Testamentes nicht echt seien; dass die Offenbarung das Bu
ch eines Schwärmers sei - aber sonst sei die Bibel die Heilige Schrift! Und das
ist es, was die heutigen Theologen und Vertreter der Kirche lernten, als sie Stu
denten waren und die theologischen Seminare und Hörsäle füllten. Das ist die eig
entliche Atmosphäre, in der sehr viele von ihnen leben. Warum sollen sie auch ei
nem Herrn vertrauen, über den solche seltsamen Dinge ausgesagt werden? Warum sol
len die führenden Männer der Kirche noch einer Kirche vertrauen und auf sie baue
n, in der frei und öffentlich gelehrt werden kann, dass Gott tot ist? Sie sind F
ührer der offiziellen Kirche, nicht der Braut Christi. Sie sind Vertreter einer
Kirche, in der seit langem viele schon ihren Herrn verraten haben. Wenn sie eine
m Vertreter der leidenden und verfolgten Kirche im Untergrund begegnen, blicken
sie ihn an wie ein fremdes Wesen. Zum anderen ist es aber nicht gerechtfertigt,
die Menschen nur nach einem Teil ihres Verhaltens zu beurteilen. Wenn wir das tä
ten, wären wir wie die Pharisäer, für die Jesus deswegen schlecht war, weil er i
hre Vorschriften über den Sabbat nicht beachtete. Das verschloß ihnen die Augen
vollständig gegenüber dem, was, selbst in ihrer Sicht, an Jesus liebenswert gewe
sen wäre. Dieselben Kirchenführer, die eine falsche Einstellung gegenüber dem Ko
mmunismus haben, mögen in vielen anderen Dingen durchaus recht haben und auch pe
rsönlich aufrichtig sein und aufrichtig handeln. Und selbst in dem, worin sie Un
recht haben, können sie sich ja ändern. Ich war vor Jahren mit einem orthodoxen
Metropoliten in Rumänien zusammen. Er war ein Verbindungsmann der Kommunisten, d
er seine eigene Herde verriet. Damals nahm ich seine Hand zwischen meine Hände u
nd erzählte ihm das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Es war gegen Abend und wir sa
ßen in seinem Garten. Ich sagte zu ihm: Sehen Sie, mit welcher Liebe Gott einen S
ünder aufnimmt, der zu ihm zurückkehrt. Er nimmt sogar einen Bischof wieder mit
Freuden an, wenn er bereut." Ich sang ihm Lieder von der Errettung in Jesus Chri
stus. Dieser Mann übergab an jenem Abend Christus sein Leben. Im Gefängnis war i
ch in derselben Zelle mit einem orthodoxen Priester zusammen, der in der Hoffnun
g, dann eher freigelassen zu werden, atheistische Abhandlungen schrieb. Ich rede
te mit ihm darüber. Er zerriß später, was er geschrieben hatte, und nahm es auf
sich, vielleicht nie mehr aus dem Gefängnis zu kommen. Ich kann niemand zum Sünd
enbock machen, um auf diese Weise mir selber die Last zu erleichtern, die ich au
f dem Herzen habe. Noch etwas anderes schmerzt mich sehr. Selbst unter meinen en
gen Freunden verstehen mich einige falsch. Sie klagen mich der Bitterkeit und an
gestauter Ressentiments gegenüber den Kommunisten an, was einfach nicht zutrifft
. Der mosaisch jüdische Schriftsteller Claude Montefiore behauptet, dass Jesu Ha
ltung gegenüber den Pharisäern und Schriftgelehrten, seine öffentliche Anklage g
egen sie, im Gegensatz stände zu seiner Forderung, unsere Feinde zu lieben und d
ie zu segnen, die uns fluchen. Und Dr. W. R. Matthews, der kürzlich in den Ruhes
tand getretene Dekan der St. Pauls-Kathedrale in London, kommt zu dem Schluß, da
ss dies eine Widersprüchlichkeit und auch Wankelmütigkeit in der Persönlichkeit
Jesu sei. Er führt zur Entschuldigung an, dass Jesus eben kein Intellektueller g
ewesen sei. Montefiores Vorstellung und Urteil über Jesus waren falsch. Jesus li
ebte die Pharisäer, obwohl er sie öffentlich zurechtwies. Und ich liebe die Komm
unisten und auch ihre Werkzeuge in der Kirche, obgleich ich sie anklagen muss. I
mmer wieder sagt man zu mir: Vergiß die Kommunisten! Befasse dich nur mit geistli
chen Dingen!" Ich bin mit einem Christen zusammengetroffen, der unter den Nazis
gelitten hatte. Er versicherte mir, er stehe ganz auf meiner Seite, solange ich
Christus bezeugte, gegen die Kommunisten aber sollte ich kein Wort sagen. Ich fr
agte ihn, ob die Christen, die gegen die Hitlertyrannei in Deutschland gekämpft
haben, darin unrecht gehandelt hätten und sich darauf hätten beschränken sollen,
nur die Bibel auszulegen, ohne ein Wort gegen den Tyrannen zu sagen. Seine Erwi
derung war: "Aber Hitler hat sechs Millionen Juden getötet! Man musste einfach g
egen ihn sprechen." Ich antwortete ihm Die Kommunisten haben dreißig Millionen Ru
ssen getötet, dazu Millionen von Chinesen und Osteuropäern. Juden haben sie auch
umgebracht. Sollen wir nur protestieren, wenn Juden ermordet werden, und nicht
auch, wenn Russen ermordet werden?" Er gab mir zurück: Das ist etwas ganz anderes
." Eine Erklärung erhielt ich dazu nicht. Ich bin von der Polizei unter Hitler u
nd unter den Kommunisten geschlagen worden, und ich konnte keinen Unterschied da
bei erkennen. Beide Male war es schmerzhaft. Das Christentum hat gegen viele Aus
prägungen der Sünde zu kämpfen, nicht bloß gegen den Kommunismus. Uns beschäftig
t nicht nur dieses eine Problem. Aber der atheistische Kommunismus ist zurzeit d
er größte Feind des Christentums und der gefährlichste. Deshalb müssen wir uns a
lle gegen ihn verbünden. Darf ich es noch einmal sagen: Die eigentliche Bestimmu
ng des Menschen ist es, Christus ähnlich zu werden. Das zu verhindern, ist das o
berste Ziel der Kommunisten. Sie sind in erster Linie antireligiös. Sie glauben,
dass der Mensch nach dem Tod zu Salzen und Mineralen werde, sonst nichts. Desha
lb wollen sie auch, dass das Leben ausschließlich auf der Ebene der Materie gele
bt werden soll. Sie kennen nur die Massen. Ihr Motto ist das des Dämons, von dem
das Neue Testament berichtet. Auf die Frage nach seinem Namen gab er zur Antwor
t: Wir sind Legion." Die Persönlichkeit, die größte Gabe Gottes an die Menschheit
, muss nach ihrer Vorstellung zerbrochen werden. So haben sie einen Mann eingesp
errt, weil sie das Buch von Alfred Adler Individuelle Psychologie" bei ihm gefund
en hatten. Die Untersuchungsbeamten der Geheimpolizei schrieen: Aha, individuell
-- immer individuell! Warum nicht kollektiv?" Jesus möchte aber, dass wir Persön
lichkeiten sind. Auch von daher besteht keine Möglichkeit des Kompromisses zwisc
hen uns und dieser Weltanschauung. Das wissen die Kommunisten. Eine ihrer Zeitsc
hriften in Rumänien, Nauka i Religia" (Wissenschaft und Religion), schreibt an ei
ner Stelle: Religion ist unvereinbar mit dem Kommunismus. Er ist ihr natürlicher
Feind ... Der Inhalt des Programms der Kommunistischen Partei ist der Todesstoß
für die Religion ... Er ist das Programm für die Schaffung einer atheistischen G
esellschaft, in der die Menschen für immer von der religiösen Fessel frei sein w
erden." Kann hiernach christlicher Glaube mit dem Kommunismus in Koexistenz lebe
n? Die Kommunisten haben diese Frage hier klar beantwortet: Der Kommunismus ist d
er Todesstoß für die Religion." Noch einmal muss ich über die Untergrundkirche b
erichten. Sie arbeitet unter unsäglich schweren Bedingungen. Der Atheismus ist i
n allen kommunistischen Ländern Staatsreligion. Eine gewisse Freiheit gewähren s
ie noch für die Art und Weise, in der die älteren Leute ihren Glauben ausüben; K
inder und Jugendliche jedoch dürfen überhaupt nicht an Gott glauben. Alle Inform
ationsmittel in diesen Ländern - Radio, Fernsehen, Kino, Theater, Presse und Ver
lage - haben nur das eine Ziel, jeden Glauben an Gott auszurotten. Die Untergrun
dkirche hat den riesigen Machtmitteln des totalitären Staates nur sehr schwache
eigene Mittel entgegenzusetzen. Die Pfarrer der Untergrundkirche in Russland hab
en keine theologische Ausbildung. Es sind Pfarrer, die noch niemals die Bibel ga
nz gelesen haben. An dieser Stelle muss ich berichten, auf welche Weise viele vo
n ihnen ordiniert worden sind. Wir trafen mit einem jungen Russen zusammen, der
im geheimen Pfarrer war. Ich fragte ihn, wer ihn ordiniert habe. Er gab zur Antw
ort: Wir hatten keinen regulären Bischof, der uns einsegnen konnte. Denn die offi
ziellen Bischöfe setzen niemand ins Amt ein, der nicht von der Kommunistischen P
artei gebilligt wird. Deshalb gingen zehn von uns jungen Anwärtern zum Grab eine
s Bischofs, der als Märtyrer gestorben war. Zwei von uns legten ihre Hand auf se
inen Grabstein. Die anderen bildeten einen Kreis um sie, und wir beteten zum Hei
ligen Geist, uns den
Segen zu geben. Wir waren gewiß, dass wir von den durchbohrten Händen Christi or
diniert worden waren." Nach meinem Urteil ist die Ordination dieses jungen Manne
s gültig vor Gott. Solche Menschen, die niemals eine theologische Ausbildung hat
ten, die oft sogar nur wenig von der Bibel kennen, treiben die Sache Christi vor
an. Es ist ganz wie in der Kirche der ersten Jahrhunderte. Was für Seminare hatt
en denn jene besucht, die die ganze damalige Welt für Christus umkrempelten? Kon
nten alle von ihnen überhaupt lesen? Und woher bekamen sie Bibeln? Aber Gott red
ete zu ihnen. Wir von der Untergrundkirche haben keine Kathedralen. Aber kann ir
gendeine Kathedrale schöner sein als der gewölbte Himmel, in den wir schauten, w
enn wir uns in den Wäldern heimlich versammelten? Das Zwitschern der Vögel übern
ahm die Rolle der Orgel. Der Duft der Blumen war unser Weihrauch. Und der schäbi
ge Anzug eines gerade aus dem Gefängnis entlassenen Märtyrers war uns feierliche
r als die feinste Robe eines Priesters. Den Mond und die Sterne hatten wir als K
erzen. Die Engel selber waren unsere Meßdiener, die sie anzündeten. Die Schönhei
t dieser Kirche kann ich mit Worten nicht beschreiben. Oft wurden Christen nach
einem geheimen Gottesdienst verhaftet und ins Gefängnis gebracht. Dort trugen si
e ihre Ketten mit einer stillen Freude, mit der eine Braut ein kostbares Geschme
ide trägt, das sie von ihrem Geliebten erhalten hat. Die Uhren der Welt stehen i
m Gefängnis still. Du empfängst dort von Christus Kuß und Umarmung, und du würde
st nicht mehr mit Königen tauschen. Wahrhaft jubilierende Christen habe ich nur
in der Bibel, in der Untergrundkirche und im Gefängnis angetroffen. Die Untergru
ndkirche wird schwer unterdrückt, aber sie hat auch Freunde - selbst unter den A
ngehörigen der Geheimpolizei, ja sogar unter Mitgliedern der Regierung. Manchmal
gewähren diese verborgenen Gläubigen der Untergrundkirche Schutz. Kürzlich bekl
agten sich russische Zeitungen über die wachsende Zahl der Nach¬außen-hin-Nichtgl
äubigen". Das sind, so erklärte die russische Presse, zahllose Männer und Frauen
, die sich sogar in den Schaltstellen der kommunistischen Macht befinden und in
Regierungsämtern, Propagandaabteilungen und Parteistellen arbeiten. Nach außen h
in sind sie Kommunisten, im Innern aber Gläubige und geheime Mitglieder der Unte
rgrundkirche. So berichtete die kommunistische Presse von einer jungen Frau, die
in einer sowjetischen Propagandaabteilung beschäftigt war. Nach ihrer Arbeit, s
o war zu lesen, ging sie gewöhnlich in ihre Wohnung und traf sich dort mit ihrem
Mann, der ebenfalls von der Arbeit heimkam. Nach dem Essen sammelte sie mit ihr
em Mann eine Gruppe junger Leute aus den anderen Teilen des Wohnblocks zu Bibels
tunden und Gebetsversammlungen. Solche Fälle sind in der gesamten kommunistische
n Welt heute gang und gäbe. Zehntausende solcher Nach-außen-hin-Nichtgläubigen" e
xistieren in jedem kommunistischen Land. Sie halten es für klüger, die zur Schau
gestellten Kirchen nicht zu besuchen, wo sie bespitzelt werden und nur verwässe
rtes Evangelium zu hören bekommen. Stattdessen bleiben sie in angesehenen und ve
rantwortlichen Stellungen und bezeugen von dort aus, unauffällig und doch sehr w
irksam, ihren Herrn Jesus Christus. In solchen Stellen hat die wahre, unterdrück
te Kirche Tausende von Gliedern. Sie kommen zu geheimen Versammlungen in Kellerr
äumen und Mansarden zusammen, in Etagenwohnungen und Einfamilienhäusern. In Russ
land erörtert niemand mehr die Argumente für oder wider die Kinder- oder Erwachs
enentaufe, für oder gegen die päpstliche Unfehlbarkeit. Sie spalten sich nicht i
n Verfechter der Vor- oder Nachepoche des Tausendjährigen Reiches. Sie können di
e Prophezeiungen der Bibel nicht deuten und streiten darüber auch nicht, aber ic
h habe mich immer wieder gewundert, wie treffend sie den Atheisten die Existenz
Gottes, seine lebendige Gegenwart, bewiesen. Ihre Antworten an die Atheisten sin
d schlagend einfach: Wenn Sie zu einem Festmahl eingeladen wären mit vielen guten
Speisen, würden Sie da etwa annehmen, dass kein Koch da gewesen wäre, der sie z
ubereitet hätte? Die ganze Natur ist ein großes Festmahl, das für uns bereitet i
st. Da gibt es Tomaten, Pfirsiche und Äpfel, Milch und Honig. Wer hat alle diese
Kostbarkeiten für die Menschen bereitet? Die Natur selber ist blind und gefühll
os. Wenn Sie nicht an einen Gott glauben, welche Erklärung haben Sie dafür, dass
diese blinde Natur ausgerechnet die Dinge hervorgebracht hat, die wir in solche
r Fülle und Vielfalt nötig haben?" Sie verstehen es auch, die Existenz eines unv
ergänglichen Lebens anschaulich zu machen. Ich war Zeuge einer solchen Auseinand
ersetzung mit einem Atheisten: Nehmen wir einmal an, wir könnten mit einem Embryo
im Mutterleib sprechen, und Sie würden ihm nun erzählen, dass dieses embryonale
Leben nur von kurzer Dauer sei; danach aber folge das eigentliche, lange Leben.
Was würde der Embryo wohl antworten? Er würde genau das sagen, was ihr Atheiste
n uns antwortet, wenn wir mit euch über ein unvergängliches Leben in Seligkeit o
der Verdammnis sprechen. Er würde nämlich antworten, dass das Leben im Mutterlei
b das einzig wirkliche und alles andere religiöser Wahn sei. Wenn der Embryo abe
r denken könnte, dann müßte er sich sagen: Hier wachsen mir Arme, und ich brauche
sie nicht. Ich kann sie nicht einmal ausstrecken. Warum wachsen sie aber? Wahrs
cheinlich für ein künftiges Stadium meines Daseins, in dem ich mit ihnen werde a
rbeiten müssen. Ebenso wachsen mir Beine, aber ich muss sie zusammengekauert geg
en die Brust halten. Warum wachsen sie bloß? Wahrscheinlich folgt noch ein Leben
in einer weiten Welt, in der sie zu laufen haben. Und auch Augen bilden sich, o
bgleich ich von tiefster Dunkelheit umgeben bin und sie hier gar nicht brauche.
Wozu bekomme ich wohl Augen? Wahrscheinlich folgt noch eine Welt voller Licht un
d Farben.' Wenn also der Embryo über seine eigene Entwicklung reflektieren könnt
e, hätte er schon ein bestimmtes Wissen über ein Leben außerhalb seiner Mutter L
eib, ohne es gesehen zu haben. Ähnlich verhält es sich mit uns. Solange wir jung
sind, haben wir Kraft, aber noch nicht den Verstand, sie richtig zu gebrauchen.
Wenn wir dann mit den Jahren an Weisheit und Wissen zugenommen haben, erwartet
uns schon der Leichenwagen, um uns ins Grab zu bringen. Wozu war es notwendig, W
issen und Erkenntnis anzusammeln, wenn wir sie nicht mehr recht anwenden können?
Warum wachsen einem Embryo Arme, Beine und Augen? Sie sind für etwas bestimmt,
was noch folgt. So verhält es sich mit uns in diesem Leben. Wir wachsen hier an
Erfahrung, Wissen und Erkenntnis für ein Leben, das darauf folgt. Wir werden hie
r zum Wirken auf einer höheren Stufe vorbereitet, die nach dem Tode kommt." Ober
Jesus besagt die offizielle kommunistische Doktrin, er habe nie gelebt. Die Mit
arbeiter der Untergrundkirche antworten darauf ganz einfach: Was für Tageszeitung
en habt ihr in der Tasche? Ist es die Prawda` von heute oder von gestern? Lassen
Sie mich sehen! Schön, vom 14. Januar 1964 also. 1964, von wo ab gezählt? Von de
m einen, der nie existierte und überhaupt keine Rolle spielte? Ihr sagt, es hat
ihn nie gegeben, aber ihr zählt die Jahre von seiner Geburt her. Eine Zeitrechnu
ng gab es auch schon vor ihm. Als er aber kam, schien es der Menschheit, dass al
les, was vorher da war, umsonst gewesen sei und die wirkliche Zeit erst jetzt be
gonnen habe. Eure Zeitung ist schon selber Beweis, dass Jesus keine Einbildung i
st." Die Pfarrer hier im Westen setzen gewöhnlich voraus, dass diejenigen, die i
n die Kirche kommen, von den Wahrheiten des christlichen Glaubens wirklich überz
eugt sind, was aber vielfach gar nicht der Fall ist. Man hört selten eine Predig
t, die die Wahrheit unseres Glaubens erweist. Hinter dem Eisernen Vorhang jedoch
geben Menschen, die es nie gelernt haben, ihren neu gewonnenen Glaubensbrüdern
eine feste Grundlage ihres Glaubens. Es besteht keine klare Trennungslinie, an d
er man aufzeigen könnte, wo die Untergrundkirche, das eigentliche Bollwerk des c
hristlichen Glaubens, enden und die offizielle Kirche beginnt. Sie sind miteinan
der verwoben. Viele Pfarrer der Scheinkirchen versehen gleichzeitig einen verbor
genen Dienst, der weit über die Grenzen hinausgeht, die ihnen von den Kommuniste
n abgesteckt sind. Die offizielle Kirche, die Kirche, die mit dem Regime zusamme
narbeitet, hat eine verhältnismäßig lange Geschichte. Sie fing schon unmittelbar
nach der Russischen Sozialistischen Revolution an, und zwar mit der so genannte
n Lebendigen Kirche", die von einem Priester namens Sergius geleitet wurde. Diese
Lebendige Kirche" verkündete damals in Moskau ganz öffentlich: Unser Ziel ist es
nicht, die Kirche wiederherzustellen, sondern sie abzuschaffen und alle Religion
auszurotten." Ein schönes Programm für eine Kirche! Wir haben in jedem der komm
unistischen Länder solche Sergiusse gehabt. In Ungarn war es unter den Katholike
n Pater Balogh. Er verhalf zusammen mit einigen protestantischen Pfarrern den Ko
mmunisten dazu, die vollständige Kontrolle des Staates über die Kirche herzustel
len. In Rumänien gelang dies den Kommunisten mit Hilfe eines orthodoxen Priester
s mit Namen Burducea, eines früheren Faschisten, der die Roten" wegen seiner früh
eren schweren Verfehlungen besänftigen musste, indem er sich noch roter" gebärdet
e als seine Meister. Dieser Priester stand Wyschinski, dem sowjetischen Außenmin
ister von 1949 bis 1953, nahe; und er lächelte zustimmend, als der letztere bei
der Einführung der neuen kommunistischen Regierung erklärte: Diese Regierung wird
ein Paradies auf Erden bauen, und Sie werden in Zukunft keins mehr im Himmel br
auchen." Was den Erzbischof Nikodim vorn Russland betrifft, so ist geschichtlich
erwiesen, dass er ein Mittelsmann der sowjetischen Regierung ist. Major Deriabi
n, ein Überläufer der russischen Geheimpolizei, hat bezeugt, dass Nikodim ein Sp
itzel war. So sieht es heute aus in nahezu allen Kirchen und Religionsgemeinscha
ften. Den Baptisten in Rumänien ist die derzeitige Leitung ihrer Kirche zwangswe
ise auferlegt. Die wirklichen Christen werden von ihr denunziert. In Russland tu
t die Kirchenleitung der Baptisten das gleiche. Der Vorsitzende der rumänischen
Adventisten, Tachici, hat mir selber erzählt, dass er Verbindungsmann zur kommun
istischen Geheimpolizei vom ersten Tag ihrer Machtübernahme an gewesen sei. Anst
att alle Kirchen ausnahmslos zu schließen -- obgleich sie Abertausende geschloss
en haben -, entschieden sich die Kommunisten schlauerweise dazu, ein paar Kirche
n als Wahrzeichen ihrer Toleranz mit staatlicher Billigung offen zu halten und s
ie als Fenster zu benutzen, durch die sie Christen und den christlichen Glauben
beobachten, kontrollieren und bei Gelegenheit um so gründlicher zerstören können
. Sie hielten es für besser, das Gefüge der Kirche bestehen zu lassen und es in
ein kommunistisches Werkzeug zur Kontrolle der Christen umzuwandeln und zugleich
in ein Mittel, um die ausländischen Besucher ihres Landes hinters Licht zu führ
en. Man hatte auch mir eine solche Kirche angeboten unter der Bedingung, dass ic
h der Geheimpolizei als Pfarrer über meine Gemeindeglieder laufend berichtete. E
s hat den Anschein, dass die Leute im Westen, längst an Schwarz-Weiß-Malerei gew
öhnt, weder das eine noch das andere glauben und folglich auch dies nicht verste
hen können. Doch die Untergrundkirche wird niemals die zur Schau gestellten, übe
rwachten Kirchen als Ersatz für eine klare, kraftvolle Verkündigung des Evangeli
ums an alle Kreatur" - die Jugend eingeschlossen - hinnehmen. Dennoch ist in den
offiziellen Kirchen auch wirkliches geistliches Leben, trotz vieler untreuer Hir
ten. (Ich habe den Eindruck, dass in vielen Kirchen des Westens die Lage ganz äh
nlich ist. Die Gemeinden sind mitunter treu, und das nicht w e g e n, sondern bi
sweilen trotz ihrer Oberhirten.) Die orthodoxe Liturgie ist bis heute unveränder
t geblieben, und sie füllt die Herzen der Gemeindeglieder mit Gottes Wort, selbs
t wenn die Predigten vieler Pfarrer den Kommunisten Zugeständnisse machen. Ebens
o singen die Lutheraner, Presbyterianer und die anderen Protestanten noch diesel
ben alten Choräle. Und schließlich müssen selbst die Predigten derjenigen Pfarre
r, die Spitzel sind, etwas von der Heiligen Schrift enthalten. So werden also Me
nschen zu Gott bekehrt unter dem Einfluss von Leuten, die von vornherein als Zwi
schenträger bekannt sind, von denen man weiß, dass sie alle neu zum Glauben Erwe
ckten der Geheimpolizei melden werden, so dass diese ihren Glauben gerade vor je
nen verbergen müssen, die ihn durch ihre - unaufrichtige -- Predigt geweckt hatt
en. Das ist das große Wunder Gottes, von dem das dritte Buch Mose im elften Kapi
tel in symbolischer Sprache schreibt: Und wenn auch etwas von solch einem unreine
n Kadaver auf lebendigen Samen fiele, den man aussät, so ist er dennoch rein" (V
. 37). Die Gerechtigkeit gebietet uns zu erwähnen, dass nicht alle Repräsentante
n der offiziellen Kirche, auch nicht alle leitenden Männer darin Verbindungsleut
e der Kommunisten sind. Es gibt Glieder der Untergrundkirche, die auch in den of
fiziellen Kirchen eine führende Rolle spielen, ausgenommen solche, die sich verb
orgen halten müssen. Und sie achten darauf, dass die christliche Botschaft nicht
satt- und kraftlos wird, sondern als lebendiges Wort Gottes in die Herzen dring
t. Als die Geheimpolizei kam, um das Kloster Vladimiresti in Rumänien zu schließ
en -Šhnliches hat sich an mehreren Stellen auch in Russland ereignet -, gab es
sogar Widerstand. Einige Kommunisten haben diesen Verfassungsbruch, die Religion
zu verbieten, dabei mit dem Leben bezahlt. Der offiziellen Kirchen werden jedoc
h immer weniger. Ich bin nicht sicher, ob in der gesamten Sowjetunion noch ganze
fünf- oder sechstausend Kirchen bestehen. Die Vereinigten Staaten von Nordameri
ka mit etwa einem Fünftel weniger Einwohnern haben rund dreihunderttausend. Und
diese übrig gebliebenen russischen Kirchen" bestehen häufig nur aus einem einzige
n, winzigen Raum, sind also keine Kirchen, wie wir sie uns vorzustellen gewöhnt
sind. Da sehen Touristen in Moskau eine überfüllte Kirche - die einzige protesta
ntische Kirche in der Stadt - und stellen anerkennend fest, was für Freiheit dor
t herrscht. Die Kirchen sind sogar überfüllt", berichten sie voller Freude. Sie s
ehen nicht die Tragödie dahinter: eine einzige protestantische Kirche auf sieben
Millionen Einwohner! Und für achtzig Prozent der Menschen der Sowjetunion liege
n nicht einmal die Ein-Zimmer-Kirchen" in Fußgänger-Reichweite. Diese Menschenmas
sen müssen für das Evangelium entweder abgeschrieben oder auf verborgenen Wegen
und mit anderen Methoden der Verkündigung von der Untergrundkirche erreicht werd
en. Es bleibt keine andere Wahl. Je weiter der Kommunismus in einem Land fortsch
reitet, umso tiefer muss die Kirche in den Untergrund gehen. An die Stelle jeder
weiteren Kirche, die offiziell geschlossen wird, treten dann jeweils die Versam
mlungen der antireligiösen Organisationen.

Wie sich die Untergrundkirche mit atheistischer Literatur ernährt".


Die Untergrundkirche weiß sich jedoch diesen Zustand nutzbar zu machen. In erste
r Linie bezieht sie ihre Nahrung aus der atheistischen Literatur, so wie Elia si
ch von den Raben ernähren ließ. Denn die Atheisten wenden viel Kunst und Fleiß d
aran, Bibelverse zu kritisieren und lächerlich zu machen. So haben sie Bücher ve
röffentlicht unter Titeln wie Die Bibel zum Lachen" und Die Bibel für Gläubige und
Ungläubige". Darin wollen sie zeigen, wie unsinnig die Bibel ist, und um es zu
belegen, führen sie viele Bibelverse an. Wie sehr freuten wir uns darüber! Die K
ritik war nämlich so stupide, dass niemand sie ernst nahm. Aber das Buch wurde i
n Millionen Exemplaren gedruckt und war voll von Bibelversen, die unaussprechlic
h herrlich waren, auch wenn die Kommunisten meinten, sie lächerlich zu machen. S
chon im Mittelalter wurden die Ketzer", die von der Inquisition zum Tode durch Ve
rbrennen verurteilt worden waren, in einer großen Prozession zum Scheiterhaufen
geführt, angetan mit Narrenkleidern, auf denen Höllenflammen und Teufel aufgemal
t waren. Und was für Heilige waren diese Ketzer in Wirklichkeit! Ebenso steht es
um den Wert und die Wahrheit der Bibelverse, auch wenn sie der Teufel zitiert.
Der kommunistische Verlag war besonders stolz, als er Tausende von Briefen erhi
elt, die um weitere Auflagen solcher atheistischer Bücher ersuchten, in denen Bi
belverse zum Spott zitiert wurden. Die Verleger wussten freilich nicht, dass die
se Briefe von Mitgliedern der Untergrundkirche kamen, die keine andere Möglichke
it hatten, um sich Gottes Wort zu verschaffen. Auch die atheistischen Versammlun
gen wussten wir uns nutzbar zu machen. Ein Professor des dialektischen Materiali
smus versuchte auf einer solchen Versammlung nachzuweisen, dass Jesus nichts and
eres als ein Zauberer gewesen sei. Der Professor hatte einen Krug mit Wasser vor
sich stehen. Er streute ein Pulver hinein, und das Wasser wurde rot. Das ist das
ganze Wunder", erläuterte er. Jesus hatte in seinem Ärmel ein Pulver versteckt w
ie dieses hier, und dann tat er vor den Leuten so, als habe er auf wunderbare We
ise Wasser in Wein verwandelt. Und ich kann noch mehr als Jesus: Ich kann den We
in sogar wieder in Wasser verwandeln." Nun streute er ein anderes Pulver in die
Flüssigkeit. Das Wasser wurde hell. Darauf noch einmal das vorige Pulver, und es
war wieder rot. Ein Christ erhob sich und sagte: Sie haben uns, Genosse Professo
r, mit dem, was Sie hier vorgeführt haben, in Erstaunen versetzt. Wir möchten Si
e nur noch um eine Kleinigkeit bitten: Trinken Sie auch ein wenig von Ihrem Wein
!" Der Professor erwiderte: Das kann ich nicht machen. Das Pulver war Gift." Der
Christ gab ihm zur Antwort: Das eben ist der ganze Unterschied zwischen Ihnen und
Jesus. Mit seinem Wein hat er uns schon fast zweitausend Jahre lang Freude bere
itet, während Sie mit Ihrem Wein uns vergiften." Der Christ wurde verhaftet und
kam ins Gefängnis. Aber die Nachricht von dem Zwischenfall breitete sich weithin
aus und stärkte den unterdrückten Brüdern den Glauben. Wir sind schwache, klein
e Davide. Aber wir sind stärker als der Goliath des Atheismus, weil Gott auf uns
erer Seite ist. Die Wahrheit gehört uns. Ein Dozent hielt eine Vorlesung über At
heismus. Alle Arbeiter der Fabrik waren zum Besuch aufgefordert worden, darunter
auch viele Christen. Sie saßen still unter den anderen und hörten sich alle Arg
umente gegen Gott an und auch den Vorwurf der Dummheit, an Christus zu glauben.
Der Dozent war gerade dabei zu beweisen, dass es eine geistige Welt nicht gibt,
folglich weder Gott, noch Christus, noch ein Jenseits -- der Mensch sei nur Mate
rie ohne Seele. Immer wieder betonte er, dass das einzige, was existiere, die Ma
terie sei. Ein Christ meldete sich und fragte, ob er etwas sagen dürfe. Er erhie
lt die Erlaubnis. Er nahm seinen Klappstuhl und warf ihn auf den Boden. Darauf h
ielt er inne und sah sich alles an. Dann ging er nach vorn und gab dem kommunist
ischen Dozenten eine Ohrfeige. Der Dozent war wütend. Sein Gesicht wurde rot vor
Entrüstung. Er schrie seinem Herausforderer Gemeinheiten zu und forderte seine
kommunistischen Genossen auf, den Christen zu verhaften. Dann stellte er ihn zur
Rede: Wie kommen Sie dazu, mich zu schlagen? Was haben Sie für einen Grund?" Der
Christ antwortete: Sie haben sich selber jetzt als Lügner entlarvt. Sie sagten g
erade, alles sei Materie, sonst nichts. Da habe ich den Stuhl genommen und ihn h
ingeworfen. Er ist wirklich Materie. Der Stuhl wurde nicht zornig. Er ist reiner
Stoff. AIs ich Sie aber geschlagen habe, reagierten Sie nicht wie der Stuhl. Si
e reagierten anders. Materie wird nicht wütend oder ärgerlich, aber Sie wurden e
s. Deshalb, Genosse Professor, haben Sie unrecht! Der Mensch ist mehr als Materi
e. Wir sind geistige Wesen!" Bei unzähligen solcher Gelegenheiten widerlegten ei
nfache Christen der Untergrundkirche die ausgeklügelten atheistischen Argumente.
Im Gefängnis fragte mich der Politoffizier barsch: Wie lange wollen Sie noch an
Ihrer stupiden Religion festhalten?" Ich sagte nur zu ihm: Ich habe zahllose Athe
isten auf ihrem Sterbebett bereuen sehen, dass sie gottlos gewesen sind; sie wan
dten sich an
Christus und riefen ihn an. Können Sie sich vorstellen, dass es einen Christen,
wenn der Tod ihm nahe ist, reuen könnte, ein Christ gewesen zu sein, und dass er
Marx oder Lenin anruft, ihn aus seinem bisherigen Glauben zu erretten?" Er fing
an zu lachen: Eine schlaue Antwort!" Ich fuhr fort: Wenn ein Ingenieur eine Brück
e gebaut hat, dann ist die Tatsache, dass er selber über die Brücke gehen kann,
noch kein Beweis dafür, dass die Brücke wirklich gut ist. Ein Zug muss erst darü
ber fahren, um ihre Tragkraft zu erweisen. Die Tatsache, dass Sie ein Atheist se
in können, solange alles gut geht, beweist noch nicht die Wahrheit des Atheismus
. Er hält nämlich nicht stand in den großen Krisen und Erschütterungen des Leben
s." Ich wies ihm aus Lenins Schriften nach, dass Lenin, sogar nach seiner Ernenn
ung zum Ministerpräsidenten der Sowjetunion, insgeheim gebetet hat, wenn etwas s
chief zugehen drohte. Wir sind getrost und können getrost die Entwicklung der Er
eignisse abwarten. Dagegen sind die Kommunisten voller Unruhe und müssen immer n
eue antireligiöse Kampagnen auslösen. Damit bestätigen sie, was Augustin in dem
Satz ausdrückt: Unser Herz ist unruhig, bis es ruht, Gott, in dir."

Warum auch Kommunisten noch gewonnen werden können


Wenn die Untergrundkirche von euch, den freien Christen, unterstützt wird, wird
sie durch die Botschaft von Christus die Herzen der Kommunisten umwandeln und da
durch das Gesicht der Welt verändern. Sie wird sie durch das Evangelium gewinnen
, weil es ganz unnatürlich ist, ein Kommunist zu sein. Selbst ein Hund wünscht s
ich, seinen eigenen Knochen zu haben. Die Herzen der Kommunisten lehnen sich inn
erlich gegen die Rolle auf, die sie innerhalb des Materialismus spielen müssen,
und gegen die offenkundigen Widersprüche, die sie einfach zu glauben haben. Wenn
einzelne Kommunisten uns versichern wollten, die Materie sei das letzte, wir se
ien bloß eine Handvoll chemischer Stoffe, nach einer bestimmten Formel zusammeng
efügt, und nach dem Tode würden wir wieder Salze und Minerale, dann brauchten wi
r sie nur zu fragen: Wie kommt es, dass in so vielen Ländern die Kommunisten ihr
Leben für ihr Ideal hingegeben haben? Kann denn eine Handvoll chemischer Stoffe'
Ideale haben? Können sich Minerale' zum Wohl anderer Menschen opfern?" Darauf hab
en sie keine Antwort. Und dann ihre Brutalität! Die Menschen sind nicht als unve
rnünftige, gefühllose Wesen geschaffen und können es daher nicht lange ertragen,
solche zu sein oder als solche behandelt zu werden. Wir haben es erlebt bei dem
Zusammenbruch der Naziführer, von denen einige Selbstmord begingen, während and
ere ehrlich bereuten und ihre Verbrechen gestanden. In dem ungeheuren Ansteigen
der Trunksucht in den kommunistischen Ländern zeigt sich dennoch etwas Positives
an. Es kommt darin die Sehnsucht nach einem weiteren, freieren Leben zum Ausdru
ck, das die atheistische Weltanschauung den Menschen nicht geben kann. Der einfa
che Russe ist ein tief veranlagter, großmütiger und gütiger Mensch. Der Kommunis
mus dagegen ist oberflächlich und schal. Der russische Mensch sucht jedoch im Le
ben Tiefe, und da er sie nirgends mehr findet, sucht er sie im Alkohol. Selbst i
n seinem Alkoholismus bekundet er noch seinen Abscheu vor einem brutalen, einer
Täuschung hingegebenen Leben, das ihm aufgezwungen wird. Der Alkohol verschafft
ihm für ein paar Augenblicke Befreiung davon, wogegen die christliche Wahrheit i
hn für immer frei machte, wenn er sie kennen lernte. Während der russischen Besa
tzung in Bukarest empfand ich einmal einen unwiderstehlichen Drang, in eine Gast
wirtschaft zu gehen. Ich bat meine Frau, mitzugehen. Als ich hineinkam, sah ich
einen russischen Hauptmann mit einer Maschinenpistole, der alle bedrohte, wenn e
r nicht mehr zu trinken bekomme. Man hatte es ihm verweigert, weil er schon sehr
betrunken war. Die Menschen gerieten in eine Panik. Ich ging zu dem Besitzer, d
en ich kannte, und bat ihn, dem Hauptmann weiter zu trinken zu geben, wobei ich
versprach, bei ihm sitzen zu bleiben und darauf zu achten, dass er sich ruhig ve
rhielt. Eine Flasche Wein nach der anderen reichte man uns. Auf dem Tisch stande
n drei Gläser. Der Hauptmann füllte alle drei immer höflich ... und trank auch a
lle drei. Meine Frau und ich tranken nicht mit. Obgleich er stark betrunken war,
arbeitete sein Geist noch. Er war an Alkohol gewöhnt. Ich sprach mit ihm über C
hristus, und er hörte mit unerwarteter Aufmerksamkeit zu. Am Ende sagte er: Jetzt
haben Sie mir erzählt, wer S i e sind. Nun will ich Ihnen auch erzählen, wer i
c h bin. Ich bin ein orthodoxer Priester, der unter den ersten war, die ihren Gl
auben verleugneten, als die große Verfolgung unter Stalin einsetzte. Ich zog dam
als von Dorf zu Dorf und hielt Vorträge, in denen ich erklärte, dass es keinen G
ott gebe und dass ich als Priester ein Schwindler gewesen sei. Ich bin ein Betrüg
er, und auch all die anderen Priester sind es', sagte ich ihnen. Man schätzte mi
ch außerordentlich wegen meines Eifers, deshalb wurde ich auch Beamter der Gehei
mpolizei. Dass ich mit dieser Hand hier Christen töten musste, die ich vorher ge
foltert hatte, war meine Strafe von Gott. Und jetzt trinke und trinke ich, um da
s zu vergessen, was ich angerichtet habe. Aber es hilft nichts." Viele Kommunist
en begehen Selbstmord. Essenin und Majakowski, ihre bedeutendsten Dichter, sind
so geendet, ebenso ihr großer Schriftsteller Fadejew. Er hatte gerade seinen Rom
an Glück" beendet, in dem er ausführt, dass Glück darin besteht, rastlos für den
Kommunismus zu arbeiten. Er selber war so glücklich" darüber, dass er sich erscho
ss, als er den Roman abgeschlossen hatte. Es fiel ihm einfach zu schwer, eine so
lche Lüge länger zu ertragen. Joffe und Tomkin, zwei bedeutende Vorkämpfer des K
ommunismus in der Zarenzeit, konnten nach der Revolution nicht mehr mit ansehen,
wie der Kommunismus sich in Wirklichkeit darbot. Sie endeten durch Selbstmord.
Kommunisten sind unglücklich. Selbst ihre allmächtigen Diktatoren sind es. Wie u
nglücklich war ein Stalin! Nachdem er beinahe alle seine Genossen von früher umg
ebracht hatte, war er immer noch ständig in Furcht, vergiftet oder ermordet zu w
erden. Er hatte acht Schlafzimmer, die wie Tresore einer Bank verschlossen werde
n konnten. Niemand wusste genau, in welchem dieser Gemächer er jeweils schlief.
Er fing nie an zu essen, ohne vorher den Koch die Speise in seiner Gegenwart kos
ten zu lassen. Der Kommunismus macht niemand glücklich, nicht einmal seine Macht
haber. Sie brauchen alle Christus. Wenn wir den atheistischen Materialismus der
Kommunisten überwinden, würden wir nicht nur die Opfer des Kommunismus befreien,
sondern die Kommunisten selber. Die Untergrundkirche aber bringt die tiefsten B
edürfnisse unserer versklavten Völker zum Ausdruck. Helft ihr dabei! Das hervorr
agende Kennzeichen der Untergrundkirche ist ihr Glaubensernst. Ein Pfarrer, der
sich hinter dem Namen Georg" verbirgt, berichtet in seinem Buch Gottes Untergrund"
folgende Begebenheit: Ein Hauptmann der russischen Armee kam zu einem Pfarrer i
n Ungarn und bat, ihn allein sprechen zu dürfen. Der Bursche war noch sehr jung
und ungehobelt und sich vor allem seiner Rolle als Eroberer bewusst, Nachdem er
in ein kleines Sprechzimmer geführt worden und die Tür geschlossen war, nickte e
r zu dem Kreuze
hin, das an der Wand hing. Sie wissen, dass das Ding da eine Lüge ist", sagte er
zu dem Pfarrer. Es ist so ein Stück Betrug, mit dem ihr Pfarrer die armen Leute z
u fangen pflegt, um es den Reichen zu erleichtern, sie in Unwissenheit zu halten
. Nun denn! Wir sind allein! Geben Sie mir gegenüber jetzt zu, dass Sie noch nie
wirklich geglaubt haben, daß Jesus Christus Gottes Sohn ist!" Der Pfarrer läche
lte freundlich: Aber mein lieber junger Freund, selbstverständlich glaube ich es.
Es ist wahr." Ich dulde es nicht, solche Mätzchen mit mir zu machen!" schrie der
Hauptmann. Es ist mir bitter ernst. Lachen Sie nicht noch über mich!" Er zog sei
nen Revolver heraus und hielt ihn dem Pfarrer vor die Brust. Wenn Sie jetzt nicht
zugeben, dass alles Lüge ist, werde ich abdrücken!" Ich kann es nicht zugeben, d
enn es ist nicht wahr. Unser Herr Jesus Christus ist wirklich und wahrhaftig der
Sohn Gottes", sagte der Pfarrer. Der Hauptmann schleuderte seinen Revolver auf
den Boden und umarmte den Mann Gottes. Tränen traten ihm in die Augen. Es ist doc
h wahr!" schrie er. Es ist wahr! Auch ich glaube es, aber ich war mir nicht siche
r, ob Menschen für diesen Glauben auch sterben würden, bis ich es jetzt selber e
rlebt habe. O, ich danke Ihnen! Sie haben meinen Glauben wieder aufgerichtet. Au
ch ich kann jetzt für Christus sterben. Sie haben es mir gezeigt." Ich selber ha
be ähnliche Fälle erlebt. Als die Russen Rumänien besetzten, drangen zwei russis
che Soldaten mit ihren Gewehren in der Hand in die Kirche ein. Dort riefen sie: W
ir halten nichts von eurem Glauben. Diejenigen, die ihm jetzt nicht auf der Stel
le absagen, werden sofort erschossen. Die ihren Glauben jetzt aufgeben, gehen al
le nach rechts!" Einige begaben sich nach rechts. Ihnen wurde befohlen, die Kirc
he zu verlassen und nach Hause zu gehen. Sie flohen aus Angst um ihr Leben. Als
die Russen mit den übrig gebliebenen Christen allein waren, umarmten sie sie und
eröffneten ihnen: Auch wir sind Christen, aber wir wollten nur mit denen Gemeins
chaft haben, die für die Wahrheit auch zu sterben bereit sind." Das sind die Men
schen, die in unseren Ländern für das Evangelium streiten. Und sie kämpfen nicht
nur für das Evangelium, sondern zugleich auch für die Freiheit des Menschen. In
den Häusern vieler Christen im Westen verbringt man oft Stunden, um weltliche M
usik zu hören. Auch in unseren Häusern kann man öfter laute Musik hören, aber si
e dient nur dazu, um das Gespräch über die Frohe Botschaft zu übertönen und die
geheime Zusammenkunft abzuschirmen, damit die Nachbarn es nicht mithören können
und die Geheimpolizei informieren. Und wie freuen sie sich, wenn sie - selten ge
nug - einem echten Christen aus dem Westen begegnen! Der diese Zeilen schreibt,
ist nur ein unbedeutender Mann. Aber ich bin die Stimme all derer, die keine Sti
mme haben: jener, die mundtot gemacht worden sind und von deren nichts mehr in d
en Westen dringt. In ihrem Namen und Auftrag bitte ich um Ernsthaftigkeit im Gla
uben und in der Behandlung der Probleme, vor die wir heute als Gemeinde Jesu Chr
isti gestellt sind. In ihrem Namen bitte ich um euer Eintreten im Gebet und um p
raktische Hilfe für die glaubende, duldende Kirche in der Unterdrückung der komm
unistischen Länder. Wir werden die Kommunisten für Gott gewinnen, weil Gott selb
er auf unserer Seite ist. Zum anderen aber auch, weil unsere Botschaft den tiefs
ten Bedürfnissen der Herzen jener Menschen entspricht. Kommunisten, die unter de
n Nazis im Gefängnis waren, haben mir bekannt, dass sie in schweren Stunden gebe
tet hätten. Ich habe kommunistische Offiziere sterben sehen mit den Worten Jesus,
Jesus" auf den Lippen. Wir werden in dieser geistigen Auseinandersetzung siegen
, weil das gesamte kulturelle Erbe unseres Volkes auf unserer Seite ist. Mögen d
ie Russen alle Schriften christlicher Autoren der Gegenwart verbieten, aber die
Werke von Tolstoi und Dostojewski sind schon Allgemeinbesitz des Volkes, und die
Menschen finden auch bei ihnen das Licht des Wortes Gottes. Ebenso verhält es s
ich mit Goethe in Mitteldeutschland und mit Sienkiewicz in Polen. Der bedeutends
te rumänische Schriftsteller ist Sadoveanu. Die Kommunisten haben sein Buch Das L
eben der Heiligen" unter dem Titel Die Legenden der Heiligen" veröffentlicht. Abe
r auch unter diesem Titel übt das Vorbild der Lebensgeschichten dieser Heiligen
seinen Einfluss aus. Die Reproduktionen der Werke Raffaels, Michelangelos, Leona
rdo da Vincis können sie nicht aus der Geschichte der Kunst ausschließen. Auch d
iese Werke reden von Christus. Und wenn ich mit einem Kommunisten über Christus
spreche, werden die tiefsten Bedürfnisse seines Herzens zu meinen Verbündeten, m
einen Helfern. Die größte Schwierigkeit besteht für ihn darin, dass er auf meine
Argumente nicht zu antworten weiß. Daraus ergibt sich die weitere, wie er die S
timme seines eigenen
Gewissens, die auf meiner Seite ist, zum Schweigen bringen kann. Ich habe Profes
soren des Marxismus persönlich gekannt, die vor ihren atheistischen Vorlesungen
zu Gott gebetet haben, dass er ihnen dabei helfe. Ebenso kenne ich Kommunisten,
die unsere geheimen Versammlungen, oft aus großer Entfernung, aufsuchten. Als si
e von ihren Genossen zur Rede gestellt wurden, leugneten sie es ab, in einer Unt
ergrundversammlung gewesen zu sein. Danach weinten sie über ihre Schwachheit und
bereuten tief, dass sie nicht den Mut gehabt hatten, einzustehen für ihren Glau
ben, der sie immer wieder zur Gemeinschaft treibt. Auch sie sind Menschen. Und w
o einer einmal zum Glauben gekommen ist - mag dieser auch ganz schlicht und einf
ach sein -, da entwickelt sich dieser Glaube und wächst. Wir sind ganz gewiss, d
ass er siegen wird, weil wir ihn in der Gemeinschaft der Untergrundkirche schon
viele Male haben durchbrechen sehen. Gerade die Kommunisten werden von Christus
geliebt. Deshalb können und müssen sie für Christus gewonnen werden. Und sie kön
nen dort hinter dem Eisernen Vorhang nur von der Untergrundkirche gewonnen werde
n. Alle, die errettet sind und den heißen Wunsch haben, dass das tiefe Verlangen
der Menschenherzen nach Jesus Christus gestillt wird, sollten die Untergrundkir
che in ihrer Arbeit unterstützen, damit allen Menschen das Heil in Christus ange
boten wird. Jesus hat gesagt: Gehet hin und lehret alle Völker!" Er hat nicht ges
agt: Macht halt vor dem Eisernen Vorhang! Gläubiges Vertrauen auf Gott und der e
indeutige Missionsbefehl unseres Herrn zwingen uns geradezu, auch hinter den Eis
ernen Vorhang hineinzuwirken bis hin zu dem einen von drei heute lebenden Mensch
en, die unter dem Kommunismus versklavt sind. Wir können sie nämlich erreichen,
wenn wir mit der Untergrundkirche zusammenarbeiten, die ja schon dort ist.

