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Deutschland
revised by AnyBody
Mit über 400 Sagen eine der umfangreichsten Sammlung deutscher Sagen
nach Bundesland sortiert.
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Das Goldlaiblein
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Der Schatz auf dem Hohenbogen
Seit alters geht die Mär, daß viele Klafter unter dem
Burgstallberg in einem kupfernen Kessel ein reicher Schatz
verborgen sei. Alle hundert Jahre einmal wird ein Mensch
geboren, der ihn unter gewissen Bedingungen zu heben vermag.
Ein Hirt von Schwarzenberg, der eines Tages seine Herde auf
der sogenannten kleinen Ebene am Fuße des Burgstallkegels
weidete, soll so ein Mensch gewesen sein. Als er abends die
Tiere eintreiben wollte, vermißte er ein junges Rind; nach
einigem Suchen hörte er es hoch oben im Walde Laut geben. Er
stieg eilig den Burgstall hinan und war schon nahe dem Gipfel,
als plötzlich eine wunderschöne, aber seltsam und fremdartig
gekleidete Jungfrau vor ihm stand und ihn mit schmeichelnder
Stimme anredete:
"Du kommst zu guter Stunde hierher. Wisse, daß es in meiner
Hand liegt, dich zum reichsten Mann im Land zu machen. Ich
kann dir offenbaren, auf welche Weise du den unter unseren
Füßen vergrabenen Schatz zu heben vermagst."
Der Hirt. den beim ersten Anblick der Erscheinung ein
heimliches Grauen beschlichen hatte, faßte Mut und entgegnete,
er sei bereit, nach ihrer Unterweisung zu handeln.
Freudig fuhr die Jungfrau fort: "Finde dich heute über acht
Tage zu Beginn der Mitternachtsstunde am Fuß des Burgstalls
ein, zwei Priester mögen dich begleiten, welche die
Beschwörungsformeln zu sprechen wissen. Ihr werdet den
Schatz oben auf dem Gipfel des Berges liegen sehen. Schreitet
nur mutig drauflos und laßt euch nicht irre machen, was immer
euch auch in den Weg treten mag, sähe es auch noch so
schrecklich aus; denn es ist nur ein Blendwerk des Bösen, der
euch weder an Leib noch an Seele schaden kann. Bist du dann
an die Schatztruhe herangekommen, so greife mit beiden
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Händen keck in den Goldhaufen hinein, und er ist dein für
immer.
Aber wehe mir, wenn du dich durch die Künste des Satans zu
feiger Flucht bewegen ließest, wehe mir! Ich müßte dann
wiederum hundert Jahre umherirren und könnte nicht zur
ewigen Ruhe ein gehen. Sieh dir dieses zarte Reis hier an!"
dabei wies sie auf ein dem Boden entsprossenes
Ahornbäumchen, "es muß zu einem starken Baum
heranwachsen, aus seinem Stamm müssen Bretter geschnitten
und diese zu einer Wiege gefügt werden; der Knabe, der in
dieser Wiege ruhen wird, muß zum Mann geworden sein, dann
erst darf ich wieder auf Erlösung hoffen. Gedenke der
unaussprechlichen Leiden einer armen Seele, erbarme dich
meiner, wie du willst, daß Gott der Herr sich deiner erbarme,
und erlöse mich!"
In den letzten Worten der Jungfrau lag der Ausdruck eines so
herzzerreißenden Jammers, daß der Hirte davon aufs tiefste
ergriffen wurde. Mehr der Wunsch, so große Pein zu lindern, als
die Begierde nach den verheißenen Reichtümern trieb ihn an,
das Wagnis der Schatzhebung zu unternehmen. Eben wollte er
der Jungfrau seinen Entschluß kundgeben, als sich ihre Gestalt
in leichten Nebelflor auflöste, den der Abendwind über dem
Gipfel des Burgstalls in nichts zerstäubte. Aus dem Gebüsch
aber, an dem sich die Erscheinung gezeigt hatte, kam das
verlorene Rind hervor und folgte dem Hirten willig auf den
Weideplatz hinab.
Am nächsten Morgen hatte der Hirt nichts Eiligeres zu tun, als
nach Neukirchen zum Kloster der Franziskaner zu gehen und
dem Pater Guardian den wunderbaren Vorfall zu berichten.
Dieser hielt mit andern Patern Rat, was in der Sache zu tun sei,
und man kam zu dem Entscheid, daß es sich hier um die
Erlösung einer armen Seele und einen Triumph über den Satan
handle, wozu die Diener der Kirche hilfreiche Hand bieten
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müßten. Zwei Mönche erhielten den Auftrag, sich durch Beten
und Fasten zu dem heiligen Werk vorzubereiten.
Zur bestimmten Stunde trafen die Priester und der Hirt am
Burgstall zusammen; eben schritten sie über den Weideplatz hin,
als die Turmuhr zu Neukirchen die elfte Stunde anzeigte. Mit
dem letzten Schlag loderte auf dem Gipfel des Burgstalls eine
hohe Flamme empor, und die Mönche erkannten dies als das
Zeichen, daß der Schatz sich aus dem Erdinnern erhoben habe.
Nachdem sie den Hirten gewarnt hatten, nicht von ihrer Seite zu
weichen, schickten sie sich an, dem bösen Feind tapfer zu Leibe
zu rücken. Aber kaum hatten sie einige Schritte bergan gemacht,
als im Wald ein seltsames Leben rege wurde. Eulen und
Fledermäuse flatterten den nächtlichen Wanderern in dichten
Schwärmen entgegen, von allen Seiten wurde aus dem
Unterholz Totengebein auf sie geworfen, und grinsende Schädel
kollerten unter ihren Füßen hin.
Die frommen Söhne des heiligen Franziskus ließen sich von
diesem Spuk keineswegs beirren, sondern drangen, mit lauter
Stimme Beschwörungsformeln hersagend, rastlos voran. Schon
mochten sie die Hälfte des Weges zurückgelegt haben, als der
bisher mondhelle Himmel sich plötzlich verfinsterte und ein
Sturm losbrach, der den ganzen Berg zu erschüttern schien. Die
Blitze fuhren hageldicht hernieder, der Donner krachte Schlag
auf Schlag, die Gießbäche stiegen im Nu, brausten über ihre
Ufer und wälzten mannshohe Fluten gegen die drei Männer
herab. Diese meinten, bis an den Hals im Wasser zu waten; aber
wie sie näher zusahen, fanden sie, daß nicht ein Faden ihres
Gewandes naß war. Darum achteten sie auch nicht weiter
darauf, als ihnen noch allerlei andere Schreckbilder, bald
tierähnlich, bald menschlicher gestaltet, in den Weg traten.
Endlich erreichten sie den Gipfel, ohne daß ihnen ein Haar
gekrümmt worden wäre.
Hier sahen sich wenige Schritte vor sich, hell von der noch
immer lodernden Flamme erleuchtet, ein kesselartiges Gefäß,
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das bis zum Rande mit funkelnden Goldmünzen gefüllt war.
Eben wollte der Hirt vortreten, um, wie ihm die Jungfrau
geboten, den Schatz zu erfassen, da wankte der Boden unter
ihm, und von unterirdischer Kraft gehoben, wich ein mächtiger
Felsblock polternd von seinem Platze.
Aus der Öffnung, die sich gebildet hatte, kroch ein
scheußlicher Lindwurm hervor und ringelte seines Leibes endlos
gestreckte Glieder dreimal um den Gipfel des Burgstalls herum,
einen furchtbaren Schutzwall vor dem Goldkessel auft ürmend.
Das Erscheinen dieses Ungeheuers setzte den Mut der guten
Mönche auf eine zu harte Probe. Sie glaubten sich schon von
den scharfen Zähnen des Drachen gepackt und fielen mehr als
sie liefen den steilen Abhang hinunter. Dem Hirten, der sich von
seine n geistlichen Helfern verlassen sah, blieb nichts übrig, als
ihnen zu folgen. Wohl vernahmen sie hinter sich die Stimme der
Jungfrau, die unter klagenden Rufen zum Ausharren mahnte,
aber die Flüchtenden waren nicht mehr zum Stehen zu bringen.
Nur einmal hatte der Hirt es gewagt umzuschauen und dabei
gesehen, wie der Gipfel des Berges sich spaltete und in seinem
weiten Riß die Schatztruhe verschlang. Darauf erhob sich ein
tausendstimmiges Geheul, daß dem erbleichenden Jüngling
schier das Blut in den Adern gerinnen wollte.
Es war das Hohngelächter der Hölle. Der Schatz von
Hohenbogen aber wurde nie gehoben.
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Der Schimmelturm zu Lauingen
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Zur Erinnerung an diese wundersame Begebenheit ließen die
Lauinger den großen Schimmel an den Hofturm malen und
nennen diesen seither den "Schimmelturm."
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Der Schmied von Mitterbach
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Garten gingen, wo die Kirschbäume voll reifer Früchte hingen,
bewog der Schmied den Teufel, auf einen Baum zu steigen und
ihm als letzte Gunst einige Kirschen zu brocken. Der Teufel
wollte, nachdem er genug abgepflückt zu haben wähnte, wieder
vom Baum herabsteigen, aber siehe da! inzwischen hatte der
Schmied mit einer weißen, wundertätigen Kreide, die ihm die
kluge alte Wahrsagerin gegeben hatte, einen Kreis um den
Baum gezogen - und der Satan saß wie angepicht auf dem Aste.
Da rief ihm der Schmied zu, er solle den Vertrag herabwerfen,
dann wolle er ihn loslassen. Der Höllenfürst wollte dieser
Aufforderung lange nicht nachkommen. Endlich schleuderte er
dem harrenden Mitterbacher eine falsche Urkunde herab. Doch
dieser erkannte den Betrug, und so mußte der Teufel fletschend
und heulend und unsäglichen Gestank verbreitend viele, viele
Stunden auf seinem luftigen Sitz verbringen. Indes nahte die
Geisterstunde ihrem Ende, und der Teufel geriet in Gefahr, seine
Herrschaft auf immer zu verlieren. Das machte ihn mürbe, wie
man leicht begreifen wird. Er drehte sich ein Hörnlein ab, nahm
daraus ein vergilbtes Zettlein Pergament und warf es dem
Schmied zu, der das Schriftstück als die echte Handschrift
erkannte, worauf er den Vertrag in tausend Fetzen zerriß. Dann
zog er einen Kreis mit schwarzer Kreide, die von seltsamer
Wunderkraft war. Der Satan aber fuhr wie der Wind, großen
Gestank verbreitend, sogleich in alle Lüfte davon.
Aber wer sich einmal mit der Hölle eingelassen hat, der ist ihr
verfallen und vermag sich nimmer loszumachen. So erging es
auch dem Mitterbacher. Er verschrieb sich dem Teufel zum
zweitenmal, doch diesmal nahm der betrogene Satan sich wohl
in acht, neuerlich geprellt zu werden. Nach Ablauf der Zeit bat
der arme Sünder, es möchten ihm nur noch drei irdische
Wünsche erfü llt werden, weil er nun doch sein liebes Weib und
seine Kinder verlassen müsse; seien die Wünsche erfüllt, dann
zöge er gern mit fort in die Hölle. Und mit seinen Bitten vereinte
die Frau ihr Flehen, und die jungen, rotbäckigen Töchterlein des
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Schmiedes streichelten dem Geißfuß die haarige Wange und
drangen bittend in ihn. Da wurde der alte Griesgram
weichherzig und konnte nicht mehr widerstehen.
Der erste Wunsch aber lautete: über Nacht sollten alle Felder,
Wiesen und Gründe des Schmiedes mit einer Mauer aus
Quadersteinen umgeben sein, zehn Schuh hoch und fünf Schuh
dick.
