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Jetzt habe ich sogar etwas Angst. Angst, ob mein Ent- erwachen nach einer Herzattacke beim lieben Gott
schluss, für ein halbes Jahr „auszusteigen“, mit dem und träumen fünfzig Jahre von einem besseren Leben.
Rucksack entlang der Seidenstraße nach China zu rei-
sen, denn überhaupt richtig ist. Doch ich undankbarer Wohlstandsekel will schon mit
neunzehn aus diesen seit Großvaters Zeiten vorge-
Ordentliche Söhne arbeiten nach der Reifeprüfung zeichneten Lebensbahnen ausbrechen, sie verändern
drei Monate in einer Bank oder einer anderen honori- und verzögern und stehe jetzt um 19.30 Uhr mit Mut-
gen Firma, bereiten sich dann auf die Verteidigung des ter und Vater am Salzburger Hauptbahnhof. Um die
geliebten Vaterlandes vor, beginnen ein Hochschulstu- Abschiedsszene kurz zu machen, ruckt pünktlich die
dium, suchen sich einen mehr oder weniger gut be- Elektro-Lok den Istanbul-Expreß an, und ich rolle
zahlten Job, gründen eine Familie, machen Karriere, langsam Richtung Süden, dem unbekannten Aben-
SALZBURG
teuer entgegen. he ich mich in die Schlange vor dem einzigen geöffne-
ten Schalter ein und hoffe, eine Fahrkarte bis zur ju-
Eigentlich ein sehr schönes Land, das da draußen von goslawisch-griechischen Grenze zu bekommen. Na-
der Abendsonne beschienen wird. Keine Ahnung, wa- türlich könnte ich mich jetzt auch bequem in meinem
rum mir das immer auffällt, wenn ich in einem Wag- Abteil lang strecken, doch der Geiz treibt mich dazu,
gon Richtung Balkan rolle. Keine Ahnung auch, ob ich nur Fahrkarten von Grenze zu Grenze zu kaufen. So
all diese Gefahren und Probleme meistern kann, die kostet mich die Reise nur die Hälfte eines regulären
bei jeder Reise auftreten. Auf Fragen des „Was wäre Jugendtickets Salzburg - Istanbul.
wenn“-Spiels wusste ich nicht immer befriedigende
Antworten und konnte nur mit der Gewissheit frühe- In Belgrad wechsle ich mein komfortables österreichi-
rer Reisen sagen, dass, egal was auch passieren möge, sches Abteil gegen einen hoffnungslos überfüllten ju-
die Welt sich weiterdrehen wird. goslawischen Waggon. Es ist heiß und wir haben Ver-
spätung. Schon wieder stehen wir „mitten in der Pam-
Doch schon nach ein paar Stunden, an der österrei- pas“, wie sich ein Italiener schräg gegenüber aus-
chisch-jugoslawischen Grenze, werde ich in den Reise- drückt. Trotzdem ist die Reise kurzweilig: Ich sitze ne-
alltag gestürzt, der mir in der Regel keine Zeit für ben einer Toilette, deren Tür nicht zu versperren ist.
düstere Zukunftsvisionen lässt. Gegen Mitternacht rei- So habe ich die delikate Aufgabe, die nächsten vier-
Um 5.30 Uhr stehe ich auf und erstehe drei Fahrkarten nach Alexandro-
poulis, einer kleinen Hafenstadt nahe der türkischen Grenze. Ich reise
jetzt zusammen mit einem deutschen Pärchen, das auch in die Türkei will.
Die Bahnlinie führt zuerst Richtung Norden, fast bis zur bulgarischen
Grenze, bevor sie sich durch die Ausläufer des Rhodopen-Gebirges kur-
venreich nach Osten schlängelt.
Die Gegend ist dünn besiedelt: Drei oder vier größere Dörfer, die staubig unter
der Mittagssonne rasten, ein paar Autos mit deutschen Kennzeichen, Gastar-
beiter. Dieses Hinterland zwischen Bulgarien und der Türkei hat keine Zukunft.
Nur mehr ein Platz für Alte, Fremdarbeiter, sterbende Dörfer und einen rußen-
den Anachronismus, der viel zu langsam Richtung Osten zuckelt.
Bei der Busstation in Alexandropoulis gibt es dann lange Gesichter: Der nächs-
te Bus zur Grenze fährt erst in fünf Stunden. Die Deutschen haben eine Idee:
Sie müssten eigentlich einen Brief für einen griechischen Freund abgeben. Man
könnte sich ja treffen, einen Kaffee trinken, plaudern und gemeinsam zur
Grenze fahren. So war es dann auch. Nur dass der griechische Freund bis vor
zehn Jahren noch in Istanbul gelebt hat. Vorher auf Gökceada, einer kleinen
türkischen Insel 50 km vor dem griechischen Festland. Bis fünf und sechzig,
dann wurden die griechischsprechenden Bewohner enteignet, deportiert, über
die Gemüsefelder eine Start- und Landebahn gewalzt, darauf amerikanische F-
16 - griechisch-türkische Freundschaft. Als er uns in seinem BMW zur Grenze
bringt, zeigt er uns einen Hügel, von dem man bei guter Witterung zu „seiner“
ISTANBUL
Meine Freunde sind überrascht, dass sie nicht per pedes von der griechischen
zur türkischen Grenzstation gehen dürfen. Mir sind diese Schikanen schon von
früher bekannt. So fahren wir bei zwei griechischen Fernlastern mit - Geschäf-
te kennen ja bekanntlich keine politischen Grenzen.
