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Jan Tschichold - Gestalt Des Buches
Jan Tschichold - Gestalt Des Buches
ISBN ---
Inhaltsverzeichnis
Jan Tschichold .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..
Ton in der Hand des Töpfers .. .. .. .. .. .. .. .. ..
Grafik und Buchkunst .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..
Über Typographie .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..
Die Bedeutung der Tradition für die Typographie ..
Symmetrische oder asymmetrische Typographie? ..
Willkürfreie Maßverhältnisse der Buchseite
und des Satzspiegels .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..
Das traditionelle Titelblatt, typographish .. .. .. ..
Satzregeln des Verlegers für den Drucker .. .. .. ..
Wie Probeseiten aussehen sollen .. .. .. .. .. .. .. ..
Konsequenzen des Drittelsatzes .. .. .. .. .. .. .. ..
Warum Absatzanfänge eingezogen werden müssen ..
Kursiv, Kapitälchen und Anführungszeichen
im Textsatz des Buches und in wissenschaftlichen
Zeitschriften .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..
Vom Durchschuß .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..
Der satz von Notenziffern und Fußnoten .. .. .. .. ..
Auslassungspunkte .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..
Gedankenstriche .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..
‹Hurenkinder› und ‹Schusterjungen› .. .. .. .. .. .. ..
Die typographische Planung von Tafelwerken .. .. ..
Bogensignaturen und Bogenrücken-Signaturen .. ..
Kapitalband, Schnittfarbe, Vorsatzpapier,
Lesebändchen .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..
Bücher und Zeitschriften müssen einen Rückentitel
tragen .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..
Schutzumschlag und Steifband .. .. .. .. .. .. .. ..
Über breite, zu große und quadratische Bücher .. ..
Weißes oder getöntes Werkdruckpapier? .. .. .. .. ..
Zehn der zurzeit häufigsten Kardinalfehler der Buch-
herstellung .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..
Register .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..
Jan Tschichold
JAN TSCHICHOLD ist ein Sohn der Stadt Leipzig und in ihr
am . April geboren.
wurde er Schüler der Akademie für Buchgewerbe
und Graphik zu Leipzig. Von bis erteilte er an
dieser Hochschule den Abendunterricht in Kalligraphie.
erschien in Leipzig sein Heft elementare typographie,
das im Verein mit seinem in Berlin erschienenen Buche
Die neue Typographie die Satzweise umgewälzt hat und bis
auf den heutigen Tag nachwirkt.
Seit war er Lehrer für Satzstil und Kalligraphie an der
Meisterschule für Deutschlands Buchdrucker in München.
Unmittelbar nach der unrühmlichen ‹Erhebung› des Jahres
wurde er, wie auch seine Frau, beide erklärte Gegner
des ‹Nationalsozialismus›, in ‹Schutzhaft› gesetzt und er
seines Lehramtes beraubt.
Tschichold wählte das Los der Emigration und fand in
der Eidgenossenschaft, in Basel, Zuflucht. Hier entwickelte
er sich zum Verkünder eines gereinigten Traditionalismus
der Typographie. Er ist heute Repräsentant eines akade-
misch-klassischen Satzstils.
wurde er nach England berufen, um dort das innere
und äußere Aussehen der weltbekannten Penguin Books zu
reformieren. Nach Erfüllung dieser gewaltigen Aufgabe
ging er nach Basel zurück. Er stand dort im Dienste eines
Weltunternehmens der pharmazeutischen Industrie. Er
wurde zum Direktor der Graphischen Akademie Mün-
chen gewählt, lehnte es aber ab, diesem Ruf zu folgen.
Ungezählte Schweizer Bücher und viele Millionen eng-
lischer sind aus seiner Hand hervorgegangen. Seine Lehren
und sein Beispiel haben mehrere Generationen in Europa
und Amerika stark beeinflußt.
Die Reihe seiner eigenen Bücher, die Schrift, Schriftge-
schichte, Typographie und chinesische Graphik behandeln,
umfaßt einschließlich der zahlreichen Ausgaben in andern
Sprachen über fünfzig Titel.
Für seine Verdienste um die Entwicklung der Typogra-
phie als Kunst wurde ihm bereits , als bisher einzigem
Europäer, die höchste Auszeichnung der graphischen Indu-
strie der USA, die Goldmedaille des American Institute of
Graphie Arts, New York, verliehen. Jan Tschichold ist
Ehrenmitglied des Double Crown Club, London, und der
Société typographique de France. Im Juni wurde er
von der Royal Society of Arts, London, zum Honorary Royal
Designer for Industry (Hon. R.D.I.) ernannt.
Am . Juli hat ihm die Stadt Leipzig im Jahre ihres
achthundertjährigen Bestehens den Gutenberg-Preis, die
höchste europäische Auszeichnung für Typographie, ver-
liehen.
Im Jahre ernannte ihn die Deutsche Akademie der
Künste, Berlin, zum korrespondierenden Mitglied.
Ton in des Töpfers Hand …
keit die eigentümliche Form der objektiven geschmack-
lichen Norm vorzieht.
In einem typographischen Meisterwerk erscheint die
Handschrift des Künstlers ausgelöscht. Was von manchem
als persönlicher Stil angepriesen wird, sind kleine, nichtige,
zuweilen sogar schädliche Eigentümlichkeiten, die sich oft
für Neuerungen ausgeben, wie etwa der Gebrauch nur einer
bestimmten Schriftart, seien es entweder Groteskschriften
oder absonderliche Schriftformen des neunzehnten Jahrhun-
derts, die Vorliebe für bestimmte Schriftmischungen oder
die Anwendung scheinbar kühner Regeln, etwa nur einen
Schriftgrad für eine ganze Arbeit, selbst eine komplizierte,
zu verwenden und anderes mehr. Persönliche Typographie
ist mangelhafte Typographie. Nur Anfänger und Dumm-
köpfe können sie fordern.
Vollkommene Typographie beruht auf vollkommener
Harmonie aller Teile. Daher müssen wir lernen und lehren,
was harmonisch sei. Harmonie hängt von guten Verhält-
nissen oder Proportionen ab. Proportionen stecken in allem:
im Gewicht der Ränder, in den gegenseitigen Verhältnissen
der vier Ränder einer Buchseite, im Verhältnis des Durch-
schusses einer Seite zum Ausmaß der Ränder, im Abstand
der Seitenzahl von der Schriftfläche, im Ausmaß der Sper-
rung von Versalzeilen im Verhältnis zum glatten Satz und,
nicht zuletzt, im Ausschluß der Wörter; das heißt, in allem
und jedem. Nur durch fortgesetzte Übung und strengste
Selbstkritik, durch dauerndes Lernen können wir den Sinn
für vollkommene Arbeit ausbilden. Die meisten geben sich
leider mit halbwegs guten Arbeiten zufrieden. Sorgfältiger
Ausschluß und richtiges Sperren der Versalien scheint man-
chen Handsetzern noch immer unbekannt oder unwichtig
zu sein, obwohl es für den, der sucht, nicht schwer ist, die
richtigen Regeln zu finden.
Da Typographie sich an jedermann wendet, bietet sie
keinen Raum für umwälzende Änderungen. Die Form nicht
eines einzigen Buchstabens können wir wesentlich verän-
dern, ohne das Satzbild unsrer Sprache zu zerstören und da-
mit unbrauchbar zu machen.
Bequeme Lesbarkeit ist die oberste Richtschnur aller Ty-
pographie. Über Lesbarkeit kann jedoch nur der ein Urteil
fällen, der im Lesen wirklich geübt ist. Nicht jeder, der eine
Fibel oder auch eine Zeitung lesen kann, ist Richter; denn
beides ist in der Regel gerade noch leserlich, entzifferbar.
Entzifferbarkeit und ideale Lesbarkeit sind Gegensätze,
Gute Lesbarkeit hängt von der richtigen Wahl der Schrift
und der ihr angemessenen Satzweise ab. Gründliche Kennt-
nisse in der Geschichte der Buchdrucklettern sind eine
unabdingbare Voraussetzung vollkommener Typographie.
Noch wertvoller ist eine tätige Kenntnis der Kalligraphie.
Die Typographie der meisten Zeitungen ist entschieden
zurückgeblieben. Ihre Formlosigkeit zerstört alle Ansätze
guten Geschmacks und verhindert dessen Ausbildung. Da
viele Menschen aus Denkfaulheit mehr Zeitungen als Bü-
cher lesen, ist es kein Wunder, daß auch die übrige Typo-
graphie, die der Bücher nicht ausgenommen, so wenig ent-
wickelt ist. Woher auch soll selbst ein Setzer, falls er mehr
Zeitungen als sonst etwas liest, sein Wissen über guten ty-
pographischen Geschmack beziehen? Und wie man sich an
geringes Essen gewöhnen mag, wenn man kein besseres
bekommen kann und daher jede Möglichkeit der Verglei-
chung fehlt, so haben sich viele der heutigen Leser darum
an schlechte Typographie gewöhnt, weil sie mehr Zeitun-
gen als Bücher lesen und damit ihre Mußestunden, wie sie
es mit Recht nennen, totschlagen. Sie kennen keine bessere
Typographie und können daher keine bessere verlangen.
Den übrigen fehlt die Stimme, da auch sie nicht sagen könn-
ten, wie es besser zu machen sei.
Anfänger und Amateure messen dem sogenannten Einfall
zuviel Gewicht bei. Vollkommene Typographie entsteht
vorwiegend durch die Wahl zwischen verschiedenen Mög-
lichkeiten, deren Kenntnis Sache langer Erfahrung, wie die
richtige Wahl Sache des Taktes ist. Gute Typographie kann
nicht witzig sein. Sie ist das genaue Gegenteil eines Aben-
teuers. Der Einfall zählt also wenig oder gar nicht. Er zählt
um so weniger, als er nur auf gerade eine Arbeit anwendbar
ist. In einer guten typographischen Arbeit sind alle einzel-
nen Teile formal durch einander bedingt, und ihre Verhält-
nisse werden langsam erst während der Arbeit entwickelt.
Gute Typographie ist heute eine eminent logische Kunst
und unterscheidet sich durch den Anteil selbst von Laien
nachprüfbarer Logik von allen andern Künsten. Dennoch
darf unter Umständen eine sachlich begründete, aber zu
weit gehende Abstufung der Schriftgrade dem einfacheren
Aussehen geopfert werden.
Je bedeutender der Inhalt des Gedruckten ist, je länger es
erhalten werden soll, um so sorgfältiger, um so ausgewoge-
ner, um so vollkommener muß seine Typographie sein.
Nicht nur Ausschluß und Durchschuß müssen peinlichster
Kritik standhalten, sondern auch die Proportionen der Rän-
der, die aller verwendeten Schriftgrade und die Anordnung
der Titelzeilen müssen edle Verhältnisse zeigen und unab-
änderlich wirken.
Die Entscheidungen in der höheren Typographie, etwa
eines Buchtitels, sind, wie ein wirklich hochentwickelter
Geschmack, der freien Kunst verwandt. Sie können Formen
hervorbringen, die in ihrer Vollkommenheit guter Malerei
und Bildhauerei ebenbürtig sind. Dem Kenner nötigen sie
sogar mehr Hochachtung ab als diese; denn der Typograph
ist durch den unabänderlichen Wortlaut fester denn irgend-
ein anderer Künstler gefesselt, und nur der Meister kann
die starren Buchdrucklettern zu ihrem wahren Leben er-
wecken.
Vollendete Typographie ist gewiß die sprödeste aller
Künste. Aus starren, zusammenhanglosen, gegebenen Tei-
len soll ein Ganzes entstehen, das lebendig und wie aus
einem Guß erscheint. Nur die Steinbildhauerei kommt voll-
endeter Typographie an Spröde nahe. Für die meisten Men-
schen bietet vollendete Typographie ästhetisch keine be-
sonderen Reize, da sie schwer zugänglich ist wie die hohe
Musik. Im besten Falle wird sie dankbar hingenommen. Das
Bewußtsein, namenlos und meist ohne besondere Anerken-
nung wertvollen Werken und der knappen Anzahl optisch
sensitiver Menschen einen Dienst zu erweisen, ist in der
Regel die einzige Belohnung für die lange, doch nie endende
Lehrzeit des Typographen.
Graphik und Buchkunst
Die Buchtypographie darf nicht werben. Übernimmt sie
Elemente der werbenden Graphik, so mißbraucht sie den
Text im Dienste der Eitelkeit des Graphikers, der es nicht
fertigbringt, als Diener des Werkes vollständig zurückzu-
treten. Das heißt keineswegs, daß seine Arbeit farblos und
jedes Ausdrucks bar sein soll oder gar ein in einer Druckerei
anonym entstehendes Buch nicht schön sein könne. Dank
der Tätigkeit S TANLEY M ORISONS , des leitenden Künst-
lers der Monotype Corporation in London, ist in den
vergangenen Jahren die Zahl edler Druckschriften ge-
waltig angestiegen. Durch die Wahl einer dem Inhalt
möglichst vollkommen entsprechenden Schrift und durch
den Entwurf einer vollkommen schönen, ideal lesbaren, gut
durchschossenen, nicht zu weit ausgeschlossenen Seite mit
harmonisch abgewogenen Rändern, durch die taktvolle
Wahl geeigneter Grade für die Überschriften und den Ent-
wurf eines wirklich schönen und reizvollen, mit der Text-
typographie harmonierenden Innentitels kann der Buch-
künstler erheblich zum Genuß eines wertvollen literari-
schen Werkes beitragen. Benützt man aber Modeschriften,
etwa eine Grotesk oder eine der nicht immer unschönen,
aber für ein Buch meistens zu aufdringlichen deutschen
Künstler-Handsatzschriften, so macht man das Buch zu
einem Modeartikel. Dies ist nur richtig, wenn es sich um
buchähnliche Erzeugnisse von kurzer Lebensdauer handelt,
aber abwegig, wenn das Buch einige Bedeutung hat. Je grö-
ßer diese ist, um so weniger darf der Graphiker sich selbst in
Positur setzen und mit seinem ‹Stil› dokumentieren, daß
er und niemand anders das Buch gestaltet hat. Daß Werke
über die neue Architektur oder über neue Malerei ihren
typographischen Stil aus jener ableiten dürfen, sei unbestrit-
ten; doch sind das seltenste Ausnahmen. Schon in einem
Buche über Paul Klee etwa erscheint es mir unrichtig, die
gewöhnliche Grotesk als Schrift zu wählen, weil deren Ar-
mut der Subtilität dieses Malers ins Gesicht schlägt. Gar
einen Philosophen oder einen klassischen Dichter aus dieser
nur scheinbar modernen Schrift zu setzen, ist undiskutabel.
Der Buchkünstler muß seine Persönlichkeit ganz und gar
abstreifen. Er muß vor allem einen ausgeprägten Sinn für
Literatur haben und deren gelegentlichen Rang richtig ein-
schätzen können; rein visuell Eingestellte ohne literarische
Interessen sind als Buchentwerfer unbrauchbar, weil sie
schwerlich erkennen können, daß die Kunst ihrer Entwürfe
den Respekt vor der Literatur, der sie dienen sollten, ver-
missen läßt.
Darum ist wirkliche Buchkunst eine Sache des Taktes
allein und vor allem des heutzutage nur selten richtig be-
werteten Guten Geschmacks. Da das Vollkommene, dem
der Buchkünstler nachstrebt, wie alles Vollkommene immer
ein wenig in der Nähe des Langweiligen steht und von Un-
sensibeln mit diesem verwechselt wird, so hat es, zumal in
einer Zeit, die auf handgreifliche Neuheiten ausgeht, kei-
nerlei Werbekraft. Ein wirklich gut gemachtes Buch ist nur
von einer Elite als solches erkennbar; die übergroße Mehr-
zahl der Leser empfindet seine exzeptionelle Qualität nur
dumpf. Ein wirklich schönes Buch muß auch äußerlich
nichts Neues, sondern soll nur vollkommen sein.
Der Schutzumschlag des Buches allein bietet die Möglich-
keit, die formale Phantasie schweifen zu lassen. Es ist zwar
kein Fehler, diesen dem Buch und seiner Typographie anzu-
gleichen, ist er doch in erster Linie ein kleines Plakat, das
den Blick auf sich ziehen soll und worin vieles erlaubt ist,
das im Buche selber unschicklich wäre. Leider ist auf Kosten
der heutigen farbenprächtigen Schutzumschläge der Ein-
band, das eigentliche Kleid des Buches, oft arg vernach-
lässigt worden. Viele Leute huldigen, vielleicht daher, der
Unsitte, die Schutzumschläge aufzubewahren und die Bü-
cher mit ihnen in den Bücherschaft zu stellen. Ich begreife
das noch, wenn der Einband dürftig oder gar häßlich ist;
doch gehören Schutzumschläge in den Papierkorb wie Zi-
garettenschachteln.
Im Buche selbst aber ist Selbstentäußerung die oberste
Pflicht des verantwortlichen Entwerfers. Er ist nicht des
Textes Herr, sondern sein Diener.
Über Typographie
Zunächst aber trägt die Form der Buchstaben selbst in
hohem Maße zur Leserlichkeit oder ihrem Gegenteil bei.
Nicht sehr viele Menschen machen sich über die Form der
Schrift Gedanken. Die für einen bestimmten Zweck am be-
sten geeignete Schrift aus der Unzahl vorhandener Typen
herauszufinden, ist einem Laien kaum möglich. Es handelt
sich auch keineswegs nur um eine Frage des Geschmacks.
Das gedruckte Wort wendet sich an jedermann, an Un-
gebildete und Gebildete, an Menschen fast jeden Alters.
Wer lesen kann, bedient sich einer Übereinkunft, die zäher
und weniger ausrottbar ist als irgendeine. Keines einzigen
Buchstabens Merkmale können wir ändern, ohne damit
zugleich das ganze Schriftbild fremdartig und damit un-
brauchbar zu machen. Je ungewöhnlicher das Wort aus-
sieht, das wir doch schon millionenmal in der uns vertrauten
Form wiedererkannt, das heißt soviel wie gelesen haben,
um so eher werden wir von seiner Form gestört. Denn wir
verlangen es unbewußt in üblicher Gestalt. Alles andere
befremdet uns und erschwert das Lesen. Wir dürfen daraus
schließen, daß eine Type um so leserlicher ist, je weniger
ihre Grundformen sich von den schon seit vielen Generatio-
nen gebrauchten unterscheiden. Wohl sind kleine Abwand-
lungen, etwa an der Form und Länge der Endstriche, am
Stärkeverhältnis der kräftigern und schwächern Teile der
Buchstaben denkbar. Doch finden diese virtuellen Variatio-
nen ihre Grenze in der Übereinkunft über die Form der
Buchstaben.
Am Ende einer fünfzigjährigen Zeit des Experimentie-
rens mit zahlreichen neuartigen, andersartigen Schriften
steht die Einsicht, daß die besten Schriften entweder die
klassischen Schriften selbst (soweit sich ihre Stempel oder
deren Abschläge bis auf unsere Zeit erhalten haben) oder
ihre Nachschnitte oder neue Schriften sind, die sich nicht
weit von diesen entfernen. Eine zwar späte und kostspielige,
aber dennoch wertvolle Erkenntnis. Die vornehmste Tu-
gend einer Schrift ist, sich als solche gar nicht bemerkbar zu
machen. Wirklich gute Typographie soll auch nach zehn,
fünfzig, hundert Jahren noch leserlich sein und den Leser
nicht abstoßen. Nicht von allen Büchern des vergangenen
Halbjahrhunderts läßt sich das sagen. Manches versteht
nur, wer die historischen Zusammenhänge kennt. Im Be-
streben, zu reformieren – und gar viel war um die Jahrhun-
dertwende reformbedürftig –, ist man oft weit übers Ziel
hinausgeschossen.
Dem heutigen Betrachter scheint es, daß man vor allem
anders sein wollte als früher. Eine neue Schrift sollte eine
weithin als solche erkennbare, Achtung heischende Persön-
lichkeit sein. Einer noch ein wenig primitiv verstandenen
Reklame kamen diese etwas auffälligen Schriftpersönlich-
keiten zustatten. Heute aber ist die Wirkung der meisten
neuen Schriften, die vor dem ersten Weltkrieg erschienen,
längst verbraucht. Nur einzelne von ihnen können noch
verwendet werden.
Das Bild der Typographie, das sich um bot, war vom
Stilwillen der verschiedenartigsten Persönlichkeiten zer-
furcht und litt unter einer Unzahl verschiedenartiger Schrif-
ten. Setzmaschinen, die heute einen wohltätigen Einfluß
ausüben, da sie die Zahl der verwendeten Schriften be-
schränken helfen, waren damals viel seltener als heute. Fast
alles wurde noch von Hand gesetzt. Wohl gab es andere,
aber nicht immer wirklich bessere Schriften als um und
kaum weniger viele. Gedankenlose Schriftmischungen wu-
cherten wie Unkraut. Als Pionier sauberer, strenger Typo-
graphie ist vor allen andern C ARL E RNST POESCHEL zu
nennen, der früher als andere typographische Ordnung an-
strebte und selbst mit heute zum Teil häßlich wirkenden
Schriften Vortreffliches schuf, ferner JAKOB H EGNER, der
mit einer wohlüberlegten Auswahl alter Schriften eine
Menge noch heute schöner Bücher druckte.
Im Jahre trat die sogenannte Neue Typographie
auf. Sie verlangte radikale Einfachheit und Abkehr vom
zentrierten Satz. Dabei beging sie zwei Denkfehler. Sie legte
die Verworrenheit der typographischen Durchschnittsform
allein den Schriftarten zur Last und glaubte, in der End-
strichlosen, der Grotesk, das Heilmittel und gar die Schrift
unserer Zeit gefunden zu haben. Und sie hielt die ‹Mittel-
achse›, die allerdings zu lächerlichen Gebilden mißbraucht
wurde, für eine Zwangsjacke und wünschte ihr durch Asym-
metrie zu entgehen. Eine strenge Verminderung der Zahl
der verwendeten Antiqua- und Frakturschriften, wo nötig
ihre Ersetzung durch die besten lieferbaren Formen, und
eine strengere Anordnung hätten aber damals wie heute
genügt, das Bild der Typographie erheblich zu verbessern.
Die Endstrichlose ist nur scheinbar die einfachste Schrift.
Sie ist eine für kleine Kinder gewaltsam reduzierte Form
und für Erwachsene schwerer lesbar als die mit den keines-
wegs ornamental gemeinten Endstrichen versehene Anti-
qua. Auch ist Asymmetrie keineswegs besser als Sym-
metrie, nur anders. Beide Anordnungsarten können gut
sein.
Die Neue Typographie hinterließ ihre Spuren in zahl-
reichen neuen, nicht immer besseren Endstrichlosen. Viel
später erst gelangte sie auch nach England, Italien und den
Vereinigten Staaten. Während sie in England nur selten ver-
standen wurde und kaum Bedeutung erlangte, obwohl die
englische Durchschnittstypographie noch heute einer ähn-
lichen Reinigung bedarf wie einst die deutsche, fand sie in
Italien und besonders in den Vereinigten Staaten intelli-
gente und phantasiebegabte Schüler. In Deutschland wurde
ihre Entwicklung, die sonst schneller auf natürliche Art ge-
endet hätte, abgeschnürt.
Die Gießereien haben damals eine große Anzahl neuer
Groteskschriften herausgebracht, und eine Zeitlang sah
man fast keine andern Schriften. Es fehlte auch nicht an zum
Teil sogar fruchtbaren typographischen Experimenten. In-
des wird selten viel auf einen Hieb erreicht, und eine Ver-
besserung auch nur der Typographie von Grund auf kann
nicht das Werk eines halben Jahrzehnts sein. Ein chinesi-
sches Sprichwort sagt: Stäte Arbeit gibt feine Ware.
Doch wurden neben den vielen Endstrichlosen in jener
Zeit noch andere Schriften herausgebracht, die sich nicht
der Mode verschrieben hatten und zum Teil Aussicht auf
eine längere Lebensdauer haben. Unter den Handsatzschrif-
ten bilden die Schriften von E MIL RUDOLF WEISS vermut-
lich den wertvollsten Beitrag des dritten Jahrzehnts unseres
Jahrhunderts an die Typographie. Unter den Setzmaschi-
nenschriften der verschiedenen Systeme haben bleibenden
Wert die Matrizen nach noch in Abschlägen vorhandenen
klassischen Schriften, etwa der Walbaum-Antiqua und der
Walbaum-Fraktur, und einige Neuschnitte nach alten
Schriften, die mehr oder weniger getreu nach alten Drucken
hergestellt worden sind. Heute gilt die Einsicht, daß nur
diejenigen Schriften wirklich gut sind, die den Hauptaus-
prägungen der überlieferten klassischen Schriften minde-
stens sehr nahestehen.
Unter diesen Hauptvertretern der klassischen Schriften
oder ihren zeitgenössischen Abwandlungen heißt es, eine
vernünftige, möglichst kleine Auswahl zu treffen. Viele mo-
derne Schriften sind ja nur verdorbene Abwandlungen alter
Schriften. Um gute Formen von mangelhaften zu unter-
scheiden, bedarf es eines sehr geübten Auges, und nur das
unermüdliche Studium der vortrefflichsten Druckschriften
der Vergangenheit befähigt zu einem Urteil.
Eine gute Druckschrift soll von edler Zeichnung sein und
das Auge freundlich berühren. Im übrigen darf sie nicht be-
sonders auffallen. Dicke und dünne Striche müssen ein maß-
volles Verhältnis zeigen. Ihre Unterlängen sollten unver-
kürzt sein, und der durchschnittliche Abstand zwischen
zwei Buchstaben, das heißt die Zurichtung des Schriftgie-
ßers, darf nicht unverhältnismäßig knapp sein. Eine etwas
zu enge Zurichtung entstellt viele Schriften neuerer Zeit
und auch manche Nachschnitte guter, verlorengegangener
Typen.
Eine jede Druckerei sollte mindestens einen Vertreter der
Ältern Antiqua (der Schriftgattung, die gemeinhin, aber
ungenau, als Mediäval bezeichnet wird) mit der zugehöri-
gen Kursiv in sämtlichen Graden von Punkt aufwärts, ein-
schließlich der Grade Punkt und Punkt, bis hinauf zu
Punkt, besitzen, ferner eine gute Fraktur, ebenfalls in
allen Graden, mindestens aber bis Punkt. Mir erscheint
der Besitz einer Antiqua Jüngern Stils (zum Beispiel der Bo-
doni) weniger dringend als der einer Antiqua des Über-
gangsstils (etwa der Baskerville); jedoch läßt sich gegen
die Walbaum-Antiqua nichts vorbringen, zumal sie der Bo-
doni dank ihrer Zurückhaltung überlegen ist. Eine gute
Egyptienne und eine gute Endstrichlose sind wohl notwen-
dig, doch muß man bei ihrer Auswahl an die schon vorhan-
denen Grundschriften denken und von vornherein unhar-
monische Mischungen zu vermeiden trachten.
