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Nachdem im April 1980 die Pläne einer öffentlichen Rekrutenvereidigung im Weserstadion bekannt
werden, konstituieren sich eine „Aktionseinheit“ in der sich unter anderem „Antimilitaristen, Linke“ und
„Chaoten“ finden und ein Bündnis aus „Revis und Jusos“, die jeweils zu den Protestdemonstrationen
mit verschiedenen Anfangs und Zielpunkten aufrufen (Karneval in Bremen. Eine Chronologie des
6.5., radikal 79 Juni 1980, S. 18). Innerhalb der Aktionseinheit werden die Vorschläge diskutiert, den
Platz im Stadion zu besetzen, von den Rängen aus zu stören oder alle Tore zu blockieren. Es wird
jedoch kein Konzept angenommen: „So ging man mit der diffusen Vorstellung auseinander, irgendwie
vielleicht sowohl ins Stadion reinzukommen als auch, es von außen zuzumachen (…) man hoffte, der
Verlauf der Demo werde schon irgendwie in die richtige Richtung laufen“ (Eine Chronologie, S. 18).
Am sechsten Mai 1980 finden ab 16. 30 die beiden Demonstrationen statt. Die Aktionseinheit legt die
Route so, dass der andere Demonstrationszug unterwegs dazu stoßen kann. Die TeilnehmerInnen
aus dem Zug der Jusos reihen sich ein und folgen mehrheitlich der Aktionseinheit zum Weserstadion,
während die zweite Demonstrationsleitung zu einem anderen Kundgebungsplatz zieht (vgl. Eine
Chronologie, S. 18).
Vor dem Eingangstor des Stadions beginnen dann die Auseinandersetzungen zwischen gut
vorbereiteten DemonstrationsteilnehmerInnen und einer, an dieser Stelle unterbesetzten Polizei: „An
den direkten Auseinandersetzungen waren zunächst einmal ungefähr hundert Bullen außerhalb des
Stadions und etwa eben soviel Bullen innerhalb des Stadiongeländes auf der einen Seite und einige
hundert mit Gesichtstüchern, Helmen, wasserdichten Lederklamotten und teilweise mit Knüppeln
bewaffneten Leuten auf der anderen Seite beteiligt“ (ein Autonomer: Unter dem Pflaster liegt der
Strand…, radikal 79 Juni 1980, S. 19).
Der Kampf im Stadion läuft folgendermaßen ab: „Eine Gruppe drängt die andere mittels Steinwürfen
und Mollies zurück um nach kurzer Zeit selber vor den Knüppelschlägen der Bullen zu
flüchten“ (ebenda). Auf den Zufahrtsstraßen wird die Polizei mit Steinwürfen zurückgedrängt und es
werden Bundeswehrfahrzeuge umgekippt und angezündet (vgl. ebenda). Die PolizistInnen können
dieses Vorgehen nicht beenden, „da sie zu wenige“ sind (ebenda). Außerdem greifen
DemonstrationsteilnehmerInnen ein, die militante Aktionsformen nicht billigen: Wie im Widerstand
gegen technische Großprojekte kommt es zu „Auseinandersetzungen mit den
Gewaltfreien“ (ebenda).
Gegen halb elf Uhr abends deutet sich das Ende der Kämpfe an; die militärische Überlegenheit der
Polizei ist durch nachrückende Einheiten wiederhergestellt und die DemonstrantInnen organisieren
den Rückzug. Es wird beschlossen, „gemeinsam abzuziehen“ (Bericht einer Delmenhorster
Antimilitaristin, radikal 79 Juni 1980, S. 19). Doch die Polizei ist vorbereitet und spielt ihre militärische
Überlegenheit aus: „Die Bullen hatten Nebenstraßen abgesperrt und waren von zwei Seiten
gekommen (…) Gegriffen wurde niemand. Die Bullen prügelten nur wahl- und zügellos um
sich!“ (Bericht einer Delmenhorster Antimilitaristin, S. 19).
Eine Bremerin, die aktiv an den Auseinandersetzungen beteiligt ist, erschrickt durch den Anblick
eines brennenden Polizisten und ändert daraufhin ihr eigenens Gewaltverhalten. Sie habe bereits im
Vorfeld „Angst vor körperlicher Gewalt gegen mich und andere“ gehabt und sich deshalb
„entsprechend ausgerüstet, um mich zu schützen“ (Eine Bremerin: Gewalt und Gewalt, radikal 79
Juni 1980, S. 19). Am Stadion habe sie sich dann aktiv beteiligt, habe aber mit ihren Steinwürfen
niemand verletzen wollen. „Ich hab kräftig Steine geworfen, aber nie gezielt auf Bullen geworfen,
sondern immer nur in der Richtung, um sie abzuschrecken, zurückzuhalten und zu verhindern, daß
sie uns vom Stadion wegdrängen (verprügeln)“ (ebenda). Doch dann trifft ein Molotow Cocktail einige
Polizisten und sie stehen kurz in Flammen. Die beteiligte erkennt die möglichen Konsequenzen ihres
Verhaltens und wirft nicht mehr auf Menschen. „Ich habe nie gesehen, daß ein Bulle getroffen wurde,
aber bei dem Mollie hatte ich ganz nah vor mir die Auswirkungen unserer Gewalt – brennender Bulle
(…) Von da ab habe ich keinen einzigen Stein mehr auf die Bullen geworfen, nur später auf
Wasserwerfer“ (Eine Bremerin: Gewalt und Gewalt, S. 19).
An diesem Bericht wird deutlich, wie sehr die Gewalt der Autonomen expressiven Charakter hat und
wie wenig sie auf die Schädigung von Menschen ausgerichtet ist. Der „Wutausbruch“ richtet sich
gegen ein gesichtsloses System, es sind keine konkreten Personen, die angegriffen werden sollen.
So kann die beteiligte Person erschrecken, als sie einen brennenden Polizisten sieht. Sie wirft
danach nur noch Steine auf Polizeiausrüstung; bei den Symbolen des Staates hat sie offensichtlich
keine Skrupel.
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