Die drei Gruppen der Untergrundkirche

1. Ehemalige Pfarrer und Prediger Von drei Gruppen wird die Untergrundkirche in
den kommunistischen Ländern getragen. Zur ersten gehören die Abertausende ehemal
iger Pfarrer und Prediger, die aus ihren Kirchen ausgewiesen und von ihren Gemei
nden entfernt worden sind, weil sie das Evangelium nicht verfälschen wollten. Vi
ele dieser Pfarrer und Prediger waren im Gefängnis und sind dort um ihres
Glaubens willen gefoltert worden. Sie sind irgendwann entlassen worden und haben
ohne Zögern ihren Dienst wieder aufgenommen, um jetzt in der Untergrundkirche g
eheim, aber in der Kraft des Wortes Gottes zu wirken. Obwohl die Kirchen dieser
Geistlichen offiziell geschlossen oder sie durch verlässlichere" ersetzt worden s
ind, führen sie nun ihren Dienst am Evangelium weit wirksamer als früher fort, w
enn sie in geheimen Zusammenkünften die Gläubigen sammeln in Scheunen oder Dachs
tuben, in Kellerräumen oder im Freien zwischen Heuschobern. Sie sind in unserer
Zeit heute die Märtyrer" der Kirche, die trotz schwerster Drohung nicht von ihrem
Dienst am Evangelium ablassen und dabei neue Verhaftungen und weitere Folterung
en in Kauf nehmen.
2. Die Laienkirche Die zweite Säule der Untergrundkirche ist die große Armee der
ihrem Herrn geweihten Laien - Männer wie Frauen. Es ist wohl jedem klar, dass e
s in Russland oder China keine nur nominellen, halbherzigen, lauen Christen gibt
. Der Preis, den die Christen dort zahlen müssen, ist viel zu hoch. Und man muss
sich ins Gedächtnis rufen, dass Verfolgungszeiten schon immer die treueren Chri
sten hervorgebracht haben - Christen, die ihren Glauben öffentlich bezeugen und
Menschen für Christus gewinnen wollen. So hat die kommunistische Verfolgung der
Christen umgekehrt gewirkt und entschlossene, hingebungsvolle Christen geschaffe
n, wie sie in freien Ländern nur selten anzutreffen sind. Sie können nicht verst
ehen, wie jemand Christ sein kann und nicht jeden, mit dem er zusammentrifft, fü
r Christus gewinnen will. Die russische Armeezeitung Roter Stern" greift die russ
ischen Christen mit dem folgenden bezeichnenden Argument an: Die Jünger Christi m
öchten ihre gierigen Klauen am liebsten nach jedem ausstrecken." Aber ihr christ
licher Lebenswandel strahlt auf ihre Mitbürger und Nachbarn aus und gewinnt ihne
n deren Achtung und Liebe. In jedem Dorf, in jeder Stadt sind die Christen die a
ngenehmsten und beliebtesten Einwohner. Wenn irgendwo eine Mutter krank ist und
für ihre Kinder nicht selber sorgen kann, dann ist es eine christliche Mutter, d
ie kommt und sie betreut. Und wenn ein Mann sein Brennholz nicht hacken kann, we
il er krank ist, dann ist es ein Christ, der es für ihn besorgt. Sie leben" schli
cht ihren Christenglauben, und wenn sie ihn dann mit dem Wort
bezeugen, dann hören die Leute zu und nehmen es ihnen ab, weil sie in ihrem Lebe
n etwas von Christus gesehen haben. Da aber in der offiziellen Kirche niemand an
ders als der vom Staat zugelassene Geistliche sprechen darf, so missionieren Mil
lionen für ihren Herrn brennender, ihm geweihter Christen in jedem Winkel der ko
mmunistischen Welt und bezeugen ihren Glauben und halten Gottesdienste auf Markt
plätzen, bei der Dorfpumpe, überall, wo sie gehen und stehen. Kommunistische Zei
tungen geben bedauernd zu, dass christliche Metzger Evangeliumstraktate einrolle
n in das Einwickelpapier für das Fleisch, das sie verkaufen. Aus anderen Pressem
eldungen erfahren wir, dass Christen, die in kommunistischen Druckereien und Ver
lagen an verantwortlicher Stelle arbeiten, zu später Nachtzeit an ihren Arbeitsp
latz zurückkehren, ihre Druckerpressen in Gang setzen und etliche Tausend Exempl
are christlicher Literatur durchlaufen lassen - und, bevor die Sonne aufgeht, al
les wieder an seinen Ort stellen. Interessant ist ein Lokalbericht, dass in Mosk
au junge Christen, meist noch Kinder, aus irgendeiner Quelle" Evangelien bekommen
haben und nun Teile davon abschreiben. Diese Blätter stecken sie den Lehrern in
die Taschen ihrer Mäntel, die in den Schulgarderoben hängen. Die große Schar de
r Laienbrüder und -schwestern ist heute in allen kommunistischen Ländern zu eine
r missionarischen Kraft geworden, deren Wirkungen, die Gewinnung von Menschensee
len, überall in zunehmendem Maße zu spüren sind. Im kommunistischen Kuba haben e
hemalige Missionare festgestellt, dass eine geheime Laienkirche entstanden ist,
nachdem alle treuen Prediger und Pfarrer verhaftet oder verfolgt und durch kommu
nistische Diener" ersetzt worden waren. Diese Millionen aufrichtiger, treuer und
für ihren Herrn brennender Gläubigen in der Laienkirche sind gerade durch das Fe
uer der Verfolgung geläutert worden, das die Kommunisten in der Hoffnung entfach
t hatten, es werde sie endlich vernichten.
3. Pfarrer und Prediger im Amt Die dritte tragende Säule der Untergrundkirche is
t die große Gruppe der gläubigen Pfarrer in der offiziellen, aber am staatlichen
Zügel gelenkten und zum Schweigen gebrachten Kirche". Die Untergrundkirche ist n
ämlich in ihrer Organisation nicht völlig getrennt von der offiziellen Kirche. I
n vielen kommunistischen Ländern wie in
Jugoslawien, Polen und Ungarn arbeiten zahlreiche Geistliche der öffentlich erla
ubten Kirchen insgeheim auch in der Untergrundkirche. In einigen Ländern sind be
ide miteinander verflochten. Den Pfarrern ist nämlich nicht erlaubt, außerhalb i
hrer oft winzigen, nur aus einem Zimmer bestehenden Kirchen" über Christus zu spr
echen. Sie dürfen auch keine Kindergottesdienste und Jugendversammlungen abhalte
n. Nichtchristen haben Angst, überhaupt zu kommen. Die Pfarrer dürfen nicht einm
al in den Häusern für kranke Gemeindeglieder beten. Von allen Seiten werden sie
eingeschränkt durch kommunistische Verordnungen, die ihre Kirchen" völlig bedeutu
ngslos machen. Angesichts all dieser Kontrollvorschriften, die aus der verfassun
gsmäßig garantierten Freiheit der Religion" ein Gespött machen, setzen diese Pfar
rer sehr oft ihre Freiheit mutig aufs Spiel und übernehmen gleichzeitig einen ge
heimen Gemeindedienst, der weit über die von den Kommunisten gesteckten Grenzen
hinausgeht. Dort halten sie geheime Gottesdienste für Kinder und Jugendliche. Si
e evangelisieren heimlich in Wohnungen oder auch Kellerräumen von Christen. Sie
empfangen und verteilen heimlich christliche Literatur an Menschen, die danach v
erlangen. Sie riskieren jedes Mal ihre persönliche Freiheit, wenn sie die vom St
aat verordneten Beschränkungen heimlich ignorieren und den hungrigen Seeler um s
ie her das Wort des Lebens bringen. In der Öffentlichkeit scheinbar fügsam und b
eflissen, breiten sie unter dieser Decke das Wort Gottes aus und wagen dabei oft
ihr Leben. Erst kürzlich sind in Russland wieder ziemlich viele von ihnen entde
ckt und verhaftet worden. Sie erhielten längere Gefängnisstrafen. Für die Unterg
rundkirche sind sie geradezu eine lebenswichtige Gruppe. So fügt sich alles zum
Ganzen: ehemalige Geistliche, von den Kommunisten abgesetzt und vielfach verfolg
t; die große Schar der Laienkirche; Pfarrer im Dienst der staatlich zugelassenen
Kirchen, die getarnt einen viel umfassenderen und weiterrechenden Dienst tun, a
ls ihnen offiziell erlaubt ist - sie alle arbeiten in der Untergrundkirche zusam
men. Und die Untergrundkirche wird bestehen bleiben, bis der Kommunismus überwun
den ist. Mag in manchen Gegenden eine der Gruppen stärker hervortreten als in an
deren - vorhanden sind sie alle und arbeiten für Christus. Ein Mann, der häufig
in kommunistische Länder reist und an religiösen Fragen sehr interessiert ist, k
am zurück und schrieb, er habe nirgendwo eine Untergrundkirche angetroffen. Es i
st so ähnlich, wie wenn einer in Zentralafrika unter Primitiven Stämmen umherrei
st und nach seiner Rückkunft feststellt: Ich habe gründliche Erhebungen gemacht u
nd sie alle gefragt, ob sie Prosa sprechen. Sie haben es alle verneint." Es ist
überflüssig zu sagen, dass sie alle Prosa sprechen und bloß nicht wissen, dass d
as, was sie sprechen, Prosa ist. Die Christen der ersten Jahrhunderte wussten no
ch nicht, dass sie Christen waren. Wenn man sie nach ihrer Religion gefragt hätt
e, dann hätten sie vielleicht geantwortet, sie seien Juden, Israeliten, die an J
esus als den Messias glauben, oder auch Brüder in Christus, Heilige des Herrn, G
otteskinder. Der Name Christ" ist in dieser Allgemeingültigkeit erst viel später
von anderen auf sie angewandt worden, zum ersten Mal in Antiochien. Keiner der A
nhänger Luthers war sich bewusst, dass er ein Lutheraner" war. Luther selber lehn
te energisch diesen Namen ab. Untergrundkirche" ist ein Name, der von den Kommuni
sten wie auch von westlichen Erforschern der religiösen Situation in den östlich
en Ländern einer geheimen Organisation gegeben worden ist, die sich spontan unte
r dem Kommunismus gebildet hatte. Die Glieder der Untergrundkirche selber nennen
ihre Organisation nicht bei diesem Namen. Sie selber nennen sich Christen, Gläu
bige, Kinder Gottes. Aber sie betreiben in der Tat eine Arbeit im Untergrund, ve
rsammeln sich im Untergrund, breiten das Evangelium in geheimen Versammlungen un
ter den Menschen aus und werden bisweilen sogar von Ausländern besucht, die beze
ugen, dass sie die Untergrundkirche wirklich gesehen haben. Es ist ein passender
Name, der ihr von ihren Feinden gegeben wurde und auch von solchen benutzt wird
, die von draußen auf diese wunderbare verborgene Organisation blicken. Man kann
jahrelang durch den Westen reisen und dabei nie etwas von einem sowjetischen Sp
ionagenetz entdecken, was aber nicht bedeutet, dass es deshalb etwa nicht existi
ert. Es ist nur nicht so töricht, dass es sich neugierigen Reisenden zur Schau s
tellt. Weiter unten führe ich Auszüge aus der sowjetischen Presse an, die die Ex
istenz und die zunehmende Bedeutung dieser unerschrockenen Kirche in der Unterdr
ückung erweisen. Ich habe von unseren eigenen Erfahrungen bei der Ausbreitung de
r Botschaft von Jesus Christus in der sowjetischen Armee wie auch im kommunistis
chen Rumänien berichtet.
Ich habe mich an euch gewandt, damit ihr uns helft, den Kommunisten und den von
ihnen unterdrückten Völkern Christus zu predigen. Ist mein Aufruf verstiegen" und
unausführbar"? Ist er realistisch? Besteht heute noch eine Untergrundkirche in R
ussland und den anderen Ländern? Ist dort eine Arbeit im Untergrund jetzt noch w
eiterhin möglich? Auf alle diese Fragen kann ich mit sehr guten Nachrichten antw
orten. Die Kommunisten haben vor kurzem den fünfzigsten Jahrestag ihrer Oktober
revolution, ein halbes Jahrhundert kommunistischer Herrschaft, mit großem Pomp g
efeiert. Aber ihr Sieg ist im Grunde eine Niederlage. Der christliche Glaube hat
dort, wenn auch erst im Untergrunde", gesiegt - nicht der Kommunismus. Die russi
sche Presse, die unsere Organisation gründlich beobachtet, steckt voller Nachric
hten über die Untergrundkirche. Zum ersten Mal seit ihrer Entstehung ist die Unt
ergrundkirche so stark geworden und überall gegenwärtig, dass sie schon halb an
der Öffentlichkeit arbeitet und die Kommunisten für die Vorherrschaft ihrer athe
istischen Ideologie mit schwerer Sorge erfüllt. Informationen aus anderen Quelle
n bestätigen die Berichte der russischen Presse. Vergegenwärtigen wir uns dabei
immer, dass die Untergrundkirche einem Eisberg gleicht: der weitaus größere Teil
ist verborgen unter der Oberfläche, nur ein ganz kleiner Teil ist sichtbar. Im
Folgenden gebe ich eine knappe Zusammenstellung der wichtigsten Nachrichten.

Die Spitze des Eisbergs


Am 7. November 1966 hielt die Untergrundkirche in Suhumi im Kaukasus ein großes
Treffen unter freiem Himmel ab. Viele Gläubige waren aus den umliegenden Orten u
nd aus anderen Städten gekommen, um an diesem Treffen teilzunehmen. Nach der Auf
forderung zur Entscheidung nahmen siebenundvierzig junge Leute Christus als ihre
n Erretter an und wurden an Ort und Stelle im Schwarzen Meer getauft, gerade wie
in biblischen Zeiten. Es hatte für sie vorher keine Zeit der Vorbereitung gegeb
en. Nach fünfzig Jahren kommunistischer Diktatur können die Prediger der Untergr
undkirche, die weder Bibeln noch christliche Bücher noch gar theologische Semina
re haben, keine voll ausgebildeten Theologen sein. Aber auch der Diakon Philippu
s war das nicht. Und als der Kämmerer, mit dem er vielleicht nur eine Stunde lan
g gesprochen hatte, ihn bat: Sieh, hier ist Wasser, was hindert's, dass ich mich
taufen lasse?" antwortete Philippus: Wenn du von ganzem Herzen glaubst, so mag's
wohl sein." Da gingen sie hinunter zum Wasser, und der zum Glauben Gekommene wur
de getauft (Apostelgeschichte. 8, 36-38). Im Schwarzen Meer ist Wasser genug, un
d die Untergrundkirche ist wieder zu den Bräuchen der biblischen Zeiten zurückge
kehrt. Die Lehrerzeitschrift Uchitelskaja Gazeta" vom 23. August 1966 enthält die
Nachricht, dass in Rostow am Don Baptisten, die sich geweigert hatten, gemäß de
n Gesetzen ihre Gemeinde registrieren zu lassen und den Anweisungen der von den
Kommunisten ernannten Führer" zu gehorchen, eine Demonstration auf der Straße org
anisierten. Das war am L. Mai. so wie Jesus oft seine Wundertaten an Sabbat-Tage
n getan hat, um seine pharisäischen Widersacher zu entlarven, so wählt die Unter
grundkirche kommunistische Feiertage, um die kommunistischen Gesetze bloßzustell
en. Der 1. Mai ist ein Feiertag, an dem die Kommunisten ihre großen Aufmärsche h
aben, die jeder mitmachen muss. Diesmal jedoch erschien auf den Straßen neben de
r Staatspartei auch die andere, sonst verborgene Macht in Russland: die Untergru
ndkirche. Fünfzehnhundert Gläubige waren gekommen. Was sie dazu trieb, war ihre
Liebe zu Gott und sein Auftrag, ihn vor der Welt zu bekennen. Sie wussten ganz g
enau, dass sie ihre persönliche Freiheit aufs Spiel setzten. Sie wussten auch, d
ass im Gefängnis Hunger und Folterungen auf sie warteten. Jeder Gläubige in Russ
land kennt das Geheime Manifest", das von den evangelischen Christen in Barnaul g
edruckt worden ist. Darin wird geschildert, wie Schwester Hmara aus dem Dorf Kul
unda die Nachricht erhielt, dass ihr Mann im Gefängnis gestorben sei. Als Witwe
stand sie nun mit ihren vier kleinen Kindern allein. Nachdem sie die Leiche ihre
s Ehemannes erhalten hatte, konnte sie auf seinen Handgelenken noch die Abdrücke
der Handfesseln sehen. Hände, Finger und Fußsohlen waren grässlich verbrannt. D
er untere Teil des Bauches wies Messerstiche auf. Der rechte Fuß war geschwollen
. Auf beiden Füßen waren die Spuren von Schlägen. Der ganze Körper war bedeckt v
on Wunden, die von furchtbaren Schlägen herrührten. Jeder Gläubige, der zu der ö
ffentlichen Demonstration in Rostow am Don gekommen war, wusste genau, dass das
auch sein Schicksal werden konnte. Und doch kamen sie.
Aber sie wussten auch, dass dieser Blutzeuge, der Gott nur drei Monate nach sein
er Bekehrung sein Leben gegeben hafte, vor einer großen Schar von Gläubigen zu G
rabe gebracht worden war, wobei sie Plakate trugen mit der Aufschrift: Christus i
st mein Leben, und Sterben mein Gewinn." Fürchtet die nicht, die den Leib töten,
aber die Seele nicht töten können!" Und ich sah am Altar jene stehen, die um des
Wortes Gottes willen getötet worden waren." Das Beispiel dieses Blutzeugen bestä
rkte die Christen in Rostow am Don. Sie versammelten sich vor einem Haus auf der
Straße. Überall, wo noch Platz war, drängten sich die Leute - einige sogar auf
den angrenzenden Dächern, andere wieder auf Bäumen wie einst Zachäus. Achtzig Me
nschen wurden auf dieser Versammlung zu Gott bekehrt, überwiegend junge Leute. D
arunter waren auch dreiundzwanzig frühere Komsomolzen (Mitglieder des kommunisti
schen Jugendverbandes). Von hier aus durchquerten die Gläubigen die ganze Stadt
und gelangten zum Don, wo die Taufen stattfinden sollten. Da trafen auch schon P
olizisten auf Mannschaftswagen ein und umzingelten die Gläubigen am Flussufer. S
ie wollten die verantwortlichen Brüder verhaften, da sie ja nicht alle fünfzehnh
undert in Haft nehmen konnten. In diesem Augenblick fielen die Gläubigen auf die
Knie und baten Gott mit ernstem Gebet, seine Leute zu bewahren und ihnen die Gn
ade zu schenken, ihren für diesen Tag vorgesehenen Gottesdienst abzuhalten. Dara
uf standen sie auf und umringten, Schulter an Schulter stehend, die Brüder, die
den Gottesdienst leiteten, in der Hoffnung, die Polizei von ihrer Verhaftung abz
uhalten. Die Situation wurde sehr gespannt. Uchitelskaja Gazeta" erwähnt in diese
m Zusammenhang, dass die illegale" Organisation der Baptisten eine geheime Drucke
rpresse besitze. (Der Name Baptisten" umfasst in Russland alle evangelischen Grup
pen.) Sie druckten damit Schriften, in denen die Jugend aufgerufen wird, für ihr
en Glauben einzutreten. In einer dieser geheim hergestellten Publikationen werde
n christliche Eltern zu etwas aufgefordert, was ich für sehr gut halte: ...ihre K
inder immer zu Begräbnissen mitzunehmen, damit sie früh lernen, über vergänglich
e Dinge nicht zu jammern." Die Eltern werden auch gebeten, ihren Kindern als Geg
enmittel gegen den Atheismus, mit dem sie in den kommunistischen Schulen vergift
et werden, eine bewusst christliche Erziehung zu geben.
Uchitelskaja Gazeta" beendet den Artikel mit der Frage: Warum sind unsere Lehrer s
o ängstlich, sich stärker in das Leben solcher Familien einzumischen, in denen d
ie Kinder so verdummt werden (durch die Religion)?" Dieses Lehrer-Magazin" berich
tet auch über den Prozess gegen die Glieder der Untergrundkirche in Rostow am Do
n, die unerlaubt getauft hatten: Die (getauften) Jugendlichen, die als Zeugen auf
gerufen wurden, waren herausfordernd und ohne Achtung gegenüber dem kommunistisc
hen Gericht. Sie verhielten sich aufgebracht und fanatisch. Junge Frauen unter d
en Zuschauern starrten mit Bewunderung auf die Angeklagten und mit unverhüllter
Missbilligung auf die atheistische Öffentlichkeit." Angehörige der Untergrundkir
che haben Schläge und Gefängnis in Kauf genommen, als sie öffentlich mehr Freihe
it der Religionsausübung vor der Zentrale der Kommunistischen Partei Russlands f
orderten. Wir besitzen ein Geheimdokument, verfasst von dem illegalen" Komitee de
r Evangelischen Baptistenkirchen der Sowjetunion, die im Gegensatz stehen zu der
von den Kommunisten kontrollierten Baptisten-Union" unter der Leitung des Verrät
ers Karew, der die Humanität" der kommunistischen Massenmörder der Christen preis
t und die Freiheit rühmt, die im Sowjetischen Leben heute" herrscht (Nr. 6, 1967)
. Das Dokument ist durch geheime Kanäle in den Westen gelangt. Darin wird noch v
on einer anderen mutigen Demonstration in der Öffentlichkeit berichtet, die in M
oskau stattfand. Ich bringe einen Auszug aus dem Manifest: Wichtige Mitteilung! G
eliebte Brüder und Schwestern, Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Va
ter und unserem Herrn Jesus Christus. Wir wollen euch rasch mitteilen, daß die f
ünfhundert Delegierten der Evangelischen Baptistenkirchen am 16. Mai 1966 nach M
oskau gereist sind, um bei den Zentralbehörden vorstellig zu werden. Vor dem Geb
äude des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der UdSSR brachten sie die B
itte vor, empfangen und angehört zu werden. Sie versuchten, dem Generalsekretär
Breschnew eine Bittschrift zu übergeben." In dem Manifest wird nun berichtet, da
ss diese fünfhundert Leute den ganzen Tag vor dem Gebäude des Zentralkomitees ge
standen hätten. Es war die erste öffentliche Demonstration für Religionsfreiheit
in Moskau, die von Vertretern der Untergrundkirche durchgeführt worden ist. Geg
en Abend übergaben sie eine zweite Eingabe an die Adresse von Breschnew, in der
sie sich über einen bestimmten Genossen" Stroganow beschwerten, der sich geweiger
t hatte, ihr Gesuch an Breschnew weiterzuleiten, und sie auch bedroht hatte. Die
fünfhundert Delegierten blieben die ganze Nacht auf der Straße. Lastwagen fuhre
n scharf an ihnen vorbei und bespritzten sie mit Schlamm und Schmutz, und man be
leidigte sie. Obwohl sie so schlecht behandelt wurden und es zudem regnete, blie
ben sie bis zum Morgen vor dem Gebäude der Kommunistischen Partei. Am nächsten T
ag machte man ihnen den Vorschlag, in einem anderen Gebäude mit einigen unteren
Funktionären zu verhandeln. Da sie aber wussten, dass Gläubige, die solche Behör
den aufgesucht hatten, oft geschlagen worden sind, wenn sie einen geschlossenen
Raum betreten hatten, in dem keine Zeugen mehr waren, weigerte sich die Delegati
on einmütig und bestand darauf zu warten, bis sie von Breschnew empfangen würden
. Dann trat ein, was in Diktaturen unvermeidbar folgt. Um 13.45 Uhr kamen achtun
dzwanzig Busse, und die brutale Racheaktion gegen die Gläubigen setzte ein. Wir b
ildeten einen Kreis, hielten uns bei den Händen und sangen das Lied: Die besten.
Tage unseres Lebens sind die Tage, wo wir gewürdigt sind, das Kreuz zu tragen.'
Die Geheimpolizisten fingen jetzt an, uns zu schlagen, junge wie alte. Sie zerrt
en einige aus unserer Kette heraus, schlugen ihnen ins Gesicht und auf den Kopf
und warfen sie auf den Asphalt. Etliche schleiften sie an den Haaren zu den Buss
en. Als einige wegzugehen versuchten, wurden sie geschlagen, bis sie bewusstlos
dalagen. Nachdem sie die Busse mit Gläubigen voll gestopft hatten, brachten sie
alle an einen unbekannten Ort. Das Singen unserer Brüder und Schwestern war noch
aus den fahrenden Bussen der Geheimpolizei heraus zu hören. Das ganze spielte s
ich vor den Augen einer beträchtlichen Menschenmenge ab." Die Sache hatte noch
ein aufschlussreiches Nachspiel. Nachdem die fünfhundert im Gefängnis waren und
sehr wahrscheinlich gefoltert wurden, brachten die beiden verantwortlichen Brüde
r G. Vins und Horew, die sich dabei als wahre Hirten ihrer Herde erwiesen, den M
ut auf, noch einmal zum Zentralkomitee der Kommunistischen Partei zu gehen. So w
ar einst Jesus nach der Verhaftung Johannes des Täufers an denselben Ort gekomme
n und hatte mit denselben Worten zu predigen angefangen, für die Johannes das Ge
fängnis erduldete: Tut Buße, denn das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen!" Vins
und Horew fragten, wo die verhaftete Delegation jetzt wäre, und forderten ihre
Freilassung. Diese beiden unerschrockenen Brüder verschwanden ebenfalls. Später
erhielt man die Nachricht, sie seien in das Gefängnis von Lefortowskaja gekommen
. Hatten diese Christen der Untergrundkirche etwa Furcht? Gewiss nicht. Viele an
dere setzten auch danach ihre Freiheit aufs Spiel, als sie das vorliegende Manif
est veröffentlichten, das uns den Hergang berichtet. Darin lesen wir noch das Be
kenntnis, dass ihnen die Gnade zuteil geworden sei, nicht nur an Christus zu glau
ben, sondern auch für ihn zu leiden" (Philipper 1, 29). Und sie ermahnen die Brü
der, dass nicht jemand weich würde in diesen Trübsalen. Denn ihr wisset, dass wir
dazu gesetzt sind" (1. Thessalonicher 3, 3). Sie weisen auch auf Hebräer 12, Ve
rs 2 hin und fordern die Gläubigen auf, aufzuschauen auf Jesus, den Anfänger und
Vollender unseres Glaubens, welcher für die Freude, die er hätte haben können, d
as Kreuz erduldete, und achtete der Schande nicht". Die Untergrundkirche hat öff
entlich Stellung bezogen gegen die atheistische Vergiftung der Jugend, so in Ros
tow, in Moskau und in vielen Städten Russlands. Sie geht gegen das atheistische
Gift an und gegen alle treulosen Führer der offiziellen Kirche, über die sie in
einem geheimen Manifest schreibt: In unseren Tagen diktiert Satan, und die Kirche'
akzeptiert alle diese Vorschriften, die im Gegensatz zu den Geboten Gottes steh
en" (entnommen der Prawda Ukraini" vom 4. Oktober 1966). Die Prawda Wostoka" gab d
ie Verhandlung gegen die Brüder Alexei Newerow, Boris Garmaschow und Axen Zubow
wieder, die Gruppen organisiert" hätten, um Evangeliumssendungen aus Amerika zu h
ören. Sie hätten diese Predigten auf Tonbändern aufgenommen und sie danach zirku
lieren lassen. Außerdem waren sie angeklagt, geheime Bibelstunden im Rahmen von E
xkursionen" und künstlerischen Zirkeln" veranstaltet zu haben. Diese verdeckte Ar
beit der Untergrundkirche erinnert stark an die Tarnung der Frühen Kirche in den
Katakomben von Rom. Die Sowjetskaja Moidawia" vom 15. September 1966 klagt darüb
er, dass die Untergrundkirche Broschüren vervielfältige. Dann sammeln sie sich i
n Gaststätten, obwohl das gesetzlich verboten ist, und gehen von dort aus von Or
t zu Ort, um die Botschaft von Christus weiterzusagen und die Broschüren zu vert
eilen. Dieselbe Zeitung berichtet noch, dass in dem Zug von Reni nach Chisinau d
rei Burschen und vier junge Mädchen ein christliches Lied gesungen hätten, das b
eginnt: Wir wollen unsere Jugend Christus weihen!" Der Berichterstatter erklärt,
er sei empört gewesen, dass diese Leute auf den Straßen, auf Bahnhöfen, in Zügen,
in Bussen und sogar in staatlichen Einrichtungen predigen". Dies ist eine treff
ende Darstellung der Arbeitsweise unserer Untergrundkirche in Russland heute. Al
s in dem Prozess gegen diese Christen dann das Urteil gefällt wurde für ihr Verbr
echen", in der Öffentlichkeit christliche Lieder gesungen zu haben, fielen die V
erurteilten auf die Knie und sagten: Wir geben unser Leben in Gottes Hand. Wir da
nken dir, Herr, dass du uns gewürdigt hast, für dein Geschenk des Glaubens zu le
iden." Dann sangen die Zuhörer, angeführt von dem Fanatiker" Madan, im Gerichtssa
al den Choral, dessentwegen ihre Brüder gerade zu Gefängnis und Folter verurteil
t worden waren. An einem 1. Mai veranstalteten die Christen aus den Dörfern Copc
eag und Zacharowka einen geheimen Gottesdienst im Wald, da sie keine Kirchen hab
en. Sie halten auch Versammlungen ab und nehmen dazu Geburtstagsfeiern zum Anlas
s. Manchmal wird ein Geburtstag mehrmals gefeiert. Gefängnis und Folter schreckt
die Christen der Untergrundkirche nicht von ihrem Glauben ab, sondern wie in de
r Frühen Kirche vermehrt Verfolgung nur ihre Hingabe.
Die Prawda Ukraini" vom 4. Oktober 1966 berichtet über Bruder Prokofiiew, einen d
er führenden Männer der russischen Untergrundkirche, dass er schon dreimal im Ge
fängnis gewesen sei, aber sobald er wieder entlassen sei, fange er von neuem an,
Kindergottesdienste zu halten. Zurzeit ist er wieder eingekerkert. Er schrieb i
n einem internen Brief: Durch die Unterwerfung unter menschliche Satzungen hat si
ch die offizielle Kirche um den Segen Gottes gebracht." Doch stellt euch ein Gef
ängnis nicht so wie im Westen vor, wenn ihr hört, dass Brüder in Russland dazu v
erurteilt werden. Dort bedeutet Gefängnis Hunger, Folter und Gehirnwäsche. Nauka
i Religia" ( Wissenschaft und Religion") berichtet in Nr. 911966, dass Christen bi
blische Literatur zwischen Titel- und Schlussblatt von Ogoniok", einer Zeitschrif
t wie Die Zeit" oder Stern", unter die Leute verteilen. Sie verbreiten auch Bücher
, auf deren Umschlag Titel wie Anna Karenina" (ein Roman von Leo Tolstoi) stehen.
Innen finden sich dann Teile der Bibel. Ihre Lieder sind erwähnenswert. Einige
haben die Melodie der Kommunistischen Internationale", aber ihr Text lobt Jesus C
hristus - berichtet die Kasachstanskaja Prawda" vom 30. Juni 1966. In einem gehei
men Rundbrief, der in Kulunda in Sibirien kursierte, berichten die dortigen Chri
sten, dass die vom Staat eingesetzten Führer der Baptisten" ihre Kirche und ihre w
ahren Diener zugrunde gerichtet hätten, wie einst die Hohenpriester, Schriftgele
hrten und Pharisäer Jesus Christus an den römischen Statthalter Pilatus verraten
hätten". Aber die wahre Kirche arbeitet auch in der Unterdrückung weiter. Die Br
aut Christi", seine wahre Gemeinde, kann nicht aufhören, Ihm zu dienen. Und die
Kommunisten bestätigen selber meine eigenen Erfahrungen, dass die Untergrundkirc
he auch Kommunisten für Christus gewinnt. Sie können tatsächlich zum Glauben an
Christus kommen. Bakinskij Rabochij" ( Der Arbeiter von Baku") druckt am 27. April
1966 einen Brief ab von Tania Kugunowa, einem Mitglied der Kommunistischen Jugen
d-Liga, die für Christus gewonnen worden war. Der Brief war von den kommunistisc
hen Behörden abgefangen worden:
Liebe Tante Nadia, Gnade und Segen von unserem geliebten Herrn! Tante Nadia, wie
lieb hat er mich doch! Und wir sind so gar nichts vor Ihm. Ich glaube, Tante Nad
ia, Du verstehst, was die Worte bedeuten: Liebet eure Feinde, segnet, die euch fl
uchen, tut wohl denen, die euch hassen, bittet für die, die euch beleidigen und
verfolgen.' Nachdem dieser Brief beschlagnahmt worden war, kam Piotr Serebrennik
ow, der Laienbruder, durch den sie und noch andere junge Kommunisten zu Jesus ge
funden hatten, ins Gefängnis. Die kommunistische Zeitung zitiert aus einer seine
r Predigten: Wir müssen unserem Heiland vertrauen, wie es die ersten Christen tat
en. Für uns ist die Bibel das oberste Gesetz. Wir erkennen in Glaubensfragen son
st nichts an. Und wir müssen die Zeit auskaufen, damit die Menschen aus ihren Sü
nden errettet werden, besonders die jungen." Als man ihn darauf aufmerksam macht
e, dass das sowjetische Gesetz verbietet, Jugendlichen von Christus zu erzählen,
gab er zur Antwort: Darin ist für uns nur die Bibel Gesetz" -- eine ganz normale
Antwort in einem Land, wo eine grausame, bewusst gottlose Diktatur herrscht. Da
nn schildert die kommunistische Zeitung noch eine wüste" Szene: Junge Männer und j
unge Mädchen singen geistliche Lieder miteinander, empfangen die christliche Tau
fe und vertreten die verwerfliche, landesverräterische Lehre, die Feinde zu lieb
en." Bakinskij Rabochij" fügt noch hinzu, dass viele Jungen und Mädchen, die alle
Mitglieder der Kommunistischen Jugend-Liga sind, in Wirklichkeit Christen seien
. Das Blatt schließt diesen Artikel mit den Worten: Wie machtlos muss doch die ko
mmunistische Schule sein, wie langweilig und ohne jegliche aufklärende Wirkung .
..dass die Pastoren in der Lage sind, den gleichgültigen Erziehern ihre Schüler
vor der Nase wegzuschnappen!" Die Kasachstanskaja Prawda" vom 30. Juni 1966 ist e
ntsetzt über die Entdeckung, dass der Schüler mit den besten Noten ein junger Ch
rist ist. Die Kirgisiskaja Prawda" von 17. Januar 1966 führt ein Flugblatt der Un
tergrundkirche an, das sich an christliche Mütter wendet: Lasst uns keine Mühe sc
heuen, im Gebet für unsere Kinder einzutreten und ihr Leben Gott anzuvertrauen,
schon wenn sie noch in der Wiege liegen. Und lasst uns besonders unsere Kinder v
or dem Einfluss der gottlosen Welt bewahren!" Diese Mühe ist nicht vergeblich ge
wesen. Die kommunistischen Tageszeitungen geben davon Zeugnis. Der christliche G
laube gewinnt unter der Jugend immer mehr an Boden. Eine Tageszeitung aus Tschel
iabinsk östlich des Ural berichtet, wie ein Mädchen des kommunistischen Jugendve
rbandes namens Nina Christin wurde. Es geschah beim Besuch einer geheimen christ
lichen Versammlung. Sowjetskaja Justitia" Nr. 911966 beschreibt eine solche Unter
grundversammlung. Sie begann um Mitternacht. Heimlich, selbst vor dem eigenen Sch
atten noch auf der Hut, kamen die Menschen aus allen Richtungen. Sie füllten den
dunklen Raum mit seiner niedrigen Decke. Es waren so viele, dass kein Platz meh
r zum Knien war. Die Luft war so schlecht, dass das Licht der Gaslampe ausging.
Schweiß rann den Anwesenden vom Gesicht. Auf der Straße hielt einer der Diener de
s Herrn' Ausschau nach der Polizei." Nina erklärte, dass sie in einer solchen Ve
rsammlung mit herzlicher Umarmung und menschlicher Wärme aufgenommen worden sei.
Sie hatten alle, wie auch ich jetzt, einen großen, gewiss machenden Glauben, ein
unbedingtes Vertrauen auf Gott. Denn Er nimmt uns unter seinen Schutz. Lasst di
e Komsomolzen, die mich kennen, an mir vorbeigehen, ohne mich zu grüßen. Lasst s
ie mich nur mit Verachtung ansehen und mich, als ob sie mich damit schlagen woll
ten, Baptisten' nennen. Sie sollen es ruhig tun. Ich brauche sie nicht mehr." So
wie sie haben viele junge Kommunisten den Entschluss gefasst, ihr Leben Christus
anzuvertrauen. Die Kasachstanskaja Prawda" berichtet am 18. August 1967 über die
Gerichtsverhandlung der Laienbrüder Klassen, Bondar und Teleghin. Wir erfahren
daraus nicht, welche Strafe über sie verhängt wurde, aber ihr Verbrechen" wird er
wähnt. Sie hatten Kindern von Jesus Christus erzählt. In der Ausgabe vom 15. Jun
i 1967 führt die Sowjetskaja Kirgisia" Klage, dass Christen die Anwendung administ
rativer Maßnahmen gegen sich selber provozieren". So haben die daran unschuldige
n kommunistischen Behörden jetzt wieder eine solche Gruppe verhaften müssen, nac
hdem sie andauernd von diesen hartnäckigen Christen selber dazu herausgefordert
worden seien. Sie seien einfach nicht zufrieden, in Freiheit zu leben. Ihr Verbr
echen war, dass sie fünfzehn Hektographen, sechs Buchbindemaschinen und eine Dru
ckerpresse illegal besaßen, auf der christliche Literatur gedruckt wurde. Die Pra
wda" berichtet am 21. Februar 1968, dass Tausende von Frauen und Mädchen festges
tellt worden seien, die Gürtel und Bänder an sich trugen, auf denen Bibelverse u
nd Gebete aufgedruckt waren. Die Behörden stellten eine Untersuchung an und fand
en heraus, dass die Person, die diese neue Mode in Umlauf gebracht hatte (die au
ch dem Westen zu empfehlen wäre), niemand anders war als ein christliches Mitgli
ed der kommunistischen Polizei, der Beamte Stasink aus Liubertz. Die Zeitung mel
dete seine Verhaftung. Die Antworten, die Christen im Verhör vor den kommunistis
chen Gerichten geben, sind eine Bestätigung der Verheißung Jesu in Lukas 21, Ver
s 15: Ich will euch Mund und Weisheit geben, welcher nicht sollen widersprechen k
önnen noch widerstehen alle eure Widersacher." Ein Richter verlangte Auskunft: Wa
rum habt ihr andere Menschen für eure verbotene Sekte geworben?" Eine Christin a
ntwortete: Unser Ziel ist es, die ganze Welt für Christus zu gewinnen." Eure Relig
ion ist gegen alle wissenschaftliche Erkenntnis", höhnte in einem anderen Prozes
s der Richter, worauf das angeklagte junge Mädchen, eine Studentin, erwiderte: Tr
auen Sie sich mehr wissenschaftliche Einsicht zu als Einstein, als Newton? Sie g
laubten an Gott. Unser Universum trägt nach Einsteins Weltformel den wissenschaf
tlichen Namen. Jedenfalls habe ich auf der Universität das Einsteinsche Universum
' kennen gelernt. Einstein schreibt: ,Wenn wir die jüdische Religion der Prophet
en und das Christentum, wie Jesus es gelehrt hat, von dem reinigen, was später h
inzukam, besonders von seinen Entartungen und Verfälschungen, dann haben wir ein
e Religion, die die Welt von allen sozialen Missständen befreien kann. Es ist di
e heilige Pflicht eines jeden, dass er sein Äußerstes tut, um dieser Religion
zum Sieg zu verhelfen.'" Und denken Sie nur an unseren großen Physiologen Pawlow!
Steht nicht in unseren russischen Büchern, dass er ein Christ war? Selbst Karl
Marx sagt in seinem Vorwort zu dem Werk ,Das Kapital', dass das Christentum, bes
onders in seiner protestantischen Form, die ideale Religion sei, um durch Sünde
zerrüttete Charaktere zu erneuern. Ich hatte einen solchen von der Sünde zerstör
ten Charakter. Marx hat mich dazu gebracht, ein Christ zu werden, damit er wiede
r in Ordnung kommt. Wie können Sie als Marxist mich deswegen verurteilen?" Man k
ann gut verstehen, warum der Richter die Antwort schuldig blieb. Auf denselben V
orwurf, einer anti-wissenschaftlichen Religion anzugehören, antwortete ein andere
r Christ vor Gericht: Ich bin ziemlich sicher, Genosse Richter, dass Sie nicht ei
n so großer Wissenschaftler sind wie Simpson, der Entdecker des Chloroforms und
noch vieler anderer Medikamente. Als er nun gefragt wurde, was er für seine größ
te Entdeckung halte, antwortete er: Es ist nicht das Chloroform. Meine größte Ent
deckung ist gewesen zu erkennen, dass ich ein Sünder bin und daß ich durch Gotte
s Gnade gerettet werden konnte.'" Die stärksten Argumente jedoch, die von den Ch
risten der unterdrückten Kirche für ihren Glauben vorgebracht werden können, sin
d ihr Lebenswandel, ihre Selbstaufopferung, ihre Bereitschaft, für ihren Glauben
ihr Leben dranzugeben. Daraus entsteht, wie der bekannte Afrikamissionar Albert
Schweitzer es ausgedrückt hat, die geheiligte Bruderschaft derjenigen, die den S
tempel des Leides an sich tragen", jene brüderliche Gemeinschaft, zu der Jesus,
der Mann der Schmerzen, gehörte. Die Untergrundkirche ist durch das Band der Lie
be an ihren Erlöser gebunden. Dasselbe Band vereint ihre Glieder untereinander.
Niemand in der Welt kann sie nach dem Wort ihres Herrn überwältigen, auch nicht d
ie Pforten der Hölle". In einem heraus geschmuggelten Brief erklärt die Untergru
ndkirche: Wir beten nicht darum, bessere Christen zu werden, sondern dass wir die
einzige Art von Christen seien, die Gott uns aufgibt zu sein: Christus ähnliche
Christen, das heißt Christen, die bereitwillig das Kreuz zur Ehre Gottes tragen
." Mit der Klugheit der Schlangen weigern sich die Christen standhaft, bei Verhö
ren und vor Gericht auszusagen, wer ihre leitenden und verantwortlichen Männer s
ind. Die Prawda Wostoka" ( Die Wahrheit des Ostens") vom 15. Januar 1966 berichtet,
wie die Angeklagte Maria Sewtschuk auf die Frage, wer sie zu Christus gebracht
habe, geantwortet habe: Gott zog mich in seine Gemeinschaft." Ein anderer gab auf
die Frage: Wer ist euer Führer?" die Antwort: Wir haben keine irdischen Führer."
Man fragte Kinder, die sich zu Christus bekannten: Wer hat euch angewiesen, die J
ungen Pioniere zu verlassen und das rote Halstuch abzunehmen?" Sie antworteten: W
ir haben es aus freien Stücken getan. Niemand hat uns dazu aufgefordert." Obglei
ch mancherorts die Spitze des Eisbergs" sichtbar ist, wenden an anderen Orten die
Christen die Selbst-Taufe an, um im Falle der Entdeckung eine Verhaftung ihrer
Leiter zu verhindern. In einigen Gegenden vollzieht man die Taufen in einem Flus
s, wobei der Täufling wie auch der Taufende beide Masken tragen, so dass niemand
sie fotografieren kann. In der Ausgabe vom 3o. Januar 1964 gibt die Uchitelskaja
Gazeta" einen Bericht über eine atheistische Vorlesung in Woronin im Distrikt W
olnetschino-Korskij. Sobald der Dozent zu Ende war, begannen die Gläubigen die a
theistische Belehrung öffentlich anzugreifen durch bestimmte Fragen, auf die der
atheistische Dozent nicht antworten konnte. Eine lautete: Woher leiten die Kommu
nisten ihre moralischen Grundsätze ab, die sie proklamieren, aber selbst nicht b
efolgen - zum Beispiel: ,du sollst nicht stehlen, man soll nicht töten'?" Die Ch
risten wiesen dem Dozenten nach, dass jeder dieser Grundsätze aus der Bibel herk
omme, gegen die aber gerade die Kommunisten ankämpften. Der Dozent war ziemlich
verwirrt, und die Auseinandersetzung endete mit dem geistigen Sieg der Gläubigen
.

Die Verfolgung der Untergrundkirche nimmt zu


Aufs Ganze gesehen, leiden die Christen der Untergrundkirche heute mehr als je z
uvor. Alle Religionen werden in Russland verfolgt. Besonders erschütternd ist fü
r uns Christen die Unterdrückung der Juden in den kommunistischen Ländern. Aber
das bevorzugte Objekt ihrer Verfolgung sind die christlichen Gemeinden der Unter
grundkirche. Die sowjetische Presse gibt zurzeit eine neue Welle von Massenverha
ftungen und Schauprozessen bekannt. In einem Ort wurden zweiundachtzig Christen
in eine Irrenanstalt gesteckt. Vierundzwanzig starben nach wenigen Tagen, wie es
hieß, an allzu langem Beten". Wie sollte längeres Beten einen Menschen töten. Kö
nnt ihr euch vorstellen, was jene Ärmsten durchgemacht haben? Das allerschlimmst
e, was Eltern auferlegt werden kann, wenn entdeckt wird, dass sie ihren Kindern
von Christus erzählen, ist, dass ihnen die Kinder zeitlebens weggenommen werden
- nicht einmal Besuchsrecht wird ihnen zugestanden. Die Sowjetunion hat die Erkl
ärung der Vereinten Nationen Gegen jede Diskriminierung im Erziehungswesen" mit u
nterzeichnet. Darin wird als unabdingbar gefordert: Eltern müssen das Recht haben
, die religiöse und moralische Erziehung ihrer Kinder entsprechend ihren eigenen
Überzeugungen sicherzustellen."
Der Verräter Karew, der Leiter der von den Behörden anerkannten Baptistenunion d
er Sowjetunion, der oben schon angeführt wurde, gibt die Versicherung, dass dies
es Recht in der Sowjetunion verwirklicht ist - und Einfältige glauben es ihm.
Doch hören wir die Sowjetpresse selber. Sowjetskaja Rossia" vom 4. Juni 1963 beri
chtet eingehend, wie der Baptistin Makrinkowa ihre sechs Kinder fortgenommen wur
den, weil sie ihnen den christlichen Glauben vermittelte und ihnen verboten hatt
e, das Halstuch der Jungen Pioniere zu tragen. Als sie das Urteil vernahm, sagte
sie nur: Ich leide für den Glauben." Sie musste auch noch für den Unterhalt der
Kinder, die ihr entrissen wurden, bezahlen. Jetzt werden sie mit atheistischen L
ehren vergiftet. Ihr christlichen Mütter, denkt an sie in ihrem furchtbaren Kamp
f! Die Utschitelskaja Gazeta" führt an, dass einem lgnatij Mullin und seiner Frau
dasselbe widerfahren ist. Der Richter verlangte, sie sollten ihren Glauben aufg
eben. Er sagte zu ihnen: Wählt zwischen Gott und eurer Tochter. Wollt ihr Gott wä
hlen?" Der Vater antwortete: Ich werde meinen Glauben nicht aufgeben." Paulus sag
t: Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen." Ich habe es erle
bt, dass Kinder, die als Christen erzogen worden waren, von ihren Eltern weggeno
mmen und in atheistische Schulen gegeben wurden. Statt nun vom Atheismus erfasst
zu werden, breitete sich der Glaube, den sie aufgenommen hatten, auch auf die a
nderen Kinder aus. Jesus spricht: Wer Vater oder Mutter, Sohn oder Tochter mehr l
iebt als mich, der ist mein nicht wert." Diese Worte erhalten wieder ihre ursprü
ngliche Bedeutung hinter dem Eisernen Vorhang. Versucht einmal, eine Woche lang
ohne eure Kinder zu leben. Dann werdet ihr ermessen können, wie solche Eltern in
Russland leiden. Die Christen ihres Elternrechts zu berauben, ist eine Praxis,
die bis heute in den Ländern des Ostblocks an der Tagesordnung ist. Die neuesten
Fälle, die wir aus der sowjetischen Presse selber belegen können, betreffen ein
e Frau Sitsch, der man nach Znamia Junosti" vom 29. März 1967 ihren Sohn Watsches
law weggenommen hat, weil sie ihn in der Ehrfurcht vor Gott erzog. Und die Sowjet
skaja Rossia" vom 13. Januar 1g68 berichtet von dem Fall der Frau Zabawina aus
Chabarowsk, der ihr Enkelkind Tania, eine Vollwaise, für immer weggenommen wurde
, weil sie ihr eine unnatürliche christliche Erziehung" gegeben hatte. Es wäre un
gerecht, nur von der protestantischen Untergrundkirche zu sprechen. Die orthodox
en Christen in Russland haben sich vollständig gewandelt. Millionen von ihnen si
nd durch die sowjetischen Gefängnisse gegangen. Dort hatten sie keinen Rosenkran
z, keine Kruzifixe, keine Ikonen, keinen Weihrauch, keine Kerzen. Die Laien ware
n im Gefängnis meist ohne einen ordinierten Priester. Die Priester, die hier und
da unter ihnen waren, hatten keine Priestergewänder, kein Weißbrot, keinen Wein
, den sie weihen konnten, kein heiliges 01, keine Bücher, aus denen sie vorberei
tete Gebete lesen konnten. Und nun entdeckten sie, dass sie sogar ohne alle dies
e Dinge auskommen konnten, indem sie sich unmittelbar an Gott im Gebet wandten.
Sie beteten schlicht, und Gott antwortete und goss seinen Heiligen Geist auf sie
aus. Eine geistliche Erweckung, sehr ähnlich derjenigen zum fundamentalen Bibel
glauben, ist zurzeit unter den orthodoxen Christen im Gange. So kommt es, dass i
n Russland wie auch in den Satelliten-Staaten eine orthodoxe Untergrundkirche en
tsteht, die ihrem Wesen nach evangelisch bibeltreu und unmittelbar an Gott gebun
den ist, nur dass sie sich aus Gewohnheit noch etwas an die orthodoxe Kirchenord
nung hält. Auch diese orthodoxe Untergrundkirche hat ihre großen Märtyrer. Zu ih
nen gehört sicher ihr betagter Erzbischof Yermogen von Kaluga, von dem niemand w
eiß, wo er jetzt ist. Er hatte es gewagt, gegen die schamlose Zusammenarbeit des
Patriarchats mit den gottlosen kommunistischen Behörden zu protestieren. Fünfzi
g Jahre kommunistischer Herrschaft! Und die russische Presse berichtet heute ung
ewollt von dem Aufschwung der Untergrundkirche. Sie geht zwar durch unsägliche L
eiden, aber sie hat sich als fest und treu erwiesen - und sie wächst. Wir haben
in Rumänien durch unsere getarnte Mission in der russischen Armee die
Saat ausgestreut. Auch andere haben das noch getan, sowohl in Rumänien als auch
in den übrigen Ländern, in die russische Soldaten einmarschiert sind. Diese Saat
ist aufgegangen und trägt jetzt ihre Früchte. Sie zeigen, dass die kommunistisc
he Welt für Christus gewonnen werden kann, daß aus Kommunisten Christen werden k
önnen. Und nicht zu vergessen aus den anderen, die von ihnen unterdrückt werden
--- wenn wir nur bereit sind, ihnen zu helfen. Der Beweis für die Richtigkeit di
eser Beurteilung ist in der Tatsache enthalten, daß die Untergrundkirche in der
Sowjetunion, in China und beinahe allen übrigen kommunistischen Ländern lebendig
ist. Um eine Vorstellung von der geistlichen Reife und inneren Schönheit unsere
r Mitchristen zu vermitteln, die oft unter furchtbaren Bedingungen leben müssen,
gebe ich ein paar Briefe wieder, die zum Teil aus russischen Gefängnissen den W
eg zu uns fanden.

Varia, ein kommunistisches Mädchen, findet zu Christus


Die ersten drei Briefe stammen von Maria, einer jungen Christin, die Varia zu Ch
ristus führte. Durch ihr mutiges Zeugnis für Jesus wird Varia später zu Zwangsar
beit verurteilt.
Erster Brief ,,... Ich bin immer noch hier, aber ich weiß mich von Gott geliebt.
Ich werde auch von einem Mitglied aus einer Arbeitskolonne des Komsomol geliebt
. Sie sagte jetzt zu mir: Ich weiß nicht, was du für ein Wesen bist. Viele beleid
igen und verletzen dich hier, und doch bist du zu allen freundlich.` Ich habe ih
r geantwortet, dass Gott uns gebietet, alle Menschen zu lieben, nicht nur Freund
e, sondern auch Feinde. Anfangs hat mir dieses Mädchen sehr zugesetzt, aber dann
betete ich für sie mit besonderer Inbrunst. Als sie mich fragte, ob ich auch si
e lieben könnte, umarmte ich sie, und wir beide fingen zu weinen an. Jetzt beten
wir immer zusammen. Bitte, betet für sie. Sie heißt Varia. Manchmal, wenn man d
enen zuhört, die so laut Gott leugnen, will es einem scheinen, dass sie es wirkl
ich so meinen. Aber das Leben zeigt bald, dass viele von ihnen in ihrem Herzen,
obwohl sie mit den Lippen Gott noch fluchen, ein ganz großes Verlangen nach Ihm
haben. Und zuweilen kannst
du geradezu das Stöhnen ihres Herzens heraushören. Alle diese Menschen suchen et
was und versuchen ihre innere Leere mit ihrer Gottlosigkeit zu vertuschen. Eure
Schwester in Christus, Maria"
Zweiter Brief In meinem vorigen Brief schrieb ich Euch von dem atheistischen Mädc
hen Varia. Nun drängt es mich, Euch, meinen Lieben, von unserer großen Freude zu
berichten: Varia hat Christus als ihren persönlichen Heiland angenommen und bez
eugt es öffentlich vor jedermann. Als sie zum Glauben an Christus durchdrang und
die große Freude der Errettung erfuhr, war sie jedoch auch zugleich recht betrü
bt. Sie war deswegen traurig, weil sie vorher überall verbreitet hatte, es gebe
keinen Gott. Letzthin ging ich mit Varia zu einer Gottlosen-Versammlung. Obwohl
ich sie dringend ermahnte, zurückhaltend zu sein, war meine Warnung umsonst. Var
ia wollte unbedingt hingehen, .und so ging ich mit, um zu sehen, wie es ablief.
Nach dem üblichen Singen der Internationale, wobei Varia nicht mitmachte, meldet
e sie sich zu Wort. Als sie an der Reihe war, ging sie nach vorn vor die ganze V
ersammlung. Mutig und mit starker innerer Beteiligung bezeugte sie vor den Versa
mmelten Christus als ihren Erretter und bat die früheren Genossen um Vergebung,
dass sie so blind gewesen sei und nicht gesehen habe, wie sie selber und alle an
deren mit ihr ins Verderben gerannt seien. Sie bat alle inständig, den Weg der S
ünde aufzugeben und zu Christus zu kommen.
Alle waren still geworden und niemand unterbrach sie. Als sie zu reden aufgehört
hatte, sang sie mit ihrer hervorragenden Stimme das ganze christliche Lied: ,Ic
h schäme mich der Botschaft nicht von dem Christus, der für uns starb; ich trete
für seine Gebote ein und rühme die Kraft seines Kreuzes.' Aber später ... späte
r holten sie dann Varia weg. Heute ist der g. Mai, und wir wissen immer noch nic
hts von ihr. Gott hat die Macht, sie zu bewahren. Betet für sie! Eure Maria"
Dritter Brief Gestern, am 2. August, hatte ich im Gefängnis ein Gespräch mit unse
rer lieben Varia. Mein Herz blutet, wenn ich über sie nachdenke. Sie ist ja noch
ein Kind, erst
neunzehn Jahre alt. Auch im Glauben ist sie noch ein geistliches Kind. Aber sie
hebt den Herrn von ganzem Herzen, und deshalb ist sie gleich den schweren Weg ge
gangen. Das arme Kind hat solchen Hunger. Gleich, als wir erfahren hatten, daß s
ie im Gefängnis war, begannen wir ihr Päckchen zu schicken. Aber sie hat nur wen
ig von dem bekommen, was wir ihr geschickt hatten. Als ich sie gestern sah, sah
sie sehr schmal, bleich und zerschlagen aus. Nur ihre Augen leuchteten von einer
überirdischen Freude und dem Frieden mit Gott. Wer ihn nicht selber erlebt hat,
diesen wunderbaren Frieden Christi, kann das nicht verstehen
- aber wie glücklich sind alle, die diesen Frieden haben - und uns, die in Chris
to Jesu sind, sollten keine Leiden und Enttäuschungen von unserem Auftrag zurück
halten. Ich habe sie durch das Gitter gefragt: Varia, bereust du den Schritt, den
du getan hast?' Ach nein', antwortete sie, ,und wenn sie mich freiließen, ginge
ich wieder hin und erzählte ihnen von der großen Liebe Christi. Denke nur nicht,
dass ich leide. Ich bin sehr froh, dass der Herr mich so liebt und mir die Freu
de schenkt, um seines Namens willen zu leiden.' Ich bitte Euch herzlich, für sie
zu beten. Wahrscheinlich wird sie nach Sibirien geschickt. Sie haben ihr alle i
hre Sachen und Kleider weggenommen. Sie hat jetzt nichts mehr, als was sie an si
ch trägt. Sie hat hier keine Angehörigen, und wir müssen jetzt die notwendigsten
Dinge für sie sammeln. Den letzten Betrag, den Ihr mir geschickt habt, habe ich
beiseite gelegt. Wenn Varia deportiert wird, werde ich ihn ihr aushändigen. Ic
h vertraue, dass Gott ihr durchhilft und ihr die Kraft gibt, auch in Zukunft sta
ndhaft zu sein. Möge Gott sie bewahren! Eure Maria
Vierter Brief Liebe Maria, endlich kann ich Dir schreiben. Wir sind wohlbehalten
in ... angekommen. Unser Lager ist fünfzehn Kilometer von der Stadt entfernt. Ic
h will das ganze Leben hier nicht beschreiben. Du kennst es ja. Ich möchte Dir n
ur ein wenig über mich selber schreiben. Ich danke Gott, dass er mir Gesundheit
gibt und ich körperlich arbeiten kann. Ich und Schwester U. wurden zur Arbeit in
der Werkstatt angewiesen. Wir arbeiten dort an Maschinen. Die Arbeit ist schwie
rig, und Schwester U s Gesundheit ist nicht gut. So muss ich für sie noch mit arbe
iten. Ich tue erst meine
Arbeit und helfe dann ihr. Wir arbeiten zwölf bis dreizehn Stunden am Tag. Unser
Essen ist etwa so wie Eures, sehr kärglich. Aber das ist es nicht, was ich Dir
schreiben wollte. Mein Herz jubelt und ich danke Gott, dass er mir durch Dich de
n Weg zu meiner Errettung gezeigt hat. Jetzt, wo ich auf diesem Weg bin, hat mei
n Leben doch ein Ziel und ich weiß, wohin ich gehe und für wen ich dulde. Ich ha
be das Bedürfnis, jedem von meiner großen Freude, die ich über meine Errettung i
m Herzen trage, zu erzählen. Denn wer kann uns scheiden von der Liebe Gottes, di
e er in Jesus Christus uns erzeigt hat? Niemand und nichts. Weder Gefängnis noch
Trübsal. Die Leiden, die Gott uns schickt, bestärken uns nur immer mehr im Glau
ben an Ihn. Mein Herz ist so voll Lob über Gottes Erbarmen, dass es davon überfl
ießt. Bei der Arbeit lästern sie über mich und setzen mir sehr zu, geben mir auc
h zusätzliche Arbeit, weil ich einfach nicht schweigen kann, sondern jedem erzäh
len muss, was Gott an mir getan hat. Er hat aus mir ein neues Wesen, eine neue S
chöpfung gemacht, aus mir, der ich auf dem Weg zum Verderben gewesen bin. Kann i
ch denn hiernach still sein? Nein, niemals. Solange ich sprechen kann, will ich
jedem Gottes große Liebe zu mir bezeugen. Auf unserem Weg zum Lager trafen wir m
it vielen Brüdern und Schwestern zusammen. Wie wunderbar ist es doch, dass du du
rch Gottes Geist spürst, sie sind Gottes Kinder, auch wenn du sie zum ersten Mal
siehst. Es bedarf weiter keiner Worte. Als wir noch auf dem Weg zum Lager waren
, kam an einer Eisenbahnhaltestelle eine Frau auf uns zu, gab uns Essen und sagt
e nur die zwei Worte: Gott lebt.' Am ersten Abend, als wir hier ankamen - es war
schon ziemlich spät - wurden wir in Kellerbaracken untergebracht. Wir grüßten di
e Anwesenden mit den Worten: Friede sei mit euch.' Zu unserer großen Freude hörte
n wir aus allen Ecken die Antwort: Wir empfangen euch mit Frieden.' Und vom erste
n Abend empfanden wir, dass wir eine Familie sind. Und so war es auch. Wir sind
viele, die an Jesus Christus als ihren persönlichen Heiland glauben. Mehr als di
e Hälfte der Häftlinge sind Gläubige. Wir haben großartige Sänger und gute Predi
ger unter uns. Wenn wir uns abends nach schwerer Arbeit versammeln, wie herrlich
ist es dann, ein wenig Zeit gemeinsam vor unserem Erlöser im Gebet zu verbringe
n. Mit Christus ist überall Freiheit. Ich habe hier viele schöne geistliche Lied
er gelernt, und täglich gibt mir Gott mehr von seinem Wort.
Den Geburtstag unseres Herrn Jesus habe ich hier mit neunzehn Jahren zum ersten
Mal gefeiert. Diesen herrlichen Tag werde ich nie vergessen. Wir hatten den ganz
en Tag arbeiten müssen. Aber einige unserer Brüder konnten trotz allem zum nahen
Fluss gehen. Dort brachen sie das Eis auf und bereiteten den Ort vor, wo ich un
d noch sieben Brüder dann in der Nacht getauft wurden. Wie glücklich bin ich und
wie sehr wünschte ich, dass auch Du, Maria, bei mir wärst, damit ich ein klein
wenig an Dir gut machen könnte für das Böse, das ich Dir damals angetan habe. Ab
er Gott stellt jeden von uns an seinen Platz, und wir müssen ausharren, wo er un
s hingestellt hat. Grüße die ganze Familie der Gotteskinder. Gott wird Eure geme
insame Arbeit reich segnen, wie er auch mich gesegnet hat. Lies Hebräer 12, 1-3.
Alle Brüder hier grüßen Euch und sind froh, dass Euer Glaube an Gott so stark i
st und dass Ihr Ihn in Eurem Leiden ohne Unterlass lobt. Wenn Ihr den anderen sc
hreibt, richtet ihnen unsere Grüße aus! Immer Eure Varia
Fünfter Brief Liebe Maria. Endlich habe ich Gelegenheit gefunden, Dir ein paar Ze
ilen zu schreiben. Ich kann Dir mitteilen, meine Liebe, dass ich und Schwester U
. durch Gottes Gnade gesund und wohlauf sind. Wir befinden uns jetzt in ... Sie
schicken uns aber später nach..., und wir werden dort bleiben. Ich danke Dir für
Deine mütterliche Sorge um mich. Wir haben alles erhalten, was Ihr für uns zure
chtgemacht habt. Habe besonderen Dank für das Allerwertvollste, die Bibel. Sage
allen herzlichen Dank, und wenn Du ihnen schreibst, füge besondere Grüße bei und
meinen Dank für das, was sie für mich getan haben. Seitdem mir Gott das tiefe G
eheimnis seiner heiligen Liebe offenbart hat, betrachte ich mich selber als den
glücklichsten Menschen in der Welt. Die Verfolgungen, die ich zu erdulden habe,
sehe ich als besondere Gabe an. Ich freue mich, dass der Herr mir vom ersten Tag
meines Glaubens an die große Freudigkeit geschenkt hat, für Ihn zu leiden. Bitt
et alle für mich, dass ich dem Herrn bis ans Ende treu bleiben möge. Möge Euch a
lle der Herr bewahren und für den heiligen Kampf stärken, der Euch verordnet ist
. Schwester U. und ich küssen Euch alle. Wenn wir nach ... gebracht werden, habe
n wir vielleicht Gelegenheit, Euch wieder zu schreiben. Macht Euch um uns keine
Sorgen. Wir sind fröhlich und getrost, denn unser Lohn im Himmel ist groß (Matth
äus 5,11-12). Eure Varia"
Das ist der letzte Brief von Varia, der jungen Kommunistin, die Christus gefunde
n hat, ihn öffentlich bekannte und zu Zwangsarbeit verurteilt wurde. Man hat nie
mehr etwas von ihr gehört, aber ihre reine Liebe und ihr Zeugnis für Jesus zeig
en etwas von der geistlichen Schönheit der leidenden, glaubenden Kirche im Unter
grund von einem Drittel der Welt unter dem Kommunismus.