Vorbedingung für ein gutes Aussehen der fertigen Arbeit
und für eine angenehme Leserlichkeit ist der richtige Satz
jeder einzelnen Zeile. Noch ist der zu weite Satz in fast allen
Ländern die Regel. Er ist ein Erbteil des neunzehnten Jahr-
hunderts, dessen dünne, spitzige und zu helle Schriften den
Satz mit Halbgevierten geradezu fordern. Unsere etwas
kräftigeren Schriften verlieren ihren Zusammenhang als
Zeile, wenn sie so weit gesetzt werden. Der Satz mit Drittel-
gevierten und noch enger sollte zur unbedingten Richt-
schnur, und nicht nur in Büchern, gemacht werden. Nach
dem Schlußpunkt den Wortabstand zu vergrößern, ist un-
nötig, falls das Werk nicht aus ungewöhnlich langen Sätzen
besteht.
Die Anfänge der Absätze sollen unbedingt eingezogen
werden. Satz ohne Einzüge, leider in Deutschland, und nur
dort, fast die Regel, ist eine schlimme Unsitte, die ver-
schwinden sollte. Der Einzug, in der Regel ein Geviert, ist
das durchaus einzige sichere Mittel, einen Absatz zu kenn-
zeichnen. Denn das Auge, am Ende einer Zeile angelangt, ist
zu träge, einen knappen Ausgang zu bemerken, der überdies
in Werken ohne Einzüge häufig erst nachträglich hergestellt
werden muß. Es kommt ja auch keineswegs so sehr auf einen
möglichst ruhigen Umriß des glatten Satzes an als auf beste
Leserlichkeit und Klarheit. Daher ist der Satz ohne Einzüge
als Irrtum zu verwerfen.
Auszeichnungen in der Fraktur werden gewöhnlich ge-
sperrt. Früher setzte man dort Schwabacher oder auch einen
größeren Frakturgrad. Verführt durch den Fraktursatz,
pflegen manche Setzer auch den Antiquasatz durch Sper-
rung statt durch Kursivsatz auszuzeichnen. Dies ist nicht
länger richtig. Auszeichnungen im glatten Antiquasatz
müssen durch Kursiv bewirkt werden. Eine weitere Aus-
zeichnungsart bilden die Kapitälchen, die im Fraktursatz
ihresgleichen nicht haben. Kapitälchen sind besser als die
Halbfette, die nur im deutschen Sprachgebiet in so ausge-
dehntem Maße verwendet wird. Dafür fehlen hier leider die
Kapitälchen fast überall. Werden sie verlangt, so muß man
sie durch einen kleineren Grad der Versalien mühsam vor-
täuschen. Es ist daher dringend zu wünschen, daß der Ge-
brauch der Kapitälchen mehr gepflegt werde und vor allem
die besten Setzmaschinenschriften, aber auch die wichtig-
sten Handsatzschriften, um ihre Kapitälchen bereichert
werden.
Es sollte eine oberste Regel sein, daß Gemeine nie und
unter gar keinen Umständen gesperrt werden. Die einzige
Ausnahme ist die Auszeichnung im glatten Fraktursatz.
Alle Sperrung verdirbt die Leserlichkeit und die Harmonie
des Wortbildes. Daß man in Buchtiteln und Akzidenzarbei-
ten so häufig sperrt, geht auf die Satzweise der Zeit der deut-
schen Klassiker zurück, die durchaus keine Glanzzeit der
Typographie war. Was aber in der Fraktur noch zur Not er-
träglich ist, wird in der Antiqua und in der Kursiv zum häß-
lichen Unsinn. Gesperrter Satz kostet überdies doppelt so-
viel wie gewöhnlicher.
Anders steht es mit den Antiquaversalien. Diese müssen
stets und unter allen Umständen gesperrt werden, und
zwar mindestens mit einem Sechstel der Kegelstärke. Dieses
Sechstel ist indes nur als Richtwert aufzufassen, da die Spa-
tien zwischen den Versalien ihrem optischen Werte nach
gegeneinander ausgeglichen werden müssen. Es sollte
selbstverständlich sein, daß der Ausschluß von Wörtern,
die aus Versalien gesetzt sind, größer sein muß als der zwi-
schen Wörtern aus Gemeinen; doch ist er oft entweder der-
selbe, das heißt zu knapp, oder viel zu weit. Er muß zwar
deutlich, soll aber nicht unnötig dick sein.
Was man als Stil der Typographie bezeichnen könnte,
wird zunächst durch Lebensform und Arbeitsbedingungen
bestimmt. Wir sind zum Beispiel ganz und gar nicht mehr
imstande, reiche und gar vielfarbige Einrahmungen und
Untergründe, wie sie im neunzehnten Jahrhundert vor-
kamen, zu erstellen. Sie wären viel zu kostspielig. Wahr-
scheinlich gäbe es auch niemand, der sie setzen könnte. Wir
müssen mit unserer knappen Zeit rechnen und einen leicht
gangbaren Weg suchen. Was allzu umständlich ist, ist kaum
modern.
Einfachheit ist überhaupt, heute mehr denn je, das Adels-
zeichen meisterlicher Arbeit. Wer je einem Meister bei der
Arbeit über die Schulter schauen durfte, war gewiß erstaunt,
wie leicht und flink ihm alles von der Hand geht. Es sieht so
aus, als ob er seine Arbeit aus dem Ärmel schüttle. Wer müh-
sam probieren muß, ist noch Lehrling.
Ich mußte so viel über die Typen, deren sich der Setzer
bedienen muß, sagen, weil ohne diese Schriften und ohne
daß man weiß, warum man gerade sie verwendet, keine or-
dentliche Arbeit entstehen kann. Umhertasten unter allen
möglichen Schriften bedeutet Pröbeln, Zeitverlust, teure
Arbeit. Das gilt auch, wenn Entwurf und Ausführung einer
Arbeit verschiedenen Händen anvertraut werden. Wer nur
zeichnen, aber nicht setzen kann, kann schwerlich eine gute
und brauchbare typographische Skizze liefern, und beides,
Skizze und Ausführung, muß flink von der Hand gehen.
Dem Entwerfer, falls ein solcher in der Druckerei beschäf-
tigt wird, müssen die spezifischen Möglichkeiten der vor-
handenen Schriften ständig gegenwärtig sein, und er muß
wissen, was umständlich und was einfach zu setzen ist. Und
nur, wenn seine Skizze fehlerlos ist, wird der Satz genau das
sein, was ihm vor Augen stand. Ein zeichnender Laie, der
ja das eigentümliche, perlende Schwarzweiß der Typen gar
nicht recht kennt und nicht imstande ist, auf dem Instru-
mentarium der Typographie zu spielen, wird stets über-
rascht und unzufrieden sein. Nach einer guten Skizze, die
nicht einmal immer sauber und für Laien verständlich zu
sein braucht, muß selbst ein durchschnittlicher Setzer mü-
helos und schnell setzen können. Ein Meister könnte wohl
auch ohne Skizze setzen, wenn’s sein muß, aber auch er wird
in der Regel vor dem Satz eine Skizze machen, schon um
den Neusatz auch nur eines Wortes zu vermeiden. Ein Mei-
ster tut keinen Handgriff zuviel.
Es gibt Arbeiten, die mehr als den üblichen Aufwand im
Entwurf oder in der Ausführung oder in beidem verlangen.
Sie sind aber selten und müssen es bleiben. Wenn auch die
Arbeitsstunde des Entwerfers vielleicht teurer ist als die des
Setzers, so sind drei Skizzen, selbst haargenaue, noch immer
billiger als drei gesetzte Ausführungen.
Vor allem aber muß der Entwurf aus dem Geiste der Ty-
pographie geboren und nicht darauf angelegt sein, die Wir-
kungen anderer graphischer Techniken, etwa der Lithogra-
phie oder der Zeichnung, zu erreichen oder sie auszuste-
chen. Typographie ist eine eigenständige Kunst, anders als
beide. Es gibt zwei berühmte Schriftproben, beide wahre
Denkmale typographischer Kunst. Die eine ist wenigstens
dem Namen nach ziemlich bekannt; das Manuale tipografico
G IAMBATTISTA B ODONIS , Parma . Die andere, tech-
nisch und künstlerisch weit erstaunlicher, kennen nur we-
nige. Ich meine das Spécimen-Album von C HARLES D ER-
RIEY, Paris . Es ist in hunderten bunter Farben, zahl-
losen Schriften und mit abertausenden von Ornamenten
verschiedener Form gesetzt und gedruckt, von wirklich
hohem Geschmack und einer unübertrefflichen Genauig-
keit im Aufeinanderpassen der vielen bunten Formen. So-
sehr auch ein Setzer dieses Werk bewundern würde, eigent-
liche Typographie ist es nicht. Es ist nur die täuschende
Imitation lithographischer Wirkungen durch Typographie,
ein Scheinsieg der Typographie über die Lithographie. Ein
Rest solcher irriger Bemühungen sind die hochempfind-
lichen englischen Schreibschriften in unseren Steckkästen.
Sie täuschen Lithographie vor, und gerade darum sind sie
keine guten Buchdruckschriften. Gute Typen sind solid,
und allzu feine Haarstriche, gar verbundene Schrift, sind
untypographisch.
Gute Typographie zeigt einen einfachen Aufbau. Die zur
Mitte geschlossene Zeile ist eine spezifische und sogar die
wichtigste Anordnungsart guter Typographie. Sie ist noch
heute so modern wie je. Der Schreiber, auch der Maschinen-
schreiber, stellt seine Überschriften nicht gerne zur Mitte,
weil es ihm Mühe macht. Allein in der Typographie ist
diese Anordnung sinnvoll. Das Anordnen verschieden gro-
ßer Kegel auf Mitte untereinander ist die zugleich einfach-
ste und beste typographische Methode, weil sich die Zei-
lenzwischenräume leicht und schnell im Schiff abändern
lassen. Die Kunst steckt zum großen Teil in den Zwischen-
räumen. Senkrecht gestellte Zeilen sind nicht nur schwer
lesbar, sondern auch technisch mangelhaft, weil ihre Beweg-
lichkeit im Schiff viel geringer ist. Ganz zu schweigen vom
schrägen Satz, der dem typographischen Ordnungssystem
zuwiderläuft. Man kann gewiß auch mit Gips arbeiten, aber
Typographie ist das nicht.
Gute Typographie ist sparsam im Zeitaufwand und auch
in den Mitteln. Wer ein normales Buch mit Ausnahme der
Titelseiten aus einem einzigen Grad und seiner Kursiv set-
zen kann, versteht seine Sache. Wer mehr als drei Kästen für
eine kleinere Akzidenzarbeit oder einen einfachen Titel auf-
stellen muß, hat noch nicht ausgelernt. Doch darf, wer ein
Briefformular ganz aus einem einzigen Schriftgrade setzen
zu dürfen glaubt, nicht meinen, er habe den Stein der Weisen
gefunden. Er verwechselt die Bequemlichkeit des Lesers
mit seiner eigenen und übersieht, daß der Wortlaut aus
wichtigen und weniger wichtigen Teilen besteht.
Was wir tun und wie wir es tun, soll in allen Teilen einer
einleuchtenden Notwendigkeit entspringen. Wo wir sie
nicht erkennen oder fühlen, ist etwas faul. Geschmackliche
Eiertänze können lustig wirken, aber kaum auf Dauer An-
spruch erheben. Der Setzer soll ein Meister, aber kein Clown
sein, der jeden Tag andere Kapriolen schlägt.
Der Streit um Symmetrie oder Asymmetrie ist müßig.
Beide haben ihre Gebiete und besondern Möglichkeiten.
Man glaube aber nicht, daß die unsymmetrische Satzweise,
weil jünger, unbedingt die moderne oder gar die absolut
bessere sei. Sie ist im besten Falle keineswegs einfacher oder
leichter als die symmetrische, und über die symmetrische
als etwas angeblich Veraltetes die Nase zu rümpfen, ist ein
Zeichen geringer Reife. Ein Katalog mag mit asymmetri-
scher Typographie militärische Ordnung demonstrieren.
In einem Buche aber stört sie den Fluß des Lesens. Asymme-
trische Briefbögen können besser sein als symmetrische,
aber asymmetrisch gesetzte kleinere Anzeigen bieten, zur
Seite vereinigt, einen greulichen Anblick. In der Typogra-
phie gilt nicht der alte oder ein neuer Stil, sondern nur, was
gut ist.
Die Bedeutung der Tradition
für die Typographie
brauche dieses Wort und das von ihm abgeleitete Wort kon-
ventionell nur in seinem ursprünglichen, niemals in abfälli-
gem Sinne.
Die Form unserer Buchstaben, der älteren Hand- und In-
schriften sowohl wie der heute üblichen Schriftschnitte,
spiegelt eine langsam erstarrte Konvention, eine Überein-
kunft, die sich unter vielen Kämpfen gebildet hat. Noch
nach der Renaissance standen in mehreren europäischen
Ländern gebrochene Nationalschriften der für alles Latei-
nische verbindlichen Antiqua gegenüber, und selbst heute,
so hoffe ich, ist das letzte Wort über die Fraktur noch nicht
gesprochen. Von ihr abgesehen, ist die Antiquaminuskel
der Renaissance unsere Schrift seit Jahrhunderten. Was ihr
folgte, sind bloße modische Abwandlungen, zum Teil nur
Entstellungen der edlen Grundformen, keinerlei Besserun-
gen. Der Schriftschnitt Claude Garamonds, um in
Paris entstanden, ist in seiner Klarheit, Leserlichkeit und
Schönheit schlechthin unübertrefflich. Er trat auf, als auch
das abendländische Buch als Gegenstand seine mittelalter-
liche Schwerfälligkeit abgelegt und jene Form angenom-
men hatte, die noch heute die beste ist: der schlanke, auf-
rechtstehende rechteckige Körper, aus gefalzten und im
Rücken gehefteten Bögen gebildet, in einem Einband, des-
sen überstehende Kanten den Schnitt schützen.
Seit etwa hundertfünfzig Jahren ist mit der Gestalt des
Buches in der verschiedenartigsten Weise manipuliert wor-
den. Zunächst wurden die verwendeten Druckschriften
spitzig und dünn, man griff zu willkürlich breiten Propor-
tionen des Buchkörpers und reduzierte seine Handlichkeit,
man glättete später das Papier so stark, daß sogar seine
Fasern und damit sein Bestand litten – schließlich kam der
Reform versuch des Engländers William Morris und seiner
Nachahmer, zuletzt traten die deutschen Schriftkünstler
der ersten drei Jahrzehnte dieses Jahrhunderts mit neuen
Schriften auf den Plan, die größtenteils vergessen sind.
Für alle diese Experimente, die zwar den Historiker und
den Liebhaber fesseln können, auch hin und wieder für ihre
Zeit Gültiges, ja Bedeutendes hervorgebracht haben, gibt
es eine einzige Ursache: das Mißvergnügen am Bestehen-
den. Selbst das Bestreben, vorsätzlich Neues oder anderes
zu schaffen, wird in erster Linie durch dieses Mißvergnügen
legitimiert. Mangelnde Freude am Üblichen läßt sich von
der dunklen Ahnung betören, daß anderes besser sein
könnte. Man findet etwas schlecht, kann aber nicht definie-
ren, warum, und man will es einfach anders machen. Modi-
sche Formvorstellungen, Minderwertigkeitskomplexe und
neue technische Möglichkeiten spielen zwar hinein, sind
aber weniger wirksam als der Protest des Jünglings gegen
die Umwelt der älteren Generation. Dieser Protest gegen
Formen ist sogar fast immer wohlbegründet. Denn rar ist
das Vollkommene! Aber der Protest ist unfruchtbar, Lei-
stungen aus Protest bleiben fragwürdig, solange man noch
nicht einigermaßen ausgelernt und die Entwicklung der
typographischen Grammatik gründlich studiert hat. Denn
allein sie verschafft uns das Werkzeug konstruktiver Kritik,
das Wissen.
In der Druckkunst zählt vor allem, was jedermann täglich
zu Gesicht bekommt: zuerst Bilderbuch und Fibel, dann
das Lesebuch, das Lehrbuch, der Roman, die Zeitung, die
alltäglichen Prospekte. Nur ganz weniges davon vermag
uns, seiner Gestalt nach, auch nur einigermaßen zu erfreuen.
Dabei kostet die Herstellung eines guten Kinderbuches,
die eines gut gesetzten Romans nicht mehr als das schlecht-
hin Übliche. Es trifft wahrhaftig zu, daß irgendetwas an so
vielen Druckwerken nicht stimmt. Aber ohne die Ursachen
des Unstimmigen methodisch zu erforschen, ohne für eine
Analyse hinreichend ausgerüstet zu sein, glaubt der Naive,
etwas anderes sei auf alle Fälle besser. Und ständig sind
Leute am Werk, ihm immer simplere Rezepte als der Weis-
heit letzten Schluß anzubieten. Zurzeit ist das der gedicht-
artige Zeilensatz aus Grotesk, womöglich nur in einem ein-
zigen Grad.
Die wahre Ursache so vieler Unzulänglichkeiten in Bü-
chern und anderen Drucksachen ist der Mangel an oder der
ausdrückliche Verzicht auf Tradition und die anmaßende
Verachtung der Konventionen. Wenn wir etwas bequem
lesen können, so dank der Respektierung des Üblichen.
Lesenkönnen setzt Konventionen und ihre Kenntnis und
Beachtung voraus. Wer die Konventionen über Bord wirft,
läuft Gefahr, den Text unleserlich zu machen. Bücher,
deren Textdarstellung unseren Gewohnheiten nicht ent-
spricht, wie die unvergleichlich herrlichen Manuskripte
des Mittelalters, sind mühsamer als unsere Bücher zu lesen,
auch wenn man gut Lateinisch versteht, und ein Buch in
Gabelsberger-Stenographie ist heute überhaupt unnütz,
weil wir nicht einmal mehr die einzelnen Wörter lesen kön-
nen. Die Benützung der konventionellen Buchstaben und
der konventionellen Schreibweise sind unabdingbare Vor-
aussetzungen gemeinverständlicher, das heißt brauchbarer
Typographie. Wer das nicht beachtet, vergeht sich am Leser.
Diese Wahrheit richtet fürs erste unseren Blick auf die
Form der Buchstaben. Die Geschichte der Schriftschnitte
könnte viele tausende verschiedener Alphabete aufzählen,
die zwar fast alle die kristallisierte Endform unserer Schrift,
die Antiqua oder Renaissanceminuskel, zur Mutter, je-
doch sehr unterschiedliche Qualitäten haben. Die formale
Schönheit ist dabei nur ein Kriterium, und schwerlich das
wichtigste. Neben dem unentbehrlichen Rhythmus ist es
vor allem die ausgeprägt klare, unverwechselbare Form,
das höchst empfindliche richtige Verhältnis von Assimila-
tion und Dissimilation im Einzelbuchstaben, das heißt die
Anähnelung aller Buchstaben und die simultane Entähne-
lung des Einzelzeichens, die eine vollkommene Leserlich-
keit gewähren. Die vollendete Form unserer Buchstaben
ist, wie schon erwähnt, das Werk des großen Schriftschnei-
ders Garamond. Sie ist für ein Vierteljahrtausend die einzige
Antiqua in Europa gewesen, wenn man von ihren zahlrei-
chen Nachahmungen absieht. Alte Bücher aus dieser Zeit
können wir noch genau so gut wie unsere Vorfahren lesen
und leichter als so manches, das uns heute begegnet. Und
das, obwohl nicht alle dieser alten Bücher so sorgfältig ge-
setzt sind, wie das der anspruchsvolle Kenner der Gegen-
wart verlangt. Rauhes Papier und nicht selten mangelhafter
Druck täuschen aber über diese Mängel hinweg. Guter Satz
ist enger Satz, weiter Satz ist schlecht leserlich, weil die
Löcher den Zusammenhang der Zeile und damit die Erfaß-
barkeit des Gedankens gefährden. Gleichmäßiger Zeilen-
ausschluß ist im heutigen Maschinensatz kein Kunststück
mehr. Wie richtig der Setzer mit Schrift und Ausschluß
früher umzugehen wußte, lehrt jedes einzelne Buch vor
. Den Begriff der ‹Liebhaberausgabe›, des gepflegten
Buches, kannte man damals noch kaum; die Qualität ist im
großen und ganzen von gleichmäßiger Höhe. So leicht es
heute ist, ein häßliches Buch zu finden (man braucht nur
das erstbeste zu nehmen), so schwer ist es, ein wirklich häß-
liches altes Buch aus der Zeit vor zu entdecken.
In der krankhaften Sucht nach anderem sind heute die
von der Vernunft gebotenen Proportionen der Papiergröße,
wie so viele andere Werte, von manchen geächtet worden,
zum empfindbaren Nachteil des einzelnen wehrlosen Le-
sers. Einst waren Abweichungen von den wahrhaft schönen
und daher angenehmen Seitenproportionen : , : √ und
des Goldenen Schnittes selten: zahlreiche Bücher aus der
Zeit zwischen und zeigen eins dieser Verhältnisse
bis auf halbe Millimeter genau.
Um dies zu erfahren, muß man alte Bücher gründlich exa-
minieren. Das tut aber leider, leider so gut wie niemand.
Der Gewinn aus solchem Studium ist unermeßlich. Eine bis
ins einzelne gehende Betrachtung alter Bücher und ihre
Unterstützung durch sowohl permanente wie wechselnde
Ausstellungen alter Bücherschätze sind darum höchst dring-
liche Aufgaben aller Lehranstalten der Typographie und
der alten Bibliotheken. Man darf sich dabei nicht mit der
neugierig-oberflächlichen Betrachtung besonders schöner
Seitenpaare oder gar nur der Titel begnügen, sondern muß
solche Bücher in die Hand nehmen, ihren Zusammenhang
und ihre typographische Gliederung Seite für Seite studie-
ren. Dazu können schon inhaltlich belanglose, das heißt
nicht weiter wertvolle, alte Bücher durchaus dienlich sein.
Wir sind zwar mit Augen geboren, aber nur langsam öffnen
sie sich der Schönheit, viel langsamer, als man so denkt. Es
ist auch gar nicht leicht, einen Kundigen zu finden, der
einem hilft. Gar oft fehlt es an der Aligemeinbildung, schon
beim Lehrer.
Um empörte es einen Kunstlehrer, daß der Typo-
graph in der ganzen Schriftgeschichte der letzten zweitau-
send Jahre Bescheid wissen müsse. Damals waren die An-
sprüche übrigens weit mäßiger als heute. Schlügen wir je-
doch solche Forderung in den Wind, so fielen wir in die Bar-
barei. Wer nicht mehr versteht, was er macht, ist ein tönen-
des Erz und eine klingende Schelle.
Unter den alten Büchern findet man auch die unvernünf-
tigen Formate nicht, die man uns heute so oft als Werke der
Buchkunst vorsetzt. Große Formate kommen zwar vor,
aber stets mit gutem Grund – nicht aus Eitelkeit oder Geld-
macherei geboren, sondern aus irgendeiner plausiblen Not-
wendigkeit. Bibliophile Riesenschmöker, ähnlich den Pracht-
greueln der Gegenwart, als Lektüre ungeeignet, wurden
zwar für Könige gelegentlich gemacht, sind aber seltenste
Ausnahmen. Die vernünftige Größe der alten Bücher ist
nachahmenswert.
Die eindringliche Betrachtung von Büchern aus den Zeiten
der Renaissance, der eigentlichen Glanzzeit des Buchdrucks,
und des Barocks belehrt uns am besten über den vernunft-
gemäßen Aufbau eines Buches. Ein solches Buch ist oft
leichter zu lesen als so mancher Prospekt der Gegenwart.
Wir sehen einen wundervoll ebenen Satz, deutlich in die da-
mals selteneren Absätze gegliedert, die jedesmal mit einem
Gevierteinzug eröffnet werden. Diese Kennzeichnungsart
der Zäsuren, ursprünglich eine Zufallsentdeckung, ist die
einzige gute Methode. Sie ist Jahrhunderte hindurch bis auf
den heutigen Tag benützt worden. Jetzt glauben gar man-
che, sie sei unmodern, und fangen die Absätze stumpf an.
Das ist einfach falsch, weil es die so nötige Gliederung, die
am linken Rande des Satzes erkennbar sein muß, zerstört.
Der Gevierteinzug ist eins der kostbarsten Erbteile der
typographischen Geschichte.
Wir sehen ferner die Kennzeichnung der Kapitelanfänge
durch Initialen. Gewiß sind diese auch Ornament, in erster
Linie aber unverfehlbare Hinweise auf wichtige Anfänge. Sie
stehen heute fast in Verruf, sollten aber mindestens in Form
ungeschmückter großer Lettern wieder aufgenommen wer-
den. Ein Verzicht auf Initialen enthebt uns nicht der Not-
wendigkeit, den Kapitelanfang einigermaßen deutlich zu
machen, etwa durch den Satz allein des ersten Wortes aus
einem Versal und Kapitälchen, am besten ohne den Einzug,
der unter einer zentrierten Überschrift sinnlos ist. Es genügt
nicht, Hauptgruppen innerhalb eines Kapitels durch eine
Blindzeile zu kennzeichnen: wie leicht ist die letzte Zeile
eines Hauptabschnittes die letzte einer Seite! Darum muß
auch hier wieder mindestens die erste Zeile des neuen
Hauptabschnittes stumpf angefangen und das erste Wort
auch hier wieder aus einem Versal und Kapitälchen gesetzt
werden. Noch besser ist die Einfügung etwa eines Sternes in
der Mitte über diesem Anfang.
Die Renaissance kannte nicht die Furcht vor großgradi-
gen Überschriften, die heute so weit verbreitet ist. Diese
sind oft nicht aus Versalien, sondern aus Gemeinen gesetzt:
eine nachahmenswerte Satzweise. Aus Angst, etwas falsch
zu machen, ist man heute oft zu zaghaft in der Gradbestim-
mung der Hauptzeilen eines Titels. Allerdings sind unsere
meistens kleinen Verlagssignete nicht imstande, ein Gleich-
gewicht herzustellen, wenn die obersten Zeilen sehr groß
sein möchten.
Im einzelnen belehrt uns das Buch der Renaissance über
den sinnvollen Gebrauch der Kursiv, sei es als Auszeich-
nung im Text oder als Schrift des Vorwortes, über den rich-
tigen Gebrauch und die Satzweise der Kapitälchen, den
sinnvollen Einzug von Fortsetzungszeilen in Inhaltsver-
zeichnissen und unendlich viel mehr.
Schließlich ist der überzeugende Stand der Satzspiegel auf
der Buchseite zu nennen, der durchaus nicht veraltet und
ohnehin unbesserbar ist, die wohlüberlegte Handlichkeit
des fertigen Buches, der Einklang der Druckfarbe mit dem
natürlichen, also nicht blendendweißen Papier zu rühmen.