Diesem kühnen Begehren wurde völlig entsprochen; denn als
der Mitterbacher morgens aufstand und in seinem Besitztum
umherwanderte, sah er eine so starke, prächtige Mauer, wie man
sich,s kaum denken kann. Hierauf bestieg der Schmied seinen
Schimmel. Der lief so schnell wie ein Lauffeuer; der Schmied
aber trug dem Teufel auf, so eilig den Weg vor ihm zu pflastern
und hinter ihm wieder aufzureißen, als er reite. Auch dies
Verlangen wurde erfüllt, obgleich der Mitterbacher ritt, bis der
Gaul verendet hinfiel.
Nun wußte der Schmied nicht mehr, was er noch wünschen
könne, und ging deshalb zu der weisen Frau im Dorfe. Diese
sagte ihm, er möge dem Teufel eine Locke der krausen Haare
seines Kopfes zum Geradeschmieden geben. Da zupfte sich der
Schmied, froh, solche Auskunft erhalten zu haben, eine Locke
aus und gab sie dem Luzifer zum Geradeschlagen. Dieser
klopfte gewaltig auf das Haar los, bis er die Unmöglichkeit des
Beginnens begriff. Voll Ärger und Verdruß fuhr der Teufel
unter lauten Drohungen davon.
Der Mitterbacher aber, verblendet und frech gemacht durch
die wiederholte unverhoffte Rettung, verschrieb sich zum dritten
Male dem Teufel und mußte nach Ablauf der Frist ohne Gnade
und Barmherzigkeit in die Hölle hinab.
In der Hölle gibt es einen Ort, wo nur solche Menschen
hinkommen, die auf der Welt niemand erschlagen, keinen Raub
noch andere schwere Verbrechen begangen, sondern nur in
Trunk, Spiel und bei anderer Kurzweil ihre Tage verbracht
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haben. Dort sitzen die lustigen Brüder in einer pechschwarzen
Rauchkammer, die gar unheimlich von Spanlichtern erhellt ist.
Diese Männer trinken Bier und Schnaps, schnupfen, rauchen,
spielen Karten, streiten, raufen, werden wieder gut mitsammen,
singen und schnaderhüpfeln. Doch einschenken und Span
putzen müssen die Teufel. Diese aber zwicken in ihrer
angeborenen Bosheit manchmal die Spieler mit glühenden
Zangen und tun ihnen sonst allerlei Übles an; die geplagten
Häftlinge aber können sich dagegen nicht wehren und auch
keine Rache nehmen an den boshaften Plagegeistern.
Als die Bewohner der Rauchkammer nun den Mitterbacher,
der einen Schnappsack, wohlgefüllt mit seinem Handwerkszeug,
über den Rücken geworfen trug, mit dem Oberteufel
hereinkommen sahen, waren alle freudig bewegt, weil sie schon
gar manches lustige Stücklein von jenem Schmied gehört hatten.
Der Schmied aber setzte sich gleich an einen Tisch und begann
nach tapferem Begrüßungstrunk ein Spielchen zu machen. Aber
bald geriet er mit den Teufeln in Streit, die auch ihn mit ihren
Teufeleien nicht verschonten. Da griff der ungebärdige Mann
nach seinem guten Hammer, schlug die Hörnleinmänner tüchtig
nieder und brachte sie alle nach mannhaftem Kampf in seinem
Schnappsack unter, wo er sie mit seiner Beißzange noch gehörig
zwickte. Die Teufelchen schrien um Gnade; der Fürst der Hölle
aber entließ den Schmied schleunig, weil er so gewalttätig war.
Stolz warf der Mitterbacher den Sack mit den kläglich
zugerichteten Teufeln in eine Ecke, sagte den fröhlichen
Kameraden ein freundliches Lebewohl und ging rasch von
dannen, in den Fäusten Hammer und Zange haltend.
Der Mitterbacher ging nun geradewegs dem Himmel zu und
klopfte da nach seiner Art mit dem Hämmerlein an die Pforte.
Aber St.
Petrus öffnete nicht. Da wurde der Schmied zornig, drückte
die Tür mit Gewalt ein, warf Petrus die Himmelsleiter hinab und
drang bis vor Gottes Angesicht. Gott aber rief ihm zu: "Weiche,
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Verworfener, und wandere in alle Ewigkeit! Du gehörst nicht in
den Himmel, taugst nicht in die Hölle und kannst nimmer zur
Erde zurückkehren. "
Seitdem wandert der Schmied von Mitterbach umher, man
weiß nicht wo, doch muß er wandern in alle Ewigkeit.
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Der betrügerische Anwalt von München
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Die "wilde Jagd" bei Lengenfeld
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Die 'lange Agnes' im Walde bei Furth
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Die Burgruine Rabenschaichen bei Kempten
Wenn man auf der Straße von Kempten nach Memmingen das
Anlehen Hirschdorf hinter sich hat, sieht man, etwa eine
Viertelstunde Weges unterhalb dieses Dorfes, neben der Straße
am nahen Waldsaum eine zerfallene Burgruine, über die junge
Birken und Tannen emporragen. Daneben liegt ein Weiler, von
mehreren zerstreuten Häusern gebildet, der bis auf den heutigen
Tag den Namen von dieser Burg Rabenschaichen trägt. Hier
hauste in alten Zeiten ein gewalttätiger Ritter, der Schrecken der
ganzen Gegend.
Zogen die Ulmer Kaufleute mit ihren Waren aus Welschland
vorbei, so lauerte Kuno mit seinen wilden Gesellen im Gehölz,
plünderte die Reisenden aus oder ließ sich das Weiterziehen mit
blankem Gold bezahlen. Seine Untertanen bedrückte er auf alle
erdenkliche Weise; kam ein Bettler an die Schloßpforte, so
hetzte er seine zottigen Rüden auf ihn und sah mit
Hohngelächter zu, wenn sie den Armen übel zurichteten. Das
unrecht gewonnene Gut wurde dann in schwelgerischen Gelagen
verpraßt, wobei die geraubten Weinfässer, wenn sie ihres
feurigen Inhalts entleert waren, unter dem Gejauchze der
Zechenden in den Burggraben hinabgerollt wurden.
Viele Jahre trieb der Ritter das wilde Raubhandwerk, fragte
nicht nach Gott und nach den Menschen, und so kühne
Abenteuer er auch unternahm, immer kehrte er siegreich von
seinem Strauß heim, so daß es ringsum hieß : Ritter Kuno hat
seine Seele dem Teufel verschrieben, deshalb richtet niemand
etwas gegen ihn aus.
Plötzlich starb er jedoch um die Mitternachtsstunde, nachdem
er von einem blutigen Raubzug heimgekehrt war. Seine
Spießgesellen trugen den Leichnam in das oberste Gemach, von
dessen Söller sonst Ritter Kuno nach vorüberziehenden
Kaufleuten auszuspähen pflegte.
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Während die Gesellen dann im Erdgeschoß über der Teilung
der angehäuften Schätze haderten und lärmten, erscholl plötzlich
um die Zinnen der Burg das kreischende Gekrächze einer Schar
Raben, die bald durch die geöffneten Fenster in das
Totengemach hineinflogen und unter gräßlichem Geschrei das
Antlitz des Verstorbenen mit wütenden Schnabelhieben
zerfetzten.
Die Totenwächter vermochten die schwarzen Gesellen erst zu
verscheuchen, nachdem das Gesicht des aufgebahrten Ritters
gänzlich zerfleischt war. Die Zechenden im Hof ergriff kalter
Graus; sie ahnten Gottes Strafgericht, verteilten die geraubten
Güter teils unter die Armen, teils an Kirchen; das Raubnest aber
überlieferten sie den Flammen, die die Burg bis auf die
Grundmauern verzehrten.
Nur wenige Trümmer und der Name der Burg -
Rabenschaichen - erinnern an den einstigen Glanz dieser Stätte.
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Die Wirtin von Schweinau
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König Watzmann
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Und die Erde erbebte, der Sturmwind brauste, als wäre das
Weltende nah; Feuer sprühte aus dem Schoß der Erde und
verwandelte den König, Gattin und Kinder in riesige Felsen.
So steht König Watzmann mit Frau und sieben Kindern zu
Stein geworden in der felsigen Wildnis und blickt als ewiges
Wahrzeichen herab ins Berchtesgadener Land.
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Otto Seemoser, der Torwart zu Freising
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Schloß Leuchtenberg in der bayerischen
Oberpfalz
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Sagen aus Brandenburg
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Das gefangene Lüchtemännchen im Havelland
Einst wollte ein Hirt abends seine Herde von der Weide
heimtreiben.
Als er nahe bei seinem Dorfe Ferchesar im Westhavellande
war, bemerkte er, daß ihm eine Kuh fehle. Sofort kehrte er um
und suchte, konnte sie aber nicht finden. Ermüdet setzte er sich
auf einen Baumstumpf und zündete seine Pfeife an. Da
schwirrte plötzlich eine Schar von Lüchtemännchen (Irrlichtern)
heran und umringte ihn von allen Seiten. Anfangs sah er ihnen
ruhig zu; als sie ihn aber gar zu dicht umschwärmten, fürchtete
er, sie würden ihm das Haar versengen, und schlug mit seinem
Stock um sich. Aber je heftiger er dareinhaute, desto ärger
trieben sie es. Als er sich ihrer gar nicht mehr erwehren konnte,
griff er mit der Hand in den Schwarm und haschte eins von den
Lichtlein.
In demselben Augenblick war die ganze leuchtende Schar
verschwunden, und der Hirt hatte kein Lüchtemännchen,
sondern einen Knochen in der Hand, den er mit nach Hause
nahm. Andern Tags fand er auf der Weide die verirrte Kuh
wieder. Als er aber abends heimkehrte, war die ganze Dorfstraße
voll von Lüchtemännchen, die ihn umringten wie am Tag
vorher. Aber es waren ihrer noch viel mehr, und sie riefen ihm
zu: "Gib uns unsern Kameraden wieder, sonst stecken wir dir
dein Haus in Brand."
Vergebens beteuerte der Hirt, er habe nur einen Knochen
mitgenommen; sie drohten ihm noch ärger. Da eilte der Hirt ins
Haus und hielt den Knochen auf der flachen Hand zum Fenster
hinaus. Mit einemmal war es wieder ein Lüchtemännchen, das
sich, von den andern umringt, ins Freie schwang, und bald war
die ganze Schar hüpfend und springend zum Dorfe hinaus.
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Der Hirt aber hat von dieser Zeit an keine Hand mehr gegen
ein Lüchtemännchen gehoben, so viele er ihrer auch fernerhin
antraf.
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Der Schmied von Jüterborg
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einige Äpfel herunterholen, sie würden ihnen auf der weiten
Reise gut schmecken.
Das tat der Tod und saß wieder fest. Nun rief der Schmied
seine Gesellen herbei, die mit schweren eisernen Stangen
gewaltig auf den Tod losschlagen mußten, daß er Ach und Weh
schrie und den Schmied flehentlich bat, er möge ihn doch
freilassen, er wolle von nun an gern ausbleiben.
Als der Schmied hörte, daß der Tod ihn ewig leben lassen
wollte, hieß er die Gesellen einhalten und entließ seinen
Besucher von dem Baum. Der Tod zog glieder- und lendenlahm
davon und kam nur mit Mühe vorwärts. Da begegnete ihm
unterwegs der Teufel, dem er sogleich sein Leid klagte; aber der
Satan lachte ihn aus, weil er so dumm gewesen sei, sich von
dem Schmied täuschen zu lassen, und meinte, er würde bald mit
dem Schmied fertig werden. Darauf wanderte der Teufel in die
Stadt, klopfte bei dem Schmied an und bat, er möge ihm
Herberge für die Nacht geben. Nun war,s aber schon spät; der
Schmied weigerte sich, den Teufel einzulassen, und erklärte, er
könne die Haustür nicht mehr öffnen; wenn er jedoch zum
Schlüsselloch hereinfahren wolle, so möge er nur kommen. Das
war nun dem Teufel ein leichtes, und sogleich huschte er
hindurch.