5. Kapitel Meine Botschaft an Euch von der Untergrundkirche


Man hat mich die Stimme der Untergrundkirche" genannt. Ich halte mich nicht für w
ürdig, die Stimme eines so geachteten Gliedes am Leibe Christi zu sein. Jedoch h
abe ich jahrelang einen Bezirk der Untergrundkirche in kommunistischen Gebieten
geleitet Durch ein Wunder Gottes habe ich vierzehn Jahre Gefängnis und Folter ei
nschließlich zwei Jahre Kerker in einem Sterbezimmer" überlebt. Durch ein noch gr
ößeres Wunder hat es Gott gefallen, in meine Gefangenschaft einzugreifen und mic
h herauszunehmen, in den Westen zu bringen und der freien Kirche hier zu bericht
en. Ich spreche im Auftrag meiner Brüder, die in zahllosen, namenlosen Gräbern l
iegen. Ich spreche im Namen meiner Brüder, die sich jetzt heimlich in Wäldern ve
rsammeln und in Kellern, in Dachstuben und an verborgenen Plätzen. Es wurde von
der Untergrundkirche in Rumänien beschlossen, dass ich versuchen sollte, mein La
nd zu verlassen, um eine Botschaft an die freien Christen in der Welt hinauszutr
agen. Durch Gottes Fügung habe ich herauskommen können, und ich erfülle den Auft
rag, der mir von denen erteilt wurde, die zurückbleiben und sich weiter im kommu
nistischen Gebiet abmühen, dort alles aufs Spiel setzen, leiden und sterben für
ihren Herrn. Die Botschaft, die ich von der Untergrundkirche bringe, lautet:
Verlasst uns nicht!" Vergesst uns nicht!" Schreibt uns nicht ab!" Gebt uns die Mitt
el und Werkzeuge, die wir brauchen! Für ihren Gebrauch wollen wir selber den Pre
is zahlen." Das ist die Botschaft, die mir auferlegt wurde, um sie euch zu überb
ringen. Ich spreche für eine zum Schweigen gebrachte Kirche, die Kirche im Unter
grund, für die stumme" Kirche, die keine Stimme zum Sprechen hat. Hört das Schrei
en eurer Brüder und Schwestern in kommunistischen Ländern! Sie bitten nicht um F
lucht, um Sicherheit oder um ein leichteres Leben. Sie bitten euch nur um die We
rkzeuge, um damit der Vergiftung der Jugend - der kommenden Generation - durch d
en Atheismus entgegenzuwirken. Sie bitten euch um Bibeln, die sie bei der Verkün
digung des Wortes Gottes brauchen. Wie sollen sie Gottes Wort
weitergeben können, wenn sie es nicht haben? Die Untergrundkirche ist zu verglei
chen mit einem Arzt, der mit der Bahn fuhr und dessen Zug mit einem anderen zusa
mmenstieß. Hunderte von Menschen lagen umher, verletzt, verstümmelt, am Sterben.
Der Arzt ging unter den Sterbenden einher und klagte: Wenn ich nur meine Instrum
ente hätte! ... nur meine Instrumente!" Mit den chirurgischen Instrumenten hätte
er vielen das Leben retten können. Er hatte den guten Willen, aber er hatte nic
ht die nötigen Werkzeuge. Das ist die Lage, in der sich die Untergrundkirche bef
indet. Sie ist willig und bereit, selber alles hinzugeben. Sie ist bereit, das M
artyrium auf sich zu nehmen. Sie ist bereit, Jahre der Gefangenschaft in kommuni
stischen Gefängnissen in Kauf zu nehmen. Aber all ihr guter Wille bleibt wertlos
, wenn sie nicht die nötigen Mittel und Werkzeuge erhält, mit denen sie arbeiten
kann. Und das ist die dringende Bitte der glaubenden, hoffenden Kirche in der U
nterdrückung an euch, die ihr frei seid: Gebt uns das Handwerkszeug - Evangelien,
Bibeln, christliche Literatur, praktische Hilfe - und wir wollen das andere auf
uns nehmen!"

Wie freie Christen helfen können


Jeder Christ, der in Freiheit lebt, kann sofort auf folgende Weise helfen: Athei
sten sind Menschen, die den unsichtbaren Ursprung ihres Lebens nicht anerkennen.
Sie haben kein Organ für das, was im Leben des einzelnen wie auch in der Gesetz
mäßigkeit des Kosmos Geheimnis ist. Christen können ihnen am besten helfen, wenn
sie selber nicht vordergründig im Schauen, sondern im Glauben leben und so ein
Leben der Gemeinschaft mit Gott führen. Sie helfen auch uns am besten, wenn sie
ein Leben führen, das mit dem Glauben übereinstimmt, ein Leben der Selbsthingabe
. Und sie können dadurch helfen, dass sie öffentlich ihre Stimme erheben, wann i
mmer Christen verfolgt werden. Weiterhin könnt ihr Christen in der freien Welt u
ns eine große Hilfe geben, wenn ihr für die Kommunisten betet, damit sie errette
t werden. Solch ein Gebet mag menschlichem Ermessen naiv erscheinen. Wir haben o
ft für die kommunistischen Gefängniswärter gebetet, und am nächsten Tag haben si
e uns ärger gefoltert als vor dem Beten. Aber das Gebet des Herrn über Jerusalem
wäre dann auch naiv gewesen. Denn sie haben Ihn nach diesem Gebet gekreuzigt.
Doch schon wenige Tage später schlugen sie an ihre Brust, und dreitausend wurden
an dem Tag zu Christus bekehrt. Auch für die anderen war das Gebet nicht umsons
t gewesen. jedes Beten für einen Menschen, das von dem, für den du eintrittst, n
icht angenommen wird, kommt mit Segnungen auf dich zurück, wird aber für den, de
r die Ursache deines Gebetes war, zum Gericht. Im Einklang mit Jesu Wort betete
ich mit noch vielen anderen Christen für Hitler und seine Männer in der Regierun
g. Ich bin überzeugt, dass unser Gebet ihn besiegen half. Wir sollen unsere Näch
sten lieben wie uns selbst. Die Kommunisten sind unsere Nächsten so gut wie jede
r andere. Aber die Kommunisten sind auch ein Zeichen der Zeit. Sie sind das sich
tbare Ergebnis der Missachtung der Worte Christi: Ich bin gekommen, auf dass sie
das Leben und volle Genüge haben sollen." Die Christen haben dieses volle Genüge
noch nicht für alle gebracht. Sie haben zu viele am Rande des Lebensnotwendigen
gelassen. Und diese haben dagegen rebelliert und die kommunistische Partei gegr
ündet. Ihre Anhänger sind oft die Opfer sozialer Ungerechtigkeit gewesen. Jetzt
sind sie verbittert und grausam. Jetzt müssen wir uns ihrer erwehren. Aber wenn
wir Christen sind, müssen wir sie verstehen und leben, auch wenn sie Feinde des
Evangeliums sind. Wir sind nicht unschuldig an der Tatsache, dass heute viele Me
nschen Kommunisten sind. Wir sind zumindest darin schuldig, dass wir unsere Pfli
cht nicht erfüllt haben. Über all das müssen wir Buße tun und sie wirklich lieb
haben, was etwas ganz anderes ist, als sie gern mögen. Und wir müssen für sie be
ten. Ich bin nicht so einfältig zu glauben, dass bloße Liebe das kommunistische
Problem in der Welt lösen könnte. Ich würde auch nicht den staatlichen Behörden
empfehlen, das Problem des Verbrechertums nur durch verzeihende Liebe zu lösen.
Es muss auch Polizeigewalt geben und Richter und Strafanstalten für Verbrecher -
nicht nur Pfarrer. Wenn Verbrecher nicht bereuen, müssen sie verwahrt werden. E
s hieße das christliche Gebot der Liebe missverstehen, wenn man dem berechtigten
politischen, wirtschaftlichen und geistigen Widerstand gegen die kommunistische
n Gewaltherrscher in den Rücken fiele, wo doch offenkundig ist, dass sie vielfac
h nichts anders sind als Rechtsbrecher in einem internationalen Maßstab. Verbrec
her stehlen Geld; sie stehlen ganze Länder. Aber jeder Christ, ob Pfarrer oder G
emeindeglied, muss sein Bestes tun, um den einzelnen Kommunisten zu Christus zu
bringen - was für Böses er auch begangen haben mag - und auch ihre Opfer dürfen
wir nicht vergessen. Für sie alle müssen wir beten mit barmherzigem Verstehen.

Bibeln, Evangelien werden dringend benötigt.u


Zm anderen können wir Christen helfen, wenn wir Bibeln und Bibelteile hinschicke
n. Es gibt Mittel und Wege, auf denen sie sicher in kommunistische Länder versch
ickt werden können. Seitdem ich aus Rumänien gekommen bin, habe ich viele hinges
chickt, die unversehrt angekommen sind. Es gibt also Wege, sie zu befördern, wen
n nur ihr, die freien Christen, diese Bibeln und Evangelien für eure Brüder und
Schwestern der Untergrundkirche besorgen wollt. Als ich noch in Rumänien war, ha
be ich selber viele Bibeln erhalten, die auf ganz bestimmten Wegen hereingebrach
t worden waren. Mittel und Wege, sie hinzuschicken, sind also nicht die eigentli
che Frage, sondern daß sie überhaupt erst beschafft werden. Sie werden verzweife
lt benötigt. Tausende von Christen in Russland und in den Ostblockländern haben
zwanzig oder gar fünfzig Jahre lang keine Bibel mehr gesehen. Zwei verschmutzte
Dorfbewohner kamen eines Tages in meine Wohnung. Sie waren aus ihrem Dorf hierhe
r gekommen, um den Winter über in der Stadt den Schnee wegzuschaufeln in der Hof
fnung, mit dem verdienten Geld eine alte Bibel zu kaufen und sie mit in ihr Dorf
zu bringen. Da ich gerade Bibeln aus Amerika bekommen hatte, war ich in der Lag
e, ihnen eine neue Bibel, keine mit fliegenden Blättern zu geben. Sie trauten ih
ren Augen nicht. Sie wollten sie mir mit dem Geld bezahlen, das sie sich beim Sc
hneeschaufeln verdient hatten. Ich nahm ihr Geld nicht an. Mit ihrer Bibel eilte
n sie in ihr Dorf zurück. Ein paar Tage später erhielt ich einen Brief von so un
gehemmter, überschäumender Freude, in dem sie sich noch einmal für die Heilige S
chrift bedanken. Er war von dreißig Leuten aus dem Dorf unterschrieben. Sie hatt
en die Bibel sorgfältig in dreißig Teile geschnitten und tauschten nun die einze
lnen Teile unter sich aus. Es rührt einem ans Herz, wenn man einen Russen um ein
e Seite aus der Bibel bitten hört. Er gehört zu denen, die ihre Seele damit nähr
en. Sie sind glücklich, wenn sie eine Kuh oder eine Ziege gegen eine Bibel tausc
hen können. Einer, den ich kannte, gab seinen Trauring her, um ein zerknautschte
s Neues Testament dafür zu erstehen. Die Kinder bei uns haben noch nie eine Weih
nachtskarte gesehen. Wenn sie eine bekämen, würden sich alle die anderen Kinder
um sie scharen, und irgendein alter Mann aus dem Dorf müsste ihnen die Sache mit
dem Jesuskind und der Heiligen Jungfrau erklären, und wie von daher die Erlösun
g der Menschen ihren Anfang nahm. Und das ganze ... wegen einer einzigen Weihnac
htskarte. Wir könnten aber weit mehr tun, könnten Bibeln, Evangelien und christl
iche Literatur hinschicken. Hier öffnen sich Wege, die begangen werden können. A
ls drittes müssen wir ganz spezielle Literatur drucken und versenden, mit der de
m atheistischen Gift entgegengewirkt werden kann, das vom Kindergarten bis zur U
niversität der Jugend eingeflößt wird. Die Kommunisten haben alles bereit. Sie h
aben einen Führer für Atheisten", die Bibel" der Atheisten. Der Unterricht ist met
hodisch aufgebaut. Zunächst werden den Kleinen im Kindergarten ganz einfache Spr
üche mitgegeben. Wenn sie dann heranwachsen, sind die Leitsätze aus dem atheisti
schen Führer" ausführlicher. Diese Bibel des Bösen" folgt jedem Kind auf jeder Stu
fe seiner Entwicklung und vergiftet sein Denken die ganze Zeit über. Die christl
iche Welt hat noch keine Antwort auf den Führer für Atheisten" gegeben. Hier könn
en und müssen wir die christliche Antwort auf diese vergiftenden atheistischen L
ehren geben und sie dorthin schicken. Wir müssen das unverzüglich tun, denn die
Untergrundkirche selber hat nicht die Möglichkeit, der atheistischen Verführung
der Jugend entsprechende Literatur entgegenzusetzen. Die Kirche in der Unterdrü
ckung steht gleichsam mit auf den Rücken gebundenen Händen da und wartet auf ein
e solche Darstellung in den verschiedenen Sprachen des Ostblocks. Und unsere Jug
end wartet ebenfalls auf diese Antwort - eine Antwort von Gott her, von Christus
aus, von den Christen! Das wäre eine große Möglichkeit der Hilfe: ein christlic
hes Gegenstück zum Führer für Gottesleugner", als illustriertes Jugendbuch und au
ch als Kinderfibel. Das vierte, was zu tun wäre, besteht darin, den Gliedern der
unterdrückten Kirche die Hand zu reichen und sie ganz praktisch mit den finanzi
ellen Mitteln auszurüsten, die sie brauchen, damit sie durchs Land reisen können
und Mission treiben von Mann zu Mann. Gerade in dieser Hinsicht sind augenblick
lich so viele angekettet", weil sie einfach, das Geld nicht haben für einen solch
en Reisedienst, für die Eisenbahnfahrten, die Busfahrten, die Reiseverpflegung.
Sie liegen gleichsam gestrandet da, unfähig für einen beweglichen Dienst, währen
d bloß zwanzig, dreißig Kilometer weiter die Menschen vergeblich nach ihnen rufe
n zu einem Dienst am Evangelium. Schon mit fünfzig bis hundert Mark im Monat kön
nen wir sie losketten", damit sie hinausziehen können und die vielen Hilferufe mi
t Gottes Wort beantworten können. Die ehemaligen Pfarrer, die um ihres Glaubens
willen im Gefängnis waren, haben eine durchdringende Botschaft und eine brennend
e Liebe für die Verlorenen, sie haben nur die Mittel nicht, um diese Liebe und d
iese Botschaft in die Städte und Dörfer zu bringen. Und nur wenige Mark im Monat
gäben ihnen die Mittel dazu an die Hand. Auch die zahlreichen Laienbrüder und -
schwestern brauchen Hilfe. Als Christen verdienen sie kaum so viel, um überleben
zu können, so dass nichts mehr übrig bleibt, womit sie von Ort zu Ort, von Stad
t zu Stadt mit dem Evangelium ziehen können. Hier könnten fünfzig bis hundert Ma
rk im Monat Wunder" wirken. Die Pfarrer der staatlich genehmigten Kirchen, die da
neben unter großem Risiko einen geheimen Dienst versehen, müssen für solche Zwec
ke ebenfalls besondere Mittel erhalten. Ihr Gehalt", das von den kommunistischen
Behörden festgesetzt wird, ist äußerst gering bemessen. Der gute Wille dieser Pf
arrer, ihre Freiheit aufs Spiel zu setzen, wenn sie die staatlichen Vorschriften
umgehen und Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in geheimen Versammlungen die
Botschaft von Jesus Christus bringen, reicht allein noch nicht aus. Auch sie br
auchen Mittel, um ihren segensreichen Dienst im Verborgenen auszuführen. Ich kan
n nur wiederholen, dass fünfzig oder hundert Mark im Monat ein solches Mitglied
der Untergrundkirche schon in die Lage versetzen würde, das Evangelium wirkungsv
oll auszubreiten. Das wäre eine wesentliche Hilfe für die unterdrückte Kirche im
Untergrund. Und schließlich müssen wir das Evangelium durchs Radio in die kommu
nistischen Länder senden. Von den Rundfunksendern der freien Welt aus können wir
die leidende, unterdrückte Kirche geistlich am Leben erhalten und mit dem Brot
des Lebens versorgen. Da die kommunistischen Regierungen selber über ihre Kurzwe
llensender ihre eigenen Staatsbürger propagandistisch erreichen wollen, haben je
tzt Abermillionen von Russen und Menschen der anderen versklavten Völker Radioap
parate, mit denen sie auch christliche Sendungen empfangen können. So sind die T
üren für den Evangeliums-Rundfunk in kommunistischen Ländern weit offen. Diese A
rbeit muss erweitert werden. Aus diesen Sendungen bezieht die Untergrundkirche i
hre geistliche Nahrung. Was wäre das für eine Hilfe für die unterdrückte Kirche
hinter dem Eisernen Vorhang.

Die Tragödie der Familien verfolgter Christen


Wir müssen den Familien der um ihres Glaubens willen Verfolgten aus der Not helf
en. Zehntausende solcher Familien leiden zurzeit auf unbeschreibliche Weise. Wen
n ein Glied der Untergrundkirche ins Gefängnis kommt, trifft die Familie ein sch
reckliches Los. Es ist jedem gesetzlich verboten, einer solchen Familie zu helfe
n. Das ist wohlweislich so eingerichtet, um die Leiden der zurückgelassenen Frau
en und Kinder zu vergrößern. Muss ein Christ ins Gefängnis gehen - sehr oft folg
en dann Folter und Tod - dann fängt das eigentliche, Leiden der Familie erst an.
Sie muss sich auf endlose Schikanen gefasst machen. Mein eigener Fall beweist d
ie Tatsache, dass ich mit meiner Familie nicht überlebt hätte und euch diese Din
ge jetzt nicht bezeugen könnte, wenn nicht treue Gemeindeglieder aus der freien
Welt mir und den Meinen Hilfe geschickt hätten. Gerade jetzt ist wieder eine neu
e Welle von Massenverhaftungen und grausamem Terror gegen die Christen in Russla
nd und auch anderswo angelaufen. Ununterbrochen schaffen sie neue Blutzeugen. We
nn diese Märtyrer auch selber zu ihrer Ruhe und Belohnung eingehen, so leben ihr
e Familien doch unter furchtbaren Bedingungen. Wir müssen ihnen einfach helfen,
weil wir es noch können. Natürlich sollen wir auch den hungernden Indern und Afr
ikanern helfen. Aber wer verdient die Hilfe der Christen eher als die Familien d
erjenigen, die für ihren Herrn ihr Leben gegeben haben und die um ihres Glaubens
gefoltert wurden? Seit meiner Freilassung hat die Christliche Europa-Mission de
n Familien verfolgter Christen schon beträchtliche Hilfe zukommen lassen. Aber a
lles, was getan worden ist, ist klein im Vergleich zu dem, was mit eurer aller H
ilfe getan werden könnte. Als ein Glied dieser unterdrückten Kirche, das lebend
herausgekommen ist, habe ich eine Botschaft, eine Aufforderung, einen Notschrei
meiner zurückgebliebenen Brüder überbracht. Durch mich schicken sie diese Botsch
aft an euch. Und es ist ein Wunder, dass ich es tun kann.
Ich habe euch die Dringlichkeit vor Augen gestellt, der kommunistischen Welt Chr
istus zu bringen. Ich habe auf die Notwendigkeit hingewiesen, den Familien der V
erfolgten zu helfen. Und schließlich habe ich praktische Wege aufgezeigt, durch
die ihr die Untergrundkirche in die Lage versetzen könnt, ihren Auftrag der Verk
ündigung des Evangeliums zu erfüllen. Als man mich im Gefängnis auf die Fußsohle
n schlug, schrie meine Zunge. Sie war nicht geschlagen worden. Sie schrie aber,
weil Zunge und Füße Teile desselben Körpers sind. Ihr Christen im freien Teil de
r Welt seid Teil desselben Leibes Christi, der heute in kommunistischen Gefängni
ssen geschlagen wird, der jetzt die Blutzeugen Jesu Christi stellt. Fühlt ihr un
sere Schmerzen nicht?
Die Kirche der ersten Christen mit ihrer ganzen Schönheit, ihrem Opfersinn und
ihrer Hingabe an Gott ist in den kommunistischen Ländern wieder zum Leben erwach
t. Während unser Herr Jesus Christus im Garten Gethsemane im Todeskampf rang, wa
ren Petrus, Jakobus und Johannes nur einen Steinwurf weit entfernt von dem größt
en Drama der Weltgeschichte - aber sie waren in tiefem Schlaf. Wie viel von eure
r christlichen Sorge und Gebefreudigkeit ist wirklich auf eine Erleichterung des
Loses der Märtyrerkirche gerichtet? Fragt einmal eure Pfarrer und Kirchenvorste
her, was in eurem Namen getan wird, um euren Glaubensbrüdern und ¬schwestern hin
ter dem Eisernen Vorhang zu helfen? Hinter dem Todesstreifen des Eisernen Vorhan
gs spielt sich tagtäglich das Drama des Heldenkampfes und des Opfergangs der ers
ten Christen ab - und die freie Kirche schläft. Unsere Brüder dort, obwohl allei
n gelassen und ohne materielle Hilfe, führen zur Zeit den größten und wagemutigs
ten Kampf des zwanzigsten Jahrhunderts, der dem Heldentum, der Standhaftigkeit u
nd der Hingabe der frühen Kirche nicht nachsteht. Und die freie Kirche hier im W
esten schläft weiter, unbeeindruckt von ihrem Ringen und ihrem Todeskampf, genau
wie Petrus, Jakobus und Johannes im Augenblick des schwersten Kampfes ihres Hei
lands schliefen. Wollt auch ihr schlafen, während die leidende Kirche, eure Brüd
er in Christo, ganz allein für das Evangelium leiden und kämpfen? Werdet ihr auf
unsere Botschaft hören?: Denkt an uns! Helft uns! Lasst uns nicht im Stich!" Hie
rmit habe ich mich der Botschaft von der ihrem Herrn treuen, verfolgten,
unterdrückten Kirche im Untergrund der kommunistischen Länder entledigt - der Bo
tschaft von euren Brüdern und Schwestern, die in den Banden des atheistischen Ko
mmunismus für ihren Herrn dulden.

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Johannes Krikowski Wer macht die Götter? Atheismus - Materialismus - Christliche
r Glaube 96 Seiten, kart. (Aussaat-Bücherei Band 13) Der Verfasser, 1951 als Zwa
nzigjähriger in Greifswald verhaftet und zu 25 Jahren Freiheitsentzug wegen antis
owjetischer Propaganda und illegaler Gruppenbildung" verurteilt, nach Workuta (U
dSSR) ins Bergwerk deportiert und nach vier Jahren vorzeitig entlassen, schreibt
im Vorwort: Haben wir als Christen dieser Auseinandersetzung zu wenig Raum gege
ben? Sind wir der Meinung, dass es nicht lohnt, sich mit dem Atheismus auseinand
erzusetzen? Ist doch unser Reich nicht von dieser Welt. Weil jedoch der historis
che und dialektische Materialismus -- und von dieser Anschauung, die sich selber
Götter macht, soll hier die Rede sein - über Religion und Glauben, über Christu
s und Heilige Schrift Stellung nimmt, müssen auch wir als Christen Stellung bezi
ehen. Dabei sollten wir unsere Schuld an dem Atheismus nicht leugnen und schon g
ar nicht ihn der östlichen und den christlichen Glauben der westlichen Welt zuor
dnen. Mitten durch unsere Welt, mitten durch unsere Herzen geht der Atheismus, g
eht die Sünde hindurch. Das zu erkennen und anzuerkennen, möchte die Aufgabe die
ser Schrift sein. Erst aus der Klarheit unseres Glaubens und aus der Erkenntnis
der Liebe Christi heraus werden wir dem Atheismus eine Antwort geben können. Die
nachfolgende Leseprobe ist dem Schlusskapitel entnommen: Wenn wir die Kommunist
en und Atheisten hassen, lieben wir Christus nicht. Freilich, aus unserer eigene
n Liebe können wir sie nicht lieben. Diese Liebe -- diese Agape -- muß uns gesch
enkt werden. Unsere eigene Liebe ist egoistisch; sie liebt den anderen aus purer
Eigenliebe. Die Liebe Christi liebt den Menschen als Geschöpf Gottes, nicht weg
en seiner Sünde. Die Liebe Christi lebt den anderen gerade um dessentwillen, was
der andere nicht hat. Die Liebe Christi ist selbstlos, sie sieht von sich ab un
d weist auf Christus hin. Welche Haltung soll und muss ein Christ einnehmen, wen
n von ihm ein marxistisches Bekenntnis abverlangt wird?
Jede Situation wird natürlich eine andere sein, und darum kann es auch keine Pau
schalantwort geben. Der Christ wird aber niemals in ein Antidenken verfallen kön
nen. Jesus Christus hat niemals seine Feinde gehasst. Er ist für sie eingetreten
und ist für sie gestorben. Ja, gerade um seine Feinde ging es ihm in seinem Hei
lshandeln, um seiner Feinde willen ist er ja gestorben. Er wurde nicht als Folge
seines Hasses gegen seine Feinde gekreuzigt. Er hing am Kreuz aus Liebe für sei
ne Feinde. So können die Christen letzten Endes auch nur Boten für ihre Feinde s
ein. Wir sind Boten Jesu. Die Christen haben also nicht ihren eigenen Auftrag zu
erfüllen, sondern den Auftrag von Jesus Christus. Weil es so ist und weil es so
verheißen ist, wird er uns auch zur passenden Zeit das passende Wort in den Mun
d legen. Wir dürfen ihm vertrauen, denn wir dürfen nicht vergessen, dass auch di
ese gottlose Welt Gott anvertraut ist und ihm unterliegt. Die marxistisch-atheis
tische Welt ist also einzig und allein mit den Augen der Heiligen Schrift zu ver
stehen. Wir Christen werden die Marxisten so sehen müssen, dass uns weder von Os
t noch West ein Lob zuteil wird. Wir werden von Marx gefragt, ob wir in diesem R
aum Christus und seine Botschaft bezeugt haben, d. h. ob wir auf seine Herrschaf
t zugehen. Er gebraucht uns - sein Volk, die Atheisten zu retten. Er will, dass
keiner verloren gehe. Das allein ist die Bezeugung in der nichtchristlichen Welt
. Besitzen wir diese durchbrechende Kraft des Evangeliums? Stehen wir vielleicht
gar auf tönernen Füßen und sind damit dem Untergang geweiht? Wir brauchen vor e
iner gottlosen Welt keine Angst zu haben, wohl aber vor einer gottlosen und ungl
äubig gewordenen Kirche, ist einmal gesagt worden. Warum können, dürfen und soll
en wir den Mut haben, mit unserem Evangelium den Marxisten-Materialisten gegenüb
erzutreten? Unser Evangelium enthält Gottes Kraft. Das Evangelium der Materialis
ten ist Menschenwerk. Wenn die Marxisten meinen, mit ihrem Evangelium Gott zu st
ürzen, so dürfen wir ganz getrost sein, denn der Herr, der im Himmel wohnt, lach
t und spottet ihrer. Was ist das doch für eine ärmliche Lehre, die lehrt, dass
christlicher Glaube zum überbau gehört und dass die kommunistische Basis diesen
überbau eliminiert. Viele Funktionäre, die ernsten Christen begegneten, merkten,
dass ihre Lehre" Schall und Rauch war. Als ob mit diesem marxistischen Dogma der
Gehorsam und der Glaube gegen unseren Herrn und Heiland gekennzeichnet würde. E
s wurde schon gesagt, dass der Materialismus ein Christusbild entwickelt hat, da
s
mit dem von Gottes Geist gezeigten Sohn überhaupt nichts zu tun hat. Der Materia
lismus konstruiert ein verzerrtes Gottesbild, und er hat deshalb keinen Grund, d
en in der Bibel geoffenbarten Gott abzulehnen. Wer macht die Götter? So lautet d
er Titel dieses Büchleins. Haben wir nicht miterleben können, wie gerade die Men
schen, die Gott leugnen, selber Götzen verfallen sind und, wie Feuerbach - hier
zu Recht - sagt, sich selber Götzen machten? Statt:
Gott = Partei Paradies = klassenlose, kommunistische Gesellschaft Glaube = Part
eidoktrin Bekehrung = Kritik und Selbstkritik Sünde = Verrat an der Arbeiterklas
se (Partei) Gericht = Liquidation
Es gilt, diesen Göttern den alleinigen, wahrhaftigen und lebendigen Gott zu beze
ugen. Viele Materialisten, die einem aus dem Glauben lebenden Christen begegnet
sind, spürten bald, dass Jesus Christus leibhaftig in diesem Menschen wirkt. Sie
kamen nicht umhin, ihm ihre Achtung zu bezeugen. Aber gleichzeitig standen sie
hilflos diesen Christen gegenüber; denn ihre Lehre von Überbau und Unterbau war
zerschellt. Die Kraft des Herrn überwindet alle menschlichen Kräfte. Ist das nic
ht ein Zeugnis unseres Herrn, der gesagt hat: Ich bin bei euch alle Tage bis an d
er Welt Ende" (Matthäus 28, 20). Christlicher Glaube ist immer ein Zeugendienst.
Dieser Zeugendienst ist gleichzeitig ein Martyrium, das jedoch die Zusage unser
es Herrn und Heilands hat.
--

Koreas Beter
René Monod

Koreas Beter
- Die Geschichte der koreanischen Erweckung -

Inhaltsverzeichnis

I. DIE ERWECKUNG IN KOREA


1. Die politische Geschichte
2. Die geistliche Entwicklung
3. Die Auswirkungen der Erweckung
4. Die Ausbreitung der Bewegung
5. Charismatische Nebenwirkungen
6. Die Leidenszeit
II. DIE ZWEITE WELLE DER ERWECKUNG
1. Der politische Terror in Nordkorea
2. Syngman Rhee
3. Der Terror greift nach Südkorea
4. Der heilsame Schock
5. Beten ohne Unterlaß
6. Sein Name macht stark
7. Neutestamentliches Klima
8. Die Untergrundkirche
9. Neue Wolken
III. DIE YOUNG NAK GEMEINDE
1. Tradition oder Leben
2. Dr. Kyung Chik Han
3. Die Aufbauarbeit in Südkorea

1. Die Erweckung in Korea

1. Die politische Geschichte


Der historische Rahmen zur koreanischen Geschichte ist schnell skizziert. Die Ha
lbinsel Korea, ihrer Fläche nach fast ebenso groß wie das westdeutsche Bundesgeb
iet, liegt zwischen dem Gelben Meer und dem japanischen Meer. Seit 2000 Jahren i
st dieses Gebiet Streitobjekt zwischen China und Japan. Nur acht Jahre, von 1897
bis 1905, stand Korea unter russischem Einfluß und Schutz, zumal die regierende
Yi Dynastie in ihrer zunehmenden Schwäche die politischen und wirtschaftlichen
Probleme des Landes nicht mehr meistern konnte. 1905 war der russisch japanische
Krieg. Nach dieser Auseinandersetzung gewannen die Japaner in Korea die Oberhan
d. 1910 erfolgte die offizielle Anektion Koreas durch Japan. Diese japanische He
rrschaft dauerte bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Die alliierten Truppen gl
iederten dann Korea in Zonen auf. Die Russen zogen im Norden ein, die Amerikaner
im Süden. Der 38. Breitegrad wurde als Grenze gesetzt.
Ruhe gab es zwischen dem Nordreich und Südreich nicht. Verhandlungen zu gemeinsa
men Wahlen scheiterten. 1948 wurde das Südreich als Republik Taihan ausgerufen.
Syngman Rhee wurde der erste Präsident. Im Juni 1950 brach dann der unselige Kam
pf der Kommunisten zur politischen Machtergreifung los. Sie überschritten die De
markationslinie. Der Vorstoß wurde im wesentlichen von rotchinesischen Truppen v
orangetrieben. Nach wechselvollem Verlauf des Kampfes wurden die Kommunisten zur
ückgedrängt. Mit kleinen Grenzkorrekturen wurde der 38. Breitegrad wieder die Gr
enze.
Die Verfolgungswelle gegen die Christen in Nordkorea löste einen gewaltigen Flüc
htlingsstrom nach dem Süden aus. Um weiteren möglichen kommunistischen Angriffen
vorzubeugen, unterstützten die Amerikaner seither Südkorea in wirtschaftlicher
und militärischer Hinsicht.
Die Südkoreaner bezeichnen ihre Freunde als zaghaft. Die Amerikaner haben an Pre
stige eingebüßt, als sie ohne Gegenschlag sich von Nordkorea die "Pueblo" kapern
und ein Flugzeug abschießen liegen.
Vor dein Hintergrund dieser politischen Entwicklung spielen sich die geistlichen
Ereignisse ab, um die es den Christen geht.
2. Die geistliche Entwicklung
Der Verlauf der Erweckung wurde mir bei zwei Reisen in Korea erschlossen. Mein H
auptberichterstatter ist Dr. Blair, der zur Zeit der Niederschrift dieses Berich
tes als 92jähriger in einem presbyterianischen Altersheim in Los Angeles lebt. E
r ist der letzte noch lebende Augen und Ohrenzeuge dieser Erweckung.
Meine zweite Quelle sind die mündlichen und schriftlichen Berichte vor Dr. Han.
Dieser in Korea bekannte und berühmte Pfarrer ist mit Dr. Blair eng befreundet.
Dr. Han hat mit Dr. Blair jahrelang zusammengearbeitet und gelebt. Er ist aber n
ur mittelbarer Zeuge, da er zu Beginn der Erweckung noch ein kleiner junge war.
Mein dritter Zeuge ist Dr. Lee. Er war als Missionar in Korea und leitete viele
Erweckungsversammlungen. Dr. Lee lebt nicht mehr. Ich erhielt aber in Seoul sein
en Bericht über die Erweckung.
Bevor die eigentliche Erweckung dargestellt wird, muß erst von der Entstehung de
r christlichen Mission in Korea berichtet werden.
Der erste Sendbote, der das Evangelium nach Korea brachte, ist der Missionsarzt
Dr. C. Allen, der 1845 Koreas Boden betrat. Er war von der presbyterianischen Ki
rche der Vereinigten Staaten ausgesandt worden.
Ein weiteres Frühdatum der christlichen Missionsarbeit, das durch ein unglücklic
hes Ereignis bekannt wurde, ist der Missionsversuch von Robert Thomas aus Walis.
Er hatte als Vertreter der schottischen Bibelgesellschaft in China gearbeitet.
Als er gehört hatte, daß die Gebildeten Koreas chinesisch lesen können, faßte er
den Plan, Bibeln nach Korea zu bringen.
1866 fand Bruder Thomas einen amerikanischen Schoner, "General Sherman", der nac
h Pyengyang in Nordkorea segeln sollte. Als das Schiff sich der Küste näherte, m
achte die halbwilde Küstenwache Schwierigkeiten. Sie warf Brandfackeln an Deck.
Das Feuer und der Rauch trieben die Besatzung ins Meer. Manche konnten sich in e
in Boot retten. Sie wurden aber von der Küstenwache abgefangen und getötet. Brud
er Thomas nahm seinen Bibelvorrat mit sich und watete in dem seichten Wasser an
Land. Dort wurde er mit Keulenschlägen empfangen. Er konnte aber noch seine Bibe
ln den Mördern in die Hände werfen, bis er zusammenbrach und starb. So tränkte M
ärtyrerblut den Boden Nordkoreas, und zwar genau an der Stelle, wo 40 Jahre spät
er die Erweckung geschenkt wurde. So war die Lebenshingabe eines der ersten Miss
ionare der Same der koreanischen Kirche geworden.
Die Weltabgeschlossenheit und Weltfremdheit Koreas konnte kein Dauerzustand blei
ben. Die Japaner erzwangen 1876 die Zufahrt zu einigen Häfen, die einige Jahre s
päter auch anderen Seemächten freigegeben wurden. Offiziell öffnete Korea 1884 d
ann seine Tore zur Welt.
Presbyterianische und methodistische Missionen sahen darin ihre Chance. Die Miss
ionare Horace Underwood und Henry Appenzeller mit Frau kamen ins Land. Ihre Arbe
it weitete sich rasch aus. Um die Jahrhundertwende befanden sich bereits Mission
sstationen in allen größeren Städten. Ein theologisches Seminar wurde gegründet,
das 1907 die ersten ausgebildeten Pastoren für den praktischen Dienst abordnete
. Gleichzeitig wurde mit dem Beginn ihres Dienstes die presbyterianische Kirche
von Korea organisiert. Diese kirchliche Arbeit stand von Anfang an unter einem p
roamerikanischen Vorzeichen.
Diese Situation änderte sich rasch, nachdem Amerika die Besetzung Koreas durch d
ie Japaner gutgeheißen hatte. Die koreanischen Christen schwankten zwischen ihre
r christlichen und ihrer patriotischen Haltung. In diesem inneren Zwiespalt warf
en sie sich ganz auf Gott. Es sollte nicht ihr Schade sein.
Die Missionare waren in dieser gespannten politischen Lage in schwerer Verlegenh
eit. Sie hatten in diesem nationalen und sozialen Chaos keinen anderen Ausweg, a
ls sich ins Gebet zu flüchten. Sie waren mit ihrer Weisheit zu Ende und beteten
um die Leitung des Heiligen Geistes. Sie richteten Gebetsstunden ein, die über e
in Jahr fortgesetzt wurden. Im Winter von 1906 traf sich eine Winter Bibelklasse
in der zentralen presbyterianischen Kirche in Pyengyang. Diese Bibelklasse beka
m Zuzug von vielen Christen, die von allen Städten und Distrikten herbeieilten.
Die Schar wuchs auf 1000 bis 1200 Teilnehmer an. In den Gebetsversammlungen setz
te eine Reinigungswelle ein. Bekenntnis der Sünden, Erkenntnis von Gottes Heilig
keit, Zerbruch des alten Menschen das waren die biblischen Wahrheiten, die ihn
en vor Augen standen. Dazu mehrte sich das Verlangen nach einer dauernden Gebets
haltung und nach einer Heiligung im Alltagsleben.
In der Reihe dieser Gebetsstunden kam dann ein Montag, an dem die Missionare spü
rbar Gottes Nähe fühlten. Für den Abend war ein Gottesdienst angesetzt. Es war i
n Pyengyang (die Schreibweise heute ist Pjöngjang). Die versammelte Gemeinde wur
de in die Gegenwart des Herrn hineingenommen. Nach einer kurzen Ansprache forder
te Dr. Lee zum Gebet auf. Viele begannen gleichzeitig zu beten. Die Missionare h
atten das bisher nicht zugelassen. Von jeher hatte man sich an die biblische Ord
nung gehalten (1.Kor.14,27): einer nach dem andern. Die Missionare spürten aber
bei diesem Gottesdienst, daß eine schier erdrückende Spannung, ein Drängen zum B
eten in der Luft lag. Dr. Lee sagte daher: "Wenn es euch eine Hilfe ist, daß all
e gleichzeitig beten, dann betet in dieser Weise."

