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Michail Fedotow: Neuer Vorsitzender des Menschenrechtsrats beim russischen

Präsidenten

Der Journalist Michail Fedotow wurde von Präsident Dmitri Medwedew zum
Vorsitzenden des Menschenrechtsrats beim Präsidenten ernannt. Fedotow war in
der Jelzin-Ära 1990 bis 1992 Medienminister und einer der Autoren der russischen
Verfassung von 1993. Von 1989 bis 2010 arbeitete Michail Fedotow als Sekretär der
Russischen Journalisten-Union. “Es gibt in Russland zu viele Knoten”, sagt Michail
Fedotow, “einige müssen wir endlich lösen”.

Von Jürg Vollmer / maiak.info

Vorsitzender des Menschenrechtsrates beim russischen Präsidenten ist einer der


undankbarsten Posten im Minenfeld zwischen den sanften Bemühungen zur
Demokratisierung und der harten Realität. Wer auch immer diesen Posten annimmt, muss
sich im Russland des Jahres 2010 einen Weg suchen zwischen unzähligen
gesellschaftspolitischen Sprengfallen.

Die Wahl des 61jährigen Michail Fedotow wird deshalb sowohl von der russischen
Regierung, als auch von Menschenrechtsorganisationen, als Befreiungsschlag gesehen.
Denn sie beendet ein zweimonatiges Interregnum, “in dem die Existenz des
Menschenrechtsrates als auch sein Ausrichtung auf dem Spiel standen”, wie Jens Siegert
glaubt. Der Leiter des Länderbüros der Heinrich-Böll-Stiftung in Moskau beobachtete “eine
Intrige, welche die Regierung unter einen Zwang stellte, dem die Kreml-Strategen aller
Erfahrung nach sehr ungern nachgeben”.

Alexander Ausan zog den “Schwarze Peter” für den Menschenrechtsrat

Fedotow ersetzt Ella Pamfilowa, die Ende Juli 2010 aus Verärgerung über die ihrer Ansicht
nach sich verschlechternde Menschenrechtslage zurückgetreten war. Gleichzeitig nannte
Pamfilowa den Wirtschaftsprofessor Alexander Ausan von der Moskauer Staatuniversität
als ihren Wunschnachfolger. Ausan ist Gründer und Vorsitzender der
Nichtregierungsorganisation Nationales Projekt Gesellschaftsvertrag INP und gilt als
“Chefverhandler” der unabhängigen russischen NGO-Szene gegenüber der Regierung.

Alexander Ausan kritisiert im Namen seiner INP und der dahinter stehenden
zivilgesellschaftlichen Organisationen seit dem Jahre 2000 die russische Staatsmacht und
deren Politik. Folgerichtig unterstützten 28 der 31 Mitglieder des Menschenrechtsrates
beim russischen Präsidenten die Kandidatur von Ausan – ebenso folgerichtig lehnte
Präsident Dmitri Medwedew dessen Kandidatur kategorisch ab. Alexander Ausan hatte
sozusagen den “Schwarzen Peter” gezogen.

Medwedew will oder muss aber “seinen” Menschenrechtsrat erhalten, wenn er wie
angekündet “bis 2020 Russland zu einem der lebenswertesten Länder der Welt
entwickeln” möchte. Ein Kandidat aus einer kremlnahen NGO oder gar ein Apparatschik
hätten den Menschenrechtsrat desavouiert. Jens Siegert glaubt, “dass wohl viele der dort
bisher mitarbeitenden NGO-Vertreter ausgetreten wären und der Menschenrechtsrat zu
einem handzahmen Haus- und Hofgremium geworden wäre, also nutzlos.”
Der Präsident ernennt Fedotow zum Vorsitzenden des Menschenrechtsrates

Dmitri Medwedew ernannte nach längerer Bedenkzeit am 12. Oktober 2010 Michail
Fedotow nicht nur zum Vorsitzenden des Menschenrechtsrates beim russischen
Präsidenten, sondern gleich zu seinem Berater. Und Fedotow steckte die Grenzen gleich
sehr weit ab: Er werde sich “um die Entstalinisierung des gesellschaftlichen Bewusstseins
kümmern, um die Gerichts- und Polizeireform sowie um den rechtlichen Schutz von
Kindern und Familien.”

