nen. Nicht, dass Bredenberg etwas mit Sommer- ferien zu tun hätte, mit deren heiß ersehntem Be- ginn, mit deren betrauertem Ende, mit deren Hö- he- und Wendepunkten, schon lange nicht mehr. Aber Bredenbergs Pavillon liegt im Westen Nie- dersachsens und somit wurde auch Bredenbergs Pavillon umschlossen von den niedersächsischen Sommerferien wie ein Hallighaus bei Landunter, und gleichermaßen Bredenberg, wenn er sich in seinem Pavillon aufhielt.
Bredenberg bemerkte diese Sommerferien erst ei-
nige Tage nach ihrem Beginn, nämlich, als junge Mädchen - wie viele es sein mochten, konnte er nicht ausmachen - auf dem Nachbargrundstück über ein Wiedergabegerät immer wieder dasselbe Lied abspielen ließen und an einer bestimmten Stelle laut mitsangen, und das an einem Vor- mittag, an dem, so meinte Bredenberg, junge Mädchen im Alter von etwa zehn Jahren unter normalen Umständen in einer Schulbank zu sit- zen hätten.
Bredenwerk diagnostizierte den Beginn der Fe-
rien und er erinnerte sich freundlich daran, wie oft er in seinem Leben die Sommerferien begrüßt hatte und wurde etwas - nur etwas - melancho- lisch bei dem Gedanken, zwar in der glücklichen Situation zu sein, den ganzen Sommer frei von Arbeit genießen zu können, aber der Freude über den Beginn solcher Ferien von nun an und für im- mer beraubt worden zu sein.
So freute er sich mit den Mädchen aus der Nach-
barschaft, die immer wieder das gleiche Lied ab- spielen ließen und an einer ganz bestimmten, ex- ponierten Stelle lauthals mitsangen.
Bredenberg kannte dieses Lied, ungenau zwar,
denn er hatte es auf Autofahrten oder zu anderen Gelegenheiten beiläufig im Rundfunk gehört, hatte aber Melodie und Text schnell wieder ver- gessen. Nun, da es ihm immer wieder und wieder ins Gehirn eingespeist wurde, war er endlich in der Lage, Text und Melodie angemessen auswen- dig zu lernen.
Verdruss kam bei Bredenberg erst auf, als er
meinte, er könne nun Text und Melodie bei jeder Gelegenheit und für alle Zukunft rezitieren und er sich an ein Element aus der Lerntheorie erinnerte, welches besagte, dass ein Überlernen der Vorga- ben nicht nur in gewisser Weise strapaziös, son- dern auch kontraproduktiv sei. Bredenberg fing an, allmählich die Gefahr zu überdenken, dass dieses Lied den ganzen Sommer über vom Nach- bargrundstück in seinen Pavillon hineinstrahlen werde und er in die Not geraten solle, Sommer- ferien deutlich anders als früher bewerten zu müs- sen.
Bredenberg bewunderte einerseits die Hart-
näckigkeit von jungen Mädchen, einen langen Tag immer wieder dasselbe Lied hören zu können und bedauerte andererseits seine eigene Unfähig- keit, hier standzuhalten.
So verging der Tag. Bredenberg verließ seinen
Pavillon früher als sonst, hoffte für die nähere Zu- kunft auf verregnete Sommertage oder plötzlich eintretende Gewitter, die seinem Garten, aber auch seinem Wohlbefinden zuträglich sein wür- den.
Bredenberg war in dem Alter, in welchem er auch
nachts gelegentlich wach wurde. Diese Zeit nutz- te er üblicherweise zum Nachdenken. In der die- sem Tag folgenden Nacht jedoch gingen ihm Text und Melodie des tags zuvor genossenen Liedes nicht aus dem Kopf. Es drängte immer wieder in alle Windungen, Knotenpunkte und Synapsen und zertrümmerte jeden konstruktiven Gedanken, der ansatzweise aufkommen wollte.
Gegen zehn Uhr am Vormittag des nächsten Ta-
ges spülte das Wiedergabegerät von Nachbar- grundstück Töne herüber, die Bredenberg in den ersten Sekunden als Anfang eines ganz anderen Liedes ausmachte, bis er schmerzlich erkennen musste, dass es sich wieder um die Weise vom Vortage handelte. Als junge Mädchenstimmen abermals an der gleichen Stelle mit ihrem Gesang einfielen, war er sich sicher, dass auch dieser Tag wie der Vortag verlaufen würde und versuchte, sein Schicksal zwischen Rebellion und Gleichmut zu sortieren. Mehrere Stunden hielt Bredenberg in seinem Pa- villon durch, hoffte auf andere Nachbarn, die sich beschweren würden, damit er sein Image als Kin- derfreund bewahren könne. Er dachte über Eltern nach, die bei kultureller Eindimensionalität heut- zutage viel zu spät einschreiten, verfluchte Wie- dergabegeräte aller Art und entwickelte kluge po- litische Gedanken zur Vermeidung einer Umwelt- verschmutzung im Geräusch- und Lärmbereich.
Schließlich stand Bredenberg, sich überwindend,
auf, trat an die durch zahlreiche Sträucher mar- kierte Grundstücksgrenze, bog einige Zweige zur Seite, um auf das Nachbargrundstück zu sehen, gewahrte, dass es sich bei dem Spektakel um genau vier junge Mädchen handelte und bemerkte zudem die Oma eines der vier Mädchen.
Auch diese sah Bredenbergs Kopf im Gesträuch,
wandte sich an die Mädchen mit den Worten: "Jetzt hört mal bitte auf mit der Musik, die Nach- barn gucken schon."
Augenblicklich beendeten vier gehorsame Mäd-
chen die Musik. Genussvolle Stille senkte sich über die Region. Bredenberg schlich zurück in seinen Pavillon und war sich sicher, der Oma ei- nen großen Gefallen getan zu haben, die, befreit von Melodie, Text, Gesang, Geräusch und Lärm ihr Image als verständnisvolle und kinderfreund- liche Omi bewahren durfte, indem sie auf musik- feindliche und kinderunfreundliche Nachbarn aufmerksam machte. Bredenberg ließ diese Unge- rechtigkeit widerspruchslos zu und freute sich über einen geretteten Sommer.