Dann begann ein Wogen in der Kirche. Keine Verwirrung, sondern eine einzige Harm
onie des Gebetes. Es war, als schmolzen die Stimmen aller Beter zu einem einzige
n Schrei zu Gott zusammen. Es entstand nicht die geringste Unordnung. Der Heilig
e Geist schweißte alle zu einer Einheit zusammen. Wie am Tag des ersten Pfingstf
estes waren alle Seelen auf einen Akkord abgestimmt. Es herrschte die Einmütigke
it des Geistes.
Es muß hier eine Zwischenbemerkung gemacht werden. Das gleichzeitige Gebet aller
Teilnehmer einer Gebetsversammlung wird an vielen Stellen der Welt geübt. Die Q
uäkermissionare in Alaska üben es genauso wie die Keswickleute in Japan, in Aust
ralien und in anderen Ländern. Gemeinsames Beten findet sich bei einigen Mission
sgruppen in Afrika, zum Beispiel in Zuenoula an der Elfenbeinküste und in vielen
Pfingstgemeinden. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob es vom Heiligen Geist g
ewirkt ist, oder ob es nur die auslaufende Tradition eines großen Ereignisses de
r Vergangenheit darstellt. Traditionen und Nachahmungen lassen die wundervolle H
armonie des Heiligen Geistes gewöhnlich vermissen.
Bei der Erweckung in Korea hatte dieses gleichzeitige Beten die Ursprünglichkeit
des Heiligen Geistes an sich.
3. Die Auswirkungen dieser Erweckung
Bei diesen gewaltigen Gebetsversammlungen stand einer nach dem andern auf, bekan
nte seine Sünden, fiel dann nieder, weinte und bat Gott um Vergebung. Angestellt
e bekannten ihren Vorgesetzten ihre Verfehlungen und umgekehrt. Kirchenälteste b
aten ihre Pfarrer um Vergebung. Die Pastoren söhnten sich untereinander aus und
bereuten ihre Eifersüchteleien. Nicht nur Tatsünden, sondern auch alle Zungen u
nd Gedankensünden wurden gebeichtet.
Es ist doch wunderbar, daß der Heilige Geist auf der ganzen Erde in allen Erweck
ungen in gleicher Weise arbeitet und wirkt. Bei der Erweckung in Uganda, 20 Jahr
e nach der Korea Erweckung, geschah genau das gleiche. Bei der indonesischen Erw
eckung in der Gegenwart wiederum die gleichen biblischen Vorgänge. An einem Inst
itut in Java wurden auch halbe Nächte lang gebetet. Der Geist Gottes wirkte eine
Sündenerkenntnis sowohl bei den Lehrern als auch bei den Schülern. Sie baten ge
genseitig um Verzeihung, und die ganze Atmosphäre wurde gereinigt.
Der Geist Gottes hat oft oder immer den gleichen Plan. Er zeigt die Sünde, er ze
igt uns die Erlösung. Er zerbricht unsere Herzen, reinigt die Beziehungen der Me
nschen zueinander und baut die Gemeinde Jesu. So war es in Jerusalem nach der er
sten Ausgießung des Heiligen Geistes. So war es bei allen echten Erweckungen.
In Korea nahm die Welle der Buße und Sündenerkenntnis die Menschen so gefangen,
daß jeder sich selbst vergaß und nur noch vor Gott stand. Auch die alten Mission
are konnten sich dieser Bewegung der Buße und Reinigung nicht entziehen. Es schw
and jegliche menschliche Autorität und Führerschaft vor dem Angesicht Gottes. Vi
ele lagen einfach der Länge nach auf dem Boden, weil sie von der Macht ihrer eig
enen Sünde erdrückt und niedergeworfen worden waren.
Die Missionare waren nicht mehr Herr der Situation. Sie versammelten sich schlie
ßlich auf der Plattform und fragten sich gegenseitig: "Was sollen wir tun? Wenn
das so weitergeht, verlieren ja einige noch ihren Verstand." Doch sie wagten nic
ht zu unterbrechen. Sie hatten wochenlang um eine Ausgießung des Heiligen Geiste
s gebetet. Nun hatte sie Gott geschenkt. Sie fühlten sich nicht befugt, dieses F
euer zu stoppen.
Schließlich wurden sie einig, durch die Reihen zu gehen und die zu trösten, die
am meisten zerschlagen waren. Sie hoben manchen vom Boden auf und sprachen ihm a
ls Trost mit einem Bibelwort die Vergebung zu. Dann stimmte Dr. Lee ein Lied an.
Nach dem Gesang ging es wie bisher weiter.
Die Versammlung war nicht mit Gewalt zu beenden. Die Koreaner hatten jegliches B
edürfnis nach Essen und Schlafen verloren. Es stand ihnen nur noch eines vor der
Seele: ihr Verhältnis zu Gott in Ordnung zu bringen.
In normalen Zeiten kann man darüber diskutieren, ob es richtig ist oder nicht, ö
ffentlich die Sünden zu bekennen. Natürlich rät jeder biblisch ausgerichtete und
seelsorgerlich erfahrene Reichgottesarbeiter davon ab. Das ist auch gut so. Wen
n aber der Heilige Geist eine Gemeinde erfaßt in echter Weise, und es ist echt
, wenn der Heilige Geist es tut und nicht der Menschengeist , dann gelten ander
e Gesetze. Es wäre unklug gewesen, wenn die koreanischen Missionare diese Buß u
nd Beichtbewegung hätten stoppen wollen. Sie hätten damit nichts Geringeres geta
n, als dem Heiligen Geist in den Arm zu fallen. Es wäre auch in der Bußbewegung
Nordkoreas unmöglich gewesen, den Koreanern zu sagen: "Hört auf mit euren öffent
lichen Sündenbekenntnissen." Der Geist Gottes hatte das Regiment und nicht mensc
hliche Weisheit. Es ist auch fehlgeschossen, wenn ein Psychologe sagen wollte: "
Die Koreaner sind eben in ihren seelischen Regungen und Äußerungen beweglicher u
nd labiler als die Europäer." Das stimmt gar nicht. Korea ist so kalt wie Deutsc
hland. Das Frühjahr kommt in Seoul später als in Frankreich und England. Pjöngja
ng ist sogar wesentlich kälter als Westeuropa. Dazu sind die Koreaner keinesfall
s labiler als Franzosen und Deutsche.
Wenn der Heilige Geist Menschen zerbricht, geht es nicht mehr um psychologische
Gesichtspunkte. Natürlich hat der Südländer ein heißeres Temperament als der Nor
dländer. Der Heilige Geist kann aber den Kaltblütigen genauso zerbrechen wie den
Heißblütigen. Bei den Aktionen des Heiligen Geistes geht es nicht um die Blutbe
schaffenheit, sondern um den Herzenszustand.
In Pjöngjang gingen die Bußversammlungen in jenen Erweckungstagen die ganze Nach
t durch weiter. Nun hören wir einmal einen Originalbericht von Dr. Blair.
"Jede Sünde, die ein Mensch begehen kann, wurde in jener ersten Nacht öffentlich
bekannt. Blaß und zitternd, beinahe in einem Todeskampf des Leibes und der Seel
e standen sie in dem blendenden Licht des Gerichtes Gottes. Sie sahen sich, wie
Gott sie sah. Ihre Sünde erhob sich in ihren eigenen Augen in ihrer Schmutzigkei
t und Schande. Keiner entschuldigte sich mehr. Sie sagten nur noch ja und nahmen
willig alles auf sich. Jeder Stolz wurde zerschlagen. Sie blickten zu Jesus gen
Himmel. Sie bekannten sich als seine Verräter. An ihre Brust schlagend, riefen
sie bitter weinend: Herr, verwirf uns nicht für immer! Alles andere war vergessen.
Nichts hatte mehr Bedeutung. Was ging sie noch der Zorn der Menschen an oder ei
ne eventuell drohende Gerichtsstrafe? Ja, selbst der Tod schien für diese Mensch
en keine Bedeutung mehr zu haben, wenn nur Gott ihre Sünde vergab. Wir mögen dar
über denken, wie wir wollen. Wenn der Heilige Geist den Menschen in seiner Schul
d trifft, dann wird gebeichtet, und keine Macht der Erde kann es hindern."
4. Die Ausbreitung der Bewegung
Die Erweckung begann in Pjöngjang, dem heutigen Kommunistenzentrum. Als die gewa
ltigen Buß und Beichtversammlungen stattfanden, waren auch die Seminaristen des
theologischen Seminars dabei. Sie wurden alle von dem Geist der Erweckung erfaß
t und trugen dann als junge Pastoren das Feuer hinaus in das ganze Land.
Überall, wo diese jungen Boten Jesu hinkamen, entstanden ähnliche Bußversammlung
en. Die Lehrer in den Schulen konnten manchmal ihren Unterricht nicht mehr weite
rführen, weil die Schüler ihre Sünden beichteten und um Vergebung baten. Gegende
n, Dörfer, in denen nie ein Missionar gearbeitet hatte, wurden erfaßt, als sie d
ie Berichte hörten. Todfeinde söhnten sich aus. Gestohlenes Geld und Gut wurde z
urückgegeben. Nicht nur den Christen gegenüber wurde altes Unrecht geordnet, son
dern auch den Heiden gegenüber. Ein alter chinesischer Geschäftsmann war ganz üb
errascht, als ihm ein Christ eine große Geldsumme zurückbrachte, die er einmal i
rrtümlicherweise von dem Kaufmann erhalten hatte. Manche Heiden wurden durch die
se Ehrlichkeit der Christen zu Christus gebracht und bekehrt.
Das Feuer, das vom Heiligen Geist angezündet worden war, brannte weiter. Die Kor
eaner, die von der Erweckung erfaßt worden waren, machten es sich zur Aufgabe, g
anz Korea in einem Jahr durchzumissionieren. Sie brachten große Mittel auf, um s
olche Gebiete evangelistisch zu erreichen, in denen noch kein Missionar vorher g
earbeitet hatte. Zur Unterstützung dieser missionarischen Arbeit ließen sie das
Markusevangelium in einer Auflage von einer Million drucken und verkauften davon
in einem Jahr 700 000. Nicht genug damit! Sie sandten auch Missionare ins Ausla
nd. Einer ließ sich in Wladiwostok in Sibirien nieder, um die dort ansässigen Ko
reaner zu betreuen. Andere wurden auf völlig abgelegene Inseln gesandt. Wieder a
ndere bereisten China. In dieser Zeit entstand als Kind der koreanischen Erwecku
ng die sogenannte "Millionenbewegung". Dieser Ausdruck ist auch bekannt durch di
e Arbeit der China Inland Mission. Eines ihrer Blätter trug den Namen "Chinas Mi
llionen".
Diese Erweckung war die Geburtsstunde der christlichen Kirche Koreas, die heute
geistlich noch sehr lebendig ist, wenn auch manche Schatten darüber hinweggegang
en sind.
Fassen wir die Merkmale der Erweckung zusammen. Dieser geistliche Aufbruch Korea
s war eine Buß und Beichtbewegung. Menschen kamen in Scharen zum Herrn Jesus. D
iese Erweckung war keine "Zungenbewegung". Das muß betont werden, weil heute dur
ch die "Zungenbewegung" viel Unruhe und Verwirrung in die Gemeinde Jesu hineinge
tragen wird. Um Mißverständnisse abzuwehren, wird darauf hingewiesen, daß selbst
verständlich alle Geistesgaben, die im N.T. erwähnt sind, anerkannt werden. Wir
haben es nur zu lernen, daß zwischen charismatischen und psychischen Vorgängen u
nterschieden wird.
5. Charismatische Nebenwirkungen
Jede Erweckung bringt Seitenströmungen, manchmal sogar gefährliche Gegenbewegung
en hervor. Das hängt oft mit dem Gegenschlag der Finsternis zusammen. Der Teufel
sieht nicht tatenlos zu, wenn Gottes Geist ein Feuer anzündet. Manchmal ist es
auch nur so, daß ein sehr helles Licht auch besonders dunkle Schatten wirft.
Fast jede Erweckung unseres Jahrhunderts war von einer Heilungsbewegung begleite
t. Das ist durchaus biblisch. Wenn das Verhältnis des Menschen mit Gott in Ordnu
ng kommt, dann folgt in vielen Fällen auch eine Heilung körperlicher Gebrechen n
ach. Außerdem hat der von allen Belastungen befreite Mensch ein anderes Gebetsve
rhältnis zu Gott als der Namenchrist, der ein Gebetsleben überhaupt nicht kennt.
Dem wiedergeborenen Menschen leuchten die Verheißungen der Bibel wie helle Ster
ne, die ihm den Weg weisen.
Bei allen Erweckungen treten auch visionäre Erlebnisse auf. Von Dr. Lee hörte ic
h folgende Vision aus der koreanischen Erweckung. An einem Mittag befand er sich
in einer Kirche im Gebet. Es war 15 Uhr. Da sah er im Altarraum einen Engel st
ehen. Rund um die Kirche waren Feuerzungen zu sehen wie am ersten Pfingstfest. D
ie heidnischen Koreaner, die draußen in der Nähe der Kirche arbeiteten, sah er w
ie Tiere und nicht in Menschengestalt.
Diese Vision braucht durchaus nichts Ungewöhnliches zu sein. Die Feuerzungen sin
d das Symbol des Heiligen Geistes. Wenn in Kirchen von treuen Christen gebetet w
ird, da wird der Arm Gottes bewegt. Da treten der "Engel Geschäfte" in Erscheinu
ng (Hebr.1,14). Daß Menschen in Tiergestalt gesehen werden, ist nicht ganz ungew
öhnlich. Wir finden das im Heidentum und im Christentum. Der Buddhist glaubt, da
ß ein Mensch, der sich nicht bewährt, bei der nächsten Reinkarnation (Wiederverk
örperung) in ein Tier verwandelt wird. Im christlichen Kulturraum finden wir in
Dantes "Divina Comedia" Hinweise, daß boshafte und unerlöste Menschen im Hades w
ie Tiere aussehen. Solche visionären Erlebnisse sind mir auch aus der Seelsorge
bekannt.
Im Rahmen einer Erweckung gibt es also durchaus echte charismatische Randerschei
nungen, die wir nicht als krankhaft oder schwärmerisch ablehnen müssen. Irreführ
end werden aber die Nebenwirkungen, wenn Gläubige in krampfhafter Weise ekstatis
che Erlebnisse wie Visionen, Zungen, Krafterweise erzwingen wollen. Gewöhnlich w
erden derartig erzwungene Erlebnisse zu einem Einfallstor böser Geister, die nur
auf solche offenen Türen warten (Eph. 6,12). Es gilt hier das Gesetz: Was der H
eilige Geist von sich aus schenkt, ist natürlich und gottgewollt. Was der nach "
Sondererlebnissen" strebende Mensch sich erzwingen will, ist gewöhnlich keine Ga
be des Heiligen Geistes, sondern zweifelhaftes Geschenk eines anderen Geistes.
Der Tod aller Erweckungen ist die nach Jahren oder Jahrzehnten eintretende Ermüd
ung. Es ist eine traurige Erfahrung, daß direkt keine Erweckung ein Jahrhundert
überdauert. Die meisten sind aber von viel kürzerer Dauer. Wie steht es damit in
Korea?
6. Die Leidenszeit
Die aus der Erweckung entstandene koreanische Kirche geriet von ihrem Anfang an
unter politischen Druck. Seit 1905 waren die Japaner im Land, die das koreanisch
e Volk in jeder Hinsicht niederhielten. Sie trieben eine Ausbeutungspolitik im w
ahrsten Sinne. Das ganze Finanzwesen lag in den Händen der Besatzungsmacht. Kein
Koreaner konnte es zu irgendeiner hohen wirtschaftlichen oder politischen Stell
ung bringen. Das ging so weit, daß nach dem Abzug der Japaner niemand in Korea f
remdes Geld umwechseln konnte. Die amerikanischen Missionare waren nicht in der
Lage, die wirtschaftlich schwachen Kirchengemeinden zu unterstützen. Das Volk se
lbst war kaum fähig, die eigenen Bedürfnisse zu decken. Die Japaner hatten ja de
n Grundsatz verfolgt, Korea nur als Absatzgebiet anzusehen. Es waren nur japanis
che Produkte zu haben. Eigene koreanische Fabriken gab es nicht.
Auch in kultureller Hinsicht wurde alles japanisiert. Nur die japanische Sprache
galt im Amtsverkehr. Wer sie nicht sprechen konnte, mußte sich der Dolmetscher
bedienen. Japanisch wurde auch in den höheren Schulen als Schulsprache eingeführ
t. Das gab im Volk große Spannungen.
Zur größten Not und Gefahr wurde der jungen Kirche der religiöse Zwang. Am Natio
nalfeiertag hatten alle Koreaner durch eine Zeremonie am Shintoschrein ihre Loya
lität den Japanern gegenüber zu bezeugen. Die Christen gerieten dadurch in einen
Gewissenskonflikt. Sie fragten sich: "Dürfen wir als Christen uns am Shintoschr
ein verneigen?"
Die leitenden Pfarrer wurden bei der japanischen Behörde vorstellig und baten da
rum, daß ihnen um des Glaubens willen diese Zeremonie erspart bliebe. Man erklär
te ihnen, dieser Ritus hätte nur politischen und keinen religiösen Charakter. Ma
nche Christen haben sich bei dieser Antwort beruhigt und wohnten seither dieser
Feier bei. Auch der Direktor des theologischen Seminars fügte sich, um nicht die
weitere Existenz der Schule zu gefährden.
Andere Christen, vor allem solche, die selbständig denken konnten, erklärten: "E
s ist nicht nur eine politische Treuekundgebung, da ja alle Gebete, die dabei ge
sprochen werden, shintoistischen Charakter haben." Durch diesen Zwiespalt gab es
unter den Christen Gewissensnöte und Konflikte.
Schließlich wagte es ein treuer koreanischer Pastor, die Shintozeremonie nicht m
itzumachen. Was geschah? Die Japaner ließen ihn in der Nähe des Shintoschreines
totprügeln. Damit waren klare Fronten geschaffen. Viele Christen besaßen aber ni
cht diesen Bekennermut, sondern gingen einen Kompromiß ein. Das war der Grund, w
arum in der japanischen Zeit die Erweckungsbewegung rasch zurückging. Die Verqui
ckung mit der religiösen Shintozeremonie hatte sich zu einer Dämpfung der Wirksa
mkeit des Heiligen Geistes ausgeweitet.
II. Die zweite Welle der Erweckung
Wesley hat einmal vom zweiten Segen gesprochen. Er meinte damit, daß die Christe
n sich nicht mit ihrer Bekehrung zufrieden geben sollten. Gott hätte mehr als nu
r einen Segen für uns bereit. Diese Aussage Wesleys wurde oft mißverstanden und
auch von extremen Kreisen zu einem Gesetz erhoben. Gottes Geist handelt aber sou
verän und darf nicht in eine Schablone gepreßt werden. Es wäre ein armer Gott, d
er seinen Kindern nur zwei Segen zu geben hätte. Das Leben eines treuen Christen
ist reich an tausendfältigen Segnungen. Und doch gibt es einzelne Christen und
ganze Bewegungen, die einen speziellen zweiten Segen zu verzeichnen haben. Wir w
issen das von Charles H. Finney, von dem Zeltevangelisten Jakob Vetter, von Majo
r Thomas und vielen anderen Männern Gottes.
Die Erweckung auf den Hebriden hat ebenfalls zwei Segenswellen in ihrem Verlauf.
Die erste Welle war etwa 1949, die zweite ab 1953. Leider ist diese Bewegung et
was ins schwarmgeistige Fahrwasser geraten.
In der koreanischen Erweckung zeichnen sich ganz eindeutig zwei Etappen ab. Die
erste Welle war von 1906 bis 1945. Als die Japaner abgezogen waren, war damit au
ch der für die Christen unselige Shintokult zu Ende. Die Gläubigen unterzogen si
ch einem Reinigungsprozeß. Sie sollten aber nicht lange aufatmen können. Neues U
nheil und noch größere Verfolgung zeichneten sich am Horizont ab.
1. Der politische Terror in Nordkorea
Die Nordkoreaner nützten die kurze Befreiungspause zwischen dem Abzug der Japane
r und dem Einzug der Russen. Unter großen Opfern an Geld und persönlicher Arbeit
schufen sie sich Stätten der Verkündigung und des Gebetes. Dieser friedliche Au
fbau wurde von seiten der Kommunisten immer wieder gestört.
Geradezu katastrophal wurde die Lage der Christen, als rotchinesische Soldaten i
ns Land kamen und die Kommunisten sich rüsteten, ganz Korea an sich zu reißen.
Es ist seltsam, daß die Stadt Pjöngjang 1906 Ausgangspunkt der Erweckung gewesen
war. Unter den Roten wurde diese Stadt dann das Zentrum der neu aufbrechenden C
hristenverfolgung. Ob dieser Gegenschlag nicht von der Hölle selbst inszeniert w
ar?
Startschuß für die Verfolgungswelle war die Verhaftung eines führenden Staatsman
nes, der ein überzeugter Christ war. Dieser Politiker verschwand spurlos. Nieman
d rechnet mehr damit, daß er noch am Leben ist.
Das schwere Leid, das über die Christen hereinbrach, wurde von Gott in Segen umg
ewandelt. Solange die Gottesdienste noch nicht verboten waren, kamen die Christe
n wieder täglich zum Gebet in die Kirchen zusammen wie in der Erweckungszeit. Da
die Räumlichkeiten nicht ausreichten, beteten sie außerhalb. Natürlich blieb de
n Kommunisten diese Gebetsbewegung nicht verborgen. Sie schlossen darum eine Kir
che nach der anderen. Sie konnten aber den Gebetsstrom nicht mehr stoppen. Die G
ebetsversammlungen wurden noch gewaltiger als die von 1906/1907.
Die Christen trafen sich vor Sonnenaufgang. Manchmal um 5 Uhr, vielfach auch sch
on um 4 Uhr. Niemand fragte mehr nach der Witterung. Weder Kälte noch Schnee, no
ch Regen konnte sie abhalten. Tausende fanden sich ein. Sie beteten gleichzeitig
wie in den Tagen, da der Heilige Geist Korea heimgesucht hatte.
Wir kennen aus der Kirchengeschichte kein Beispiel, daß in einer einzigen Gebets
versammlung 10 000 Beter ihr Flehen zum Himmel schickten. Und doch war das noch
nicht der Höhepunkt. Führende Christen in Nordkorea sagten aus, es hätte Versamm
lungen mit 12000 Beter gegeben. Und das, nachdem schon Tausende von Christen nac
h Südkorea geflohen waren.
Natürlich wurden diese gewaltigen Gebetsversammlungen auch von politischen Spitz
eln besucht. Welche Behörde will aber 12000 Beter auf einmal verhaften? Die Komm
unisten pickten sich aber führende Männer heraus. Und doch konnte sich der Gebet
sgeist nicht durch den roten Terror stoppen lassen.
Unheimliche Terrorakte der Roten ließen viele Christen den Plan fassen, die Fluc
ht nach Südkorea zu wagen. Es sind schreckliche Dinge passiert, die von wahrheit
sliebenden Christen berichtet worden sind. Einige Christen wurden von chinesisch
en Kommunisten tagelang an Kreuzen aufgehängt, bis sie unter Qualen starben. Tre
uen Zeugen, die nicht abließen, die Botschaft von Jesus weiterzusagen, wurden vo
n den Rotchinesen die Zunge herausgeschnitten. Kinder, die bei einer heimlichen
Sonntagsschule erwischt worden waren, wurden taub gemacht. Die roten Unholde sch
lugen ihnen die Eßstäbchen in die Ohren und zertrümmerten dadurch das Gehör.
Diese Greuel verwandelten die nordkoreanischen Gemeinden in eine Katakombenkirch
e oder Untergrundkirche, wie man heute sagt. Es wäre gut, wenn die manchmal verb
lendeten Christen des Westens die Wurmbrandbücher lesen würden. Dieser Autor, de
r selbst von Kommunisten 14 Jahre lang gefoltert worden ist, hat viele Terrorakt
e der Kommunisten berichtet. Seine Berichte entsprechen der Wahrheit, wie ich se
lbst durch gläubige Flüchtlinge feststellen konnte.
Wer von den nordkoreanischen Christen eine Möglichkeit sah, sich nach dem Süden
durchzuschlagen, betrat diesen gefahrvollen Weg. Sie schlichen sich durch die Ka
mpf fronten hindurch. Wer von den Kommunisten erwischt wurde, verlor dabei sein
Leben. Und doch gelang es vielen, den mit Märtyrerblut getränkten Boden Nordkore
as zu verlassen.
2. Syngman Rhee
In den Jahren 1945 bis 1950, da in Nordkorea die Kommunisten Volk und Land knebe
lten, hatte Südkorea zwei Chancen.
Zunächst einmal profitierten die christlichen Gemeinden im Süden von dem Zustrom
der nordkoreanischen Flüchtlinge. Diese leidgeprüften Christen brachten einen g
roßen Gebetsgeist mit und gründeten vielfach im Süden Gebetsversammlungen. Wir w
erden noch davon hören, wenn über die Gründung der Young Nak Kirche berichtet wi
rd.
Der zweite günstige Faktor für das christliche Gemeindeleben war die Gestalt des
ersten Staatspräsidenten, der ein überzeugter Christ war. Hören wir seine Gesch
ichte.
Korea hat viele einmaligen Dinge. Ich weiß nicht, ob es noch sonstwo in der Welt
einen Staatspräsi¬denten gibt, der erzählen kann, wie er zu Christus gefunden h
at.
Während der japanischen Besatzungszeit war Syngman Rhee ein großer Patriot. Sein
ganzes Bestreben war, sein Land und Volk von der verhaßten Fremdherrschaft befr
eit zu sehen.
Aus Geldnöten fand er sich bereit, christlichen Missionaren Sprachunterricht zu
erteilen. Die Mission war ihm eigentlich zuwider. Die Missionare waren für ihn a
uch nur Ausländer, von denen er sein Land verschont sehen wollte. Beim Sprachunt
erricht merkte er aber, daß diese christlichen Männer seinem Volk gut gesinnt wa
ren.
Da Rhee als Widerstandskämpfer auf der schwarzen Liste der Japaner stand, hatte
er oft zu verschwinden, um sich einer Verhaftung zu entziehen. Bei einer solchen
Flucht fand er bei einem amerikanischen Missionar mit Namen Dr. Avison Untersch
lupf. Da ihm die Japaner aber überallhin folgten, hatte er zuletzt ins Ausland u
nterzutauchen. Er hielt es aber nicht lange in der Fremde aus, da er sich auf Ge
deih und Verderb mit Korea verbunden wußte. Er kehrte daher nach Seoul zurück. K
urze Zeit später wurde er dort verhaftet und zum Tode verurteilt.
Man sperrte ihn in die Todeszelle, die nur zwei Meter im Quadrat groß war und ei
ne sehr schlechte Entlüftung besaß. Zu allem Übel wurde er nachts in den Stock g
eklemmt. Das ist das gleiche Marterwerkzeug, das Paulus und Silas im Gefängnis i
n Philippi erlebten (Apg.16,24).
Jeden Morgen erwartete Rhee den Henker. Seltsamerweise ließ dieser aber lange au
f sich warten. Das ist nicht unverständlich, da Gott seine Hand über ihn hielt,
obwohl er noch nicht gläubig war. Die amerikanischen Missionare, die von seiner
Verhaftung gehört hatten, beteten viel für ihn, da er ja ihr Sprachlehrer gewese
n war.
In der Wartezeit bat er seinen Wärter, er möchte ihm bei den amerikanischen Miss
ionaren eine Bibel und ein Wörterbuch ausborgen. Wiederum war es die Freundlichk
eit Gottes, daß der Wärter diese Bitte erfüllte. Man gibt auch sonst in der Welt
einem Todgeweihten einen letzten Wunsch frei.
Mit großem Eifer las er die Bibel, die ihn nun in der Einsamkeit der Zelle und i
n der Todesnähe mächtig ansprach. Er erinnerte sich auch an die Worte der Missio
nare, die einmal zu ihm gesagt hatten: "Gott erhört Gebet."
Rhee betete zum ersten Mal in seinem Leben und sagte: "O Gott, rette meine Seele
und rette mein Land." Unmittelbar danach schien seine Zelle mit Licht erfüllt z
u sein. Er wurde mit dem Frieden Gottes erquickt. Von dieser Stunde an war er ei
n anderer Mann. Sein Haß gegen die Missionare, sein Haß gegen die Japaner war ve
rschwunden.
Der umgewandelte Mann tat das Beste, was ein neugeborener Christ stets tun sollt
e. Er bezeugte seinen Herrn vor seiner Umgebung. Der Gefängniswärter war aber de
r einzige Mensch, den er zu Gesicht bekam. Darum erzählte er ihm seine Erfahrung
mit Jesus. Als der Bruder des Wärters ins Gefängnis kam, um seinen Bruder zu be
suchen, bekannte Rhee auch diesem Mann sein Erlebnis. Die Frucht dieses Zeugniss
es war, daß beide Männer sich bekehrten. Auch hierin liegt eine Ähnlichkeit mit
der Geschichte im Zuchthaus in Philippi. Auch dort hatte sich der Gefängnisaufse
her bekehrt.
Nun waren plötzlich der zum Tode Verurteilte, sein Wärter und dessen Bruder geis
tliche Brüder geworden. Ihre Kirche war die Todeszelle. Der Wärter handelte von
nun an wie jener Kollege in Phi¬lippi, der Paulus die Füße wusch und die Wunden
verband. Rhee wurde nicht mehr in den Stock gelegt. Er bekam besseres Essen und
wurde in eine freundlichere Zelle umquartiert.
Der Gefängnisleitung blieb die große Veränderung ihres wichtigsten Gefangenen ni
cht verborgen. Als daher der Mann von der Todesliste darum bat, innerhalb des Ge
fängnisses eine Schule für die Mitgefangenen zu eröffnen, da wurde es ihm bewill
igt. Auch viele weitere Wünsche wurden ihm erfüllt. Er durfte Briefe nach drauße
n schreiben und erhielt christliche Traktate und Schriften von den Missionaren.
So entstand im Gefängnis eine Bibelschule. Die schönste Frucht dieser Gefängnisz
eit war, dag der Bruder seines Wärters anfing, sich für das geistliche Amt vorzu
bereiten. Er besuchte ein Seminar in Amerika und wurde Pastor.
Es entsprach dem Plan Gottes, daß Rhee wieder freikam. Und dieser Mann wurde der
erste Präsident von Korea, wie wir bereits hörten. Welches Land der Erde hat so
lche "politischen" Geschichten aufzuweisen?
Syngman Rhee bewährte seine christliche Einstellung auch in seinem hohen Amt. Vi
ele der höchsten Ämter wurden mit treuen Christen besetzt. So war sein Generalst
abschef ein treuer Kirchgänger, der keinen Sonntag in der Kirche fehlte. Dazu le
itete dieser General nebenamtlich ein christliches Waisenhaus. Viele Pastoren wu
rden die Distriktsgouverneure Koreas. Überall spürte man im Lande den persönlich
en Einfluß des Präsidenten, der in seinem Glauben nicht hochmütig wurde, sondern
ein schlichter und treuer Christ blieb bis zu seinem Tode.
3. Der Terror greift nach Südkorea
Syngman Rhee, der 1948 sein hohes Amt angetreten hatte, war es nicht lange vergö
nnt, eine friedliche Aufbauarbeit zu treiben. 1950 kam der rote Ansturm aus Nord
korea. Das ganze Land geriet in größte Angst, weil man von den nordkoreanischen
Flüchtlingen wußte, was zu erwarten war. Mit Zittern sah man dem kommenden Unhei
l entgegen. Es füllten sich die Kirchen. Überall wurden Gebetsversammlungen abge
halten. Eine der stärksten Betergruppen war in der Young Nak Church. In dieser G
emeinde waren ja die meisten der nordkoreanischen Flüchtlinge vereinigt, die den
roten Terror schon einmal hatten durchstehen müssen. Sie ahnten nicht, daß es b
ei dieser zweiten Bedrohung gar nicht bleiben würde.
Die Rotchinesen nahmen Seoul, die südkoreanische Hauptstadt, ein. Die Regierungs
mitglieder hatten sich nach dem Süden absetzen müssen. Viele hochstehende Nordko
reaner befanden sich ebenfalls auf ihrer zweiten Flucht. Sie hatten damit schon
zum zweiten Mal alles verloren.
Die Kommunisten hielten hartnäckig ihre Stellungen, bis die UNO Truppe, vorwiege
nd die Amerikaner, die Roten nach dem Norden abdrängten und hinter die Demarkati
onslinie zurückjagten. Bei diesen Kämpfen waren es ausgerechnet die amerikanisch
en Granaten, die am meisten Zerstörung in Seoul anrichteten. Sehr schmerzlich wa
r der Verlust des Bibelhauses, das erst einige Jahre zuvor unter unsäglichen Müh
en errichtet worden war und nun ein Raub der Flammen wurde. Es war gerade mit Bi
beln und Bibelteilen vollgepackt worden, als dieser unerwartete Schlag es traf.
Das Leid schien kein Ende nehmen zu wollen. Viermal wechselte Seoul seinen Herrn
, bis es zu einem Waffenstillstand kam. Dieser rote Terror brachte trotz alles L
eides Südkorea Segen. Die Christen waren von einem neuen Wirken des Heiligen Gei
stes heimgesucht worden. Die Jahre nach dem "Koreakonflikt" sind angefüllt von e
iner ungeheuren Aktivität der christlichen Gemeinden. Die Young Nak Kirche erhie
lt dauernd Zustrom durch die nordkoreanischen Flüchtlinge. Die christlichen Schu
len und Universitäten, die vorher nur wenig Studenten hatten, waren nun mit Taus
enden von Studenten gefüllt. Das presbyterianische Seminar allein erhielt 6000 S
tudenten, die Pastoren werden wollten. Es ist damit zum größten presbyterianisch
en Seminar der ganzen Welt geworden. Der Bibelklub erreichte im ganzen Land eine
Mitgliederzahl von 70.000. Die Kirchen errichteten Witwen- und Waisenhäuser. In
der Armee wurden 350 Planstellen für Kaplane geschaffen. Die Auswirkung ist, da
ß heute die südkoreanische Armee 1.5 Prozent Christen hat, während der Prozentsa
tz im ganzen Volk nur 7 ist. Seoul, das vorher 30 christliche Gemeinden besaß, h
at nunmehr 600. Pusan, die Stadt im Süden, die 12 christliche Gemeinden besaß,
hat deren jetzt 200. Von den 150.000 nordkoreanischen Kommunisten, die in Gefang
enschaft geraten waren, bekehrten sich 20 000. Das ist in keinem Gefangenenlager
des Ersten oder Zweiten Weltkrieges passiert.
Was der Teufel Böses zu bringen trachtete, hat Gott in Segen umgewandelt. Der He
rr hat das Schreien seiner Kinder erhört. In Psalm 34 heißt es: Da dieser Elende
rief, hörte der Herr und half ihm aus allen seinen Nöten." Und durch den Prophet
en Jeremia verhieß der Herr: "Ich will euch zu Hilfe kommen in der Not und Angst
unter den Feinden." Koreas Beter hatten das erfahren dürfen.
4. Der heilsame Schock
Nach dem koreanischen Krieg betrat ich zum ersten Mal koreanischen Boden. In Seo
ul eingetroffen, nahm ich mit der presbyterianischen Kirche am Südtor Kontakt au
f. Ich wurde eingeladen, am nächsten Morgen bei der Gebetsversammlung eine kurze
Botschaft zu geben. Gern sagte ich zu, war aber nicht wenig erstaunt, als man m
ir die Uhrzeit nannte: 5 Uhr morgens.
Um 5 Uhr jagte es durch meinen Sinn , und das bei dieser Kälte! Wer wird da s
chon kommen? Ich ging in mein Hotel. Um 4 Uhr rasselte mein Wecker.
Regen klatschte gegen mein Fenster. Die Gebetsstunde fällt aus wegen Regen, war
mein erster Gedanke. Ich wickelte mich in die Decke und versuchte weiterzuschlaf
en. Es gelang nicht. Du mußt wenigstens dein Versprechen erfüllen und dort aufkr
euzen, auch wenn nur der Pastor da sein sollte. So zog ich mich schließlich etwa
s unlustig an und machte mich auf den Weg. Es war nicht gerade ermutigend, daß d
er Taxifahrer die doppelte Gebühr verlangte. Nun, er hatte ja das Recht, den Sat
z für Nachtfahrten zu nehmen.
Der Komplex der presbyterianischen Kirche tauchte auf. Ein übernüchterner Bau oh
ne Verglasung der Fenster. Offene Höhlen starrten mich an, durch die Schnee und
Regen in das Innere drangen. Wieder sagte ich mir: Du hast den Weg umsonst gemac
ht. Bei dieser Kälte und Nässe geht doch morgens um
Uhr niemand zur Gebetsstunde.
Ich stemmte mich gegen den Wind und betrat die Kirche. Was war das? Die Augen wo
llten mir aus den Höhlen treten. Der Raum war vollgepackt mit Menschen. Keine Be
stuhlung. Sie hockten oder knie¬ten auf Strohmatten. Ich war geradezu bestürzt u
nd wandte mich zum Podium. In großer Verlegenheit wandte ich mich an die leitend
en Brüder und fragte: "Was soll das bedeuten? Es ist doch unmöglich, daß zum Wil
lkomm eines Missionars die ganze Gemeinde aufgeboten wird."
"Das ist unsere reguläre Gebetsstunde", wurde mir gesagt. "Mitten in der Woche?"
fragte ich ungläubig. "Nicht am Sonntag, wenn die Gemeindeglieder Zeit haben?"
"ja, wir kommen doch täglich zusammen", wurde mir erklärt. Wieder verschlug es
mir den Atem. "Wie viele Menschen sind denn das?" wollte ich wissen. "Beinahe d
reitausend, die ganze Gemeinde." Ich war wie verstört und stellte das Fragen ein
.
Einer der Ältesten gab ein Lied an und stimmte sofort an. Es gab keine Orgelbegl
eitung und keine Gesangbücher. Ein anderes Musikinstrument hatten sie ebenfalls
nicht in diesem kahlen Bau, der eher einer verlassenen Fabrik ähnlich war als ei
ner Kirche.
Dann beteten sie. Alle dreitausend Menschen zur gleichen Zeit. Hätte man mir vor
her das gesagt, dann hätte ich abgewehrt mit dem Hinweis: "Das ist Schwärmerei!"
So aber fühlte ich die Harmonie des Geistes in diesem Beten. Es war keine Unord
nung und nicht zu vergleichen mit dem Rumor extremer Richtungen. Beinahe eine St
unde lang wurde gebetet.
Dann bat mich einer der Ältesten um meine Botschaft. Er fügte hinzu: "Bitte eine
kurze Botschaft, nicht länger als eine Stunde. Diese Menschen müssen um 7 Uhr z
ur Arbeit gehen.¬ Eine kurze Botschaft von einer Stunde, echote es in meinem Geh
irn. Mit welchen geistlichen Begriffen leben denn diese Christen? In welchem Lan
d der westlichen Welt dürfte der Pastor bei einer Gebetsstunde eine Stunde lang
predigen?
Mir war das Predigen bei dem Beten dieser Menschen ohnehin vergangen. Was sollte
ich diesen Brüdern und Schwestern sagen? Sie hatten doch mir gepredigt, ehe ich
den Mund auftat. Ich kam mir angesichts dieser geistlichen Situation so unsagba
r nebensächlich, so winzig und kläglich vor.
Diese Gemeinde braucht doch keine Missionare aus der westlichen Welt. Es sei den
n, damit Missionare lernen, was Beten heißt.
Diesen Gedanken sprach ich am nächsten Tag aus, als ich einen Missionar traf. "W
as tun wir eigentlich hier?" redete ich ihn an. "Wir sind doch überflüssig." Er
verstand mich und gab seine Zustimmung: "Wir sind hier, damit uns gezeigt wird,
was neutestamentliche Gemeinde ist."
5. Beten ohne Unterlaß
Der Apostel Paulus schrieb an die Thessalonicher (1:5,17): "Betet ohne Unterlaß!
" Nirgends in der Welt sah ich eine solche Erfüllung dieser biblischen Mahnung w
ie in Korea. Vielleicht ist es heute wieder so in den indonesischen Erweckungsge
bieten.
Ich hatte mich von dem Schock der ersten Gebetsstunde noch nicht erholt, da saß
ich schon in der nächsten Gebetsversammlung. Ich war nun einmal in den Sog diese
r betenden Schar geraten. Zum erstenmal verstand ich, was in Apostelgeschichte 2
,46 steht: "Sie waren täglich einmütig im Tempel beieinander." Täglich! Wo sind
wir in den christlichen Gemeinden des Westens hingekommen? Wir beten um Erweckun
g, und es geschieht nichts! Wundern wir uns darüber?
Bei der dritten Gebetsstunde fragte ich die Brüder.
"Wie oft kommt Ihre Gruppe in der Woche zum Gebet zusammen?" Sie antworteten: "T
äglich!" Drei verschiedene Gebetskreise, die jeden Morgen zusammenkommen! "Wie l
ange schon besteht dieser Brauch?" "Seit fünf Jahren , war die Antwort. Ich fing
an zu rechnen: 365 mal 5 mal 3 gibt 5475 Gebetsstunden mit je 3000 Menschen. Un
d das soll nicht Gottes Thron erreichen?
Mit dieser Information hatte ich aber noch nicht alles erfahren. Erst im Verlauf
eines mehrwöchigen Aufenthaltes bin ich langsam hinter all die wunderbaren Gehe
imnisse dieser betenden Gemeinde gekommen.
Es bestand ein nächtlicher Gebetsdienst. Jede Nacht betete eine Gruppe von etwa
hundert Christen. Natürlich wechselten die Gruppen ab. jeden Abend kamen andere
Christen zusammen. Seit fünf Jahren beteten in dieser Gemeinde jede Nacht hunder
t Menschen bis zum Morgengrauen. Und einmal in der Woche, Samstag auf Sonntag, b
eteten tausend Christen die ganze Nacht hindurch. Ich verstand damit zum ersten
Mal, was in Apostelgeschichte 12,5 steht: "Sie beteten unaufhörlich zu Gott."
Manche Schriftstelle bekam neues Gewicht für mich. In 3. Mose 24, 2 heißt es: "H
alte die Lichtflamme dauernd am Brennen. Die katholische Kirche hat zwar ein ewig
es Licht vor dem Altar. Aber damit ist es nicht getan, daß wir schöne Symbole in
unseren Kirchen haben, sondern daß die Herzen der Gläubigen dauernd am Brennen
sind, und die Flamme, der Weihrauch des Gebets, nie verlöscht. Die Beter Koreas
zeigten mir die Bedeutung von Offenbarung 5, 8: "Goldene Schalen voll Räuchwerk,
das sind die Gebete der Heiligen."
6. Sein Name macht stark
Nach der Ausgießung des Heiligen Geistes gingen Petrus und Johannes in den Tempe
l. An der Tür trafen sie einen Lahmen. Der arme Mann erwartete von den Aposteln
eine Geldgabe (Apg. 3, 6). Petrus sah ihn an und sagte: "Silber und Gold habe ic
h nicht, was ich aber habe, gebe ich dir: Im Namen Jesu stehe auf und wandle!" D
abei ergriff er die Hand des Krüppels und richtete ihn auf. Der Gelähmte wurde s
ofort geheilt, sprang umher, pries und lobte Gott. Die umherstehenden Menschen s
taunten über diese Wundertat. Die Apostel nahmen diese Gelegenheit zu einer Bots
chaft wahr. Sie wiesen alle Ehre von sich ab und verkündigten: "Durch den Glaube
n an seinen Namen hat diesen, den ihr sehet und kennet, sein Name stark gemacht,
und der Glaube durch ihn hat diesem gegeben die Gesundheit vor euren Augen" (Ap
g.3,16).
Ich hätte nicht gedacht, daß ich selber einmal Zeuge eines solchen Vorganges wer
den sollte. Bisher war ich der Meinung, dag diese Wunder der Urgemeinde vorbehal
ten waren. Natürlich war ich in der Nachfolge Jesu nie ein Modernist und Rationa
list gewesen, sondern glaubte stets kindlich dem Wort Gottes. Es fehlte mir aber
jegliches Anschauungsmaterial. In Korea sollte ich es bekommen.
Diese betenden Gemeinden machten keinen Rumor mit "Zungen und Heilungen". Nur ei
nmal im Monat ist eine besondere Gebetsstunde für Kranke. Ich erlebte eine solch
e Stunde mit. Es fehlt mir vollkommen der Wortschatz, um das zu beschreiben, was
ich dabei empfand. Ich kann nur eines sagen: Anstatt des hektischen Betens und
der Zwängerei, wie man es in extremen Gruppen erlebt, war hier eine Offenbarung
der Herrlichkeit Gottes.
Ein Gelähmter wurde in die Gebetsstunde gebracht. Einige Koreaner hatten abwechs
lungsweise diesen Krüppel 80 km weit auf dem Rücken hergetragen. Nun lag er vor
den Betern. Das verkrüppelte Bein und der verkrüppelte Arm waren kürzer als die
gesunden Glieder. Es wurde über ihm gebetet. Es kam Blut und Bewegung in die ver
kümmerten Glieder. Der Gelähmte reckte und streckte sich. Er sprang auf die Bein
e und probierte die geheilten Glieder aus. Die Verkürzungen verschwanden. Die kr
anken und gelähmten Glieder streckten sich auf die normale Länge der gesunden Gl
ieder. Darüber entstand bei den Betern kein Geschrei, sondern ein wunderbarer Lo
bpreis Gottes. Ich hätte keinem Berichterstatter das geglaubt, wenn ich es nicht
selbst gesehen hätte.
Ein anderer Kranker lag auf einer Tragbahre. Er hatte eine Lungentuberkulose im
letzten Stadium. Er war nur noch ein Skelett. Bei jedem Atemzug standen Blutblas
en auf seinen Lippen. Ein Bild des Jammers! Man konnte das fast nicht mit ansehe
n. Sie beteten über ihm und riefen den Namen des Herrn an. Der Kranke erholte si
ch zusehends beim Gebet. Er konnte seinen Brustkorb kräftig ausdehnen und weiten
. Man sah, wie er seine Lungen anstrengte und kräftig atmete. Er wurde durch des
Herrn Hand völlig geheilt.
Auch bei diesem Vorgang der Heilung wurden mir einige Bibelworte lebendig. Wie o
ft hatte ich schon über Markus 2,10 predigen hören: "Des Menschen Sohn hat die M
acht." Manchmal hatte mich auch das Wort aus 2. Chronik 20, 6 gestärkt: "In dein
er Hand ist Kraft und Macht." Noch nie habe ich aber solche Machtbeweise seiner
Hand gesehen wie hier unter diesen Betern.
Ein Junge trat in den Kreis der Gemeinde und bat um Fürbitte. Seine Hand war ver
trocknet. Er konnte die Finger nicht bewegen. Er bekannte seine Schuld und liefe
rte sein Leben Jesus aus. Dann wurde über ihm gebetet. In diesem Augenblick wurd
e seine verdorrte Hand durchblutet. Man merkte dem jungen die Freude an, seine H
and gebrauchen zu können. Er griff nach Gegenständen seiner Umgebung. Er spielte
mit seinen gesunden Fingern. Eine unbeschreibliche Freude lag auf seinem Gesich
t. Welch ein Herr, der im 20. Jahrhundert solche Dinge tut. Und welch ein Gerich
t über die laue Christenheit des Westens, daß wir soweit gekommen sind, daß wir
nicht mehr glauben können. Mir ging es ja selbst so. Ich hätte an allem gezweife
lt, wenn ich nicht selbst Augenzeuge gewesen wäre.
Bei diesen Ereignissen mußte ich unablässig Buße tun. Die Nähe des Herrn erdrück
te mich schier. Es ist doch ein Unterschied, ob man von solchen Wundern im Neuen
Testament liest, oder ob man selbst das miterleben darf. Die Sprache reicht nic
ht aus, um der Heiligkeit und Herrlichkeit des gegenwärtigen Herrn gebührend Aus
druck zu verleihen.
Nach meiner Rückkehr aus Korea erzählte ich einer westlichen Gemeinde meine Erle
bnisse. Da bat mich ein Pastor: "Bitte bete mit meinen Kranken und mache sie im
Namen des Herrn gesund!" Ich antwortete ihm: "Wie viele Gemeindeglieder haben Si
e?" Er erwiderte: "Zweitausend." "Wie viele Leute haben Sie in den Gebetsstund
en?" "Zwanzig bis dreißig, die einmal in der Woche zusammenkommen." Dann sagte
ich ihm: "ich bin bereit, mit Ihren Kranken zu beten, aber nur unter der Beding
ung, daß sie fünf Jahre lang mit allen 2000 Gemeindegliedern jeden Morgen um 5 U
hr zum Gebet zusammenkommen." So war es in Korea. Wir quälen uns umsonst ab, sol
ange nicht neu¬testamentliche Zustände in unseren Gemeinden herrschen.
Das Besondere an diesen Krankenstunden war, dag alles ruhig und ohne das übliche
Aufpeitschen seelischer Kräfte vor sich ging. Was wird uns alles in den extreme
n Gruppen als Heilung angeboten. Wird es dann nachgeprüft, dann stimmt es nicht,
oder es sind nur wenig dauerhafte Suggestivheilungen.
7. Neutestamentliches Klima
Bevor ich die Krankenstunden miterlebt hatte, war es mir in den Sinn gekommen, d
er betenden Gemeinde zu sagen, daß die Rettung des Menschen wichtiger ist als se
ine Heilung. Ich wollte ihnen zurufen: "Predigt das Wort! Vergebung ist mehr als
Gesundwerden." Ich habe diesen Vorsatz nicht ausgeführt. Was wir im Westen als
gute biblische Theologie anbieten wollen, wird dort bei diesen schlichten Betern
praktiziert.
Wie schon erwähnt, war unter 30 Gebetsstunden nur eine Krankenstunde. In den übr
igen Gebetsvereinigungen ging es um die Anbetung Gottes und um Fürbitte jegliche
r Art.
Ein anderes Merkmal der koreanischen Christen ist ihre große Opferbereitschaft.
Sie setzen sich finanziell für die Verkündigung des Wortes Gottes ein, wie ich e
s sonst nirgends in der Welt gehört habe.
Viele dieser Beter sind Reisbauern. Trotz der biblischen Regel, daß der Bauer zu
erst die Frucht seiner Arbeit genießen soll, nehmen die koreanischen Christen di
ese Freiheit nicht in Anspruch. Sie verkaufen den Reis und kaufen die um die Häl
fte billigere Hirse. Den Reinertrag, das heißt 50 Prozent ihrer Arbeit geben sie
für die missionarische Arbeit. Sie senden damit Missionare in die umliegenden L
änder und verbreiten dadurch das Evangelium. Sie geben also nicht den Zehnten, s
ondern die Hälfte ihrer Einnahmen.
Dieses Beispiel wird uns satte Christen des Westens in der Ewigkeit vor dem Geri
cht Gottes Not machen. In welchem Überfluß leben wir im Vergleich zu solchen Opf
ern.
Wollen wir angesichts einer solchen Treue und Hingabe uns noch wundern, daß die
neutestamentlichen Wunder sich in dieser Erweckung wiederholten?
Mit zu den gewaltigsten Erfahrungen im Kreis dieser Beter gehört die Beobachtung
, daß die Botschaft vom Kreuz in der Mitte der Verkündigung und des Lebens steht
. Deshalb kam mir mein ursprünglicher Plan, diesen Menschen etwas von der Bedeut
ung des Kreuzes zu sagen, kümmerlich, wenn nicht gar lächerlich vor. Was ich sag
en wollte, leben diese Christen aus.
Die koreanische Erweckung hat nichts zu tun mit der "Zungenbewegung" unserer Tag
e. Sie hat auch nichts gemeinsam mit der sogenannten "Faith Healing Mission" (He
ilungsmission) und mit den an¬geblichen charismatischen Strömungen der Gegenwart
.
Es geht unter den Christen Koreas nüchtern zu, biblisch klar, ohne ekstatische R
anderscheinungen. Der Herr Jesus wird verherrlicht. Der Heilige Geist ist am Wer
k, ohne daß versucht wird, ihn zu zwingen und unseren frommen Wünschen unterzuor
dnen. Es herrscht hier das echte pfingstliche Klima der Apostelgeschichte, nicht
die Atmosphäre der Schwärmer.
Das Zentrum der Erweckungsbewegung 1907 war Pjöngjang in Nordkorea. Der Mittelpu
nkt der zweiten Welle der Erweckung war Seoul in Südkorea. Der Geist Gottes weht
, wo er will, nicht wo wir planen und es wünschen.
Wie steht es nun aber mit der christlichen Gemeinde unter den Kommunisten in Nor
dkorea? Wir haben schon einiges darüber gehört. Nehmen wir den Bericht wieder au
f.
8. Die Untergrundkirche
In den christlichen Blättern ist in letzter Zeit viel um die Existenz der Unterg
rundkirche gestritten worden.
So schrieb ein Mann, der vier Wochen in Rumänien weilte, Pfarrer Wurmbrand hätte
ein verzerrtes Bild von der Lage gegeben. Es ist doch seltsam, daß ein Mann nac
h einem vierwöchigen Besuch die Situation des Landes besser kennen will als ein
Mann, der 50 Jahre in dem betreffenden Land gelebt hat.
Um Zeugen zu haben, nahm ich mit drei rumänischen Pfarrern, die gläubig sind, Ve
rbindung auf. Ich fragte: "Ist die Situationsschilderung von Wurmbrand richtig o
der nicht?" Alle drei bestätigten die Wahrheit der Aussagen von Wurmbrand. Einer
dieser drei Rumänen war selbst sieben Jahre in kommunistischen Gefängnissen und
hat ähnliche Folterungen wie Wurmbrand erlebt. Der zweite berichtete, daß die K
irche, deren Gemeinde er betreute, von den Kommunisten weggenommen wurde. Sie ko
mmen seither viele Kilometer außerhalb des Ortes unter freiem Himmel zum Gebet z
usammen. Der dritte, der sich noch in Rumänien befindet, schrieb mir, daß er sic
h nicht einmal zwei Tage von seiner Gemeinde entfernen darf, ohne es der Behörde
vorher zu melden. Dazu darf er in keiner anderen Gemeinde sprechen als in seine
r eigenen, und das nur mit allergrößten Einschränkungen.
Warum wird von diesen "Vierwochenreisenden" die Wahrheit so entstellt? Nun, der
Vorgang ist bekannt. Es steht nicht immer böser Wille dahinter. Wie kommen diese
Berichte zustande?
Es soll das an einem russischen Beispiel gezeigt werden, das in gewisser Abwandl
ung für alle kommunistisch beherrschten Länder gilt.
Moskau hat ein theologisches Seminar. Haben wir recht gehört? Jawohl, in der rot
en Metropole eine theologische Ausbildungsstätte! "Da seht ihr es ja, daß in Ruß
land eine religiöse Freiheit herrscht, wenn der Staat sogar Priester ausbilden l
äßt", sagen die Vierwochenreisenden . Was ist aber der eigentliche Sinn dieses Semi
nars? Verfolgen wir den Zweck. Ein junger gläubiger Russe erlebte seine Bekehrun
g. Er war so feurig für den Herrn Jesus, daß er Priester werden wollte. In seine
r Ahnungslosigkeit meldete er sich bei dem theologischen Seminar in Moskau, um s
ich ausbilden zu lassen. Er erhielt daraufhin von der Behörde eine abschlägige A
ntwort, daß nur von der Regierung ausgesuchte Leute dort studieren dürften. Der
gläubige Mann, mit dem Namen J. S. aus dem Dorf M., war aber hartnäckig. Er ließ
sich nicht so schnell abbringen. Da wurde er kurzerhand verhaftet und zu drei J
ahren Zwangsarbeit verurteilt. Wer begreift einen solchen Widerspruch? Die Touri
sten verstehen es nicht. Die werden mit Höflichkeit und guter Bewirtung "präpari
ert", damit sie ihren Heimatländern rosig gefärbte Berichte liefern. Wer aber da
s System kennt, weiß, was da gespielt wird.
Dieses theologische Seminar ist von Atheisten organisiert. Junge Kommunisten wer
den dafür abgeordnet, dort Theologie zu studieren. Sie werden dann Priester und
offizielle Pfarrer der Kirchengemeinden, um darin theologisch eingepackten Athei
smus und Kommunismus zu lehren. Die besondere Tragödie ist, daß sie einen Hauptt
eil ihrer Zurüstung der modernen Theologie entnehmen. Westliche Theologen schmie
den dem Osten die Waffen zur Christenverfolgung. Das läßt sich noch begreifen. U
nverständlich ist aber, daß gläubige Touristen aus dem Westen entstellende Beric
hte in westlichen Blättern veröffentlichen.
Das "Umfunktionieren" der Informationen aus dem Osten ist einer der diabolischst
en Vorgänge der Gegenwart. Dazu eine aufschlußreiche Episode aus erster Hand. Zw
ei westliche Kirchenführer besuchten Rumänien und erhielten vom Kultusminister e
ine Audienz. Eine ihrer ersten Fragen war: "Für welche Vergehen ist Wurmbrand im
Gefängnis gewesen?" Der Erzkommunist antwortete natürlich: "Wegen politischer V
ergehen." Dabei hat dieser Kommunist noch recht! Wenn durch das Zeugnis eines
Christen sich kommunistische Funktionäre bekehren, so ist das in den Augen des R
egimes ein politisches Vergehen. Man kann diesen Kultusminister bei einer solche
n Aussage nicht als Lügner verurteilen. Haarsträubend ist aber, daß die beiden
Männer aus dem Westen die Aussage des kommunistischen Ministers als der Weishei
t letzten Schluß im Westen ihren Gemeinden verkünden. Und noch haarsträubender i
st, daß es Blätter gibt, die diese Verdrehung als Neuigkeit in die christliche W
elt hineinposaunen.
Ein anderes tragisches Beispiel ist die Geschichte der 100 000 Bibeln. Mein Beri
chterstatter ist ein gläubiger Rumäne, der viele Jahre ähnlich wie Wurmbrand um
des Glaubens willen im Gefängnis saß und oft gefoltert wurde. Er unterrichtete m
ich über den Vorgang des angeblichen Bibeldruckes in Rumänien. Vor der Kommunist
enherrschaft hatte die Britische Bibelgesellschaft rumänische Bibeln nach Rumäni
en geschafft. Nach der kommunistischen Besetzung wurden die Bibelpakete jahrelan
g zurückgewiesen. Manche kamen aber auch durch. In den letzten Jahren wurde nun
zwischen der rumänischen Regierung und der Bibelgesellschaft das Abkommen getrof
fen, daß die rumänische Regierung den Druck von 100 000 Bibeln erlaubt. Die Bibe
lgesellschaft habe aber den Versand von rumänischen Bibeln einzustellen. Daraufh
in lieferte England das Papier und alles was für den Druck der 100 000 Bibeln nö
tig war, nach Bukarest. Die Regierung versprach den Druck. Die westliche Welt at
mete über die Lockerung des kommunistischen Systems auf. Die christlichen Blätte
r verkünden frohlockend den Druck von 100 000 Bibeln in einem kommunistischen La
nd und werten das als religiöse Freiheit. Was steht hinter dieser Aktion? In man
chen Gebieten in Rumänien wurden Listen ausgegeben, damit sich jeder eintragen k
onnte, der eine Bibel wünschte. Diese Aktion wurde zu einem vollen Erfolg, denn
der rumänische Geheimdienst besitzt nun die Anschriften dieser Bibelleser. Die K
ehrseite der Aktion ist: "Wo sind die 100 000 Bibeln?" Kein Buchladen weist sie
auf. Niemand weiß, wo sie zu bekommen sind. Erreicht hat die Regierung lediglich
, daß die offiziellen Lieferungen von Bibeln vom Ausland aufgehört haben. Der Ko
mmunismus hat diesen Schachzug gewonnen nur die Harmlosen im Westen haben diese
Taktik nicht durchschaut. Es mag nun durchaus sein, daß nach der Veröffentlichun
g dieser Broschüre, die immerhin in einer Erstauflage von 30 000 erscheint, jetz
t einige Bibeln in den Buchläden Bukarests ausgelegt werden, um den Touristen zu
zeigen: "Seht, wie bei euch im Westen gelogen wird." Und auch auf dieses Manöve
r werden die "Vierwochenreisenden" hereinfallen und weiterhin zur Vernebelung de
s Westens beitragen. Diese Blindheit ist eine Strafe, ja ein Gericht Gottes. Das
wird erst erkannt werden, wenn je dem Weltkommunismus die Überrumpelung des Wes
tens gelingen sollte, was Gott verhüten möge.
Ein häufig geäußertes Argument der Verneblungstaktiker ist die Aussage: "Eine Un
tergrundkirche gibt es nicht." Wie steht es damit? Wer allerdings eine organisie
rte Untergrundkirche mit Bischof und Konsistorium sucht, der findet sie in der T
at nicht. Das hat es in der Katakombenkirche Roms und anderer Städte des römisch
en Weltreiches auch nicht gegeben. Als Paulus nach Syrakus gekommen war, hielt e
r seine Gottesdienste nicht in dem Tempel eines römischen Gottes, sondern in den
Wasserleitungen der Stadt, die heute noch zu sehen sind. Die Gläubigen in den k
ommunistischen Ländern kommen unter der Gefahr der Verhaftung und Verschleppung
in Privathäusern, in Kellern, in Heuschobern, in Schlupfwinkeln, in Höhlen, in W
äldern zusammen. Sie haben keine Organisation, aber sie haben den Herrn Jesus in
ihrer Mitte. Wenn zwei Sowjetsoldaten sich bekehren und sich heimlich zum Gebet
treffen, so ist das nicht die offizielle, kommunistisch kontrollierte Kirche, a
ber es ist Untergrundkirche, echte Gemeinde Jesu. Diese Untergrundkirche ist unv
ermeidbar, solange Gottlose, Atheisten und Verleugner über die offizielle Kirche
herrschen. Gerade bei der Drucklegung dieses Taschenbuches kam aus Ungarn die N
achricht, daß ein ausgesprochener Atheist Minister für religiöse Angelegenheiten
geworden ist. Solche Maßnahmen führen in allen kommunistischen Ländern stets zu
r Bildung der kleinen illegalen Zellen gläubiger Christen.
Nach dieser grundsätzlichen Vorfühlung kommen wir zur Untergrundkirche von Nordk
orea. Wer sind meine Gewährsleute? Ich war bei einer Reihe von nordkoreanischen
Flüchtlingen zu Gast. Mein zuverlässigster Berichterstatter ist Dr. Han aus Seou
l, der viele Jahre in Pjöngjang in Nordkorea gearbeitet hatte. Er ist ein Freund
von Billy Graham, dazu bekanntester Pfarrer von Korea. Bei dem Weltkongreß für
Evangelisation 1968 in Singapore war er der Präsident. Er gab am 24. November 19
68 in Seoul einen Bericht über die Situation in Ostasien. Sein Sekretär gab mir
eine Kopie dieses Berichtes. Es ist ein grandioses Wort über das Thema: Geschlos
sene und offene Türen (Offb. 3, 8 u. 3, 20).
Dr. Han sagte dazu: "Die Türen für das Evangelium sind weit offen in Südkorea, J
apan, Philippinen, Indonesien, Taiwan, Hongkong, Singapore, Australien und Neuse
eland. Andere Länder dagegen sind für das Evangelium geschlossen. Dazu gehören:
Nordkorea, Rotchina, Burma. In diesen Ländern verriegelten die Kommunisten die T
üren. In Nepal verhindert der Buddhismus die christliche Mission. Wenn ein Nepal
ese zum Christentum übertritt und sich taufen läßt, dann kommt er ins Gefängnis.
Auch in Afghanistan hält der Islam die Türen zu. Auf der Bekehrung zu Christus
steht die Todesstrafe. In Malaysia und in Singapore machen die Chinesen 40 Proze
nt der Bevölkerung aus. Sie sind frei, ihre Religion zu wählen. Aber der malaysi
sche Bevölkerungsteil kann nur zum Islam gehören. Indien und Ceylon garantieren
die Religionsfreiheit. Und dennoch wird das Christentum nicht von der breiten Öf
fentlichkeit akzeptiert. In Pakistan stellt der Islam dem Evangelium viele Hinde
rnisse in den Weg."
Das ist der Überblick eines Mannes, der die meisten dieser Länder bereist hat. W
ie steht es nun mit Nordkorea?
Schon während des koreanischen Krieges waren die Christen in Nordkorea Repressal
ien ausgesetzt. Nach Beendigung dieses Feldzuges wurde den Christen jegliche got
tesdienstliche Betätigung verboten. Um dem Ausland gegenüber Religionsfreiheit z
u dokumentieren, wurde eine Scheinorganisation, die sogenannte "Christliche Alli
anz", gegründet. Der Vorsitzende, Dr. Kang Nam Ook, steht unter der Kontrolle de
r Kommunisten. Genau wie in Rußland und anderen kommunistischen Ländern ist die
offizielle Kirche der kommunistischen Regierung verpflichtet. War nicht die Welt
kirchenkonferenz in Uppsala der beste Beweis dafür? Die Bischöfe aus dem Osten h
aben mit einer Ausnahme ihren kommunistischen Regierungen die Steigbügel gehalte
n.
Es gibt aber in Nordkorea auch eine heimliche Kirche, die ihre Knie nicht vor Ba
al gebeugt hat. Hören wir davon.
1957 war in Nordkorea die Wahl zur Volksversammlung. In der Stadt Yongchun wunde
rten sich die Beamten bei der Auszählung der Stimmen, daß einige tausend Wahlber
echtigte von ihrem Stimm¬recht keinen Gebrauch gemacht hatten. Das war den Stadt
vätern peinlich, weil sie damit ihr Soll an abgegebenen Stimmen nicht erfüllen k
onnten. Obwohl es in Yongchun Christen gab, konnte man doch nicht nachweisen, da
ß die fehlenden Stimmen auf die Christen entfielen. Sie hatten allerdings beobac
htet, daß gewöhnlich an Sonntagen die Wahlbeteiligung so gering war. Darauf grün
deten sie ihren Verdacht. Die Geheimpolizei trat in Aktion. Die Christen wurden
in ihren Häusern aufgesucht. Sie waren am Sonntag daheim aber nicht anzutreffen.
Die Polizei forschte weiter und stöberte zuletzt die Vermißten an entlegenen Pl
ätzen auf, wie sie zusammen beteten.
Nach dieser Entdeckung wurden viele Christen verhört. Es kam dabei heraus, daß a
llein die Stadt Yongchun etwa 500 solcher Gebetszellen besaß, Die Untergrundkirc
he hatte also jeden Sonntag einige tausend Gemeindeglieder in den heimlichen Ver
sammlungen. Natürlich war die Geheimpolizei daran interessiert, den Organisator
dieser vielen "Zellen" zu entdecken. Einer von den verantwortlichen Männern war
Mr. Lee, ein ehemaliger Pfarrer aus einem anderen Distrikt. Er arbeitete auf ein
er Kolchose. In seiner Freizeit trieb dieser Christ Mission von Mann zu Mann und
schloß die gewonnenen Christen zu den erwähnten Gebetszellen zusammen. Lee und
einige andere Führer wurden verhaftet und zum Tode verurteilt.
Ein anderer Bericht liegt aus der Stadt Pakchun vor. Eine gläubige Lehrerin unte
rrichtete in Sprachen, Mathematik und Musik. Während der Musikstunden brachte si
e den Kindern nicht nur die vorgeschriebenen kommunistischen Lieder bei, sondern
auch christliche Hymnen. Die Kinder sangen daheim mit Begeisterung die christli
chen Lieder. Natürlich blieb das nicht verborgen. In der kommenden Verhaftungswe
lle wurde nicht nur die Lehrerin ins Gefängnis gesteckt, sondern auch Eltern, di
e ihren Kindern die christlichen Lieder nicht verboten hatten.
Ein weiteres Ereignis verdient unsere Beachtung. In der Stadt Sun Chun tauchte e
ines Tages ein alter Mann auf. Er wurde Vater Kim genannt. Dieser Greis hatte of
fensichtlich seinen Verstand verloren. Er wanderte in den Straßen umher und spra
ch vor sich hin. Eine seiner häufigen Gesten war der Blick zum Himmel und da nn
eine Handbewegung nach dem Süden. Die Polizei wurde dadurch auf ihn aufmerksam.
Sie forschten in seiner Vergangenheit nach und brachten heraus, daß er ein katho
lischer Priester gewesen war. Sie verhafteten ihn also. Er wurde zum Tode durch
Erschießen verurteilt. Unmittelbar vor der Exekution betete er laut und deutlich
: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun." Dann wurde er ersch
ossen. Wenn die beiden Teile von Korea je einmal vereinigt werden sollten, dann
werden wir von vielen anderen Märtyrern hören, deren Geschichte jetzt noch unbek
annt ist.
Aus Wonsan wurde ein anderer Vorfall bekannt. Im Duschraum einer Fabrik fiel ein
em Arbeiter ein kleines Kreuz zu Boden, das er um den Hals getragen hatte. Er wu
rde denunziert und dann sofort verhaftet. Vor der Geheimpolizei mußte er die Her
kunft dieses kleinen Kreuzes angeben. Daraufhin entdeckten diese Henker in Wonsa
n und Umgebung viele katholische Christen, von denen dann die führenden Männer z
ur Verantwortung gezogen wurden.
Diese Erlebnisse zeigen uns, daß die Türen in Nordkorea geschlossen sind. Es gib
t aber eine leben¬dige Untergrundkirche, Christen, die an verborgenen Plätzen zu
m Gebet zusammenkommen und sich durch das Wort Gottes für ihren Kampf stärken. W
ir können diesen bedrohten und angefochtenen Brüdern und Schwestern kaum helfen.
Wir können nur für sie beten und durch den Rundfunk tröstliche Botschaften über
den eisernen Vorhang hinweg zu ihnen senden.
9. Neue Wolken
Zwischen meinem ersten und zweiten Koreabesuch liegen 12 Jahre. Inzwischen war d
er unselige Vietnamkrieg losgebrochen, der dem Koreakrieg ähnlich ist. Der kommu
nistische Norden gibt keine Ruhe, sondern will Südvietnam unter seine Knute brin
gen. Die Amerikaner kämpfen wieder für den Süden wie damals in Korea. Die Situat
ion ist allerdings anders. In Korea lagen damals jeden Morgen Tausende von Chris
ten auf den Knien. Das fehlt in Südvietnam, wenn es auch hier kleine treue Chris
tengemeinden gibt.
Südkorea verfolgt mit größter Spannung den Verlauf des Vietnamkrieges, weil sein
Ausgang Auswirkungen auf Korea hat. Als der amerikanische Präsident vor zwei Ja
hren ankündigte, er wolle auf eine weitere Kandidatur verzichten und alles tun,
um den Krieg in Vietnam zu beenden, da standen die Südkoreaner wie unter einer S
chockwirkung.
Ich befand mich gerade an der Evangelischen Akademie in Seoul, als die Tagespres
se diese Nachricht brachte. Dr. Kang, der Akademieleiter, war bei dieser Zeitung
snachricht entsetzt. Er sagte mir: "Auf der ostasiatischen Kirchenkonferenz in B
angkok setzte ich meinen ganzen Einfluß ein, den Brüdern die Gefährlichkeit eine
s Verzichtes in Südvietnam klarzumachen. Die Russen stellen die Amerikaner als I
nterventionisten dar. Dabei waren doch sie es, die von Nordkorea aus die Demarka
tionslinie überschritten und angegriffen haben und nicht die Amerikaner vom Süde
n her. In Vietnam waren es wieder die Kommunisten, die Vietkong, die Südvietnam
angriffen und nicht die Amerikaner. Wenn der Amerikaner Südvietnam im Stich läßt
, dann wird nicht nur ganz Vietnam kommunistisch, sondern alle anderen jetzt noc
h freien Länder Ostasiens folgen in zehn Jahren nach. Ein Friedensschluß in Viet
nam bedeutet Krieg gegen die noch nicht kommunistischen Länder Ostasiens und bed
eutet vor allem ein entsetzlicher Terror gegen die christliche Kirche. Die Pazif
isten des Westens geben mit einem durch die Weltmeinung erzwungenen Friedensschl
uß in Vietnam den Kommunisten Frieden und allen übrigen Krieg, Unterdrückung und
eine unglaubliche Sklaverei. Es ist ein Jammer, daß ein Großteil des amerikanis
chen Volkes ihrer Regierung in den Rücken fällt."
Dr. Kang ist nicht der einzige in Korea, der so denkt. Er ist nur Sprecher für t
ausend andere.
Nach der Wahl Nixons und dem auf der Pariser Konferenz eingehandelten teilweisen
Abzug amerikanischer Truppen aus Südvietnam wurde das Entsetzen der Südkoreaner
noch größer.
Anläßlich eines Vortrages an einem großen College mit etwa 1700 Schülern kam ich
mit dem Rektor ins Gespräch. Er sagte: "Wir begreifen nicht die Naivität der Am
erikaner. John F. Kennedy, dieser fähige amerikanische Präsident, wurde von dem
in Moskau ausgebildeten Kommunisten Oswald getötet. Sein Bruder Robert Kennedy w
urde von Sirhan erschossen, der in sein Notizbuch geschrieben hat: Der Kommunismu
s ist das beste soziale System. Dr. Martin Luther King wurde von Mr. Ray, einem W
erkzeug des Weltkommunismus, umgebracht. Die besten Männer der USA werden von de
n Kommunisten abgeknallt, und doch können die Amerikaner diese Sprache nicht ver
stehen."
Dann kam aber das eigentliche Bekenntnis dieses christlichen Lehrers: "Wir korea
nischen Christen hatten in all den furchtbaren Wirren der vergangenen Jahre nur
unsere Zuflucht zum Gebet. Durch die Politik und durch militärische Aktionen all
ein wurden unsere Probleme nicht gelöst, sondern durchs Gebet. Das bleibt uns au
ch für die Zukunft. Wir beten weiter."
Weiterbeten! Das ist keine Beruhigungspille für schwache Gemüter. Wir Christen h
aben kein anderes Machtmittel als das des Gebetes. Wir wissen, dag Gott sein Kom
mando nicht abgibt. Er ist kein alter Greis geworden, der die Obersicht verloren
hat. Sein langes Schweigen ist nicht Zeichen seiner Schwäche, sondern bedeutet
Geduld. Ihm sind die Probleme auch der gerichtsreifen Welt nicht über den Kopf g
ewachsen. Er bringt seine Gemeinde durch, wenn es auch durch die Katakomben geht
. Am Ende alles Leides wird doch erfüllt sein, was in Psalm 29,11 steht. "Der He
rr wird sein Volk segnen mit Frieden."
III. Die Young Nak Gemeinde
Nach der großen Zwischenpause zwischen dem ersten und zweiten Besuch Koreas inte
ressierte mich, ob das Feuer der Erweckung noch brannte oder am Erlöschen war. E
s ist ja ein unergründliches Geheimnis, daß die geistlichen Aufbrüche stets nach
einigen Jahren oder Jahrzehnten abklingen. Die Waliser Erweckung hat nicht einm
al ein Jahrzehnt erreicht, obwohl natürlich die Auswirkungen noch viel länger zu
spüren waren. Welche Kraft und Ausdauer hat nun die koreanische Erweckung bewie
sen?
Untersuchen wir diese Frage an dem Gemeindeleben der Young Nak Kirche, die unter
den Hunderten von Kirchen am meisten herausragt.
1. Tradition oder Leben
Dieser Bericht entstand in Seoul. Es war der Sonntag Lätare: Freuet euch! Mit Fr
eude hatte dieser Tag begonnen. Die Tageslese behandelte die Gestalt Abrahams: "
Er wußte aufs allergewisseste, daß, was Gott verheißt, das kann er auch tun." "E
r zweifelte nicht an der Verheißung Gottes durch Unglauben, sondern war stark im
Glauben und gab Gott die Ehre." Es war eine wunderbare Zurüstung aus Römer 4.
In der zweiten Etappe schien dieser Sonntag keine Freude zu bringen. Um halb fün
f Uhr in der Frühe wollte ich das CVJM Hotel verlassen, um zur Gebetsstunde von
Dr. Han zu gehen.
Ich wohnte im siebten Stockwerk. Der Fahrstuhl war noch nicht in Betrieb. So sti
eg ich die Treppen hinab. Zwischen dem sechsten und fünften Stockwerk war eine e
iserne Tür, die verschlossen war. Zurück ins Zimmer! Ich telefonierte zur Rezept
ion. Lange keine Antwort! Endlich eine verschlafene Stimme. "Bitte öffnen Sie mi
r, ich möchte zur Young Nak Kirche gehen." Ein unwirsches Brummen war die Antwor
t. Ich wartete, lief wieder zum Fahrstuhl. Nichts rührte sich. Zurück! Ein zweit
es und drittes Telefonat. Endlich klappte es. Der aus der Ruhe aufgescheuchte Po
rtier ließ mich zur Hintertür hinaus und schloß sofort hinter mir zu. Ich stand
auf dem Hof des Hotels.
Zweiter Akt. Alle Türen vom Hof zur Außenwelt waren geschlossen. Der Nachtwächte
r war nicht auffindbar. Ich fühlte mich wie auf einem Gefängnishof. Hohe Mauern
umgaben mich. Ich dachte an die Zeit, da mich der Russe hinter solche Mauern ges
teckt hatte.
Da sah ich im Keller Licht. Also runter in das Subterrain, sogar bis in das zwei
te Untergeschoß! Riesige Heizöfen spuckten Wärme aus. Ein Maschinist saß davor.
Ich redete ihn englisch an. Er verstand nichts. Und ich verstand nicht sein Kore
anisch. Ich zeigte ihm meine Bibel und bedeutete ihm mit einer Handbewegung, daß
ich aus dem Haus gehen wollte. Er zeigte auf das Häuschen des Nachtwächters. Wi
eder mit Gesten beschrieb ich ihm, daß der Nachtwächter nicht da sei. Er begriff
. Er zog los und suchte den Mann mit dem Schlüssel. Wir fanden ihn.
Bei diesem umständlichen Manöver dachte ich: "Was will das im Brandfall werden?
Da kommt doch niemand mehr heraus!" In der Tat waren ein Jahr zuvor in einem so
verriegelten Großgebäude 29 Menschen verbrannt, wie ich hinterher erfuhr. Ich ha
tte jedenfalls eine halbe Stunde gebraucht, um aus diesem CVJM Hotel herauszukom
men. Zu Fuß hätte ich jetzt die Gebetsstunde nicht mehr erreicht. Ein Taxi hielt
an. Zum Abschied betrog mich der Fahrer. Sein Taxameter hatte nicht funktionier
t. Das ist häufig so, wenn Asiaten Ausländer zu fahren haben.
Mit zehn Minuten Verspätung schaffte ich es. Gebetsstunde von fünf bis sechs Uhr
morgens. Wie oft im Monat? Nun, wir kennen inzwischen koreanische Gebetssitten.
Nicht einmal im Monat, nicht einmal in der Woche, sondern jeden Morgen! Es gibt
in der westlichen Welt kaum Gemeinden, wo es das gibt. Wirklich? Ich kenne eine
n Pfarrer, der jeden morgen um 6 Uhr mit Arbeitern in der Kirche zu einer kleine
n Morgenfeier zusammenkommt. Diese Feier dauert zehn Minuten. Einstündige Gebets
zeiten jeden Morgen entdeckte ich in keiner westlichen Kirchengemeinde.
In der Young Nak Kirche, vielmehr in einem Nebenraum, waren hundert Beter da. Dr
. Han selbst leitete diese Gebetsstunde. Am Schluß stellte er mich seinen Betern
vor. Beim Hinausgehen dachte ich, nun wäre nach all den Strapazen des Hotelerle
bnisses ein Frühstück fällig. Ich bekam es. Worin bestand es? Dr. Han brachte mi
ch in eine andere Kapelle neben seiner großen Kirche. Dort war die zweite Gebets
gruppe, die von 6 bis 7 Uhr zusammen war. Wie oft kommt diese Gruppe zusammen? G
enauso jeden Morgen!
Man mag vielleicht denken, das hätte mich ermüdet. Nein, ich verstand kein Korea
nisch, aber ich spürte die geistliche Atmosphäre und hatte meine eigene Gebetsze
it.
Der Gottesmann erläuterte mir dann die verschiedenen Sonntagsdienste. "Um 7 Uhr
ist der erste öffentliche Gottesdienst. Da Sie im Hotel kein Frühstück hatten, u
nterbrechen Sie bitte die zweite Gebetsstunde und kommen Sie rüber ins Pfarrhaus
." Um halb sieben kam dann mein Magen zu seinem Recht.
Um 7 Uhr saß ich dann im ersten Frühgottesdienst. Die Kirche faßt 2000 Menschen.
Und sie war schon um 7 Uhr voll. Der zweite Gottesdienst war um 10 Uhr. Wieder
staunte ich bei diesem Gemeindewunder. Die Kirche abermals voll! Der dritte Haup
tgottesdienst um halb 12 Uhr. Und der Besuch? Kein Platz mehr zu bekommen. Es is
t der Gottesdienst, der von Ausländern besucht wird, weil die Predigt über eine
Mithöranlage ins Englische übersetzt wird.
Parallel zu den Hauptgottesdiensten finden die Jugendgottesdienste statt, die vo
n rund 2000 Kindern und Jugendlichen, nach Alter getrennt, besucht werden.
Am Abend versammelte sich die Gemeinde zum sechsten Mal. Faßt man alle Gottesdie
nste einschließlich der Jugendversammlungen an einem einzigen Sonntag zusammen,
so ergibt sich in dieser einen Gemeinde ein Besuch von rund 12.000 Menschen. Es
gibt in der weiten Welt keine Gemeinde mehr, die das aufzuweisen hat.
Was ist wohl das Geheimnis dieser Gemeinde? Der Zuhörer wird nicht rhetorisch üb
er den Intellekt angegangen, sondern durch den Heiligen Geist in die Gegenwart G
ottes gestellt. Das ist die Frucht der koreanischen Erweckung.
Billy Graham hat hier vor Jahren evangelisiert. Beim Weltkongreß für Evangelisat
ion in Berlin äußerte er sich darüber: "Wer die Young Nak Gemeinde noch nicht er
lebt und sie noch nicht beten gehört hat, der weiß nicht, was eine Gebetsversamm
lung ist."
Ist es nicht ein gewaltiges Geschenk Gottes, daß diese Erweckung in Korea jetzt
schon über sechzig Jahre anhält? Sie ist noch nicht zur toten Maschinerie, zur l
eeren Tradition erkaltet. Es ist immer noch blühendes Leben da.
Eine solche Auslegung des Sonntags Lätare hatte ich bisher noch nicht erlebt. Fr
euet euch!
2. Dr. Kyung Chik Han
Einer der bedeutendsten geistlichen Väter Koreas ist Dr. Han. Bevor ein kleiner
Auszug aus seinem Leben gebracht wird, muß unbedingt ein biblisches Warnschild a
ufgerichtet werden.
Biographien haben es gewöhnlich an sich, daß Menschenverherrlichung getrieben wi
rd. Ober solchen Büchern steht: "Ihr raubt Gott, was sein ist." Ehre allein dem,
dem sie gebührt! Ob es Billy Graham in Amerika ist, Peter Oktavian in Indonesie
n, Dr. Han in Korea wer sind sie? Doch nur Sünder, die der Herr angenommen und
erwählt hat. Wie groß auch das Lebenswerk eines Mannes sein mag, jeder Mann Got
tes, jeder Evangelist und Missionar ist der Gefahr der Selbstbespiegelung ausges
etzt, zumal dann, wenn ihm der Herr Großes anvertraut hat.
Wenn wir das verstanden haben, daß alles nur im Blickpunkt auf Jesus gesagt werd
en kann, dann darf ein Mensch als Werkzeug Gottes herausgestellt werden.
Es will mir scheinen, daß Dr. Hans Leben zwei große Abschnitte hat: sein Werdega
ng bis zur Gründung der Young Nak Kirche 1945, ferner seine Aufbauarbeit in Südk
orea seit dieser Gemeindegründung.
Die Auswahl und Zubereitung des Werkzeuges
Einige Kilometer nördlich von Pjöngjang in Nordkorea ist Dr. Han geboren. Wie sc
hon angedeutet, stellt diese Stadt in der geistlichen Geschichte Koreas ein Extr
em dar. 1906 Ausgangspunkt der großen Erweckung und heute das antichristliche Ze
ntrum, der Sitz eines Regimes, das die Christen blutig verfolgt. Für die wenigen
Touristen, die dorthin ein Reisevisum erhalten, ließ man eine christliche Kirch
e offen, um Religionsfreiheit zu demonstrieren. Dem Teufel ist es also gelungen,
seine Handlanger in das Wirkungszentrum des Heiligen Geistes zu postieren. Der
Triumph ist zu früh. Die Stunde kommt, da Gott dem Untier aus dem Abgrund, das h
eute Asien tyrannisiert, ein Ende bereitet. Den letzten Schachzug tut der, dem a
lle Gewalt vom Vater im Himmel anvertraut ist.
Dr. Han kommt also aus dem spannungsgeladensten Teil Koreas. Daß er selber von G
ott ausersehen war, in diesem Spannungsbogen Koreas eine entscheidende Rolle zu
spielen, das konnte der schmächtige Junge zu Beginn unseres Jahrhunderts nicht a
hnen. Zur Zeit der Erweckung war er erst fünf Jahre alt. Direkt hat er von diese
r Bewegung nichts mitbekommen, aber indirekt sehr viel, wie wir hören werden.
Zunächst war er ein fideler Junge, der um seiner fröhlichen und zugleich entschl
ossenen Art willen gewöhnlich der Führer der Gleichaltrigen war. Dieser Fröhlich
keit tat es keinen Abbruch, als er kurze Zeit später durch seinen älteren Vetter
vom Christentum und von den Auswirkungen der Erweckung hörte. Sein Verwandter w
ar konfuzianistischer Gelehrter, der sich der Herrschaft des Nazareners gebeugt
hatte. Nach dieser Wandlung erfüllte das Evangelium diesen treuen Mann so sehr,
daß er allen Angehörigen und Verwandten davon erzählte. Dieser ehemalige Konfuzi
us Jünger war die Ursache, daß sich in Dr. Han s Heimatort eine christliche Gemein
de bildete.
Dieser bekehrte Gelehrte war von dem Drang und dem Wunsch beseelt, viele Mensche
n zu jesus zu führen. Er fing eine Sonntagsschule an, der auch Han beitrat. Zwei
mal im Jahr wurde diese Sonntagsschule von einem amerikanischen Missionar, Dr. B
lair, besucht, der zur Zeit der Niederschrift dieses Berichtes noch lebte. Der j
unge Han mit seinen lebendigen Augen zog das Interesse von Dr. Blair auf sich. E
ine Freundschaft entstand, die nun schon über 50 Jahre dauert. Dr. Blair überwac
hte den Werdegang seines jungen Freundes und beriet ihn in allen Fragen der Ausb
ildung. Auf seine Veranlassung hin besuchte Han die Akademie in Chung Joo. Späte
r bezog er das Union Christian College der Presbyterianer in Pjöngjang. Während
dieser vierjährigen Ausbildungszeit war er zugleich der Sekretär von Dr. Blair,
der ihn in sein Haus aufgenommen hatte.
In dieser Zeit war es, daß der junge Han ein besonderes Erlebnis hatte, das sein
e fernere Entwicklung entscheidend beeinflußte. Bei einem Spaziergang an der Küs
te des Gelben Meeres entlang trat ihm der Herr in den Weg. Han warf sich nieder
und verharrte einige Stunden im Gebet. Er lieferte sich rückhaltlos jesus aus un
d wurde sich darüber klar, daß er in die Reichgottesarbeit einzutreten habe.
Dr. Blair vermittelte ihm ein Studium in den Vereinigten Staaten. Zuerst besucht
e Han das Emporia College. Kurz vor dem Examen packte ihn eine Grippe, und er hü
tete zwei Wochen das Bett. Trotzdem bestand er danach sein Examen als einer der
ersten. 1926 bis 1929 setzte er seine Studien am Princeton Theological Seminary
fort. Auch hier schloß er mit den besten Zeugnissen ab. Das Geld für sein Studi
um verdiente er sich als Tellerwäscher in den Hotels und Lokalen.
Kurz nach seinem Studium erkrankte er an einer Lungentuberkulose, die ihn für zw
ei Jahre lahmlegte. Es bestand auf Grund seiner schwachen Konstitution wenig Aus
sicht auf Heilung. Han mußte sich mit dem Gedanken an den Tod vertraut machen. U
nd das war gewiß ein schwerer Weg für einen hoffnungsvollen jungen Mann. Er fügt
e sich in Gottes Willen, bekam aber nach intensivem Gebet die Freudigkeit, von G
ott eine Heilung zu erwarten, die dann auch eintrat.
Nach seiner Genesung berief ihn das Soon Sil College in seiner Heimat als Profes
sor für biblischen Unterricht. Die Japaner verhinderten aber diese Berufung. So
gab er sich mit einem Pastorat in Shinui Chu zufrieden. Diese Gemeindearbeit bil
dete die Grundlage für seine spätere Gemeindegründung, um derentwillen er nicht
nur in Korea, sondern in der ganzen christlichen Welt bekannt wurde. Er versteht
heute diesen Weg, daß ihm damals die Professur durch die Japaner verbaut worden
ist. Die Erfahrung der Gemeindearbeit war für seine späteren Aufgaben besser ge
eignet. Das Ende des Zweiten Weltkrieges war auch das Ende der ersten Lebensstuf
e im Leben von Dr. Han.
3. Die Aufbauarbeit in Südkorea
Hans Arbeit in Seoul begann nach seiner Flucht aus Nordkorea. Die Kommunisten ha
tten dort den Pastoren die Arbeit unmöglich gemacht. Dazu ertrug Hans patriotisc
hes Herz nicht diese Unterjochung und geistige Vergewaltigung.
Der Start im Süden war sehr schwer. Gleich den anderen Flüchtlingen wußte Han ni
cht: wo wohnen wo arbeiten wovon leben. Er traf einige Nordkoreaner, die gen
auso wie er völlig entwurzelt waren. Er schlug ihnen vor, zum Gebet zusammenzuko
mmen. Es waren 20 bis 30 Männer. Nach der Gebetsvereinigung waren sie so getrost
, daß sie sich entschlossen, diese Gebetsstunde zu wiederholen. Diese Versammlun
gen verzweifelter Menschenwaren der Anfang, der Kern der Gemeinde, die entstehen
sollte. Im Frühjahr 1946 besaß diese Gemeinde, die sich den Namen Young Nak Kir
che gegeben hatte, schon 500 Mitglieder. Im Sommer 1947 war die Mitgliederzahl s
chon 2000. Sie mußte damit beginnen, sonntäglich mehrere Gottesdienste zu halten
, weil der bisherige Raum nicht ausreichte. Im Sommer 1948 mußten schon 3000 Gem
eindeglieder betreut werden.
Es blieb aber nicht bei der Sammlung der nordkoreanischen Christen. Die Kinder d
er Flüchtlinge mußten eine christliche Schulbildung erhalten. So gründeten sie d
ie Tae Kwang Akademie, die heute 1500 Studenten hat. Dr. Han, der von einer amer
ikanischen Universität und von der Universität in Seoul den Ehrendoktor verliehe
n bekam, ist der Präsident dieser Akademie.
Die Young Nak Gemeinde wuchs mit den Jahren so an, daß es unerläßlich war, eine
eigene Kirche zu bauen. Der Plan wurde 1948 gefaßt und sofort ausgeführt. Die Ge
meindeglieder haben sich mit freiwilliger Arbeit geradezu aufgeopfert. Von den G
roßvätern an bis zu den Enkeln war alles auf den Füßen, um zu helfen. Diese Kirc
he ist unter viel Gebet und von den hart arbeitenden Händen seiner Gemeindeglied
er erbaut worden. Und es ist eine schöne Kirche geworden mit 2200 Sitzplätzen. W
ie eine gotische Kathedrale beherrscht sie auf einem Hügel den ganzen Stadtbezir
k am Judong. Drei Wochen nach der Einweihung griffen die Kommunisten an, und Seo
ul mußte evakuiert werden.
Niemand kann ermessen, was diese erneute Flucht für die Nordkoreaner bedeutete.
Sie hatten schon einmal alles verloren. Und nun das zweite Mal den Roten ausgeli
efert sein? Dazu der Schmerz um die gerade fertiggestellte Kirche!
Dr. Han blieb zunächst in Seoul. Einige Älteste hielten ihn verborgen. Als die R
oten einmarschiert waren und systematische Hausdurchsuchungen begannen, wurde ih
m die Flucht dringend nahegelegt. Er fügte sich und setzte sich in wochenlanger
Fußwanderung nach Taegu ab.
Die UNO Truppen und die Amerikaner eroberten dann das verlorene Gebiet zurück un
d befreiten sogar Pjöngjang in Nordkorea. Han wir dicht hinter den Truppen. So k
onnte er den Befreiungsgottesdienst halten. Was hatten die nordkoreanischen Chri
sten alles an Leid zu erzählen! Nur die, die sich hatten verbergen können, waren
am Leben geblieben. Die anderen waren von den Roten massakriert worden. Nordkor
ea allein hat Tausende von Märtyrern. Und dann spielten die Bischöfe und die Prä
sidenten der Weltkirchenkonferenz in Uppsala die Ahnungslosen und akzeptierten d
ie Friedensschalmeien der "rotinthronisierten" Kollegen aus dem Osten. Um der Wa
hrheit die Ehre zu geben, muß natürlich zugegeben werden, daß es einige wenige h
ohe Würdenträger der östlichen Kirche gibt, die nicht Hirten von kommunistischer
Gnade sind.
Der Dankgottesdienst von Dr. Han in dem befreiten Pjöngjang war verfrüht. Die Ch
inesen sandten große Kontingente an Soldaten, die rasch vor¬drangen und bis Weih
nachten wieder Seoul erreichten. Zum dritten Mal machten sich die Nordkoreaner a
uf die Flucht.
Einen Tag vor Weihnachten wurden die Waisenkinder der Kirche nach dem Süden gesc
hickt. Es ist ein Ruhmesblatt der Amerikaner, daß ihre Luftwaffe 1000 Waisen nac
h der Insel Chejudo wegflogen und in Sicherheit brachte. Dr. Han hielt mit 500 G
emeindegliedern, die zurückgeblieben waren, den Weihnachtsgottesdienst. Es war d
er bewegteste Gottesdienst seines Lebens.
Nach dem Gottesdienst wurde Dr. Han von dem Präsidenten Syngman Rhee gerufen. Er
hatte den Erlaß der Regierung zu verlesen, daß die Stadt abermals evakuiert wer
den müßte. Dieser Auftrag zeigt, welche Stellung Dr. Han in der Öffentlichkeit e
innahm und welches Vertrauen er bei der Regierung und beim Volk genoß. Obwohl di
e Roten in Seoul übel gehaust hatten, blieb doch die Young Nak Kirche außer eini
gen Treffern verschont. Das war für die Tausenden von Betern eine Erhörung ihres
Flehens. Die Kirche konnte schnell repariert werden.
Es hat keinen Sinn, die ganze Kriegsgeschichte zu wiederholen. Dr. Han wurde ang
eboten, er solle nach Japan gehen und dort eine Gemeinde übernehmen. Er lehnte a
b mit den Worten: "Ich kann in diesen Zeiten der Not mein Volk und meine Gemeind
e nicht im Stich lassen."
Gott gebrauchte diesen Mann in Korea. Und wie er ihn segnete und als sein Werkze
ug verwandte, ist kaum zu ermessen. Was ist nicht alles unter seinen betenden un
d arbeitenden Händen entstanden! Ein Waisenhaus, ein Witwenheim, ein Bibelklub,
eine höhere Schule, die schon erwähnte Akademie wurden finanziert. Die Ausbildun
g von 23 Evangelisten und Missionaren wurde möglich gemacht und ihre Besoldung ü
bernommen. Die Synode der Kirche von Korea wählte Dr. Han zu ihrem Moderator. Da
rüber hinaus sitzt er in vielen Gremien, die sonst normalerweise den geistlichen
Tod der großen Männer herbeiführen. Hat Dr. Han die Schlagseite der religiösen
Aktivisten bekommen?
Dr. Han sitzt nicht nur im Vorstand vieler Organisationen, er sitzt vor allem se
it 25 Jahren jeden Morgen um 5 Uhr in der Gebetsstunde seiner Gemeinde. Ich
konnte mich selbst davon überzeugen. Sein Sekretär hat es mir auch bestätigt.
Es ist im Leben oft so, daß die verantwortungsvollen Männer ihrem großen Umtrieb
geistlich erliegen. Trotz des geistlichen Amtes werden sie herrschsüchtig, fall
en ihrer Umgebung zur Last, werden Opfer der Selbstgefälligkeit und sie merken
es nicht. Nur die sie umgebenden Menschen spüren es und seufzen darunter. In we
lchem Licht sieht die Young Nak Gemeinde ihren Pfarrer?
Viele Charakteristiken wurden mir gegeben. Man rühmt Dr. Han nach, daß er alles
mit Gebet regelt. Spricht er mit jemand, so sagt er stets: "Laßt uns zuvor beten
!" Das ist das Geheimnis seiner Vollmacht, mit der er jeden Sonntag auf der Kanz
el steht. Man sollte fast nicht meinen, daß aus einem so schwachen Leib eine sol
che Stimme erschallen kann. Aber nicht die Gewalt der Stimme macht es, sondern G
ottes Geist, der über dieser Gemeinde schwebt.
Andere rühmen Dr. Han als einen Mann, der noch nie zornig gesehen wurde. Einige
wollten ihn schon absichtlich reizen, um ihn zu testen. Es ist ihnen nicht gelun
gen. Dr. Han blieb auch diesen Versuchern gegenüber freundlich.
Bekannt ist auch sein ausgereiftes, abgewogenes Urteil. Er gilt als ausgesproche
n weise, schwierige Probleme zu erfassen und zu klären.
Nicht zuletzt ein wichtiger Punkt. Dr. Han ist nicht geldgierig. Sein Sekretär s
agte mir: "Dieser Mann weiß nicht, was er verdient. Seine Frau holt stets das Ge
halt ab und sorgt treu für ihn. Das ist bei ihm nötig, denn er gibt alles weg, w
as er in der Tasche hat. Wird er unterwegs angebettelt, dann greift er in die Ta
sche und holt alles heraus. Dann geht er zu Fuß weite Wege heimwärts, weil er ke
in Geld für ein Verkehrsmittel mehr besitzt."
Wenn man mich fragt, was mich am meisten an dieser Young Nak Kirche gepackt hat,
dann bekenne ich:
1. Das Wehen des Heiligen Geistes über dieser Gemeinde.
2. Dieser bescheidene, stille Beter Dr. Han, der so gar kein Wesens aus seiner P
erson macht. Diese Priesterseele, die jeden Morgen mit seiner Gemeinde vor dem T
hron Gottes weilt.
Er ist ein Mann, in dem Christus Gestalt gewonnen hat. Wir wollen diesen Mann al
s einen geistlichen Vater und Führer Koreas achten und ehren, noch mehr aber den
, der sich durch ihn verherrlicht: den Herrn Jesus selber.
Korea ist noch nicht am Untergehen. Seine Christen sind auf dem betenden Posten.
Solange Mose in der Amalekiterschlacht (2. Mose 17) betend die Arme hob, siegte
das Volk Israel. Solange Koreas Christen am Beten sind, werden die Kommunisten
nicht siegen, selbst wenn sie das Land im Süden einnehmen sollten. Militärische
Gewalt und parteipolitischer Terror können die Gemeinde Jesu nicht auslöschen. D
er Endsieg gehört dem Gekreuzigten und seiner betenden Schar.
--
Korea-Die Saat muss sterben
Yong Choon Ahn