Die letzten 200 km von Kesan nach Istanbul lege ich mit einem Bus zurück.
Beim ersten Stop kaufe ich mir ein Fanta. Ich bin zufrieden: Es kostet 500 Lira
oder 35 Cent. Vor zwei Jahren hat es 300 Lira gekostet, was auch 35 Cent wa-
ren. Auch die Pfirsiche sind nicht teurer geworden. Nur die Türken wissen
nicht, woher sie die 200 Lira Differenz nehmen sollen.
DOLMUS
und Staub. Doch ich muss diesen Jahrmarkt aus Träumen vom besseren Leben
in der Stadt, vom Urlaub am Meer oder vom Besuch der Eltern, Verwandten in
irgendeinem anatolischen Dorf, Busstunden entfernt, verlassen und mich mei-
ner ganz profanen Suche nach einem Schlafplatz widmen.
Die Preise sind in den letzten zwei Jahren kräftig gestiegen: Für ein Bett verlan-
gen sie im Yücelt-Youth-Hostel mittlerweile € 6,75, doppelt so viel wie früher.
Schließlich lande ich auf dem Dach des Büyukayasofia Otelis, wo ich für € 1,70
meinen Schlafsack neben einem Haufen Müll ausrolle. Doch egal, nichts wie
schlafen. Drei Tage war ich jetzt fast ununterbrochen durch den Rest von Eu-
ropa unterwegs.
Am nächsten Tag treibt mich dann die Sonne aus dem Schlafsack. Als ich un-
willig die Augen aufschlage, bleibt mir vor Überraschung fast das Herz stehen:
Direkt gegenüber liest einer ganz unbekümmert in „meinem“ China-
Reiseführer. Ausgeraubt? Ein schneller Blick auf meinen Rucksack belehrt mich
eines Besseren.
HOSTELS
Eigentlich wollte ich dieses Mal nur drei Tage in Istanbul bleiben und zügig
nach Osten Weiterreisen. Geworden sind es dann doch fünf, obwohl ich mir
gar nicht so viele Sehenswürdigkeiten angeschaut habe.
Dafür war ich auch im Sultan-Pub, wo zwar das Bier etwas teurer ist, dafür
BOSPORUS
aber ein abendfüllendes Programm geboten wird: Hier begegnen sich Orient
und Okzident oder „Wie bekommt der türkische Macho die Europäerin her-
um?“. Es ist großartig, das zähe Ringen eines Istanbuler Papagallos live mitzuer-
leben. Oder das Underground-Lokal, ein vielleicht 15 Quadratmeter großer
Stehausschank unter Gehsteigniveau, wo die heißesten westlichen Songs ge-
spielt werden. Hierher bringen Türken auch ihre europäischen Geschäftsfreun-
de mit, um ihnen vorzuführen, wie fortschrittlich Istanbul sei. Den Geschäfts-
leuten in ihren unbequemen Anzügen ist das meist sichtlich unangenehm und
sie fühlen sich ziemlich deplaziert.
Zwanzig Stunden dauert die Bahnfahrt von Istanbul Englisch hat er selbst gelernt, als Autodidakt, und so
ins fast 1.000 km östlich gelegene Kayseri. Für € 3,30 übersetzt er die drängenden Fragen seiner Freunde:
bekomme ich einen ersten Vorgeschmack, was Bahn- Woher kommst Du? Verheiratet? Wie viel verdienst
fahren in der zweiten Klasse in Asien bedeutet: Zu Du? Was kostet das? - Ich versuche die Fragen ehrlich
zehnt sind wir in einem Achterabteil eingequetscht, zu beantworten, doch obwohl ich ständig untertreibe,
das bei uns höchstens mit sechs Personen belegt wür- komme ich mir wie der reiche Onkel aus Amerika vor,
de. Dazu noch kaputte Fenster und eine Affenhitze. der ich, auch wenn ich mir es im Moment nicht einge-
stehen will, letztendlich wohl bin.
Einer meiner Mitreisenden, ein Automechaniker aus
Mus, beginnt gleich, mich mit Fragen zu löchern. Sein Dann noch die Standardfrage: „Glaubst Du an Gott?“
Darauf meine Standardantwort: „Ich bin Katholik.“ Seine Freunde stellt diese
Entgegnung zufrieden, nur mein Dolmetscher hakt zweifelnd nach: „Ja, na-
türlich Katholik. Aber glaubst Du denn wirklich daran?“ Ich bleibe dabei,
weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass Andersgläubige in islamischen
Ländern mehr oder weniger toleriert werden, Gottlose aber echten Hass auf
sich ziehen. Um so überraschter bin ich über seine Antwort: „Ich bin Atheist.
Religion und so, das sind Märchen, die man kleinen Kindern erzählt. Oder
hast Du schon einmal Gott wirklich gesehen?“
Nach zwei Tagen ziehe ich weiter zum nächsten Fixpunkt auf dem Osttürkei-
Tourist-Trail, dem Nemrut Dag bei Kahta. „What do you want Mister, sunset
or sunrise tour? Very cheap!“ Nein danke, das hatte ich schon einmal: Mitten
in der Nacht rein in den Dolmus, Sonnenaufgang am Berg, Photo, todmüde zu
den anderen Sehenswürdigkeiten, wieder Photo, und zurück.