Der Schmied war aber klüger gewesen als der Teufel; er hatte
innen seinen Kohlensack vorgehalten, und als nun der Teufel
darin saß, band er den Sack schnell zu, warf ihn auf den Amboß
und ließ seine Gesellen wacker draufloshämmern. Da flehte der
Teufel jämmerlich, sie möchten doch aufhören; aber die
Gesellen ließen nicht eher nach, als bis ihnen die Arme von dem
Hämmern müde waren und der Schmied ihnen endlich das Ende
befahl. Der Schmied ließ den Teufel nun frei; doch mußte er bei
dem gleichen Loch wieder hinaus, wo er hereingeschlüpft war.
Fortan trug der Teufel kein Verlangen mehr, noch einen
zweiten Besuch beim Schmied von Jüterbog zu machen.
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Der Teufel und die Holzhauer am Zootzen
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Der Teufel zu Spandau
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Der Trümmelmann des Alten Fritz
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hin. Nach einiger Zeit schien sich die schwere Tür wieder zu
schließen, und die Schritte entfernten sich.
"Ha," dachte Trümmelmann, "das muß ich untersuchen!" Leise
betrat er die Kammer, schlug mit seinem Zunder Licht und
trommelte sachte mit den Trommelstöcken die Wände entlang.
Auf einmal wich ein Teil der Wand zurück, und eine steile
Treppe zeigte sich, die in einen Keller hinunterführte, wo
mehrere Reihen von Fässern übereinanderstanden. Hier also war
der Schatz! Der Trümmelmann stieg vorsichtig die Stufen hinab
und versuchte, eine s der Fässer zu bewegen; aber er war es nicht
imstande, denn so groß war sein Gewicht.
Am nächsten Morgen geschah alles wie Tags zuvor. Der
Amtmann benahm sich noch ungeduldiger, und Trümmelmann
mußte trommeln, bis ihm die Hände erlahmten. Endlich - schon
stieg der Vollmond herauf - war die Arbeit getan, die letzte
Fuhre, ein Fuder Erbsen, in die Scheuer gebracht.
Der geizige Amtmann aber kümmerte sich nicht mehr um
seinen treuen Helfer und bot ihm nicht einmal ein Abendbrot.
Da las Trümmelmann mit knurrend em Magen voll Ärger die
Erbsen auf, die beim Einfahren der letzten Fuhre zur Erde
gefallen waren, um sich daraus selbst ein Gericht zu bereiten.
Als er aber die Bräustube betrat, wo er die vorige Nacht
geschlafen hatte, schoß ihm ein Gedanke durch den Kopf. Rasch
eilte er in die Nebenkammer, ließ die Wand zurückweichen und
streute auf der Treppe, die zum Keller führte, vorsichtig einen
Teil der Erbsen aus. Dann kochte er sich die übrigen und legte
sich zur Ruhe nieder.
Alles geschah wie in der vorigen Nacht. Aber auf die
schlürfenden Schritte und das Ächzen der Tür folgte diesmal ein
dumpfer Fall.
Dann war alles still. Als Trümmelmann Nachschau hielt, fand
er den Alten am Fuß der Treppe tot liegen.
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Nun war der König Erbe des einsamen, kinderlosen
Geizhalses.
Trümmelmann wollte gleich in aller Früh fort, um es dem
König zu melden. Doch gerade als er seine Kammer verließ,
hörte er Pferdegetrappel, und bald stand der Alte Fritz mit
wenigen Getreuen selbst vor ihm und rief: "Trümmelmann, es
steht schlecht, vielleicht kannst du noch helfen, her mit dem
Geld und deiner Trommel !" Da berichtete Trümmelmann, was
er erlebt hatte. Neun volle Wagen Gold konnte der König aus
dem Keller wegschaffen lassen, und nun nahm der Krieg bald
eine bessere Wendung und fand schließlich sein Ende.
Der Alte Fritz kannte nunmehr keine Geldsorgen.
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Der unfehlbare Schuß im Prenzlauer Stadtwald
Wer vor langen Jahren auf der Straße von der Stadt Gransee
nach dem Dorf Schönermark wanderte, konnte, wenn er das alte
Stadttor im Rücken hatte, gleich zur Linken mitten in Gärten ein
kleines Gehöft erblicken, unansehnlich und zerfallen. In der
ganzen Stadt war das Gerücht verbreitet, daß es dort spuke, und
jedermann scheute sich, in dieser Gegend zu wohnen.
Eines Tages ließ sich ein junges, armes Brautpaar trauen. Die
Hochzeit wurde gefeiert, aber nirgends in der Stadt war eine
Wohnung zu finden, wo die jungen Leute hätten unterkommen
können. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als das verrufene
kleine Haus zu beziehen. Lange wohnten sie darin friedlich,
nichts geschah; weder bei Tag noch bei Nacht trat etwas
Auffallendes ein.
Da, eines Abends, tat sich die Tür auf, und herein trat ein altes
Mütterchen mit einem Schemel und einem Spinnrocken in den
Händen, setzte sich am Kaminfeuer nieder und begann zu
spinnen, ohne ein Wörtchen zu sagen. Nach ein paar Stunden
erhob sich die alte Frau und ging stillschweigend, wie sie
gekommen, wieder zur Tür hinaus. Anfangs erschraken die
jungen Leute über die Erscheinung; als sich aber der
merkwürdige Besuch Abend für Abend wiederholte, gewöhnten
sie sich daran und blieben ruhig beieinander an ihrem Tische
sitzen, während die Alte am Kamin ihren Faden spann. Nur eins
wunderte die beiden, daß nämlich die Frau auf keine ihrer
Fragen antwortete, sondern immer schwieg, als ob sie nichts
hörte.
Einmal ging der junge Mann in die Stadt; es war gegen Abend,
und seine junge Frau bat ihn, recht bald wiederzukommen.
"Nun, du wirst dich doch nicht fürchten?" erwiderte der Gatte.
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"Großmütterchen" - so pflegte nämlich das Ehepaar die Alte
zu nennen, sooft von ihr die Rede war - "Großmütterchen ist ja
bei dir."
Mit diesen Worten verließ der junge Ehemann die Stube.
Die Frau blieb zurück, setzte sich am Tisch nieder und schaute
unverwandt der Arbeit des Mütterchens zu, das auch heute
wieder erschienen war. Plötzlich rief sie: "Großmutter, Ihr
spinnt ja nach links herum!"
"Meine Tochter," gab ihr die Alte zurück, "ich danke dir; mit
diesen Worten hast du mich erlöst. Zum Lohne aber für die
Wohltat, die du mir erwiesen hast, tue ich dir kund, daß hier
unter diesen Steinen, auf denen mein Schemel und mein
Spinnrocken stehen, ein Topf mit vielem Gelde verborgen liegt.
Grabe ihn aus, doch so, daß dein Mann nichts davon sieht, und
verbirg ihm das Geheimnis, das ich dir anvertraut habe, bis zum
dritten Tag; dann wird euch der Schatz zu glücklichen Leuten
machen. "
Damit ergriff das Mütterchen Schemel und Spinnrocken und
verließ das Zimmer, um nie wieder zu erscheinen. Das junge
Ehepaar aber gelangte von da an zu Wohlstand und Glück.
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Die Roggenmuhme
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Die Teufelsmühle bei Neu-Brandenburg
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Gleich darauf stieg aus der Grube ein greulicher
Schwefeldampf empor, und mit donnerndem Geprassel brachen
die Mühle und alle Gebäude des Gehöfts zusammen; von dem
Teufelssitz blieb nichts übrig. Eine Rauchsäule erhob sich über
den Trümmern und senkte sich dann in die Grube, in die der
Teufel gestürzt war. Der mutige Müllergeselle zog leichten
Herzens mit seinem Gespann von dannen, der Teufel aber war
von da an um seine Beute geprellt.
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Die drei Linden auf dem Heiligen-Geist-Kirchhof
zu Berlin
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Die verwunschene Prinzessin auf den
Müggelbergen
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hinuntergenommen und reich beschenkt nach kurzer Zeit wieder
heraufgebracht.
Sieht man die Jungfrau am Abend aus dem Berge
hervorkommen, so trägt sie ein Kästchen, das leuchtendes Gold
enthält; das soll der erhalten, der sie dreimal um die Kirche von
Köpenick herumträgt und sich dabei nicht umsieht; dadurch
wird sie erlöst. Einen Burschen hat,s einmal nach dem Golde
gelüstet, und er hat das Wagestück unternommen. Er hob die
Prinzessin auf den Rücken, denn sie war federleicht, und schritt
mit ihr nach Köpenick. Aber je mehr er sich der Stadt näherte,
desto schwerer wurde die Bürde; doch er hielt tapfer aus und
kam endlich mit ihr ans Ziel. Nun begann er seinen Umgang um
die Kirche. Da erschienen plötzlich Schlangen und Kröten und
allerhand scheußliche Tiere mit feurigen Augen; koboldartige
Wesen stürzten wild hinter dem Burschen her und bewarfen ihn
mit Holzblöcken und Steinen. Aber er ließ sich durch all diese
Schrecknisse nicht beirren und schritt mutig vorwärts. So hatte
er schon den dritten Umgang begonnen und seine Aufgabe fast
vollendet, als ihn ein grellroter Schein blendete, der so
fürchterlich war, als stünde ganz Köpenick in Flammen. Da
vergaß der junge Mensch das Verbot und sah sich um; doch im
selben Augenblick war alles verschwunden, und ein heftiger
Schlag raubte ihm das Leben.
Die Jungfrau aber harrt weiter des Mannes, der sie dereinst aus
ihrer Verbannung erlösen werde, doch hat seit langem niemand
mehr die Prinzessin erblickt.
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Markgraf Hans auf der Jägersburg im
Regenthinsee
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Spuk in Tegel
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Sagen aus Franken
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Albrecht Dürer - Dürers Adel
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Das Stundenhorn
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Das Brettener Hundle
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Das Christusbild in der Neumünsterkirche zu
Würzburg
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Das Drudendrücken in Nürnberg
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Am nächsten Morgen fand man die alte häßliche Nachbarin
des Schusters, so berichtet die Sage, mit gebrochenem Bein auf
der Straße liegen.
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Das Gänsemännlein
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Das Nassauer Haus
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Das Reierer Freßglöcklein in Würzburg
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Das Vesperläuten zu Aub
Nahe bei Aub liegt die Ruine der Burg Reichelsberg. Hier
hauste in alten Zeiten ein Rittergeschlecht. Noch sieht man
verschiedene Gewölbe, den Burghof, die Burgkapelle und
andere Reste des Baues.
Einmal, an einem rauhen Winternachmittag, ging ein
Burgfräulein von Reichelsberg in den Wald hinunter, um sich
mit einem Ritter zu treffen, den sie liebte. Aber sie verfehlte den
Weg und fand den Erwarteten nicht. Mittlerweile brach der
Abend an, ein dichtes Schneegestöber hüllte Wald und Feld ein,
und alle Wege waren im Nu verschneit. Das arme Fräulein fand
den Rückweg in die Burg nicht mehr. In ihrer Angst rief sie
immer wieder laut um Hilfe. Aber kein Mensch regte sich, kein
lebendes Wesen ließ sich blicken, auch die Tiere des Waldes
hatten sich in ihre Verstecke zurückgezogen.
Fürchterlich heulte der Sturm, eisige Kälte drang dem
zitternden Fräulein bis auf die Knochen.
In dieser Not flehte die Arme zum Himmel und bat Gott
inständig, sie doch aus ihrer jammervollen Lage zu retten und
ihr ein Zeichen zu geben, damit sie einen Ausweg aus dem
Elend finde. Während sie noch schluc hzend im Schnee kniete,
hörte sie von einem nahen Dorf her eine Glocke läuten. Neue
Hoffnung zog in das Herz des verzweifelten Fräuleins, freudig
ging sie dem Schalle nach und kam auch bald an die Gollach, an
der entlang der Weg nach der Burg Reichelsberg führte. Diesen
Weg kannte sie; nun war sie gerettet.