Die alte zentrierte Satzordnung ist zwar dem Ordnungs-
willen der Renaissance verwandt, aber zeitlos gültig. Da
wir in ihr nach zentrierten Überschriften erster und zweiter
Ordnung Überschriften letzter Ordnung nach links rücken
können, ist sie deutlicher, reicher und brauchbarer als eine
Ordnung, die jede Zentrierung verwirft und ihre Über-
schriften oft nur mittels halbfetter Schrift wahrnehmbar
machen kann.
Die Typographie des alten Buches ist ein kostbares Erbe,
wohl wert, von uns weiter benutzt zu werden. Es wäre ver-
wegen und sinnlos, die Form des europäischen Buches we-
sentlich ändern zu wollen. Kann, was sich Jahrhunderte hin-
durch als brauchbar und richtig erwiesen hat – denken wir
nur an den Gevierteinzug, durch eine sogenannte ‹experi-
mentelle Typographie› verdrängt werden? Nur unbestreit-
bare Besserungen hätten einen Sinn. Eigentliche, wirkliche
Experimente dienen der Ausforschung, sind Mittel der
Wahrheitsfindung und Beweisführung, sind selber aber nie-
mals Kunst. Unendliche Energien werden vertan, weil jeder
meint, auf eigene Faust von vorne anfangen zu müssen, statt
daß er erst einmal gründlich lernt. Wer kein Schüler sein
will, wird schwerlich Meisterschaft erreichen. Achtung der
Tradition ist keineswegs Historismus. Aller Historismus
ist tot. Doch die besten Schriftschnitte der Vergangenheit
leben fort. Zwei oder drei von ihnen warten auf ihre Wieder-
entdeckung.
Typographie ist Kunst und Wissenschaft zugleich. Ein
Teil wissen, das sich auf Schüler von Schülern, quasi auf Ab-
schriften fehlerhafter Spätausgaben, gründet statt auf das
unmittelbare Studium der Quellen, kann nichts Gültiges
hervorbringen. Wohl ist Typographie aufs engste mit der
Technik verknüpft, aber aus Technik allein entsteht nie-
mals Kunst.
Die Tradition, die ich hier meine, steht nicht auf dem
Werk der vorigen Generation, wenngleich sie sich oft mit
diesem deckt. Wir müssen die große Tradition des Renais-
sance- und Barockbuches an der Quelle studieren und mit
neuem Leben erfüllen. Methodische Untersuchungen feh-
lerhafter Bücher sollten allein an solchem Maßstab orien-
tiert sein. Experimente, die Andersartiges zum Ziel haben,
mögen fesselnd oder unterhaltsam sein, mindestens für den
Experimentator selbst. Aber dauerhafte Tradition erwächst
nicht aus ihnen, sondern nur aus dem Erbe wahrer Meister-
schaft.
Ars typographica Lipsiensis vivat et floreat!
Symmetrische oder
asymmetrische Typographie?
drucksvoll und zuweilen eigentliche Ursache der Schönheit.
Ein Kiesel erfreut uns eher als eine Kugel. Ausdruck und Le-
ben heißt Bewegung. Unbewegte Symmetrie ist spannung-
los und läßt uns kalt.
Ein sehr reicher Barockrahmen oder ein sonstiger symme-
trisch aufgebauter ornamentaler Rahmen, der uns schön er-
scheint, ist es vielleicht nur darum, weil die Bewegung des
Ornaments die allgemeine Statik stört.
In der Tat ist die Störung der perfekten Symmetrie ein Er-
fordernis der Schönheit. Was nicht ganz symmetrisch ist, ist
erheblich schöner als die untadelige Symmetrie. Die Kunst
zeigt den nackten Menschen niemals in Achtungstellung,
sondern stets in einer unsymmetrischen Haltung: diese Stö-
rung der Symmetrie ist notwendig.
So ist auch der scheinsymmetrische Buchtitel schön und
voller Ausdruck dank dem unterbewußt wahrgenommenen
Widerspiel der durchaus unsymmetrischen Wortbilder und
Zeilen und dem Streben, diese Elemente in einer festgefüg-
ten, ‹symmetrischen› Ordnung zu binden: Ordnung in der
Freiheit. Umgekehrt ist der Auftritt symmetrischer, stati-
scher Buchstaben, wie A H M T V, im Text dynamisch an-
geordneter Typographie ein angenehm retardierendes Mo-
ment.
Selbst ein Wechsel scheinsymmetrischer und dynamischer
Ordnung kann zuweilen, etwa in Zeitschriften, erfreulich
sein; doch gehört dazu eine meisterhafte Sicherheit, wie
überhaupt keinerlei Rezept zur Kunst führt. Neueste Bei-
spiele aus der Akzidenztypographie zeigen, daß man die
ihrem Wesen nach natürliche zentrierte Typographie auch
strapazieren und ihr eine eitle Haltung verleihen kann, die
der Aufgabe fremd ist und das Ergebnis zur Modeerschei-
nung werden läßt.
Das Richtige wird in der Typographie, die nur ein Die-
ner, kein Herr ist, durch die Zweckmäßigkeit definiert: da-
her ist es durchaus nicht unfolgerichtig, sondern öfter ange-
zeigt, ein Buch zwar mit einem zentrierten Titel zu eröffnen
und auch die Kapitelüberschriften in die Mitte zu stellen,
aber Unterabteilungen mit nach links gerückten Über-
schriften zu beginnen.
Also gibt es, wie wir sehen, überhaupt keinen Gegensatz
zwischen scheinsymmetrischer und nicht zentrierter Typo-
graphie, sondern nur vielstufige Bestrebungen zu vorwie-
gend zentrierter oder vorwiegend dynamischer Anordnung,
die in allen ihren Abarten, je nach dem Zweck der Arbeit,
richtig oder ungeeignet sein können. Hoffen wir, daß das
jeweilige Ergebnis in seiner Art auch schön sei.
Willkürfreie Maßverhältnisse
der Buchseite und des Satzspiegels
kaum noch Pult zu nennen wagen, so steil war es (zuweilen
bis fünfundsechzig Grad). Das Pergament war mit einem
quergespannten Band festgehalten und wurde nach und
nach aufwärts geschoben. Die Schreiblinie, stets waage-
recht, war in Augenhöhe, und der Schreiber saß nahezu auf-
recht vor dem Pergament. Noch um die Jahrhundertwende
schrieben Pfarrer und Beamte stehend an einem Pültchen:
eine gesunde, vernünftige Schreib- und Lesehaltung, die
leider ganz selten geworden ist.
Die Lesehaltung hat jedoch mit der Größe und Ausdeh-
nung der Studierbücher nichts zu tun. Ihre Formate reichen
von Großoktav bis Großquart; größere Formate sind Aus-
nahmen. Studier- oder Tischbücher liegen auf dem Tisch
und können nicht in der freien Hand gelesen werden.
Bücher, die man gerne freihändig läse, zeigen alle Abarten
des Oktavformats. Vollkommen wären die seltenen noch
kleineren Bücher, falls sie schlank sind: sie können ohne
Mühe stundenlang in der freien Hand gehalten werden.
Aus einem aufgestellten Buche wird nur beim Gottes-
dienst vorgelesen: die Augen des Vorlesers mögen um Ar-
meslänge von den Buchstaben des Textes entfernt sein. Eine
gewöhnliche Buchseite ist bloß eine Ellenlänge vom Auge
des Lesers entfernt. Nur von profanen Büchern ist hier die
Rede: nicht alle der folgenden Erwägungen und Regeln
gelten auch für sakrale Bücher.
Es gibt viele Proportionen der Seiten große, das heißt des
Längenverhältnisses von Breite und Höhe. Jedermann kennt
zumindest vom Hörensagen das Verhältnis des Goldenen
Schnittes: genau : ,. Die Proportion : ist nichts an-
deres als eine Annäherung an den Goldenen Schnitt. Es fällt
Figur . Rechteck aus dem Fünfeck.
Verhältnis : , (irrational).
Figur . Quartformat mit seiner Faserlaufrichtung.
Figur . Oktavformat braucht die andere Faserlaufrichtung.
dies fallen beide Hälften des Buches stets zurück: das Buch
ist viel zu breit. Dies gilt auch von den leider nicht seltenen
Büchern im Format A (, mal Zentimeter, : √ ).
Ein kleines oder Freihandbuch muß schlank sein, weil wir es
sonst nicht regieren können. Die Proportion : ist hier un-
geeignet; gut ist eine der Proportionen : , (sehr
schlank), : und : ,, : .
Kleine Bücher müssen also schlank, große dürfen breit
sein; die kleinen hält man in der freien Hand, die großen
liegen auf dem Tisch. Die alten Bogenformate, alle ungefähr
von der Proportion : , ergeben gefalzt im Wechsel die Pro-
portionen : und : ; das Viertel ist Quart oder : , das
Achtel Oktav oder : . Die beiden Hauptproportionen :
(Oktav) und : (Quart) bilden ein sinnvolles Paar wie
Mann und Weib. Der Versuch, sie durch die Zwitterpro-
portion : √ der sogenannten Normalformate zu verdrän-
gen, ist ebenso widernatürlich wie es der Wunsch wäre, die
Polarität der Geschlechter aufzuheben.
Die neuen Rohbogenformate vermeiden diesen Wechsel
: – : – : – : und behalten halbiert die ursprüng-
liche Proportion. Diese Proportion heißt : ,. Bogen
aber, die sich ihrer Laufrichtung nach für Quart eignen, darf
ich nicht für Oktavbücher verwenden, da das Papier dann
verkehrt liefe, und für Sedezbücher kann ich sie nicht ver-
wenden, da das Papier für diese zu dick wäre. Wir kämen
daher auch ohne Bogenformate der Proportion : , zu-
recht. Vergleiche die Figuren und .
Das Format A ( mal , Zentimeter) eignet sich
zwar gut für den zweispaltigen Satz von Zeitschriften, auch
mag A für zweispaltigen Satz passen; einspaltiger Satz be-
friedigt auf beiden Formaten jedoch nur selten, und A ist
dazu, in der Hand gehalten, unangenehm, weil es zu breit,
unhandlich, unelegant ist. Schon einmal, im hohen Mittel-
alter, zu einer Zeit, da besonders viele Bücher zweispaltig
geschrieben waren, sind Buchformate mit der Proportion
: , üblich gewesen. Gutenberg zog jedoch die Seiten-
proportion : vor. In der Zeit der Renaissance begegnet
die Buchproportion : , nur selten. Dagegen trifft man
zahlreiche deutlich schlanke Kleinfoliobücher von großer
Eleganz an, die uns zum Vorbild dienen sollten.
Außer dem vierspaltigen Codex Sinaiticus des Britischen
Museums, einem der ältesten Bücher der Welt, hat es nur
wenige quadratische Bücher gegeben. Es bedarf ihrer nicht.
Als Studierbücher sind sie unnötig niedrig und von stören-
der Breite, als Freihandbücher so unhandlich und unelegant
wie kein einziges anderes Format. Erst in der behäbigen
Zeit, die den Verfall der Typographie und der Buchkunst
einleitet, unserem Biedermeier, waren nahezu quadratische
Quart- und sehr breite Oktavformate nicht selten.
Wie häßlich die Bücher im neunzehnten Jahrhundert ge-
worden waren, zeigte sich um die Jahrhundertwende. Der
Satzspiegel wurde genau in die Mitte des Papiers gestellt,
alle vier Ränder waren gleich breit. Das Seitenpaar verlor
seinen Zusammenhang und fiel darum auseinander. Man
begann sich darüber Gedanken zu machen, sah mit Recht
ein Problem im Verhältnis der vier Ränder zueinander und
versuchte, dieses in Zahlenwerten zu formulieren.
Diese Bemühungen aber haben eine verkehrte Richtung
eingeschlagen. Nur unter gewissen Voraussetzungen kön-
nen die Ränder rationale (das heißt, in einfachen Zahlen
ausdrückbare) Progressionen (innerer Rand zum oberen,
vorderen und unteren) wie zum Beispiel : : : bilden.
Die Ränderprogression : : : ist nur möglich, wenn das
Papierformat die Proportion : hat und das Satzformat
ihr folgt. Hat das Papier aber eine andere Proportion, etwa
: √, dann ergibt eine Stellung mit Rändern im Verhältnis
: : : einen Satzspiegel von einer Proportion, die von je-
ner der Seitengröße unterschieden und daher unharmonisch
ist. Das Geheimnis der schönen Buchseite steckt also nicht
notwendig in einem in einfachen Zahlen ausdrückbaren
Verhältnis der Randbreiten.
Harmonie zwischen Seiten große und Satzspiegel entsteht
durch Proportionsgleichheit beider. Gelingt es, Stellung
des Satzspiegels und Seitenformat unauflösbar miteinander
zu verknüpfen, dann werden die Ränderverhältnisse zu
Funktionen des Seitenformats und der Konstruktion und
von beiden unabtrennbar. Die Ränderverhältnisse regieren
also nicht die Buchseite, sondern ergeben sich erst aus dem
Seitenformat und dem Formgesetz, dem Kanon. Wie aber
sieht dieser Kanon aus?
Vor der Erfindung des Buchdrucks sind die Bücher mit
der Hand geschrieben worden. Gutenberg und den Früh-
druckern diente das geschriebene Buch als Vorbild. Die
Buchdrucker übernahmen die Gesetze der Buchform, denen
die Schreiber seit langem gefolgt waren. Daß es Richtschnu-
ren gab, ist gewiß; zeigen doch zahlreiche mittelalterliche
Handschriften große Übereinstimmungen in den Propor-
tionen ihrer Formate und der Stellung der Schriftflächen.
Diese Gesetze sind uns jedoch nicht überliefert. Sie waren
Werkstattgeheimnisse. Nur durch Nachmessen mittelalter-
Figur . Ideales Proportionsgerüst einer mittelalterlichen Hand-
schrift mit ungehaltenen Schriftflächen. Ermittelt von Jan Tschi-
chold, . Blattproportion : . Ränderverhältnisse : : : .
Schriftflächenproportion im Goldenen Schnitt! Nur die äußere
untere Ecke der Schriftfläche wird von einer Diagonalen mit-
bestimmt.
Figur . Der geheime Kanon, der vielen spätmittelalterlichen Hand-
schriften und Inkunabeln zugrunde liegt. Ermittelt von Jan
Tschichold, , Blattproportion : . Schrift- und Blattfläche
proportions gleich. Höhe der Schriftfläche gleich der Blattbreite.
Randverhältnisse : : : .
Figur . Neunteilung von Höhe und Breite des Papiers im Sinne von
Rosarivos Konstruktion, die, wie Figur , die Blattproportion
: voraussetzt. Das Ergebnis deckt sich mit Figur ; nur die
Methode ist eine andere. Als Kanon Gutenbergs und Peter Schöf-
fers nachgewiesen.
Figur . Neunteilung nach van de Graaf, vor geführt auf der Blatt-
proportion : . Der einfachste Weg zum Kanon der Figur . Geo-
metrie statt Millimeterrechnung.
Figur . Die Villardsche Figur. In unserem Diagramm der Seiten-
konstruktion steckt auch eine Abwandlung der Villardschen
Figur. So wird der harmonikale Teilungskanon des Villard de
Honnecourt genannt. Villard war ein piccardischer Architekt
der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts. Sein Bauhütten-
buch, eine Handschrift, wird in der Pariser Nationalbibliothek
aufbewahrt. Mit Hilfe dieses Kanons, den die verstärkten Linien
zeigen, kann ohne jeden Maßstab eine Strecke in beliebig
viele gleiche Teile geteilt werden.
jedoch die der Figur einbeschriebene Villardsche Figur.
Dieser noch wenig bekannte, wahrhaft erregende gotische
Kanon bewirkt harmonikale Teilungen und kann in jedem
beliebigen Rechteck errichtet werden. Mit ihm kann man
ohne jeden Maßstab eine Strecke genau in beliebig viele
gleiche Teile teilen. In Figur ist er noch einmal für sich
allein dargestellt.
Raúl Rosarivos Untersuchungen haben die Gültigkeit
des von mir ermittelten spätmittelalterlichen Schreiber-
kanons (Figur ) für die ersten Drucker nachgewiesen und
damit seine Richtigkeit und Bedeutung erhärtet. Dennoch
dürfen wir nicht glauben, daß die diesem Schreiberkanon
zugehörige Formatproportion : allen Bedürfnissen ent-
spräche. Das späte Mittelalter forderte von einem Buche
weder besondere Handlichkeit noch gar Eleganz. Erst in der
Zeit der Renaissance begann man, zierliche und leichte,
handgerechte Bücher zu machen. Nach und nach kamen
kleinformatige Bücher in den noch heute üblichen Propor-
tionen : , : , : √ und das Quartformat : auf. So
schön die Proportion : auch ist, kann sie durchaus nicht
für alle Bücher dienen. Gebrauchszweck und Charakter
eines Buches fordern oft eine andere gute Proportion.
Doch läßt sich der Kanon der Figur auch auf diese an-
dern Formatproportionen anwenden. Er führt auf jedem
Buchformat zu einer willkürfreien, unbedingt harmonischen
Stellung des Satzspiegels. Sogar dessen verhältnismäßige
Größe läßt sich ändern, ohne daß die Harmonie der Buch-
seite zerstört wird. Wir betrachten zunächst die Buchfor-
mate des Goldenen Schnittes, der Proportionen : √, : √
und Quart ( : ), und benützen dabei die in Figur ent-
Figur . Der Villardsche Teilungskanon, einem Rechteck : ein-
beschrieben. Die lange Seite bis zu einem Zwölftel geteilt.
Figur . Seitenproportion : √ ( : ,).
Neunteilung der Papierhöhe und -breite.
Figur . Seitenproportion des Goldenen Schnittes ( : ).
Neunteilung der Papierhöhe und -breite.
(Für die Seitenproportion : siehe die Figuren bis .)
Figur . Seitenproportion : √ (sogenanntes Normalformat).
Neunteilung der Papierhöhe und -breite.
Figur . Seitenproportion : (Quart).
Neunteilung der Papierhöhe und -breite.
Auch hier muß der Satz die Proportion des Blattes wiederholen.
Figur . Seitenproportion : .
Neunteilung der Papierhöhe und -breite.
Figur . Seitenproportion : .
Neunteilung der Papierhöhe und -breite.
Figur . Seitenproportion : . Zwölfteilung der Papierhöhe und
-breite mittels des Villardschen Teilungskanons, wie ihn Figur
zeigt. Diese geometrische Zwölfteilung ist einfacher und besser
als eine Millimeterrechnung.
Figur . Seitenproportion : . Sechsteilung der Seitenhöhe und
-breite. Beides angewendet in einem von Marcus Vincentinus
(Marcus de Cribellariis) geschriebenen kleinen Gebetbuch aus
dem späten fünfzehnten Jahrhundert.
sichtbare Papier; die Deckelgröße, die vom Buchblock be-
stimmt wird, gilt nicht.
Die Wahl des Schriftgrades und des Durchschusses trägt
noch erheblich zur Schönheit des Buches bei. Die Zeilen
sollten acht bis zwölf Wörter enthalten; was darüber ist, ist
vom Übel. Die breiten Ränder der Neunteilung erlauben
etwas größere Grade als die Zwölfteilung. Zeilen mit mehr
als zwölf Wörtern verlangen einen stärkeren Durchschuß.
Undurchschossener Satz ist eine Marter für den Leser.
Es ist auch nicht unnütz, auf die Beziehung zwischen
Weite der Schrift und Seitenproportion hinzuweisen. Ein
quadratisches Buchformat, das nicht gerade zu den besten
gehört, fordert eine breitlaufende Schrift, damit sich die
Umrisse der Buchstaben o und n etwa dem Format einiger-
maßen anschließen. Schmallaufende Schriften wären durch-
aus ungeeignet. Auf den üblichen Hochformaten aber sind
Schriften von üblicher Weite richtig, denn ihre o und n
haben einen Umriß, der dem der Buchseite proportional
sehr nahekommt.
Die Seitenzahl gehört nicht zum Umriß des Satzspiegels,
sondern steht außerhalb. Ich selber verwende in der Regel
zentrierte Ziffern am Fuße des Satzspiegels. Sie bilden mei-
stens die beste und sind auch die bei weitem einfachste
Form. Nur ausnahmsweise stehen meine Seitenzahlen unten
außen; ich ziehe sie dann in der Regel mit einem Geviert
ein, weil sonst ein Einzug der letzten Textzeile stört.
Die mittelalterlichen Handschriften zeigen kleine Blatt-
zahlen in der äußersten obern Ecke des Pergaments.
Ein zentrierter lebender Kolumnentitel ohne Trennlinie
rechnet besser nicht zum Satzspiegel, zumal wenn die Sei-
: , ( : √ ) : :
: ( : √ ) : , ( : ) : , ( : √ )
: (Goldener Schnitt) :
: , ( : √ ) : , (Figur )
tenzahl am Fuße steht. Steht aber zwischen dem lebenden
Kolumnentitel und dem Text eine Trennlinie, so gehört
beides zum Satzspiegel.
Als die Typographie gegen Ende des neunzehnten Jahr-
hunderts hoffnungslos darniederlag, hatte man naiv alle
möglichen Stilarten, doch nur in ihren augenfälligen Äußer-
lichkeiten, Initialen und Vignetten, kopiert. An die Bedeu-
tung der Seitenproportionen dachte niemand. Maler ver-
suchten dann, die heruntergekommene Typographie von
erstarrten Regeln zu lösen, und wehrten sich gegen alles,
das die neu verkündete künstlerische Freiheit antastete. Sie
hielten daher auch nur wenig oder nichts von exakten Pro-
portionen. Die Erwähnung des Goldenen Schnittes war
ihnen ein Greuel. Dieser war allerdings eine Zeitlang von
Leuten mißbraucht worden, die in ihm ein allgemeines
Kunstrezept entdeckt zu haben glaubten und schlechthin
alles nach dem Goldenen Schnitt teilen oder formen wollten.
Darum benützte niemand vorsätzlich Buchformate von ge-
nauer rationaler oder irrationaler Proportion, noch beküm-
merte man sich gar um eine willkürfreie Gestalt der Satz-
spiegel. Wenn dennoch dann und wann ein schönes Buch
entstand, so hatte es einer gemacht, der sich musterhafte
Drucke der Vergangenheit öfter angesehen und ihnen einige
Maßstäbe entnommen hatte, darunter auch ein Gefühl für
gute Proportionen der Seitengröße und der Stellung des
Satzspiegels. Dieses unbestimmbare ‹Gefühl› bildet aber
keinen verläßlichen Maßstab und ist nicht lehrbar. Weiter-
führen kann allein ein unermüdliches wissenschaftliches
Lernen aus vollkommenen Werken der Vergangenheit. Wie
wir dem allerpeinlichsten Studium alter Schriftschnitte die
wichtigsten Druckschriften der Gegenwart verdanken, so
wird auch die Forschung nach den Geheimnissen der alten
Buchformate und Satzspiegel uns wahrer Buchkunst ein
gutes Stück näherbringen.
In der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts hielt man die
Menge der vorhandenen Rohbogenformate für zu groß und
wünschte sie zu begrenzen. Die durchschnittliche Seiten-
proportion der alten Bogenformate, : , die ein Quartfor-
mat : und ein Oktavformat : ergab, war durchaus sinn-
voll. In der proportionalen Verschiedenartigkeit des Quart-
und des Oktavformats glaubten einige einen Nachteil zu
erkennen: so entstand das heutige sogenannte Normalfor-
mat mit der Proportion : √, das halbiert sie beibehält. Es
rächte sich, daß man der Seitenproportion vorher keine
Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Nur darum konnte das
Kind mit dem Bade ausgeschüttet und die große Zahl der
alten Formate zugunsten nahezu eines einzigen beseitigt
werden. Viele Leute glauben, diese enge Normung der Pa-
pierformate sei die Lösung aller Formatfragen. Dies ist ein
Irrtum. Die Auswahl der genormten Formate ist viel zu
klein, und die Zwitterproportion : √ ist nur eine und ge-
wiß nicht immer die beste Proportion.
Figur bietet eine Übersicht über alle in diesem Traktat
erwähnten Rechteckproportionen und dazu noch die sel-
tene Proportion : √. A , D , F, G , I sind irrationale, B , C , E ,
H , K sind rationale Verhältnisse.
Jeder, der Bücher oder andere Drucksachen macht, muß
zuerst nach der passenden Papiergröße in der jeweils geeig-
neten einwandfreien Proportion suchen. Selbst die schönste
Schrift hilft nichts, wenn bereits das Format, etwa A , an
sich mißfällt. Ebenso zerstört ein unharmonischer Satzspie-
gel in ungeschickter Stellung jede mögliche Schönheit.
Zahllose Satzspiegel, sogar in schlanken Formaten, sind
zu hoch. Dissonante oder unharmonische Buchseiten müs-
sen entstehen, wenn das uns eingeborene Bedürfnis nach
einem Satzspiegel in der genauen oder angenäherten Pro-
portion des Goldenen Schnittes in Widerstreit gerät mit
einem Seitenformat der Proportionen : √ oder : . Wenn
ein harmonisches Seitenbild entstehen soll, so muß man ent-
weder das Seitenformat ändern oder dem Satzspiegel die
Proportion des Seitenformats erteilen.
Über gute Papierproportionen wird niemand rechten, so-
lange nicht nur eine allein für richtig erklärt wird. Der rich-
tige Satzspiegel, die andere Bedingung eines schönen Bu-
ches, ist bisher nur sehr selten und noch seltener methodisch
erforscht worden. Auch er war im neunzehnten Jahrhundert
so vernachlässigt worden, daß fast jede Änderung erlaubt
schien. Die Geschichte des Satzspiegels in neuerer Zeit zeigt
immer neue Versuche, Altes, nicht Befriedigendes, durch
Ungewohntes zu verdrängen.
All jenen Versuchen gemeinsam ist Willkür. Man hatte
längst das Gesetz verloren, und mit dem ‹Gefühl› konnte
man ihm nicht auf die Spur kommen. Erst meinem Nach-
messen zahlreicher mittelalterlicher Handschriften gelang
es. Der hier verkündete Kanon ist frei von aller Willkür und
macht mühseligem Tasten ein Ende. Er erzeugt in allen
seinen Abwandlungen Buchformen, deren Seitenformat und
Satzspiegel sich unfehlbar miteinander vertragen, das heißt,
untereinander im Einklang sind.
LITERATUR · CHRONOLOGISCH
JAN TSCHICHOLD : Die Maß Verhältnisse der Buchseite, des
Schriftfeldes und der Ränder. In: Schweizer Graphische Mit-
teilungen, , –. St. Gallen, August . – Früher
Versuch des Verfassers. Enthält mehr Feststellungen als
Theorien. Viele Illustrationen.
J OH . A. VAN DE G RAAF : Nieuwe berekening voor de vorm-
geving. In: Tété, , –. Amsterdam, November
. – Zeigte die einfachste Art der Neunteilung von
Breite und Höhe des Papiers.