Dieses Mal will ich mir mehr Zeit nehmen. Zuerst fahre ich mit einem Dolmus
Richtung Gerger, was vor Abfahrt zu einem gewaltigen Stunk führt: Ein
Sunset-/Sunrise-Tour-Unternehmer bekommt Wind davon, dass ich Richtung
Nemrut Dag mitfahre und beschwert sich lautstark bei meinem Fahrer. Der
fürchtet nun seinerseits, dass ihm das Geschäft mit mir durch die Lappen ge-
hen könnte und gibt ihm mit gleicher Münze heraus. Als dann auch noch die
anderen Passagiere für mich Partei ergreifen, gibt der geschäftstüchtige Unter-
nehmer nach.
Jetzt am Nachmittag ist es am Gipfel noch angenehm ruhig. Erst kurz vor
Sonnenuntergang rumpeln gezählte zwanzig Dolmuse die holprige Piste herauf
NEMRUT D AG
Nach einer kühlen Nacht am Berg mache ich mich zum Abstieg nach Eski
Kahta bereit. Ich folge einer in meinem Reiseführer lässig geschwungenen Li-
nie und verlaufe mich prompt. So muss ich ca. 500 Höhenmeter einen Geröll-
hang hinunter. Die Steine sind zu grob, um richtig hinuntergleiten zu können,
aber auch zu klein, um richtig Halt zu finden. Dazu drückt noch mein schwerer
Rucksack nach unten. Total fix und foxi lege ich mich nach einer Stunde be-
schwerlichen Abstiegs unter den Schatten eines Baums, neben mir sprudelt be-
ruhigend eine Quelle.
Als ich mich wieder auf die Socken machen will - noch warten acht Kilometer
Weg in der Mittagshitze auf mich - kommt ein Hirte mit seiner Schafherde vor-
bei. Er drängt mich, unbedingt zu ihm nach Hause Mittagessen zu kommen.
Mir ist diese unverhoffte Einladung sehr recht, weil ich in den letzten 24 Stun-
den nur eine Packung Kekse gegessen habe.
Nachdem ich mich nochmals herzlich bedankt habe, mache ich mich auf den
Zweistundenmarsch nach Eski Kahta. Doch ich komme nicht weit: Schon
nach einer halben Stunde muss ich den Straßenrand aufsuchen, und die Köst-
lichkeiten rinnen geradezu hinten aus mir heraus. Das Weitergehen ist sehr
mühsam, und ich bin heilfroh, dass mich Deutsche, die sich verfahren haben,
in ihrem Auto nach Kahta mitnehmen.
Da jetzt am Nachmittag kein Bus mehr nach Diyarbakir fährt, beschließe ich
nach ein paar Gläsern Cay zu trampen. Nach kurzer Zeit hält ein total überlade-
ner LKW an. Mit 50 km/h Höchstgeschwindigkeit bergab und mit viel Rücken-
wind zuckelt der Ford Cargo Richtung Diyarbakir.
„Nein, tut mir leid, für heute haben wir keine freien Plätze mehr nach Tatvan.“
- Das ist jetzt schon die fünfte Agentur, bei der ich vergeblich frage. Eine
ungewöhnliche Situation, denn das Busnetz ist in der Türkei bestens ausgebaut
und normalerweise ist es kein Problem, freie Plätze zu finden. Bei der sechsten
Anfrage klappt es dann. Am Busbahnhof stellt sich aber heraus, dass da wohl
mehr das Wunschdenken des Kartenverkäufers als das tatsächliche Angebot im
Vordergrund gestanden hat. Wie dem auch sei, nach einer Stunde habe ich ei-
nen Platz, zwar in einem Bus einer ganz anderen Gesellschaft und mit einem
anderen Fahrtziel, aber immerhin, ich konnte mitkommen.
Für die Fahrt hat mich mein Sitznachbar, ein Schuldirektor aus Diyarbakir,
adoptiert. Bei jedem Stop gibt er mir einen Cay aus, nicht einmal das Abendes-
sen gelingt mir selbst zu bezahlen. „Kurdische Gastfreundschaft“ meint er nur
bescheiden.
Mit vorgerückter Stunde wird die Stimmung im Bus lockerer. Wieder einmal
wird die in türkischen Bussen unvermeidliche Musikkassette gewechselt.
„Willst Du kurdische Musik hören?“ fragt mich der Schaffner. „In Ordnung,
ja“, wenigstens etwas anderes als das ewige türkische oder arabische Gedudel,
das mir mit der Zeit ziemlich auf den Geist fällt. Die neue Kassette ist eine
Amateuraufnahme: angenehm einfach, mit viel Gesang. Auch meine Mitfahrer
sind begeistert. Erst später wird mir bewusst, was für ein Risiko hier die Busbe-
satzung eingegangen ist: Das Spielen kurdischer Musik ist in der Türkei verbo-
ten, selbst die Existenz von Kurden oder Bergtürken, wie sie im offiziellen
Sprachgebrauch heißen, wird geleugnet.
„Paschem“, großartig geht es mir hier auf dem Nemrut Dag, einem 2.830 m
hohen Vulkan, ein paar Kilometer nördlich von Tatvan. Ich sitze gerade beim
Frühstück im „Gastgarten“ eines kleinen Restaurants, im Hintergrund leise
Klaviermusik vom Band, vor mir der Kratersee. Nach einer kalten, stürmi-
schen Nacht schmeckt der heiße Tee hervorragend, dazu Weißbrot, Schafskäse
und Honigwaben.
