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Wissensmangement 2.0
Viele Intranets verstauben zu toten Archiven. Dagegen sind auch Weblogs, Wikis & Co. kein Allheilmittel. Erfolgreiches Wissensmanage-
ment in Unternehmen setzt dagegen kulturelles Gespür, klare Konzepte und Skepsis gegenüber technischen Spielereien voraus
I n nur fünfzehn Jahren hat sich der Alltag in unseren Büros komplett
verändert: Seitdem Computer weltweit über das Internet vernetzt
A U T O R : Dr. Angela Berrisch
Senior Beraterin der nexum AG
sind, verbringen wir den größten Teil unserer Arbeitszeit vor dem
(www.nexum.de)
Bildschirm. Im Laufe der Jahre drang die Informationstechnik aus den
automatisierten Produktionsstraßen in die Büroetagen vor und wuchs
zum digitalen Nervensystem aller Geschäftsprozesse. Was ein Unter-
nehmen heute ausmacht, wird zu großen Teilen durch Computer- Pate standen dabei die Erfolge der Computertechnik in der industriel-
technik bestimmt. Wertschöpfung entsteht dabei zunehmend in Netz- len Produktion. Im Büroalltag findet dieses Ziel zum Beispiel Ausdruck
werken: zwischen vernetzten Menschen und vernetzten Unternehmen. im Firmen-Intranet, das Papierarchive, Aktennotizen, handgeschriebe-
ne Memos und Schwarze Bretter weitgehend abgelöst hat. Neue
Vorbild Automatisierung Mitarbeiter, die sich schnell in die Gepflogenheiten ihres neuen Unter-
Die digitale Vernetzung unserer Arbeit wirkt sich auch auf den Umgang nehmens einarbeiten wollen, erhalten seitdem den Hinweis: „Schau
mit Wissen in Unternehmen aus. Ihr Einfluss reicht bis in den Sprach- ins Intranet, da steht alles drin.“ – Und genau da liegt das Problem…
gebrauch hinein: So ist heute nicht mehr von Fortbildung und Aus-
tausch die Rede. Stattdessen spricht man von digitalem Wissens- Verstaubte Archive
management und E-Learning. Die Ablösung des „analogen“ Para- Mit Hilfe von Computern lassen sich Daten und Informationen einfa-
digmas verrät die Hoffnungen und Ziele von Entscheidern und cher, schneller und kostengünstiger sammeln als mit den Mitteln der
Unternehmenslenkern: Mit der Computern innewohnenden Fähigkeit, Papierära. Wie das öffentliche Internet sollen firmeninterne Webseiten
alle Vorgänge zu dokumentieren, entstand zugleich die Hoffnung ihrer Mitarbeitern die Suche nach relevanten Informationen erleichtern.
Nutzer, auch die Kommunikation über Computer kontrollierbarer, auto- Dazu gilt es, über verschiedene Medien verstreute Informationen zu
matisierbarer und effizienter zu machen. bündeln und Wissen aus den Köpfen von Mitarbeitern zu dokumentie-
ren und anderen verfügbar zu machen.
Je nach Beschaffenheit lässt sich dieses Wissen mehr oder weniger ein-
fach durch Informationssysteme erfassen. Dokumentiertes oder „expli-
zites“ Wissen ist immer schon in niedergeschriebener oder aufgezeich-
neter Form verfügbar. Es geht also darum, dieses Wissen in geeignete
digitale Datenformate zu übertragen, für den thematischen Zugriff zu
verschlagworten und durch Navigationstechniken zugänglich zu
machen. Hierfür stehen je nach Schwerpunkt verschiedene Werkzeuge
wie Content- oder Dokumenten-Management-Systeme, Experten- oder
Agentensysteme zur Verfügung.
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ONLINE WISSEN
Als Treffpunkte für den aktiven Austausch der Anwender wird implizites
Wissen in Social Networks, Tauschbörsen und Weblogs gewissermaßen
en passant dokumentiert. Web 2.0 vereint also zwei wesentliche Anfor-
derungen an erfolgreiches Wissensmanagement: Archiv und Kommu-
nikationsplattform zu sein. Gerade für den Umgang mit implizitem
Implizites Wissen hingegen ist weit schwerer zu fassen: Denn es ist auf Wissen bietet es kostengünstige Ansätze, die überdies hohe Akzeptanz
keiner Festplatte gespeichert, sondern im menschlichen Gedächtnis als bei den Nutzern finden. Einstmals passive Internetsurfer wandeln sich
Erfahrung vernetzt. Um es weiterzugeben, bedarf es in jedem Fall der im Mitmachweb zu aktiven Content-Produzenten.
