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Schlichter Heiner Geißler war sichtlich bemüht, das Verfahren insbesondere für
die Zuschauer gewinnbringend zu gestalten. Leider tappte er dabei immer
wieder in die Falle, mit der einen oder der anderen Seite zu diskutieren oder gar
deren Vorträge zu bewerten. Dabei bemerkte er nicht, dass das von ihm
gewählte Vorgehen einen für den Ausgang des Verfahrens gravierenden
technischen Mangel aufweist: nach den jeweiligen Vorträgen ließ er die
gegnerische Seite den Vortrag der anderen in einer Art Fakten-Check
zerpflücken. Dieses Vorgehen ist zwar unter dem Aspekt der Herstellung von
Tranzparenz zu begrüßen, schaffte aber in Hinblick auf den möglichen
Ausgang des Verfahrens respektive der Findung einer Lösung für den Konflikt
erhebliche Probleme.
Aus der Perspektive eines Mediators sind die Mängel des Verfahrens eklatant:
Die vortragende Seite kam angesichts des Anrennens der zerpflückenden Seite
zwangsläufig in eine Verteidigungshaltung. Dabei haben die Befürworter
aufgrund des fortgeschrittenen Planungs- und Handlungsstadiums viel zu
verlieren und damit auch viel zu verteidigen, ihr Denken geht von der derzeitigen
Lösung aus und kehrt penetrant immer wieder zu dieser zurück. Die Gegner
haben naturgemäß noch nicht so weit geplant, haben daher noch nicht soviel
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Schlichtung und Mediation
Denkmasse akkumuliert, müssen sich dafür aber gegen den Vorwurf verteidigen,
sie würden nur kritisieren und keine eigenen Vorschläge einbringen. Auch hier
wird Denken und Fühlen einseitig an den Vorgang der Verteidigung angeheftet –
und es gelang den Protagonisten nicht immer, diese Denkschiene zu verlassen.
Alles in allem drängt sich der Eindruck auf, dass die Schlichtung durch einen
grün angehauchten CDU-Politiker eine wahltaktische Verzögerung darstellt.
So sollen aufgebrachte CDU-Wähler zumindest bis zur Wahl besänftigt werden.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird die Schlichtung bis zur Wahl kein Ergebnis
haben; es stellt sich daher die spannende Frage, ob im Falle einer erneuten
Regierungsbeteiligung der CDU nach dem Wahltag noch irgendjemand von den
Befürwortern die Schlichtung weiter betreibt.
Als Mediator, Coach und Trainer für Betriebsparteien werde ich zurzeit von
verschiedenen Seiten nach meiner Einschätzung gefragt. Dahinter steht die
Frage, ob diese Schlichtung in irgend einer Hinsicht vorbildlich sei. Als erste
Antwort möchte ich an dieser Stelle folgende Schlüsse ziehen:
© mark 2010
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Schlichtung und Mediation
• Stellung und Reputation ihrer Person sind für die Protagonisten jederzeit
relevant. Die zusätzliche Bindung in der Öffentlichkeit an eine bestimmte
Lösung verknüpft das Erreichen genau dieser Lösung mit Stellung und
Reputation des Protagonisten. Dieser weiß dies genau und wird daher
umso mehr Energie aufwenden, um „seinen“ Vorschlag durchzubringen.
Wer sich anfangs etwas bedeckter hält und keine unnötigen
Versprechungen macht, bleibt flexibler und schützt seine Reputation
ebenso.
• Ein Prozessmoderator sollte nicht nur erfahren und von allen akzeptiert,
sondern auch gut ausgebildet sein. Ihm muss hinsichtlich Kommunikation
und Interventionen eine Fülle von auch manchmal ungewöhnlichen
Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Traditionelles rational-logisches
Vorgehen schafft selten die notwendige Bewegung im Denken und
Fühlen der Beteiligten.