DIE SAAT MUSS STERBEN

- Die Geschichte einer Nachfolge in Korea -

VORWORT
Das mutige christliche Bekenntnis, von dem das Buch berichtet, ist eine Frucht d
er Missionsarbeit, die schon seit hundert Jahren in diesem Lande getrieben wird.
Allerdings stellt diese Zeit nur eine kurze Spanne in der langen Geschichte der
Koreaner dar, eines Volkes, das auf eine 3000 Jahre alte Kultur zurückblickt, d
ie viel älter ist als die Europas oder Amerikas und auch älter als die seines mä
chtigen Nachbarn Japan. Aber diese alte und hochentwickelte Kultur bewahrte Kore
a nicht vor dem wachsenden Einfluß Japans, als dieses sich dem Westen öffnete un
d sein militärisches und wirtschaftliches Reich aufbaute.
Im Jahre 1910 wandelte sich die japanische "Treuhänderschaft" über Korea plötzli
ch in einen Status, der nur als Annexion bezeichnet werden kann. Das Dreißigmill
ionenvolk der Koreaner wurde zu einer Kolonie degradiert und verlor Schritt um S
chritt seine Freiheit. Die japanische Herrschaft war grausam. Auf brutalste Weis
e, die an dunkles Mittelalter erinnert obwohl sie wahrscheinlich ihre Inspirat
ion anderen imperialistischen Methoden unserer Tage verdankt, zwangen die Japane
r dem koreanischen Volk ihre Herrschaft auf. Im Zuge dieser Unterjochung wurde a
uch die Religionsfreiheit angegriffen, und die relativ große und blühende christ
liche Kirche wurde als eines der letzten Bollwerke der Unabhängigkeit unter Feue
r genommen.
Eine der Hauptwaffen im Kampf zur Vereinheitlichung und "Japanisierung" der Kore
aner war die offizielle Lehre von der Gottheit des japanischen Kaisers. Hand in
Hand damit ging die Bestimmung, daß jedermann an den nationalen Riten der Schint
o-Schrein Verehrung teilzunehmen hätte. Klassenweise mußten sich die Schüler vor
der japanischen Fahne verneigen, und zu bestimmten festgesetzten Zeiten mußten
die Lehrer zusammen mit ihren Schülern und die Pastoren mit ihren Gemeinden zu d
en Schinto Schreinen pilgern. Dies, so wurde betont, sei kein Akt religiöser Ver
ehrung, sondern lediglich ein Ausdruck für nationale Solidarität, was nichts dar
an änderte, daß die Schinto- Schreine Stätten heidnischer Anbetung waren. Nur we
nige Christen ließ das gleichgültig. Tatsächlich hatte diese Anordnung eine verb
lüffende Ähnlichkeit mit der Forderung in frühchristlicher Zeit, dem römischen K
aiser Weihrauch zu opfern. Viele Pfarrer gaben dem Druck der Regierung nach, um
ihre Kirchen offenhalten und die religiöse Unterweisung fortsetzen zu können. Ab
er ihre Freiheit wurde Stück um Stück beschnitten. Bestimmte Choräle wurden verb
oten, und die Lehre vom Jüngsten Gericht und vom endgültigen Sieg Jesu Christi m
ußte aus den Predigten gestrichen werden.
Die Forderung nach nationaler Solidarität war naturgemäß am schärfsten, als Japa
n mit Amerika und England Krieg führte (nach dem Angriff auf Pearl Harbour im Ja
hre 1941). Dieser Druck war mit der Niederlage Japans 1945 plötzlich zu Ende. Er
war aber nur anderen, ebenso schweren Repressalien gewichen: Der Kommunismus un
d die Schrecken des Koreanischen Krieges überfluteten das Land. Beide, Krieg und
Kommunismus, schlugen grausam nach denen, die sich treu und offen zu Jesus Chri
stus bekannten.
Von Anfang an hatte es viele gegeben, die Widerstand leisteten. Anstatt sich zu
fügen, zogen es 1937 die Missionsgesellschaften vor, ihre Schulen zu schließen.
Weitsichtige und bewußte koreanische Christen bereiteten sich darauf vor, Opfer
der kommenden Kämpfe zu werden; sie gründeten Bewegungen, die der Wahrheit und d
er Gerechtigkeit Geltung verleihen sollten. Aber die wirksamste Waffe gegen die
Religionen des Nationalismus und des Kommunismus war die Treue einzelner. Dieses
Buch erzählt die Geschichte eines dieser Treuen und seiner Familie.

I.

Pastor Son und seine Kinder waren vom steilen Anstieg noch ganz außer Atem. Es t
at gut, ein wenig zu rasten. Dankbar lieg der Pastor seinen Blick über die majes
tätische Landschaft schweifen. Nach den Wirren der letzten Wochen bot ihm dieser
Ausflug endlich die Entspannung, nach der er sich so lange gesehnt hatte. Auch
für die Kinder war heute ein besonderer Tag, denn sie hatten nur selten Gelegenh
eit, die Leprastation zu verlassen.
Die Familie Son wohnte erst kurze Zeit auf der Leprastation. Der Ae yang won ode
r Garten der liebevollen Fürsorge , wie die Station genannt wurde, war noch unter d
er Aufsicht des südlichen presbyterianischen Missionsausschusses in der Nähe von
Yo su mit neun Kranken gegründet worden. Jetzt, im Frühling 1940, bot er tausen
d Aussätzigen aller Altersstufen Zuflucht und Versorgung. Jedoch wurden die Pati
enten dort nicht nur materiell und medizinisch betreut, in vielen Fällen fanden
sie auch den Weg zu einem echten, lebendigen Glauben an Jesus Christus.
Die Kinder sangen geistliche Lieder. Eines war ein Gebet, daß Gott das Volk segn
en und Arbeiter in die Ernte senden möge. Dieses Lied konnte kaum nationalistisc
h genannt werden, aber dennoch war es von den Japanern verboten worden. Hier obe
n in der frischen Bergluft hörte jedoch niemand zu, der eine Anzeige hätte ersta
tten können. Außerdem genoß die Leprastation um der Kranken willen eine verhältn
ismäßig große Freiheit. Darum wohnte Pastor Son im Ae yang won. In der Tat war d
as der einzig mögliche Ausweg; denn sein Presbyterium wollte nichts mehr mit ihm
zu schaffen haben, als er sich weigerte, an der vorgeschriebenen Schreinverehru
ng teilzunehmen.
In dieser Not bat ihn der Leiter der Leprastation, der den Dienst Sons schon lan
ge schätzte, nach Ae yang won zu kommen, der Kirche dort vorzustehen und die Lei
tung der Schule zu übernehmen. Freilich bedeutete das für ihn und seine Familie,
unter den Aussätzigen zu leben, mit ihnen zu essen, ihre Freuden und Leiden zu
teilen und trotz der Ansteckungsgefahr keinerlei Vorrechte zu genießen.
Schon bald war Pastor Son der Mittelpunkt der Station. Die Kinder freuten sich,
wenn sie ihn sahen, und seine Gemeindeglieder verehrten ihn.
"Wie war diesmal die Evangelisationsversammlung, Pastor?"
Er wandte sich nach der Fragerin, einer leprakranken Lehrerin, um. "Sehr ermutig
end. Besonders froh war ich darüber, daß die japanische Fahne hinter der Kanzel
entfernt wurde, ehe die Versammlung begann. Ich mußte deswegen zwar einige Male
auf die Polizeistation, aber am Ende ließen sich die Herren dort doch umstimmen.
"
"Was haben Sie denn gesagt?"
"Ich erklärte, daß Fahnen vor Häusern gehißt würden, um die Loyalität zum Vaterl
and auszudrücken, oder auf Schiffen, wenn diese in fremden Gewässern kreuzten; a
ber sie sollten nicht in Kirchen aufgestellt werden, damit sich die Gläubigen da
vor verneigten. Das sei wie eine Verbeugung vor dem eigenen Namensschild. Wenn d
ies ein Test für gute Staatsbürgerschaft sein solle, dann gebe es genügend Trunk
enbolde und Verbrecher, die zum Schreindienst gern bereit seien und damit als gu
te Staatsbürger bezeichnet werden müßten. Ich bat, uns diese Forderung zu erlass
en, denn wenn die Dinge so weitergingen, dann habe Japans Stunde bald geschlagen
. Und ob Anhänger anderer Religionen dies glaubten oder nicht, für Christen komm
e dieses Verneigen einer Götzenanbetung gleich, und da dies in den zehn Geboten
ausdrücklich verboten sei, sagte ich, daß ich nie daran teilnehmen würde, selbst
wenn die Versammlungen aufhören müßten. Am Ende wurden die Zusammenkünfte dann
doch gestattet. Unser Dorf ist klein; der Polizeichef und der Kirchenälteste sin
d gute Freunde. Dies mag der Grund für die Nachsicht sein. Aber wir müssen Gott
danken, daß er es so geführt hat, denn angeblich sagte der Polizeichef, einen so
lchen Pastor würde er nicht mehr zu solchen Versammlungen einladen!"
Seine Begleiter freuten sich mit ihm. Da sie selbst als Leprakranke nicht hinaus
gehen und predigen konnten, unterstützten sie den Dienst ihres Pastors mit sehr
viel Liebe, Anteilnahme und Gebet.
Diese Freiheit währte jedoch nicht lange. Im September 1940, nach einigen ähnlic
hen Zwischenfällen, wurde Pastor Son verhaftet.
Neun Monate saß er im Gefängnis in Yo su, nur ein paar Bahnstunden von der Lepra
station entfernt. Doch während dieser ganzen Zeit wurde nichts über ihn bekannt.
Seine Familie und seine Freunde schlossen nur aus der Tatsache, daß seine abget
ragenen Kleider zurückgeschickt und neue angefordert wurden, daß er noch am Lebe
n sei. Nach Ablauf der neun Monate tauchten Gerüchte über ihn auf, aber sie wide
rsprachen sich. Einige wollten wissen, daß er nun bald frei sein würde, weil er
ja nichts verbrochen habe. Andere Spekulationen liefen darauf hinaus, daß er ein
er Verurteilung wohl nicht werde entgehen können, da sich die Zeiten verschlecht
ert hatten , man flüsterte sich sogar zu, er habe eingelenkt und an Schreinvereh
rung teilgenommen. Endlich wurde offiziell bekannt, daß er vor Gericht gestellt
würde.
Die Nachricht bestätigte und verstärkte Frau Sons Besorgnis. Anklage würde man g
egen ihn erheben? In ihrer großen Unruhe sah sie ihren Mann im Traum ganz in Wei
ß gekleidet. Sie war sicher, daß dies ein neues Unglück zu bedeuten habe, und ma
chte sich am nächsten Morgen nach der Familienandacht auf den Weg, um Erkundigun
gen einzuziehen.
Der diensttuende Polizist im Yo su Gefängnis war verschlossen und gab ihr keine
Auskunft. Aber ein Laufjunge flüsterte ihr zu, ihr Mann solle am nächsten Tag Yo
su verlassen. Zwar wußte sie nun nicht, ob das seine Entlassung bedeuten oder o
b ihm der Prozeß gemacht werde. Aber sie befahl alles in Gottes Hände und kehrte
in den Ae yang won zurück.
Am nächsten Morgen fuhr sie wieder nach Yo su, diesmal nahm sie jedoch die Kinde
r mit das Baby Ruth auf den Rücken geschnallt, die beiden ältesten Söhne, den
sechzehnjährigen Matthew und den zwölfjährigen John, die sechs Jahre alte Rachel
und den fünfjährigen Andrew. Während sie auf der Polizeistation warteten, brach
te ihnen die Frau des örtlichen Pastors etwas zu essen. Der gleiche Polizist gin
g vorüber, sagte aber wieder nichts.
Endlich kam ihr Mann. Er wurde von zwei Polizisten begleitet, war aber nicht geb
unden. Er sah blaß und abgezehrt aus und wankte, als ob er sich nur mühsam auf d
en Füßen halten könne. Mit großer Anstrengung unterdrückte Frau Son einen Schrei
. Sie wollte so gern zu ihm gehen, aber sie wagte es nicht wegen der Polizisten.
Da ging der eine zum Bahnhof, um Fahrkarten zu lösen, und der andere - als woll
e er ihr die ersehnte Gelegenheit geben - trat zur Seite und wechselte ein paar
Worte mit einem Wärter. Sofort war sie bei ihrem Mann.
"Wohin bringen sie dich?"
"Nach Kwang ju."
Die Augenblicke waren kostbar. Hatte sie nicht Gerüchte gehört, daß er doch an d
er Schreinverehrung teilgenommen hätte? Für Nebensächlichkeiten war keine Zeit.
So öffnete sie schnell ihre Bibel und hielt sie ihm hin. "Du erinnerst dich doch
daran, nicht wahr? Wenn du dich vor dem Schrein verneigst, bist du nicht mehr m
ein Mann. Und was noch viel schlimmer ist, du verlierst deine Seele."
Pastor Son las die Worte, die sie ihm zeigte: "Sei getreu bis an den Tod, so wil
l ich dir die Krone des Lebens geben" (Offb. 2,10). Auf seinem blassen Gesicht e
rschien ein Lächeln. Tränen traten ihm in die Augen. "Hab keine Angst. Nur, bete
für mich."
Im Ae yang won sah sich Frau Son einer neuen Schwierigkeit gegenüber. Nach der V
erhaftung ihres Mannes war ein japanischer Inspektor auf die Station gekommen. U
nd jetzt verlangte dieser Mann, daß Frau Son ihm das Haus überlassen solle, das
sie mit ihren Kindern bewohnte. Immer wieder sandte er Leute, um sie zum Auszug
zu drängen. Sie wußte zwar, daß sie gehen mußte, aber wohin sollte sie sich wend
en? Hier hatte die Familie endlich Zuflucht gefunden, nachdem sie von Ort zu Ort
gejagt worden war.
Die ständigen Besuche zermürbten sie. Im Vertrauen auf Gottes Hilfe versicherte
sie dem Inspektor, daß sie bald eine Lösung finden würde, wenn er sich nur noch
ein wenig gedulden wolle.
Sie konnte sich jedoch keinen Ausweg denken.
Aber die Hilfe kam. Eines Nachts trafen sich die Kirchenältesten heimlich und be
schlossen, Frau Son, da sie ihr ja kein Haus oder Stück Land anbieten konnten, a
lles Geld aus der Kirchenkasse zu geben. Das Geld war auf dem privaten Konto ein
es der Ältesten, und da die Abrechnung noch nicht an die Behörden abgeliefert wo
rden war, konnten sie dieses Geld unauffällig beiseite schaffen.
Auch für die Kranken war eine schwere Zeit angebrochen. Nach Pastor Sons Verhaft
ung war die Polizei auf die Station gekommen und hatte Untersuchungen über des P
astors Glauben und Predigten angestellt. Alle Personen in verantwortlichen Stell
ungen waren vernommen worden. Als die Aussätzigen versicherten, daß selbst der j
apanische Kaiser der ewigen Verdammnis anheimfiele, wenn er nicht an Christus gl
aubte, gerieten die Polizisten in Zorn. Sie sahen in diesen Äußerungen eine Besc
himpfung der kaiserlichen Autorität und zwangen nun der Gemeinde den nationalen
Ritus, also die Schreinverehrung, auf. Der neue Inspektor hatte die Ausführung d
ieses Befehls vor jedem Gottesdienst zu überwachen. Obgleich die Ältesten dieser
Anordnung nicht gehorchten, gab die Gemeinde widerstrebend nach. Die Ältesten v
ersuchten, mit dem Inspektor zu sprechen, aber dieser stellte sie nur vor die Wa
hl, zu gehorchen oder zu gehen.
Darauf konnten sie nichts erwidern. Keiner von ihnen wollte die Station verlasse
n, denn außer dem Ae yang won hatten sie kein Zuhause. Wohin sollten sie gehen?
Hier war Sicherheit freilich, sie würden ständig gegen ihre religiöse Überzeug
ung handeln müssen. Draußen wären sie frei, ihrem Gewissen zu gehorchen, aber dr
außen wären sie Bettler.
Frau Son blieb keine Wahl. Als der Tag ihres Auszugs kam, hatten sich viele Auss
ätzige zum gleichen Entschluß durchgerungen. Sie wollten doch lieber die Station
verlassen, als ihren Glauben verraten. Frau Son plante, nach Kwang ju zu ziehen
, wo ihr Mann jetzt im Gefängnis war. Die Leprakranken hatten den örtlichen Kirc
henvorsteher dort verständigt, und sie versicherten ihr, daß er ihr bei der Such
e nach einem Haus behilflich sein und sie am Bahnhof abholen würde.
So stand sie auf dem Bahnsteig und wartete auf den Zug. ihr jüngstes Kind trug s
ie auf dein Rücken. Ein großer Trost war es für sie, Matthew bei sich zu haben.
Als ältester Sohn half er ihr viel bei den jüngeren Geschwistern.
Als das Pfeifen des Zuges die kalte Morgenluft zerschnitt, trat einer der Kranke
n, die zu ihrem Abschied mitgekommen waren, in spontaner Herzlichkeit auf Frau S
on zu und versprach, sie in Kwang ju zu besuchen. Nun kam auch der Zug in Sicht.
Er wand sich durch die wogenden Gerstenfelder und näherte sich schnell. Die Aus
sätzigen sangen. "Gott mit dir, bis wir uns wiedersehen."
Matthew sammelte das Gepäck zusammen. Dann wandte er sich an die Kranken. "Macht
euch keine Sorgen. Eines Tages komme ich zurück und diene euch als Pastor an me
ines Vaters Stelle."
"Dies ist der Bericht über Ihr Leben, den wir zusammengestellt haben", hatte vor
acht langen Tagen der Polizeichef der Chum nam Provinz zu Pastor Son gesagt. "E
r umfaßt 500 Sei¬ten. Ich lese ihn Ihnen jetzt vor. Hören Sie zu." Endlich, nach
vielen Stunden, war er damit fertig. Erleichtert seufzte der Polizeichef auf un
d zündete sich eine Zigarette an. "Das war ein Stück harter Arbeit, Pastor Son",
sagte er. "Würden Sie ihren Fingerabdruck hier in die Ecke des Berichtes setzen
." - "Warum?" - "Zum Zeichen Ihrer Bestätigung, daß dies Ihre Worte sind."
Pastor Son zögerte. "Das kann ich nicht. Es sind nicht meine Worte."
Vor Erstaunen ließ der Polizeichef die Zigarette aus dem Mund fallen.
"Was!" schrie er. "Was wollen Sie damit sagen? Sind Sie verrückt? Wessen Worte s
ind es denn dann, meine etwa?"
"Diese Worte sind weder Ihre noch meine. Es sind Gottes Worte."
Zornig schlug ihn der Polizeichef ins Gesicht. "Soll das etwa heißen, daß Sie Go
tt sind?" Er hätte ihn noch einmal geschlagen, wenn Pastor Son nicht so völlig r
uhig geblieben wäre. Es waren noch andere Polizisten im Raum, und sie alle blick
ten Pastor Son jetzt gespannt an.
"Nein, ich bin nicht Gott", sagte Pastor Son sanft. "Ich will damit nur sagen, d
aß ich Gottes Worte gebrauchte, um meine Antworten zu geben. Wenn Sie mir meine
Bibel bringen, kann ich es Ihnen zeigen."
Der Polizeichef stand mißmutig auf. Wie schon so oft holte er die Bibel, und Pas
tor Son schlug die Verse auf, die er zitiert hatte, und legte sie sorgfältig aus
. So nützte er seine Zeit im Gefängnis, um den Polizisten und Regierungsfunktion
ären, die seinen Fall behandelten, die christliche Botschaft zu verkündigen. Er
hatte so viel wie möglich an diesem Lebensbericht mitgearbeitet. Im stillen bete
nd, hatte er alle Fragen über die Bibel, über die Sünde, über die letzten Tage b
eantwortet, und er hatte genau erklärt, was seine Verhörer nicht verstanden hatt
en. Natürlich sprach er auf diese Weise oft Dinge aus, die ihm in seinem Prozeß
nicht dienlich sein konn¬ten so oft, daß der Polizeichef Pastor Son für sehr t
öricht hielt und außerdem glaubte, sein Kreuzverhör müsse ungewöhnlich ausgeklüg
elt sein.
Wie nicht anders erwartet, wurde Pastor Son schuldig gesprochen und zu weiteren
achtzehn Monaten Gefängnis verurteilt, die er im Kwang ju Gefängnis zubrachte. W
egen seiner schwachen Gesundheit hätte die Polizei den Prozeß niedergeschlagen u
nd Son auf freien Fuß gesetzt, wenn er ihrer Forderung auch nur ein wenig nachge
geben und bestimmte Versprechungen gemacht hätte. Aber nichts vermochte seinen G
lauben anzutasten.
Als seine Strafe abgelaufen war, wurde er vor den Staatsanwalt Joda geführt. Zun
ächst fragte Joda den Wärter, der Pastor Son begleitete, ob der Pastor in seiner
Haltung irgendeinen Fortschritt gezeigt und ob er an der Schreinverehrung teilg
enommen hätte.
"Ja", antwortete der Wärter, "ja, das hat er. Er war nicht nur regelmäßig beim S
chrein Ritus anwesend, er hat auch seine ganze Haltung beachtlich geändert. Ich
kann nichts Nachteiliges berichten."
"Das stimmt nicht", unterbrach Pastor Son hastig. "Ich habe nie an der Schreinve
rehrung teilgenommen."
Joda sah vom Häftling zum Wärter und dann wieder zu Pastor Son. Er konnte einfac
h nicht fassen, daß jemand so borniert sein konnte. Da stand ein Mann, der mehr
als zweieinhalb Jahre im Gefängnis gesessen hatte, der nicht nur eine Frau und K
inder besaß, die auf seine Entlassung warteten, sondern auch einen alten Vater,
der bald sterben würde. Wollte er sie denn gar nicht wiedersehen? Wenn Pastor So
n auch nur die geringste Nachgiebigkeit gezeigt hätte, er würde ihn freigelassen
haben.
Obgleich er erzürnt war, daß Pastor Son den Aussagen des Wärters widersprochen h
atte, gab er ihm doch noch eine Möglichkeit, seine Worte zurückzunehmen.
"Vor fast drei Jahren verließen Sie Ihre Familie. Möchten Sie denn nicht wieder
zu ihr zurück? Warum geben Sie nicht endlich ihre alten starrköpfigen Ideen auf
und beteiligen sich an der Religion, die Ihrem Lande am besten angepaßt ist?"
"Ich danke Ihnen für Ihre Freundlichkeit", antwortete Pa¬stor Son und er meint
e es ernst, denn er sah, daß der Staatsanwalt alles tat, was in seiner Macht sta
nd, um ihn freizugeben, "Danke, aber ich kann nicht gegen meinen Glauben handeln
."
Haben Ihnen denn drei Jahre Kerker überhaupt nichts ausgemacht?"
"Ich sagte Ihnen schon vor eineinhalb Jahren, daß der Glaube eines Christen im L
eiden erstarkt. So war es für mich ein Gewinn, im Gefängnis zu sein. Und es ist
mir völlig gleich, was nun geschieht. Denn wenn ich nach Hause zurückgehe, ist C
hristus bei mir, und wenn ich im Gefängnis bleibe, wird er auch bei mir sein."
Joda starrte ihn verständnislos an. "Sie sehen nicht so aus, als hätten Sie noch
lange zu leben", sagte er. Aber reden können Sie! Woher kommt Ihre Kraft?"
Er wandte sich ab.
Pastor Son ging mit dem Wärter zurück in seine Zelle. Danke, daß Sie vor dein St
aatsanwalt für mich eingestanden sind. Es tut mir wirklich leid, daß ich Ihnen w
idersprechen mußte, aber ich hätte nicht schweigen dürfen."
Der Wärter war immer noch verlegen, auch ungehalten darüber, daß er vor dem Staa
tsanwalt sein Gesicht verloren hatte.
"Macht nichts, wenn Sie es so ernst nehmen mit Ihrem Glauben", antwortete er. "A
ber ich wußte, Sie würden nichts zu Ihren Gunsten unternehmen. Und ich wollte Si
e nicht länger im Gefängnis sitzen sehen."
Joda beschloß, Pastor Son in das Gefängnis für Intellektuelle zu schicken. Im Ma
i 1943 wurde er nach Seoul überführt und später nach Chung ju. (Im ganzen verbra
chte Pastor Son fünf Jahre in Haft.) All die langen Jahre hindurch strahlte er d
ie gleiche Kraft des Geistes aus, die den Staatsanwalt so erstaunt hatte.
Sein Einfluß war außerhalb und auch innerhalb des Gefängnisses zu spüren. Durch
Briefe nahm er weiter seinen Platz in der Familie ein; er tröstete seine Frau, a
ls sie krank war; er drängte Matthew, zu studieren, obgleich dieser arbeiten muß
te, um die Familie zu unterhalten. Seinem alten Vater schrieb er Briefe in einem
ausgefeilten Stil, um ihm so die gebührende Verehrung zu zollen, die er zu sein
em großen Kummer vom Gefängnis aus nicht in vollem Maße erweisen zu können glaub
te.
In diesen Briefen und in anderen an seine Gemeinde war er voller Ermutigung und
Zuversicht.
"Der Nacht folgt der Tag", schrieb er, "und der warme Frühling folgt dem Winter;
genauso muß jeder, der die Helligkeit des Tages sehen will, erst durch die Dunk
elheit der Nacht gehen, und wer den Frühling begrüßen will, muß erst den kalten
Winter ertragen."
Er versuchte, die Sorgen seiner Familie um seine Gesundheit zu zerstreuen. War i
hm auch warm genug? Hatte er genug zu essen?
Er antwortete: "Gott, der die Lilien mit Herrlichkeit kleidet und den Vögeln Nah
rung gibt, verläßt keines seiner Kinder. Ich war noch nie ein starker Esser, dah
er ist das, was ich bekomme, genug. Und da ich von kleinem Wuchs bin, reichen di
e Decken und Kleider aus, um mich zu wärmen. Was kann ich mehr wollen, da doch i
n unserem Lande Krieg ist?"
Selbst über das wenige, das er hatte, konnte er frohlocken "Bitte macht euch kei
ne Sorgen um mich ... Denn so sicher die Wolken aufsteigen und Regen bringen und
der Tau zu Frost wird, so kommt das Sorgen vom Verharren in den Dingen des Flei
sches und die Zufriedenheit vom Verharren in den Dingen des Geistes ... Und kein
er ist reicher als derjenige, der zufrieden ist. Oft muß ich die Tränen des Dank
es zurückhalten, wenn ich meine Gefängnisration bekomme."
II.