Voll Dankbarkeit gelobte sie, ein Geläute zu stiften, das in
Aub aufgehängt werden sollte.
Und heute noch ertönt der Schall dieses Glöckleins allabends
um sieben Uhr von Martini bis zu Petri Stuhlfeier. Der helle
Klang hat schon manchem verirrten Wanderer auf den richtigen
Weg geholfen.
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Das zerhackte Lederkoller
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Der Burggraf wird eingemauert
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Als der Burggraf einmal für längere Zeit fortgeritten war,
machte sich die ganze Bürgerscha ft daran und baute innerhalb
von 14 Tagen eine Mauer auf, die ganz eng um die
Burggrafenburg herumlief. Das war im Jahr 1372. Als der
Burggraf von seiner Reise zurückkam, fand er seine Wohnung
und seinen Hof von dieser Mauer umgeben und die Tore
verschlossen. Er mußte den Nürnberger Stadtwächter an dem
Tor zu seiner Burg um Durchlaß bitten. Da war der Burggraf
zornig. Er verlangte, dass die Nürnberger auf der Stelle die
Mauer abrissen, und, als die sich auf den Kaiser beriefen, sagte
er: "Kaiser hin, Kaiser her! Ich will die Mauer nicht leiden" Der
Kaiser war sein Schwiegervater; aber Friedrich V., der zornige
Burggraf, erreichte nichts bei ihm. Im Groll ritt er vom
Kaiserhof und wollte einen Krieg anfangen. Der Kaiser aber
wußte, dass die Nürnberger keinen Krieg führen wollten und
machte ihnen einen Vorschlag zur Vermittlung.
Die Nürnberger überlegten sich, dass ein Krieg ihnen großen
Schaden tun würde und waren bereit, 5000 Gulden für die
Mauer zu bezahlen. Sie versprachen auch, dass sie das Tor in
Friedens zeiten abhängen wollen, damit der Burggraf mit seinem
Gesinnte ungehindert jederzeit durchreiten könnte. Nur für den
Kriegsfall und für anderen Unfrieden ließen sie sich
ausdrücklich das Recht bestätigen das Tor wieder einzuhängen.
Von da an gefiel es den Burggrafen nicht mehr auf der
Nürnberger Höhe wo sie solange fürstlich gewohnt hatten. Sie
zogen nach Kadolzburg, wo sie ungehindert aus ihrem Schloß
aus- und einreiten konnten, wann sie wollten.
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Der Dudelsackpfeifer
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Als sein Geld aus war, und er nach Haus wanken wollte, kam
ihm die frische Luft zu gewaltig über den Kopf, und er blieb -
übervoll wie er war - mitsamt seinen' Dudelsack mitten auf der
Straße liegen. Kurze Zeit, nachdem er sich an dem harten Ort
zum Schlafen gelegt hatte, fuhr der Pestwagen vorbei. Der
Fuhrmann hielt das betrunkene Pfeiferlein, das wie leblos auf
der Straße lag, für einen, den die Pest umgebracht hatte, nahen
ihn auf und schob ihn ohne langes Besinnen zu den andern
Toten auf seinen Wagen.
Damals waren die Straßen in Nürnberg noch nicht so gut
gepflastert wie heute. Da waren Rinnen und Löcher. Und als der
Wagen nun so dahinholperte, wachte der Pfeifer auf. Da sah er
sich unter lauter Pesttoten auf den Wagen, vor dem alle
Menschen davon liefen, damit sie nicht angesteckt würden! Er
rief, aber niemand hörte ihn. Er wollte abspringen, aber die
große Last der Toten, die nach ihm aufgeladen waren, lag über
ihm und er konnte sie nicht abwerfen. Da kam ihm das
Mundstück von seinem Dudelsack ins Gesicht. Er faßte es mit
dem Mund und fing zu blasen an: ein lustiges Stückelten nach
dem andern. Der Kutscher vorn auf seinem Bock hörte die Töne
hinter sich. Er fragte bei sich: "Seit wann blasen die Toten den
Dudelsack?" Er schlug auf seine Tiere ein und in rasender Fahrt
kam er draußen an' Massengrab an. Als er die Toten in die
Grube warf, hörte er noch immer die lustigen Töne, die gar nicht
passen wollten zu seinem traurigen Geschäft. Da stand das
Pfeiferlein auf und jagte damit dem Kutscher noch einmal einen
Schrecken ein.
Der Fuhrmann und der Pfeifer dachten, dass es nicht länger als
ein paar Tage dauern werde, bis die Pest das Pfeiferlein doch ins
Massengrab hole. Der Dudelsackpfeifer ging aber wieder ins
Wirtshaus und wartete dort bei lustigen Tönen und bei manchen
Tänzeln, was kommen sollte. Doch es kam nichts. Der
Dudelsackpfeifer blieb frisch und gesund und war einer von den
Wenigen, die noch am Leben waren, als die Pest erlosch. Dort,
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wo der Platz vor der Heilig-Geist-Kirche eine kleine
Ausbuchtung macht zum Eingang des Heugässleins und der
Ebnersgasse, da steht ein Brünnlein. Auf dem aus Erz gegossen
der lustige Dudelsackpfeifer steht.
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Der Friedensschuß
Wir wissen heut' wie die Menschen sich nach langen Kriegen
nach dem Frieden sehnen können. Das war nach dem
dreißigjährigen Krieg vor über 300 Jahren nicht anders.
Endlich war der Vertrag in Münster und Osnabrück zustande
gekommen. Der Krieg sollte in Deutschland gänzlich aufhören.
Da freute sich alles. Ein Fest nach dem andern wurde gefeiert.
Das schönste, prächtigste und berühmteste aber war das große
Friedensfest in Nürnberg. Das gab der schwedische Obergeneral
Pfalzgraf Karl Gustav von Zweibrücken im großen Rathaussaal
am 16. September 1649.
Mit Lorbeer und Palmen war der Saal geschmückt. Der Boden
war mit Binsen bestreut, 200 Wachskerzen leuchteten ringsum.
Bald nach Mittag versammelten sich droben die Fürsten und
Herren. Aber auch das Volk in den Straßen sollte etwas
abbekommen. Ein großer hölzerner Löwe wurde ins Saalfenster
gestellt. Der spie aus seinem Rachen roten und weißen Wein zur
gleichen Zeit, eine gute Stunde lang. Das gab drunten ein Stoßen
und Drängen, ein Rufen und Schimpfen und ein Gelächter, daß
die großen Herrn an den Saalfenstern eine gute Unterhaltung
hatten. Danach saß man schön nach Rang und Würden geordnet
im Saal und ließ sich sechs Gänge der Festmahlzeit aus 600
Schüsseln, die aufgetragen wurden, gut schmecken. Die besten
Früchte, feines Zuckerwerk und Marzipan bildeten den
Nachtisch. Liebliche Düfte wurden im Saal verbreitet.
Springbrunnen von Rosenwasser sprangen. Dazu gab es guten
Wein, soviel und von welcher Sorte man wollte. Trompeten und
Pauken begleiteten die Trinksprüche und draußen auf der Burg
brummten die Feldschlangen und Kanonen einen kräftigen Baß
dazu.
Als unter Lachen und fröhlichen Scherzen die Nacht
gekommen war, da kam das Ende des Festes heran. Auf einmal
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klang eine tiefe Kommandostimme durch den Saal: »Morgen,
ihr Kriegsgenossen und Kameraden, sind wir in alle Welt
verstreut und begegne n uns nie wieder! Wollen wir doch vor
unserer Trennung noch einen Umzug halten durch den Saal als
unser letztes kriegerisches Manöver!« Die alten Krieger stellten
sich mit Freuden noch einmal auf, ehemalige Feinde und
Freunde in einer Reihe, die Generäle und Obersten aller Länder,
die am Krieg beteiligt waren. Dann begannen sie mit heller
Musik ihren letzten Kriegsmarsch zwischen den Tische und
Bänken des Saales. Und als ein donnerndes Halt das Ganze zum
Stehen brachte, da riß der schwedische Oberst Wrangel seine
Pistole von der Seite und rief mit dröhnender Stimme über die
Versammlung: »Der Friede ist geschlossen; so hab ich ferner
keine geladene Wehr nötig: Friede und Freude dem deutschen
Land immerdar."
Da krachte der Schuß, und die Kugel flog klirrend durch die
Scheibe des hohen Saalfensters. Der Oberst hatte in seinem
Eifer ganz vergessen, dass er nicht draußen im Feld, sondern im
schön verzierten Rathaussaal war. Der Schuß soll der letzte im
ganzen dreißigjährigen Krieg gewesen sein.
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Der Goldene Ofen
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ein paar Stunden; da werden alle Hauswirte von den spanischen
Soldaten umgebracht. Ich hab' schwören müssen, daß ich es
keinem Menschen sage. Aber du, goldener Ofen, bist ja kein
Mensch!" Der Hauswirt aber saß mit seiner Familie unten vor
dem Kamin in seiner Wohnstube. Laut drangen die Worte aus
dem Kamin heraus. Der Herr verstand sie sofort, lief zum Rat
und teilte mit, was er gehört hatte. Schnell wurde die
Bürgerwehr zusammengerufen, und alle Spanier wurden
gezwungen, noch in der gleichen Nacht die Stadt zu verlassen.
Das geschah im letzten Augenblick. In manchen Häusern hatte
das Plündern schon begonnen, an dem berühmten goldenen
Ofen war auch schon mancher Schaden geschehen.
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Der Hausgeist zu Nürnberg
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sein Unwesen im Hause und gab seine Schadenfreude
allenthalben durch schallendes Gelächter zu erkennen.
Es währte viele Jahre, bis es glückte, den Hausgeist von der
Laufergasse endgültig zu bannen.
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Der Heiltumsstuhl
Nicht weit vom schönen Brunnen stand ein großes Haus mit
einem schönen geschmückten, alten Erker. Von diesem kleinen
Erker aus wurden jedes Jahr vierzehn Tage nach Karfreitag die
Heiltümer des Reiches, die Reichskleinodien, dem Volk gezeigt.
Es waren die alten Schätze des Kaiserreichs: Die goldene
Reichskrone mit Edelsteinen und Perlen verziert, zwei goldene
Zepter, der goldene Reichsapfel, das Schwert Kaiser d. Gr., das
Schwert des hl. Moritz, zwei violettseidene Unterkleider, ein
weißseidenes Oberkleid, die Gugel Karls d. Gr., d. h. eine
Kapuze aus roter Seide, dazu ein Mantel (Pluviale) aus
purpurgefärbter Seide, der mit Goldstickerei und Perlen besetzt
war, zwei Paar purpurne Handschuhe, rotseidene Strümpfe,
Gürtel, Sporen, Schuhe usw., lauter Dinge, die zur Kleidung des
Kaisers gehörten. Bei dem Schatz war auch noch die heilige
Lanze, mit der dem Heiland am Kreuz die Seite durchstochen
worden sein soll, ein Nagel vom Kreuz, ein Holzstück vom
Kreuz selber, ein Stückeln des Tischtuchs, auf dem das
Abendmahl gehalten worden war, fünf Dornen aus der
Dornenkrone, ein Span von der Krippe, ein Zahn von Johannes
dem Täufer.
Alle diese wunderbaren Dinge wurden also jedes Jahr dem
Volk vom Heiltumsstuhl aus gezeigt, und die Menschen
strömten an diesem Tag von weit her um alles zu sehen.
Die Heiltümer des Reiches wurden im Jahre 1424 von Kaiser
Sigismund der Stadt Nürnberg zur ewigen Verwahrung
übergeben.