H ANS K AYSER : Ein harmonikaler Teilungskanon. Zürich: Oc-
cident-Verlag, . – Geistvoll und tief wie alle Bücher
dieses Mannes. Enthält den Hinweis auf den im Bau-
hüttenbuch Villards de Honnecourt versteckten Tei-
lungskanon.
JAN TSCHICHOLD : Die Proportionen des Buches. In: Der
Druckspiegel, , –, –, –. Stuttgart, Januar,
Februar, März . – Geschrieben . Erste Publika-
tion des Verfassers mit dem von ihm ermittelten spät-
mittelalterlichen Schreiberkanon. Zahlreiche Diagramme
und Abbildungen. Zum Teil durch die vorliegende Ab-
handlungen überholt.
JAN TSCHICHOLD : Bokens Proportioner. (Buchform des vori-
gen Aufsatzes in schwedischer Sprache.) Göteborg: We-
zäta, . – Schön gedruckte Ausgabe, zweifarbiger
Druck. Eins der Schönsten schwedischen Bücher des
Jahres.
JAN TSCHICHOLD : De proporties van het boek. (Dasselbe, hol-
ländisch.) Amsterdam: Intergrafia, .
WOLFGANG VON WERSIN : Das Buch vom Rechteck. Ravens-
burg: Otto Maier, . – Interpretation der Eigenschaf-
ten der wichtigeren Rechtecke und ihrer Rolle vornehm-
lich in der Baukunst. Handelt nicht vom Buche.
R AÚL M. ROSARIVO : Divina proportio typographica. Krefeld:
Scherpe, . – Schön gemachtes Buch mit musterhaften
Figuren. Stützt Tschicholds Fund des spätmittelalter-
lichen Schreiberkanons, Figur . Geht fehl in der erkenn-
baren Meinung, die Buchseite der Proportion : und
diese Proportion überhaupt sei das allein Vollkommene.
Ein Verlagssignet von Jan Tschichold.
Das traditionelle Titelblatt,
typographisch
‹Der Isenheimer Altar | des Matthias Grünewald›. An-
fechtbar ist auch der Wortlaut ‹Eduard Mörike | Sämtliche
Werke›. Richtig wäre ‹Mörikes | sämtliche Werke›; ganz
unerträglich aber, nämlich schlechtes Deutsch, ‹Sämtliche
Werke von Eduard Mörike›. Anders der echte Titel ‹Eduard
Mörike | Maler Nolten› oder ‹Maler Nolten | Von Eduard
Mörike›. Es gilt also zwischen freien Verlagsformulierun-
gen und originalen Verfassertiteln genau zu unterscheiden.
Ein falsch oder ungeschickt formulierter Titel behindert
die Bildung eines guten Titelblattes ungemein.
Hat man kein genau stimmendes Probeseitenpaar vor
Augen, so kann man den Titel weder richtig entwickeln
noch die Qualität seiner Form beurteilen.
Nur von der Buchseite her kann ein gesunder Titel ent-
wickelt werden. Auch für ihn gelten daher die Rand Verhält-
nisse der Buchseite und die Stellung des Satzspiegels (Ab-
bildung ): der Titel darf nicht, wie das leider so häufig ge-
schieht, in die Mitte der Papierbreite gestellt werden (Abbil-
dung ). Damit tritt er aus seinem Zusammenhang mit
dem Buchganzen. Seine Zeilen dürfen den Satzspiegel nir-
gends überschreiten. Es ist sogar fast immer besser, wenn
die Hauptzeile merkbar schmäler ist als die volle Satzbreite.
Viele Titel füllen auch nicht die ganze Höhe; dies ist beson-
ders dann angezeigt, wenn das Buch sehr schmale Ränder
hat.
Selbst ein kurzer Titel muß die Buchseite ‹füllen›. Das
bedeutet, daß er eine gehörige Ausdehnung haben muß.
Man scheint sich jedoch oft vor größeren Graden zu fürch-
ten. Die Hauptzeile sollte wenigstens zwei Grade größer
sein als die Grundschrift des Buches. Enge Regeln lassen
sich dafür aber nicht aufstellen, da der Titelsatz eine Auf-
gabe ist, in der das ausgebildete Formgefühl entscheiden
muß. Selbst kurze Titel aus verhältnismäßig kleinen Gra-
den können das Blatt ‹füllen›, wenn sie geschickt angeord-
net werden. Vielleicht läßt sich eine lange Hauptzeile bre-
chen. Dann entstehen zwei kürzere Zeilen, und die wichtige
obere Gruppe erhält einen flächigen Umriß statt eines strich-
förmigen. Der große weiße Raum zwischen der Haupt- und
der Verlagsgruppe darf nicht zufällig und ‹leer› erscheinen.
Die Spannung des weißen Raumes muß an der Wirkung des
Ganzen teilnehmen. Ein gutes Verlagssignet ist dort nütz-
lich, doch keineswegs unbedingt erforderlich. Ein solches
muß sich indes der Typographie graphisch anschmiegen
und darf darum keine dickeren Striche als die dicksten des
größten auf dem Titel verwendeten Grades und keine dün-
neren als die feinsten Striche des kleinsten vorkommenden
Grades zeigen. Schwarze Verlagssignete mit Negativbuch-
staben bilden innerhalb eines Titelgefüges häßliche Fremd-
körper (Abbildung ). Sie sind nicht nur der Buchtypogra-
phie fremd, sondern gefährden auch die Rückseite der Blät-
ter, da sie meistens durchscheinen. Das Verlagssignet muß
leicht sein und dem Grau der Zeilen entsprechen. Ein gutes
Signet ist ein Kunstwerk. Eigentlich klein braucht es durch-
aus nicht zu sein, wie überhaupt Zimperlichkeit und Zag-
haftigkeit einem Titelblatt schlecht anstehen. Nicht jeder
Graphiker aber kann ein brauchbares Verlagssignet zeich-
nen. Die Entwicklung eines guten Verlagssignets ist keines-
wegs einfach und durchläuft meistens mehrere kostspielige
Stadien.
Ist das Verlagssignet auf dem Titel unerwünscht, so mag
es den Schmutztitel bilden. Im Jugendstil kam das in die
obere rechte Ecke des Satzspiegels der Schmutztitelseite ge-
stellte Signet auf, wo zum Beispiel der Insel-Verlag es lange
unterbrachte. Diese Stellung erscheint heute gesucht. Man
stellt das Signet allenfalls besser in die optische Mitte der
Papierhöhe von Seite (die Seiten und sollten wie die
beiden letzten Buchseiten unbedruckt bleiben) und in die
Mitte der Satzspiegelbreite. Der beste Platz aber scheint
mir die Seite mit den Druckangaben am Ende des Buches,
falls man diese, entgegen der landläufigen Übung, dort
unterbringt.
Die Drucker der Gotik, der Renaissance und des Barocks
hatten es ziemlich leicht, einen guten Titel zu bilden. Das
Signet des Verlegers oder ein anderer großer illustrativer
Holzschnitt bildete die Mitte des Titels und eröffnete das
Buch angemessen (Abbildungen und ). Im achtzehnten
Jahrhundert wich diese Dekoration einer etwas kleineren
Holzschnitt- oder Kupferstichvignette (Abbildung ). Jetzt
sind Titel mit Verlagssigneten eher Ausnahmen, und nur
ein unbedruckter Raum zwischen der Titel- und Verlags-
gruppe ist geblieben (Abbildung und ).
Der Umriß der Titeltypographie, mitbestimmt durch die
Brechung von Wortgruppen und die Abstufung der Grade,
die beide der Logik und dem Wert der Wörter entsprechen
müssen, ist eine der Schwierigkeiten guten Titelsatzes. In
manchen Forderungen an den heutigen Titelsatz lebt noch
der Rationalismus des achtzehnten und des neunzehnten
Jahrhunderts. Wir dürfen nicht, wie die Drucker der Gotik,
der Renaissance und des Barocks (Abbildungen und ),
Wörter und Zeilen brechen, wo es das äußere typographi-
sche Aussehen wünschbar macht, und die Grade gar ohne
Rücksicht auf den Inhalt wählen, sondern müssen streng
der Wortbedeutung folgen. Auch ist es nicht leicht, ohne
Verlagssignet ein Gleichgewicht zwischen der oft schwer
befrachteten Hauptgruppe oben und der viel weniger um-
fangreichen Verlagsgruppe unten herzustellen. Darum ist
ein guter Titel, zumal ein Antiquatitel, heute schwerer zu
setzen als im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert.
Die Form eines Trinkgefäßes ist gewiß einer der geeig-
netsten Umrisse eines Titels (Abbildungen und ),
falls sie sich, wohlgemerkt scheinbar mühelos, erreichen
läßt. Das Verlagssignet gäbe in einem solchen Titel den
Knauf des Gefäßes ab. Aber das ist sehr selten. Unsere Titel
sind dafür zu kurz. Wir dürfen zufrieden sein, wenn wir
einen bloß angenehmen Umriß und ein gutes Verhältnis
zwischen den beiden Hauptgruppen erreichen. Dazu ist
eines vor allem nötig: beide Gruppen, die obere und die un-
tere, müssen eine flächige Ausdehnung, keine nur lineare,
haben und sollen daher, wenn immer möglich, mehrzeilig
sein (Abbildung ) oder auf Mehrzeiligkeit dressiert wer-
den. Die oft langen deutschen Wörter erleichtern es nicht
gerade, einen guten Umriß zu bilden, wenn wir Antiqua
oder gar Antiquaversalien verwenden. Vielleicht verwendet
man Antiquaversalien viel zu häufig und Antiquagemeine
zu selten. Fraktur ergibt erheblich kürzere und daher flächi-
gere, dazu kräftigere Wortbilder und ist auch im Titelsatz
deutscher Bücher dankbarer als Antiqua (Abbildungen
und ). Leider war die Typographie der Zeit Goethes im
großen und ganzen schwächlich und unsicher, und die zer-
fahrenen Titelblätter jener Zeit sind schwerlich vorbildlich
(siehe die Abbildung nebenan).
Ein richtiger Titel muß aus genau derselben Schrift-
familie wie das Buch gesetzt werden, also aus Garamond,
wenn das Buch aus Garamond, aber aus Gewöhnlicher Me-
diäval, wenn das Buch aus dieser Schrift gesetzt ist. Gara-
mond auf dem Titel wäre fehl am Ort und ließe die er-
wünschte Harmonie vermissen, wenn der Text aus einer
Gewöhnlichen Mediäval gesetzt ist. Man kann dabei nicht
Links: Abbildung . Buchtitel von ungefähr . Ungeformt und
im einzelnen mangelhaft. Rechts: Abbildung . Derselbe Text,
wie man ihn heute, und besser, setzen könnte. Ungesperrt.
Links: Abbildung . Leider typischer Titel der Gegenwart mit Kopf
in Bauchgegend und negativem Signet. Rechts: Abbildung .
Derselbe Titel, in Ordnung gebracht. Signet positiv.
Man sperrt häufig zu schwach und muß dann manchmal gar
einen Buchstaben anfeilen, um eine vermeintlich zu große
Lücke, etwa zwischen VA, zu verringern. Das ist verwerf-
lich und durchaus nicht nötig, wenn man gehörig sperrt.
Der Raum zwischen VA muß einfach als kleinste optische
Distanz benützt werden. Selbst zwischen LA muß immer
ein schwaches Spatium, allerwenigstens ein Kartenspan,
liegen.
Gemeine Antiqua- und Kursivbuchstaben dürfen auch
auf dem Titel niemals gesperrt werden. Es ist irrig, in der
Sperrung der Antiqua versauen einen Grund für ein Sperren
gemeiner Zeilen zu sehen. Auch Fraktur sieht gesperrt häß-
lich, ungesperrt am schönsten aus (Abbildungen , , ).
Zahlen im Text des Titels (‹Mit Abbildungen›)
müssen ausgeschrieben werden (‹Mit zweihundertvierzig
Abbildungen›, ‹achtzehntes Jahrhundert›); nur die Jahres-
zahl wird in arabischen Ziffern () gegeben. In Werken
von Bedeutung, kaum in anderen, darf das Jahr auch in rö-
mischen Ziffern erscheinen (MCMLVIII), zumal wenn der
Titel ganz aus Antiquaversalien gesetzt ist.
Je weniger Grade auf dem Titel, um so besser! Viele Köche
verderben den Brei, und zu viele Grade den Titel. Mit vier
und fünf Graden richtig umzugehen ist schwer (Abbildung
). Mehr als drei Grade sind nur ausnahmsweise nötig,
manchmal genügen sogar nur zwei (Abbildungen und ).
Ein Titel nur aus Antiquaversalien wirkt fast immer har-
monisch, doch gerne etwas starr. Man braucht diese Satz-
weise nicht zur Regel zu erheben. Den Hauptzeilen kann
man mit Gemeinen Ausdruck verleihen und die kleineren
Zeilen mittels Versalsatzes bändigen (Abbildung ).
Der Verlag ist niemals wichtiger als der Verfassername,
und seine Bezeichnung darf höchstens genau so groß wie
der Verfassername gesetzt werden. Wie oft wird gegen diese
Rangordnung verstoßen und der Verfassername kleiner als
die Verlagsbezeichnung gesetzt! Es kommt leider sogar
vor, daß der Verlagsname so groß gesetzt ist wie die Haupt-
zeile oben!
Wir sehen, daß auf dem Spielplatz des richtigen Titel-
satzes viele Einschränkungen, Warnungen und Verbote
gelten:. die Grenzen des Satzspiegels, eine sehr geringe Frei-
heit der Schriftwahl, Beschränkung der Gradanzahl, keine
Halbfette, unbedingte Sperrung der Versalien. Immerhin
können wir nun einmal ein Titelmanuskript zu bearbeiten
versuchen.
Ein guter Weg ist dieser: sehr sorgfältiges Skizzieren aller
Wörter mit schwarzem Kugelschreiber oder der Füllfeder –
nicht mit Bleistift – in den Graden, die wir vorderhand für
richtig halten, an Hand einer Schriftprobe. Ganz besonders
der Anfänger muß sich hüten, Schmierskizzen zum Satz zu
geben, und sich bemühen, jeden einzelnen Buchstaben so
täuschend wie möglich zu zeichnen. Nur der sehr Erfahrene
darf scheinbar flüchtiger arbeiten. Bloße Balken, wie sie
einige meiner Schemata zeigen, täuschen unfehlbar! Zer-
schneiden der Zeilen und Auflegen auf ein leeres Seitenpaar
aus gleichem Papier in genauer Buchgröße; die rechte Seite
zeigt die Grenzen des Satzspiegels in dünnen Bleistiftlinien.
Verschieben und verschieben, Ändern der Grade, bis wir
die beste Lösung gefunden zu haben glauben. Festkleben
der Zeilen mit wasserlosem Klebstoff (Sanford’s Rubber
Cement); Skizze zum Drucker. Auf der Skizze am Kopf die
Schriftart (etwa ‹alles aus Janson›), am Rande die Schrift-
grade (etwa ‹ gew. Gem.›, ‹ Versalien mit 1⁄2 P. gesp.›)
genau angeben, bei Versalien also auch die Sperrung vor-
schreiben, ferner etwa ‹Höhe genau wie Textseite› oder
‹Höhe und Stellung genau wie Skizze› und ‹Abzüge in rich-
tiger Stellung laut Skizze auf beschnittener Doppelseite›
verlangen. Ist die Skizze fachgerecht und gerät sie in gute
Hände, dann bekommt man das, was man mühsam entwik-
kelt hat und eine überzeugende Einheit bilden soll. Häufig
aber kriegt man etwas, das nicht genau ausgeführt ist: der
Durchschuß ist geändert, die Sperrung ist nicht ausgegli-
chen. Oder es sind zu weite, seltener zu enge, Wortabstände
zu bemängeln. Zwar gab der große E. R. Weiß seine Korrek-
turen nicht in Punkten, sondern in Millimetern an, doch
sollte ihm der Hersteller darin nicht folgen. Der Setzer rech-
net eben in Punkten, und wieviel Punkte machen einen hal-
ben Millimeter aus? ‹1⁄2 P.› ist eindeutig, ‹etwas mehr Spa-
tium› dagegen kann alles mögliche bedeuten. Der Titelsatz
ist zum Teil ‹die Kunst des Punktes›, ja des halben Punktes.
‹Sperren› ist ein unklarer Befehl; man muß deutlich an-
geben ‹mit 1⁄2 P. mehr sperren›, ‹mit 1⁄2 P. sperren›.
Es kommt vor, daß der erste Abzug in jedem Teilchen
stimmt. Oder der Abzug sieht doch anders aus, als der Ent-
werfer ihn sich vorgestellt hat, und er muß selber da und
dort ändern und richten. Dann muß man neue Abzüge auf
richtigem Format und in genauer Stellung verlangen, bis
der Titel ‹sitzt›. Die Skizze des Titels, ja der ganzen Titelei,
sollte dem Manuskript des Textes beiliegen, und die ersten
Abzüge sollten mit den ersten Fahnen eintreffen. Die Probe-
seiten müssen schon vorliegen und genehmigt sein, bevor
das Werk abgesetzt wird.
Ein guter Titel muß in seiner Ausdehnung, auch wenn er
schmäler und niedriger ist als die Buchseite, deren Umriß-
proportion einigermaßen wiederholen. Sonst paßt er nicht
zu ihr. Ist die obere Gruppe des Titels schmal, so darf
die Verlagszeile erst recht nicht die Satzbreite füllen (Ab-
bildung ). Häufig wird die Hauptgruppe bei weitem viel
zu tief gestellt (Abbildung ). Die Entwerfer solcher Titel
scheinen zu meinen, daß die Verlagszeile nicht an der Ge-
samtform teilhat. Solch ein Titel sieht abgesackt aus. Die
Verlagszeile ist doch genau so sichtbar wie die obere Gruppe,
und beide zusammen müssen als Ganzes richtig sitzen. Man
erwartet die Hauptzeile im obern Drittel und durchaus
nicht in der optischen Mitte der Titelseite! Titel wie in Ab-
bildung angedeutet sind schlecht. Auch muß hier der
Verlagszeile ihre lange Strichform (im Original aus Gemei-
nen gesetzt und durch Sperrung gestreckt und verdorben)
genommen werden, denn diese widerspricht der runden
Form der obern Gruppe. Wie überall, wären hier aufeinan-
derfolgende gleich lange Zeilen höchst unerwünscht. Der
Titel sitzt erst, wenn die obere Gruppe gehoben und die un-
tere mehrzeilig und schmäler gemacht wird (Abbildung ).
‹Passender› Durchschuß zwischen den Zeilen ist leicht
verlangt, aber schwer getan. Die Zwischenräume zwischen
den Zeilen müssen nicht nur dem Inhalt nicht widerspre-
chen, sondern wie die Zeilen selber an der Wirkung des
Ganzen teilnehmen. Da in der Regel der größere Teil des
Blattes unbedruckt ist, wirken Zeilengruppen mit gerin-
gem Durchschuß fremd; das Weiß des Hintergrundes muß
den Satz durchdringen. Große weiße Ränder fordern sehr
kräftigen Durchschuß auch zwischen Zeilen aus demselben
Schriftgrad. Eine gewisse Transparenz der Titeltypogra-
phie ist meistens erwünscht. Sonst verträgt sich der Satz
nicht mit dem Hintergrund und kann nicht mit ihm ver-
schmelzen (Abbildungen , und ).
Hat das Buch, wie in Taschenausgaben, sehr schmale
Ränder, dann darf der Titel den Satzspiegel nicht füllen.
Die obere Gruppe würde sonst bei weitem zu hoch stehen
und muß darum gesenkt werden. Aber auch die Verlags-
gruppe entsprechend gehoben! Das proportionale Verhält-
nis des obern Randes zum untern, wie es die Buchseite zeigt,
muß auf dem Titel wiederkehren.
Auch wird man die obere Gruppe häufig etwas senken
(und gleichzeitig die Verlagsgruppe heben) müssen, wenn
die erste Zeile die Hauptzeile bildet. Eine kurze erste Zeile,
dazu noch aus einem kleineren Grad als die Hauptzeile, ist
sehr willkommen, aber nicht immer zu haben. Der Verfasser
eines Buches kann übrigens ebensowohl über der ersten
Zeile stehen wie auch durch das Wörtchen VON mit ihr ver-
knüpft, ihr folgen. Manchmal kann man das Wörtchen VON
auf eine eigene Zeile stellen, was einer starken Betonung der
Mittellinie gleichkommt (Abbildung ); ein andermal
mag man diese kurze Zeile nicht und setzt das von vor den
Namen in dessen Zeile (Abbildung ).
Auf der Rückseite des Titels finden sich fast immer An-
gaben, wenn nicht über den Herausgeber, so über die Auf-
lage und den Drucker (irrigerweise auch oft über den Ent-
werfer des nicht zum eigentlichen Buche gehörigen Schutz-
umschlages, selbst wenn es sich um gar nicht bemerkens-
werte, ja schlechte Entwürfe handelt). In ganz billigen Bü-
chern geht es kaum anders, weil sich am Ende des Buches
kein Platz dafür finden läßt. Aber lieblos gesetzt brauchen
sie selbst in den billigsten Büchern nicht zu sein. Man wähle
einen sehr kleinen Grad der Grundschrift (sperre ihn nicht),
suche nach einem guten Zeilenfall und durchschieße den
Satz mit annähernd ebensoviel Punkten wie die Zeilen der
Textseiten. Viel gepflegter und ruhiger wirken leicht ge-
sperrte Kapitälchen eines sehr kleinen Grades mit dem
Durchschuß der Textschrift. Der Wortlaut sei so knapp
wie möglich. Da diese Zeilen auf der Titelseite durchschei-
nen, sollte man sie so anordnen, daß sie wo immer möglich
auf Gruppen oder Zeilen des Titels fallen und deren Aus-
dehnung möglichst nicht überschreiten.
Diese Angaben auf der Rückseite des Titelblattes begin-
nen neuerdings beängstigend anzuwachsen. Sie erinnern
bereits an die endlosen Mitarbeiterlisten, die man vor dem
eigentlichen Anfang eines Films wehrlos über sich ergehen
lassen muß, und sind ebenso aufdringlich wie vorderhand
unerwünscht. Die Fertiger sollten sich bescheiden erst am
Schluß des Buches nennen. Am Anfang genannt zu werden,
kommt allein dem Verfasser und dem Geburtshelfer des Bu-
ches, dem Verleger, zu. Daher meine ich, Ketzer, der ich
immer war, alles übrige sollte erst hinter dem Textende er-
zählt werden.
Da der ersten Textseite eines Buches Nichts gegenüber-
stehen sollte, kann man sich indes auch damit helfen, daß
man den Titel des Werkes, ohne Verfasser, rechts neben der
Rückseite des Haupttitels schmutztitelartig wiederholt,
damit die linke Seite neben dem Textanfang endlich leer
bleibt. Nur in den allerbilligsten Büchern mag dort etwas
stehen. Aber dies müßte sich wenigstens nett präsentieren.
Es ist aber leider die Seite, die am nachlässigsten behandelt
wird, und darum ein Ausweis der Fähigkeiten des Herstel-
lers. Daß die Graue Eminenz, der Hersteller, hier nie ge-
nannt wird, hat drei Gründe. Erstens mag es der Verleger
nicht. Zweitens ist der Hersteller zu bescheiden, obwohl er
wahrhaftig wichtiger ist als etwa der Graphiker des Schutz-
umschlags. Und drittens will es der Hersteller selber nicht,
weil er bis zum Erscheinungstag fürchten muß, daß irgend-
einer das Buch verpatzt hat. Der Autor fürchtet den Setzer,
der Drucker den Buchbinder, der Hersteller aber alle vier,
mehr als die vier ihn. Der sich verantwortlich fühlende Her-
steller, der Luchsaugen und Umsicht haben muß wie die
Leibgarde eines Diktators, überläßt Ruhm oder Schande
lieber dem Fußvolk, das sich in naiver Selbstliebe und schö-
ner Vollzähligkeit nennt, noch bevor man auch nur eine
Zeile hat lesen dürfen. Denn Er hat’s erfahren: Man kann nie
wissen.
Den Leser aber kümmert vorderhand nicht im gering-
sten, wer das Buch gedruckt hat und was darüber hinaus
noch auf der Rückseite des Titels an welterschütternden
Einzelheiten mitgeteilt wird. Alle diese Angaben über den
Drucker, die Auflage, sogar die Namen des Herausgebers
oder des Übersetzers sind am besten am Schlüsse des Buches
aufgehoben (Abbildung ).
Die beiden allerletzten Seiten eines gut gemachten Bu-
ches sollen wie die beiden ersten gänzlich unbedruckt blei-
ben; dies gilt auch für Bände mit Kunstdrucktafeln am Ende. Auf
der viert- oder drittletzten Seite des Buches, dem besten Ort
für die Angaben des Herausgebers, des Druckers und so
weiter (Abbildung ) könnte und sollte auch das Erschei-
nungsjahr genannt werden, wenn es auf dem Titelblatt ver-
schwiegen wird.
Zurück zu den Titeln. Die Abbildung stellt den Titel
einer imaginären Ausgabe in einer einwandfreien Form vor.
Die Grundschrift ist Garamond. Ein typographisch fehler-
loser Titel ist aber nicht immer schon ein vollendet guter
Titel. Dieser Titel und die Garamond als Grundschrift wä-
ren recht, wenn es sich um irgendeinen Roman handelte.
Dieser Roman aber (der früheste europäische Roman, ,
wie der Jahre ältere erste japanische Roman Genji übri-
gens das Werk einer Frau) verlangt typographische Atmo-
sphäre und müßte aus Janson-Antiqua (noch besser fast aus
Lutherscher Fraktur) gesetzt werden. Abbildung stellt
einen ersten Versuch eines Janson-Titelblattes dafür dar.
Doch ist in ihm die Zeitstimmung noch immer nicht einge-
fangen, und erst Abbildung nähert sich einer guten Lö-
sung. Es handelt sich dabei nicht um den Historismus der
achtziger Jahre, sondern um eine Verschmelzung des Zeit-
stils von mit heutigen Formwünschen. Modernitäts-
sucht ist infantil. Bücher sind keine Modeartikel. Ein Titel
für dieses Buch ‹aus dem Geiste der Gegenwart›, an Stahl-
möbel, Autokarosserien oder den Sputnik erinnernd, wäre
die Ausgeburt eines ungebildeten Narren. Die endliche Lö-
sung einer ähnlichen Aufgabe, die die Stimmung des Werkes
typographisch interpretiert, zeigt Abbildung .
In der Regel werden wir aber schon zufrieden sein, wenn
ein Titel wenigstens Verstand und Auge nicht beleidigt,
wenn er den aufgezeigten Grundforderungen an gutes, har-
monisches, gesundes Aussehen entspricht und vor allem
richtig in der Seite sitzt. Videant sequentes.
Rechts: Abbildung . Titel von der Hand des Verfassers. .
Caslon-Antiqua und Weiß-Schmuck.