Auch Bernd, ein Deutscher, der nach Pakistan wollte, aber nicht genug Zeit
hatte, um auf das Iran-Visum zu warten, ist rundherum zufrieden. Er hatte sich
gleich auf den 1.900 km langen Weg gemacht, als ich ihm vor einer Woche in
Istanbul von diesem Plätzchen erzählt habe. In ein, zwei Stunden werden wie-
der die ersten Tagesausflügler von Tatvan hochkommen und im größten Kra-
tersee der Türkei baden, aber am Nachmittag wird es wieder ruhig werden und
sich eine handvoll Rucksacktouristen und Camper zum Abendessen und Gute-
Nacht-Schwätzchen treffen. Lange kann man hier oben sowieso nicht her-
außen sitzen, denn wenn die Sonne weg ist, kommt Wind auf und es wird
schnell kalt. Der Restaurantbesitzer, ein Kurde, holt drei uralte Schießprügel
hervor. „Zum Schutz gegen Bären“, wie er uns versichert. Wir verdächtigen
ihn aber mehr der Wilderei.
Nach drei Tagen verlasse ich dieses kleine Paradies. Dabei kommt es beinahe
zum Eklat: Der Dolmusfahrer will mich nicht mehr hinunternehmen, obwohl
ich für Hin- und Rückfahrt bereits gezahlt habe. Er sei voll, erzählt er mir, was
aber nicht stimmt. Ich könnte ja bei seinem Kollegen mitfahren - gegen volle
Bezahlung natürlich. „Und unten halbe halbe. Das kannst Du mit mir nicht
INSEL AKD AM AR
machen!“ Ein heftiger Streit entzündet sich. Erst als der Restaurantbesitzer
auch für mich Partei ergreift, lenkt der Dolmusfahrer ein und ich kann mitfah-
ren. Er ist bitterböse, aber ich sitze im Dolmus.
Normalerweise sind € 1,35 kein Betrag, über den ich lange diskutiere, aber so
plump lasse ich mich dann auch nicht betrügen. Wenn ich bei normalen Ge-
schäften übervorteilt werde, nehme ich das ruhig hin, solange es sich im Rah-
men hält und nicht zu offensichtlich geschieht. Aber alles hat seine Grenzen!
Dogubayazit ist meine letzte Station in der Türkei. Hier, im Dreiländereck Tür-
kei - Iran - Armenien, im Schatten des Agri Dagi, des Berges Ararat, auf dem
die Arche Noah gestrandet sein soll, bleibe ich noch zwei Tage, trinke noch ein
Bierchen und telefoniere nach Hause. Ich zögere etwas. Wenn ich von hier ab-
reise, gibt es kein Zurück mehr. Fünf Tage gilt mein Transitvisum für den Iran:
Ein Tag bis Teheran, zwei Tage zur iranisch-pakistanischen Grenze, macht ei-
nen Tag Luft. Der nächste mögliche Stop ist Quetta in Pakistan, 3.300 km
östlich.
BERG ARARAT
Mein Zimmer teile ich mit einem Exil-Iraner aus den Niederlanden. Schon seit
zwei Wochen wartet er auf einen Besuch seiner Eltern aus dem Iran. Seine
Aufenthaltsgenehmigung für die Türkei erlischt in den nächsten Tagen und
noch immer keine Nachricht von seinen Eltern. Das Warten macht ihn ganz
krank, aber noch hat er Hoffnung. Mit seinem Kurzwellenempfänger hört er
Radio Teheran und BBC London.
Auch ich will versuchen, mir ein Bild über die Stimmung im Land zu machen,
liegt doch der Abschuss eines Passagierflugzeuges der Iran-Air durch ein ame-
rikanisches Kriegsschiff erst vier Wochen zurück. Durch seine Vermittlung ler-
ne ich zwei junge Iraner kennen, die mich in ihrem Auto bis Teheran mitneh-
men wollen.
Pünktlich um zehn Uhr holen sie mich ab. Wenn ich Solcherart bepackt schleppt uns der Iran-Eigenbau
jetzt geglaubt habe, dass es losgehen könnte, habe ich Richtung Grenze. Doch wir kommen nicht weit:
mich geirrt. Erst werden 100 kg Zucker, der im Iran Schon nach zehn Kilometer halten wir an einem
Mangelware ist, eingekauft und auf dem Dachgepäcks- Truck-Stop, um Mittag zu essen und, gemäß den To-
träger verschnürt. Aber noch sind die Zollfreigrenzen talprohibitionsbestimmungen der Islamischen Repu-
nicht ausgereizt. Eine Werkstatt wird angefahren, vier blik, eine halbe Flasche Whiskey zu vernichten. Vor
Reifen erstanden und ebenfalls am Dach festgezurrt. der Weiterfahrt bekommt jeder noch zwei Kau-
Als das Auto bei der nächsten Kurve fast umkippt, gummis.
