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CERNUNNOS DER

HIRSCHGOTT

Cernunnos, Gundestrup-Kessel, um 100 n. Chr.

Es gibt Verbindungen zwischen Siegfried und gewissen Hirschkultspielen. Diese Spiele wurden
vermutlich von auserwählten Maskenträgern ausgeführt und stehen in Zusammenhang mit
einem gallo-romanischen Hirschgott, der uns unter dem Namen Cernunnos ("der Gehörnte")
bekannt ist. Es handelt sich dabei zum einen um das erotische Spiel zwischen Hirsch und
Hindin, zum anderen um ein Tötungsspiel, die Hirschjagd. Diese Praktiken gehen auf Traditionen
zurück, die offenbar aus ältesten Zeiten stammen. "Der Gehörnte" wurde über weite Gebiete Europas
verehrt und hatte sicher tausend Namen, u.a. ist er bekannt als Cernunos, Cernenus, Cernowain,
Belatucadros, Vitiris, Vitus, Veit, Esus, Herne oder Hu Gadarn. Es ist ein Gott aus einer anderen Zeit -
auch für gallo-romanische Verhältnisse.

Die altsteinzeitliche Höhlenmalerei von "Des trois Fréres" in


Südfrankreich z.B. zeigt einen Hirschmaskenträger mit Geweih
aber deutlich erkennbarem menschlichen Körper und gibt uns so
eine Vorstellung von dem Alter dieser Tradition, selbst wenn sie
in der Steinzeit noch eher mit reinem Jagdzauber einherging und
vermutlich noch nicht die Elemente eines Fruchtbarkeitsritus
enthielt. Höhlenmalerei von "Des trois Fréres" (Detail), Paläolithikum

Spätestens seit dem 4. Jh. v. Chr. lässt sich in großen Teilen Mitteleuropas eine gehörnte
Gottheit nachweisen, die mit einem "Torques", d.h. einem keltischen Halsring und einer
Schlange (oft mit gekreuzten Beinen sitzend) dargestellt wird. Der Hirsch als Vernichter von
Schlangen und Drachen besitzt in der europäischen Mythologie einen schon fast
archetypischen Charakter. Die bekannteste Abbildung zeigt Cernunnos auf dem "Kessel von
Gundestrup" (um 100 n. Chr., s.Bild oben).
Der galloromanische Altar aus Reims (Bild rechts), der auch
den Namen "Cernunnos" überliefert, zeigt den Gott in
ähnlicher Weise. Bezeichnend ist die Darstellung als
Fruchtbarkeitsheros mit einem Füllhorn oder einem gefüllten
Sack, aus dem sich vermutlich Getreide ergießt. Deutliche
Parallelen mit Cernunnos weisen die gehörnten Gottheiten
"Esus" und "Herne" auf, letzterer symbolisiert den "wilden
Jäger". Der Cernunnos-Altar aus Reims

Die "wilde Jagd" wurde zum Jahresende hin abgehalten (zwischen dem Samhain- und dem
Jul-Fest, je nach Brauchtum). Der Kult steht in Zusammenhang mit einem Tötungsspiel
(Beispiele hierzu finden sich im Kapitel: "Heros Tod"). Das jahreszeitliche Pendant, ein
Fruchtbarkeits-Ritus im Frühjahr könnte auch seine Spuren in der Nibelungensage hinterlassen
haben (vgl. hierzu den Beitrag "Erweckungssage"). In diesem Zusammenhang ist es
interessant, auf Finn mac Cumhal, den Held des Leinster Zyklus, hinzuweisen. Er gilt als das
irische Pendant zu Siegfried, und war im Besitz einer Tarnkappe, die ihn wahlweise in einen
Mensch, Hirsch oder Hund verwandeln konnte. Die Verbreitung dieser Spiele, insbesondere
die Verwandlung in einen Hirsch, bzw. die Maskierung als Hirsch in Verbindung mit dem
Kulttanz, sind noch bis in das Spätmittelalter hinein durch viele kirchliche Verbote
dokumentiert, man denke insbesondere auch an die reichhaltigen Archive aus der Zeit der
Hexenverfolgungen, in denen derartige "teuflische" Riten mehrfach beschrieben werden.

Mittelsteinzeitliche Kultmaske aus einem


Rothirschschädel, etwa 7. Jahrtausend v. Chr. Märkisches Museum, Berlin

Wenn man den Jagdtod als primär annimmt, d.h. quasi vom steinzeitlichen Jagdzauber
ableitet, dann dürfte sich die erotische Variante des Spiels erst in einer späteren Zeit
hinzugesellt haben, als die Menschen damit begonnen haben Ackerbau zu betreiben und
plötzlich die Fruchtbarkeit wichtiger wurde als das Jagdglück.

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