Zwei Jahre waren vergangen. Matthew und John, jetzt achtzehn und vierzehnjährig
, arbeiteten in einer Faßfabrik in Pusan. Zur Schule konnten sie nicht gehen. De
nn dann hätten sie sich vor dem Schinto Schrein verneigen müssen. Außerdem mußte
n sie den Lebensunterhalt für Mutter und Geschwister verdienen. Sie hatten also
keine Wahl. Ihr Weg schien vorzeichnet.
Auch in Kwang ju konnten Frau Son und ihre Kinder nicht bleiben. Man wollte sie
zwingen, in ihrem Haus eine "Kami¬dana , einen Schintoschrein, aufzustellen. Aber
sie fügten sich nicht. Lieber packten sie wieder einmal ihre Habseligkeiten und
zogen fort. So hatte es sie nach Pusan verschlagen.
Schon bald jedoch kamen bei den Sons treue Christen zusammen, die darunter litte
n, daß der Heilige Geist die Kirchen verlassen hatte. Sie machten die Wohnung in
Pusan zu einem Zentrum geistlichen Lebens.
Auch die beiden Jungen, in erster Linie John, sammelten eine kleine Schar Gleich
gesinnter um sich. Schon als Kind war John auf besondere Weise von Gott erfaßt g
ewesen. Einmal hatte er seine Jackenbänder an die seiner Großmutter gebunden, we
il er fürchtete, sie könnte ohne ihn zur Morgenandacht gehen. Später mußte er mi
t Matthew zusammen die Schule verlassen, weil er sich geweigert hatte, an der Sc
hreinverehrung teilzunehmen. Jetzt fürchtete er um seinen Glauben, wenn er in Ki
rchen ging, die sich kompromißbereit gezeigt hatten. Deshalb schlug er vor, in d
en Bergen Andachten abzuhalten. Die Jungen, die daran teilnahmen, etwa fünfzehn,
waren größtenteils Arbeitskollegen aus der Faßfabrik. Sie trafen sich jeden Son
ntag nach dem Gottesdienst. Sie sangen geistliche Lieder, und dann breitete John
all ihre Bekümmernis vor Gott aus:
"Lieber himmlischer Vater, wir danken Dir sehr herzlich, daß Du uns diesen Ruhet
ag schenkst, an dem wir Dich gemeinsam anbeten dürfen. Du hast uns in dieses bed
rängte Land gestellt, damit wir Dich verherrlichen, aber wir laufen unseren eige
nen Zielen nach, die Deinem Willen entgegenstehen. Wir dienen unseren eigensücht
igen Wünschen und vergessen dabei, was wir Dir schuldig sind. Wir nehmen uns sel
bst so wichtig und haben Dir den Rücken zugekehrt. Erbarme Dich über uns und ver
gib uns um des Blutes Christi willen. Wir bitten Dich besonders für die koreanis
chen Kirchen, von denen der Heilige Geist gewichen ist. Hast Du diese Strafe übe
r uns verhängt? Herr, wir fürchten, daß noch schlimmere Dinge geschehen werden,
weil wir Götzen anbeten und nicht Dir die Ehre geben. Erbarme Dich über uns und
schenk uns doch, daß wir Dich wieder offen bekennen dürfen. Gib uns Deine Gnade,
daß wir die Welt überwinden lernen, so wie Du sie überwunden hast."
Jede Woche lernten sie ein Stück der Bibel auswendig, denn allein aus dem Worte
Gottes schöpften sie wieder Kraft und Mut und erhielten Antwort auf ihre Fragen.
"Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz kraftlos wird, womit soll man's s
alzen? Es ist zu nichts hinfort nütze, als daß man es hinausschütte und lasse es
die Leute zertreten. Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf ei
nem Berge liegt, nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht ein Licht an und se
tzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter: so leuchtet es allen, d
ie im Hause sind. So soll euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten
Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen."
"Ehe wir uns neue Verse vornehmen", schlug John vor, "wollen wir die Stelle vom
letzten Sonntag noch einmal gemeinsam wiederholen:
Selig sind, die da geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihrer. Selig sin
d, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. Selig sind die Sanftmüt
igen; denn sie werden das Erdreich besitzen. Selig sind, die da hungert und dürs
tet nach Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden. Selig sind die Barmherzigen
; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Se¬lig sind, die reinen Herzens sind;
denn sie werden Gott schauen. Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Got
tes Kinder heißen. Selig sind, die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn
das Himmelreich ist ihrer."
John mußte an seinen Vater denken und an die anderen Pastoren, die um ihres Glau
bens willen im Gefängnis oder schon gestorben waren. Hier war der Trost, den sie
in solchen Zeiten brauchten.
Er suchte einige Verse für den kommenden Sonntag aus und schloß die Andacht. Die
Jungen legten ein Opfer zusammen und kamen überein, dieses Geld dem ersten Bett
ler zu geben, den sie treffen würden. Dann gingen sie auseinander. Es war schon
spät. Der Rauch der Abendfeuer kräuselte sich über dem Dorf.
Eintönig ratterte der Zug auf Pusan zu. Matthew blickte gedankenverloren aus dem
Fenster. Vor seinen Augen verschwammen bunte Felder und schroffe Berge. Aber er
nahm sie kaum wahr. Wie blaß war doch sein Vater gewesen! Und dennoch, wie bewu
ndernswert! Über drei Jahre saß er nun im Gefängnis, und er würde ganz sicher fr
eigelassen, wenn er sich auch nur ein wenig nachgiebig zeigte. So aber schien se
ine Lage hoffnungslos zu sein, denn er würde weiter im Gefängnis predigen. Trotz
dem erschien er überhaupt nicht bedrückt. Im Gegenteil, er hatte Matthew ermunte
rt, ihm Botschaften für die ganze Familie aufgetragen und sie alle ermahnt, nich
t schwach zu werden im Glauben. Und welch eine Freude und Kraft ging von ihm aus
, als er davon sprach, daß er sie alle vor dem himmlischen Thron wiedersehen wür
de, wenn er es nicht mehr auf Erden erleben dürfte!
Plötzlich überfiel Matthew die Erinnerung an sein eigenes Versagen am Tage davor
. Ihm wurde übel vor Scham und Gewissensnot. Blicklos starrte er vor sich hin.
Endlich, nach über dreijähriger Trennung, sollte er seinen Vater wiedersehen. Fr
eudig und erwartungsvoll hatte er das Gefängnis betreten. Aber er mußte warten.
Nach einer Weile trat ein Beamter der Geheimpolizei auf ihn zu und fragte ihn, o
b er an der Schreinverehrung teilnähme.
"Nein, das kann ich nicht."
Der Beamte lachte.
"Dein Vater mag sich weigern, weil er altmodisch und verstockt ist. Aber du bist
ein feiner junger Kerl. Du wirst doch nicht so dumm sein. Denk nur! Selbst dein
Vater beginnt zu verstehen, auch wenn er sich noch immer ablehnend gibt. Noch s
echs Monate, und wir haben ihn, wo wir ihn haben wollen. Schon jetzt stelle ich
neue Töne in seinen Erklärungen fest, die er von Zeit zu Zeit schreiben muß. Er
lobt die kaiserlichen Soldaten. Er sagt, sie lieferten einen großartigen Kampf,
und ihre Kraft erwüchse aus dem Gehorsam gegen die nationalen Ziele. Damit meint
er doch offensichtlich, daß die Schreinverehrung ein nationaler Ritus sei und k
ein religiöser, und daß dieser Ritus Patriotismus, Mut und Ausdauer fördere. Du
brauchst dich also nicht so dagegen zu wehren.
Außerdem braucht die Schreinverehrung deine religiösen Überzeugungen nicht anzut
asten. Sie ist ja von der Regierung und vom Erziehungsministerium angeordnet und
nicht vom Polizeiministerium und dessen Unterabteilung für Religion. Siehst du
denn nicht, wie gut die freien Pastoren für ihre Kirchen sorgen können, wie gut
die Kirchen vom Generalkomitee geleitet werden, dessen Mitglieder alle an der Sc
hreinverehrung teilnehmen? Du hältst nur noch an den fehlgeleiteten Ideen deines
Vaters fest. Oder scheust du vielleicht die Zusammenarbeit mit Japan? Ich warne
dich! Wir können niemanden gebrauchen, der unter dem Mantel der Religion die Re
gierung zu untergraben versucht."
Plötzlich änderte sich sein Ton. "Jeder, der dabei erwischt wird, ob Mann, Frau
oder Kind, muß beseitigt werden. Deshalb rate ich dir, gescheit zu sein und mit
der Zeit zu gehen. Du brauchst ja nur einmal am Ritus teilzunehmen. Das ist doch
wirklich nicht schwer. Und wenn du nicht willst, brauchst du es nicht zu wieder
holen. Ich möchte nur sehen, daß du zur Zusammenarbeit bereit bist."
Der Beamte zündete sich eine Zigarette an und sog langsam den Rauch ein. "Nun, w
as gedenkst du zu tun?"
Matthew gab keine Antwort.
"Wie kannst du nur so dumm sein! Nun gut, wenn du dich noch immer weigerst, kann
ich dir nicht erlauben, deinen Vater zu sehen!"
Die Worte des Beamten hatten Matthew zwar nicht völlig überzeugen können. Aber s
ie hatten ihn doch sehr verwirrt. Diese letzte Drohung machte ihn hilflos und un
sicher. Widerwillig stand er auf und folgte dem Beamten zum Schrein. Gemeinsam v
erneigten sie sich davor. Matthews Verneigung war eigentlich nur angedeutet. All
es in ihm schrie dagegen. Aber zu seinem Erstaunen war der Beamte zufrieden.
"Jetzt, da wir wissen, wo du stehst", sagte er, "kannst du deinen Vater sehen."
Einen Augenblick lang war Matthew erleichtert. Endlich war es ihm gelungen, den
Beamten zu täuschen!
"Aber zuerst, würdest du das hier abschreiben!" Der Beamte reichte ihm ein bedru
cktes Blatt Papier.
"Was ist das?"
"Oh, nur eine Kleinigkeit. Ich möchte nur einen Beweis dafür in der Hand haben,
daß du klug genug bist, mit der Zeit zu gehen. Außerdem, falls dein Vater seine
Haltung ändern sollte, möchte ich ihm zeigen können, daß sein Sohn auch schon ge
lernt hat."
Matthew zögerte. Aber es gab kein Zurück mehr. "Ich muß jetzt dabei bleiben", da
chte er impulsiv. So schrieb er die Erklärung ab: "Vater, ich habe versucht, mi
ch vor dem Schrein zu verneigen, und, wie der Sicherheitsbeamte sagt, es scheint
wirklich nur ein nationaler Ritus zu sein. Ich glaube, wir sollten daran teilne
hmen, um der gegenwärtigen Regierung gegenüber unsere Loyalität zu beweisen."
Das war also der Preis gewesen, den Matthew für das Wiedersehen mit seinem Vater
zahlen mußte. Aber sein Vater hatte ihm dann einen Brief zugesteckt, der ihn zi
ttern machte¬:
"Sowohl das Verbeugen gegen Osten als auch die Schreinverehrung sind Sünde, weil
sie gegen das erste und das zweite Gebot verstoßen. Nimm unter keinen Umständen
daran teil. . ."
Als er es tat, war es ihm so leicht erschienen. Jetzt wußte er, daß er alles ver
raten hatte, wofür sein Vater einstand. Die Erkenntnis seiner Schuld schlug über
ihm zusammen. Er schrie innerlich auf. Seine Sünde stand vor ihm. Sie war wie e
in Berg, der sich nicht nur zwischen ihm und seinen Vater schob, sondern auch zw
ischen ihn und Gott. In seiner Gewissensqual kasteite er sich mit dem Gedanken,
daß er Gottes Stimme bewußt überhört hätte. Er haßte sich. Er hatte Angst. Er ha
tte das schreckliche Gefühl, völlig allein zu sein. Nie wieder würde er zu seine
r Familie zurück gehen können. Vom Ewigen Leben war er nun ausgeschlossen, er wa
r abgeschnitten von Gott.
In seiner Zerknirschung sah und hörte Matthew nichts von den übrigen Fahrgästen.
Ein älterer Mann, ein Japaner, fragte ihn besorgt, ob er krank sei oder Kummer
habe. Matthew hörte ihn kaum. Da schreckte ihn eine Stimme auf.
"Wohin fährst du?"
Er zuckte zusammen. Vor ihm stand ein Polizeiinspektor, dem Augenschein nach ein
Japaner. Matthew fühlte einen alle andern Gefühle lähmenden Haß in sich aufstei
gen. Wie eine Flamme loderte er auf gegen diesen Angehörigen einer Macht, die ih
n, seine Familie, sein Volk ins Unglück gebracht hatte. Mühsam kämpfte er gegen
seine Erregung an, aber die Tränen konnte er nicht zurückhalten.
"Warum flennst du?" fragte der Inspektor scharf. Stille.
"Er sagt kein einziges Wort", bemerkte der alte Japaner.
"Wohin fährst du? Deine Fahrkarte!"
Matthew schaute auf. "Nach Pusan."
"Warum?"
Eine lange Pause. "Ich fahre nach Hause."
"Wo kommst du her?"
"Von Chung ju."
"Und was wolltest du in Chung ju?" Die Fragen folgten Schlag auf Schlag.
"Ich besuchte meinen Vater." Wieder brach er in Tränen aus.
"Warum heulst du? Was ist denn mit deinem Vater?"
Es schien unmöglich, in diesem plötzlich so stillen Abteil die Wahrheit zu sagen
. Aber bei der Versuchung zu lügen fühlte Matthew erneut die Qual und den Schmer
z der Schuld in sich hochkriechen. So antwortete er fest: "Er ist dort im Gefäng
nis."
"Aha, deshalb. Dein Vater ist im Gefängnis. Das ist ein schöner ruhiger Ort." De
r Inspektor lachte.
"Komm mit", befahl er und führte Matthew in die Schaffnerkabine. "Wo arbeitest d
u?'
"In der Faßfabrik in Pomil chung, Pusan."
"Warum ist dein Vater im Gefängnis? Wenn er sitzt, weil er Kommunist ist, dann g
eschieht es ihm ganz recht. Dieses ganze Gesindel sollte nach Sibirien geschickt
werden."
"Er ist nicht Kommunist, er ist Pastor", antwortete Matthew.
Der Inspektor schien erstaunt. "Nun, sind denn unter den Pastoren keine Kommunis
ten?"
"Er ist eingesperrt, weil er nicht an der Schreinverehrung teilnehmen wollte.¬"
Matthew fühlte sich um eine schwere Last leichter.
Der Inspektor sah ihn groß an. "Gibt es also immer noch Pastoren, die nicht an d
er Schreinverehrung teilnehmen?"
Diese Gelegenheit griff Matthew entschlossen auf. "Das ist Sünde. Mein Vater ...
"
Der Inspektor unterbrach ihn. "Natürlich ist es falsch, nicht mit der Zeit zu ge
hen."
"Nein, ich wollte sagen, daß es Sünde ist, sich vor einem Schrein zu verneigen."
"Was! Sag das noch einmal."
"Schreinverehrung ist eine religiöse Handlung und Sünde gegen Gott, wenn auch of
t behauptet wird, daß es nur ein nationaler Ritus sei."
"Du heulst ja schon wieder! Lag mich einmal sehen, was du da in der Tasche hast.
"
Er durchsuchte Matthews Kleidung und stieg bald auf Pastor Sons Brief:
"Sowohl das Verbeugen gegen Osten als auch die Schreinverehrung sind Sünde, weil
sie gegen das erste und das zweite Gebot verstoßen. Nimm unter keinen Umständen
daran teil. Heilige den Tag des Herrn. Versäume nie, an den Familien und Abend
andachten teilzunehmen. Lies sorgfältig in der Bibel. Gib treu deinen Zehnten. E
ntbiete deinem Großvater die ihm zustehende Verehrung und sei gehorsam."
Der Inspektor lachte auf. "Du hast aber einen feinen Vater, muß ich schon sagen!
Wie kann er erwarten, in diesem Lande frei zu bleiben, wenn er nicht mit der Ze
it geht?"
Er notierte sich Matthews Namen und Adresse, beschlagnahmte den Brief und verlie
ß das Abteil.
Matthew wußte, daß ihm etwas Kostbares geraubt worden war. Dennoch war ihm jetzt
leichter. Aufatmend begab er sich an seinen Platz zurück.
Bald nach seiner Heimkehr erhielt Matthew eine Vorladung zur Polizei. Tief beunr
uhigt verbrachten seine Mutter und seine Geschwister einen ganzen Tag in Gebet u
nd Fasten. Dann machte sich Matthew schweren Herzens auf den Weg zur Polizeistat
ion.
Im Büro des Polizeichefs wurde er von einem Sicherheits¬beamten erwartet.
"Bist du bereit, dich zum Militär einziehen zu lassen?"
"Ja, das ist meine Pflicht als Bürger."
"Dann müßtest du aber an den Schreinverehrungen teilnehmen. Ist dir das klar?"
Der Sicherheitsbeamte fixierte ihn scharf. Matthew blickte schnell um sich. Auf
dem Tisch des Polizeichefs lag der Brief. Matthews Augen kehrten zum Sicherheits
beamten zurück. "Nein, das kann ich nicht."
"Und warum nicht?"
"Weil ich dann Gottes Gebot brechen müßte."
"Unsinn. Als japanischer Untertan hast du zu gehorchen. Du bist doch ein japanis
cher Untertan, oder?'
"Ja, aber ich darf nicht gegen Gottes Gebot verstoßen."
Der Polizeichef winkte den Sicherheitsbeamten für einen Augenblick heraus. Als e
r zurückkam, schickte er Matthew ohne weitere Fragen nach Hause. "Überleg es dir
gut, du wirst wieder vorgeladen."
Matthews Mutter und Geschwister frohlockten. Sie hatten ihn nicht so bald zurück
erwartet. Fast erschien es ihnen wie ein Wunder, und es war ihnen zumute wie den
ersten Christen, als Petrus plötzlich vor ihrer Tür stand.
Nicht lange danach wurde Matthew aufgefordert, sich zur Musterung zu melden. Wie
der betete die Familie, hoffend, daß er zurückgestellt würde. Ihrer Ansicht nach
war selbst Lepra erträglicher, als sich vor dem Schrein verneigen zu müssen.
Aber Matthews Musterungsbefund war ausgezeichnet. Matthew kam er wie ein Todesur
teil vor. Jetzt gab es für ihn kein Zurück außer, wenn er vielleicht ernstlich
erkrankte? "Aber man wird nicht krank, bloß weil man es so will", sagte er sich
. Selbstmord kam ihm in den Sinn, doch er verwarf den Gedanken wieder. Er könnte
sich verstecken, aber die Polizei würde seine Mutter und die übrige Familie so
lange quälen, bis sie seinen Aufenthaltsort preisgaben. Was sollte er nur tun? W
enn er tatsächlich zum Militär ginge? Als japanischer Soldat müßte er gegen die
Alliierten kämpfen, auf der Seite sei¬ner Bedrücker, also gegen die, die seiner
Meinung nach Befreiung brachten. Und außerdem, könnte er beim Militär der Schrei
nverehrung überhaupt aus dem Wege gehen? Wenigstens in diesem Punkt wußte Matthe
w, wie er zu entscheiden hatte.
Die Familie war erschüttert, als er mit dieser Nachricht nach Hause kam. Man sch
rieb Juli 1944, und auf das bisher ruhige Pusan fielen die ersten Bomben. Immer
mehr junge Männer wurden eingezogen. Auf Desertation standen strenge Strafen.
Unverzüglich zog sich Matthew in die Nam hae Berge zurück. Dort wollte er beten
und auf Gottes Fingerzeig warten. Für seine Familie folgten schwere Tage.
"Mutter. . ." Matthew brach ab.
"Sprich weiter, Matthew." Frau Son ließ ihre Arbeit sinken. "Sprich weiter", erm
unterte sie ihn. "Seit du wieder da bist, schleppst du etwas mit dir herum. Du b
ist so verschlossen. Was ist?"
Matthew ließ den Kopf hängen. Drei Tage war er in den Bergen gewesen. Jetzt war
er schon wieder einen ganzen Tag zu Hause. Aber er brachte einfach nicht den Mut
auf, endlich auszusprechen, was er als den Willen Gottes erkannt hatte.
"Sag doch endlich etwas, Matthew. Gibt es etwas, was du vor deiner Mutter verber
gen müßtest?"
"Nein, aber das jetzt ist sehr schwer, Mutter. Ich habe gebetet, und ich gla
ube, wir müssen unsere Familie. . ." Er schwieg, verstört und niedergeschlagen.
"Ich verstehe. " Seine Mutter war ruhig. "Wir müssen unsere Familie auflösen, ni
cht wahr?"
"Ja. Ich weiß, es ist hart. Aber ich darf nicht mehr in Versuchung kommen. Ich k
ann Vater nicht verraten ... und dich. .. und Gott." Matthew brach in Tränen aus
. Endlich löste sich die Spannung, Erregung und Unentschlossenheit der letzten T
age.
Frau Son blickte starr in das Licht der Lampe. Wohin sollten sie gehen, jetzt, d
a um sie herum Bomben zu fallen drohten?
Sie sah keinen Ausweg.
"Man sieht Licht in eurem Haus, Matthew", rief jemand von der Straße herauf.
"Danke, Herr Choe!" Matthew zog die Vorhänge enger zusammen.
Jetzt gab es jeden Tag Fliegeralarm. Frau Son wandte sich an John und Rachel. "I
hr habt gehört, was Matthew vorgeschlagen hat, nicht wahr? Ihr seid jetzt alt ge
nug und habt ein Recht darauf, eure Meinung zu sagen. Was denkt ihr von diesem P
lan?"
Plötzlich begann der kleine Andrew, der offenbar nicht verstand, was um ihn heru
m geschah, leise vor sich hinzusummen: "Was mein Gott will, das geschehe allzeit
." Dieses Lied der Missionare liebten sie alle, sie hatten es in letzter Zeit of
t nach der Familienandacht gesungen.
Endlich faßte sich John ein Herz. "Wenn sich Matthew beim Militär vor dem Schrei
n verneigen muß, dann ist sein Vorschlag die beste Lösung."
Matthew warf John einen dankbaren Blick zu. Er wußte zwar sicher, daß dieser Pla
n nach Gottes Willen war. Aber die Verantwortung für das neue Leid, das er seine
r Familie aufbürden mußte, lastete schwer auf ihm. Daß John ihn unterstützte und
verstand! erleichtert atmete er auf. Sicherlich hatte Gott seinem Bruder die
Augen geöffnet, als die Furcht, einander zu verlieren, sie alle zu überwältigen
und blind zu machen drohte.
Bei Johns Worten schwand auch Frau Sons Selbstmitleid. "Wir werden die Familie a
uflösen", sagte sie fest. Hatte sie nicht ihren Mann aufgegeben, und hatte sie n
icht Kwang ju verlassen, nur um keinen Schrein im Hause aufstellen zu müssen? je
tzt stand ihr Sohn vor schwerer Anfechtung. Sie wollte ihn nicht im Stich lassen
. Gott würde sie alle beschützen. Aber wie sollten sie es nur anfangen?
Während sie still darüber nachdachte, pochte es leise an die Tür. Es war Fräulei
n Whang, eine alte Freundin der Familie, die völlig unerwartet und erschöpft Ein
laß begehrte. Matthew hatte ihr geschrieben und sie um ihre besondere Fürbitte g
ebeten. Deshalb war sie gekommen. So ging sie auch gar nicht auf Frau Sons ersta
unte Fragen ein, sondern wandte sich ohne alle Umschweife an Matthew. "Es war se
hr schwierig, herzukommen. An der Sperre wäre ich fast nicht durchgelassen worde
n. Danke für deinen Brief. Warst du in den Bergen? Hast du gebetet?" Für Frau
Son fügte sie erklärend hinzu: "Ich wollte sofort kommen, als ich Matthews Brief
bekam. Und als ich dann gestern hörte, daß Pusan bombardiert wird und ihr in Ge
fahr seid, konnte ich es nicht länger aushalten. Ich mußte bei euch sein."
Irgend etwas stimmte hier nicht. Fräulein Whang hatte es bereits empfunden, als
Andrew ihr nicht entgegenkam, um sie zu begrüßen. Das hatte er doch sonst immer
getan! Endlich brach Frau Son das bedrückende Schweigen:
"Du kommst zur rechten Zeit. Wir denken gerade daran, unsere Familie aufzulösen.
Das ist es, was Matthew als den Willen des Herrn erkannt hat."
"Was!" Fräulein Whang zuckte zusammen. Sie wußte, was das bedeutete. Wie oft hat
te sie Frau Son und den Kindern geholfen, wenn sie Nahrung brauchten oder Kleidu
ng oder Haushaltsgeräte. Sie war immer für sie dagewesen in Kwang ju, in Pusan
und auf der Leprastation. Aber wenn sie jetzt auseinandergingen was konnte si
e dann noch tun? Die Älteren würden sich irgendwie durchschlagen können, aber di
e kleineren Kinder müßten betteln gehen. Ratlos wandte sie sich an Frau Son.
"Was habt ihr vor?"
"Darüber haben wir noch nicht entschieden."
Gemeinsam erwogen sie nun Möglichkeiten, verwarfen sie wieder und kamen schließl
ich überein, daß Rachel und Andrew nach Ku po ins Waisenhaus gehen sollten. Matt
hew, Frau Son und die kleine Ruth wollten sich in den Nam hae Bergen verstecken.
Aber was sollte mit John geschehen? Für ein Waisen¬haus war er zu alt, und der
Mutter konnte er sich nicht auch noch anschließen. Das wäre töricht gewesen. Sol
lte er weiter in der Faßfabrik bleiben? Das hätte gewisse Vorteile gehabt, aber
Frau Son wollte ihn nicht allein zurücklassen.
"Soll ich nach Puk pang li gehen? Matthew war vor einiger Zeit dort." Das war ei
ne kleine Leprastation in den Bergen.
"Puk pang li?" Fräulein Whang konnte ihre Bestürzung nicht verbergen. Nein, nein
, nicht zu Leprakranken! Sie mußte an den Ae yang won denken. Er sollte nicht se
ine Gesundheit aufs Spiel setzen und der Familie noch mehr Sorgen bereiten. Sie
meinte zwar, daß er dort sicher unterkäme, aber in ihrem Herzen betete sie, daß
sich ein anderer Ausweg finden möge. Aber es gab keinen. Schweren Herzens beschl
ossen sie, daß John doch auf die Leprastation gehen solle.
Dann schwiegen sie, betäubt, erschüttert und traurig. Nur das ferne Heulen der A
larmsirenen zerschnitt die Stille der Nacht.
Von Chin ju aus machten sich John und Fräulein Whang auf den weiten Weg zum Puk
pang li. Die Straße war schlecht. Sie wußten, daß es schwer sein würde, das eins
ame Haus in den Bergen zu finden. Schon brach die Nacht herein, und der Wald ste
llte sich ihnen wie eine schwarze Wand entgegen. Auf jeder Anhöhe kämpften sie g
egen das Bedürfnis zu rasten. John wußte, daß die Kranken ihn herzlich begrüßen
würden, aber er war sich seiner selbst nicht sicher. Wie würde er auf die Aussät
zigen reagieren? Würden ihre entstellten Glieder und Züge ihn abstoßen? Es war l
ange her, seit sie den Ae yangwon verlassen hatten. Damals hatte er Vater und Mu
tter und die Geschwister um sich.
Fräulein Whang spürte die Traurigkeit in seinen Gedanken und tröstete ihn, so gu
t sie konnte. Wie sehr tat er ihr leid! Der junge war kaum sechzehn und mußte sc
hon ohne Familie sein. Und viel schlimmer noch, er sollte unter Leprakranken leb
en, obgleich er selbst gesund war.
"Wissen die Aussätzigen, daß ich komme?"
"Nein. Ich werde zwar erwartet, aber sie ahnen sicherlich nichts von ihrem weite
ren Zuwachs."
"Kennen sie mich denn?"
"Natürlich, sie sind alle aus dem Ae yang won. Du wirst dich auch an einige erin
nern."
Es machte jedoch wenig Unterschied, ob er sie nun kannte oder nicht. Er würde in
jedem Fall mit ihnen leben müssen. Als die Familie übereinkam, ihn zu den Krank
en zu schicken, war er entschlossen, seines Vaters Platz einzunehmen. Hatte er i
hnen das nicht versprochen, damals, als sie wegzogen? Aber je näher er kam, dest
o stärker meldete sich sein Widerwille.
"Was, glauben Sie, werde ich tun müssen, Fräulein Whang?"
"Nicht allzu viel. Nur die Feuer anzünden, Wasser holen und Holz hacken."
"Lebensmittel muß ich nicht holen?"
"Nein, du brauchst die Station nicht zu verlassen."
"Ist sonst nichts zu tun?"
"Ich glaube nicht."
John atmete auf. Dann würde ihm also Zeit bleiben, in der Bibel zu lesen und zu
beten. Eine seiner Hauptaufgaben würde nämlich sein, unaufhörlich für seinen Vat
er, seine Mutter und seine Geschwister zu beten.
Durch die stille Abendluft wehte das ferne Pfeifen eines Zuges zu ihnen herauf.
Das mußte der Zug nach Pusan sein. Es war also schon fast halb zehn. Eilig erhob
sich Fräulein Whang sie hatten während des Gespräches ein wenig gerastet.
"Wir müssen weiter."
Die Aussätzigen des Puk pang li wußten nicht genau, wann Fräulein Whang kommen w
ürde, und hatten schon den ganzen Tag auf sie gewartet. Als es dunkel wurde und
Fräulein Whang immer noch nicht da war, beteten sie wie üblich zusammen und ging
en zu Bett. Nur ein paar waren noch wach und lasen in der Bibel.
"Hallo, schlaft ihr schon?" rief Fräulein Whang.
"Endlich", murmelte die Diakonisse Kim und lief hinaus, um sie zu begrüßen. Erst
aunt stellte sie fest, daß Fräulein Whang nicht allein war. "Unser John!" Diese
Neuigkeit mußten die anderen gleich erfahren.
"Was bringt dich hierher?" wunderte sich einer der Ältesten.
"Er wollte euch alle wiedersehen", warf Fräulein Whang schnell ein.
Stille.
Dann fing einer an mit tiefer, trauriger Stimme zu beten. Johns Anblick ließ all
ihr Leid der vergangenen Jahre neu aufflackern. Ihr geliebter Pastor Son war im
Gefängnis, sie hatten den Ae yang won verlassen müssen, den einzigen Ort, der i
hnen Heimat gewesen war.
Aber sie waren dadurch abhängiger von Gott geworden. Nach einem kurzen gemeinsam
en Gebet hießen sie John noch einmal aufs wärmste willkommen. Er war ihnen herzl
ich dankbar dafür. Doch unwillkürlich wich er vor ihnen zurück.
"Geht es deiner Mutter gut?" - "Ja." - "Matthew auch?" - "Ja." - "Und deinen and
eren Geschwistern?" - "Ja."
"Wie groß du geworden bist, fast schon ein Mann!" rief der Älteste, Shin, aus.
"Ihr habt es sicher schwer gehabt hier oben", bemerkte Fräulein Whang.
"Eigentlich nicht. Aber Sie, nicht wahr?"
"Doch warum ist John hergekommen?" wollte Diakonisse Kim wissen.
"Er will euch an seines Vaters Stelle beistehen, weil er von euren Mühsalen gehö
rt hat." Fräulein Whang hielt inne. Eine längere Erklärung würde warten müssen.
Aber die Kranken gaben sich nicht zufrieden. John mußte sich doch vor ihrer Kran
kheit fürchten! Pastor Son hatte sie als Brüder geliebt und sein Leben in ihren
Dienst gestellt, aber John war doch noch so jung! Es mußte einen anderen Grund d
afür geben, warum er gekommen war! Die Unterhaltung zog sich in die Länge. Als s
ich John vor Müdigkeit nur noch mühsam auf den Beinen halten konnte, wurde er in
einen der gemeinsamen Schlafräume gewiesen.
Fräulein Whang fuhr aus dem Schlaf auf. Erstaunt stellte sie fest, daß John nich
t auf seinem Lager war. Sie wußte nicht, wie spät es sein mochte. Aber es war je
denfalls noch dunkel draußen. Nur die Sterne blitzten hell. Sie sah in der Küche
nach, sie suchte das ganze Haus ab, konnte John jedoch nicht finden. Da erinner
te sie sich eines schmalen Pfades, der vom Haus aus auf den Berg führte. Sie tas
tete sich voran, leise seinen Namen rufend. Aber sie bekam keine Antwort. Endlic
h, nach einem langen, mühsamen Weg, hörte sie eine Stimme in der Stille der Nach
t. Vorsichtig näherkommend, konnte sie seine Worte klar verstehen: "Vater, wenn
Du mir dieses Kreuz zu tragen gibst, dann will ich es gerne auf mich nehmen. Die
sen Kranken hat mein Vater gedient; und weil sie um Deines Namens willen leiden,
weiß ich, Du freust Dich, wenn ich ihnen helfe. Ich bin bereit, ein Diener der
Aussätzigen zu werden, selbst wenn es meine Gesundheit kostet. Reinige mein Herz
und hilf mir, ihnen fröhlich zu dienen."
III.

Am 15. August 1945 kapitulierte Japan vor den Alliierten, und Korea atmete auf.
Mit Glockengeläute und Trompeten wurde der Tag gefeiert; die Koreaner atmeten na
ch sechsunddreißigjähriger Unterdrückung wieder die frische Luft der Freiheit. G
efangene wurden entlassen, Familien vereinigten sich wieder.
Auch für Familie Son war der 15. August ein Freudentag. Rachel und Andrew kehrte
n aus dem Ku po Waisenhaus zurück, John aus den Puk pang li Bergen, Matthew und
Frau Son aus den Bergen von Nam hae. Auch Pastor Son kam wieder, lebend und wohl
behalten. Nur Großvater Son, der unablässig für seinen Sohn im Gefängnis gebetet
und ihn ermuntert hatte, war in diesem Jahr, fünfundsiebzigjährig, in der ferne
n Mandschurei gestorben.
Sie wohnten wieder im Ae yang won. Auch die Leprakranken waren zurückgekehrt. Do
ch es war nicht leicht, die Fäden des früheren Lebens wieder aufzunehmen. Die ve
rlorenen Jahre konnten nicht wettgemacht werden. John war jetzt siebzehn. Die Gr
undschule hatte er im zweiten Schuljahr verlassen müssen, und obwohl ihn der Gro
ßvater zu Hause in den chinesischen Schriftzeichen unterrichtet hatte, fehlte ih
m doch jede weitere Schulbildung. Er versuchte, in die höhere Schule eingestuft
zu werden. Aber man sagte ihm, er hätte das Aufnahmealter überschritten. Schließ
lich gelang es ihm doch, durch die Fürsprache eines befreundeten Pastors endlich
in der Soon chun Oberschule unterzukommen. So zog er zu seinem Onkel in Soon ch
un, und bald kamen auch sein Bruder und seine Schwester nach.
Zwar war John ein überaus fleißiger Schüler. Aber er kam nur langsam voran. Am E
nde des ersten Jahres bestand er mit knapper Not die Prüfung. Selten ging er vor
Mitternacht zu Bett und war schon um fünf Uhr morgens wieder auf. Nachts konnte
er sich oft nur wach halten, wenn er sein Gesicht unter einen harten Strahl kal
ten Wassers hielt. Davon bekam er jedoch zuweilen Nasenbluten. Außerdem litt er
an häufigen Schwindelanfällen. In der Schule galt er als "gut, aufrichtig und zu
verlässig", mit dem Zusatz: "Lernt zweimal so viel wie andere Schüler." Obgleich
er ständig am Rande der Erschöpfung war, verrichtete er seine täglichen Gebete
und besuchte treu den Gottesdienst; manchmal verbrachte er die ganze Nacht beten
d in der Kirche.
Auch Matthew lernte bis spät in die Nächte hinein. Weil er hoffte, in Amerika we
iterstudieren zu können, wandte er dem Erlernen der englischen Sprache besondere
Sorgfalt zu. Er tat sich auch in anderen Fächern hervor, denn er hatte bei weit
em nicht die Schwierigkeiten wie John.
An der Oberschule in Soon chun waren auch der Sohn und die Tochter von Pastor Ra
, einem Freunde Pastor Sons. Sie waren mit den Sonschen Kindern befreundet. Eine
s Tages war Rachel zu Besuch bei Soon keum in Pastor Ras Haus. Die beiden Mädche
n schwatzten und lachten gerade über ihre Erlebnisse in der Schule, als Che min,
der Bruder, hereinkam.
"John hat mir heute eine interessante Geschichte erzählt." Er legte seine Bücher
ab.
"Was für eine Geschichte?" fragten Rachel und Soon keum wie aus einem Munde.
"Matthew hat für einen amerikanischen Soldaten gedolmetscht und ihm so aus der K
lemme geholfen."
"Ach so, ja, wir waren zusammen einkaufen."
"Dann weißt du sicherlich mehr als ich, Rachel. Erzähl doch bitte."
Rachel berichtete also, wie sie vor einigen Tagen mit Matthew an einem Stickerei
laden vorübergegangen waren. Vor dem Laden hatte sich eine Menschenmenge angesam
melt und sah zu, wie der Ladenbesitzer und ein amerikanischer Soldat einander be
schimpften. Matthew trat in den Laden, um herauszufinden, weshalb sie aneinander
geraten waren, und erfuhr, daß der Soldat eine Stickerei gekauft und dabei verse
hentlich eine Glasplatte zerbrochen hatte, die teuer und schwer zu ersetzen war.
Der Soldat entschuldigte sich und wollte die Platte bezahlen. Aber er hatte nic
ht genug Geld bei sich. So versuchte er, dem Ladenbesitzer klarzumachen, daß er
zurückkommen und ihm den restlichen Betrag gleich bringen werde. Der Ladenbesitz
er verstand aber kein Englisch und hörte heraus, der Soldat wolle ihn veranlasse
n, zum amerikanischen Militärhauptquartier mitzugehen. Und da er fürchtete, er k
önnte in Schwierigkeiten geraten, wenn er mitginge, forderte er, daß ihm das Gel
d gebracht würde. Matthew übersetzte, was jeder zu sagen versuchte. Der Soldat g
ing und kam eine Viertelstunde später mit dem Geld zurück. Er brachte auch ein k
leines Geschenk für Matthew mit und entschuldigte sich, daß er ihm Mühe gemacht
hätte.
Das war der Anfang einer Freundschaft zwischen Matthew und dem Soldaten. Matthew
war froh, daß er so sein Englisch üben konnte. Früher schon hatte er angeregt,
daß in der Englischstunde nur Englisch gesprochen würde. Aber andere Schüler hat
ten sich diesem Vorschlag widersetzt, besonders diejenigen, die Matthew nicht mo
chten. Sie hatten seinen Plan, nach Amerika zu gehen, für Angeberei gehalten. De
shalb unterhielt sich Matthew gern mit dem Soldaten und lernte viel dabei. Der S
oldat wunderte sich sehr, daß Matthew mit seinen zweiundzwanzig Jahren noch zur
Schule ging. Aber als er Matthews Geschichte hörte und den Grund für den verspät
eten Schulbesuch erfuhr, war er zutiefst beeindruckt. Bald war Matthew bei den a
merikanischen Soldaten in der Stadt bekannt. Sie gaben ihm den wohlwollenden Spi
tznamen "der alte Oberschüler". Sie konnten nicht ahnen, daß Matthew diese Belie
btheit eines Tages zum Verhängnis werden würde.
Aber nicht nur die Schule bereitete Matthew einigen Kummer. Eines Abends machte
er sich niedergeschlagen auf den Heimweg. Er war in Pusan gewesen. Tief in Gedan
ken schlug er den Weg zum Hafen ein, um mit dem Boot nach Yo su zu fahren. Als e
in Küchenjunge auf seinem Fahrrad vorbeifegte mit einem Tablett Nudeln auf der e
inen erhobenen Hand und das Rad fast seinen Absatz gestreift hatte, wachte er au
f. "Das war aber knapp", stellte er fest. Die Uhr in der Nähe des Hafens zeigte
halb sieben. Bis zur Abfahrt des Bootes blieb ihm noch etwas Zeit. Er setzte sic
h in den Warteraum und vergrub sich wieder in seine Gedanken.
Warum war das Mädchen so abweisend? Er war hierher nach Pusan gekommen, um ein p
aar Dankbesuche abzustatten. Aber vor allem wollte er das Mädchen treffen, das s
eine Eltern für ihn bestimmt hatten.
Das Mädchen!
Verlegen und traurig brütete er vor sich hin! Wie schön sie war; aber wie kalt w
ar sie ihm begegnet. Zweimal zuvor hatte er sie aus der Ferne gesehen. Und jetzt
, aus der Nähe, war sie ihm noch viel anmutiger erschienen, als er sie sich vorg
estellt hatte. Aber warum ging sie ihm aus dem Weg? Vielleicht war sie verlegen,
weil ihre Eltern nicht zu Hause waren, als er kam. Oder hatten seine Eltern ein
en Fehler gemacht? Matthew erwog alle möglichen Gründe. Doch dann wanderten sein
e Gedanken unweigerlich zu sich selbst zurück und zu seiner unabgeschlossenen Sc
hulbildung. Tag für Tag mußte er seinem eigenen Versagen ins Auge sehen, wenn er
versuchte, mit jüngeren Schülern Schritt zu halten. Er ärgerte sich über jedes
verlorene Jahr, und er sehnte sich nach einem gutbezahlten Job, um seinen Lebens
unterhalt zu verdienen. Warum konnte er nicht so leben wie die anderen in seinem
Alter?
Bitter verweilte er auf jeder einzelnen Stufe, die zu seiner gegenwärtig so ungl
ücklichen Lage geführt hatte. Wer war daran schuld? Warum hatten die Japaner ihn
gezwungen, die Schule zu verlassen? Warum hatten sie seinen Vater ins Gefängnis
geworfen, so daß er, Matthew, für die Familie arbeiten mußte? Hatte er nicht re
cht daran getan, der Schreinverehrung aus dem Wege zu gehen? Und doch wurzelte d
ort sein ganzer augenblicklicher Kummer. Er sah sich wieder das Chung ju Gefängn
is betreten, erinnerte sich daran, wie der Sicherheitsbeamte ihn zur Schreinvere
hrung nötigte. Und dann dachte er an die Augenblicke danach, als er seine Schuld
voll erkannt hatte. Eine Welle jener schrecklichen Verlassenheit rollte jetzt ü
ber ihn hinweg und begrub ihn unter sich. "Nein, nein!" Matthew kämpfte gegen di
e Erinnerung an. Lieber wollte er die Zerknirschung dieses Augenblicks, die Kält
e des Mädchens, die Verachtung von seiten seiner Mit¬schüler, lieber noch die En
ttäuschungen im Unterricht ertragen, als jenes Leid noch einmal erfahren.
Dieser Rückblick ernüchterte ihn. Hielt nicht Gott sein Leben in Seiner gnädigen
Hand? Die Bitterkeit war vorbei, die Verzweiflung, die Fragen. Wie konnte er di
e Japaner oder irgend etwas anderes verantwortlich machen für seine Traurigkeit!
War es denn nicht der Herr, der ihn in diese Schule gestellt hatte? Begegnete E
r ihm nicht auch in der abweisenden Haltung des Mädchens?
Langsam fiel die Dämmerung. Matthew hatte wieder Frieden gefunden.
Auf den herbstlichen Feldern nahe der kleinen Stadt Soonchun war die Ernte fast
eingebracht. Matthew betrat den Hof. "Ist John schon da?"
"Nein, noch nicht", rief Rachel zurück.
"Ist er wieder bei Che min?" Matthew ließ sich auf dem hölzernen Boden nieder.
Ich glaube, er ist auf dem Sportplatz."
"Meinetwegen. Aber wo nimmt er bloß die Zeit her, wenn er schon mit dein Lernen
nicht fertig wird?"
"Er ist doch angeblich der schnellste Hundertmeterläufer der Schule."
"Ja, das habe ich auch gehört."
In dem Augenblick kam schwer beladen Frau Son herein. Auf dem Kopf trug sie eine
n Korb, und Sarah, das jüngste Kind, baumelte in einer Schlinge auf Frau Sons Rü
cken. Das Kind wachte auf und lächelte. Rachel sprang hinzu und nahm der Mutter
das Baby ab.
"Und wo ist Vater?"
"Er leitet in Pusan eine Evangelisation. Wahrscheinlich kommt er erst übermorgen
zurück."
"Was hast du heute für uns, Mutter?"
Sie wußte, daß diese Frage kommen würde! "Reis und grüne Bohnen und etwas gepö
kelten Fisch", lachte Frau Son.
"Könntest du dann heute hier bleiben, Mutter?" bat Rachel und liebkoste das Baby
.
"Möchtet ihr denn, daß ich erst übermorgen fahre und den Sonntag bei euch bleibe
?"
"O ja, Mutter. Morgen spricht Matthew in der Seung choo-Kirche."
Alle vierzehn Tage kam die Mutter, und immer war es für die Kinder eine besonder
e Freude. Sie brachte Fisch oder Fleisch, eine willkommene Ergänzung zu ihrer tä
glichen Mahlzeit aus Gemüse und Reis. Und sie brachte frische Wäsche mit und nah
m die schmutzige mit nach Hause.
An jenem Sonntag sprach Matthew auf einer Versammlung der christlichen Studenten
vereinigung. Er erzählte die Geschichte eines Mädchens, das während der Christen
verfolgung durch Tai won kun umgekommen war. Der Soldat, der sie erschießen soll
te, flehte sie an, ihrem Glauben abzuschwören, damit er sie am Leben lassen könn
e. Sie aber blieb fest und drängte ihn, Buße zu tun. Da schoß der Soldat. Später
jedoch bekehrte er sich zu Christus und erbaute über der Hinrichtungsstätte ein
e Kirche. Diese Kirche brachte viele lebendige Christen hervor, die in andere Ge
meinden ausgesandt wurden. So hatte der Tod des Mädchens viel Frucht getragen. M
atthew ermunterte seine Zuhörer, sich an Jesus zu wenden, damit auch sie, wie je
nes Mädchen, fest gegründet seien, selbst im Tod.
Die Studenten waren von Matthews Predigt tief angerührt. Und Frau Son sah dankba
r, wie ihr Sohn in die Fußtapfen seines Vaters trat.
Ein paar Tage später brachte John ein paar Freunde mit nach Hause, um mit ihnen
zusammen Hausaufgaben zu machen.
"Ich wünschte, wir könnten das Erntedankfest etwas früher feiern", stellte Che m
in fest, als sie über die Felder gingen.
"Und warum?"
"Weil unsere Ernte dann schon längst vorbei ist. Wir feiern erst dann, wenn wir
unsere Freude darüber schon fast wieder vergessen haben."
"Das stimmt", meldete sich John, "aber ich glaube doch, es ist am besten, wir fe
iern das Fest zusammen mit den Amerikanern."
"Ich meine aber, wir könnten seine Bedeutung besser verstehen, wenn das Erntedan
kfest gleich nach der Ernte käme", beharrte Che min.
"Ja", pflichtete ihm ein anderer bei. "Vielleicht wäre jetzt die beste Zeit dafü
r, jetzt, da die Ernte gerade eingebracht ist. Aber der Brauch, das Erntedankfes
t im November zu feiern, stammt sicher nicht von Amerika. Denn das Fest war scho
n vor dessen Gründung da." Mehr schien zu diesem Thema nicht zu sagen zu sein.
Eine Photographie an der Wand zeigte eine Gruppe von Männern, Pastoren und Mitar
beitern in der Gemeindearbeit. Als Johns Blick das Bild streifte, mußte er an di
e Worte Jesu denken: "Die Ernte ist reif, aber der Arbeiter sind wenige." Wie tr
afen doch diese Worte für Korea zu. Drei Jahre waren seit der Befreiung vergange
n, und anstatt endlich Frieden zu haben, versank das Land in immer tieferen Wirr
en. Immer wieder hörte man von schweren Gewaltakten. Selbst Schulen blieben nich
t verschont. Schüler wandten sich gegen ihre Lehrer, Rechtsgerichtete gegen Link
sgerichtete, der Norden gegen den Süden, das aufgewiegelte Volk gegen die Regier
ung. Das Land war zerrissen in unzählige Interessengruppen, und selbst die Kirch
en, die Gerechtigkeit und Liebe predigten, bekämpfen einander. Während der Besat
zungszeit war der Glaube der meisten Pastoren und Ältesten schwach geworden.
"Was brütest du so vor dich hin?" fragte Che min.
John blickte auf das Bild. "Ich dachte an die Männer dort."
"Waren alle diese Männer eingesperrt?" - "Nein, einige nicht.
"Waren noch andere weg?" - "Ja, viele." John zählte die Namen auf, die ihm bek
annt waren. "Und ich weiß von mehr als 50, die umgebracht wurden, und es gibt no
ch viele mehr."
"Woher weißt du das so genau?" fragte einer der Jungen, erstaunt über die Sicher
heit, mit der John sprach.
"Von meinem Vater."
"Willst du auch auf ein College in den USA, wie Matthew?" fragte Che min. "Wenn
du dann zurückkommst, dann wirst du wirklich beim Aufbau unseres Landes mithelfe
n können!"
"Ja, aber ich glaube, dazu braucht man nicht ins Ausland zu gehen."
Weder er noch Matthew sollten je nach Amerika gelangen.
IV.