verstauen wir die zwei Zuckersäcke auf den Kot-
flügeln. Nach einer zügigen Abfertigung auf türkischer Seite
Bei der Weiterfahrt müssen wir in Grenznähe mehrere in ihrer Lebensweise und Lebensauffassung. Auf der
Straßenkontrollen passieren. Auch mein Pass wird im- anderen Seite sind sie auch stolz Iraner zu sein. Stolz,
mer gründlich studiert, wobei manche erst beim Foto dass sie es geschafft haben, einen mehr oder weniger
merken, dass sie ihn verkehrt in der Hand halten. Bei funktionierenden Staat aufrechtzuerhalten, obwohl der
einer Kontrolle werden meine Freunde scharf darauf Rest der Welt sie offiziell geschnitten hat. Sie erzählen
hingewiesen, das internationale Kennzeichen abzu- mir, dass sie privat viele Dinge tun können, die offi-
montieren und wieder das iranische anzubringen. ziell verpönt sind. Das ganze Leben zieht sich mehr in
„Revolutionsgardisten“ meinen sie abwertend. Die die eigenen vier Wände zurück, eine Art iranischer
Kontrollen der Armee sind ihnen lieber. Biedermeier. Ihre Zukunftshoffnungen richten sich
auf die Ära nach Khomeini, von der sie sich wieder ei-
Die Fahrt durch den Iran kommt mir irgendwie un- ne Öffnung zum Ausland erhoffen.
wirklich vor. Wir hören die neuesten westlichen Hits,
oder was gerade in Bulgarien darunter läuft, plaudern Gegen Abend erreichen wir Teheran. Meine Freunde
über den „western way of life“ und rollen auf gut aus- wollen ein billiges Hotel für mich suchen, aber bald
gebauten Straßen Richtung Teheran. stellt sich heraus, dass alle günstigen Unterkunftsmög-
lichkeiten belegt sind. Viele Landbewohner kommen
Meine Freunde erscheinen mir ziemlich „westernized“ für ein paar Tage nach Teheran, um sich mit knappen
Ich deponiere meinen Rucksack auf der Ladefläche Ich spreche einen Ladenbesitzer an, dem ich meine Si-
und setze die „Bethlehem-Tour“ fort. Als ich aus dem tuation klarmachen kann und bitte ihn, mir den Hotel
ersten Hotel wieder erfolglos herauskomme, ist mein und Straßennamen auf Farsi aufzuschreiben. Dann
Taxi verschwunden. - „Das gibt es doch nicht!“ Ver- hält er mir noch ein Auto an, das mich zur nächsten
zweifelt laufe ich die Straße auf und ab, doch keine Polizeistation bringt.
Spur von dem Fahrzeug oder meinem Rucksack.
Nachdem ich den Beamten mit kleinen Comic-Strips
Ich könnte mich über meine Faulheit und Dummheit klargemacht hatte, dass ich kein Hotel suche, sondern
grün und blau ärgern: Hätte ich nur meinen Rucksack vor einem Hotel bestohlen wurde, eröffnen sie mir,
mitgenommen, hätte ich nur die Nummer notiert, hät- dass sie nicht zuständig seien. Mit einem Taxi schicken
te ich nur ... Doch Selbstvorwürfe bringen mich auch sie mich zu einem anderen Polizeiposten.
VERLUSTANZEIGE
Dort beginnt das ganze Theater wieder von vorne: gabe sei, dafür zu sorgen, dass ich bis zum Morgen
Zeichnungen, Gesten, ... - Ich ziehe zur Belustigung nicht zum Polizeiquartier zurückkehre.
des gesamten Postens eine one-man-show ab. Doch
die Beamten verlieren rasch das Interesse, als sich her- Nach einigem Widerstreben, immerhin sind es fast ei-
ausstellt, dass mir kein Geld gestohlen wurde. Dann ne Stunde Fußmarsch, bringt er mich zum im Süden
werde ich wieder zur ersten Polizeistation zurück- der Stadt gelegenen Bahnhof. Dort habe ich bis zum
geschickt. Morgengrauen Zeit, meine Lage zu überdenken. Mein
Rucksack mit Klamotten, Schlaf sack, Zelt, Teleobjek-
Da es mittlerweile schon weit nach Mitternacht ist, bit- tiv und Filme ist weg. Auf der Habenseite kann ich
te ich die Polizisten, den Rest der Nacht auf ihrem meinen Pass, das gesamte Geld, meinen Fotoapparat
Posten verbringen zu dürfen. Doch das lehnen sie und noch ein paar Kleinigkeiten verbuchen, die sich
strikt ab. Ich gebe vor, sie nicht zu verstehen und set- zufällig im Daypack befanden. Eigentlich spricht
ze mich auf eine Bank. nichts dagegen, meine Reise Richtung Osten fortzuset-
zen. Fehlende Ausrüstungsgegenstände kann ich ja in
Darauf holen sie einen Typen, der ein aufreizend höf- Pakistan kaufen oder mir nachschicken lassen.
liches Englisch spricht, und werfen mich hinaus. Mein
Begleiter gibt mir zu verstehen, dass seine Hauptauf- Am nächsten Morgen kreuze ich wieder bei der Poli-
PERSEPOLIS
ROSENGARTEN
busse schenken. Oft komme ich auch an Mauern vor- und die einzelnen Bestandteile auch stilgerecht ver-
bei, die mit furchtgebietenden Hetzparolen gegen die zehrt.
USA beschmiert sind, davor spazieren schwarzverhüll-
te Frauen, unter deren Umhang zwei blaue Jeansröh- Nach eineinhalb Stunden geht der Pilot in Sturzflug
ren hervorgucken. über - der Landeanflug auf Zahedan. „Nach Mirjaveh?