Damals zogen die Hussiten durchs Land. Darum war es nicht
leicht, den Schatz ungestört von Ofen in Ungarn bis nach
Nürnberg zu bringen. Nicht mehr als sechs durften davon
wissen. Man nahm für die Reise einen ganz gewöhnlichen
Wagen und als Behälter einen Kasten, sodaß jedermann meinte,
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darin seien Fische. So kam der Schatz nach Nürnberg. Dort
freilich wurde er mit großer Pracht empfangen. Zwei Tagereisen
vor Nürnberg wurde der Zug angehalten und eine feierliche
Prozession vorbereitet. Männer und Frauen, geführt von den
Geistlichen und vom Rat, zogen den Heiltümern weit vor das
Frauentor hinaus entgegen. Der Fuhrmann schaute nicht
schlecht; denn er wußte nichts davon und hatte keine Ahnung,
was für ein kostbares Gut er gefahren hatte. Die Heiltümer
wurden auf einen mit Purpur ausgeschlagenen Wagen
umgeladen und so in die Stadt geführt. Hinten und vorne auf
dem Wagen saßen junge, schöne Knaben als Engel verkleidet
mit brennenden Kerzen.
Die Obersten des Rates gingen nebenher. Die Ratsmitglieder
und das Volk folgten in langem Zug. Es ging zur neuen
Spitalkirche; dort wurden die Kleinodien in einer großen,
eichenen, mit Silber überzogenen Kiste aufgehoben. Die
silberne Kiste war aber wieder in einem hölzernen Kasten, der
auf den Seiten mit Engeln bemalt war.
Später hing man die Lade an großen eisernen Stangen über
dem Altar auf. Die Kleinodien selber aber waren in der Kapelle
über der Sakristei aufbewahrt Als die Franzosen im Jahr 1796 in
die Nähe von Nürnberg kamen, wurde der ganze Schatz nach
Wien gebracht, wo er bis zum Jahr 1938 blieb. Damals wurde er
nach Nürnberg zurückgebracht und in der St. Katharinenkirche
aufbewahrt.
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Der Hohlweg neben dem fünfeckigen Turm
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auch, damals hätten einige Nürnberger Bürger von der Stadt aus
an der Gewalttat teilgenommen. Aber zu beweisen war nichts,
und darum konnte auch niemand angeklagt werden. Die Burg
lag in Trümmern. Der Burggraf Friedrich VI. bekam vom Kaiser
die Markgrafschaft Brandenburg und war weit entfernt von
Nürnberg mit aller seiner Kraft beschäftigt. Dort in Brandenburg
brauchte er viel Geld. Da boten ihm die Nürnberger Ratsherrn
an, gegen 120000 Gulden seine Burg über der Stadt Nürnberg
mit allen Türmen, Mauern, Gebäuden mit allen Hofrechten, mit
der Freiung und mit den Rechten auf die beiden Reichsforste
von St. Sebald und St.Lorenz an die Stadt Nürnberg zu
verkaufen Mit Freuden ging der Markgraf darauf ein und nahm
das Geld in Empfang. Später hat es freilich viel Streit um diesen
Kaufvertrag gegeben. Der fünfeckige Turm ist der letzte Rest
von der großen Burggrafenwohnung. Auf der anderen Seite steht
noch die Walb urgiskapelle und eine große dicke Mauer gegen
die Kaiserburg zu. Wer heute zur Burg hinaufgeht, muß neben
dem fünfeckigen Turm durch einen Hohlweg gehen, der rechts
und links mit Mauern verkleidet ist. In den Hügeln hinter diesen
Mauern zu beiden Seiten des Hohlweges liegen die Trümmer
der zerstörten Burggrafenburg. Die Nürnberger Buben steigen
immer wieder einmal auf die Burg hinauf und gehen über die
Schutthügel neben dem Hohlweg. Dabei stampfen sie mit den
Füßen und bleiben stehen; dann heben sie den Finger und sagen:
"Horch, da klingt's hohl!"
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Der Kaiser in der Wirtsmütze
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wäre auch für den Kaiser nicht zu schlecht und müsste ihm gut
stehen!" Er nahm sie lachend, setzte sie sich auf den Kopf und
ging zum Spiegel, um sich darin zu besehen. Dann unterhielt er
sich mit anderen Bürgern und ging endlich, als ob er die Mütze
ganz vergessen hätte, ins Nebenzimmer.
Keiner der Bürger durfte den Saal verlassen. Die Wache hatte
strengsten Befehl, darauf zu achten. Kaiser Rudolf nahm im
Nebenzimmer die Mütze ab, rief seinen zuverlässigsten Diener
und schickte ihn mit der Mütze in das Haus des Wirts. Dort
musste er der Wirtin die Mütze ihres Mannes zeigen und sagen:
"Schickt doch eurem Mann rasch durch mich den geblümten
Geldsack, er braucht ihn sehr notwendig." Die Frau kannte die
Mütze ihres Mannes sogleich und glaubte, dass der Bote von
ihm komme.
Ohne Bedenken übergab sie ihm den Geldsack. Der Kaiser
liess den Kaufmann rufen und zeigte ihm den Sack. Der
erkannte ihn auf den ersten Blick und konnte ihn und sein Geld
so richtig beschreiben, dass der Kaiser sicher war: das war der
wahre Besitzer des Geldes!
Dann kehrte der Kaiser zu seinen Gästen zurück. Er unterhielt
sich mit ihnen und besonders mit den Wirt freundlich und lange
Zeit.
Darüber freute sich der eitle Wirt und sein Gesicht strahlte vor
Stolz.
Da plötzlich wurde der Kaiser sehr ernst und sprach von der
Klage des Kaufmanns. Scharf blickte er dem Wirt in die Augen,
so dass er bald rot, bald blass wurde in seinem schlechten
Gewissen. Aber immer noch rief er: "Ich weiss nichts von einem
geblümten Geldsack; ich hab kein Geld bekommen!" Aber seine
Stimme war nicht mehr so frech, sondern zitterte ein wenig. Da
liess ihm der Kaiser den Geldsack vor Augen ha lten und
gleichzeitig trat von der anderen Seite der Kaufmann aus dem
Nebenzimmer herein. Da erschrak der Wirt und sah sich
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entdeckt. Er stürzte dem Kaiser zu Füssen und bat um Gnade.
Der Kaiser war auch gnädig; er strafte den Dieb nicht, wie es
sonst üblich war, mit dem Tode, sondern er befahl ihm, ein
grosse Summe Geldes zu zahlen.
Der Kaufmann aber bekam seinen geblümten Geldsack mit
seinem Vermögen zurück; er reiste fröhlich weiter und rühmte,
wohin er immer kam, den weisen, gerechten und hilfsbereiten
Kaiser Rudolf.
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Der Kaiser und der Landstreicher
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Der Kreis aus freier Hand
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eine Kohle aus dem Kamin und zog damit auf der Wand einen
Kreis. Dann sagte er, indem er einen Punkt in die Mitte setzte:
»Meßt nach, da darf kein Fehler drin sein!« Sie holten einen
Zirkel und fanden den Kreis wirklich tadelfrei.
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Der Neptunbrunnen
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Wahrhaftig ein Grund, das Friedensfest auch gebührend zu
feiern.
Der schwedische Gesandte gab ein prächtiges Festmahl im
Rathaussaal, während der kaiserliche Beauftragte General
Ottavio Piccolomini, den uns Schiller in seinem "Wallenstein"
so lebensnah gestaltet hat, ein Fest mit Tanz und Feuerwerk auf
dem Schießplatz von St. Johannas veranstaltete. Piccolomini
war es, welcher dem Rat der Stadt den Vorschlag machte, die
Erinnerung an den Friedensschluß durch ein prächtiges Denkmal
für alle Zeiten festzuhalten. Nürnberger Künstler, der Bildhauer
Georg Schweigger, der Goldschmied Christoph Ritter und drei
andere schlugen dem Rat vor, einen mächtigen Brunnen im Stil
der damaligen Zeit auf dem Marktplatz zu errichten. Dem
Schönen Brunnen drohte Gefahr. Die schlanken Pfeiler, die
Spitzbogen mit den Verzierungen waren dermaßen verwittert,
dass der Rat der Stadt sich mit den' Gedanken trug, ihn
abzubrechen. Auch fürchtete man, ob für 2 Brunnen genügend
Wasser zugeleitet werden könnte. Die Künstler gingen frisch ans
Werk, bald waren die Brunnenfiguren und die Steine für den
neuen Brunnen fertig im Städtischen Bauhof der Peunt.
In Deutschland lagen aber damals Handel und Wandel
darnieder.
Nicht mehr wie früher brachten die hochbepackten
Kaufmannswagen der Patrizier Nürnberger Tand in ferne
Länder. Nürnberg verarmte zusehends Es fehlte sogar an Geld,
den alten Schöne n Brunnen auszubessern und den neuen
"Peuntbrunnen", wie er im Volksmund bald hieß, aufzustellen.
Fremde Höfe wollten gar zu gern die Not der arm gewordenen
Stadt ausnützen und wirklich, die Not war so groß geworden,
dass der russische Zar Paul I.1797 das Kunstwerk gegen die
damals bedeutende Summe von 66000 Gulden erhielt.
Wohlverpackt wanderten die Bronzefiguren Neptuns und
seines ganzen Hofstaates nach Rußland, wo sie im Park des
kaiserlichen Schlosses Peterhof aufgestellt wurden.
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Um die Wende des letzten Jahrhunderts aber schenkte ein
Bürger unserer Stadt, der Geheime Kommerzienrat Ludwig
Gerngross, Nürnberg, eine Nachbildung des verkauften
Brunnens. 1902 sprangen zum ersten Mal die Fontänen, ein
schönes Bild inmitten der buntfarbigen Blumenstände und
keineswegs den Schönen Brunnen beeinträchtigend. Und
dennoch trugen in sinnloser Verblendung die Nazi später den
Brunnen ab und stellten ihn auf dem Marienplatz und dann im
Stadtpark auf.
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Der Nußkaspar von Nürnberg
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Burgweg hinauf. Unweit der Stelle, wo Christus am Ölberg
abgebildet ist, setzte er sich auf einen beschneiten Steinblock,
um auszuruhen, und schlief ein. Die Zerrbilder getäuschter
Hoffnungen umgaukelten ihn in wüsten Träumen, so daß er
öfters auffuhr und gräßliche Flüche ausstieß. Eben zeigte die
Glocke vom nahen Sebaldusturm den Eintritt der Geisterstunde,
als er abermals in die Höhe fuhr und in einem Zustande
zwischen Schlaf und Wachen zähneklappernd vor sich
hinmurmelte: "Will mich Gott nicht retten, so muß mir der
Teufel helfen! "
Mit diesen Worten erwachte er, rieb sich die Augen und wollte
aufstehen, allein ein gewaltiger Schrecken warf ihn auf seinen
kalten Sitz zurück; vor ihm stand ein Mann in Jägertracht, der
ihn anredete:
"Ei, Alterchen, was treibst du hier in der frostigen
Winternacht?"
Kaspar fragte gähnend: "Wo bin ich, Herr, und was wollt Ihr
von mir?"
Darauf erwiderte der Jäger: "Ich hörte im Vorübergehen, daß
du Hilfe brauchst, und ich will sie leisten, wenn es in meinen
Kräften steht, aber - ich will von dir darum gebeten sein."