Russische Menschenrechtler und Oppositionsführer begrüssten die Wahl von Fedotow.


Die Leiterin der Moskauer Helsinki-Gruppe, die 83jährige ehemalige sowjetische
Dissidentin Ljudmila Alexejewa, bezeichnete Fedotow als “eine Persönlichkeit mit
demokratischen Prinzipien”. Fedotow sei “eine gute Wahl für diesen extrem schwierigen
Posten zwischen zwei fast unvereinbaren Welten – der russischen Bürokratie und der
demokratischen Öffentlichkeit”.

Michail Fedotow hat eine makellose politische Nicht-Putin-Biographie

“Der neue Vorsitzende hat eine makellose politische Nicht-Putin-Biographie”, betont auch
Jens Siegert von der Heinrich-Böll-Stiftung in Moskau. Michail Fedotow ist Vizepräsident
der Information Science for Democracy Foundation INDEM, deren Präsident Georgij
Satarow als entschiedener Putin-Kritiker gilt. INDEM organisiert mit der
Menschenrechtsorganisation Memorial und dem INP von Alexander Ausan zweimal
jährlich die so genannten Chodorkowski-Lesungen.

Dort werden neue Wege gesucht für ein Russland, das sich abseits des Roadbook von
Putin und Medwedew zu einem der lebenswertesten Länder der Welt entwickeln soll. “Es
gibt in Russland zu viele Knoten”, sagt Michail Fedotow, “einige müssen wir endlich lösen”.
Dies wolle er aber mit Bedacht angehen.

Bevor sich der neue Vorsitzende des Menschenrechtsrates an diese Herkulesarbeit


macht, zitiert er ein altes russisches Sprichwort: “Wenn ich einem Menschen zehnmal
sage, er sei ein Schwein, wird er beim elften Mal grunzen. Wenn ich einem Menschen
aber sage, er sei ein Adler, möchte er fliegen.” Michail Fedotow lehnt sich zurück: “Ich
möchte die Adler fliegen sehen.”

Biographie von Michail Fedotow

Michail Fedotow wurde am 18. September 1949 in Moskau geboren, wo er aufgewachsen


ist und 1972 sein Studium als Jurist an der Lomonossow-Universität abschloss.

Fedotow promovierte 1976 in Rechtswissenschaften (”Die Freiheit der Presse – das


verfassungsmässige Recht der sowjetischen Bürger”) und doktorierte 1989 (”Die Medien
als Institution der sozialistischen Demokratie”) als Vorkämpfer der Medienfreiheit zu
Themen, die in der Sowjetunion umstritten waren.
Von 1972 bis 1990 arbeitete Michail Fedotow als Jura-Professor und Korrespondent
mehrerer Moskauer Zeitungen.

1990 bis 1992 – in der Aufbruchstimmung der Jelzin-Ära nach Auflösung der Sowjetunion
– war Fedotow zuerst stellvertretender Medienminister der frisch gegründeten Russischen
Föderation. Nach einem kurzen Zwischenspiel als Generaldirektor der Russischen
Agentur für geistiges Eigentum amtete Fedotow vom Dezember 1992 bis September 1993
als Medienminister.

Parallel dazu war Michail Fedotow einer der Autoren der russischen Verfassung von 1993.
Vom September 1993 bis zum Januar 1998 lebte Fedotow als Russlands UNESCO-
Botschafter in Paris. Von 1989 bis zu seiner Ernennung als Vorsitzender des
Menschenrechtsrates beim russischen Präsidenten im Oktober 2010 hatte Michail
Fedotow den Posten des Sekretärs der Russischen Journalisten-Union inne.

Vor der Wahl von Medwedew als Nachfolger von Putin setzte sich Michail Fedotow mit
Garri Kasparow im “Komitee 2008 – freie Wahl” für freie und faire Wahlen ein.

Michail Fedotow ist Verfasser von rund 100 Büchern und Aufsätzen zu Problemen der
Menschenrechte, insbesondere der rechtlichen Sicherstellung von Rede- und
Pressefreiheit, sowie zu geistigem Eigentum und zur internationalen Zusammenarbeit im
humanitären Bereich. Er ist verheiratet und Vater zweier Kinder.

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Den Originalbeitrag und Fotos finden Sie hier:

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