500 Tomen.“ - „Du bist ja verrückt! Die anderen ver-
Die Nacht verbringe ich, von unzähligen Sicherheits- langen alle 500 Rial. Aber ich habe sowieso nur mehr
kräften bewacht, auf dem Inlandsflughafen von Tehe- 300.“ Ob ich nun Rl 500,– oder 500 Tomen (= Rl
ran. Um 6.30 Uhr hebt mit einer halben Stunde Ver- 5.000,–) bezahlen soll, ist egal. Es reicht ohnehin
spätung der Airbus der Iran Air Richtung Zahedan ab. nicht. „Okay, steig ein.“ Das lasse ich mir nicht zwei-
Der Pilot dürfte auf reichlich Armee-Erfahrung zu- mal sagen. Schon sitze ich auf der Ladefläche des
rückblicken, denn er reißt den Vogel wie eine F-16 Pickups.
beim Alarmstart hoch.
Rund 100 km sind es bis zur Grenze. Schon jetzt am
Etwas verblüfft bin ich schon, als mir die Stewardess Vormittag bläst der Fahrtwind wie ein Heißluftherd.
in Plastik abgepacktes Western-Breakfast reicht. Ich Als mir dann noch ein Pick-up entgegenkommt, auf
bin wohl der Einzige, der sich darüber richtig freut dessen Ladefläche ein Kamel verschnürt liegt, habe ich
keine Zweifel mehr: Ich bin in der Wüste Baluchistan. durch ein Gartentor nach Pakistan entlassen.
Zur Grenze hin häufen sich wieder die Straßenkon- „Change money?“ - Mit diesem Schlachtruf fällt eine
trollen. An einer werden meine Deutschkenntnisse Horde Geldwechsler über mich her. Wenn ich US$
überprüft: „Ik libbe dik“ - „Ich liebe dich“ - richtig, 20,-- tausche, gibt er mir 15 Rupie für den Dollar. Der
ich bin echt. Als ich in Mirjaveh meinem Fahrer den nächste will US$ 50,– tauschen und mir 17 Rupie pro
Rest meiner Barschaft geben will, nimmt er nur Rl Dollar geben. Ich habe keine Ahnung, was der tatsäch-
200,–. Ist das jetzt der tatsächliche Preis? liche Kurs ist. Außerdem bin ich offiziell ja gar noch
nicht eingereist. Also eines nach dem anderen: zuerst
Aber noch sind es 5 km bis zur Grenze. Als ich einen den Stempel in den Pass, dann Geldwechseln.
Pakistani nach dem Weg frage, meint er nur, ich solle
bei ihm warten. Nach kurzer Zeit kommt ein Fahr- Um 16.30 Uhr fährt mein Bus Richtung Quetta ab.
zeug, das uns aufnimmt und mich kostenlos zur Gott sei dank habe ich einen Fensterplatz. Anders
Grenzstation bringt. „Vielen Dank“ - Manchmal habe wüsste ich nicht, wie ich meine 1,85 m hier verstauen
ich das Gefühl, ich komme zu Hilfeleistungen wie die sollte. Fünf Sitze pro Reihe, der Fußraum ist mit Tep-
Jungfrau zum Kind - völlig unvermutet. Nachdem pichen, Stoffen und Waren aller Art ausgefüllt. Wenn
meine Bar-Dollars nachgezählt wurden, werde ich ich mein Knie aus dem Fenster hängen lasse, finde ich
WILLKOMMEN IN P AKISTAN
Platz - aber auch nicht die wahre Lösung für eine 25- zur Leinwand abgefahren, dafür ist der Schlauch gut.
stündige Busfahrt. Also den Mantel vom Rad lösen, guten Schlauch raus,
zweites Rad auseinandernehmen, guten Schlauch rein,
Mein Driver ist wohl der ungekrönte „King of the zusammensetzen und wieder aufblasen. Nach zweiein-
dessert track“. Mit Vollgas fliegen wir über die Wasch- halb Stunden kann es weitergehen.
brettpiste. Alles wird überholt. Runter von der Haupt-
piste, wieder rauf, hinunter und natürlich volles Rohr. In der Nacht halten wir mehrmals in dubiosen Mini-
Das geht zwei Stunden gut, dann haben wir einen orten. Alles ist mit Staub bedeckt, der Schein von Ke-
Platten. rosinlaternen beleuchtet die Restaurants nur unzurei-
chend. Hier wage ich nicht, etwas zu essen. Ich halte
Zuerst bin ich über diese Zwangspause froh, doch mich mehr an Tee oder in Flaschen abgefüllte Limo-
dann merke ich, dass sich eine festgefressene Mutter nade. Auch ein Türke und ein Chinese, die beide in
nicht lösen lässt. - Genügend Zeit den majestätischen Pakistan studieren, können soviel Dreck kaum fassen.
Sonnenuntergang in der Wüste zu bewundern.
Vor Quetta geraten wir in mehrere Straßenkontrollen.