21. Oktober 1948. Zwischen seinen Reisen ruhte Pastor Son ein paar Tage zu Hause
im Ae yang won aus. Plötzlich, völlig unerwartet, stand Andrew vor der Tür. Eig
entlich sollte er in der Schule sein!
"Was machst du denn hier, Andrew?"
"Matthew hat mich hergeschickt, weil er fürchtete, ihr könntet euch wegen der In
vasion Sorgen machen. Die Soldaten wollten mich zuerst nicht durchlassen, aber d
ann sagte ich, ich ginge nach Hause."
"Geht es deinen Brüdern gut?"
"Ja, aber sie Machen sich große Sorgen, und nach der Morgenandacht bestanden sie
darauf, daß ich nach Hause zurückgehe. Sie sagten, ich solle fleißig lernen und
dir und Mutter gehorchen, und sie würden mich im Himmel wiedersehen. Ich glaube
, sie schickten mich fort, weil sie nichts mehr zu essen hatten."
Am Tage zuvor hatten kommunistische Aufwiegler in Yosu die ersten Schüsse abgefe
uert und hatten dann den Zug nach Soon chun besetzt. In Soon chun überfielen sie
die Poli¬zei, brachten einen großen Teil der Polizisten um und nahmen mit dort
ansässigen jungen Kommunisten die Stadt ein. Sie ermordeten alle Männer in hohen
Positionen, viele Reiche und die bekannten Mitglieder rechtsgerichteter Parteie
n. Die Leichname ließen sie auf der Straße liegen.
Rachel und ihr Onkel waren am Tage vor dem Aufstand aus Soon chun in den Ae yang
won gekommen, um neue Vorräte zu holen. Pastor Son hatte sehr um seine Kinder i
n Soon chun gebangt. Er war erleichtert, daß wenigstens Andrew da war. Nachdem e
r ihn ausgefragt hatte, gebot er ihm, alles eilig seiner Mutter zu berichten. Er
selbst wandte sich bedrückt der Lepra Station zu.
"Wer da?" donnerte ein südkoreanischer Soldat aus der Dunkelheit und sprang von
einem Lastwagen herunter, die Fahne der Republik Korea schwenkend.
"Ich bin Soon bok Hong", kam die Antwort, "Lehrer an der Schule im Ae yang won i
n Yo su. Wir haben gehört, daß die Söhne unseres Pastors Son im Soon chun Massak
er umgekommen sind, und ich will nachforschen, ob das stimmt, und wenn es so ist
, dann will ich ihre Leichname zurückbringen."
"Was ist der Ae-yang won?"
"Eine Station für Leprakranke."
Der Soldat kam näher heran und sah die zerstörten Züge des Mannes.
"Was haben Sie bei sich?" Die Stimme des Soldaten klang weicher.
"Nichts außer einer Bibel", antwortete Hong und zog sie hervor. Erleichtert ließ
der Soldat ihn weiterziehen. Es war gefährlich auf der Straße!
Am 22. Oktober war das Gerücht in den Ae-yang won genommen, daß John von den Auf
ständischen getötet worden sei. Die Kranken waren ganz außer sich. Pastor Son ko
nnte dem Bericht jedoch keinen Glauben schenken und versuchte zu trösten: "Es is
t einerlei, ob meine Kinder tot sind oder leben. Sorgt euch nicht, denn wenn sie
tot sind, dann sind sie im Himmel, und wenn sie leben, dann sind sie in Gottes
Hand." Und weil er sich selbst nicht beunruhigen ließ, legten sich auch Frau Son
s Ängste.
Geduldig warteten sie bis zum 24. Oktober, aber sie erhielten keine Nachricht, w
eder von Matthew und John, noch von Rachel und ihrem Onkel. Als Frau Son in ihre
r großen Sorge selbst nachsehen wollte, was vorgefallen sei, hatte der junge Leh
rer Soon bok Hong angeboten, sich auf den Weg zu machen. Aber das Reisen war ver
boten, und in Soon chun lauerten noch immer Gefahren. Deshalb versuchte Pastor S
on, ihn zurückzuhalten.
"Leben und Tod liegen in Gottes Hand", sagte er. "Warum also diese Eile? Nur um
zu wissen, ob sie noch am Leben sind?'
"Aber wir finden keinen Frieden, bis wir nicht sicher wissen, was geschehen ist.
Ist das nicht Grund genug, Pastor Son? Ich will mir das Gesicht mit Ruß schwärz
en und Lumpen anziehen. Als Aussätziger komme ich sicher durch.
Endlich gab sich Pastor Son zufrieden und ließ ihn gehen, riet ihm jedoch, seine
Bibel mitzunehmen, da sie ihm vielleicht unterwegs von Nutzen sein könne. So ha
tte Soon bok Hong das erste Hindernis auf seinem Zehnmeilen Marsch nach Soon chu
n überwunden.
Die Felder, durch die er zog, standen schon kahl. Die Dorfleute schnitten Kohl f
ür den Winter. Der Himmel war klar und die Bäume von lebhaftem Grün. Emsige Vöge
l pickten auf den leeren Feldern verstreute Körner auf. Wie friedlich das Land w
ar! Aber das alles täuschte ihn nicht über den Grund dieser gefahrvollen Reise h
inweg. Von Zeit zu Zeit wurde die friedvolle Stille von Lastwagen, Panzern und A
rtilleriefeuer gebrochen. Jedes Mal, wenn die Panzer an ihm vorbeirasselten, wur
de er aufgehalten, ausgefragt, und jedes Mal gab er die gleiche Antwort und durf
te weiterziehen. Er pries Gott für Pastor Sons Rat, seine Bibel mitzunehmen.
Der Weg zog sich schier endlos hin, und das Geratter des schweren Maschinengeweh
rfeuers, das durch die Hügel rollte, erfüllte ihn mit schlimmer Vorahnung.
25. Oktober.
"Schnell, Frau Son, Hong ist auf dem Weg hierher."
Mit einem Aufschrei stürzte Frau Son auf den Hof hinaus. "Wo ist er?"
"Dort drüben!" antwortete Frau Cha und deutete zur fernen Landstraße hin, die si
ch durch die Vorhügel wand. "Kommen Sie mit!"
Frau Cha wandte sich um und lief den Weg zurück, den sie gekommen war. Frau Son
folgte ihr, von Hoffnung und Furcht zerrissen. Plötzlich verlor sie Hongs müde G
estalt aus den Augen. Sie zögerte. Da sah sie zwei Frauen auf sich zukommen: "Ih
re Kinder kommen!"
Hoffnungsvoll eilte sie weiter, sah aber nur Rachel und Ruth. Zuerst war sie erl
eichtert doch dann durchfuhr sie ein lähmender Schreck.
"Meine Söhne, meine Söhne!" schrie es in ihr auf. Schon von weitem fragte sie di
e beiden Mädel, ob Matthew und John nachkämen. Aber sie antworteten nicht. "Viel
leicht haben sie mich nicht gehört." Sie lief den Mädchen entgegen und wandte si
ch an Rachel: "Sag, lebt John? Sag ja! Sag ja!"
Doch Rachel blieb stumm, und Ruth schluchzte vor sich hin.
"Und Matthew ist er auch tot?"
Noch immer keine Antwort.
"Rachel, so sprich doch', schrie die Mutter.
Rachel brach in Tränen aus.
"Dann leben beide nicht mehr."
Frau Son starrte mit weit aufgerissenen tränenlosen Augen in die Ferne. "Matthew
hat erst vor ein paar Tagen hier gesungen, und John holte sich vor zwei Wochen
saubere Wäsche. Jetzt sind sie beide tot." Ihr war, als fiele ein Hammer auf sie
herab, um sie zu zerschmettern.
Als Pastor Son hörte, daß Soon bok Hong zurück sei, lief er ihm entgegen. Einige
der Ältesten folgten ihm. Hong war auf einen Seitenweg abgebogen, um nicht Frau
Son begegnen zu müssen. Nun war er vor den Toren des Ae yang won angelangt, abe
r er wagte nicht, einzutreten. Stumm stand er im Kreise der Kranken, die ihn zu
seiner Begrüßung umringten.
"Da kommt Pastor Son."
Hongs Herz sank. Oh, warum war er nach Soon chun gegangen?
"Hattest du eine gute Reise?' fragte Pastor Son ruhig.
Hong wagte nicht, seinen Blick zu heben.
"Unser Matthew und unser John sind tot, nicht wahr?" fuhr Pastor Son fort und ho
ffte, wie seine Frau, verzweifelt, daß Hong nein sagen würde.
"Ja", begann Hong unter Tränen.
"Laßt uns ... laßt uns zusammen beten", warf Pastor Son schnell ein.
Es war ein kurzes Gebet, unterbrochen vom Schluchzen der Kranken und von den Wog
en des Schmerzes, die über Pastor Son hinwegrollten.
Wie konnte er beten? Was sollte er seinem himmlischen Vater sagen, der ihm seine
Kinder genommen hatte? Aber kein Vorwurf ging über seine Lippen, denn in den vi
elen Jahren der Jüngerschaft und in vielem Leid hatte er gelernt, den Willen Got
tes anzunehmen. So betete er: "Lieber Herr, wir danken dir, daß sie als Märtyrer
gestorben sind", und dann: Obgleich wir nicht wissen, wer die Mörder waren, ver
geben wir denen, die sie getötet haben. Vater, o Vater, schenke uns deine Liebe.
Eine Liebe, die vergeben kann. Vergib uns unsere Schuld. Wir bitten dich ... im
Namen Jesu!"
Er wußte nicht, daß seine Frau schon informiert war. Er suchte den Zuspruch Gott
es, um seine Frau und die Gemeinde trösten zu können. So führte er die Kranken i
n die Kirche, obgleich sie Widerspruch erhoben, weil sie ihn nicht aufhalten wol
lten.
Als ob die Glocke sie zusammengerufen hätte, versammelte sich die Gemeinde der A
ussätzigen in der Kirche. Sie versuchten, ihren Pastor durch Choräle und Gebete
zu trösten. Dann bat einer der Ältesten Hong um einen genauen Bericht. Sie alle
wollten wissen, was geschehen war.
Betrübten Herzens stand Hong auf. "In aller Frühe machte ich mich auf den Weg na
ch Soon chun. Zwar wurde ich viele Male angehalten und durchsucht, aber ich durf
te doch weitergehen, wenn ich meine Bibel vorzeigte und den Grund für meine Reis
e nannte. Als ich ankam, fielen immer noch Schüsse auf den Straßen. Aber zum Glü
ck traf ich einen Polizisten, den ich kannte. Der versicherte mir, daß der Aufru
hr verebbt sei. Unterwegs hatte ich Leichname auf dem Wege liegen sehen, aber de
r Anblick, der sich mir in der Nähe des Bahnhofes bot, verschlug mir den Atem. T
ote waren zu großen Haufen aufgeschichtet."
Hong versuchte, den Ekel aus seinem Gedächtnis zu verdrängen. Dann fuhr er fort:
"Ich ließ mich im Strom der Menschen treiben, die nach Verwandten, nach Eltern
und Kindern suchten. So schnell ich nur konnte, begab ich mich zu dem Haus, in d
em John und Matthew gewohnt hatten, aber es war verschlossen. Zuerst dachte ich,
daß vielleicht alle fortgegangen seien und wandte mich der Seung choo Kirche zu
. Doch dann überlegte ich es mir, ging noch einmal zum Haus zurück und rief laut
: Ist jemand zu Hause? Ich komme vom Ae yang won. Hört ihr? Vom Ae yang won!" En
dlich öffnete sich die Tür ein wenig und eine Frau blickte durch den Spalt. Als
sie mich sah, rief sie nach Rachel, die zusammen mit Ruth und Diakon Yang heraus
kam. Ihre Augen waren ganz verschwollen vom Weinen. Meine Brüder sind tot! schlu
chzte sie. Obgleich ich auf diese Nachricht schon halb gefaßt war, wurde mir doc
h schwarz vor den Augen. Ich fragte nach ihren Leichnamen. Die seien gefunden wo
rden, sagte sie, und erzählte dann, was geschehen war.
Hong hielt inne und seufzte tief auf. "Am Morgen des 20. Oktober gingen die beid
en wie gewöhnlich zur Schule. Matthew kam früher als sonst nach Hause und berich
tete, daß in der Stadt Unruhen waren. Er hatte Bekannte zum Bahnhof gebracht. Do
rt sei ein Personenzug eingelaufen, der von Soldaten besetzt gewesen sei Kommu
nisten. Die Polizei habe dem Eindringen der Soldaten wehren wollen, und so sei e
s zu einer Schießerei gekommen, so daß die Menschen vor den Geschossen nach alle
n Richtungen geflohen seien. Da habe sich Matthew nach Hause begeben. Später, al
s alle, außer John, aus der Schule zurück waren, machte er sich große Sorgen. Al
lmählich wurde der Gefechtslärm lauter und schien sich dem Stadtzentrum zu näher
n. Da gingen Diakon Yang und Matthew auf die Straße hinaus und erfuhren, daß die
Kommunisten eine Revolte vom Zaun gebrochen hätten die Aufständischen sagten,
die Volksarmee habe den 38. Breitengrad überschritten, Tai gu und auch Pusan se
ien schon besetzt und als nächste Städte sollten Jo su und Soon chun erobert wer
den. Als sie das hörten, versteckten sie sich alle im Keller eines Nachbarhauses
. Bei Einbruch der Dunkelheit kam John nach Hause zurück. Er berichtete, es sei
in der Tat ein kommunistischer Putsch, die Aufständischen hätten die Schule umst
ellt, aber die Schüler schließlich doch nach Hause gehen lassen. Dies, so glaubt
e John, sei ein Konflikt zwischen Recht und Unrecht und eine Herausforderung an
die Christen, zu widerstehen und zu kämpfen. Als Diakon Yang Matthew drängte, si
ch in Sicherheit zu begeben, antwortete er: Jesus ist unsere einzige Sicherheit!
und lehnte es ab, sich zu verstecken."
Hong sprach vom Mut und vom Glauben der beiden Jungen. "Am folgenden Tag, am 21.
Oktober, standen die beiden früh auf, obgleich sie nur wenig geschlafen hatten.
Matthew sagte, er habe einen seltsamen Traum gehabt, aber als ihn Diakon Yang d
arüber befragte, wollte er keine Auskunft geben. Gleich nach dem Frühstück und d
er Andacht schickte John Andrew in den Ae yang won zurück, ging dann zum Brunnen
hinter dem Haus, wusch sich und legte saubere Kleider an. Dann zogen sich die B
rüder zum Gebet zurück. Als sie zu den andern herauskamen, waren sie sehr blaß.
Diakon Yang fragte noch einmal nach Matthews Traum, aber Matthew schwieg. Der Na
chbar, in dessen Keller sich die Hausgemeinschaft den Tag zuvor verborgen hatte,
bat sie erneut zu kommen. Aber Matthew und John wollten nicht. Diakon Yang vers
uchte, sie zur Flucht in den Ae yang won zu überreden, aber sie erwiderten, es s
ei eine Schande, unterwegs gefangen genommen zu werden. Sie wollten bleiben und
der kommenden Gefahr ins Auge sehen. Nach einem kleinen Imbiß begab sich Diakon
Yang in das Haus des Nachbarn. Um etwa zehn Uhr umstellte eine Gruppe lärmender
Studenten das Haus. Schlotternd vor Angst kam der Diakon zurück und fand Matthew
von den Studenten zusammengeschlagen.
,Was wollt ihr von mir?' fragte Matthew. Was habe ich euch getan?'
,Das weißt du nicht? Bist du denn nicht ein gelber Amerikanersklave? Sagtest du
nicht, du wolltest in Amerika studieren?'
,Nein!' erwiderte Matthew, ich bin kein Amerikanersklave. Ich bin Christ und wil
l keine andere Bezeichnung.'
,Halt den Mund! Also du bist immer noch von diesem christlichen Geist besessen?'
,Was wollt ihr damit sagen? Was ist nicht in Ordnung mit dem christlichen Geist,
dem christlichen Glauben? Selbst wenn ihr mir den Kopf abschlagt meinen Glaub
en könnt ihr mir nicht nehmen!'
,Schlagt ihn zusammen!' schrie jemand, und ein anderer schleppte ein Nagelbrett
herbei, das sie auf ihn niederkrachen liegen. Dann wandten sie sich Diakon Yang
im Nebenzimmer zu.
Wer bist du?' ,Ein Zimmermann.' ,Irgendwie verwandt mit diesen beiden da?' ,Nein,
ich bin nur der Besitzer des Hauses.' Frau Yang be¬kräftigte die Antworten ihre
s Mannes. So wurden sie in Ruhe gelassen.
Die Burschen nahmen wieder Matthew aufs Korn und John, der Matthew zu verteidige
n gesucht hatte. Über die Gesichter der Brüder strömte Blut, und ihre Körper ver
färbten sich, wo die Schläge sie getroffen hatten.
Endlich schrie jemand:
,Machen wir Schluß mit ihnen!'
Sie fesselten Matthew mit einem Seil. John mußte die Hände hochnehmen. So wurden
die beiden abgeführt. Einige der Studenten blieben zurück und suchten Bücher un
d andere Habseligkeiten der Brüder zusammen, die gegen sie verwendet werden konn
ten. Ruth hatte dem allem zugesehen und weinte. Aber sie konnte die Studenten mi
t ihren Tränen nicht erweichen."
Hong hielt inne. Er konnte doch nicht sagen, daß Diakon Yang zu feige gewesen wa
r, den Jungen zu folgen, und daß er deshalb nicht wußte, was dann geschah.
So fuhr er fort: "Danach konnte Diakon Yang nur erfahren, daß die Jungen zum Hau
ptquartier der Kommunisten gebracht worden waren. Den ganzen Tag über kamen sie
nicht zurück. Am folgenden Tag, dem 22. Oktober, gelang es den republikanischen
Soldaten endlich, den Aufständischen Einhalt zu gebieten. Diakon Yang und seine
Frau zogen Erkundigungen ein und erfuhren, daß Matthew und John erschossen worde
n waren. Nach einigen Schwierigkeiten gelang es ihnen, die Leichname zu finden.
Eigenartigerweise waren die Körper der beiden Jungen nicht so zugerichtet wie di
e anderen Opfer des Aufstandes, die die Polizei in ein Feld geworfen hatte. Desh
alb konnten die Yangs mit der Hilfe von Diakon Chung die Leichname auf einer Str
ohbahre ins Haus zurückschaffen. Und dort fand ich sie zwei Tage später."
Mühsam sprach Hong dann von seinen eigenen Erlebnissen. Seine erste Sorge war, d
ie Jungen provisorisch begraben zu lassen. Dabei traf er zufällig die Frau eines
Photographen, die ihm bekannt war. Sie hatte beobachtet, wie die Aufständischen
Matthew und John abgeführt hatten. Von ihr und von einem Schulkameraden der Jun
gen, der sie hatte sterben sehen, erfuhr er Einzelheiten über den Prozeß Einze
lheiten, die der Familie und den Freunden der Jungen sehr wichtig waren.
Die Frau hatte gehört, daß die Aufständischen einige Christen verhaftet und sie
zur Polizeistation geschleppt hatten. Sie fürchtete, daß ihr Mann darunter sei u
nd lief auf die Straße hinaus. Ihren Mann konnte sie zwar nicht entdecken er h
atte sich verborgen und war in Sicherheit , aber sie sah Matthew und John, blut
überströmt, wie sie mit Knüppeln und Gewehrkolben gestoßen und geschlagen wurden
. Dennoch redeten die beiden Jungen ernsthaft auf ihre Peiniger ein, drängten si
e, Buße zu tun und an Jesus zu glauben, baten sie, nicht gegen ihre Landsleute z
u kämpfen, sondern nach dem Geist des christlichen Glaubens zu suchen, durch den
allein sie ihrem Land von Nutzen sein könnten. Die Frau vergaß ihr eigenes Leid
, als sie die Jungen so reden hörte.
Der Klassenkamerad der beiden, der sie hatte sterben sehen, war erst vierzehn Ja
hre alt. Er berichtete, Matthew sei auf den Hinterhof der Polizeistation gebrach
t worden, wo die Toten aufgestapelt lagen. Dort drangen die Studenten auf ihn ei
n.
"Willst du immer noch auf deinem christlichen Glauben beharren? Wenn du bereit b
ist, deinen Glauben aufzugeben und mit uns zusammenzuarbeiten, dann lassen wir d
ich laufen, so wie Myung sin Ro." Sie deuteten auf einen Studenten, der zu ihnen
übergelaufen war.
Matthew ließ sich nicht beirren. "Selbst wenn ihr mich umbringt, meinen Glauben
könnt ihr mir nicht nehmen. Ihr müßt euch ändern, nicht ich. Hört auf mit eurer
Grausamkeit und glaubt an Jesus Christus."
"Vergeudet keine Zeit mit ihm", schrie jemand dazwischen. "Schießt doch endlich!
" Da warf sich John vor Matthew.
"Hört zu", rief er. "Mein Bruder ist der älteste Sohn unserer Familie. Er wird f
ür meine Eltern sorgen müssen, wenn sie alt sind. Bringt mich an seiner Stelle u
m und laßt ihn gehen."
Matthew wand sich, aber er war zu fest gebunden. "John, sei kein Tor. Sie haben
es nicht auf dich abgesehen. Gehe du nach Hause und übernimm meine Pflichten!"
Einer der Burschen riß John beiseite. Ein anderer verband Matthews Augen. Als Ma
tthew merkte, daß er gleich erschossen werden sollte, beschwor er sie: "Ihr müßt
umkehren und an Jesus Christus glauben. Selbst wenn ihr mich jetzt erschießt, i
ch gehe in den Himmel. Aber ihr! Wie könnt ihr der schrecklichen Strafe der ewig
en Verdammnis entgehen?"
Blind vor Zorn gaben die Aufständischen Feuer.
"Vater", schrie Matthew, "nimm meinen Geist auf. Vergib ihre..." Der Satz blieb
in der Luft hängen. Sein Körper kippte vornüber. Die anderen fluchten und schrie
n. Da entwand sich John wie ein Tiger dem Griff seiner Wächter und umfing den Kö
rper seines Bruders.
"Ihr habt meinen Bruder umgebracht. Ihr habt einen Unschuldigen getötet. Wie wol
lt ihr euch rechtfertigen, daß ihr unschuldiges Blut vergossen habt? Kehrt um un
d glaubt an Jesus Christus!"
"Legt den auch um", schrie es aus der Menge.
John antwortete: "Ich folge meinem Bruder, der jetzt schon im Himmel ist. Denn i
ch habe den gleichen Glauben wie er." Dann breitete er seine Arme weit aus: "So
starb mein Heiland am Kreuz, und genauso will ich eure Kugeln erwarten. jetzt kö
nnt ihr schießen."
"Dieser Kerl ist ja noch schlimmer als sein Bruder", bemerkte einer der Studente
n. Die Salve krachte. Johns letzte Worte waren ein Gebet: Vater, vergib ihre Sch
uld. Hilf ihnen, umzukehren. Nimm du meinen Geist auf und sei mit meinem Vater u
nd ..."
Sein Körper fiel leblos über den seines Bruders.
"Sie starben wie Stephanus", beendete Hong seinen Bericht. "Gelobt sei der Herr,
der sie durch ihr tägliches Leben, ihr Leben im Glauben, vorbereitet hat, als M
ärtyrer zu sterben."
Pastor Son trat vor die Gemeinde.
"Liebe Brüder, ich glaube ganz sicher, daß meine beiden Söhne Matthew und John b
ei Gott sind. Ihre Mörder aber werden der ewigen Verdammnis nicht entgehen, wie
Matthew sagte. Das läßt mich nicht los. Kann ich, der ich das Evangelium verkünd
ige, die Mörder meiner Kinder umkommen lassen?"
Selbst wenn sie Fremde wären, müßte er sich um sie bemühen. Wo sollte das enden,
wenn sich Menschen eines Volkes gegenseitig umbrachten? Die eine Seite rächte s
ich an der anderen. Mußte das nicht zum völligen Untergang führen? Jemand sollte
nach Soon chun zu Pastor Duk Whan Ra gehen. Pastor Ra sollte dafür sorgen, daß
die Mörder seiner Söhne, wenn man sie aufspürt, nicht geschlagen oder getötet wu
rden. "Ich will versuchen, sie zu Jesus zu bekehren und sie als meine Söhne adop
tieren." Und da Matthew und John Pastoren werden und der Ae yang won Kirche an s
einer Stelle einmal dienen wollten, sollten sie nicht in Soon chun, sondern hier
in den Hügeln des Ae yang won begraben werden. "Dies sind meine beiden Wünsche
an euch und an meinen himmlischen Vater."
Frau Son tat wie gewöhnlich ihre Arbeit. Aber sie war stumpf und in sich gekehrt
. In chai Li, der Laienpastor, versuchte sie zu trösten, aber es gelang ihm nich
t. Heute sollten die Leichname der beiden Jungen ankommen. In einer Stunde würde
der Lastwagen da sein, den die Kirchenleitung des Ae-yang won dafür bestellt ha
tte. Auch Pastor Son war einsilbig und niedergeschlagen. Gestern noch hatte er s
o voller Glauben und Kraft gesprochen. Aber jetzt beugte ihn tiefe Trauer. Er ka
m nicht los von dem Gedanken, daß ihm all diese Nöte und Sorgen auferlegt seien,
weil er schwer gesündigt hatte.
Sie standen um den Frühstückstisch.
"Sprichst du das Dankgebet heute?" Li, überrascht, wußte nicht, wie er an einem
solchen Tage danken sollte, aber er begann: "Lieber Vater, wir danken Dir für De
ine unendliche Liebe." Er hielt inne. "Wir danken Dir, daß Du denen, die Dich li
eben, alle Dinge zum besten dienen läßt. Wir danken Dir, daß es Dir gefallen hat
, das Leben unseres Pastors während seiner Gefangenschaft und während seines Pro
zesses zu schonen, und daß Du dafür diese beiden wertvollen Leben zu Dir genomme
n hast. Alle drei waren Dir geweiht, Vater, und Du hast eines erhalten und zwei
genommen. Wir wissen nicht, warum; aber wir wissen, daß Du Deinen Plan damit has
t, und wir bitten Dich, daß Du uns diesen Sinn zeigst. Segne uns jetzt diese Spe
ise, die Du uns geschenkt hast, und hilf uns, nach Deinem Willen zu leben. Das a
lles bitten wir im Namen Deines Sohnes."
Pastor Sons Augen glänzten, und Freude schwang in seiner Stimme. "Li, ich bin di
r wirklich sehr dankbar."
Durch dieses Gebet hatte Gott ihn wieder aufgerichtet, ihn befreit von den quäle
nden Selbstvorwürfen. Jetzt wartete er gespannt darauf, daß Gott Licht warf auf
den Weg, der vor ihm lag. Als die Särge mit seinen Söhnen ankamen, ging er selbs
t dem Trauerzug voran, und triumphierend sang er das Lied der auferstandenen Chr
isten:
Wenn dann zuletzt ich angelanget bin im schönen Paradeis,
von höchster Freud erfüllet wird der Sinn, der Mund von Lob und Preis.
Das Halleluja reine man spielt in Heiligkeit,
das Hosianna feine ohn' End in Ewigkeit,
mit Jubelklang, mit Instrumenten schön, in Chören ohne Zahl,
daß von dem Schall und von dem süßen Ton sich regt der Freudensaal,
mit hunderttausend Zungen, mit Stimmen noch viel mehr,
wie von Anfang gesungen das große Himmelsheer.
Pastor Sons Anblick sprach von dem Leid, das tief verwundet, aber nicht überwält
igen kann, das den Kelch der Traurigkeit füllt, aber nicht überfließen läßt. Es
war der Anblick eines trauernden Vaters, der sich von den Ewigen Armen Gottes ge
tragen weiß.
Ein paar Wolken hingen im hohen Himmel, und der Wind raschelte in den Herbstblät
tern. In der Ferne breitete sich das Meer aus, aber den Trauernden schien es wie
der Jordanfluß. "Die Blätter fallen, und wir sind nicht traurig, daß sie welk w
erden. Aber die beiden, die wir beweinen, waren wie Knospen. Sie wurden im Frühl
ing gepflückt ... Wie schwer war ihr kurzes Leben, Herr! Vater, vergib, daß wir
so traurig sind!"
Der Beerdigungsgottesdienst nahm seinen Lauf. Li sprach über einen Text aus der
Offenbarung, kraftvoll und tröstend. Seine Worte stärkten die heimgesuchte Famil
ie und die trauernden Kranken.
Dann trat Pastor Son vor. Seine Bewegungen waren schwer, aber seine Stimme klang
frisch.
"Ich will nicht die übliche lange Antwortrede halten. Dafür zähle ich die vielen
Wohltaten auf, die der Herr mir erwiesen hat, und ich will Ihm dankbar dafür se
in.
Ich danke dem Herrn, daß er mich sündigen Menschen zum Vater von Märtyrern hat w
erden lassen.
Ich danke dem Herrn, daß er mich unter seinen vielen Jüngern erwählt hat, diese
wertvollen Schätze zu hüten.
Ich danke dem Herrn, daß ich ihm meine beiden ältesten Kinder, gerade sie, die F
reude und Ehre jedes Vaters, habe geben dürfen."
Seine Stimme versagte ihm den Dienst. Die Trauernden schlossen die Augen, um die
aufsteigenden Tränen zurückzuhalten. Aber es gelang nicht. Sie alle wußten, daß
er sich mit dem großen Verlust abgefunden hatte. Aber sollte er wirklich so vol
ler Dankbarkeit sein?
"Ich danke für das Vertrauen des Herrn, daß er mir die Ehre erweist, nicht nur e
inen, sondern zwei Söhne hinzugeben." Pastor Son hatte sich wieder gefangen.
"Wenn es schon segensreich ist, nach einem christlichen Leben im Bett zu sterben
, wie viel mehr Segen liegt darauf, nach der Verkündigung des Evangeliums als Mä
rtyrer sein Leben zu lassen.
Ich danke dem Herrn dafür.
Ihr alle wißt, daß meine Söhne nach Amerika gehen wollten. Aber der Herr hat sie
zu sich geholt, an einen viel besseren Ort. Deshalb bin ich voller Frieden.
Ich danke dem Herrn.
Ich danke dem Herrn für die Liebe, die er mir geschenkt hat. Er wird mir helfen,
den Feind, den Mörder meiner geliebten Söhne, zu bekehren und ihn als meinen So
hn anzunehmen."
Tiefe Stille. Das erschien so widernatürlich, so unfaßbar! Einige jedoch wußten
schon von dem Boten, der dieses Anliegen ausführen sollte.
"Ich glaube, daß das Martyrium meiner Söhne vielen Söhnen den Weg in das himmlis
che Reich weisen wird, und dafür danke ich und preise ich Gott.
Ich danke dem Herrn, daß er mein Herz erfüllt und froh gemacht hat. Er half mir,
diese acht Wahrheiten zu erkennen. Dafür und für seine unendliche Liebe, mit de
r er mich in Zeiten der Prüfung umgeben hat, kann ich ihm nicht genug dankbar se
in."
Lächelnd erhob Pastor Son das Gesicht:
"Ich danke Dir, Herr, für all Deine Wohltaten, die Du mir erwiesen hast. Aber ic
h weiß, daß ich sie nicht verdient habe. Ich glaube, Du lohnst damit die Fürbitt
e meines Vaters und meiner Mutter, die 35 Jahre lang jeden Morgen treu für mich
gebetet haben, und Du erhörst die Gebete meiner lieben Brü¬der hier, die 23 Jahr
e mich und meine Familie vor Dich gebracht haben. Ich danke euch allen."
V.

Pastor Duk Whan Ra wälzte sich auf seinem Lager. Er hatte Fieber. Seit dem Aufst
and hatte er nicht schlafen können, und tagsüber war er rastlos darum bemüht, Fa
milien zu retten, die unter falschen Anschuldigungen gefangen gehalten wurden. J
etzt fühlte er sich so zerschlagen, daß er nicht aufstehen konnte.
Jemand trat in den Hof. Dann hörte er seine Tochter Soon-keum rufen.
"Rachel, wie kommst du hierher? Vater, Mutter, Rachel ist hier!"
Rachel! Pastor Ra stöhnte. Seine eigenen fünf Kinder waren während des Aufstande
s nicht zu Schaden gekommen, und die beiden ältesten Söhne Pastor Sons, die ihm
anvertraut waren, lebten nicht mehr! Er hätte dieses Unglück nicht verhindern kö
nnen, aber er wurde das Gefühl nicht los, daß er irgendwie versagt hatte. Deshal
b betrübte ihn Rachels Kommen. Vor ein paar Tagen noch hätte er sie freudig begr
üßt, aber jetzt überkam ihn ein Vorgeschmack auf das Zusammentreffen mit Pastor
Son, das er so scheute, und er wagte nicht, ihr gegenüberzutreten. Freilich, so
tröstete er sich, hatten die beiden Jungen ruhmreich ihr Leben gelassen. Und ihr
Begräbnis hatte, wie er gehört hatte, ihrem Märtyrertod alle Ehre getan. Aber
konnte das Herz eines Vaters dadurch wirklich getröstet werden? Würde er nicht
doch um seine Söhne trauern und bitter sein gegen die Verschulder ihres Todes?
Aber Rachel war schon an der Tür. Hastig stand er auf. "Komm herein, Rachel", ba
t er. Soon keum, die nicht ahnte, wie niedergeschlagen ihr Vater war, führte die
Freundin ins Zimmer. Rachel schien traurig, aber doch sehr gefaßt. Pastor Ra wo
llte sie irgendwie trösten, aber er suchte vergeblich nach einem passenden Wort.
Da kam seine Frau aus der Küche herüber.
"Rachel" rief sie aus, "wie schrecklich für deinen Vater und für deine Mutter!"
"Ja", erwiderte Rachel. "Zuerst waren sie sehr traurig. Mutter brach zusammen un
d selbst Vater weinte, aber dann sagte er, er sei dankbar, daß meine Brüder als
Märtyrer gestorben seien. Beim Begräbnis nannte er die Gründe für seine Dankbark
eit gegen den Herrn."
Pastor Ras Augen weiteten sich vor Erstaunen. "Wofür denn nur?"
"Ich weiß nicht mehr alles, aber er sagte, er sei dankbar, daß er Vater zweier M
ärtyrer sein dürfe, daß zwei seiner Söhne starben und nicht nur einer, daß es se
ine beiden ältesten waren und nicht die jüngeren ..." Rachel wiederholte, was si
e noch vermißte; einen Punkt nach dem andern zählte sie auf.
Pastor Ra war überwältigt. Wenn Rachel gesagt hätte "Mein Vater und meine Mutter
können dir nicht verzeihen, weil du nicht auf meine Brüder achtgegeben hast und
zuließest, daß sie getötet wurden", dann hätte er es verstehen können. Aber die
se Worte des Dankes ... Schon wegen seines dreiundzwanzigjährigen Dienstes an de
n Leprakranken und wegen seiner fünfjährigen Haft nahm Pastor Son unter den Past
oren des Landes eine besondere Stellung ein. Aber daß er jetzt für den Tod seine
r ermordeten Söhne dankte, das übertraf bei weitem alles. Als Rachel weitersprac
h, traten Tränen in Pastor Ras Augen. Jetzt endlich verstand er, was Pastor Son
ihm hatte sagen lassen: daß die Mörder seiner Söhne, wenn sie gefunden würden, n
icht getötet oder gefoltert werden sollten. Er selbst wolle sie an Sohnes Statt
annehmen und sie zu Christus führen. Pastor Ra solle diese Sache in die Hand neh
men. Diese Bitte hatte ihm sehr eigenartig geklungen, und je mehr er darüber nac
hsann, um so hoffnungsloser erschien sie ihm. Wie oft schon hatte er unschuldig
Gefangengehaltene für Christus gewinnen wollen, aber ohne Erfolg! Wie viel schwi
eriger mußte es sein, wenn man tatsächlich einen Schuldigen vor sich hatte! Aber
während Rachel sprach, begann er, Pastor Son zu verstehen.
"Sag uns, was hat dein Vater noch gesagt?" bat er. Rachel dachte einen Augenblic
k nach. "Er sagte, er sei dankbar, daß der Herr ihm Gnade geschenkt habe, denen
zu vergeben, die meine Brüder getötet haben, und daß er sie adoptieren wolle. De
shalb bin ich hier. Park, einer unserer Ältesten, hat ihnen diese Botschaft zwar
schon überbracht, aber ich soll Sie bitten, diesen Wunsch bestimmt auszuführen.
Vater sagte, er wolle zu Hause dafür beten, daß es Ihnen gelingen möge."
Pastor Ra wandte sich um und breitete seine Gedanken und Bitten vor Gott aus. Pa
stor Son schien ihm groß, so wie Abraham, der bereit war, seinen einzigen Sohn z
u opfern. Aber er war nicht mehr erstaunt darüber, denn es war ja der Geist Gott
es, der sie beide so groß machte der Geist des Gottes, der seinen einzigen Soh
n in den Tod gab, um die Welt zu erretten! Aus vollem Herzen pries und lobte er
den Herrn für seine Gnade und dafür, daß er Pastor Son sich so ähnlich gemacht h
atte. Jetzt wußte er auch, was er zu tun hatte. Seine Niedergeschlagenheit war w
ie weggewischt. Er war nicht länger davon überzeugt, daß dieses Unterfangen auss
ichtslos sei. Leichten Herzens erhob er sich, gerade als sein Sohn in das Zimmer
trat. Che min begrüßte Rachel und wandte sich an Pastor Ra.
"Vater, der Junge, der Matthew und John erschossen hat, ist gefaßt. Der Studente
nrat will die Anklage zusammenstellen und ihn an die Armee ausliefern." Das war
ein Zeichen Gottes! Pastor Ra bat Rachel, im Haus zu warten, und machte sich mit
Che min eilends auf den Weg.
"Pastor Ra ist wieder da", rief jemand vom Hof. Soonkeum und Rachel stürzten hin
aus und sahen ihn mit einem alten Mann betrübt in die Kirche treten und niederkn
ien. Die beiden Mädchen und Frau Ra folgten leise und hörten gerade noch die let
zten Worte des Gebets:
"Lieber Herr, der du Paulus durch den Tod des Stephanus umgewandelt hast, bitte
hilf uns. Hilf uns um dieses geprüften Vaters willen, aber vor allem, damit Dein
Name geehrt werde. Wir wissen nicht weiter. Nur Deine Kraft kann die Verantwort
lichen erweichen, daß sie auf unsere Bitte hören. O Vater, nur Du kannst unser L
and und unser Volk retten."
Che min hatte seinen Vater zu dem Haus geführt, wo der Studentenrat Gefangene fe
sthielt und verhörte. Dort fanden sie Chai sun, den Jungen, der beschuldigt wurd
e, Matthew und John erschossen zu haben. Chai sun lag auf dem Boden. Offenbar wa
r er grausam geschlagen worden. Seine Mutter hielt ihn umfangen und weinte und f
lehte um Gnade. Aber die Studenten setzten unbeirrt ihr Verhör fort.
"Wenn du nicht geschossen hast, wer dann?" Sie machten Anstalten, wieder auf ihn
einzuschlagen, aber die Mutter hinderte sie daran.
Chai sun, zitternd und völlig verängstigt, antwortete:
"Ich gab nur einen Schuß auf den Leichnam ab, nachdem er schon gefallen war."
"Wie sehr mußt du den Studenten gehaßt haben, um noch auf seinen toten Leib zu f
euern. Auf welchen der beiden Brüder hast du geschossen?"
"Auf Matthew", kam die unsichere Antwort. Die Studenten glühten vor Zorn.
Die Armee der Nationalen hatte den Aufstand niedergeschlagen und war nun dabei,
die Ordnung wiederherzustellen. Damit dies zügig vor sich gehe, hatte sie den St
udentenrat und die Polizei beauftragt, Aufständische aufzuspüren, zu verhören un
d dann an die Armee auszuliefern. Zwar kam es da und dort zu falschen Anklagen.
Im allgemeinen jedoch gingen die Untersuchungen sorgfältig und gründlich vonstat
ten, denn auf die Verurteilten wartete die Hinrichtung. Chai sun war mit einer S
chußwaffe gesehen worden. Außerdem fanden sich Zeugen dafür, daß er gemeinsam mi
t den kommunistischen Studenten auf die beiden Brüder geschossen habe. Aber er b
lieb hartnäckig dabei, nichts damit zu tun zu haben, bis die Studenten begannen,
auf ihn einzuschlagen. Ein junger Nationalarmist verfolgte gespannt das Verhör.
Pastor Ra stand eine kleine Weile unschlüssig, dann trat er beherzt vor. "Es tut
mir leid, das Verhör zu unterbrechen, aber ich möchte gern etwas vorbringen.'
"Wer sind Sie?" fragte ein Student.
Doch ehe der Pastor antworten konnte, rief ein anderer:
"Sie sind der Vater von Che min, nicht wahr?"
Pastor Ra wurde aufgefordert, sein Anliegen vorzutragen. Taktvoll und behutsam s
prach er von Pastor Sons Bitte, die Mörder seiner Söhne, wenn sie gefunden würde
n, nicht zu mißhandeln oder zu töten. Denn Pastor Son wolle sie adoptieren und z
u Christus bekehren.
Sofort erhoben sich protestierende Stimmen. Dies sei nicht die Zeit, Begnadigung
en zu fordern, man würde ihn nur mißverstehen. Und außerdem, sie hätten ihre aus
drücklichen Befehle. Einer solchen Bitte könnten sie nicht stattgeben. Der Solda
t, der still zugehört hatte, erhob sich und verließ den Raum. Rasch folgte ihm R
a und bat ihn um Hilfe. Da wandte sich der Soldat scharf um, tat Pastor Ras Ansi
nnen als Torheit ab und ging weiter.
Auch die Polizei wollte nichts damit zu tun haben. Das Land unterstehe Militärre
cht, Pastor Ra solle sich an die Leitung der Nationalen Armee wenden. Entschloss
en suchte Ra ein Mitglied des Nationalen Rates auf, einen Mann von beträchtliche
m Einfluß. Aber als er sein Anliegen nannte, wurde ihm nahegelegt, die ganze Ang
elegenheit fallen zu lassen, weil sie ihn bei der Regierung in Ungnade stürzen k
önne.
Entmutigt und ratlos irrte Pastor Ra durch die Straßen. Da hielt ihn ein alter M
ann an, vergewisserte sich, daß er tat¬sächlich Pastor Ra vor sich hatte, und st
ellte sich als der Vater von Chai sun vor.
"Was kann ich für Sie tun?" fragte Pastor Ra freundlich.
Der Mann antwortete, seine Frau habe ihm berichtet, wie Pastor Ra für seinen Soh
n eingetreten sei. Er wolle ihm herzlich danken und ihn bitten, den Jungen zu re
tten. Er sei unschuldig.
Pastor Ra war plötzlich sehr müde. Wenn Chai sun unschuldig war, dann traf Pasto
r Sons Auftrag nicht auf ihn zu, und er hätte nicht die Pflicht, ihn um jeden Pr
eis zu retten. Der Vater wußte natürlich nichts davon. Wenn er es wüßte, hätte e
r dann zugegeben, daß sein Sohn schuldig sei? Wie sollte er, Pastor Ra, aber wis
sen, was wirklich der Wahrheit entsprach? Er war verwirrt. Verzweifelt schrie er
in seinem Herzen nach einer klaren Weisung. Dann führte er den alten Mann in di
e Kirche, um zu beten. Unterwegs erzählte er ihm von Pastor Son. Es stellte sich
heraus, daß Chai suns Vater auch im Kwang ju Gefängnis gewesen war. Damals hatt
e er viel von diesem Pastor gehört, und er hatte ihn immer kennenlernen wollen.
Zweifellos mußte das Pastor Son gewesen sein. Jetzt sollten sich ihre Wege also
auf diese Weise kreuzen.
Der alte Mann hatte noch nie eine Kirche betreten und meinte, die Bibelverse zu
beiden Seiten der Kanzel seien dazu da, um böse Geister fernzuhalten, wie die Sc
hriftzeichen, die er und seine heidnischen Nachbarn in ihren Häusern befestigten
. Wie Pastor Ra beugte auch er sein Haupt. Aber mit Pastor Ras Gebet konnte er n
ichts anfangen. Er kannte nur den Singsang vor den Götzen, und so klang ihm auch
das Gebet. Er wiederholte nur immer wieder: "Rette meinen Sohn, rette ihn!"
Gestärkt durch das Gebet erhob sich Pastor Ra und wollte die Kirche verlassen. D
a kam Che min.
"Sie haben ihn in das Pal wang Café gebracht."
"In ein Café?"
"Ja, in das Pal wang Café. Es ist von der nationalen Armee besetzt."
Der Vater meinte, sein Sohn würde nun sicherlich hinge¬richtet, und stöhnte auf:
"Was soll ich tun?" So schnell sie nur konnten, folgten sie Che min.
"Wer da? Was wollen Sie?" Pastor Ra fuhr erschrocken zusammen. Aber er fing sich
schnell.
"Ich bin Duk Whan Ra, Pastor der Seung choo Kirche."
"Ein Pastor? Was wollen Sie?"
Pastor Ra wies seinen Ausweis vor. "Ich habe eine wichtige Botschaft zu überbrin
gen."
"Was für eine?" Der Wachposten sprach ein wenig freundlicher.
"Ich muß die Verantwortlichen sprechen, die über diesen Gefangenen hier entschei
den." Bei einem schnellen Blick in das Innere des Raumes erkannte Ra den Soldate
n, den er schon beim Studentenrat gesehen hatte. "Dort steht der Mann, den ich s
prechen muß!" rief er aus und trat ein, ohne eine Antwort abzuwarten.
Der Posten, überrumpelt, wollte ihn zurückholen. Da gewahrte er Chai suns Vater
am Tor.
"Und Sie, wer sind Sie?" forderte er barsch.
"Der Vater des Jungen", erwiderte der alte Mann. Da Pastor Ra wußte, daß der Pos
ten nicht auch noch den Vater einlassen würde, ging er allein weiter.
Im Verhandlungsraum sah er Chai sun wieder auf dem Boden liegen. Wieder kniete s
eine Mutter neben ihm und weinte und bat um sein Leben. Immer noch bestritt Chai
sun, an der Erschießung von Matthew und John teilgenommen zu haben. Deshalb kon
nte er nicht verurteilt werden. Seine Verhörer schäumten vor Wut über diese Verz
ögerung.
Pastor Ra bat den Posten, mit Chai sun sprechen zu dürfen. Ärgerlich willigte de
r Soldat ein.
"Ich bin Pastor Ra von der Seung choo Kirche. Du mußt mir die Wahrheit sagen. Ic
h komme im Auftrag von Pastor Son, dem Vater der beiden Jungen, die du erschosse
n haben sollst. Warst du unter den Studenten, die Pastor Sons jungen umgebracht
haben?"
Chai sun blickte erstaunt auf. Pastor Ra sprach so ganz anders als die Studenten
und die Soldaten, die ihn unbedingt verurteilen wollten. "Nein, ich habe sie ni
cht getötet", antwortete er.
"Stimmt das wirklich?"
"Ja!"
"Dann kann ich nichts für dich tun."
Verblüfft blickten alle Anwesenden auf Pastor Ra Chaisun, seine Mutter, die So
ldaten und selbst Che min, der unbemerkt hereingeschlüpft war , sie alle wartet
en förmlich auf eine Erklärung.
"Ich habe nicht nur den Auftrag, Pastor Sons Bitte zu überbringen, sondern ich s
oll auch darauf sehen, daß sie ausgeführt wird. Pastor Son bat, daß die Mörder s
einer Söhne, wer immer sie auch seien, nicht verurteilt, sondern begnadigt würde
n. Ich bin den Schuldigen verpflichtet, die Unschuldigen gehen mich nichts an."
Pastor Ra sah verzweifelt um sich. Er war erfüllt von dem Verlangen, seine Aufga
be auszuführen. Und doch brach es ihm fast das Herz, diesen armen hilfsbedürftig
en Jungen zurückzustoßen. Nur mühsam konnte er die Tränen hinunterkämpfen.
Da schlang Chai sun flehentlich seine Arme um Pastor Ra und würgte heraus: "Rett
en Sie mich. Ich war bei den Aufständischen und ich habe die Jungen erschossen.
Retten Sie mich, bitte retten Sie mich!"
War dieses Geständnis wahr? Oder war Chai sun schon so zermürbt, daß er alles au
f eine Karte setzte, daß er bereit war, sich auf der Stelle verurteilen und hinr
ichten zu lassen, in der kleinen Hoffnung, daß Pastor Ra ihn retten würde? Sein
Bericht schien der Wahrheit zu entsprechen. Während des kommunistischen Sturms a
uf Soon chun seien die aufständischen Studenten bei ihm vorbeigekommen und hätte
n ihn gezwun¬gen, sich ihnen anzuschließen. Er sei also mit zu Matthew und John
gezogen und habe die beiden Jungen zusammenschlagen helfen, weil ihm nichts ande
res übriggeblieben sei. Auf dem Hinrichtungsplatz sei er dann mit vier anderen z
um Schießkommando bestimmt worden, und er hatte, wenn auch widerwillig, dem Befe
hl gehorcht.
"Und wie kamen die beiden Jungen ums Leben?"
"Wir schossen alle fünf. Ich weiß nicht, ob meine Kugel traf, aber ich gab noch
zwei Schüsse auf Matthew ab, als er schon gefallen war."
In dem kurzen beklemmenden Augenblick, der Chai suns Geständnis folgte, jagten P
astor Ra die verschiedensten Erwägungen durch den Kopf.
Er war natürlich nicht sicher, ob Chai sun die Wahrheit gesagt hatte. Aber das k
onnte er jetzt nicht beurteilen. Durch sein, Pastor Ras, Eingreifen hatte sich d
er Junge sein eigenes Urteil gesprochen. Wenn er ihn nicht losbekommen konnte, w
ürde Chai sun in Kürze hingerichtet. Dieser Gedanke drängte ihn zum Handeln.
"Wenn das so ist", sagte er laut, "dann will ich alles daransetzen, um dich zu r
etten."
Irgendwo waren vielleicht noch vier andere, die ein Recht auf Pastor Sons Verzei
hen hatten. Vielleicht suchten die Soldaten schon nach ihnen, und er würde sich
auch für sie verwenden müssen ... Aber diese Überlegungen konnte er jetzt nicht
weiterspinnen. Die nächsten Schritte lagen klar vor ihm.
Noch einmal wandte er sich an den Soldaten und bat um Begnadigung. Der Soldat be
stätigte ihm nur, was er befürchtet hatte, was auf ihm lastete und ihn zur Eile
drängte daß der Fall jetzt abgeschlossen sei; die Hinrichtung des Gefangenen s
ei jetzt gewiß. Pastor Ra flehte und versicherte, daß christliches Vergeben das
Leben eines Schuldigen umwandeln und auch andere Menschen zum Guten beeinflussen
könne. Aber solche Argumente schienen den Soldaten nur aufzubringen. Er wisse n
ichts von den Gesetzen des göttlichen Wirkens, er kenne nur die Gesetze seines L
andes, und die würde er verletzen, sagte er, wenn er den jungen freiließe. Pasto
r Ra bat um Zeit, um beim Präsidenten Syngman Rhee Berufung einlegen zu können.
Das wurde abgelehnt.
Vor dem Café fuhr ein Jeep vor, und ein Offizier trat in den Raum. Der Soldat st
and stramm.
"Alles in Ordnung. Wir warten auf den Lastwagen, der den Gefangenen zur Hinricht
ung bringen soll."
"Der Lastwagen sollte schon da sein", erwiderte der Offizier. "Aber er hatte ein
e Panne. Es wird etwa eine halbe Stunde dauern ... was wollen all die Leute hier
?"
"Verwandte des Jungen."
"Schick sie weg. Ich komme später wieder."
Der Offizier schwang sich auf den Jeep und fuhr an.
Pastor Ra wußte nicht mehr aus noch ein. Er hatte gehofft, mit dem Offizier spre
chen zu können, denn offenbar hatte er das letzte Wort über Leben oder Tod des G
efangenen. Aber die Gelegenheit war ungenützt verstrichen. Die Worte des Offizie
rs trafen ihn wie Nadelstiche in einer halben Stunde würde der Junge hingerich
tet. Noch einmal flehte er den Soldaten an, ihm Zeit zu lassen. Er wolle sich an
den Präsidenten wenden. Wütend machte der Soldat den Pastor darauf aufmerksam,
daß er mißverstanden und als Kommunistenfreund bestraft werden würde, wenn er we
iter für den Jungen bat. Schließlich kam Pastor Ra Rachel in den Sinn. Die sollt
e ihres Vaters Wunsch vorbringen. Der Soldat willigte erleichtert ein, denn er h
offte, den Pastor auf diese Weise loszuwerden. Der Lastwagen war ja schon unterw
egs.
"Che min", befahl Pastor Ra, "hol sofort Rachel her!"
Kostbare Minuten verstrichen, und Pastor Ra meinte schon, die Kinder kämen nie z
urück. Würde es Rachel noch vor dem Lastwagen schaffen? Endlich kamen sie, ganz
atemlos. Rachel, klein und zierlich, ein freundliches, lebhaftes Schulmädchen, d
och von Trauer gezeichnet, erwärmte die frostige Atmosphäre des Raumes. Alle Aug
en wandten sich ihr wohlwollend zu. Pastor Ra stellte sie hastig vor.
"Das ist die Tochter von Pastor Son und die Schwester von Matthew und John."
"Wie heißt du?" fragte der Soldat.
"Rachel Son."
"Wie alt bist du?"
"Dreizehn." Ihre Antworten kamen erstaunlich ruhig und gesammelt.
"Seit wann bist du in Soon chun?"
"Ich ging heute früh von zu Hause fort."
"Und warum bist du hier?"
Pastor Ra schloß die Augen und betete stumm ein flehentliches Gebet.
"Mein Vater bittet, daß derjenige, der meine Brüder getötet hat . . ." Sie mußte
schlucken. Entschlossen biß sie sich auf die Lippen und fuhr fort: . nicht getö
tet oder mißhandelt werden soll ... sondern . . Sie brach in Tränen aus. Auch Ch
aisuns Mutter schluchzte auf. Selbst der Soldat mußte an sich halten, um seine R
ührung nicht zu zeigen.
Rachel hatte nichts anderes gesagt als Pastor Ra, aber auch der Abgebrühteste un
ter den Anwesenden verstand etwas von der Tiefe der Trauer, die Rachel und ihre
Familie beugte. Aber er sah auch, wie mächtig sie erfaßt waren von der Gewalt de
r Liebe, daß sie dem vergeben konnten, der all dieses Leid über sie gebracht hat
te.
Der Soldat gab nach. Als der Lastwagen vorfuhr, bat er Pastor Ra, ihn zum Studen
tenrat zu begleiten. Nach kurzer Beratung wandte er sich an den Pastor: "Ich übe
rlasse Ihnen den jungen. Vor meinem Vorgesetzten werde ich dafür schon geradeste
hen."
14. November 1948.
"Ist da jemand?"
"Pastor Son!" Erstaunt stieg Frau Ra das Tor der Seung-choo Kirche auf und bat i
hn, einzutreten.
"Kann ich mit Pastor Ra sprechen?"
"Nein, er ist unterwegs und will einige Besuche machen, aber er wird wohl nicht
lange ausbleiben." Pastor Son wollte warten. Er sah sehr blaß aus.
"Was haben Sie alles durchgemacht, Pastor Son!" rief Frau Ra aus.
"Der Herr hat es so gewollt. Wir können über diese Dinge nicht bestimmen."
Ein Schatten glitt über Pastor Sons Gesicht.
Frau Ra schossen Tränen in die Augen. "Und Ihre Frau. Wie sehr muß sie gelitten
haben!"
"Ja, wahrscheinlich braucht sie deshalb so viel Ruhe", antwortete Pastor Son abw
esend, als spräche er nicht von seinen eigenen Sorgen.
"War es schwierig, durchzukommen?"
"In der Nähe der Chang dai Brücke wurde ich angehalten. Aber als ich sagte, ich
sei Pastor Son, da waren die Soldaten sehr freundlich und ließen mich passieren.
"
"Sie wissen es also schon", erwiderte Frau Ra. Die Geschichte von Chai suns Begn
adigung hatte sich wie ein Lauffeuer in der Stadt herumgesprochen. "Und was habe
n Sie jetzt vor?"
"Ich soll in Pusan, in der Cho ryang Kirche, eine Evangelisation leiten."
"Aber Sie sollten noch etwas ausruhen. Sie sind doch sicher noch recht schwach,
nach all dem, was Sie durchgemacht haben?"
"Das stimmt schon, aber ich habe zugesagt, und ich kann mich nicht immer mit mei
nen Sorgen entschuldigen."
Angelegentlich erkundigte er sich nach Pastor Ras Gesundheit und erfuhr dann von
Frau Ra, wie es zugegangen war, daß Chai sun vor der Hinrichtung bewahrt blieb.
"Wo wohnt er?" fragte Pastor Son.
"Wer?" - "Chai sun." - "Warum?" - "Ich würde ihn gern besuchen."
Frau Ra schnappte nach Luft. Es schien einfach unfaßbar, daß er den Jungen jetzt
schon sehen wollte.
"Sie können ihn später kennenlernen", drängte sie.
"Es hat keinen Sinn, noch länger zu warten", erwiderte Pastor Son. "Ich will ihn
heute noch sehen und versuchen, ihn zum Heiland zu führen. Vielleicht komme ich
später nicht mehr dazu. Außerdem weiß er, daß wir uns eines Tages gegenübertret
en müssen, und es wäre freundlicher, ihn nicht so lange auf die Folter zu spanne
n."
Pastor Sons rücksichtsvolle Sorge um Chai sun und dessen Familie lieg Frau Ra ve
rstummen. Pastor Son wollte sogleich aufbrechen, und da über die Stadt ein Ausge
hverbot verhängt war und es schon spät wurde, beschlossen sie, nicht auf Pastor
Ras Rückkehr zu warten. Zusammen machten sie sich auf den Weg.
"Da sind wir", sagte Frau Ra. "Lassen Sie mich vorgehen." Pastor Son wartete an
der Tür und sah sich um. Im Haus schien ein kleiner Fischladen zu sein. Nach ein
er kurzen Weile kam Frau Ra zurück, begleitet von einer untersetzten Frau, die k
ummervoll den Kopf hängen ließ. Ihnen folgten die anderen Glieder der Familie mi
t vor Erstaunen weit aufgerissenen Augen.
Sie hatten den Pastor aufsuchen wollen, sobald das Reisen leichter würde. Dag er
ihnen jetzt zuvorgekommen war, beschämte sie. Der Vater und die Mutter suchten
verzweifelt nach Worten, und die Söhne blickten noch verlegener drein. Mit einem
Gebet im Herzen machte Frau Ra Pastor Son mit Chai sun bekannt.
"Komm her", bat Pastor Son.
"Verbeuge dich vor Pastor Son, Chai sun!" befahl der Vater mit unsicherer Stimme
. In den sechzig Jahren seines Lebens war er sich noch nie so hilflos vorgekomme
n wie jetzt. Chaisun konnte nur mühsam niederknien. An den Wunden im Gesicht, di
e zum Teil noch offen waren, sah Pastor Son, daß Chai sun gerade erst soweit gen
esen war, um das Bett verlassen zu können.
"Du bist also Chai sun!" Pastor Son ließ seinen Blick prüfend über Chai suns Ges
icht gleiten. Dann faßte er ihn bei der Hand. Hab keine Angst. Ich habe dir scho
n vergeben." Er sah die Tränen in Chai suns Augen. "Ich habe dir schon vergeben,
und auch Gott sehnt sich danach, dir zu vergeben."
Chai suns Vater trat vor. "In unserem Hause", sagte er, "kommen Sie gleich nach
der Sonne." Das war die höchste Anerkennung, die er einem Menschen zollen konnte
. "Wir können Ihnen nicht sagen, wie sehr wir Ihnen danken. Ich habe schon im Kw
ang ju Gefängnis von Ihnen gehört. Ich war zur gleichen Zeit dort wie Sie. Schon
damals wollte ich Sie kennenlernen. Daß ich Ihnen jetzt so gegenüberstehe, tut
mir sehr leid aber es macht mich auch froh."
Er rang nach Worten. Dann fuhr er in tiefer Ehrerbietung fort: Ich wollte Sie be
suchen, sobald das Reisen einfacher würde. Es schmerzt mich zutiefst, daß ich Si
e zuerst habe kommen lassen. Ich will jetzt nachholen, was ich sagen wollte." Se
ine Stimme bebte. Er versuchte, seine Erschütterung zu zügeln.
"Bitte fahren Sie fort", ermunterte Pastor Son.
"Ich habe vier Söhne", erwiderte der Vater. "Ich möchte sie gern mit Ihnen teile
n. Wollen Sie das annehmen?" Pastor Son lehnte entschieden ab, aber er ehrte den
guten Willen, der hinter diesem Angebot stand.
"Nein, das ist nicht nötig. Sie sind sehr freundlich, aber das will ich nicht. I
ch hoffe vielmehr, daß Sie aus Ihren Söhnen ordentliche Männer machen und daß Si
e und Ihre ganze Familie an Jesus glauben und gerettet werden." Dann wandte er s
ich an Chai sun.
"Mein Junge, ich will nie mehr daran denken, was du getan hast. Vergiß also auch
du deine Zweifel und Ängste. Sei wie meine Söhne. Wenn du so glaubtest und lebt
est wie sie, das wäre ein großer Gewinn für dich."
Chai sun hörte still mit gesenktem Kopf zu.
Eilig wurde ein kleiner Tisch herangebracht und Tee und Gebäck. Aber da es berei
ts halb sechs war um sechs Uhr trat die Ausgangssperre in Kraft , sprach Past
or Son nur noch ein kurzes Gebet und erhob sich. Da ergriff Chai suns Vater noch
einmal das Wort.
"Ich habe noch ein Anliegen, Pastor Son, und ich wäre sehr glücklich, wenn Sie e
inwilligten. Ich weiß, daß Sie eine Tochter haben, die die Oberschule besucht. K
önnte sie während der Schulzeit nicht bei uns wohnen? Wir haben eine Tochter im
gleichen Alter."
Chai suns Vater schien entschlossen, aber Pastor Son wies auch dieses Anerbieten
zurück. "Nein, vielen Dank, ich möchte Sie in keiner Weise belasten. Ich komme
ein anderes Mal wieder."
Aber der Vater drängte: "Sie haben mich mißverstanden, Pastor Son. Bitte, lassen
Sie mich erklären. Unsere Familie geht bereits zur Kirche. Ich möchte nicht auf
diese Weise unsere Schuld abtragen. Vielmehr sollen die zehn Glieder meiner Fam
ilie wirkliche Christen werden. Wenn Ihre Tochter bei uns wohnte, dann kämen Sie
uns öfter besuchen und wir hörten mehr über den christlichen Glauben. Bitte, wi
lligen Sie doch ein."
"Ich verstehe." Pastor Son lächelte. "Aber ich kann meine Tochter nicht zwingen.
Ich will Rachel fragen und lasse Sie wissen, was sie dazu meint."
Die ganze Familie begleitete Frau Ra und Pastor Son auf die Straße hinaus, erlei
chtert, daß sie das erste Zusammentreffen mit Pastor Son hinter sich hatte, und
ein wenig traurig, daß es so bald schon zu Ende war.
"Rachel, Chai suns Vater möchte, daß du zu ihnen ziehst. Du könntest mit im Zimm
er seiner Tochter wohnen. Was meinst du dazu?"
Noch am gleichen Abend sprach Pastor Son mit seiner Tochter, denn Chai suns Vate
r wollte sich am folgenden Morgen die Antwort holen.
"O Vater, das kann ich nicht", wehrte sie erschrocken ab. "Das könnte ich nicht
ertragen, ganz gleich, wie sehr Chaisuns Familie das wünscht."
Pastor Son tat das Herz weh. Wie litt Rachel unter dem Tod ihrer Brüder! Behutsa
m erklärte er ihr die Bitte von Chai suns Vater.
Rachel überlegte eine kleine Weile, dann meinte sie: "Ich gehe nicht sehr gern,
aber vielleicht kann ich ihnen irgendwie helfen, wenn ich dort wohne ... Ich wil
l es mir überlegen."
Am nächsten Morgen war sie entschlossen, Chai suns Vater in sein Haus zu begleit
en. Pastor Son frohlockte über ihre Bereitschaft, sich zu überwinden. Und die Fr
eude von Chai suns Familie kannte keine Grenzen.