aktiven Mithilfe des Wissenden. Dadurch lässt sich implizites Wissen
nur schwer offenlegen. Ein weiteres Problem: Die kurze Halbwertszeit Um selbst veröffentlichte Digitalfotos, Videos, Weblogs und Nutzer-
von Expertenwissen rechtfertigt meist nicht den großen didaktischen profile ist mittlerweile eine ganze Industrie entstanden. Ihre neu entste-
Aufwand für seine Kodifizierung. Darum empfehlen sich hier henden Nutzungsgewohnheiten und Ansprüche tragen die Privatnutzer
Werkzeuge, die den Austausch zwischen Experten ermöglichen, also in die Unternehmen. Diese Begeisterung wiederum wollen viele
eine Kommunikations- statt einer Archivfunktion anbieten. Intranetmacher auf den unternehmensinternen Plattformen nutzen,
den eigenen Seiten neues Leben einhauchen.
Aufgrund des intensiven IT-Einsatzes liegt die Verantwortung für
Intranetprojekte und des mit ihnen verbundenen Wissensmanage- Die passende Kultur zur Technik
ments meist in der Hand der IT-Abteilung. Wissensmanagement geht Doch die Web-2.0-Euphorie ebbt im Unternehmensumfeld meist sehr
aber nicht in technischen Lösungen auf: Fokussieren sich Projekte zu schnell wieder ab. Mitarbeiter werden nicht zu leidenschaftlichen
stark auf die Technik, sind die fachlichen Anforderungen oft unterreprä- Corporate-Bloggern; Wikis verstauben nach der ersten Euphorie; zu
sentiert. Die Folge sind teure Anpassungen, die Anwender nicht verste- ganzen Themenlandschaften verschlagwortete Inhalte sind von Anfang
hen und daher nicht nutzen. an so komplex wie unbrauchbar. Warum?
Das gilt insbesondere für den Umgang mit implizitem Wissen. Manche Die einseitige Fokussierung auf technische Aspekte blendet einen
Projekte beschränken sich aufgrund der zu erwartenden Schwierig- wesentlichen Aspekt von Wissensmanagement aus: Die Kommu-
keiten von vornherein auf die Dokumentation expliziten Wissens. In nikationskultur. Denn Web 2.0 steht nicht nur für eine neue Technik. Im
diesem Fall sind die Austauschkomponenten unterrepräsentiert, das Mitmachweb haben sich auch besondere Gepflogenheiten der Nutzer im
Engagement der Nutzer aufgrund geringerer Interaktivität entsprechend Umgang miteinander herausgebildet. Diese Subkultur lässt sich nicht
gering. Ansätze wiederum, die auch das Expertenwissen einer ohne Weiteres auf die Unternehmenssphäre übertragen. So frönen die
Organisation heben wollen, scheiterten bislang an der Unzulänglichkeit Nutzer von Multimediaarchiven wie Flickr oder Youtube vorwiegend pri-
verfügbarer Tools. So erwiesen sich etwa Collaboration-Systeme als zu vaten Interessen. Bis auf das Urheberrecht müssen sie keine Vorschriften
unflexibel, um komplexe Austauschprozesse hinreichend abzubilden. beachten. Im Gegenteil: Das Web 2.0 zieht einen Gutteil seines Reizes
Dadurch verstaubten Intranets zu bloßen Online-Archiven. aus dem freien, kritischen, manchmal auch schnoddrigen Umgangston
der Anwender. Die Hoffnung, dass sich ebenso die Nutzer von
Aktive Kommunikation durch Firmenintranets zu Selbstläufern in Sachen Contentproduktion entwi-
Web-2.0-Technologie ckeln, kollidiert dagegen mit der in Unternehmen vorherrschenden
Einen Ausweg verspricht ein Trend, der seit etwa vier Jahren Kommunikationskultur. Hierarchisch aufgebaute Organisationen tun sich
Technologien und Nutzungsgewohnheiten im öffentlichen Internet in der Praxis dann doch schwer mit den neuen Freiheiten und regulieren
revolutioniert: Web 2.0. Dort können sich technische Laien mit einfa- Wikis oder interne Blogs von vornherein mit zusätzlichen Zugriffsrechten
chen Mitteln an die Internet-Öffentlichkeit wenden. Doch anders als und Freigabeschleifen. Das Ergebnis sind leere Webseiten.
