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Wo Seifenblasenprinz und Bär Kinder und Kunst zusammenbringen

von Barbara Petsch / "Die Presse" vom 4.7.2001, Seite: 29

Traude Kossatz gestaltet seit 20 Jahren die Aufführungen des Wiener Puppentheaters
Lilarum. Ein Gespräch über falsch verstandene Kinderliebe, solides Handwerk - und den
Reiz der Moderne.

"Ich hab nie Puppentheater gemacht, weil ich Kinder so lieb hab." Eine überraschende
Feststellung für eine Puppenmacherin. Überraschend ist auch das Aussehen von Traude
Kossatz, die seit 20 Jahren das Lilarum betreibt: Randlose Brille, blitzende Augen, das Gesicht
einer Intellektuellen - die Hände einer Handwerkerin. 15 Personen beschäftigt die Bühne in der
Göllnergasse in Wien-Erdberg. Tatsächlich handelt es sich aber um eine Ein-Frau-Manufaktur.
500 Puppenhelden hat Kossatz hergestellt. Sie macht alles selbst: die Holz- oder Schaumstoff-
Figuren, die Entwürfe, die Schnitte, jeder Stich ist handgenäht: "Die Puppen müssen ja viele,
viele Vorstellungen aushalten." Kossatz sucht die Stücke aus, schreibt sie auch manchmal
selbst oder fungiert als Koautorin. Sie fertigt die Bühnenbilder, inszeniert, wirkt mit bei Licht und
Ton; letzterer kommt vom Band, bekannte Schauspieler wie Hilde Sochor, Heinz Petters, Karl
Ferdinand Kratzl sprechen die Texte.

Kossatz hat zehn Jahre als Uhrmacherin gearbeitet. Sicher hantiert sie mit Feile, Bohrer,
Lötkolben: "Ohne meine Handwerksausbildung könnte ich diese Arbeit nicht machen."
Die Wirkung ist wundersam und gegenwärtig in einer Jubiläumsausstellung in der Göllnergasse
zu erfahren.

Von Brancusi inspiriert

Da sind sie alle in Kojen versammelt: die Staublinge für die Weihnachtspuppe, die sich
von einem Dachboden aus auf die Suche nach ihrer Puppenmutti macht, der Monddrache,
der Sandwasserzwerg, die Luftschloßprinzessin, der Seifenblasenprinz, ein lustiges
Blechmännchen mit Trichterhut und Sieb-Halskrause, viele Mäuse - und ein bizarr verrenkter
Caliban für Shakespeares "Sturm", eines der wenigen Erwachsenenstücke des Lilarum.

Kossatz wurde 1939 in Wien geboren, sie studierte Malerei und heiratete einen Kunsthistoriker,
der früh starb und sie mit zwei Söhnen zurückließ. 1980 gründete sie die Wanderbühne Lilarum,
1984 eröffnete sie ein Kellertheater in Penzing, 1997 zog das Lilarum in ein ehemaliges
Filmstudio in der Göllnergasse um.

Mit sechs Millionen Subvention wurde das desolate Studio in ein Theater umgebaut, in dem
nun jährlich zwei Neuproduktionen und zehn Wiederaufnahmen gezeigt werden. Rund 120
Sitzplätze faßt die Bühne; dadurch können nun auch Kindergartengruppen kommen. Zwei
Millionen im Jahr gibt die Stadt Wien, 480.000 Schilling der Bund.
Drei- bis Fünfjährige sind die Zielgruppe. Puppentheater gilt als "Kinderei". Kossatz freut das
nicht, ihre Kreationen sind von den Malern der Moderne inspiriert: "Alles nach Picasso und
Cezanne. Brancusi liegt mir mehr als der Kasperl".

Trotz des großen Angebots an Kinderliteratur sei es schwer, passende Stücke zu finden: "Alles
ist heute so pädagogisch und therapeutisch. Ich denke mir manchmal, die Eltern wollen immer
einen Nutzen sehen: Was hat das Kind gelernt? Der Druck auf die Kinder, schnell erwachsen zu
werden, der Konkurrenz standzuhalten, wächst."
Wie luftige Phantasiegebilde wirken dagegen die meisten Lilarum-Aufführungen. "Ich glaube
an Geister", sagt Kossatz, fügt aber gleich hinzu: "Ich will aber nicht in die esoterische Ecke
gedrängt werden."

Keine alten Märchen

Nein, ihre Puppen erscheinen ihr auch nicht im Traum, und zum Harry-Potter-Boom hat
Kossatz eine pragmatische Einstellung: "Es muß was dran sein an diesem Phantasie-Produkt.
Anscheinend hat da etwas gefehlt auf dem Kinderbuchmarkt."
Vom Fernsehen fühlt sie sich nicht bedrängt, Kinder und Erwachsene kämen nicht in ihr
Theater, um Comics zu sehen. Klassische Märchen meidet sie: "Ich will die Hexe im Ofen nicht
verniedlichen, wenn ich das aber realistisch bringe, besteht die Gefahr, daß die Kinder verletzt
werden." Schauspieler, die kleine Menschen auf der Bühne darstellen, sieht sie nicht gern: "Die
Stärke der Puppe liegt gerade darin, daß sie nicht lebendig ist. Sie ist nur, was sie ist: eine
Maus, ein Bär, ein König - und hat keine Identität außerhalb der Aufführung", meint Kossatz.
"Puppen sind eine Kunstform, und ohne Kunst gibt es keinen Fortschritt. Kinder sollen sehen,
daß noch etwas außer dem Supermarkt existiert - Literatur, Bilder, Musik. Ich vermute, daß
es auch viele Kindergärtnerinnen gibt, die diesen Beruf nicht gewählt haben, um mit Kindern
zusammenzusein, sondern Kindern etwas zu vermitteln."

Ausstellung: III., Göllnergasse 8, U3 Kardinal-Nagl-Platz; ab drei Jahren. Fr.-So. 14-18 Uhr, bis
27. Juli.

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