Irgendwie hat die Crew es dann doch geschafft, die Die einheimischen Passagiere müssen ihr gesamtes
Schrauben zu lockern. Doch der Reservereifen ist bis Gepäck ausräumen, jeder Winkel wird von den ärm-
FAHRTP AUSE
lich gekleideten Soldaten gierig durchstöbert und oft Schade, so muss ich auf 50 % Touristen- und Studen-
werden Dinge, die ihnen nützlich erscheinen, einfach tenrabatt, den die Pakistan Railways Ausländern ge-
kurzerhand konfisziert. Die Pakistanis machen einen währen, verzichten. Trotzdem kostet die 1.400 km lan-
ziemlich eingeschüchterten Eindruck und wehren sich ge Bahnfahrt in der zweiten Klasse nur € 6,60. Ande-
aus Angst kaum gegen diese Diebstähle. „Das sind die rerseits dauert es bis Rawalpindi eineinhalb Tage, so-
reinsten Räuber“ flüstert mir der Türke zu. „Uns Aus- dass ein First-Class-Sleeper für denselben Preis sehr
länder lassen sie aber meistens in Ruhe.“ angenehm gewesen wäre.
Am Abend durchstöbere ich den Bazar von Quetta Der Zug steht schon im Bahnhof als ich einsteige. Die
um meine Ausrüstungsgegenstände zu ergänzen: Eine zweite Klasse ist gesteckt voll. Irgendwo dränge ich
britische Seife, australische Zahnpasta, eine Schweizer mich noch hinein. Die Sitzbänke sind voll belegt, so-
Zahnbürste, ein französisches Wasserglas, Toilettenpa- dass ich nur mehr am Gang neben der Tür Platz finde.
pier, Waschmittel und Shampoo sind aus China. Pro- Ein Pakistani lässt mich auf seine Stoffballen sitzen. -
dukte aus allen Ecken der Welt sind hier im Bazar von Ein komfortabler Sitz im Vergleich zu den Holzbän-
Quetta, der Hauptstadt von Baluchistan, aufgestapelt. ken der zweiten Klasse.
„Tut mir leid. Der Schalter ist heute geschlossen.“ Es ist furchtbar heiß. Bei jedem Stop kaufen wir von
UNTERWEGS
fliegenden Händlern Soft-Drinks. Doch ich könnte Li- Zeit in Großbritannien gelebt und spricht ganz gut
ter um Liter in mich hineinschütten, ohne dass mein Englisch. „Ein freies Zimmer suchst Du? No prob-
Durstgefühl dauerhaft gelöscht wird. lem, mit diesem Pass“ und hält mir einen pakistani-
schen Reisepass unter die Nase. „Hast Du Whiskey?“ -
Langsam nähern wir uns dem Indus-Tal. Nach starken „Nein, ich komme vom Iran“ - „Okay, wir fragen in
Regenfällen sind große Gebiete überschwemmt. Teil- diesem Hotel einmal nach.“
weise haben die Menschen ihre Bettgestelle direkt auf
dem etwas höher gelegenen Bahndamm aufgebaut. Das Zimmer ist ziemlich bescheiden, doch darüber er-
eifert man sich nicht mehr so stark, wenn man in der
Am Abend des zweiten Tages hat mein mir selbst auf- letzten Woche täglich vielleicht drei Stunden geschla-
erlegtes Martyrium ein Ende: Rawalpindi ist erreicht. fen hat.
Todmüde mache ich mich auf die Hotelsuche. Jetzt
um 22.00 Uhr sind die Bürgersteige schon hochge- „Fünfzig Rupie.“ - „Das glaubst Du doch wohl selbst
klappt - niemand mehr auf der Straße. nicht. Ein Zimmer wie dieses kostet vielleicht dreißig
Rupie aber nie fünfzig.“ - „Was hast Du für einen Be-
Nach einigen erfolglosen Versuchen frage ich eine ruf?“ - „Ich bin Student.“ - „Okay, was studierst Du?“
Gruppe junger Pakistanis. Einer von ihnen hat einige - „Wirtschaft.“ - „Großartig. Du wirst Finanzminister
BILLIGHOTEL
werden.“ - „Nie und nimmer, wenn die Österreicher Das ist aber am heutigen Nationalfeiertag nicht mög-
erfahren, dass ich für dieses Zimmer fünfzig Rupie lich. An nächsten Tag haben die Banken zwar offen,
bezahlt habe.“ - „Okay, 35. Morgen um acht bist Du dafür meldet sich zu Hause niemand.
wieder weg. Gib mir jetzt das Geld und Deinen Pass.“
- „Nein, entweder das Geld oder den Pass.“ - „Gut, Am dritten Tag klappt es endlich. Ich komme in die
bezahle jetzt die 35 Rupie.“ - „Okay“, ich schlafe Handelskammer durch. Während ich endlos weiterver-
sofort ein, als ich mich auf dem dreckigen Bett lang bunden werde, sehe ich meine Rupie schwinden. Für
strecke. jede Sekunde eine Rupie, nur um letztendlich zu erfah-
ren, dass mein Vater nicht da sei.
Am nächsten Tag wechsle ich das Hotel. Dort bezahle
ich für das Zimmer mit Bett und Nachttisch 27 Rupie, Am vierten Tag klappt es endlich, ich komme durch.
umgerechnet € 1,50. Dusche und WC befinden sich Am Tag Nummer fünf ist wieder Pause angesagt: Zia-
am Gang. ul-Haq, der pakistanische Staatspräsident, ist mit dem
Flugzeug abgestürzt oder abgestürzt worden ist. Der
Dann fahre ich zum Telephon-Office, um nach Hause sechste und siebte Tag gehen für die Staatstrauer
zu rufen. Da aber keine R-Gespräche möglich sind, drauf. Ämter und Geschäfte haben geschlossen, die
muss ich erst einmal zur Bank, um Geld zu wechseln. Straßenhändler verdienen sich eine goldene Nase.