Kaspar schilderte nun unter beständigen Verwünschungen
seine traurige Lage, fiel auf die Knie und rief in unbegreiflicher
Herzensangst: "Ich flehe Euch fußfällig an, helft mir, helft mir,
und wäret Ihr der Böse selbst; mir gleich, wenn mir nur geholfen
wird; denn Gott hat mich ohnedies verlassen. "
"Nun wohl," entgegnete der Fremde, "wenn du mir
versprichst, weder deinem Weib noch einem anderen Menschen
auch nur eine Silbe davon zu verraten, so will ich dein
Beschützer sein und dir helfen. Kehre getrost heim, pflücke von
dem großen Nußbaum. der in der linken Ecke deines Gartens
steht, so viel Nüsse, als dir beliebt; diese werden sich in Gold
verwandeln und dich instand setzen, nicht nur deine Schulden zu
-100-
bezahlen, sondern auch ohne Mühe und Arbeit gut leben zu
können. Doch wisse, geht nur ein Wort von meinem Angebot
über deine Lippen, so sinkst du in deine frühere Armut zurück,
wirst ein Raub der Verzweiflung und sollst auch im Grab keine
Ruhe finden. Du mußt dann in jeder Silvesternacht deinem
Grabe entsteigen und hier an dieser Stelle goldene Nüsse feil
halten; ja, du wirst auch andere noch mit ins Verderben
hinabziehen, und deine Seele ist mir verfallen. "
Mit diesen Worten verschwand die geheimnisvolle
Erscheinung.
Daß der freundliche Helfer der leibhaftige Gottseibeiuns war,
ist leicht zu erraten.
Kaspar war demnach in sehr schlimme Hände gefallen. Er
taumelte noch halb trunken mit schlotternden Knien nach Hause.
Sein Weib, das ohnehin zur Sorte jener Menschen gehörte,
denen Zanken und Murren zur zweiten Natur geworden ist,
empfing ihn vom Bett aus mit heftigen Scheltworten. Er aber
blieb ruhig und dachte: "Schrei nur, du Zankteufel, soviel du
willst; habe ich einmal die goldenen Nüsse, dann wirst du schon
anders singen!" Damit nahm er eine Laterne, zündete das Licht
an und schlich in den Garten hinaus. Hier stellte er sich vor den
bezeichneten Baum und schielte hinauf, um zu sehen, ob die
Nüsse wirklich von Gold seien. Endlich bestieg er zagend den
Baum, griff zitternd nach einer der Früchte, füllte dann so
schnell als möglich alle Taschen damit, und siehe, die Nüsse
waren reines, funkelndes Gold. Darauf versteckte er seinen
Schatz in der Scheune und ging zu Bett.
Bei Tagesanbruch stahl sich der steinreiche Ehemann, dessen
Gewissen nun schon eingeschläfert war, still weg zum
Geschenke des höllischen Jägers, um es teilweise in der nahen
Stadt in Geld umzusetzen. Sodann zahlte er seine Schulden und
lebte herrlich und in Freuden.
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Aber dieses Glück sollte nicht lange dauern; denn der gute
Nußkaspar vergaß im Taumel der Ausschweifungen nur zu bald,
was er dem Teufel versprochen hatte. In einem traulichen
Stündchen beichtete er seiner Frau, die sich durch den
unvermuteten Wohlstand vollständig mit ihm ausgesöhnt hatte,
den ganzen Hergang der Sache. Als er aber am nächsten Morgen
sein Geld herbeiholen wollte, da war der Beutel federleicht und
enthielt statt harter Taler nur Kohlenstaub, und anstatt der
goldenen fanden sich nur natürliche und größtenteils
wurmstichige Nüsse im Schrank. So von der Höhe des Glückes
in das bitterste Elend hinabgeschleudert, wurde dem Kaspar das
Leben eine unerträgliche Last.
Der Teufel hielt besser Wort als Kaspar; denn es ging alles in
Erfüllung, was er für den Fall des Wortbruches vorausgesagt
hatte.
Als der Silvesterabend wieder anbrach, stand wirklich zur
Mitternachtszeit ein kleines Bäuerlein in der Tracht der
Knoblauchhändler mit einem Korb am Ölberg und ächzte unter
verzweifeltem Händeringen: "Kauft Nüsse, kauft Nüsse!"
Viele Jahre nach diesem Ereignis saßen am Silvesterabend
mehrere Bürger nicht weit vom Ölberg im Gasthaus zum
Burggrafen bei einem Krug Weizenbier. Unter diesen war auch
ein redseliger Zinngießermeister, der wegen seiner Klugheit in
großem Ansehen stand. Die Unterhaltung drehte sich um die alte
Sage vom Nußkaspar am Ölberg. "Aberglaube, heidnische
Finsternis!" eiferte Meister Zinngießer, der Wortführer. "Wer
wird so albern sein, an Teufel und Geister zu glauben? "
"Was, Nachbar?" fiel ihm ein belesener Zirkelschmied in die
Rede, "habt Ihr denn nicht gelesen, daß Doktor Martin Luther
dem Teufel das Tintenfaß nachgeworfen hat? Ist Euch nicht
bekannt, daß der Satan Jesum in Versuchung führte?"
"Das ist etwas anderes," unterbrach ihn der Zinngießer, und
gerade als er weiterreden wollte, erscholl von der Wanduhr die
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zwölfte Stunde. Da schlug der Meister unwillig auf den Tisch
und schrie :
"Damit ihr aber seht, daß an der ganzen Sache nichts ist und
jeder ein Narr, der so unsinnige Dinge glaubt, so wollen wir auf
den Ölberg gehen, um uns zu überzeugen, ob der Nußkaspar
wirklich seine Nüsse feilhält. Mein Hab und Gut setz, ich daran,
daß ich euch auslachen werde."
Hierauf nahm er seine Pelzmütze und eilte der Türe zu; doch
von den übrigen Gästen hatte keiner Lust, ihn zu begleiten.
Stockfinster war's, und nur der schimmernde Schnee erleuchtete
die Umgebung.
Da kam es dem Zinngießer wirklich so vor, als ob er in der
Nähe des Ölberges die Gestalt eines Menschen wahrnehme, und
er blieb stehen. Es fröstelte ihn, aber die Vorstellung, von den
Freunden verspottet zu werden, wenn er unverrichteter Dinge
zurückkäme, flößte ihm Mut ein; er wollte der Sache auf den
Grund gehen.
Also schritt der Zinngießer langsam näher und rief mit lauter
Stimme: "Wer da?" - Keine Antwort! - Plötzlich stand ein
kleines unheimliches Wesen ganz nahe vor ihm, stierte ihn mit
Grabesaugen an und deutete mit dem Zeigefinger der rechten
Hand in den vor ihm stehenden Korb. Unser Zinngießer stand
wie an den Boden gewurzelt und kreischte mit kaum
verständlichen Lauten : "Alle guten Geister loben Gott den
Herrn!" Fast besinnungslos griff er sodann in den Korb, nahm
daraus, was er mit seinen zehn Fingern fassen konnte, und
stürzte ohnmächtig zusammen.
Als er wieder zur Besinnung gekommen war, blickte er um
sich.
Aber er sah kein Wesen mehr, weder vor noch hinter sich.
Jetzt faßte er wieder Mut und schämte sich seines Schreckens.
Doch welches Erstaunen trat an die Stelle der Furcht, als er auf
den schneebedeckten Boden blickte und ihm glänzendes Gold
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entgegenfunkelte! Schnell raffte er die goldenen Dinger
zusammen und eilte dem Burggrafen zu. Die Gesellschaft
begrüßte ihn, als wäre er von den Toten auferstanden, und war
sehr gespannt zu hören, was er erlebt habe. Und der Meister
erzählte sein Abenteuer, indem er zum Beweis einige goldene
Nüsse aus der Tasche nahm und auf den Tisch hinrollte.
Da war auf einmal alle Großsprecherei verstummt; denn nicht
ohne heimliches Grauen sah man die glänzenden Beweise vor
Augen. Der Zinngießer aber entfernte sich bald und suchte
freudetrunken sein Nachtlager auf. Allein der Schlaf floh ihn
diese und noch manch andere Nacht; denn ihn quälten
Zukunftspläne und die Sorge um die Vermehrung des
unheilvollen Geldes. Mit seinem Glück war zugleich das
Unglück in seine vier Wände eingezogen. Aus dem zufriedenen
Meister war ein griesgrämiger Sauertopf geworden.
Durch unkluge Unternehmungen verlor er manches schöne
Kapital, und nach wenigen Jahren bewahrheitete sich an ihm das
Sprichwort:
Wie gewonnen, so zerronnen. Doch als er immer ärmer wurde,
machte die Not seinem jammervollen Leben ein Ende.
Und es erfüllte sich des Teufels Vorhersage, der Nußkaspar
werde auch noch andere mit ins Verderben ziehen.
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Der Pudel am Tiergärtnertor
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Der Bürgermeister wurde geweckt; der Rat zusammengerufen.
Da gestand der gefangene Ratsherr, daß er mit dem Ansbacher
Markgrafen ausgemacht habe, in der Nacht heimlich das
Tiergärtnertor zu öffnen und die feindlichen Kriegsknechte
einzulassen. Der Pudel war ihm nachgelaufe n als er eben von
dem inneren Tor durch den finsteren Gang zum äusseren Tor
schlich, um auch das zur festgesetzten Zeit zu öffnen.
So ist die Stadt Nürnberg durch einen Bäckerbuben und einen
Pudel vor einem schweren Unglück bewahrt worden.
Anton Tetzel wurde schwer gestraft. Er musste auf Lebzeiten
ins Gefängnis. Und der Zugang zu seinem Kämmerlein wurde
vermauert, damit er niemals lebendig herauskommen sollte.
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Der Ring im Brunnengitter
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trägt zwei Gänse unter seinen Armen. Es sind ganz besondere
Gänse; denn sie speien aus ihren Schnäbeln frisches, helles
Wasser in das Becken; das unter ihnen angebracht ist. Das
"Gänsemännlein" so heißt der Brunnen soll ursprünglich gar
nicht für diesen Platz gegossen worden sein. Der Rat wollte
eigentlich ein Bild der Heiligen Magdalis haben; aber der
Meister hatte soviel anderes zu tun, dass er zu diesen kleineren
Auftrag nicht kann. Endlich gab er dem Rat als Ersatz sein
Gänsebauern. Es gab zwar Stimmen, die an dieser heiligen
Stelle keine so einfache, gewöhnliche Figur aus dem Volk sehen
wollten; aber weil der Künstler ein großer Meister - es war
Pankraz Labenwolf und das Gänsemännlein ein wirklich feines
Kunstwerk war, waren sie schließlich doch alle zufrieden.
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Der Schuß nach dem eisernen Christus
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Riesenkerl hob seine Pistole, richtete sie auf die Stirn des
Heilands und schoß. Ein furchtbarer Schlag folgte.
Ein Schrei war zu hören, der aus dem Mund des Schützen
kam. Allen erstarrte das Blut in den Adern. Da sah man im
Dunkel den Riesenkerl zusammenstürzen. Voll Entsetzen liefen
die Soldaten in die Nacht. Sie kamen zur Schanze und meldeten
der Wache, was geschehen war. Der Kommandant sandte eine
Streife, und die fand den Soldaten, die Pistole in der Hand, tot
liegen. In seiner eigenen Stirne saß die Kugel, die er auf den
Heiland gerichtet hatte. Von der Tafel über dem Haupt des
Gekreuzigten war sie zurückgesprungen!
Heute noch zeigt man in der Tafel ein Loch, das von der Kugel
herstammen soll.
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Der Schwedenkrug
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Der Wirt freute sich über die Gnade des Schwedenkönigs; aber
sie soll auch seinem Geschäft genutzt haben. Er soll zwei große
Bilder haben malen lassen zur Erinnerung an seine Dienstzeit im
schwedischen Heer, und viele Bekannte und Fremde sollen
nachher gern zu ihm in die Gaststube gekommen sein, um sich
die Schachfiguren aus Schwedenkugeln, den zinnernen Krug,
aus dem der König Gustav Adolf getrunken, und den Stühle
haben zeigen lassen, auf denen die hohen Herren damals
gesessen waren.
Später hieß man die Wirtschaft nach der zinnernen Kanne, aus
der Gustav Adolf getrunken haben soll, ›Zum Schwedenkrug‹.