Satzregeln des Verlegers
für den Drucker
Regeln
Alle Überschriften und erst recht der glatte Satz müssen mit
Dritteln ausgeschlossen werden. Besonders im Handsatz ist
auf optisch gleiche Wortzwischenräume in der Zeile zu
achten.
Hinter den Schlußpunkten von Sätzen und abgekürzten
Sätzen soll nur der normale Wortzwischenraum der Zeile lie-
gen. Nur in weiten Zeilen darf dort eine größere Lücke blei-
ben; dort dürfen auch vor Kommas und Bindestriche Spa-
tien gesteckt werden. Zwischen dem Wort und den Paren-
thesen liegen Spatien, außer vor A, J, T, V, W, Y, nach dem
Schlußpunkt und in sehr engen Zeilen.
Folgen einzelner Buchstaben und Abkürzungen, wie d. h.,
u. a., C. F. Meyer, fordern stets verminderte Zwischenräume.
Die Überschriften und Gruppen in Titeln werden ohne
Schlußpunkte gesetzt.
Gemeine sollen nie gesperrt werden. Statt gesperrter
Schrift ist immer Kursiv zu verwenden.
Versalien sind überall sorgfältig (von Punkt aufwärts
mindestens mit 1⁄2 Punkt) zu sperren und auszugleichen
und lieber etwas zu weit als zu eng zu halten.
Als Einzug darf stets nur ein Geviert verwendet werden.
Größere Einzüge, die weder auffälliger noch schöner sind,
können nur bei übermäßig langen Zeilen gebraucht wer-
den. Zu große Einzüge können bewirken, daß die Aus-
gangszeile kürzer ist als der Einzug darunter.
Der Geviertgedankenstrich soll nur in tabellarisch gesetzten
Preisbezeichnungen verwendet werden. In allen andern Fällen
sind kürzere Striche (Streckenstriche, auf Halbgeviert) zu
setzen. Der Bindestrich soll jedoch nicht an Stelle des Ge-
dankenstrichs treten.
In der Regel sollen im Antiquasatz halbierte französische
Anführungszeichen ‹ › angewendet werden. In der gleichen
Arbeit müssen diese die gleiche Form haben. Sie sind vom
Wort durch Spatien zu trennen (außer in engen Zeilen).
Nur Anführungen in der Anführung erhalten diese Anfüh-
rungszeichen: « ».
Notenziffern müssen im gleichen Charakter wie die Grund-
schrift gesetzt sein. Auf die Notenziffer () oder den Noten-
stern (*) soll keine Parenthese folgen, weder im Text noch
in der Fußnote. Zwischen dem Wort und der darauffolgen-
den Notenziffer muß ein Spatium liegen.
Über den Fußnoten soll entweder nur ein Zwischenraum
oder eine durchgehende Stumpffeine liegen. Der Zwischen-
raum über und unter dieser Linie darf nicht kleiner sein als
der Durchschuß des oberen Textes.
Die Umlaute Ä, Ö, Ü dürfen nicht durch Ae, Oe, Ue er-
setzt werden (Ärzte, Äschenvorstadt).
In Zahlen ist das Komma allein zur Kennzeichnung der
Dezimalstellen zu gebrauchen. Die Tausendergruppen müs-
sen durch Spatien statt durch die falschen Kommas oder
Punkte getrennt werden. , bedeutet nicht dreihun-
derttausend, sondern dreihundert. Dreihunderttausend
setzt man so: . Auch Schlußpunkte dürfen nicht zur
Trennung der Tausendergruppen gebraucht werden. Das
Komma leitet immer die Dezimalstellen ein: , m;
, kg. Man setzt jedoch: . Uhr. Auch in Telephon-
nummern trennt der Setzer die Gruppen besser durch Spa-
tium statt durch den Punkt: Nr. . (In deutscher
Sprache setzt man Nr., nicht No.)
Wie Probeseiten aussehen sollen
theoretische Arbeit des Büros sein. ‹Der Satz war vorberech-
net› ist keine Entschuldigung für ein häßliches Buch.
Der Satz der Probeseiten darf nicht weniger sorgfältig er-
stellt werden als ein normaler Auftrag. Mit Druckfehlern
schon in der Probeseite verscherzt sich der Drucker das Ver-
trauen des Verlegers in den Korrektor. Verlangt der Auf-
traggeber die Anwendung eigener Hausregeln, so müssen
diese angewendet und die wichtigsten Hinweise auf Seite
vermerkt werden. Siehe die Nachbarseite.
Kommen Fußnoten im Werk vor, so soll ein verwickelte-
res Beispiel dafür vorgeführt werden.
Das beschnittene Format, Bund- und Kopfsteg müssen
haargenau stimmen. Der Ehrgeiz eines guten Druckers muß
es sein, Probeseiten zu liefern, an denen der Verleger nichts
aussetzen kann.
Vor allem muß das Papier, sofern es schon vorhanden ist,
dasselbe sein wie das der Auflage; falls es noch in der Anfer-
tigung ist, so soll das Papier der Probeseiten dem späteren
mindestens seiner Oberfläche nach möglichst ähnlich sein.
Aber auch der Druck muß erstklassig sein. Auf Zurich-
tung kann keineswegs verzichtet werden, und die Farb-
gebung muß dem Papier und der Schriftart genau angepaßt
sein. Die Seiten dürfen also weder blaß noch fett wirken.
Denn der Maschinenmeister hat sich später nach den Probe-
seiten zu richten.
Oft liefert die Druckerei nur eine armselige Seite, viel-
leicht gar mit einer Ausgangszeile am Fuß, die den unteren
Papierrand entstellt. Aber richtige Probeseiten bestehen
aus noch mehr als wenigstens einem Seitenpaar: auf Seite
der vierseitigen Probe sollen die Angaben des nebenstehen-
PROBESEITEN
den Musters gedruckt erscheinen. Nur dann wird dem Set-
zer und dem Maschinenmeister, vor allem auch ihren ge-
legentlichen Mitarbeitern, alles klar sein. Wenn die Probe-
seiten etwa statt , mal cm nur , mal , cm groß
sind, könnten schließlich Zweifel entstehen, ob nicht etwa
, mal , cm gemeint seien. Auch muß bei jedem neuen
Versuch der ursprünglich geschätzte Umfang nachgeprüft
werden, denn nicht immer findet gleich der erste Versuch
die Zustimmung des Verlegers. Die Versuche müssen auch
numeriert und fortlaufend datiert sein.
Es empfiehlt sich ferner, auch Bund- und Kopfsteg auf
Seite der Probeseiten festzulegen, damit später kein Un-
glück passiert.
Der Drucker soll nicht zu wenige Exemplare der Muster
herstellen. Mindestens vier gehen an den Auftraggeber,
und mindestens weitere vier werden für die Auftragstasche
zurückbehalten.
Nur wenn alle diese Anweisungen sorgfältig befolgt wer-
den, ist es wenigstens einigermaßen sicher, daß das fertige
Buch alle Mitarbeiter und den Auftraggeber befriedigt.
Konsequenzen des Drittelsatzes
mit ihren langen Wörtern und der barocken Häufung der
Versalien in ihrer gegenwärtigen Schreibweise sind viel
schwerer schön zu setzen als Englisch, das das ruhigste ty-
pographische Bild unter den lebenden Sprachen ergibt, weil
es nur wenige Versalien und gar keine Akzente braucht und
vorwiegend aus kurzen Wörtern besteht.
Die heutigen romanischen Sprachen sind heute nicht
mehr so ideal wie ihre lateinische Mutter zu setzen, da sie
mit Akzenten versehen sind und die nicht selten vorkom-
menden z, j und selbst k eigentliche Fremdkörper in der
Antiquaschrift sind. Aber sie erinnern an das Lateinische
und weisen nicht die zahllosen Versalien des Deutschen auf.
Im deutschen Satz verlangen die langen Wörter notwen-
digerweise häufiger Worttrennungen als andere Sprachen.
Guter enger Satz ist in französischen und englischen Werken
selbst mit den Regeln des neunzehnten Jahrhunderts über
Worttrennungen noch leicht durchführbar. Im Deutschen
verlangt der enge Satz nicht nur die Lockerung, sondern die
Abschaffung der Regeln über sogenannte mangelhafte Tren-
nungen, wie ergan-gen, aufge-bracht, Ti-rol. Man kann nicht
zugleich eng setzen und mangelhafte Worttrennungen vermeiden.
Sonst erhält man teils eng, teils weiter oder weit gesetzte
Zeilen. Auch die Regel, man dürfe nicht mehr als dreimal
hintereinander am Zeilenende trennen, ist in gutem engem
(deutschem) Satz nicht immer leicht zu befolgen.
Selbstverständlich fordert enger Satz auch nach den
Schlußpunkten den gleichen, ja unter Umständen geringe-
ren Ausschluß als zwischen den Wörtern. Die älteren Re-
geln über den vergrößerten (oft lochartig großen) Aus-
schluß hinter dem Satzende sollten endgültig verschwin-
den. Für den Maschinensetzer bedeutet es eine große Er-
leichterung, wenn er nicht mehr auf Schlußpunkte achten
muß.
Auch auf den Umbruch wirkt sich der enge Satz aus. Die
Regel, daß Ausgangszeilen nicht die erste Zeile einer neuen
Seite bilden dürfen, ist bei engem Satz nicht ohne weiteres
annehmbar. Solche Zeilen sind gewiß nicht schön; sie zu
vermeiden ist jedoch schwer, wenn man weder aus- noch
einbringen kann. Vergleiche hierzu Seite bis .
Anfangszeilen am Fuß der Seite gelten ohnehin nicht als
Fehler. Es ist übertrieben, zu verlangen, daß auch sie nicht
vorkommen dürfen. Denn dann muß fast stets der Autor
helfend durch Streichungen oder Zusätze eingreifen. Das
hieße jedoch eine Vorherrschaft der Form über den Inhalt
der Typographie errichten, die gerade ein guter Setzer we-
der begünstigen noch gar verlangen darf.
Warum Absatzanfänge
eingezogen werden müssen
hat es nicht gefehlt, diesen Brauch durch einen neuen zu
ersetzen. Etwas Altes zu zerstören hat aber nur Sinn und
das Neue nur Bestand, wenn dieses einer Notwendigkeit
entspringt und besser als das Alte ist.
Dies läßt sich aber nicht von dem einzuglosen Satz sagen,
der immer mehr Überhand nimmt. Auch er hat eine, wenn
auch viel kürzere, Geschichte. Das Streben unserer Zeit
nach Einfachheit, eine Reaktion auf den überladenen Stil
unserer Großväter, drückt sich oft in einer krankhaften
Sucht nach Vereinfachung aus. Eine folgenschwere Begriffs-
verwechslung. Einige der englischen Pressendrucker der
Jahrhundertwende unterließen den Einzug, und diese un-
überlegte Manier, die übrigens in England bis in die jüngste
Zeit hinein keine Nachahmer fand, wurde von jungen Ver-
legern in Deutschland übernommen. Ein sehr angesehener
Verlag, einst in Leipzig, hat viele seiner Bücher ohne Ein-
züge setzen lassen und damit zu der weiten Ausbreitung
dieser bedenklichen Satzweise erheblich beigetragen. Wenn
Setzer, Korrektor und Lektor sich alle Mühe geben, wenig-
stens die vorhergehende Zeile mit einem wenn auch noch so
knappen Ausgang (manchmal nur oder gar typographi-
sche Punkte betragend!) zu versehen, so mag das noch zur
Not hingehen. In zweitrangigem Spaltensatz, dem von Zei-
tungen, Zeitschriften und buchartigen Drucksachen, wird
aber diese Satzart, die keineswegs etwa billiger ist als der
Satz mit Gevierteinzügen, geradezu gefährlich.
Im Zeitungssatz pflegt man zwischen die Absätze oder
mehr Punkte zusätzlichen Durchschuß zu legen, zum Teil
deshalb, weil Zeitungen keinen so sorgfältigen Umbruch
wie Bücher vertragen. Musterhaft ist das aber nicht.
Schon der Setzer einer Zeitung hat keine Zeit, darauf zu
achten, daß jede Endzeile einer Rubrik auch einen sicht-
baren ‹Ausgang›, also einen unbedruckten Rest, aufweist.
Manchmal endet auch mitten im Absatz eine Zeile mit
einem Schlußpunkt. Der Metteur schaut auf die Schluß-
punkte am Ende der Zeilen; unter diese Zeilen legt er den
zusätzlichen Durchschuß, der damit die Rolle des Einzuges
übernimmt. Hat er auch keinen Fehler gemacht? Den Satz
zu lesen, hat er keine Zeit. Den hastig lesenden Korrektor
kümmert es auch kaum, weil es ihm ebenfalls an Zeit man-
gelt. Das Ergebnis sind irrtümlich zerschnittene und fälsch-
lich gekuppelte Sinngruppen. Der unregelmäßige zusätz-
liche Durchschuß verdirbt überdies das Aussehen des Satz-
bildes. All das leuchtet natürlich nur einem ernsthaften Le-
ser ein.
Aber selbst wenn Setzer, Korrektor und Lektor eines
Buches jener indirekten Kennzeichnung der Absätze durch
erzwungene, künstliche Ausgänge in der vorhergehenden
Zeile alle Aufmerksamkeit schenken, so sind selbst alle drei
zusammen nicht so unfehlbar, daß diese indirekte Kenn-
zeichnung auch wirklich nirgendwo vergessen wird.
Gedruckt wird das Buch aber für den Leser. Auch er ist
am Ende jeder Zeile ein wenig träger als an ihrem Anfang.
Die ‹stumpfen› Anfänge (so nennt der Fachmann Anfänge
ohne Einzug) erwecken in ihm den Eindruck eines fortlau-
fenden Sinnzusammenhangs, während ein guter Schrift-
steller diese Absätze mit allem Vorbedacht wählt und er-
kennbar gemacht haben will. Der einzuglose Satz erschwert
also auch die Aufnahme des Gedruckten durch den Leser.
Und das ist sein wichtigster Nachteil. Stumpfe Anfänge ma-
chen den Satz zwar ‹ruhiger›, als normaler aussieht; aber
das wird mit einem bedenklichen Verlust an Artikulation
erkauft. Die Artikulation ist durchaus notwendig, wenn das
gedruckte Buch die ideale Darbietung einer Gedankenfolge
sein soll. Die Artikulation muß unbedingt links, am Anfange
der Zeilen, erscheinen, nicht am Ende der Zeilen, wo man
zu lesen aufhört. Wie bemühend ist es, daß diese Selbstver-
ständlichkeit noch erläutert werden muß!
Nur an einer Stelle ist der Einzug sinnlos und unschön:
unter einer auf Mitte gestellten Überschrift. Der erste Ab-
satz soll stumpf beginnen. Unter einer nach links gerückten
Überschrift jedoch ist der Einzug erforderlich.
Zwei neuere Unarten der indirekten Kennzeichnung von
Absätzen seien nur gestreift: einzugloser Satz, dessen Ab-
sätze durch volle Blindzeilen getrennt sind, die eine viel zu
starke Unterbrechung bewirken und es unter Umständen
fraglich erscheinen lassen, ob auf der neuen Seite ein neuer
Absatz beginnt; und nach rechts geschobene Ausgangszei-
len, die äußerst lästig wirken und auch nur ein indirektes
Mittel sind.
Es gibt eben nur eine einzige sichere, nur eine einzige
technisch einwandfreie und dabei höchst einfache und spar-
same Art, den Absatzbeginn zu kennzeichnen, und das ist
der Einzug, der in der Regel ein Kegelgeviert (also Punkt
im -Punkt-Grad) betragen soll. Er darf auch etwas klei-
ner, ja in gewissen Fällen sogar etwas größer sein. Der Set-
zer wird ihn kaum vergessen und der Korrektor mit Sicher-
heit darauf achten; kein Leser kann ihn übersehen. Daß
Satz mit Gevierteinzügen weniger schön sei, ist unwahr.
Der einzuglose Satz sieht nur einfacher aus, geht aber auf
Kosten der Artikulation, die ein Attribut typographischer
Schönheit ist. Daß er heute so häufig anzutreffen ist, beweist
durchaus nicht, daß er gut ist.
Zahlreiche Werke der schönen Literatur, ja sogar wissen-
schaftliche Bücher, sind in neuerer Zeit ohne Einzüge ge-
setzt worden. Aus einer Mode der Jahrhundertwende ist
beinahe eine feste Regel geworden, und man scheint nicht
zu erkennen, daß es dieser unartikulierten Darstellungsart
an Deutlichkeit gebricht. Sie ist ein Anzeichen schwinden-
der Achtung vor dem Wort und dem Buchstaben. Der
Schriftleiter einer Fachzeitschrift hat gar gemeint, der Satz
mit Einzügen sei eine Neuerung, deren Brauchbarkeit sich
erst erweisen müsse! Es ist aber der Satz mit Einzügen, der
sich seit mehr als vierhundert Jahren bewährt hat. Von ihm
weicht man nur in Deutschland und der Schweiz so häufig
ab. In England, Frankreich, den skandinavischen Ländern
und den Vereinigten Staaten trifft man die ‹lallende› Satz-
weise ohne Einzüge nur ausnahmsweise an, vornehmlich
nur in lieblos gemachten Druckerzeugnissen.
Der normale alte Satz mit Einzügen ist unendlich besser
und deutlicher als der glattgeschniegelte Satz mit stumpfen
Anfängen. Die alte Methode kann gar nicht verbessert wer-
den. Sie ist, obschon wahrscheinlich ein zufälliger Fund, die
ideale Lösung des Problems. Mögen die Verleger und die
Setzer, die es angeht, recht bald zu ihr zurückfinden.
Einen kleinen Teil der Schuld an der Ausbreitung der
falschen Satzart trägt auch die weithin geübte Art, wie
Briefe und Manuskripte auf der Schreibmaschine geschrie-
ben werden: auch hier statt der sicheren und stets erkenn-
baren Einzüge stumpfe Anfänge und Blindzeilen zwischen
den Absätzen. Die Handelsschulen lehren heute, ohne im
geringsten in typographischen Fragen kompetent zu sein,
daß Einzüge veraltet, stumpfe Anfänge ‹modern› seien.
Das ist eine ganz irrige Laienmeinung. Es wäre gut, wenn
man auch hier zur alten Art – bis Buchstabenbreiten
genügen vollauf als Einzug – zurückkehrte.
Kursiv, Kapitälchen und
Anführungszeichen
im Textsatz des Buches
und in wissenschaftlichen
Zeitschriften
Geschichtliches
Schwabacher gesetzt. Diese schöne, kräftige Schrift diente
vor J. F. UNGER (–) als Halbfette. (Eigentliche
halbfette Frakturschriften sind erst im neunzehnten Jahr-
hundert aufgekommen.) UNGER verbannte die von ihm für
häßlich gehaltene Schwabacher aus dem Schriftenbestand
der Buchdruckereien und führte als Ersatz der Auszeich-
nung der Fraktur durch Schwabacher die Sperrung ein, mit
deren Ausmerzung wir heute uns abmühen. Daher rührt es,
daß noch heute, aber nur in Deutschland, der Schweiz und
in Österreich, Antiqua manchmal irrigerweise mit gesperr-
ter Antiqua statt mit Kursiv ausgezeichnet wird. Im Anti-
quasatz soll aber nirgends gesperrt werden. (Versalien und
Kapitälchen bilden die Ausnahme.)
Für die lateinischen Wörter sind im S CHELLER von
Antiqua und Kursiv verwendet worden. Dem beneidens-
werten Autor und dem Setzer standen also verschiedene
Schriften auf dem gleichen Kegel für ebenso viele Wort-
kategorien zur Verfügung. Kapitälchen waren damals in
Deutschland anscheinend noch seltener als heute. Sonst hätte
S CHELLER, falls nötig, auch sie noch verwenden können.
Aber er hätte sie nicht benötigt, und noch mehr als Schrift-
arten sollte kein Autor im Text brauchen. In einer Gramma-
tik läßt man sich das durchaus gefallen, aber kaum in ande-
ren Büchern, mögen sie noch so gelehrt sein. Ein heutiger
Typograph, der dieselbe Grammatik in Antiqua zu setzen
hätte, hätte nur Schriftarten zur Verfügung, nämlich An-
tiqua, Kursiv und Kapitälchen, und müßte zur Halbfetten
Zuflucht nehmen, wenn Schriftarten verlangt würden.
(Mit Endstrichloser als Grundschrift wäre er noch früher
verloren.) Und wieviel besser sieht Breitkopf-Fraktur mit
Alter Schwabacher aus als etwa Garamond mit halbfetter
Garamond! In vollkommener Weise wird der Unterschied
zwischen Deutsch und Lateinisch im S CHELLER durch
den Formengegensatz zwischen Fraktur und Schwabacher
auf der einen und Antiqua und Kursiv auf der andern Seite
veranschaulicht. In einer aus Antiqua gesetzten Grammatik
würden die lateinischen Wörter sich längst nicht so gut ab-
heben. Wir können also diese allerdings schwere Aufgabe,
solange wir auf die Fraktur verzichten, nicht so gut bewäl-
tigen wie der Setzer des achtzehnten Jahrhunderts.
Mit der Fraktur haben wir uns, wie auch dieses Beispiel
lehrt, eines Schatzes begeben, um den uns Andersspre-
chende beneiden dürften, wüßten sie genauer Bescheid. Es
ist ein Unglück, daß Fraktur wie früher auch heute noch
mit sachfremden Argumenten von den einen bekämpft und
mit ebendenselben von anderen gelobt wird; von der be-
sonderen Eignung der Fraktur und der Schwabacher für die
zum Teil langen Wörter der deutschen Rechtschreibung,
von ihrer raumsparenden Gedrängtheit, von ihrer aus spe-
zifisch deutscher und transalpiner * Linienkunst erwachse-
nen Form ist kaum die Rede. Man lese JEREMIAS G OTT -
HELF, G OTTFRIED K ELLER, M ÖRIKES , selbst G OETHES
Liebesgedichte oder Des Knaben Wunderhorn in Antiqua.
Dann spürt man vielleicht doch, daß sie alle unpassend
‹verkleidet› sind. Aber das nur nebenbei. Wenn man im
mittleren neunzehnten Jahrhundert einen ähnlichen wissen-
schaftlichen Text wie den des S CHELLER aus Antiqua zu
setzen hatte, mußte man bereits die halbfette ‹Aldine› zu
Hilfe nehmen (die ihren Namen, der auf A LDUS M ANUTIUS
anspielt, ganz zu Unrecht führt). Dazu kamen Kursiv und
Kapitälchen.
Kursiv ist eine an die humanistische Verkehrsschrift er-
innernde, oft etwas schmäler laufende schrägstehende Ver-
wandte der Antiqua, die hauptsächlich durch ihren Rich-
tungsgegensatz auffällt, aber im Grau der ganzen Seite nur
* Ich finde leider kein besseres Adjektiv als diesen wenig gebräuch-
lichen Ausdruck. Das Wort ‹mitteleuropäisch› ist durch gewisse
Subjekte der näheren Vergangenheit in Verruf gebracht worden;
auch trifft es die Sache nicht. ‹Transalpin› heißt buchstäblich ‹jen-
seits der Alpen›. Da dieses Wort aber von Römern geprägt worden
ist, bedeutet es ‹nördlich der Alpen›, wie umgekehrt ‹cisalpin›
(eigentlich ‹diesseits der Alpen›) ‹südlich der Alpen› bedeutet.
soweit stört, als das ihre Funktion verlangt. Kapitälchen
sind Lettern in Großbuchstabenform, aber annähernd in der
Größe des kleinen n. Schon der authentische Schnitt der
Garamond, wie er in der Frankfurter Schriftprobe C ONRAD
B ERNERS () erscheint, zeigt Kapitälchen für Grade.
Während man hervorzuhebende Stichwörter gern in Kur-
siv setzte, blieben die Kapitälchen den Namen von Perso-
nen, zuweilen aber auch Ortschaften, vorbehalten. In den
die Antiqua benutzenden Ländern bildeten sich seit der
Mitte des neunzehnten Jahrhunderts nützliche und allge-
mein verbindliche Regeln heraus, die auch wir annehmen
und lernen müssen, wenn wir die Antiqua richtig gebrau-
chen wollen. Es wäre absurd, andere Regeln aufzustellen.
Die richtigen Regeln haben längst ihre Brauchbarkeit be-
wiesen, dürfen also unbesehen übernommen werden. Auch
verbietet die Rücksicht auf Leser anderer Sprache, es anders
als die übrige Welt zu machen. Wir sind also nicht frei, Kur-
siv und Kapitälchen, so wie es uns gerade einfällt, zu ver-
wenden, sondern müssen endlich die Kinderschuhe ablegen
und Kursiv und Kapitälchen richtig verwenden lernen. Bis
jetzt geschieht dies noch viel zu selten.
Wo Kursiv, wo Kapitälchen?
Selbst in Lehrbüchern dürfen weder Kursiv noch Kapitäl-
chen als Signalscheiben des laufenden Textes, also als Ord-
nungsmittel der Übersicht, mißbraucht werden. (Sind sol-
che Signalzeichen durchaus nötig, so setze man fette Sterne
vor das Stichwort.) Sie dienen eigentlich überhaupt nicht
zur Hervorhebung, sondern nur zur Verdeutlichung und
Differenzierung. Die ‹Rubrizierung› des Textes wird durch
die verschiedenen Arten der Überschriften und dazu manch-
mal durch Marginalien sichtbar gemacht. Die Absätze deu-
ten Gedankenpausen an. Nur in ganz seltenen Fällen darf
ausnahmsweise einmal ein quasi laut zu sprechendes Wort
oder ein Satz in Kursiv gesetzt werden. Wie das Wort
Schriftsteller verrät, gehört es zur Kunst des Schreibens,
dem wichtigen Wort den gewünschten Nachdruck durch
seine Stellung innerhalb des Satzes zu verleihen. Die in man-
chen Zeitungen blühende Fettsetzerei halber und ganzer
Sätze, überhaupt die Sucht, fast die Hälfte aller Wörter aus-
zuzeichnen, hilft dem Leser, der etwas verstehen will, gar
nicht, sondern läßt ihn meinen, er werde für schwachsinnig
gehalten. Das extreme Gegenteil aber, alles und jedes in nur
einem einzigen Grade und dazu ohne Kursiv abzusetzen,
offenbart einen wirklich erschreckenden Mangel an Höf-
lichkeit dem Leser gegenüber und ist noch weit schlimmer
als der Gebrauch zu vieler Schriftarten.
Kursiv ist in erster Linie für die Charakterisierung der im
Text vorkommenden Bezeichnungen von Büchern, Zeit-
schriften, Kunstwerken und die Namen von Häusern und
Schiffen bestimmt. Dafür erhalten diese Wörter keine An-
führungszeichen. Ferner ist es angezeigt, Wörter und Sätze
aus fremden Sprachen durch Kursivsatz statt durch Anfüh-
rung zu kennzeichnen. Dies ist eine feste Regel im Engli-
schen, im Französischen und in vielen anderen Orthogra-
phien.