TEEKOCHER
Ich habe den ganzen Tag Zeit, die elf Seiten der eng- ging das in Islamabad ruck zuck und ohne Probleme.
lischsprachigen Pakistan Times zu studieren. Der Te-
nor des Leitartikels über den Tod des Staatsober- Probleme gibt es aber bei American Express. Ein Pa-
haupts: Eine Welt bricht zusammen. Etwas klarer sehe ket mit Medikamenten und Filmen, das vor eineinhalb
ich, als ich erfahre, dass der Chefredakteur erst durch Wochen bei American Express in Salzburg aufgegeben
Zia-ul-Haq wieder zu seinem Posten gekommen ist. wurde, ist noch immer nicht da. Zu allem Überfluss
hat mein Vater auch noch Geld an mich überwiesen,
Ein Pakistani, der mich zum Tee einlädt, sieht die Sa- dass natürlich auch noch nicht da ist.
che etwas anders: Er ist froh, dass Zia-ul-Haq tot ist.
„Sieh Dir Pakistan nur an: alles dreckig, ein richtiger Am neunten Tag habe ich endlich ein Erfolgserlebnis:
Saustall.“ Er ist Royalist, einen König an die Spitze des Ein zweites Paket, das vor vier Tagen bei der Post als
Staates, wie in Saudiarabien, wo er arbeitet. Express-Mail-Paket aufgegeben wurde, ist eingetrof-
fen. Am zehnten Tag habe ich von Rawalpindi und
Am achten Tag gehe ich zur chinesischen Botschaft, der Warterei endgültig die Nase voll: Ich fahre Rich-
um mir meinen Pass wieder abzuholen. War es in tung Nordwesten los, nach Chitral, einem Ort nahe
Österreich nahezu unmöglich, als Einzelreisender ein der afghanischen Grenze.
Visum für die Hauptreisemonate zu bekommen, so
Aah, endlich weht mir wieder Reiseluft um die Nase. ten vor, wie günstig eine neue Bleispritze bei ihm zu
Mit Minibussen geht es flott in die Berge. Ich lebe haben sei. Dieses Thema wird im ganzen Fahrzeug lei-
richtig auf, als ich die Monsunschwüle des Tieflands denschaftlich diskutiert, jeder ist natürlich Spezialist.
hinter mir lasse und wieder kühle Bergluft atme. Da
kann nicht einmal die Tatsache meine Freude trüben, In Dir frage ich den Fahrer noch einem Hotel. „Big or
dass der Toyota Hiace mit zwanzig Personen mehr als small money?“ - „Small money.“ -“Okay, dann gehe in
überbesetzt ist. diese Richtung.“ Im Hyat, wo das Bett nicht einmal €
0,55 kostet, wartet schon ein französisches Pärchen
Meine Mitfahrer sind bärtige Gesellen, manch einer und ein Schwede auf mich. Sie haben gute Nachrich-
hat sogar seine Donnerbüchse dabei. Neben mir rech- ten: Nachdem der Lowari-Paß zwei Tage gesperrt war,
net gerade ein Waffenschmied einem weißhaarigen Al- soll er morgen wieder offen sein.
DIR
Dazu kommt noch, dass ich in Rawalpindi ganz verschwitzt habe, dass es auch
einmal kühler werden kann, und ich daher keinen langärmeligen Pullover ge-
kauft habe. So friere ich im kalten Zimmer und hole mir auch prompt eine
Erkältung.
Die starken Regenfälle haben auch zu Murenabgängen geführt. So ist jetzt der
Dorfbach verlegt und es kommt kein Wasser mehr herunter. Das wäre weiters
nicht so schlimm, wenn ein Seitenarm nicht für die Wasserspülung in unserer
Toilette gesorgt hätte.
Am nächsten Tag - wir können es fast nicht glauben - scheint wieder die Son-
Immer wieder treffen wir auf einheimische Frauen mit kunstvollen Gewändern
und Frisuren. Sie sind Angehörige der Kafir Kalash, legendäre Nachkommen
von Söldnern Alexander des Großen. So soll zum Beispiel das Chowas-Fest,
das sie vom 18. - 21. Dezember feiern, große Ähnlichkeiten mit vorchristlichen
skandinavischen Wintersonnenwend-Feiern aufweisen.
Als wir die Frauen fotografieren wollen, wenden sie sich ab und fordern Geld.
Da wir aber dieser „One picture, one dollar“-Unsitte nicht Vorschub leisten
wollen, verzichten wir auf die Aufnahmen.
Weiter aufwärts wird der Weg immer schmäler, ein weiß angezuckerter Bergrie-
se am Talschluß liegt zum Greifen nahe. Über einen Pass kann man Afgha-
nistan erreichen, das von hier nur mehr 15 km entfernt ist.
Es ist eine afghanische Familie, die hier zusteigt. Die Frau trägt über dem gan-
zen Körper einen weißen Umhang, nur bei den Augen ist ein „Sehgitter“ freige-
lassen. - So verhüllt waren die Frauen ja nicht einmal im als konservativ-
islamisch verrufenen Iran!
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