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Der Teufelsstein auf der Rhön
Als der Teufel einst wahrnahm, daß man auf der Milseburg
eine Kirche errichte, versprach er einem Bewohner der Gegend,
ihm ein Wirtshaus zu bauen, und dieser gelobte dem Satan dafür
sich und seine Seele, wenn er das Wirtshaus wenigstens einen
Tag eher vollende, als die Kirche gebaut sei. Da aber beim Bau
des Milseburgkirchleins der heilige Gangolf selbst behilflich
war, und auf dessen Gebet die Steine sich schneller fügten als
auf des Teufels Flüche, so wurde das Kirchlein fertig, als der
Teufel eben mit dem letzten Stein für das Wirtshaus durch die
Lüfte geflogen kam. Kaum sah er, daß er seine Wette und
obendrein eine Seele verloren habe, so schleuderte er den
mächtigen Felsstein auf das Wirtshaus herab und zertrümmerte
den ganzen Bau.
Man kann die Spuren heute noch sehen. Die Felsen liegen dort
übereinander wie gespaltene Eichenstämme in einem wirren
Holzha ufen.
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Der Totenschädel
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Der Turm des Rathauses von Rotenburg
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Der tiefe Brunnen
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wurde noch in der Nacht hinaufgebracht zur Burg und in den
Brunnen hinabgelassen. Dort begann er seine Wanderung:
Eine Stunde wanderte er mit seiner Fackel durch den langen
Gang; da kam er an eine großes, offenes Tor. Es war von Eisen,
stand aber weit offen, sodass er hineinschauen konnte in einen
grossen Saal. Da saß der alte Kaiser Karl auf einem steinernen
Stuhl vor einem steinernen Tisch und ringsum sassen die Herren
mit reichen, prächtigen Gewändern. Und wirklich, da sah er es
selbst! Dem Kaiser war sein mächtiger, weisser Bart mitten
durch den Tisch gewachsen. Auf einmal bewegten sich die
Gestalten. Einer nach dem andern sah sich nach ihm um. Er
erschrak heftig und wollte voll Entsetzen davon laufen. Aber
gerade noch fiel ihm ein, dass er ja einen Beweis brauchte, wenn
er sein Leben retten wollte. Er sah einen glänzenden Stein am
Boden liegen, hob ihn rasch auf und steckte ihn ein. Dann lief
er, so schnell er konnte, zurück, dorthin, wo er seine Wanderung
begonnen hatte. Er wurde heraufgezogen und musste nun den
Ratsherren erzählen was er gesehen hatte. Man wollte ihm nicht
glauben, aber als er den glänzenden Stein aus der Tasche zog -
es war ein Diamant -, da schenkte ihm der Rat das Leben.
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Die Barthelversetzer
Wenn man sich über einen Wöhrder ärgert (Wöhrd ist eine
Vorstadt von Nürnberg und seine Kirche ist dem Heiligen
Bartholomäus geweiht), dann sagt man zu ihm: ,,Du elender
Barthelversetzer, du"
Aber dann muß man sich in acht nehmen; denn das Wort
schlägt dem ins Blut Und manche Rauferei im Wirtshaus oder
bei der Kirchweih hat angefangen mit dem "Barthelversetzer".
"Warum heißt man denn die Wöhrder Barthelversetzer?"
Die Wöhrder waren immer arme Leute und die reichen
Nürnberger haben sie deswegen immer von oben herunter
angeschaut. Ihre Kirche war klein und kümmerlich, und auch die
Messgeräte und Messgewänder waren nicht die wertvollsten.
Reiche Nürnberger Bürger, auch manche Wöhrder, denen es
gelungen war, sich in Nürnberg selbst seßhaft zu machen, und
dort zu Vermögen gekommen waren, stifteten den Wöhrder ihre
schöne Kirche und manches wertvolle Gerät. So stiftete Ludwig
Schott, der lange Jahre in Wöhrd draußen Richter war, gar eine
Statue des Heiligen Barthel aus reinem Silber. Das Bild war fast
eine Elle hoch und fünf Pfund schwer. Neun Mark Silber
wurden dazu verwendet, im Wert von vielen tausend heutigen
Mark. Die Wöhrder waren stolz auf ihren silbernen Barthel, und
damit jeder ihren Reichtum sehen könne, lieBen sie ihn das
ganze Jahr hindurch frei und offen auf dem Altar stehen. Da war
aber einmal ein Mesner, der Emblems Fritz, der hatte jahrelang
die Kirche und auch all das wertvolle Gerät versorgt; aber eines
Tages war er verschwunden. Und mit ihm 500 Gulden und alles
Kirchensilber. Der silberne Barthel war auch nicht mehr da. Die
Wöhrder suchten in der Kirche, im Mesnerhaus und sonst
überall, aber der Barthel blieb verschwunden, genauso wie der
Emblems Fritz:. Und das schönste war: das schwere Postament,
auf dein der Barthel stand, war auch nicht mehr da. Die Wöhrder
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dachten: Wenn der Emblems Fritz mit all unsern schönen
Sachen in die weite Welt gelaufen ist, dann hat er den schweren
Barthel sicher: nicht weit mitgenommen. Und sie fragten
ringsherum in allen Pfandhäusern, bei allen Geldverleihern und
Schacherern, ob niemand ihren silbernen Barthel gesehen habe.
Und wirklich, draußen in Schanktisch, da fand sich der Barthel.
Der Emblems Fritz hatte ihn dort versetzt. Die Wöhrder
sammelten überall, lösten ihren Barthel ein, und waren froh, daß
ale ihn wieder hatten. Aber von jetzt an stellten sie ihn nicht
mehr frei und offen auf ihren Altar. Das ganze Jahr über ist er in
einer eisernen Truhe aufgehoben und nur bei der Kirchweih
wird er dem Volk gezeigt und dabei scharf bewacht. Die bösen
Leute aber sagen: Die Wöhrder versetzen ihren Barthel immer
das ganze Jahr hindurch und bloss zur Kirchweih lösen sie ihn
für einen Tag aus, damit niemand etwas davon merkt.
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Die Eidechse
Nicht weit vom Pfarrhaus von St. Johannis, in der Nähe der
Holzschuher- Kapelle, ist ein Grabstein auf dem
Johannisfriedhof, der ein schönes erzgegossenes Bild zeigt.
Unter dem Laub, das kunstvoll gegossen ist, ist ein kleines
Eidechslein, das beweglich hin- und hergeschoben werden kann.
Ein schlafendes Kind ist daneben zu sehen. Das Eidechslein
hebt seinen Kopf und schaut neugierig auf das Kind hin.
"Großmutter, was soll denn das Eidechslein bedeuten? "
"Das ist eine traurige Geschichte! - Da ist einmal ein Kind in
einem schönen Haus in Nürnberg drinnen aufgewachsen, ein
lustiges Mädchen, das keine Geschwister hatte. Seine Eitern
waren reich und wohnten in einem schönen, prächtigen Hans,
bei dem ein großer Garten war mit vielen Bäumen, Büschen und
Blumenbeeten. In dem schönen Garten hat das Mädchen den
ganzen Nachmittag gespielt und hatte einen Schmetterling
gejagt, bis es ganz müde war. Dann hatte es sich auf das Gras
hingelegt und war eingeschlafen. Dabei Stand ihm der Mund ein
wenig offen.
Als einmal hat der Gärtner drunten im Garten ein wildes
Schreien gehört. Es war das fröhliche Mädchen. Es hielt seinen
Leib und jammerte) was es konnte. Die Doktoren kamen. Aber
es half nichts mehr. Nach wenigen Stunden mußte es sterben.
Und schuld war ein Eidechslein, das dem Kind durch den
offenen Mund hereingekrochen war. Drum haben die traurigen
Eltern auf dem Grabstein ein schlafendes Kind und das
Eidechslein unter den Blättern von einem Künstler abbilden
lassen.
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Die Fliege auf der Leinwand
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Die Leidensstationen von St. Johannis
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war, rollte über den Schiffsrand ins Wasser. Als Martin Ketzel,
so hieß der reiche Mann, nach Nürnberg zurückkam, war er
traurig; denn der eigentliche Zweck, weswegen er nach
Jerusalem gereist war, war nicht erreicht. Drum beschloß er bald
darauf, noch einmal ins heilige Land zu fahren. Er maß die
Strecken noch einmal ab und schrieb alles genau auf. Und
diesmal kam er gut mit allem nach Nürnberg.
Deshalb kann man heute auf den Steinbildern die genauen
Entfernungen vom Pilatushaus lesen, die Martin Ketzel, der
reiche, fromme Nürnberger Kaufmann, mit seinen eigenen
Schritten gemessen hat.
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Die Schwesternglocken von Aschaffenburg
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Die Schützenliesel
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Niemand mochte mit den unehrlichen Leuten Verkehr haben,
keiner kümmerte sich draußen darum, was die im Schützenhof
unter sich trieben. So blieb das Mädchen im Hof und wuchs dort
zur Jungfrau auf; wo man sie in der Stadt kannte, hieß sie
kurzweg Schützenliesel Für die jungen Handwerksgesellen war
es verlockend genug, wenn die schöne Schützenliesel zur
Abendzeit mit ihrem Strickstrumpf um den Stock ging.
Sehnsüchtig. oder neugierige, manchmal auch freche Blicke
trafen sie überall Einst tanzte man am Jakobskirchweihtag auf
dem Plätzchen bei der Kirche. Die Liesl stand von ferne und sah
bedrückt auf die fröhlichen Platzmädchen, die da tanzten und
sprangen, wie jede das Geschenk von ihrem Platzknecht den
Umstehenden entgegenschwang. Eben als sich die Liesl
umdrehen und heimwärts gehen wollte, kam ein Bäckerknecht
auf sie zugesprungen. Der war fremd und wußte nicht, daß das
liebe Mädchen für unehrlich galt Ein so Schönes Mädchen,
dachte er, darf nicht zusehen, die muß mit um den Baum tanzen.
Er packte sie, und wenn die Liesl sich auch sträubte, es half
nichts, mit ein paar kräftigen Rucken war das Paar mitten unter
den Tanzenden. Schon einmal hatte der fremde Geselle mit der
Schützin den Baum umkreist, da verstummte die Fiedel mitten
im Stück. Der Musikant und die Tänzer hatten die unehrliche
entdeckt. Alles wich zurück, als ob ein Aussätziger gewagt
hätte, mit zu tanzen. Dann fielen böse Worte, sie hörte noch aus
dem Durcheinander "Verdammtes Schützenluder" kreischen; da
lief sie davon in den Hof, und lange ließ sie sich draußen nicht
wieder sehen. So oft auch die Kirchweih wiederkehrte, die Liesl
kam nimmer; sie mied überhaupt die ganze Nachbarschaft und
ging nur aus, wenn es nimmer anders zu machen war. Die
Schützen trieben neben ihren fragwürdigen "Ämtern" noch
verschiedene unzünftige Handwerke. Der eine war ein Altreißer
oder Hafenbinder, ein anderer versorgte die Schuhmacher mit
den Unentbehrlichen Holzzwecken, andere machten
Lichterbäume, die, seit der Weihnachtsbaum aufkam, niemand
-127-
mehr kennt, Goldengel, Hadlrutn und Zwetschgenmänner. Im
Winter vergoldeten sie Hasel- und andere Nüsse. Die Liesl
brachte es bald zur Meisterschaft in vielen solchen Künsten, das
schönste aber waren ihre Zwetschgenmännlein. Von den
Schützen wollte sie keinen zum Mann haben, denn im stillen
hoffte sie immer auf einen ehrlichen Mann, wenn sie auch
darüber schon in die Jahre kam, wo sich die Kunden vom Markt
verlaufen, wie unsere Alten sagten. Doch die Zeit, die alles
bringt, aber auch heilt und vergessen läßt im ewigen Wechsel,
brachte auch der armen Liesl einen Mann. Die Franzosen
durcheilten ganz Deutschland und auch in die damals noch freie,
aber verarmte, vor dem Bankrott stehende Reichsstadt Nürnberg
kamen sie in Haufen. Es waren in Nürnberg einst deren so viele,
daß oft bei einem nicht allzu wohlhabenden Bürger drei bis vier
Mann lagen- und als immer wieder Nachschub kam, ging en
nicht anders, auch zu den Armen im Schützenhof wurde ein
Franzose ein Sergeant, gesteckt. Marodig) hungrig, mit
zerfetzter Montur und keinem ganzen Hemd auf dem Leibe zog
er in den Schützenhof ein.