Kapitälchen, genauer: Kapitälchen mit Versalien, dienen
der Kennzeichnung von Personennamen. Man sieht diese
zuweilen auch ganz in Versalien, doch fallen sie dann zu sehr
auf (JUAN DE YCIAR ist besser als JUAN DE YCIAR);
auch erkennt man nur, wenn man Kapitälchen mit Versalien
verwendet, was klein und was groß geschrieben werden
muß. Vornamen werden genau wie der Familienname aus
Kapitälchen mit Versalien gesetzt. Zusammensetzungen,
wie Ohmsches Gesetz, Röntgenstrahlen, rembrandtartig,
setzt man jedoch besser nur in gewöhnlichen Buchstaben.
Kapitälchen müssen stets ganz schwach gesperrt werden;
sonst verlieren sie alle Leserlichkeit.
Es ist eine Ermessensfrage, ob man in einem längeren
Buche die vorkommenden Namen stets so auszeichnen will.
Es besteht kein Zwang. Manchmal sträuben sich die Buch-
verfasser dagegen, denselben Namen, so oft er vorkommt,
auszuzeichnen. Aber der Versuch, dies nur zu tun, wenn der
Name zum ersten Male auftaucht, glückt selten. Man muß
die Auszeichnung entweder überall durchführen oder auf
sie verzichten.
In einer Bibliographie dagegen sollten die Verfasser stets
in Kapitälchen und Versalien, die Buchtitel stets in Kursiv
gesetzt werden. Die Verfasser von Zeitschriftenartikeln
werden ebenfalls in Versalien und Kapitälchen, die Aufsatz-
titel in Gewöhnlicher und nur die Zeitschriftentitel in Kur-
siv gesetzt. (Zeitschriften sind Bücher.)
Nicht allgemein bekannte Eigennamen, wie ‹Salon des
Refusés›, sowie nicht allgemein geläufige und in übertrage-
nem Sinne oder mit Vorbehalt gebrauchte Wörter, wie ‹Hu-
renkind› (Ausgangszeile am Kopf einer Seite), dürfen zwi-
schen Anführungszeichen gesetzt, sollen aber in Gewöhn-
licher, nicht in Kursiv erscheinen. Auch wird man einen un-
geläufigen Begriff, der erläutert werden soll, wie ‹Kraft des
Pinsels›, gern zwischen Anführungszeichen setzen.
Zitate setzt man ebenfalls aus gewöhnlicher Schrift, faßt
sie aber mit Anführungszeichen ein.
Die aufgeführten Regeln entsprechen der englisch-fran-
zösischen Methode, sind international gültig und der in
deutschsprachigen Büchern häufigen Willkürlichkeit vor-
zuziehen.
Von der Halbfetten rede ich lieber gar nicht; vor ihrem
Gebrauch im Buche, außer in Nachschlagewerken und allen-
falls für Überschriften, ist dringend zu warnen. Ihre Funk-
tion ist Blickfang, nicht Differenzierung.
Ist, etwa in einem Vorwort, die Kursiv Grundschrift, so
wird diese mit Gewöhnlicher ausgezeichnet, nicht etwa mit
gesperrter Kursiv.
Es gibt Leute, die jede Differenzierung des Textes ver-
werfen. Sie sagen, sie bewirke Unruhe. Aber diese Leute
schütten das Kind mit dem Bade aus. Man schaut den Text
ja nicht bloß an, man soll ihn gut lesen können. Die kleine
‹Unruhe› erleichtert die Aufnahme des geschriebenen Wor-
tes ungemein und belebt es sogar in angenehmer Art. Und
die dauernde Belästigung durch Anführungszeichen statt
Kursivsatz ist auch nicht erfreulich. Denn es gibt mehrere
Gründe für den Gebrauch von Anführungszeichen! Aller-
dings verlangt der richtige Gebrauch von Kursiv, Kapitäl-
chen und Anführungszeichen im Buche von Autor und
Lektor strenge Selbstzucht, und es gibt Autoren, die diese
nicht gern üben.
‹Großbuchstaben›, die oft auf feineren Drucksachen ge-
braucht werden, und an Stelle von nur Versaliengrößen
besitzt man in denselben Graden mit den Kapitälchen ver-
schiedene Sorten von Großbuchstaben in subtiler Abstu-
fung. Der Besitz von Kapitälchen ist ein Muß für eine gut
einzurichtende Druckerei.
Anführungszeichen
wendet werden. Nur sie verdienen eigentlich den Namen;
denn die deutschen Anführungszeichen haben, scheint mir,
ja keine Ähnlichkeit mit Gänsefüßchen. In Deutschland
zeigen sie meistens mit der Spitze nach innen: »n«; in der
Schweiz müssen sie mit der Spitze nach außen zeigen: «n».
Sie sollten, außer vor den Buchstaben mit Fleisch A, J, T,
V, W und nach Schlußpunkten, stets mit einem Spatium ge-
setzt werden.
Es ist freigestellt, ob man in deutschem Antiquasatz deut-
sche oder französische Gänsefüßchen verwenden will.
Die Sache wird verzwickter, wenn man gewahr wird, daß
es nicht dasselbe ist, eine gesprochene Rede anzuführen
oder ein ungebräuchliches Wort einzuführen. Manche ha-
ben da zum andern Stil Zuflucht genommen, benützen also
beide Arten, «n» und „n“. Andere nehmen für das anzufüh-
rende Wort die Hälfte des Pärchens, also ‹n› oder ,n‘ (bei-
leibe nicht ,n’! Der Apostroph darf nicht auch Anführungs-
zeichen sein!). Was aber tun, wenn es keine ‹n› gibt, ganz
genau zu den «n» passend? Diese zwei erwünschten Zei-
chen fehlen in fast allen Schriften. Man kann sie aber von der
Linotype bestellen: die Garamondform ‹ › für Garamond
und Janson; und von der Monotype die Bembo-Form ‹ ›,
die zu den meisten Antiquaschriften paßt. Diese halben
Gänsefüßchen sind die beste Anführung der gesprochenen
Rede, und man könnte die barocken Pärchen für die ande-
ren, aber selteneren Notwendigkeiten aufsparen.
Anführung innerhalb einer Anführung: Manche setzen
«–, ‘–», andere «–,, “–», benützen also dann die sonst nicht
verwendete Sorte. Es ist aber schwer einzusehen, wozu es
überhaupt des Wechsels bedarf. Man kann ganz gut setzen:
«–« »–», da die innere Anführung wohl immer ganz kurz
ist. Ich ziehe folgende Art vor: ‹–« »–›, wie ich überhaupt
den einfachen Anführungszeichen dieser Form ‹ › den Vor-
zug gebe.
Die Engländer unterscheiden zwischen single quotation
marks (‘n’) und double quotation marks (“n”). Viele gute eng-
lische Drucker ziehen heute für die Anführung der gespro-
chenen Rede die single quotation marks vor, weil die doppelten
das Satzbild so unruhig machen. Auch hier sind Spatien
empfehlenswert, damit das Anführungszeichen am Ende
nicht zu einem Apostroph wird.
Die meisten Länder haben eine eigene Art der Anfüh-
rungszeichen und ihres Gebrauchs. Aufschluß darüber er-
teilen WILHELM H ELLWIG , Satz und Behandlung fremder
Sprachen, und PAUL G RUNOW, Richtlinien für den Satz frem-
der Sprachen.
maschine durch doppelte Unterstreichung darstellen):
Voss, H. Dahinter Doppelpunkt.
Stammt eine Arbeit von zwei Autoren, so dürfen auch die
Wörter ‹und, and, et› in Kapitälchen dort gesetzt werden,
wo die Arbeit im Text erwähnt wird. Obwohl diese Satz-
weise nicht konsequent ist, läßt sie deutlich erkennen, daß
es sich um eine Arbeit zweier Autoren und nicht um zwei
verschiedene Arbeiten handelt. In den Literaturverzeich-
nissen jedoch setzt man statt ‹und, and, et› besser nur ein
Komma, weil dieses in allen Sprachen verstanden wird.
‹et al.› (et alii = und andere) wird stets in gewöhnlichen
Gemeinen gesetzt.
Es ist unrichtig und durchaus verwerflich, Verfasser-
namen kursiv zu setzen. Falls keine Kapitälchen vorhanden
sind, sollen die Verfassernamen gar nicht hervorgehoben
werden.
Reihenfolge bei kompletten Buchtitelzitierungen: Autor
in VERSALIEN und K APITÄLCHEN, am liebsten leicht ge-
sperrt (auf der Monotype mit oder Einheiten), Doppel-
punkt. Titel ungekürzt, in Kursiv, Punkt. Verlagsort, Komma.
Erscheinungsjahr in gewöhnlicher Schrift, Punkt. Beispiel:
Artikeltitel in gewöhnlicher Schrift, nicht kursiv (Bei-
spiele und ). Sie dürfen zwischen Anführungszeichen
gestellt werden (Beispiele und ). Vor dem Buch- bezie-
hungsweise dem Zeitschrifttitel darf ein Halbgeviert-Ge-
dankenstrich stehen.
Buchtitel und Zeitschrifttitel in Kursiv (auf der Schreib-
maschine einmal unterstreichen). Abkürzung der Zeit-
schriftennamen nach den einschlägigen Listen, zum Bei-
spiel nach World Medical Periodicals, . Auflage, .
Jahrgang in Kursiv (im Manuskript einmal zu unterstrei-
chen), Seitenzahl gewöhnlich, eventuelle Jahreszahl in ge-
wöhnlicher Schrift zwischen Klammern, Schlußpunkt.
Eventuelle Länderangaben wie ‹(Dtschl.)›, ‹(Österr.)›
zwischen runden Klammern, aber in gewöhnlicher Schrift.
Beispiele:
. JAN TSCHICHOLD : ‘Color Registering in Chinese
Woodblock Prints.’ – Printing & Graphic Arts, Lunen-
burg, Vermont, , – ().
Vom Durchschuß
Satz. Aber das ist kein Grund, in solchen Fällen Halbge-
vierte oder noch größere Wortzwischenräume zu verwen-
den. Die oberste Forderung an den guten Setzer ist ge-
schlossene Zeilenwirkung, die nur durch Drittelsatz er-
reichbar ist. Frühere Zeiten haben selbst die Antiqua viel
enger gesetzt als wir; so zeigt die Schriftprobe mit dem Ori-
ginal der Antiqua Garamonds von im -Punkt-Grad
in allen Zeilen einen Ausschluß von nur Punkten, das
heißt von einem Siebentel-Geviert! Man kann also bei so-
genanntem Drittelsatz noch nicht von sehr engem Satz
reden.
Wenn allerdings der Durchschuß so stark oder noch stär-
ker ist als der Kegel, dann darf man auch ein wenig ‹weiter›
setzen als in kompressem Satz: sonst könnten sich die Wör-
ter infolge des sehr weiten Zeilenabstandes optisch zu sehr
nähern und damit die Lesbarkeit des Ganzen vermindern.
Nicht immer ist man sich dessen bewußt, daß auch die
verschiedenen Schriftarten verschiedenen Durchschuß ver-
langen. Genau so, wie man schon einzelne Zeilen aus kräf-
tigen Fraktur-, Schwabacher- und Texturschriften ‹sehr
eng› setzen muß (größere Grade noch enger als mit Drit-
teln), damit die Zeilenbänder nicht zerfallen, so vertragen
diese dunklen Schriften auch keinen allzu starken Durch-
schuß; sie müssen als glatter Satz ziemlich kompakt wirken.
Das gilt sogar noch für die älteren Antiquaschriften wie die
Garamond-Antiqua, wenngleich hier ein wenig mehr Durch-
schuß noch nicht schadet. Ganz anders aber ist es bei den
jüngeren oder klassizistischen Antiqua- und Frakturschrif-
ten des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts: der
Bodoni-, der Didot- und der Walbaum-Antiqua und der
Unger-Fraktur: sie alle verlangen kräftigen Durchschuß
und wirken kompreß überhaupt nicht gut. Man kann also
nicht ohne Schaden eine aus Garamond gesetzte, wohlgera-
tene Seite in eine ebenso gesetzte Bodoniseite verwandeln;
diese wird wahrscheinlich stärkeren Durchschuß fordern.
Daraus folgt, daß splendid gesetzte, weit durchschossene
Bücher eher aus einer jüngeren, kompreß gesetzte unbe-
dingt aus einer älteren Antiqua gesetzt werden sollten.
Der Durchschuß in einer buchähnlichen Arbeit hängt
auch von der Breite der Papierränder ab. Ein kräftiger
Durchschuß setzt breite Ränder voraus, damit die Satz-
fläche überhaupt recht in Erscheinung tritt. In einer älteren
Antiqua gesetzt, kann der gleiche Satzspiegel eines Buches
sowohl schmälere wie breitere Ränder erhalten; im ersten
Fall wirkt das Buch einfacher, im andern ‹splendid›.
Bücher erzählenden Inhalts mit Illustrationen sind eine
besondere Angelegenheit. Hier kommt es vor allem auf den
vollendeten Zusammenklang von Illustration und Satz-
spiegel an. Richtig wäre es, immer zuerst das Satzbild aus-
zuarbeiten und dies dem Illustrator zu übermitteln, damit
dieser seine Zeichnung dem Seitenbild anpaßt. Wenn aber
die Zeichnungen schon vorliegen, dann muß der Setzer ver-
suchen, ein Satzbild zu erzeugen, das noch einigermaßen
gut mit den Zeichnungen zusammengeht. Besonders
schwer ist es, für schwere Holzschnitte (in Langholz) das
passende Satzbild zu finden. Die alte Schwabacher ist hier
oft die gegebene Schrift. Wird Antiqua verlangt, so ist eine
Lösung erheblich mühsamer. Vielleicht hilft ein großer
Grad über die Schwierigkeiten hinweg. Eine halbfette An-
tiqua des älteren Schnittes kommt für ein schönes Buch nie-
mals in Frage; eine fette Antiqua neueren Schnittes ist zwar
dunkel, paßt aber nicht zu Langholzschnitten.
Etwas Allgemeingültiges über den richtigen Durchschuß
moderner Künstlerschriften zu sagen, ist kaum möglich. Je
mehr sich eine solche Schrift dem älteren oder jüngeren An-
tiquastil nähert, wird geringerer Durchschuß möglich oder
stärkerer nötig sein. Hier sind Entscheidungen nur ange-
sichts probeweise gesetzter Seiten möglich.
Schließlich übt die Länge der Zeilen, das heißt die Anzahl
der Buchstaben in der Zeile, einen Einfluß auf den Durch-
schuß aus. Zeilen über Cicero aus den Brotschriftgraden
fordern fast immer Durchschuß, besonders lange naturge-
mäß viel, da sonst das Auge Mühe hätte, die richtige nächste
Zeile zu finden. Aber so lange Zeilen sind überhaupt nicht
gut; wo immer möglich, wird man versuchen, entweder
schmäler oder zweispaltig zu setzen oder einen größern
Grad zu verwenden.
Es gibt jedoch keine feststehende ideale Länge für die
Zeilen eines Buches. Zentimeter ( Cicero) sind eine
gute Breite, wenn es sich um Petit- bis Garmondgrade han-
delt. Für den Cicerograd einer Antiqua ist diese Satzbreite
zu schmal. Abscheulich wird die von manchen irrtümlich
als Ideal angepriesene Breite von Zentimetern, wenn der
Grad noch größer ist. Die Folge sind Zeilen, die man kaum
noch schön ausschließen kann.
Der Satz von Notenziffern
und Fußnoten
Ziffern aus dieser Schrift fast niemals richtig. Sie passen nicht
einmal zu Walbaum oder Bodoni.
Im Linotypesatz benütze man ‹durchlaufende› hochste-
hende Versalziffern der Grundschrift mit -Punkt-Bild
(Handmatrizen) und im Monotypesatz Bruchziffermatri-
zen von genau passender oder der Grundschrift wenigstens
ähnlicher Form. Ob diese Ziffern gemeine Ziffern oder Ver-
salziffern sind, ist unerheblich; beide passen, wenn nur die
Schriftart zur Grundschrift gehört oder ihr ähnlich ist. Ver-
salziffern sind aber vorzuziehen.
b. Die Parenthese hinter den Ziffern stammt aus der
handschriftlichen Vorlage und ist überall entbehrlich. Sie
stört das Satzbild grundlos und belästigt den Leser.
c. In gutem Satz darf das Spatium vor den Notenziffern
nicht fehlen, weil sonst die Ziffer sich nicht gut abhebt. Sie
darf nicht am Wort kleben.
a. In die typographische Hölle gehören die Bruchziffern
am Anfang der Fußnoten. Bruchziffern in und gar Punkt
sind so klein, daß man sie kaum oder überhaupt nicht mehr
lesen kann. Sie müssen aber deutlich sein, weil man sie sucht.
Hier ist die Kleinheit der Bruchziffern sinnlos und eine
Plage. Im Text soll der Verweis klein sein: darum verwen-
det man dort Bruchziffern. Die Fußnote soll schnell gefun-
den werden: daher ist hier die normale Ziffer des Grades der
Fußnote allein richtig, niemals eine Bruchziffer!
b. Dieser Ordnungsziffer von normaler Form und Größe
folgt ein Schlußpunktals unentbehrliches Satzzeichen. Frei-
stellung der Ziffern ist weder nötig noch schön; richtig ist
der Einzug der ersten Zeilen mit einem Geviert des Grades.
Die Punktzahl des Einzugs im Text auch im Satz der Fuß-
noten beizubehalten, halte ich für gesucht und veraltet;
doch mag diese ältere Regel in Ausnahmefällen nützlich sein.
c. Unerklärlich ist das Fortleben der Cicero langen
linksstehenden Stumpffeinen über den Fußnoten, die ent-
behrlicher ist als ein Blinddarm für den Menschen. Sie soll
wohl Text und Fußnoten trennen und die Fußnoten eröff-
nen. Das bewirkt aber bereits der kleinere Grad. Wird die
Trennung durch eine Linie durchaus gefordert, so soll die
Stumpffeine über die ganze Breite des Satzes gehen.
d. Ganz harmonisch ist eine Seite nur, wenn Text und
Fußnoten mit gleich viel Punkten durchschossen sind, zum
Beispiel: der Text aus Punkt mit Punkt und die Noten
aus Punkt mit ebenfalls Punkt. Es ist aber nicht falsch,
die Noten mit Punkt weniger als den Text zu durchschie-
ßen. Ein stärkerer Unterschied im Durchschuß macht die
Gruppe der Fußnoten merkbar dunkler als der Text wirkt
und ist daher nicht gut.
So wie im Text eines Buches zwischen den Absätzen kein
zusätzlicher Durchschuß verteilt werden darf, soll auch
zwischen den einzelnen Fußnoten einer Seite kein solcher
erscheinen.
e. Wer dem Irrtum huldigt, auf Einzüge verzichten zu
dürfen, wird die Folgen auch beim Satz der Fußnoten zu
spüren bekommen. Die laienhafte Scheidung der Fußnoten
durch einige Punkte Durchschuß, gelegentlich sogar durch
nur Punkt, ergibt ein unartikuliertes, höchst unklares,
unrhythmisches und daher häßliches Satzbild. Eine solche
Satzweise ist genau so verwerflich wie der Satz selbst ein-
facher Texte ohne Einzüge am Anfange der Absätze. Er be-
wirkt das Gegenteil von Gestalt: Ungestalt.
Einige Besonderheiten mögen noch kurz behandelt wer-
den.
Falls in einem Buche nur eine einzige Fußnote vorkommt
oder nur je eine einzige auf vereinzelten Seiten, dann wirkt
es sonderbar, wenn jedesmal die Ziffer als Verbindungs-
mittel auftritt. Der Stern ist in solchen Fällen besser, sonst
aber sind Ziffern den Sternen vorzuziehen.
Im Text steht vor dem Stern kein Spatium, wohl aber
muß dem Stern in der Fußnote ein -Punkt-Spatium folgen.
Aus einem Wort oder aus wenigen Wörtern bestehende
vereinzelte Fußnoten darf man zur Mitte der Seite stellen;
dies trägt zur Harmonie zentrierten Satzes bei. Stehen aber
mehrere Fußnoten auf der gleichen Seite, so ist die Zentrie-
rung einer kurzen Fußnote nicht richtig.
Es kommt vor, daß viele ganz kurze Fußnoten aufeinan-
der folgen und, untereinandergestellt, das Gleichgewicht
der Doppelseite stören würden. Solche Fußnoten stellt man
hintereinander und trennt sie durch Gevierte. Alle Fuß-
noten müssen Schlußpunkte erhalten.
Sehr lange Fußnoten mag man zur Hälfte auf die linke,
zur Hälfte auf die rechte Seite stellen, doch sollte man diese
Methode nicht auf die Spitze treiben.
Ist der Textsatz sehr breit und aus Cicero oder einem
noch größeren Grade gesetzt, so wird man die Fußnoten
vielleicht zweispaltig setzen. Enthält dann eine der beiden
Spalten eine Zeile weniger als die andere, so ist das weniger
schlimm, als die Differenz durch Verteilung von zusätz-
lichem Durchschuß zwischen den Gruppen zu verwischen.
Fußnoten sind die späteste und höchstentwickelte Form
der Noten. Marginalnoten fordern einen Rand auch dort,
Modell für Notenziffern und Fußnoten.
wo er nicht benötigt wird; sie zu finden ist oft nicht einfach,
wenn irgendeine Note zufällig sehr lang ist und bereits die
nächste weit entfernt von dem Zifferhinweis steht. Sie sind
eine längst veraltete Form.
Auf jeder Seite wieder mit Note zu beginnen, ist aus vie-
len Gründen nicht zu empfehlen. Man zählt am besten ent-
weder alle Noten eines Buches durch oder doch wenigstens
die der einzelnen Kapitel. Nur so verhütet man, daß die
Noten ihren richtigen Platz verlieren. Die Fußnoten am
Schlusse der Kapitel oder des ganzen Buches zusammenzu-
fassen, ist zwar keineswegs verkehrt, vermag aber zuweilen
die Lektüre eines Buches zu erschweren.
Ein tadellos hergestelltes Buch erkennt man daran, daß
die letzte Zeile der Fußnoten mit Punkt unterlegt ist und
daher genau Register mit der Schriftlinie einer normalen
Schlußzeile hält. So vollendet hergestellte Bücher sind leider
seltene Vögel.
Auslassungspunkte
Zur Funktion
AUSLASSUNGSPUNKTE zeigen an, daß entweder ein paar
Buchstaben eines Wortes oder daß ein Wort oder mehrere
ausgelassen sind.
Die Auslassungen von Wörtern nennt die Grammatik
Ellipsen. Nicht jeder Schriftsteller ist solch ein Meister der
Ellipse wie Laurence Sterne. Wie der sogenannte Gedanken-
strich verhüllen auch die Auslassungspunkte nicht selten
des Schreibers Ohnmacht, sich auszudrücken. Meistens
sind sie entbehrlich.
Aber nur der Meister des Wortes bedarf dieser Abtönungen,
und häufiger Gebrauch der Auslassungspunkte ist eine stö-
rende Manie. (Wie unbestimmt würde dieser Satz werden,
wenn ich drei Auslassungspunkte an sein Ende setzte! Ich
habe niedergeschrieben, was ich sagen wollte und kann;
setzte ich drei Auslassungspunkte, so überließe ich es dem
Leser, auf der Wiese zu verweilen und nach weiteren Blu-
men zu suchen. Wenn ich aber meine, schon alle gepflückt
zu haben, dann widerspricht es dem Anstand, den Leser auf
die Suche zu schicken.)
Noch im achtzehnten und am Anfang des neunzehnten
Jahrhunderts setzte man an Stelle ausgelassener Buchstaben
eines Namens Sterne: Madame de R***. Dies gilt jetzt als
veraltet. Der heutige Schriftsteller würde hier entweder
Auslassungspunkte oder einfache Abkürzungspunkte set-
zen.
Zur Satzweise
Handelt es sich um einzelne ausgelassene Buchstaben zur
Verhüllung eines anstößigen Wortes oder eines Namens, so
pflegt man genau so viele Punkte zu setzen wie Buchstaben
stehen müßten, um dem Kundigen anzuzeigen, ob er das
ganze Wort richtig erraten hat. Setzt man ohne solche Rück-
sicht beständig drei Punkte, so wird die Verhüllung mei-
stens unauflöslich.
Für ausgelassene Wörter, ob eines oder mehrere, setzt
man niemals mehr als drei Punkte, auch wenn das Manu-
skript vier oder noch mehr zeigt. Zuweilen sieht man aber
nur zwei Punkte gedruckt; das ist aber undeutlich und
nicht ungefährlich. Nur drei Punkte sind richtig.
Die übliche Satzweise solcher Punkte befriedigt nicht.
Erstens reißen sie störende Löcher in das Satzbild, sofern sie,
wie üblich, gesperrt sind. Darum sollte man sie ganz ohne
Spatien setzen oder setzen lassen. Zweitens ist es unlogisch,
vor den Wörter andeutenden Punkten, wie üblich, so viel
Spatium zu haben wie zwischen den Punkten. Einem Wort
muß zunächst der volle Wortabstand der Zeile folgen. Un-
ser Schluß lautet: Die drei Auslassungspunkte werden un-
spatiiert gesetzt, und vor ihnen liegt der Wortabstand der Zeile :
‹Aber … ich will es nicht beschreiben.› Folgt den Auslassungs-
punkten ein Satzzeichen, so ist dieses vom letzten Punkt durch ein
Punktspatium zu trennen: ‹Also nahm sie solche ohne Weige-
rung an … , und ich führte sie nach der Türe zur Wagen-
remise.›
Ebensowenig sollen die Punkte, die einzelne ausgelassene
Buchstaben andeuten, spatiiert werden; vor ihnen wird
natürlich erst recht kein Spatium gesetzt.
Nur wenn man die Auslassungspunkte ohne Spatien setzt,
entsteht ein gutes Satzbild, und nur dann bleibt es erhalten.
Gedankenstriche
Funktion
Wie Semikolon und Anführungszeichen ist der Gedan-
kenstrich ein neueres Zeichen, das in älterer und alter Lite-
ratur nicht zu finden ist. Noch Goethe und seine Zeit be-
durfte seiner nur selten. Auch heute noch ist der Gedanken-
strich häufig entbehrlich und sollte, wo immer möglich,
durch Kommas oder Parenthesen ersetzt werden.
Satztechnik
bleibt ein Rätsel, warum sie nicht zu jeder Schrift, und zwar
in genau passender Zeichnung, mitgeliefert werden. Man-
che Handsetzer meinen, sie dürften den Bindestrich auch
als Gedankenstrich verwenden, wenn sie ihn mit Wortab-
ständen setzen; doch ist das ein Irrtum. Der Bindestrich ist
zu kurz.
