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An das Bundeskanzleramt der Bundesrepublik Deutschland,

Herrn Christoph Heusgen, außenpolitischer Hauptberater

Berlin

Sehr geehrter Herr Heusgen!

Vor einigen Tagen habe ich der Presse die erfreuliche Nachricht entnommen, dass die
Universität Babeş-Bolyai in Cluj Napoca (Klausenburg) der Bundeskanzlerin Angela Merkel
die Ehrendoktorwürde verliehen hat. Ich bitte Sie, der Frau Bundeskanzlerin dazu meine
herzliche Anerkennung und meinen Glückwunsch zu überbringen.
Außerdem möchte ich Ihre Aufmerksamkeit in vertraulicher Form – mit der Hilfe von
Zsolt Németh, dem Staatssekretär des Außenministeriums in Ungarn – auf Folgendes lenken.
Die Universität in Klausenburg (Siebenbürgen), die ihre Wurzeln im XVI. Jahrhundert
hat, trug ursprünglich den Namen des berühmten ungarischen Mathematikers Bolyai János.
Im Jahr 1959 aber hatte die immer aggressiver werdende rumänische national-
kommunistische Diktatur die ungarische Universität willkürlich aufgelöst, beziehungsweise
sie hat sie in die neue rumänische Victor-Babeş-Universität eingehen lassen und dann
rumänisiert. Seit 1989 kämpfen wir ohne Erfolg für die Wiederherstellung unserer ehemaligen
Universität, für die gesetzliche Bewilligung des Hochschulunterrichts in ungarischer Sprache.
Die auf den Namen Babeş-Bolyai umgetaufte rumänische Universität usurpiert nun schon seit
fünfzig Jahren alle Immobilien und die beweglichen Güter der Universität Bolyai, ihre äußerst
reiche Bibliothek und die wissenschaftlichen Sammlungen.
Es entspricht nicht der Wahrheit, dass die Universität Babeş-Bolyai eine
„multikulturelle“ Universität wäre. Seit der vom ehemaligen Diktator Nicolae Ceausescu
dirigierten „Vereinigung“ hat sich die Lage zwar etwas gebessert, und es gibt einige
Fortschritte in den Studienmöglichkeiten für die Studierenden mit ungarischer und deutscher
Muttersprache. Aber das Wesentliche bleibt unverändert: die ehemalige ungarische Institution
wurde brutal und rechtswidrig aufgelöst. Die rumänische Politik will mit den
Vergünstigungen zugunsten der Mehrsprachigkeit nur einen Anschein für Europa erwecken,
währenddessen sie im Geist des mehrheitlichen rumänischen Nationalismus den
Minderheitenunterricht diskriminiert. Ein typischer Fall dafür ist die widerrechtliche
Entassung von den zwei ungarischen Universitätslehrern Péter Hantz und Lehel Kovács, die
zusätzlich zu den vorhandenen rumänischen Aufschriften in der Universität ungarische und
deutsche Aufschriften anbringen wollten.
Ich schreibe all das um zu vermeiden, dass Frau Angela Merkel zum Opfer der
amtlichen Irreführung wird und man sie etwa wider ihren Willen zur Legitimierung der
mehrheitlichen diskriminierenden Unterrichtspolitik benutzt.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und übersende Ihnen meine besten Glückwünsche
und Grüße.

Brüssel, den 11. Oktober 2010


Tőkés László
Stellvertretender Vorsitzender – Europäisches Parlament

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