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Zudem hat die Einfachheit der Web-2.0-Werkzeuge auch ihren Preis: Denn nicht jedes Unternehmen benötigt tatsächlich bloggende
Für Unternehmen typische Prozesse, Hierarchien und Workflows spie- Mitarbeiter und Community-Tools auf den eigenen Seiten. Ein großer
len hier meist keine Rolle. Ein aufwendiges Rechtekonzept lässt sich in deutscher Industriekonzern beispielsweise verfolgt mit der Kon-
einem Weblog nicht abbilden, ohne seinen besonderen Charakter zu solidierung seiner zahlreichen Intranets zu einem übergreifenden
verändern. Doch in Unternehmen ist Wissensmanagement, wie der Wissensportal das Ziel, dass alle Mitarbeiter im weltweiten Konzern-
Name schon sagt, ein gesteuerter Prozess, der bestimmten Zielen folgt verbund eine Vorstellung davon haben, auf welchen Feldern ihr
und Regeln unterliegen muss. Unternehmen überhaupt aktiv ist – keine leichte Aufgabe bei annä-
hernd 190.000 Mitarbeitern verteilt über 650 Einzelunternehmen. Im
Mehr Pragmatismus – Wissensmanage-
BEISPIEL 1: Vordergrund steht also zunächst die Organisation und Distribution
ment bei einem internationalen Konzernmulti expliziten Wissens im gesamten Konzern. Sich angesichts dieser
Daher empfiehlt sich beim Aufbau oder Relaunch eines Intranets zuerst Dimensionen auf technische Spielereien festzulegen, hätte das Projekt
die kritische Bestandsaufnahme der Unternehmens- und Wissenskultur. von vornherein unmöglich gemacht. Denn jedes Werkzeug muss
Wie und wo entsteht Wissen im Unternehmen? Wem soll es zugäng- sowohl einer riesigen Zahl von Nutzern zugänglich gemacht werden, als
lich gemacht werden? Über welche Kanäle? Nach welchen Abläufen? auch große Mengen sehr unterschiedlicher Informationen organisieren.
Welchen Anteil haben dabei dokumentiertes Wissen und Erfahrung?
Unterstützung bei der umfassenden Neugestaltung seiner Portal-
Angesichts des Faktischen sollten Management und Kommuni- landschaft erhielt der Industriekonzern von der nexum AG. Der
kationsverantwortliche sich dann über die Ziele im Klaren werden, Interaktiv-Dienstleister führte die Inhalte zahlreicher Plattformen bei
die sie mit ihrem Intranetprojekt oder Portal verfolgen. Nur so kön- Konzerngesellschaften und in Fachbereichen sowie bei ausgewählten
nen sie sich schließlich sinnvoll für oder gegen bestimmte Tech- Pilotunternehmen in einem zentralen Portal zusammen. Dieses soll als
nologien entscheiden. Die Antwort könnte ein pragmatischer Mix aus Wissensbasis und Kommunikationsplattform den Know-how-Transfer
klassischen Informationssystemen (Strukturierung und Steuerung zwischen den einzelnen Segmenten und Konzernunternehmen fördern
der Informationen und Daten) und neuen Technologien (Motivation, und damit einen wichtigen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit und
Austausch und Zusammenarbeit) sein, aber orientiert an den Zielen Internationalisierung leisten. Wissensmanagement bedeutet hier, sehr
des Wissensmanagements im Unternehmen und nicht an techni- unterschiedliche Informationen und spezifisches Wissen über die weit
schen Moden. verzweigte Struktur des Unternehmens hinweg zugänglich zu machen.
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Um den Ansatz in der Praxis zu testen, startete der Roll-out des neuen
Wissensportals zunächst in wenigen Pilotunternehmen. Hierdurch ließen
sich Ziele, Technologien und Anforderungen der Nutzer im Detail aufei-
nander abstimmen. Zur Hochphase der Migration sorgten über 30 feste
und freie Redakteure für reibungslose Abläufe bei der Content-Pflege.
Entscheidend für den Erfolg des Projekts ist letztlich, dass das zugrun-
deliegende Konzept die faktischen Wissensströme, die Organisations-
struktur, die Ziele des Managements wie auch die Interessen der Nutzer
berücksichtigt. Technische Fragen sind dann zweitrangig.
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THEMEN
• Wissensmanagement
• Konzeption Intranet/Extranet
• Requirement Analyse
• Content Management Prozesse
• Prozess Management
LEBENSLAUF
Seit 2007 berät Angela Berrisch als Senior Beraterin bei der nexum
AG vor allem Kunden im Handelsumfeld zu den Themen Wissens-
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