Form
‹Hurenkinder›
und ‹Schusterjungen›
haupt verkehrt ist, den Textschreiber um Änderungen zu-
gunsten eines schönern typographischen Aussehens zu bit-
ten. Zuerst muß man noch einmal alle Nachbarseiten an-
sehen, ob sich denn gar nichts ein- oder ausbringen läßt.
Vielleicht darf der Überschlag eines Kapitelanfangs einmal
um eine Zeile knapper gehalten werden. Die beste Methode
aber scheint mir, die vorhergehende Seite einfach um eine
Zeile zu kürzen! Natürlich erscheint dann an deren Fuß
eine blinde Zeile, doch stört diese nicht, wenn der Kolum-
nentitel oben steht, die Buchränder nicht extrem schmal
sind und der Satz nicht zweispaltig ist.
Oder man macht einmal eine Seite ausnahmsweise um
eine Zeile länger. Dies geht aber nur in Büchern mit genü-
gend breiten Rändern. (Siehe Seite in diesem Buche.)
Diese Art ist nicht etwa meine Erfindung. Ich habe sie in
Büchern der Wende zum neunzehnten Jahrhundert ange-
wendet gefunden und halte sie für wert, bekannt und wie-
der benützt zu werden.
Der Neusatz ganzer Gruppen, den das Austreiben und das
Einbringen mit sich bringt, kostet Geld. Wenn der Ver-
leger sich weigert, diese ‹unverlangte Mühe› zu bezahlen,
dann entsteht Streit. Umbricht man aber mit Hilfe der be-
schriebenen Blindzeilen, so gibt es keinen Neusatz und
keine Fragen.
Nichts einzuwenden ist gegen ‹Hurenkinder› unter der
durchgehenden Linie, die unter einem lebenden Kolumnen-
titel steht. In diesem Falle ist das Rechteck der Buchseite
unbeschädigt.
Ungeeignet ist der noch immer wiederkehrende Trick,
eine Seite zwar um eine Zeile zu kürzen, sie aber dann mit
Papierstreifen zu durchschießen, um die richtige Höhe wie-
der herzustellen. Nicht nur weil Papier quillt, sondern auch
weil wir dann das Zeilenregister, Merkmal eines gut um-
brochenen Buches, verlören.
‹Hurenkinder› sollen also nicht vorkommen.
Manche verwerfen aber auch Anfangszeilen am Fuße
einer Seite (‹Schusterjungen›, ‹Waisenkinder›). Mir scheint,
daß das nicht mehr als ein Wunsch sein darf. Man soll nicht
zuviel verlangen. Nur solange man noch austreiben durfte,
fast wie man wollte, das heißt, bevor der enge Satz zur
Richtschnur wurde, waren solche Wünsche auch erfüllbar.
Anfangszeilen am Fuße einer Seite sind also wohl uner-
wünscht, aber zulässig. Was an ihnen stört, ist der Ausgang
über ihnen, der helle Raum über der einzelnen letzten Zeile.
Manchen könnte der Einzug stören, wenn die Seitenzahl
unten steht. Ich ziehe diese, falls sie nicht zentriert ist, daher
stets mit ebensoviel Punkten ein wie die Absätze des
Textes.
Die typographische Planung
von Tafelwerken
Abbildung .
Abbildung .
man mit ihrer Hilfe die Stellung der Klischees und das Aus-
sehen der Seitenpaare unmißverständlich festlegen kann.
Auch die Querbilder müssen in ihrer Größe und Stellung
dem Satzspiegel folgen (Abbildung ). Falls das Buch sehr
breite Ränder hat, kann man ihre Höhe (b) nach der Satz-
spiegelbreite richten und die Legende auf den Rand setzen.
Sonst aber, das heißt in der Regel, muß die Legende inner-
halb des Satzspiegels stehen und das Bild entsprechend klei-
ner sein (Abbildung ).
Die ursprünglichen Bildproportionen müssen, zumal bei
Abbildungen von Kunstwerken, erhalten bleiben. Es wäre
verfehlt, diese zugunsten einer vollen Ausnützung des Satz-
spiegels zu verändern. Es kann daher nicht verlangt werden,
Abbildung .
daß die Abbildungen stets sowohl die Höhe als auch die
Breite des vorhandenen Maximalraumes ausfüllen. Haben
alle Bilder die gleichen Proportionen, so wird man die Höhe
des Textsatzspiegels nach den Bildern einrichten, natürlich
ohne die Legenden unter den Bildern außer acht zu lassen.
Abbildungen von Gemälden und anderen Kunstwerken
dürfen niemals angeschnitten werden. Weil bei einem Bild
auch der letzte Millimeter von Bedeutung ist, darf schon der
Chemigraph nur das unbedingt Nötige am Rande des Kli-
schees abschneiden. (Anzuschneidende Klischees müssen
an den Seiten, wo das Messer auftrifft, um volle Millimeter
größer sein.) Ein Kunstwerk aber wird entstellt, wenn man
es in verkürzter Form darbietet.
Tafelwerke mit eingeschalteten Tafeln sind teurer als sol-
che mit nachgeheftetem Tafelteil. Am kostspieligsten sind
eingeklebte Einzeltafeln, zumal wenn diese an anderen Stel-
len als vor der ersten Seite oder in der Mitte des Bogens auf-
treten sollen. Ihr Klebrand entstellt die Buchseite, auf der
das Bild befestigt ist. Billiger und von besserer Wirkung ist
das Umlegen und Einstecken von Viertelbogen, da dann
das mühsame Kleben entfällt.
Aus den Abbildungen , und geht hervor, daß die
Stellung der Abbildungen die gleiche sein muß wie die des
Textes. Textseite und Bild sollen sich durch den gemein-
samen Papierrand zu einer Einheit verbinden. Denn auch
ein Abbildungswerk ist ein Buch, und in einem Buche
herrscht das Grundgesetz, daß man das Seitenpaar und
nicht die Einzelseite im Auge haben muß. Meinte man, die
Bilder seien eine Sache für sich und müßten in der Mitte des
Papiers stehen, so hätte es wenig Sinn, sie niemals größer als
den Textsatzspiegel zu machen. Daß die Abbildung wie eine
Textseite gestellt werden muß, bezieht sich wohlgemerkt
auch auf querstehende Illustrationen (Abbildung ). Es ist
abwegig, hier das Buch ganz zu vergessen und sie unab-
hängig vom Satzspiegel in die Mitte des Papiers zu stellen.
Zur Abbildung .
Beispiel eines Spezialspiegelschemas für Tafelwerke, Die fette Linie
zeigt den vollen Satzspiegel. a = Maximalhöhe einer ganzseitigen
Abbildung im Hochformat, b = Maximalhöhe einer ganzseiti-
gen Abbildung im Querformat. Die Differenz (c) zum vollen
Satzspiegel muß dem Räume zweier Zeilen entsprechen, also bis
Millimeter betragen.
Abbildung .
Siehe die Beschreibung nebenan unten.
Abbildung .
Schon das weiße Blatt zur linken Hand verlangt eine ge-
wisse Näherung der Tafel zum Falz.
Treten jedoch die Tafeln paarig auf, so darf man sich nicht
allzu weit von der Regel entfernen, daß der innere Rand
halb so groß sein soll wie der äußere. Sonst zerfallen die Sei-
tenpaare, die auch Paare bleiben, wenn sie sehr ungleich
sind (Abbildung b). Bei der Ausmessung solcher Tafeln
gelten die Maximalmaße, die durch ein vorher hergestelltes
und gedrucktes Schema (Abbildung ) festgelegt werden
müssen. Der Bildumbruch wird auf diese Schemaseiten ge-
klebt und dabei die Höhen Stellung der Abbildung festge-
legt. Hohe, lange Bilder füllen den Satzspiegel der Länge
nach aus und stehen natürlich in der Mitte der Horizonta-
len des Bildsatzspiegels (Abbildung , links), schon um Re-
gister zu wahren, während kleine Bilder (Abbildung ,
rechts) so gestellt werden müssen, daß das Verhältnis zwi-
schen der Entfernung zum oberen Schnitt und der zum un-
teren Schnitt der Proportion : oder : entspricht.
Die Legenden bleiben dabei stets bei den Bildern. Gewiß
kann man wohl auch die Legenden in konstanter Höhe, das
heißt am Fuß des Bildsatzspiegels, belassen, doch ist das nur
in besonderen Fällen möglich. Sind die Tafeln numeriert,
wie es in der Abbildung angedeutet ist, so ist die Stellung
dieser Ziffern auf allen Tafeln die gleiche; sie müssen genau
Register halten. Man sieht zuweilen Bücher, deren Tafeln
oben außen (außerhalb jedes Satzspiegels) numeriert sind.
Diese Methode ist kostspielig und selten richtig. Sie ist
nicht buchmäßig und verteuert den Satz. Selbst wenn Setzer
und Drucker sich die größte Mühe geben und diese Be-
zeichnungen wirklich an genau gleicher Stelle stehen, ver-
Abbildung a.
Textteil.
Abbildung b. Tafelteil desselben Buches.
Größerer Satzspiegel, doch in der Proportion des Textsatzspiegels.
Abbildung .
Von größter Wichtigkeit ist die Laufrichtung des Papiers.
Wie das Textpapier, so muß auch das Bilderpapier in der
Richtung des Buchrückens laufen (Abbildung ). Man darf
Abbildung .
Abbildung a. Querstehendes Bild neben einer Textseite.
Auf Halbkarton oder Papier aufgelegte Abbildungen
Abbildung d. Zwei quer stehende Bilder müssen beide von der rech-
ten Seite her angesehen werden können; die Drehung von Bild
nach außen wäre schlecht, da der Leser sich ärgert, wenn er das
Buch zweimal drehen muß.
Abbildung a.
Abbildung b.
Abbildung .
Abbildung .
Schließlich sei noch darauf verwiesen, daß die letzte Tafel
keine querstehende sein darf und daß die beiden letzten
Seiten eines am Ende des Buches auftretenden Tafelteils
ebenso wie die beiden ersten Seiten des ersten Bogens un-
bedruckt bleiben sollten. Etwas, das, wenn überhaupt, erst
bemerkt zu werden pflegt, wenn es zu spät ist.
Bogensignaturen und
Bogenrücken-Signaturen
Die Bogensignatur
stört den Leser, für den sie ja gar nicht bestimmt ist. Im
übrigen sollte sie eingezogen sein, und zwar mit ebensoviel
Punkten wie die Absätze des Textes. Steht auch die Seiten-
zahl am Fuße der Seiten, so muß die Bogensignatur mit ihr
Linie halten.
Man kann das Kennwort auch aus einem sehr kleinen
Grade der Grundschrift in die Mitte der Bundstege, ziem-
lich weit unten, senkrecht zwischen die erste und die letzte
Seite des Bogens setzen (Abbildung ). Die Bogenziffer muß
jedoch links unter der Schriftfläche bleiben.
In kostbaren Drucken sollte man die Bogensignatur durch
die kleinen Buchstaben der Grundschrift (a, b, c usf.) er-
setzen.
Zur Nachbarseite:
Abbildung a zeigt die üblichen, aber schlechten Rückensignaturen.
Obwohl sie recht groß und schwarz sind, verhindert ihre Rich-
tung, daß sie in ungenau gefällten Bogen sicher auf dem Rücken
erscheinen. Manchmal bleibt nur ein Teil sichtbar zurück, zu-
weilen verschwindet die Signatur ganz (Abbildung b).
Abbildung a zeigt brauchbarere Rückensignaturen. Eine -waag-
recht gestellte Punkt fette Linie von Punkt Länge wird fast
immer geeignet sein. Eine solche erscheint unfehlbar auf dem Rük-
ken selbst mittelmäßig genau gefalzter Bogen (Abbildung b).
Abbildung zeigt den Abdruck des Satzes für die Stereos, aus denen
alle überflüssigen Linien herausgeschnitten werden. Es bleibt für
jeden Bogen stets nur eine Linie (und eventuell das Stichwort
unten) stehen. Stichwörter setze man aus leicht gesperrten
-Punkt-Kapitälchen.
a b a b
(falsch) (falsch) (richtig) (richtig) (richtig)
Die Bogenrücken-Signatur
nen Band teilweise sichtbar werden sollte, nur wenig. Wie
groß der Abstand von einer solchen Signatur zur andern
sein soll, muß von Fall zu Fall entschieden werden. Im all-
gemeinen wird sie am besten um Punkte nach unten fort-
schreiten.
Ein ganz regelmäßiges Fortschreiten dieser Signaturen
kann man damit erreichen, daß man eine ‹Leiter› aller benö-
tigten Signaturen absetzt (Abbildung ), davon Stereos in
der Zahl der Bögen herstellt und die jeweils überflüssigen
Linien wegschneidet.
Kapitalband, Schnittfarbe,
Vorsatzpapier, Lesebändchen
A LS man die Bücher noch mit der Hand band, umnähte man
Kopf und Fuß des Buchblockrückens über einem Perga-
mentstreifen mit Zwirn oder Seidenfaden; ursprünglich,
um mit einem solchen handgestochenen Kapital die Enden
der Lagen noch einmal zusammenzuhalten, zugleich aber
auch, um am Kopf des Buchrückens dem Finger einen Wi-
derstand zu bereiten und den Kopf des Lederrückens zu
schonen, am Fuß schließlich vorwiegend der Symmetrie
halber.
Das Wort kommt vom lateinischen caput (Kopf) und
capitalis (was zum Kopf gehört). Weil das Kapital vor allem
am Kopf des Buchrückens bemerkt wird. Man könnte ganz
gut Kopfband sagen. Und, analog dem Schwanzschnitt,
Schwanzband. Die Wortform ‹Kaptal› ist eine Verball-
hornung wie etwa ‹Nomprel› für Nonpareille.
Wird das Kapital nicht auf einen am Buchblock befestig-
ten Pergamentstreifen von Hand genäht, sondern dort ein
Band aufgeklebt, so spricht man von Kapitalband. Das Kapi-
talband kam am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts mit
dem Industriezeitalter auf. Noch die Barbou-Bände des
achtzehnten Jahrhunderts haben echte Kapitale; Verlags-
bände des frühen neunzehnten Jahrhunderts zeigen die in-
folge der Massenproduktion erforderlich gewordenen Er-
satzmittel: gefalzte Stoffstreifen, mit einem Bindfaden in
der Falzung, zusammengeklebt und so den Wulst bildend,
der die sonst sichtbaren Einkerbungen der Lagen verstek-
ken soll. Oder dasselbe aus gefärbtem Papier.
In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts muß
das heute übliche Kapitalband aufgekommen sein, das aus
Stoff gewebt und in einer nicht gerade reichlichen Farben-
und Musterauswahl verfügbar ist. Es wird in Rückenbreite
abgeschnitten und oben und unten an den Buchblock ge-
klebt; der bunte Wulst soll die Anfänge der Lagen verdek-
ken. Von einer technischen Funktion, einer Notwendigkeit
kann keine Rede mehr sein, es handelt sich nur noch um
einen Schmuck.
Um einen ‹Schmuck› wie den einer ausgefransten oder
liederlich gebundenen, unpassenden Krawatte. Es hält näm-
lich schwer, selbst unter noch nie benutzten Bänden einen
zu finden, dessen Kapitalband a) die ganz genaue Länge hat,
b) nicht wenigstens an einem Ende ausgefranst ist, c) ge-
rade sitzt, d) festhält und e) harmonisch zur Farbe des Dek-
kenüberzuges und zum Farbschnitt paßt. Womöglich
schaut es gar noch über die Deckenkanten heraus, weil der
Wulst dicker ist als die vielleicht zu schmalen Buchkanten
es erlauben.
Es bildet also meistens das Gegenteil eines Schmuckes.
Daß es ohnehin überflüssig ist, reicht für eine Verurteilung
nicht hin. Es sei aber erwähnt, daß kein englischer Verlags-
band Kapitalbänder aufweist (solche ‹mit› sind dort ebenso
selten wie deutsche ‹ohne›) und niemand daran Anstoß
nimmt, während einem hierzulande berichtet wird, daß
‹das Publikum› auf Kapitalbändern bestehe und Decken-
bände ‹ohne› als nicht fertig angezogen mißbillige. Wenn’s
wahr ist. Bücher sollen ja auf ‹holzfreiem› (!) Papier mit
schönem, breitem, unbedrucktem Rand gedruckt, in ‹Lei-
nen› (!) gebunden und mit ‹Gold› (!) bedruckt sein, einen
unzerstörbaren abwaschbaren Schutz(!)umschlag haben
und dabei womöglich nur drei Mark kosten. Und bitte nur
mit Kapitalband!
Bände ohne Kapitalband sind mir auf alle Fälle lieber und
sehen ordentlicher aus als solche mit dem fast niemals gut
sitzenden, ausgefransten Zeug. Wie wäre der Name Frans-
band?
Nicht, daß das Kapitalband stets sinnlos wäre. Es ist zu-
weilen eine sehr willkommene Schmuckmöglichkeit. Aber
meistens entbehrlich. Ein vermutlich schwer auszurotten-
der Atavismus wie unser Blinddarm. Doch am einzelnen
Buch leicht zu entfernen; Pinzette genügt.
Daß das Kapitalband meistens nicht sehr fest sitzt, mag
ja noch hingehen. Hat es wenigstens die genaue Länge, so
ist aber das eine Ende bestimmt ausgefranst, und das macht
es so unerfreulich.
Warum muß das Ding aus Kunstseide sein? Man könnte
heute leicht fransenlos schneidbares Kapitalband aus Plastik
machen (den aufzuklebenden Teil stark durchlöchert), der
sichtbare Teil gerippelt oder sonst geprägt, damit er nicht
wie eine Gummiröhre aussieht – dann wären endlich die
bisherigen so unsauberen Kapitalbänder aus der Welt ge-
schafft!
Solange es so etwas noch nicht gibt, kann man sich
bei teureren Ausgaben mit Leder-, farbigen Papier- oder
Leinen streifen helfen, die wie die oben erwähnten Stoff-
streifen um einen Faden geklebt sind und einen dickeren
oder feineren Wulst bilden. Papier, Leder und Leinen wollen
zwar auch gut angerieben sein, fransen aber nicht. Bemerkt
man keine Fransen und haftet das Bandstück gut, so bringt
einen wahrscheinlich der nicht passende Farbton des Kapi-
talbandes zur Verzweiflung, dessen Bestellnummer vermut-
lich durch das Los bestimmt wurde. Ist denn unbekannt,
daß das Kapitalband nicht irgendeine Zufallsfarbe haben
darf, sondern diese etwas mit den Farbtönen seiner Umge-
bung zu tun hat? Ein rein weißes Kapitalband schickt sich
nicht, wenn das Papier des Buches getönt ist; da müßte es
ebenso getönt sein oder sich farbig abheben. Der schmale
Streifen des Kapitalbandes kann als farbiger Kontrastreiz
willkommen sein: wenn die Decke etwa braun überzogen
ist, sieht ein grünes Kapitalband gut aus – aber alles kommt
auf die Nuancen an! Es scheint aber, daß die Kapitalbänder
von den Verantwortlichen vergessen und von Unverant-
wortlichen ausgesucht werden, so verfehlt sind sie in der
Regel!
Die Sache wird noch weit problematischer, wenn wir an
den getönten Kopfschnitt denken und gar noch ein farbiges
Vorsatzpapier und ein Leseband im Spiele sind.
*
Der Sinn eines gefärbten Schnittes ist die bessere Schlie-
ßung der oberen, dem Eindringen von Staub besonders aus-
gesetzten Schnittfläche und die Änderung der Tönung des
ungefärbten Schnittes, damit dessen spätere Verstaubung
nicht so deutlich wahrgenommen werden kann. Reinweiße
Schnittflächen, zumal dicker Bände, sehen außerdem über-
haupt nicht gut aus. Ringsum-Farbschnitt, an sich schöner
als bloßer Kopf-Farbschnitt, ist heute selten. Er sollte eine
nicht vordringliche Färbung aufweisen, die mit der Ein-
bandfarbe zusammengeht. Die knallroten Ringsum-Farb-
schnitte gewisser ausländischer Taschenausgaben finden
wir alle im höchsten Maße abstoßend.
Echt Gold und auch Schnitt-Pigment, dazu das Polieren
sowohl des Goldschnittes wie das eines Farbschnittes, für
Einzelbände noch heute üblich, tragen zur Schließung der
Schnittoberfläche erheblich bei.
Bücher mit eingeschalteten Blättern auf Kunstdruckpa-
pier, oder ganz aus solchem bestehend, vertragen weder
Farb- noch Goldschnitt, da die Seiten solcher Bücher dann
leicht zusammenkleben.
Der farbige Kopf- oder Ringsum-Schnitt nimmt an der
farbigen Komposition des Buchäußern teil und kann ent-
weder zurückhaltend in einem gelblichen Beigeton gehal-
ten sein, der sich fast immer eignet, oder in einer kräftigeren,
bewußt gewählten Farbe. Dabei muß man aber bereits mit
an das Vorsatzpapier und an das Kapitalband denken.
*
Zunächst etwas vom Vorsatz allein. Das Wort ist verkürzt
aus ‹das Vorsatzpapier› und daher sächlich: das Vorsatz,
nicht der. Das Vorsatz heißt so, weil es dem Buchblock vor-
gesetzt wird. Und nachgesetzt. Aber auch die hintere Ent-
sprechung heißt Vorsatz, nicht etwa Hintersatz. Die Eng-
länder hingegen, entirely different from the Continentals as
they are, sagen endpaper (und dafür nie etwa front paper).
Man hat schon fast vergessen, daß das Vorsatz aus bun-
tem Papier bestehen könnte. Wohin man blickt, weißes
Dänische Zeichnung: Das Vorsatz-Blatt.
ersatz-Papier der üblichen Vorsätze. Das Textpapier eignet
sich selten als Vorsatz, da es zu wenig geleimt ist und der
Zug des Einbandstoffes meist kräftiger ist als der des Text-
papiers. Ideal ist der gleiche Zug: das genau gleiche, etwa
farbige Papier also für Überzug und Vorsatz; doch sieht
man das nur sehr selten. Besonders in Quart- und noch grö-
ßeren Formaten nimmt sich ein farbiges Tonpapier als Vor-
satz weit besser aus als ein weißes. Im großen und ganzen
paßt ein chamois Vorsatz kaum zu einem weißen Text-
papier.
*
Die Auswahl an Lesebändern ist noch ärmlicher als die an
Kapitalbändern und übersteigt wohl selten ein halbes Dut-
zend. Keine schmalen Bändchen, und nur vier, fünf Farben,
die nie passen und selber häßlich sind. Obwohl das schwer-
lich der Grund für den leider so seltenen Gebrauch der Lese-
bändchen ist. Denn für eine einigermaßen nennenswerte
Auflage kann man sie ja in jeder Breite und Farbe anfertigen
lassen. Man denkt einfach nicht daran, daß ein Leseband er-
wünscht sein könnte. Um es zu vermissen, muß man natür-
lich Bücher auch lesen. Gelesen werden ist der Endzweck
eines Buches, und bessere Lektüre sollte darum mit Lese-
bändchen ausgestattet sein.
Ein Lesebändchen fordert, so scheint mir, auch ein Kapi-
talband. Nun: Überzug, Kapitalband, Vorsatzpapier und
Leseband sollten eine farbige Komposition bilden, deren
einzelne Bestandteile spürbar aufeinander bezogen sind.
Wie sehr selten sind sie das! Vielleicht haperts am meisten
beim Leseband mit seinen kümmerlichen sechs Sorten. Man
mag doch nicht vom Leseband ausgehen, wenn man das
Gewebe des Überzugs ausliest! Da ein weißes Leseband
keinen befriedigenden Ausweg eröffnet, wenn das Text-
papier getönt ist, läßt man es lieber weg, falls die zu kleine
Auflage des Buches an keine Anfertigung denken läßt. Eine
nennenswerte Auflage gestattet aber die Anfertigung eines
Lesebandes (lieber aus Seide denn aus Kunstseide) in jeder
Breite und Farbe!
*
Die Auswahl an Kapitalbändern geht so hin, was die Tö-
nungen betrifft. Aus Einbandstoff, Vorsatz und Kapitalband
kann nun eine angenehme, farbige, überzeugende Kompo-
sition entwickelt werden. Dafür im einzelnen Anleitungen
zu geben, ist hier schlechthin unmöglich. Der Versuch liefe
auf eine Farbenlehre hinaus. Die Zahl möglicher guter Lö-
sungen ist aber ebenso groß wie die Unzahl der vorhande-
nen häßlichen.
Bücher und Zeitschriften
müssen einen
Rückentitel tragen
bei, daß diese in einer Bibliothek auf lange Zeit untergehen
dürfen? Jeder Sortimenter weiß, wie ungemein lästig die
zahlreichen Bücher, Broschüren und Zeitschriften ohne
Rückentitel sind, und der Benutzer einer eigenen, leidlich
umfangreichen Bibliothek weiß das gleiche Klagelied anzu-
stimmen.
Nicht nur alle Decken bände, auch alle Broschüren von
Seiten Umfang und darüber, selbst Kataloge und Zeit-
schriften aller Art mit eckigem Rücken, müssen im wohl-
verstandenen Interesse ihrer Verleger, Käufer und Benutzer
einen Rückentitel tragen. Auch wenn ein allzu bequemer
Buchbinder davon abraten sollte.
Dünne Broschüren können nur einen Längstitel erhalten,
der auf deutschen Büchern von unten nach oben laufen muß.
Bei Büchern, die einen Zentimeter dick oder noch stärker
sind, sollte man sich indessen immer zuerst fragen, ob nicht
ein Quertitel möglich ist, dem im Prinzip der Vorrang ge-
bührt. Ein Längstitel auf einem Rücken von drei oder vier
Zentimeter Stärke ist wenig erfreulich. Da Verfasser und
Buchtitel in einem Längstitel aus einem und demselben
Grade gesetzt zu werden pflegen, ist ein solcher zumeist
weniger übersichtlich als ein gut gegliederter Quertitel;
ein Längstitel wirkt gar leicht plump und unartikuliert.
Die Rücken der Schutzumschläge könnten viel mehr als
üblich zu Angaben über den Inhalt ausgenützt werden.
Dort sollten nicht nur Verfasser, Buchtitel und am Fuß der
Verlag oder sein Signet stehen; hier ist auch oft Raum genug
für den vollen Untertitel und selbst umfangreiche weitere
Angaben wie ‹Mit Illustrationen, farbigen Tafeln
und einer Bibliographie›. Wer überhaupt etwas von Bü-
chern versteht, zieht im Sortiment nicht jedes Buch aus der
Reihe, sondern beschränkt sich auf die Lektüre der Rücken-
titel, weswegen dort die Angabe des Verlags so wichtig ist,
die im übrigen höchstens auf dem Einband wissenschaft-
licher Werke angebracht werden darf, auf andern Büchern
aber schon gar nichts zu suchen hat. Ausführlichere An-
gaben über den Inhalt auf dem Rücken des Schutzumschla-
ges können auf jeden Fall sehr nützlich sein.