VI.

30. Mai 1949. Der Frühling war dem Sommer gewichen, die Gerste stand hoch, und d
ie Spatzen suchten geschäftig nach Würmern. Im Zug, der von Soon chun nach Yo su
fuhr, drängten sich an diesem Morgen die Händler und Marktleute. Chaisun, seine
Mutter und Pastor Ra fanden nur mühsam zwischen ihnen Platz.
"Chai sun", fragte die Mutter, "wird Pastor Son auch zu Hause sein?"
"Ich weiß nicht genau, ich konnte ihn nicht mehr verständigen, dag wir kommen wo
llten."
"Wahrscheinlich nicht. Er ist viel unterwegs, auf Evangelisationen", warf Pastor
Ra ein.
"Aber Frau Son wird doch da sein, nicht wahr, Pastor Ra ... ?"
"Ja, ja, bestimmt. Unsere Reise ist sicher nicht umsonst", meinte der Pastor. Ch
ai suns Mutter verstummte. Starr blickte sie aus dem Fenster. Sie mußte an das P
al wang Café denken. Sie hatte vier Söhne, und als ihr einer genommen werden sol
lte, wie verzweifelt hatte sie da gekämpft, um ihn zu behalten. Frau Son aber ha
tte auf einen Schlag zwei Söhne verloren. Wie mußte es in ihr aussehen! Sie sah
eine vergrämte Frau vor sich, die das Leid gebeugt und abgestumpft hatte, da woh
l auch ihr die Genugtuung der Rache versagt war. Das Bild dieser Trauernden verf
olgte sie wie ein Alptraum und verschlang eine Zeitlang alles Leben um sie herum
.
"Karamell und getrockneter Tintenfisch' die Händler priesen ihre Ware an und s
choben sich durch die dichtgedrängte Menschenmenge im Zug.
Auch Chai sun grübelte darüber nach, wie er Frau Son gegenübertreten solle. Es w
äre doch klüger gewesen, einen Tag zu vereinbaren, an dem auch Pastor Son zu Hau
se wäre, oder vielleicht hätte man Rachel überreden müssen, einen Tag die Schule
zu schwänzen und mitzukommen.
Aber sie hätten Frau Son schon längst besuchen sollen, denn seit dem Aufstand un
d den Vorfällen, die die Familien zusammengeschmiedet hatten, waren bereits mehr
als sechs Monate vergangen. Sie hatten wirklich nicht länger zaudern dürfen. Ih
re Herzen waren schwer wie Blei. Nur Pastor Ra blieb ruhig.
"Hier ist das Kind, Yang keum. Gib bitte gut acht darauf. Ich hab heute morgen v
iel zu tun."
Frau Son hatte einige Tage das Bett hüten müssen. Da war vieles liegengeblieben.
Womit sollte sie beginnen? Das Feld müßte gejätet werden, aber während ihrer Kr
ankheit hatte sich ein Berg Wäsche aufgetürmt. Sie würde also zuerst an die Wäsc
he gehen. Sie sammelte die Stücke in eine Schüssel, hob sie auf den Kopf und tru
g sie zum nahen Bach hinunter. Aber heute schien ihr die Arbeit mühsamer von der
Hand zu gehen als sonst. Immer wieder mußte sie sich aufrichten und verschnaufe
n. Von ihrem Arbeitsplatz aus konnte sie die vorbeifahrenden Züge beobachten. Kr
eischende Bremsen. Ein wohlbekanntes Geräusch. Das mußte der Zug aus Soon chun s
ein, der im Shin pong Bahnhof einfuhr.
Schon nach zwölf, dachte sie bei sich. Wie oft waren ihre Söhne mit dem Zug nach
Hause gekommen! Alles ging seinen gewohnten Gang, nur ihre Söhne würde sie nie
mehr erwarten können. Schon wieder waren ihre Gedanken in den gleichen müßigen
Kreislauf verfallen! Verzweifelt riß sie sich los. Wie lange würde sie noch dag
egen ankämpfen müssen? Erschöpft beugte sie sich über ihre Arbeit.
Da rief jemand nach ihr. Yang keum kam keuchend über den Hügel gerannt.
"Mutter", rief sie schon von weitem. Mutter, komm schnell. Besuch ist gekommen,
und es ist etwas passiert."
"Was sagst du da, Yang keum? Was ist geschehen?"
"Pastor Ra aus Soon chun hat eine Frau und einen Studenten mitgebracht. Als Onke
l den Studenten sah, ging er mit einem Küchenmesser auf ihn los und schrie, er w
olle ihn umbringen. Aber Pastor Ra hielt ihn auf. Bitte, mach schnell."
Jetzt wußte Frau Son, wer sie besuchen wollte. Sie fing an, die Wäschestücke zus
ammenzulegen. Doch der Schrecken über die Nachricht, ihre plötzliche Hast ihre
Schwäche die Anstrengung des Morgens , das war zu viel. Einen Augenblick lan
g wurde alles schwarz um sie herum. Die Angst vor dem, was ihr nun bevorstand, d
rohte sie zu erdrücken. Die Schwärze vor ihren Augen tat sich auf in die gähnend
en Gräber von Matthew und John. Der Onkel, mit erhobenem Messer Pastor Son kam
ihr lächelnd entgegen der Onkel hieb Malchus, dem Diener des Hohenpriesters,
ein Ohr ab Christus stieg vom Kreuz herab, hob das Ohr auf und bat Pastor Son,
es wieder zu heilen Stephanus, umgeben von einem Haufen Steine, sang geistlic
he Lieder Paulus kam auf den Ae yang-won zu und wurde von den Insassen geschla
gen als Paulus in seiner Bedrängnis nach Stephanus rief, kam ihm dieser zu Hilfe
Paulus schlug die Wäsche, und sie verwandelte sich in ihre Söhne, die ihr ent
gegengelaufen kamen. Der Alptraum war vorüber. Frau Son sank in tiefe Bewußtlosi
gkeit.
Als sie wieder zu sich kam, fand sie sich flach auf dem Rücken liegend auf den S
teinen mitten im Bach. Yang keum hockte neben ihr und blickte sie angstvoll an.
Frau Son war es, als drückte der hohe Himmel auf sie nieder und als hielte die E
rde ihren Körper umfangen; sie hatte kein Verlangen danach, ihre Glieder zu bewe
gen.
"Mutter", rief Yang keum sanft, aber drängend. Frau Son regte sich ein wenig, sp
rach aber nicht und versuchte auch nicht, sich zu erheben. Sie wollte nur dalieg
en und ihren Gedanken nachhängen. Der Kampf, den sie für überwunden gehalten hat
te, brach mit seiner ganzen Wucht auf sie herein. Die Mutter in ihr beweinte den
Verlust der Söhne. Die beiden waren unschuldig gewesen, sie hatten nichts Unrec
htes getan! Sie wurden in der Blüte ihrer Jugend gebrochen, und wie schwer hatte
n sie es doch gehabt! Bittere Gedanken! Mein Mann sagt ... aber fühlt er wie ein
e Mutter? ... Aber ich muß mich beruhigen. Habe ich diese Gedanken nicht schon a
bgelegt? Mein Mann sagt ... und es ist wahr ... sie ehrten Gott durch ihren Tod.
Soll ich nach Rache verlangen? ... Nein, nein ... Soll ich schreien "Gib mir me
ine Söhne wieder"? Nein, nein ... Ich muß jetzt zu ihnen gehen.
Sie zwang sich auf die Beine. Yang keum flehte sie an, endlich zu kommen. Da sch
loß sie die Augen und betete "Vater, gib mir Kraft, erneuere meinen Glauben." G
ott gab seinen einzigen Sohn dahin, dachte sie, was ist also schon meine Sorge?
Wie klein ist mein Opfer? Dann kamen ihr die Worte in den Sinn: "Rächet euch sel
ber nicht, sondern gebet Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: Die Ra
che ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr.' Vielmehr, wenn deinen Feind
hungert, so speise ihn, dürstet ihn, so tränke ihn . . ."'
Yang keum nahm die Schüssel mit der Wäsche und die Wäscheschläger. Stumm stiegen
sie zum Haus hinauf.
"Kommt Frau Son nicht?" Sie warteten seit einer Stunde. Chai suns Mutter wurde u
nsicher und verzweifelt.
Chai sun, die Mutter und Pastor Ra warteten im Garten vor dem Sonschen Haus. Der
unerwartete Angriff auf Chaisun hatte sie zutiefst erschreckt. Und jetzt dieses
unerklärliche Ausbleiben! Chai suns Mutter meinte, es nicht länger ertragen zu
können.
"Wer war dieser Mann?" wandte sie sich an Pastor Ra.
"Frau Sons Bruder, der Vormund der Kinder in Soon chun."
Stille. Die Minuten flossen träge dahin und erschienen ihr wie Ewigkeiten. Endli
ch kamen sie durch die enge Gasse zwischen den jungen Reisstauden, Yang keum vor
an, hinter ihr Frau Son. Schwach und benommen bat sie den Besuch, einzutreten. P
lötzlich wandte sie sich nach Chai sun um und ergriff ihn fest bei den Händen.
"Da bist du also", stammelte sie. Dann flüsterte sie Pastor Ra zu: "Bitte, beten
Sie für uns!" und brach in Tränen aus.
Endlich war der Besuch beendet. Frau Son hatte sich die größte Mühe gegeben, Cha
i sun und seiner Mutter freundlich zu begegnen. Sie hatte von den mitgebrachten
Reiskuchen gekostet, und als sich ihre Gäste zum Gehen wandten, begleitete sie s
ie noch ein Stückchen zum Bahnhof.
Zuerst fühlte sie sich nur tief erleichtert. Doch dann regte sich in ihr ein unb
estimmbares Mißbehagen. Was hatte sie da getan? Wie konnte sie den Mörder ihrer
Söhne empfangen? Wie widernatürlich war das doch! Die quälenden Gedanken und Bil
der erfaßten sie von neuem. Diesmal versuchte sie nicht, ihre Tränen zu zügeln.
Als sie endlich erkannte, daß sie nicht hätte anders handeln dürfen, wich alle K
raft aus ihr und ließ sie stumpf und müde zurück. Draußen zog die Nacht her¬auf
und mit ihr die Myriaden Sterne, die vor zweitausend Jahren auf das Leid Marias
geblickt hatten.
Kurze Zeit später bekannte Chai sun seine Bekehrung zu Jesus Christus. Hin und w
ieder begleitete er auch schon Pastor Son auf seinen Evangelisationsreisen. Aber
Pastor Son hatte doch den Eindruck, Chai sun gegenüber noch nicht alle Pflicht
erfüllt zu haben, die der Herr ihm auferlegt hatte. Chai sun sollte die Ehre Got
tes mehren und ein großer Prediger werden. Dafür betete er, und dahin versuchte
er Chai sun zu führen
Im Frühjahr 1949, kurz nach seiner Bekehrung, trat Chaisun in das Bibelseminar i
n Pusan ein. Pastor Son schrieb ihm oft, und in seinen Antwortbriefen redete Cha
i sun Pastor Son mit Vater an. Die Familie Son war zu seiner eigenen geworden.
Chai sun wußte, was Pastor Son mit ihm vorhatte. Er war begierig, dem Wunsch des
Pastors zu entsprechen, doch große Schwachheit hinderte ihn daran. Er war sehr
menschenscheu, besonders, wenn die anderen von seiner Vergangenheit wußten. Sein
seelisches Gleichgewicht war gestört. Darunter litt er sehr, er begann zu kränk
eln, wurde blaß und schmal. Wegen seiner angegriffenen Lunge mußte er für kurze
Zeit in ein Krankenhaus eingewiesen werden.
Langsam, sehr langsam heilte seine Seele. Er verlor seine Furcht vor den Mensche
n. "Obgleich ich in der Sonntagsschule noch nicht unterrichten kann", berichtete
er von sich selbst, "schlage ich die Trommeln und rufe so die Kinder zusammen.
Einmal in der Woche begleite ich ein paar Jungen, die vor dem Bahnhof und auf de
m Marktplatz Straßenversammlungen abhalten. Ich verteile dann Traktate."
Pastor Son saß über Chai suns Brief gebeugt. Doch seine Gedanken schweiften in d
ie Ferne. Es war so ganz anders gekommen. Zuerst das lange Warten im Gefängnis.
Damals hatte er sich nur daran aufgerichtet, daß seine Söhne die Stücke seines z
erbrochenen Dienstes sammeln und kitten würden; daß sie fortführen und einstehen
würden für alles, was ihm teuer war. Und dann war der Boden aus seiner Welt geb
rochen, als Matthew ihn verriet und sich vor dem Shintoschrein verneigte. Und do
ch hatte Gott das dazu benützt, um Matthew für seinen künftigen Dienst vorzubere
iten. Jetzt war alles zerschlagen, zerstört, zerbrochen ...
Pastor Son zuckte zusammen, halb ärgerlich über sich selbst, daß er sich hatte g
ehen lassen. Er wandte sich wieder Chaisuns Brief zu: "Ich kann gar nicht sagen,
wie dankbar ich bin, hier studieren zu dürfen. Ich weiß, daß ich mich und alles
, was ich habe, Gott ausliefern muß. Gott liebt mich und rettete mich buchstäbli
ch an der Schwelle des Todes. Um dieser Liebe willen glaube ich an Jesus Christu
s, nicht weil ich mir einen Platz im Himmel sichern und der Hölle entrinnen will
. Ich weiß, daß ich bis zu meinem Tode Gott verherrlichen muß. Wie dankbar bin i
ch, daß ich vor dem Tor des Todes wiedergeboren wurde ... Bitte, mach Dir keine
Sorgen um mich. Ich lese in der Bibel, bete, singe im Chor mit und beginne hin u
nd wieder zu predigen. Bitte, bete für mich. Ich weiß, daß ich alles Deinen und
Mutters Gebeten verdanke. Als Dein ältester Sohn will ich alle Möglichkeiten aus
schöpfen, um geistlich zu wachsen. Vergib mir alles, Vater. Um Deiner Liebe will
en, die Du von Gott empfangen hast, will ich versuchen, Deine Hoffnungen auf mic
h zu erfüllen. Ich will alles tun, um so zu werden wie meine beiden Brüder."
Pastor Son blickte über die sonnenglänzenden Felder. "Wenn das Weizenkorn nicht
in die Erde fällt und stirbt, so bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, so bring
t es viel Frucht." In letzter Zeit hatten ihn diese Worte Jesu viel beschäftigt.
Auf seinen Lippen formte sich ein stilles Dankgebet.

Dies Buch erschien 1967 im Verlag Sonne und Schild, Wuppertal.


Mit diesem Beitrag möchte ich einen kleinen Einblick in die geistliche Situation
der koreanischen Christen vermitteln. Gerade in diesem Land wird die weltweite
Bedrohung der Gemeinde Jesu deutlich sichtbar: Heidentum, Kommunismus und Schwar
mgeisterei. Es ist mein Wunsch, wegen der heutigen extrem-charismatischen Überfl
utung ein Beispiel echt biblischen Glaubens und Handelns aufzuzeigen.
--
Neomarxismus
Dr. Hans Penner

Neomarxismus
Der Begriff Neomarxismus wurde von Max Horkheimer geprägt, der seit 1931 das Frank
furter "Institut für Sozialforschung", bekannt unter der Bezeichnung "Frankfurte
r Schule", leitete. Im Gegensatz zum klassischen Marxismus wendet sich der Neoma
rxismus nicht nur gegen den Kapitalismus, sondern insgesamt gegen die christlich
-abendländische Kultur. Der Neomarxismus bildete das ideologische Fundament der
Kulturrevolution von 1968, deren Exponenten nach 30 Jahren "Marsch durch die Ins
titutionen" die Bundesregierung übernahmen. Der derzeitige kulturelle und wirtsc
haftliche Verfall Deutschlands dürfte in erheblichem Maße auf den Einfluß des Ne
omarxismus zurückzuführen seien.

1. Frankfurter Schule
Im Jahre 1923 gründete der ungarische Kommunist Georg Lukács (1885 -1971) mit Mi
tgliedern der Deutschen Kommunistischen Partei in Frankfurt am Main das "Institu
t für Marxismus-Forschung", das kurz nach der Gründung umbenannt wurde in "Insti
tut für Sozialforschung". Das Frankfurter Institut war dem Moskauer "Marx-Engels
-Institut" nachgebildet worden. Lucács war in Ungarn Professor für Philosophie u
nd Literaturhistoriker. Von 1933 bis 1938 und von 1942 bis 1945 war Lukács auch
Mitarbeiter am Philosophischen Institut in Moskau.
Im Institut für Sozialforschung wurde später die als "Frankfurter Schule" bekann
t gewordene neomarxistische, dialektische Kritische Theorie von Max Horkheimer und
Theodor W. Adorno entwickelt.
Max Horkheimer (1895 -1973) erhielt 1931 den Lehrstuhl für Sozialphilosophie an
der Universität Frankfurt am Main, gleichzeitig auch die Leitung des Instituts f
ür Sozialforschung. Horkheimer wich von der reinen Lehre des Marxismus ab und ka
m zu der Überzeugung, daß die Arbeiterklasse als Trägerin einer Revolution nicht
in Frage käme. Horkheimer erkannte früh den gesellschaftlichen Wandel der Arbei
tnehmerschaft zu einem Teil des Bürgertums, deshalb gab Horkheimer den Rat, den
Marxismus neu zu definieren und zwar in kulturellen Begriffen als Neomarxismus.
Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung verlor das Institut für Sozialf
orschung seine Existenzmöglichkeit, zumal ein erheblicher Teil den Mitarbeiter n
icht nur Marxisten, sondern auch Juden waren. Diese Mitarbeiter waren nicht im j
üdischen Glauben verwurzelt, sondern sie waren säkularisierte Juden. Das Institu
t siedelte 1933 nach Genf, 1934 nach New York und 1940 nach Kalifornien um.
Im Jahr 1951 wurde das "Institut für Sozialforschung" in Frankfurt am Main mit
Unterstützung der US-amerikanischen Besatzungsregierung neu gegründet .
Eine erhebliche Bedeutung erhielt die Frankfurter Schule und ihre Ideologie des
Neomarxismus durch die studentische Kulturrevolution, die 1968 einen Höhepunkt e
rreichte:
Man kann mit Fug und Recht von einer Kulturrevolution sprechen, da sich der Prote
st gegen das gesamte kulturelle Establishment richtet (Herbert Marcuse).
Der Neomarxismus bildete das geistige Fundament dieser Bewegung, die auch unter
Bezeichnungen wie "Neue Linke" oder "Außerparlamentarische Opposition" bekannt w
urde. Ein Teil dieser Bewegung radikalisierte sich und beging als "Rote Armee Fr
aktion" (RAF) scheußliche Morde. Bei dem größeren Teil der Bewegung setzte sich
die Auffassung durch, daß der Weg zur Macht und zur Regierungsverantwortung nich
t im Sturz einer bestehenden Regierung zu gehen sei, sondern nur gewaltlos durch
einen beharrlichen "Marsch durch die Institutionen". Genau 30 Jahre später, zur
Bundestagswahl 1998, wurde dieses Ziel erreicht.
Der Neomarxismus selbst bezeichnet seine Ideologie nicht als Neomarxismus sondern
als Kritische Theorie .

2. Ablehnung der abendländische Kultur


Wie der Marxismus wendet sich der Neomarxismus sowohl gegen den Kapitalismus als a
uch gegen die abendländische Kultur im weitesten Sinne des Wortes. Da die abendl
ändische Kultur wesentlich durch das Christentum geprägt wurde, ist der Neomarxi
smus zwangsläufig eine antichristliche Ideologie.
Der Neomarxismus distanziert sich von Friedrich Engels und knüpft beim jungen Mar
x an. Er wendete sich gegen den dogmatischen Wissenschaftsanspruch des herrschend
en Marxismus, z.B. des Leninismus und gegen das Geschichtsverständnis des Marxis
mus.
Politische Konsequenzen der Kulturfeindlichkeit des Neomarxismus sind die Bestre
bungen, eine multikulturelle Gesellschaft zu etablieren, die Immigration zu förder
n und das Deutschtum zu bekämpfen.
Um das Christentum zu überwinden, war es erforderlich die Institutionen der Medi
en, der Kultur und der Erziehung mit Anhängern des Neomarxismus zu besetzen. Ins
besondere die Lehrerschaft wurde vom Neomarxismus beeinflußt.
Der "kulturpessimistische Part der Gegenwartsdiagnostik (wurde)... immer mehr v
on der als 'links' wahrgenommenen 'Frankfurter Schule'.. gespielt... Tatsächlich
lag die politisch-ideologische Wirkung der Präzeptoren des Instituts auf ihre j
ugendlichen Auditorien... in einer hermeneutischen Kulturkritik, deren implizite
oder explizite Stoßrichtung sich zum Teil gegen die rapide Verwestlichung oder
Amerikanisierung der Bundesrepublik richtete. Die Frankfurter Kritischen Theoret
iker waren Teil eines wachsenden intellektuellen Gegenlagers zur 'Adenauer-Repub
lik'... Ein beachtliches und zunehmend meinungsführendes Segment der Schriftstel
ler, Publizisten, Künstler und Wissenschaftler begann in diesen Jahren, die Kult
urkritik in eine erneuerte Kritik von Klassen- und Produktionsverhältnissen zu ü
berführen... Man findet in den Zeitumständen mancherlei Plausibilitäten, aber ka
um zwingende Gründe für diese forcierte neu- (oder auch pseudo-) marxistische Li
nkswendung" (Koenen 2001:111).
Der Neomarxismus ist wie der Marxismus atheistisch und antichristlich. Das Chris
tentum wurde als Katholizismus wahrgenommen, für die biblischen Grundlagen inter
essierte man sich nicht.
Seitens der Bundesregierung wurden "traditionelle Kollektivwerte von Familie, Re
ligion und Eigentum ins Feld geführt. So bildete eine weitgehend anachronistisch
e Ideologie des 'christlichen Abendlandes' auch das Fundament der ersten Phase d
er europäischen Einigung".
So beurteilt der ehemalige KBW-Funktionär Koenen heute die 70er Jahre (Koenen 20
01:72). Dieses Zitat verdeutlicht, wie das Ausreißen der christlichen Wurzel des
Abendlandes durch den Neomarxismus die Gegenwart prägt. Die gegenwärtige Bundes
regierung lehnte überwiegend bei ihrer Vereidigung die Hilfe Gottes zur Durchfüh
rung ihrer Dienstgeschäfte ab.

3. Antijudaismus
Nach dem Untergang der NSDAP wird der Antijudaismus von den arabischen Palästine
nsern fortgesetzt. Nach der Beendigung des Vietnam-Krieges mußte der Neomarxismu
s eine neue Begründung für seine revolutionären Ambitionen finden:
"Kurze Zeit später verlagerte sich die entscheidende Kampffront dann bereits von
Vietnam nach Palästina, wo ein heimatvertriebenes, entrechtetes Volk gegen den
allmächtigen Welt-Zionismus kämpfte" (Koenen 2001:122).
Die Neomarxisten identifizierten sich damit mit Zielen von A. Hitler, der ebenfa
lls gegen den Welt-Zionismus kämpfte:
"Eine große Bewegung unter ihnen (den Juden), die in Wien nicht wenig umfangreic
h war, trat auf das schärfste für die Bestätigung des völkischen Charakters der
Judenschaft ein: der Zionismus" (Hitler 1934:60).
Am 09.11.69 wurde ein Anschlag auf das Jüdische Gemeindezentrum in Westberlin ve
rübt. 1969 reisten Neomarxisten zur Al Fatah nach Jordanien, um mit Yassir Arafa
t zu sprechen und um sich in Palästinenserlagern einer paramilitärischen Ausbild
ung zu unterziehen.
Am ... reiste eine SDS-Delegation zu einer internationalen Konferenz nach Algier
, um die Solidarität mit der PLO zu bekunden. An dieser Konferenz nahm auch der
spätere Vizekanzler J. M. Fischer teil. Heute nehmen die Medien vorwiegend eine
antiisraelische und propalästinensische Stellung ein.

4. Neomarxismus und Bundesregierung


Die Bundesregierung Deutschland seit 1998, 30 Jahre nach Beginn des "Marsches du
rch die Institutionen" der Bewegung, ist stark vom Neomarxismus geprägt. Der ehe
malige Bundeskanzler Gerhard Schröder hat sich selbst als Marxist bezeichnet. Se
in Stellvertreter Joseph Fischer (Deckname Joschka) war an terroristischen Aktiv
itäten beteiligt, die bis heute nicht hinreichend aufgeklärt sind.
"Das halbe Kabinett und prominente Figuren der Parlaments- und Parteiszene haben
ihre politische Biographie als Marxisten, Kommunisten und sozialistische System
veränderer verschiedener Couleur begonnen, als Sponti-Militante oder K-Grüppler,
RAF-Anwälte, SHB-Aktivisten oder Juso-Antirevisionisten". Auch Verantwortungstr
äger "in staatlichen Behörden und privaten Verbänden, in Justiz und Anwaltskanzl
eien, in Medien oder Universitäten, in Gewerkschaften und selbst in den Vorstand
setagen der Wirtschaft" wurden vom "Geist von '68" geprägt, der "längst Teil der
Lebensluft dieses Landes geworden ist" (Koenen 2001).
Dieser mephistophelische "Teil von jenem Geist, der stets verneint" hat Blut, Tr
änen und Werteverfall gebracht, aber keine konstruktiven Beiträge zur Gestaltung
unseres Gemeinwesens:
"Daß irgendwer ihrer (der siebziger Jahre) mit Nachsicht gedächte, wäre zuviel v
erlangt" (H.M.Enzensberger).

5. Wertewandel
Die Frankfurter Schule dürfte entscheidend den negativen Wertewandel der Bundesr
epublik verursacht haben.

6. Theorie der Selbstverwirklichung


Abraham Maoslow, Carl Rogers und Rolo May lehrten, daß die wichtigste Quelle der
Autorität im Menschen selbst liegt, daß man nur auf sich selbst hören muß. Zur
Theorie der Selbstverwirklichung gehört die uneingeschränkte Befriedigung der Be
dürfnisse und die sofortige Befriedigung der Bedürfnisse. Die Theorie der Selbst
verwirklichung gehört zum Kern des Neomarxismus. Die Gesellschaft ist jedoch auf
monogame, von Treue geprägte Ehen, angewiesen. Die Theorie der Selbstverwirklic
hung zerstört die Basis von Familie und Gesellschaft.
Der Neomarxismus war von Anfang an durch einen extremen Egozentrismus gekennzeic
hnet. Nie wurden die Interessen anderer vertreten, sondern nur der Wille zur eig
enen Macht. Gemeinschaft oder Kameradschaft wurden pervertiert zur Komplizenscha
ft oder Kumpelhaftigkeit. Ein Symptom dieser Bewegung sind die sechs Ehescheidun
gen des Bundeskanzlers und seines Stellvertreters.
Auf dem Gebiet des Bildungswesens wird zwar die Vorstellung vertreten, daß alle
Menschen gleich begabt sind und daß Kinder kollektivistisch erzogen werden müsse
n. Alle Aufgaben müssen kollektivistisch gelöst werden. Andererseits wird unter
dem Ideal der Freiheit das Ausleben der individuellen Bedürfnisse verstanden. Su
bjektunabhängige Werte werden verneint.

7. Sexualisierung der Gesellschaft


Ein wesentliches Ziel des Neomarxismus ist die sexuelle Freizügigkeit, die als A
usdruck der Freiheit des Menschen betrachtet wird. Judentum und Christentum konz
entrieren die Sexualität auf die Ehe. Der Neomarxismus entkoppelt Sexualität und
Ehe. Die gesellschaftlichen Folgen sind weitreichende. Wir beobachten einen dra
matischen Rückgang der Ehen und Familien. Bevölkerungswissenschaftler sprechen v
on einer "Demographischen Katastrophe".
"Im Begriff 'antiautoritär' verband sich die Kampfansage gegen einen 'autoritäre
n Staat' mit der Denunziation von 'autoritären Strukturen' in allen gesellschaft
lichen Bereichen, besonders in der Familie, dem primären Hort der 'autoritären P
ersönlichkeit'. "...die 'autoritäre Kleinfamilie' (wurde) als Hort eines alltäg
lichen Faschismus und einer permanenten Unterdrückung jugendlicher Lebenstriebe
entlarvt" (Koenen 2001:80). "Die bürgerliche Familie, hieß es... , bestehe aus d
em 'Mann als Bourgeois und der Frau als Prolet - Herr und Knecht', was objektiv
auf die 'Funktion der Männer als Klassenfeind' hinauslaufe" (Koenen 2001:126).
Die familienfeindliche Ideologie des Neomarxismus wurde von der Bundesregierung
Schröder/Fischer weitgehend übernommen. Die Praxis der Trennung auch kleiner Kin
der von der Familie wurde aus der DDR übernommen. Die Folge ist eine Zunahme von
psychischen Störungen.

8. Feminismus und Familie


Aus dem Neomarxismus ging eine feministische Bewegung hervor.
"Jedenfalls, was 1968 mit der Gründung der ersten Weiberräte, Kinderläden, Sexpo
l-Gruppen usw. begonnen hatte, wurde nach dem Zerfall von APO und SDS endgültig
zu einer Bewegung im gesamtgesellschaftlichen Maßstab" (Koenen 2001:233).
Eines der Ziele dieser Bewegung war die Legalisierung der Tötung ungeborener Men
schen. Eine herausragende Gestalt ist Alice Schwarzer:
"Ein einschneidendes Datum ist der Moment, als 1977 'Emma' die Bühne betritt. Em
ma ist eine Zeitschrift, die mit der Person ihrer Herausgeberin Alice Schwarzer
weitgehend verschmilzt... Nach der erfolgreichen "Stern"-Kampagne 'Ich habe abge
trieben' (1972) landete sie mit ihrem Buch 'Der kleine Unterschied und seine gro
ßen Folgen' (1975) einen Bestseller, in keinem der neuen Frauenverlage, sondern
in einem großen Verlagshaus" (Koenen 2001:255,256).
Der Neomarxismus hat erreicht, daß die Tötung ungeborener Menschen zwar rechtswi
drig, aber nicht strafbar ist, wenn sogenannte Beratungsscheine ausgestellt werd
en. Diese Regelung bedeutet eine Aushöhlung des Rechtsstaates. Gegenwärtig werde
n werktäglich etwa tausend ungeborene Menschen getötet.
Bekanntlich ist die Bewegung der 68er dann nahtlos in den Feminismus übergegangen
, und was beide verknüpft hat, ist der Angriff auf die bürgerliche Familie. All
das war so erfolgreich, daß sich seither kein ernstzunehmender Konservativismus
mehr formieren konnte. Und auch wenn heute in den Sonntagsreden der Politiker wi
eder viel über die Bedeutsamkeit von Kindern zu hören ist, so sehen sich Eltern,
die ihre Kinder tatsächlich in den Mittelpunkt des Lebens rücken, einem sehr ab
weisenden kulturellen Klima ausgesetzt. Die Kultur der Jobs verachtet die Kultur
der Familie. ... Eine Frau, die arbeitet, ist unserer Gesellschaft heute mehr w
ert als eine Hausfrau und Mutter.
Die höchste Wertschätzung genießt das berufstätige Paar mit ganztätig betreutem
Kind. Dann folgt die alleinerziehende, berufstätige Mutter - sie ist die eigentl
iche Heldin des sozialdemokratischen Alltags. Ihr folgen die Singles bzw. Dinks.
Am unterer Ende der Werteskala rangiert die klassische Familie mit arbeitendem
Ehemann und Mutter/Hausfrau. Ihr gilt nur noch der Spott der neuen Kulturrevolut
ionäre, die die Lufthoheit über den Kinderbetten längst erobert haben. ... Fraue
n arbeiten, weil die staatliche Förderung von Kindertagesstätten es billiger mac
ht, die eigenen Kinder betreuen zu lassen.
Damit sind wir bei der aktuellsten Politik, beim neuen Kulturkampf um die Kinder
. Als hätte die DDR einen späten ideologischen Sieg errungen, predigen die meist
en Politiker heute ganz selbstverständlich die Verstaatlichung der Kinder. Denn
Kinderkrippen, Kindertagesstätten und Ganztagsschulen sind nicht als Hilfestellu
ngen für notleidende Eltern, sondern als neue familienpolitische Norm konzipiert
. Die Schule wird zum Kinderbetreuungszentrum, in dem die Kinder nicht primär le
rnen sollen, sondern integriert' werden". (Bolz 2006)

9. Einfluß auf die Sozial-Philosophie


Der Neomarxismus hat stark die Sozial-Philosophie beeinflußt. Unter Gerechtigkei
t wird verstanden, daß niemand für irgendetwas verurteilt werden darf. Jede Mein
ung ist so gut wie irgendeine andere. Jeder hat das Recht zu definieren, was für
ihn richtig ist. Durch Verwerfen der Strafe kann die Schuldhaftigkeit ausgelösc
ht werden. Eine absolute Wahrheit gibt es nicht. Was für den einen wahr ist, bra
ucht nicht für den anderen wahr zu sein. Diese Ideologie führt zur Desintegratio
n der Gesellschaft, zur Erhöhung der Kriminalität und zur Verminderung der innen
politischen Sicherheit.

10. Widerstand gegen die friedliche Kernenergie-Nutzung


Die Neomarxisten organisierten zahlreiche Sabotageakte gegen Einrichtungen der K
ernenergie-Nutzung (z.B Brokdorf oder Grohnde 1976/77). Diese Sabotageakte wurde
n nicht aus Sorge um Sicherheit oder Umweltschutz durchgeführt - Fachfragen wurd
en nicht diskutiert -, sondern hatten ausschließlich die Schädigung der Wirtscha
ft oder die "Entlarvung der Gewalttätigkeit des Staates" zum Zweck. Der Untersch
ied zwischen Atombomben und friedlicher Nutzung der Kernenergie wurde nicht wahr
genommen:
"In der Bilderwelt der Gedichte Enzensbergers war die Radioaktivität allgegenwär
tig" (Koenen 2001:98).
Eine späte Folge der Sabotageakte der Neomarxisten gegen die Kernenergie ist das
Bestreben des ehemaligen Bundeskanzlers G. Schröder, die deutschen Kernkraftwer
ke, die 30 % des elektrischen Stromes erzeugen, stillzulegen. Die Folge ist eine
Verlagerung der deutschen Stromerzeugung ins Ausland, ein unabsehbarer volkswir
tschaftlicher Schaden. Im März 2001 hat das Bayernwerk mit Russland die jährlich
e Lieferung einer Strommenge vereinbart, die der Leistung eines halben deutschen
Kernkraftwerkes entspricht.

11. Gewaltbereitschaft
Wenn Demokratie eine Form des politischen Lebens ist, die von der Gleichheit und
Freiheit aller Bürger ausgeht, waren die Neomarxisten nie demokratisch, sondern
versuchten ihren Willen stets durch irgendeine Form von Zwang durchzusetzen, se
i es durch Psychoterror, durch Blockaden, durch Diffamierungen, durch Wahlmanipu
lationen, durch Vandalisierung oder durch brachiale Gewalt.
"Unsere Alternative zu der herrschenden Gewalt ist die sich steigernde Gegengewa
lt" (Dutschke, zit. Koenen 2001:130).
Die Neomarxisten verhielten sich wie die Sturmabteilungen (SA) der Nationalsozia
listen in der Weimarer Republik: In der "Schlacht am Tegeler Berg" am 04.11.1968
wurden 130 Polizisten verletzt.
Nach einer Parabel von Mao Tse Tung vermehren sich die Fische im Teich von selbs
t, wenn die Temperatur steigt. Durchaus friedliche intellektuelle Kreise wärmten
konzentrisch das geistige Klima auf, in welchem Terrorismus gedeihen mußte.
"Adorno hatte schon recht, als er in einem Interview sagte, er habe doch schlech
terdings 'nicht ahnen können', daß Leute seine Theorien 'mit Molotow-Cocktails v
erwirklichen' wollten" (Koenen 2001:116).
Über den Einfluß von Professor Renate Riemeck, Vorstandsmitglied der DFU, auf da
s Schicksal ihrer Pflegetochter Ulrike Meinhoff können nur Mutmaßungen angestell
t werden.
"Die volle Identifikation mit der Notwendigkeit des revolutionären Terrorismus..
. in der Dritten Welt ist unerläßliche Bedingung... für die Entwicklung der Form
en des Widerstandes bei uns..." (Dutschke, zit. Koenen 2001:49).
Dutschke, die Schlüsselfigur der neomarxistischen 68er Bewegung, kann man als th
eoretischen Terroristen bezeichnen.
12. Feindbild von der Kriegsgeneration
Aus der Sicht der Neomarxisten waren in der Zeit des Dritten Reiches alle erwach
senen Deutsche Kriminelle, jeder hatte Kenntnis von den Konzentrationslagern, je
der befürwortete sie, jeder wollte die Juden vernichten, jeder wollte den Krieg.
Die Kriminalität der Vätergeneration hatte, so meinte man, zu schrecklichen psy
chischen Schäden der Nachkriegsgeneration geführt. Die Nachkriegsgeneration sah
sich deshalb gezwungen, durch einen totalen Bruch mit der Vätergeneration diese
Schäden zu heilen. Der Nationalsozialismus wurde mit der Bezeichnung der italien
ischen nationalistischen Bewegung des Faschismus benannt, wahrscheinlich, um die
nahe Verwandtschaft zwischen Nationalsozialismus und Lenin-Sozialismus zu verhü
llen.
Die Wehrmachtsausstellung hält an diesem Feindbild durch teilweise gefälschte Bi
lder bis in die Gegenwart fest. Die Rote Armee hatte den Befehl, im Feindesland
Frauen zu vergewaltigen. Die Wehrmacht hatte diesen Befehl nicht.

13. Feindbild von der Bundesrepublik Deutschland


Weil aus der Sicht der Neomarxisten alle älteren Deutschen Faschisten waren, war
en auch alle Verantwortungsträger der Bundesrepublik Faschisten. Also war auch d
ie Bundesrepublik Deutschland ein faschistischer Staat.
"Alles in dieser neuen Bonner Republik war doppelbödig, nichts war wörtlich zu n
ehmen", so ist heute noch die Ansicht von G. Koenen (Koenen 2001:105).
"Der 'latente Faschismus' des Systems oder eine universelle Tendenz der 'Faschis
ierung' wurden damit zu einem Hauptvorwurf gegen die bürgerliche Gesellschaft, w
o 'Ausbeutung' oder 'Entfremdung' alleine nicht ausreichten, um eine derart radi
kale Fundamentalkritik und Gegnerschaft zu begründen. In einer flankierenden Ope
ration wurde der geläufige Begriff des 'Totalitarismus' von den kommunistischen
Diktaturen des Ostens abgezogen und auf den Faschismus als Form einer offenen bü
rgerlichen Klassendiktatur konzentriert... Faschismus war somit der Inbegriff de
r 'repressiven', 'autoritären', kurz der 'totalitären' Tendenzen der bürgerlich-
kapitalistischen Gesellschaft selbst" (Koenen 2001:113).
Die Sowjetunion wollte die Teilung Deutschlands nicht, die Teilung Deutschlands
ist aus der Sicht der Neomarxisten vielmehr deshalb erfolgt, weil Konrad Adenaue
r Verträge mit den USA abschloß. Aus Gründen der Selbstverteidigung war die Sowj
etunion angeblich gezwungen, die Mauer zu bauen. Jeder freiheitsliebende Mensch
wurde deshalb aufgefordert, mit allen Mitteln gegen den Staat der Bundesrepublik
zu kämpfen, der "strukturelle Gewalt" ausübt und die zwischenmenschlichen Bezie
hungen "repressiv entstellt".
"Faschistisch" waren auch die USA: Hans Magnus Enzensberger kündigte seine Gastd
ozentenstelle an einer US-amerikanischen Universität mit den Worten:
"Der Zustand der Vereinigten Staaten erinnert mich heute, in mehr als einer Hins
icht, an die deutsche Situation in den dreißiger Jahren... Die Methoden der Unte
rdrückung haben sich seit jenen primitiven Zeiten phantastisch verfeinert..." (z
it. Koenen 2001:84).
Der Einsatz von Gewalt gegen den Staat hatte auch den Zweck, die sonst verborgen
e Gewaltbereitschaft des Staates offenbar zu machen. Die diesbezüglichen Tätigke
itsfelder waren der "Fahrpreiskampf", der "Häuserkampf", die "§218-Kampagnen" un
d die "Anti-AKW-Bewegung".
"Das Ziel war immer und unverrückbar 'die Revolution', die natürlich nur als ein
e internationale gedacht werden konnte, als Weltrevolution mithin" (Koenen 2001:
19).
Der Einsatz von Gewalt gegen den Staat der Bundesrepublik durch die Anti-AKW-Bew
egung dauert bis in die Gegenwart an und wird zur Verschrotten der deutschen KKW
führen.

14. Feindbild vom Wirtschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland


Aus der Sicht der Neomarxisten war das Wirtschaftssystem der Bundesrepublik ein
kapitalistisches und ein Subsystem der US-amerikanischen Wirtschaft. Dieses Syst
em wird von wenigen Kapitalisten gesteuert. Diese Kapitalisten diktieren den Kon
sum:
"Denn 'totalitär' ist.. auch eine nicht-terroristische Gleichschaltung der Gesel
lschaft, die sich in der Manipulation von Bedürfnissen... geltend macht" (Marcus
e, zit. Koenen 2001).
Das System ist eine totalitäre Diktatur, nur mit anderen Mitteln als das Dritte
Reich. Die Arbeiter werden ausgebeutet und unterdrückt, allerdings sind sie sich
dessen nicht bewußt:
"Das Proletariat... war unfähig geworden, sein Unglück überhaupt noch zu empfind
en" (Koenen 2001:51).
Die Bewußtseinsveränderung der Arbeiter ist eine dringliche Aufgabe der Neomarxi
sten. Diesbezügliche Aktivitäten wurden "Betriebsarbeit" genannt.
Um das Bewußtsein der Arbeiter der Opelwerke zu verändern, nahm der heutige Vize
kanzler J.M.Fischer zum ersten und einzigen Mal in seinem Leben eine geordnete B
erufstätigkeit auf sich (bisher war er als Pflastermaler, Taxifahrer und Bücherd
ieb tätig). Weil er zu einem Streik aufrief, wurde er schon nach einem halben Ja
hr aus den Opelwerken hinausgeworfen.
Die Soziale Marktwirtschaft, die als dritter Weg zwischen Kapitalismus und Sozia
lismus den Wiederaufbau, die Integration der Heimatvertriebenen und einen Wohlst
and für alle ermöglichte, wurde von den Neomarxisten nicht wahrgenommen. Auch di
e heutige Bundesregierung zeigt kein Verständnis für die Soziale Marktwirtschaft
. Die unwirtschaftliche Windenergienutzung wurde durch planwirtschaftliche Geset
ze erzwungen.
Ein wichtiger Repräsentant der Frankfurter Schule war T. Adorno, der die These v
ertrat:
"Die moderne technische Zivilisation selbst bringe autoritäre, manipulative, emo
tionslose, technokratische Charaktere vom Schlage eines Höss oder Eichmann en ma
sse hervor" (Koenen 2001:115).
Aus der Sicht von Adorno wird Kriminalität durch die gesellschaftlichen Verhältn
isse erzeugt.
In logischer Folge ergibt sich aus dem Neomarxismus eine industriefeindliche Ein
stellung. Ergebnisse dieser Ideologie schlugen sich nieder in der Deindustrialis
ierungpolitik der Regierung Schröder.
Die versuchte Vernichtung der Kerntechnologie, die Subventionierung der unwirtsc
haftlichen Windenergienutzung über die Strompreise und die de facto Besteuerung
der Kohlendioxidproduktion bewirken eine drastische Verschlechterung des Industr
iestandortes Deutschlands.

15. Propagierung des Sozialismus


Von den Opfern totalitärer Parteien des 20. Jahrhunderts wurden etwa 10 % von de
r Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und etwa 90 % von der
Kommunistischen Partei der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken (KPdSU)
und anderen kommunistischen Parteien ermordet. Im Vernichtungslager Auschwitz st
arben die Menschen einen schnellen Tod durch Giftgas, im Vernichtungslager Spass
k des KARLAG (mit 1,5 Millionen Insassen) einen langsamen Tod durch Hunger und K
älte.
Trotz Kenntnis der kommunistischen Greueltaten legten sich die neomarxistischen
Organisationen vorwiegend kommunistische, sozialistische oder von der Roten Arme
e (Armee der UdSSR) entlehnte Bezeichnungen zu: Kommunistischer Bund Westdeutsch
land (KBW), Linkssozialisten, Maoisten, Neoleninisten, Rote Armee Fraktion (RAF)
, Rote Zellen, Sozialistischer Deutscher Studentenbund (SDS), Trotzkisten. Ander
e Bezeichnungen brachten die Demokratiefeindlichkeit zum Ausdruck wie Außerparla
mentarische Opposition (APO) oder Revolutionäre Zellen (RZ). Die Greueltaten der
KPdSU wurden total verdrängt. Das Messen mit zweierlei Maß ist auch für die Bun
desregierung unter Schröder/Fischer charakteristisch. Nationalistische Gewalttat
en werden stark übertrieben dargestellt, während die verbrecherische sozialistis
che Partei SED/PDS als Koalitionspartner akzeptiert wurde.

16. Förderung durch die DDR


"Eine linke Zeitschrift wie 'Konkret', die bis 1964 von der DDR finanziert worde
n war, konnte unter ihrem Herausgeber Klaus Rainer Röhl ihre Finanzlücke schlaga
rtig durch eine neuartige Mischung von Politik und Sex schließen" (Koenen 2001:7
4).
Quellen
Bolz,N.; die Helden der Familie; München 2006
Koenen, G.; Das rote Jahrzehnt; Unsere kleine deutsche Kulturrevolution 1967-197
7; Köln 2001
Lang,N.; Sozialwissenschaftliches Grundwissen im Web, Juni 2001, www.socioweb.de
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