Leider ist es unwahrscheinlich, daß die üblen blinden
Buchrücken allesamt verschwinden; doch sollte kein noch
so schmächtiges Druckwerk von auch nur einigem Wert
ohne Rückentitel erscheinen.
Schutzumschlag und
Streifband
Der Schutzumschlag des Buches ist eine Art Plakat. Er
soll den Blick auf sich ziehen und den Einband vor Licht,
Schmutz und Reibung schützen, bis das Buch in den Besitz
des Käufers übergeht. Der Verleger stellt ihn her, nicht um
dem zukünftigen Besitzer eine Schutzhülle zu liefern, son-
dern um sich selber und den Sortimenter vor Schaden zu
bewahren. Sorgfältig hergestellte Bücher sollten niemals
ohne wenn auch noch so bescheidene Schutzumschläge aus-
geliefert werden.
Der Schutzumschlag bildet keinen echten Teil des Bu-
ches. Das eigentliche Buch ist der Buchblock. Selbst der
Einband und mit ihm das Vorsatzpapier sind, genau genom-
men, nur unechte, weil zeitweilige Bestandteile des Buches,
die in den Papierkorb wandern, wenn es neu gebunden
wird. Der allein gültige Buchtitel steht im Innern des Bu-
ches, auf dem Titelblatt. Was auf dem Schutzumschlag
steht, ist für den Bibliographen ohne Belang; es ist nicht
notwendig, ja irrig, die Existenz eines Schutzumschlages
besonders zu erwähnen, da er, nicht anders als ein dem Buch
beigelegter Prospekt, nur eine fliegende Zugabe zum Buche
bildet.
Bilder auf dem Schutzumschlag oder dem Umschlag, ja
sogar die auf einem Pappband aufgeklebten, sollten aus
demselben Grunde im Buche nicht vorausgesetzt oder gar
als Bestandteile erwähnt werden. Bilden sie einen wesent-
lichen Bestandteil des Buches, so müssen sie dem Buch-
block, etwa als Frontispiz, eingefügt werden. Bilder auf
dem Umschlag oder dem Einband werden bald beschädigt.
Wer kein Vertrauen zur Sauberkeit seiner Hände hat,
mag das Buch zunächst im Schutzumschlag lesen: der wahre
Leser aber wirft ihn schon vor der ersten Lektüre fort; es sei
denn, er sammle Schutzumschläge als graphische Beispiele.
Sogar dann entfernt er den Schutzumschlag, um ihn in
einer besonderen Schachtel zu versorgen. Man kann ein
Buch im Schutzumschlag nicht gut festhalten und ward
ständig von der Reklame auf dem Umschlag gestört. Das
Kleid des Buches ist der Einband; der Schutzumschlag ist
nur sein Regenmantel. Um den Schutzumschlag gar einen
weiteren aus Cellophan zu legen, um jenen vor Schaden zu
bewahren, ist ebenso närrisch, wie wenn jemand den Stoff-
Überzug eines teuren Lederkoffers noch mit Papier umhüllt.
Die Vorderseite des Schutzumschlags enthält außer dem
Verfassernamen und dem Titel oft einen werbenden Text
und den Namen des Verlags. Nicht selten sind diese literari-
schen Bestandteile einer meist süßlichen Zeichnung oder
Malerei eingebettet, die sich manchmal über den Rücken
bis auf die Rückseite ausdehnt. Der Zeichner nimmt an,
daß Bücher mit solchen Schutzumschlägen gespreizt im
Schaufenster aufgestellt werden; doch machen nur wenige
Sortimenter von dieser Möglichkeit Gebrauch.
Die Einschläge oder ‹Klappen› sollen möglichst breit
sein. Auf der vorderen ‹Klappe› steht oft ein ‹Waschzettel›,
der den Inhalt des Buches umreißt, oder der Verlag zeigt
schon hier und dazu auf der hinteren ‹Klappe› andere Bü-
cher an. Die Schutzumschläge englischer Bücher tragen in
der Regel am Fuß der vorderen ‹Klappe› die Preisangabe,
die man abschneiden kann, wenn man das Buch verschen-
ken will. Doch sollte man dann lieber den Schutzumschlag
ganz entfernen. Der Schutzumschlag, der nur Diener des
Einbandes ist, wird nicht ‹vornehmer›, wenn die Klappen
und die Rückseite unbedruckt bleiben. Da der Käufer des
Buches für Anzeigen anderer Bücher aus demselben Verlag
dankbar ist, braucht man keine Bedenken zu tragen, außer
den Einschlägen auch die ganze Rückseite und sogar die ge-
samte, fast immer unbedruckte Kehrseite des Schutzum-
schlags mit Bücheranzeigen und Verlagsmitteilungen zu
bedrucken. Eine andere Frage ist es, ob die Auflage des Bu-
ches einen so großen Aufwand an Satzkosten erträgt und ob
es nicht oft vernünftiger ist, dem Buche einen auf dünnem
Papier gedruckten Gesamtprospekt beizulegen. Auf keinen
Fall braucht man sich zu bemühen, über die jeweils ange-
strebte anziehende Wirkung der Schauseite hinaus einen
besonders zurückhaltenden Schutzumschlag zu erzeugen
(was keineswegs ausschließt, ihn sorgfältig und schön zu
setzen); er sollte, im Gegenteil, so beschaffen sein, daß man
ihn wie einen Prospekt nach Durchsicht ohne Bedenken
fortwirft. Nur so kann man der unerfreulichen Gewohnheit
mancher Leute begegnen, Bücher wie ein Sortimenter mit
ihrem Schutzumschlag in den Bücherschaft zu stellen. (Nur
solche Bücher stelle ich in ihrem Schutzumschlag auf, deren
Einband noch häßlicher ist als der Schutzumschlag. Leider
erscheinen ihrer jährlich mehr!)
Der Aufdruck auf dem Rücken des Schutzumschlags
sollte alle wichtigen Angaben der Schauseite wiederholen.
Erfahrene Bücherkäufer, die nicht jedes Buch aus dem Schaft
ziehen müssen, sollten schon auf dem Rücken alles Wissens-
werte lesen können, das heißt nicht nur Verfasser und Titel,
sondern, sofern der verfügbare Raum es zuläßt, auch einige
Angaben über den Herausgeber oder Bearbeiter, über den
Umfang, die Zahl der Tafeln und dergleichen, sowie den
Verlagsnamen. Die Gestalt des Rückens sollte nicht weni-
ger attraktiv sein als die Vorderseite.
Da der Schutzumschlag keinen festen und schon darum
keinen echten Bestandteil des Buches bildet, braucht seine
graphische Form nicht notwendig der Gestalt des Buches
selbst angeglichen zu sein. Ein gepflegter Einband darf sehr
wohl von einem Schutzumschlag umgeben sein, der nur auf
grobe Schaufensterwirkung ausgeht. Ein Mensch von Ge-
schmack wird indes günstiger über das Buch denken, wenn
der Schutzumschlag formal und farbig auf Einband und
Buch abgestimmt ist. Je teurer das Buch ist, um so halt-
barer muß das Papier sein, aus dem der Schutzumschlag her-
gestellt wird. Für billige Bücher, die schnell verkauft wer-
den, genügt ein holzhaltiges Papier; kostbare Werke, die
manchmal längere Zeit im Schaufenster ausgestellt werden,
müssen jedoch Umschläge aus kräftigen holzfreien Papieren
erhalten.
Nur wenn die Druckerei ein exaktes Blindmuster des Bu-
ches erhält, kann der Schutzumschlag so genau gedruckt
werden, daß er richtig paßt; Stellungsfehler sind sonst
kaum zu vermeiden. Der fertige Umschlag soll haargenau
so hoch sein wie die Einbanddecke. Die Auflage bemißt man
um zehn Prozent höher als die der zu bindenden Exemplare,
damit beschädigte Schutzumschläge durch neue ersetzt
werden können.
Wenn das Buch ein einfaches Versandfutteral erhält (das,
genau wie der Schutzumschlag, in der Bibliothek nicht mit
aufgestellt werden soll), so kann man auf dessen Schauseite
ein werbendes Blatt aufkleben und sich mit einem unbe-
druckten Schutzumschlag für das Buch selbst begnügen.
Diese Art ist vorzuziehen, wenn das Buch sehr weich ge-
bunden ist und nicht aufgestellt werden kann. Der Buch-
händler stellt dann das Buch mit dem Futteral ins Fenster.
Streifbänder mit einer Schlagzeile (‹Bauchbinden›) wir-
ken zwar auffällig, schaden aber einem Buche, das keinen
Schutzumschlag trägt. Das Sonnenlicht entzieht dem unbe-
deckten Teil die Farbe; der Einband ward bald unansehn-
lich und das Buch unverkäuflich. Man darf daher nur solche
Bücher mit Streifbändern versehen, die schon einen Schutz-
umschlag tragen. Mit einem geeigneten Aufdruck läßt sich
eine ‹Bauchbinde› auch vortäuschen.
Über breite, zu große
und quadratische Bücher
lichen Einzüge durch stumpfe Anfänge zu ersetzen, benüt-
zen Leute, die sich ultramodern vorkommen, gerne ein
quadratisches Format. Dies ist an sich weniger häßlich als
ein übertrieben breites Quartformat, das einfach plump ist
wie ein Nilpferd. Da wäre ein optisch korrigiertes oder so-
gar ein reines Quadrat immer noch besser.
Gegen quadratähnliche Bücher sprechen drei Argu-
mente. Das erste meint die Handlichkeit. Quadratische Bü-
cher können von der ungestützten Hand nicht bewältigt
werden, noch viel weniger als das häßliche Format A . Das
zweite Argument geht auf die Einstellbarkeit. Wenn solche
Bücher breiter sind als Zentimeter, muß man sie legen.
Bücher sollte man aber aufstellen können, damit sie schnell
wiedergefunden und benützt werden können. Für das dritte
Argument muß ich etwas ausholen. Das Gewicht des Buch-
körpers wird von den Scharnieren des Rückens in seiner
richtigen Lage gehalten. Ist der Buchkörper sehr schwer –
das ist leider häufig –, dann senkt sich der Buchkörper
vorne, stößt auf das Brett des Bücherschaftes und nimmt
dort Staub an, etwas, was durch die Kanten des Einbandes
verhütet werden soll. Je länger der Rücken im Verhältnis
zur Buchbreite ist, um so besser bleibt der Buchblock in sei-
ner richtigen Lage. In einem querformatigen Album reicht
der Rücken dazu nicht mehr aus. Ähnlich ist es aber schon
bei den quadratförmigen Büchern. Auch in ihnen senkt sich
der Buchblock alsbald auf das Brett des Bücherschaftes.
Auch daher sind quadratförmige Bücher als grundverfehlte
Neuerungen zu verwerfen.
Innerhalb der plausiblen Buchgrößen kommen zahlreiche
Proportionen, das heißt Verhältnisse von Breite zu Höhe,
vor. Da die gute Tradition über Bord geworfen worden ist
und erst neu errichtet werden muß, sollte vor der Arbeit
jede Buchgröße auf ihre geometrische Proportion geprüft
werden, das heißt, ob sie die genaue Proportion von :
oder : oder den Goldenen Schnitt, um nur einige wichtige
Proportionen zu nennen, aufweist.
Öfter als man meint ist die einfache Proportion : die
beste; das gilt sogar für Quartbücher, wenn man das Papier
dafür machen läßt. Zwar gibt es kein Rezept, doch kann
man viel aus Büchern der Zeit vor lernen, auch Propor-
tionen.
Ein letztes Wort, das nur am Rande zum Thema gehört:
das Gewicht des Buches. Die meisten unserer Bücher sind
viel zu schwer. Das kommt meistens vom Kunstdruck-
papier. Dicke Bücher aus Kunstdruckpapier sollten darum
in zwei Halbbände aufgeteilt werden. Die alten Bücher
waren viel leichter. Chinesische Bücher gar sind sozusagen
federleicht. Die Papierfabriken sollten sich bemühen, viel
leichtere Papiere zu machen, im besonderen erheblich leich-
tere Kunstdruck- und Offsetpapiere.
Weißes oder getöntes
Werkdruckpapier?
Wahrscheinlich weil man in den Büros der Druckereien
der Anziehungskraft des unbedruckten reinweißen Papiers
verfällt, weil es manchem ‹moderner› scheint – es erinnert
ja an den Frigidaire, moderne sanitäre Einrichtungen und
den Zahnarzt –, weil weißes Offset natürlich am besten mit
weißem Kunstdruck zusammengeht und getöntes Kunst-
druck nicht angeboten wird, weil man ein ‹brillantes›
Druckresultat erstrebt und weil vielleicht auch unerfahrene
Laien sich einmischen, erhalten wir so schrecklich viele rein-
weiße Bücher. Sogar die Einbände beginnen jetzt öfter im
weißen Kleid der Unschuld einherzugehen. Sie gehören
zwar nicht zur Sache, sind aber ein Ausdruck derselben
Neigung und überaus empfindlich.
Lesen die Männer, die für die Herstellung solcher Bücher
verantwortlich sind, eigentlich ihre Erzeugnisse? Da sie sie
kennen, werfen sie wohl kaum mehr als einen Blick darauf.
Lesen ist ein ganz anderer Vorgang. Aber sie müßten doch
schließlich andere Bücher lesen und wenigstens dort bemer-
ken, wie schmerzhaft der reinweiße Ton im Buche wirkt. Er
wirkt nicht nur kalt und unfreundlich, sondern stört, denn
er blendet das Auge wie Schnee. Die Buchseite wird unan-
genehm durchsichtig; der weiße Papierton, statt mit der
Schriftfläche zur Einheit zu verschmelzen, tritt in eine an-
dere optische Ebene zurück.
Wenn weiß Offset als Werkdruckpapier mißbraucht wird
– schon an und für sich Zeichen einer zu sorglosen Herstel-
lung –, wird diese nachteilige Wirkung noch durch die Öde
der Papieroberfläche verstärkt, die nahezu jeder Struktur
entbehrt. Da die meisten heute verwendeten Schriften eine
übermäßige Glätte und Regularität zeigen, die sich beson-
ders dann offenbart, wenn Maschinensatz angewendet wird,
so entsteht als Gesamteindruck äußerste Glätte und Kälte,
eine Art Spiegel der Unbeteiligtheit, mit der zuweilen Bü-
cher gemacht werden. Ein gut aussehendes Buch darf aber
nicht das Produkt nur von Rechenkünsten und minimalem
Energieaufwand sein. Wenn wir oft ausländisches Lob für
unsere Bücher einheimsen dürfen, so muß das vor allem un-
serer hochentwickelten Drucktechnik zugeschrieben wer-
den, nicht etwa der eigentlichen Schönheit unserer Bücher *.
Viele Nationen verfügen nicht über gleichwertige Produk-
tionsmittel, und eine ähnliche Interesselosigkeit dem Buch
als Gegenstand gegenüber ist dort ebenso verbreitet wie
hier. Wenn man ein Buch notwendig braucht, so wird man
natürlich über seine herstellungsmäßigen Mängel hinweg-
sehen müssen. Der gute Verkauf eines wissenschaftlichen
Buches etwa bedeutet daher keineswegs, daß es auch schön
gemacht sei. Das Elementar-Notwendige ist noch keine
Kunst. Diese fängt erst beim scheinbar Überflüssigen an.
Erst wenn sich ein Buch so angenehm präsentiert, wenn es
auch als Gegenstand so vollendet ist, daß wir es am liebsten
gleich kaufen und nach Hause nehmen möchten, könnte es
sich um ein Werk wahrer Buchkunst handeln.
Zur angenehmen Gesamtwirkung eines Buches trägt
aber auch das gut aussehende Papier nicht weniger bei als
eine gepflegte Typographie. Das wird viel zu oft übersehen.
Wie außerordentlich selten sind die Bücher, deren Papier
die Hand eines kundigen Papierentwerfers verrät! Man
* Dieser und der nachfolgende Satz beziehen sich auf die Eid-
genossenschaft.
kann nämlich ein Papier so genau auf den Gesamtentwurf
eines Buches, nicht nur im Hinblick auf das Verhältnis sei-
ner Dicke und besonderen Biegsamkeit zur Seitengröße, so
genau auf den Charakter der Schriftart und die Stimmung
des Buches hin entwerfen, durch Struktur, Tönung und an-
dere Eigenschaften, daß ein vollkommener Einklang aller
Teile entsteht. Unsere Papierfabriken sind durchaus im-
stande und auch bereit, solche Wünsche zu erfüllen. Und
das muß nicht einmal mehr kosten.
Auf jeden Fall ist zu wünschen, daß rein weiße Papiere nur
dort verwendet werden, wo es durch die Aufgabe gefordert
wird. Ich selber kann mir allerdings einen solchen Fall nicht
leicht vorstellen. Wenn ‹blütenweißes› Papier als Empfeh-
lung genannt wird, so wird unsere Freude an weißen Blüten
schmählich mißbraucht. So schön diese sind, so ist ihre
Farbe doch keine sehr geeignete Nuance für ein Werkdruck-
papier. Zum ‹Schneeweiß› versteigt man sich schon selte-
ner, wohl aus einem richtigen Gefühl heraus.
In und nach Notjahren trifft man viel graues und muffig-
gelbliches Papier in Büchern an. Wenn sie überstanden sind,
erwartet man mit Recht wieder ein schönes, haltbares Pa-
pier. Der Laie irrt, wenn er nun meint, gutes Papier müsse
reinweiß sein, und was getönt ist, sei nicht dauerhaft. Der
Fachmann aber sollte wissen, daß das ein Trugschluß ist,
und den Laien aufklären. Reinweißes Papier kann ebenso-
gut in zehn Jahren gelbliche Ränder bekommen, wie deut-
lich graues von der allerbesten Qualität sein! Es kommt auf
den Stoff an, und von dem versteht der Laie kaum sehr viel.
Weiße ist also kein sicheres Zeichen für Qualität und
Haltbarkeit. Zartgetönte Werkdruckpapiere, deren Ton
aber in der Regel fast unmerklich sein muß, sind besser,
weil sie das Auge nicht blenden und eine Einheit zwischen
Papier und Satz herstellen, die auf weißem Papier nur in
einigen sehr seltenen Ausnahmefällen entsteht.
Ich rede aber hier weniger von der Papierqualität als vom
nötigen Papierton. Es gibt ja noch eine Menge Bücher und
Broschüren, die auf billigem Papier hergestellt werden
müssen. In der Regel sieht der hellste erreichbare Ton leicht
grau und wenig sympathisch aus. Dem kann durch eine
passende Nuancierung gegen Chamois hin ohne weiteres
abgeholfen werden, ohne daß das Papier mehr kostet. Ich
habe das in mehreren Fällen mit bestem Erfolg erreicht. Das
Papier ist zwar nicht besser geworden, aber dem Auge an-
genehmer. Zuletzt habe ich diese Änderung bei den billigen
Penguin-Büchern durchgeführt, die in England jetzt s.d.
(zwei Franken) kosten. Das vorher abstoßend wirkende,
bleiche Grau wurde in einen warmen Ton umgewandelt,
und die Bücher lasen sich danach so angenehm wie solche
zum dreifachen Preis!
Sogar unsere Zeitungen und Zeitschriften würden gut
tun, dieser Möglichkeit nachzugehen. Das übliche Zei-
tungspapier ist grau und häßlich, genau wie die früheren
Penguin-Ausgaben. Würde man es gelblich halten, so würde
die Leserlichkeit der Zeitungen nur gewinnen. Ihrer meist
unschönen Typographie hälfe es zwar nicht, aber unsere
Augen würden weniger angegriffen. Man darf vermuten,
daß die Tönung des Papiers, das die Londoner Times ver-
wendet, absichtlich gelblich getönt ist: welch ein Unter-
schied gegenüber dem unerfreulichen Grau unserer Zeitun-
gen! Man gehe und vergleiche, um sich überzeugen zu las-
sen. Ich fürchte nur, daß dieser Anregung so wenig stattge-
geben wird wie meiner früheren, ein leicht getöntes Kunst-
druckpapier als Lagersorte herzustellen. Dabei haben beide
Anregungen erhebliche Bedeutung für die Volksgesund-
heit, nämlich für Millionen Augen.
Weiße des Papiers ist also kein Anzeichen der Haltbar-
keit. Es ist als Werkdruckpapier ungeeignet, weil es das
Auge blendet. Eine ganz zarte Tönung gegen Ecru oder
Chamois hin ist notwendig. Auch ganz billige Bücher und
Zeitschriften, sogar Zeitungen, sollten auf getöntem statt
rein grauem Papier gedruckt werden.
Bestimmte Schriften verlangen übrigens gewisse Papier-
töne und -oberflächen. Dies gilt besonders von den Neu-
schnitten klassischer Schriften. Je älter die Schrift, um so
dunkler und rauher muß das Papier sein. Die Poliphilus-
Antiqua () kommt auf weißem Papier gar nicht zur
vollen Geltung. Sie wirkt gut nur auf einem Papier, das dem
Ton und Charakter des Papiers der Zeit um nahe-
kommt. Ähnliches gilt von der Garamond-Antiqua (um
). Das späte achtzehnte Jahrhundert hatte eine Vor-
liebe für ‹weißes› Papier (man konnte es damals aber zum
Glück noch nicht so weiß bleichen wie heute), und darum
wirken die Baskerville-Antiqua (um ) und die Wal-
baum-Antiqua (um ) auf fast weißen Papieren am be-
sten. Nur die Bodoni-Antiqua (um ), und auch sie nur
in großen Graden, auf großen Seiten, verträgt ‹ganz weißes›
Papier, aber nur, sofern es wenigstens eine gewisse Struktur
hat. Bodoni ging nämlich vorsätzlich auf diesen äußersten
Gegensatz zwischen einem nervösen Schwarzweiß der Type
und weißem, ziemlich glattem Papier aus, einen Effekt, der
einem angenehmen Lesen sehr im Wege steht. Das neun-
zehnte Jahrhundert folgte ihm darin nach. Das heute meist
unansehnlich gewordene, muffig-gelbliche Papier seiner
letzten Jahrzehnte ist weniger Absicht als unvorhergese-
hene Folge einer bedenkenlosen Papierverschlechterung.
Die Tönungen der heutigen Papiere werden in der Regel
durch Farbzusätze bewirkt. Zahllose Variationen durch
Tönung, Zusammensetzung, Leimung und besonderen
Oberflächencharakter sind möglich. Wir sollten das nicht
vergessen, sondern so oft wie möglich davon Gebrauch
machen.
Zehn häufige Kardinalfehler
der Buchherstellung
. Gestaltlosigkeit als Folge des Unsinns, nur Einen Grad
für alles zuzulassen. In einem Buche, dessen Kapitelanfänge
nicht akzentuiert sind und dessen Titel und Druckvermerk
aus dem Grade der Grundschrift, sogar ohne Benützung
reiner Versalzeilen, gesetzt sind, findet sich der Leser nur
schwer zurecht.
. Weißes und gar hochweißes Papier. Höchst unangenehm
für die Augen und ein Vergehen an der Volksgesundheit.
Eine schwache Tönung (elfenbein und dunkler, jedoch nie-
mals crème), die aber ja nicht aufdringlich sein darf, ist fast
immer das beste.
. Weiße Decken. Genau so abwegig, weil so empfindlich,
wie weiße Anzüge.
. Gerade Rücken bei Deckenbänden. Der Rücken gebundener
Bücher muß schwach gerundet sein; sonst ist das Buch
nach der Lektüre windschief, und die mittleren Lagen sind
‹gestiegen›.
. Längslaufende Riesenschriften auf Rücken, die für eine
waagrecht laufende Beschriftung breit genug wären. Man
braucht den Rückentitel nicht von weither lesen zu kön-
nen.
. Gar kein Rückentitel. Unentschuldbar bei Büchern, die
über Millimeter dick sind. Wie soll man eine solche Bro-
schüre wiederfinden können? Der Verfasser darf nicht feh-
len, denn dieser bestimmt oft den Standort in einer Bücher-
reihe.
. Unkenntnis oder Mißachtung des richtigen Gebrauchs von
Kapitälchen, Kursiv und Anführungszeichen: siehe Seite ff.
Register
Einzug unter zentrierter Gutenberg
Überschrift sinnlos , , , ,
Einzüge , , – Gutenberg-Preis
‹elementare typographie› Guter Geschmack ,
Elite
Endstriche Halbfette
Endstrichlose , , Hegner, Jakob
Entwerfer Historismus
Experimente höhere Typographie
‹experimentelle Typo- ‹Hurenkinder› , –
graphie›
Initialen
Formate, ungewöhnliche
Fraktur Johnston, Edward ,
Fußnoten – Jüngere Antiqua
Lesbarkeit Probeseiten , , –
Lesebändchen – Proportionen ,
Literaturnachweise – Pult ,
Lithographie
Logik quadratisches
Buchformat , –
Manutius, Aldus querstehende
Marcus Vincentinus , Abbildungen ,
Maßverhältnisse,
willkürfreie – Rechenschieber
Milchsack, Gustav Renaissance
‹Mittelachse› , , , , ,
Modeschriften Roh, Franz
Morison, Stanley Rohbogenformate
Morris, William Rosarivo, Raúl –,
Royal Society of Arts
Nationalschriften, Rückentitel –
gebrochene Rückentitel von unten
‹Nationalsozialismus› nach oben
‹Neues›
neue Typographie, Die Satz, weiter
Neue Typographie Satzbreite
Normalformat, Satzes, Kunst des
sogenanntes , Scheuer, I. J. G.
Notenziffern – , , ,
Notwendigkeit Schlußpunkt
Schmutztitel
Penguin Books , Schnittfarbe ,
persönlicher Stil , Schöffer, Peter ,
Poeschel, Carl Ernst Schreibschriften
Schriften, klassische Unger, J. F.
‹Schusterjungen› – Unger-Fraktur
Schutzumschlag , – ungewöhnliche Formate
Schwabacher , ,
Seitenzahl Verlagssignet , , ,
Selbstentäußerung Villard de
Setzmaschinen Honnecourt , , ,
Sperren Vincentinus, Marcus ,
Spitzenbildchen , Vorsatz ,
Steinabreibungen
Stempel, chinesische Walbaum-Antiqua
Stern , ,
Stone, Reynolds Walbaum-Fraktur
Streifband Weiß, Emil Rudolf ,
Symmetrie , , – weißes Papier –
weiter Satz
Tafelwerke – Wersin, Wolfgang von
Takt
Tieffenbach, E. W.
Titelblatt – Zahlen im Titel
Titels, Rückseite Zeitungen , ,
des , zentrierte
Tradition – Satzordnung ,
Typographie›, ‹Die neue Zoll
Typographie eine Zurichtung des
Wissenschaft Schriftgießers
Typographie, höhere Zwitterformate
Typographie, Neue Zwitterproportion
Nach Angaben
von Jan Tschichold
gesetzt aus ‹Monotype› Van Dijck
und gedruckt
bei der Birkhäuser AG in Basel.
Ätzungen von
Clichés Schwitter in Basel.
ISBN ---