Doch schon nach etlichen Tagen sah man ihn ausrücken,
gewaschen, geflickt, in ganzer Montur und mit heilen Schuhen.
Wem der Franzose am meisten seine Verwandlung zu danken
hatte, wird nicht schwer zu raten sein. Auch denke ich nicht
sagen zu brauchen, wie die Verständigung zwische n der Liesl
und dem Franzosen vor sich ging, denn Liebe vermag alles. Im
Schützenhof lebten nun zwei recht glückliche Menschen; die
Liesl mit Ihrem Herzenssschatz, dem Franzosen. Sonntags sah
man die beiden miteinander "auf das Lande" spazieren gehen.
Die Liesl erschien mit ihm immer recht zierlich und sauber, sie
drehte sich am Arm ihres Franzosen wie der Nachmittagskaffee
im schönsten Kochen. Es war ein malerisches Bild. Die Liesl in
ihrer großen, gestärkten, blendend weißen Rassapasseriehaube,
mit den schönen schwarzen Schmachtlocken an den Schläfen,
der kurzen, groß geblumten Kattunschaube und einem bunten
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Kattunkamisol war wirklich adrett. Ihre kleinen Füße, in weißen
Strümpfen mit gestickten Zwickeln, in zierlichen und hohen
Stöckelschuhen steckend, setzte sie beim Gehen auswärts, nach
französischer Manier, ganz so, wie es die Damen in der Heimat
des Franzosen hielten. Der Franzose, war nicht minder
herausgeputzt.
Angetan mit dem Seitengewehr, trug er noch einen zierlichen
Spazierstock in seiner Linken; im Mundwinkel einen kleinen
tönernen Pfeifenstummel, einen so genannten Nasenwärmer.
Am Brustlatz hing ein hübscher Tabaksbeutel, gefüllt mit
aromatischem Kraut, das die Nürnberger "Lauswenzel" für
Wenzeslaus nannten.
Ein lebendiges Eichhörnchen saß bald auf einer seiner
Schultern, bald auf dem Arm der Braut; es war an einem feinen
Kettchen aus Messing angelegt. Viele Französische Soldaten
führten solch ein Tierchen mit sich; es sollte Glück bringen, und
sie erzählten allerlei Wunderliches darüber. Beinahe sechzehn
Wochen hatte der Franzose Quartier im Schützenhof. Im stillen
bedauerten die Nachbarn das überglückliche Mädchen denn über
Nacht konnte Marschordre kommen, und die schöne Zeit war
dann wohl für immer vorüber.
Wirklich kam auch bald das Gefürchtete, doch freudig begrüßt
von den Bürgern Nürnbergs, die schon lange saure Gesichter
schnitten.
Die Franzosen zogen ab. Doch die Heiratslustige hatte lange
zuvor ihre ?Pläne gemacht und allerlei geschickte
Vorbereitungen tu gutem Gelingen. Kein einziger französischer
Soldat war mehr in der Stadt, nur im Schützenhof saß noch einer
und schusterte in einer Altreisser- Werkstatt, als wäre er dort
geboren. Die Liesl hatte den großen Napoleon um einen
Soldaten geprellt. Im Stadtregiment wußte kein Mensch davon.
Schon Wochen vor dem Abmarsch hielt die Liesl ihren
Franzosen versteckt; der Sergeant des Kaisers hatte sich in den
Gesellen des Schuhflickers verwandelt. Der Liesl schien diese
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Abgeschlossenheit auch aus anderen Gründen gut und heilsam,
hatte sie doch noch vieles an ihm zu bessern. Er war nicht wenig
verwildert, und weil es die Liesl für nötig hielt, mußte er auch
ihrem Gott sich näher bringen, denn fluchen und
gotteslästerliche Reden führen, das durfte ihr zukünftiger
"ehrlicher" Mann nimmermehr. Bei jeder Gelegenheit sagte sie
ihm, er könne doch deutlich genug sehen, wie gut es Gott mit
ihm bisher gemeint habe; schon längst könnte er draußen auf der
Landstraße verkommen liegen oder in fremder Welt auf dem
Schlachtfeld geblieben sein.
Der Franzose mußte sich bequemen, den Morgen- und
Abendsegen mit zu beten, und durfte bei dem Mittagsgebet
nimmer auf die Seite gehen, und an den Fenstern mit den
Fingern zu trommeln, bis das Gebet vorüber war, wie er es
anfangs gehalten, als er in den Hof kam. Als keine Gefahr des
Entdecktwerdens sich zeigte, mußte ihr Schützling auch
Sonntags mit in den Sudenbetsaal gehen. Der Geistliche dort
gab sich alle Mühe, der Liesl Herzenswunsch, sie mit ihrem
Franzosen ehelich zu machen, durchzusetzen. Am ersten
Pfingstfeiertag in früher Morgenstunde setzte sich ein gar
seltsamer Zug vom Schützenhof nach dem Heiliggeist-Spital in
Bewegung; es war der Brautzug der Schützenliesl. Lautlos zog
man dahin; keine Glocke ward gezogen, auch die Türmer
bliesen nicht, was nur bei ehrlichen Leuten damals üblich war.
Voran schritt die Braut, geführt von den Schützenweibern, alle,
so wie sie es eben konnten, als das beste geschmückt, dann kam
der Franzose. Seinen Anzug zu beschreiben, ist nicht möglich,
es war eben alles von den Schützen zusammengesteuert. Sie
hatten unter anderem auch das Recht, die Kleider der
Selbstmörder und Delinquenten an sich zu nehmen, und so mag
der Bräutigam recht wacker, wenn auch ein wenig wunderlich,
ausgesehen haben. Die Trauung war kurz, wie sich's für solche
Leute damals ziemte, nach Beendigung des Gottesdienstes zog
die ganze Schar nach Mögeldorf. Dort war Kirchweihtag, und da
-130-
dachte man die Hochzeit nach Gebühr mit Essen, Trinken und
Tanz zu feiern. Es ging auch alles gut und gar ab; doch der
Abend nahte, und man mußte noch vor Torschluß in der Stadt
sein, um nicht in Strafe zu fallen. Mit einem Menuett, allein
getanzt von Braut und Bräutigam, sollte die Feier ein Ende
haben. Damals zogen preußische Werber in den Städten und
mehr noch auf den Dörfern herum. Zur späten Abendzeit übten
sie in den Wirtshäusern ihre Pfiffe und Schliche, um dem König
Mannschaften zu dingen, wobei es nicht immer säuberlich, aber
zuzeiten gewalttätig und unmenschlich genug herging. Viele
von ihnen führten große, wohlabgerichtete Hunde mit sich,
englische Schweisshunde oder Bullenbeisser; und einer dieser
scharfen Tiere gab den Anlaß zu einem bösen Handel, der zur
wüsten Balgerei ward, in die zuletzt alle Gäste hineingerieten,
wie das so geht, halb mit und ohne Absieht und Willen.
Die Schützen hatten einen Kreis um die Tanzenden gebildet.
Einer dieser Werberhunde durchbrach, wie man später sagte, auf
einen Hetzruf, den Kreis und riß die Braut zu Boden. Die
Schützen warfen sich auf den Hund und schlugen ihn tot, da
liefen die Werber mit Geschrei zusammen, und es gab einen
grimmen Tanz. Der Bräutigam riß einem der Preußen den Säbel
aus der Hand und verteidigte sich und seine Braut; er suchte sich
einen Weg nach dem Gartenausgang zu sichern, was auch
gelang. Von da aus ging die Rauferei den Berg hinunter auf die
Wiese, und dort umgab die Streitenden finstere Nacht. Da
hörten, die noch oben waren, einen gellen Schrei; die Werber
stoben auseinander. Nun lief alles hinunter. Auf der Wiese im
hohen Gras lag der Bräutigam und regte kein Glied mehr; sie
hatten ihm den Leib durchstochen. Die Liesl warf sich zu ihm
auf die Erde; bald waren ihre Hände voll Blut, sie sah sie an und
lachte, hell und laut wie ein Kind über ein Spielwerk.
Der Franzose war tot, die arme Liesl wahnsinnig. Die
Schützen trugen das Irre Weib und den Toten in die Stadt. Auf
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dem Studentenplätzlein, hinter dem St. Rochuskirchhof,
begruben die Schützen tags darauf den Franzosen.
Die Liesl ging lange Zeit wirr herum. Körperlich erholte sie
sich langsam wieder, aber in ihrem Kopf kam es nie mehr zur
Ordnung wie vorher. Lange Jahre lebte sie noch im Schützenhof
in der Ludergasse; jedes Jahr hockte sie auf dem Kindlesmarkt
mit ihren drolligen Zwetschgenmännern, die vor sich an einem
kleinen Tischchen auf einem roten Decke aus gezacktem
Glanzpapier schöne messingene oder zinnerne Ringlein mit
farbigem Glas liegen hatten.
Auf dem Tisch des großen Zwetschgenmannes in
französischer Uniform lagen zwei Ringe ohne Stein. Um das
Jahr 1820 starb sie, und man sagt, sie ruhe auf dem
Studentenplätzlein auf dem Rochus bei ihrem ehrlichen Mann,
ihrem "pauvre ami sergeant".
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Die Sensenschmiede von St. Jakob
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wenn sie ihre Speisen süßen wollten und das wollten sie oft
Honig dafür nehmen.
Den Honig aber liefert die Zeidler aus dem Reichswald um
Nürnberg herum und deswegen waren sie angesehen und
besonders geschätzt beim Kaiser bei allen Herren und sogar bei
den Nürnberger Bürgern, denn die hatten durch ihre
Lebkuchenbäckereien, zu denen sie Honig brauchten, bei dem
allgemeinen Mangel an Zuckerwaren, einen sehr großen
Verdient. Im Oktober des Jahres 1264 - es war gerade wieder
eine Zeit, in der ganze Rudel von Wölfen die Gegend unsicher
machten kam ein Zeidler mit seiner Frau, mit einer schweren
Honiglast beladen, nach Nürnberg. Ihre Hütte draußen im Wald
mit ihren beiden Kindern Emma und Wolfgang hatten sie allein
lassen müssen. Sie hatten streng befohlen, daß Wolfgang die
Türe nicht öffnen und besonders auf sein kleine Schwesterlein
Emma acht geben solle. Dafür hatten die Eltern versprochen,
daß sie den Kindern Lebküchlein aus der Stadt mitbrächten. Die
Kinder spielten in der Hütte bis gegen Abend. Da kam der Sohn
eines anderen Zeidlers, der genau so alt war wie Wolfgang, d. h.
etwa zehn Jahre, und in der Nähe wohnte. Er klopfte an das
Fenster und es gelang ihm wirklich, den Wolfgang aus der Hütte
herauszulocken. Die Tür blieb offen stehen und das vierjährige
Schwesterlein lief dem Bruder nach ins Freie. Wie sie so
spielten, hörte man plötzlich ein Fauchen in der Nähe, dann ein
Bellen, zwei Wölfe sprangen daher. Der Nachbarsbub kletterte
geschwind auf einen Baum und rief dem Wolfgang zu: "Schnell,
Wolfgang, komm auch herauf zu mir, sonst fressen dich die
Wölfe!" Aber Wolfgang erschrak bis ins Herz hinein. Er dachte
zuerst an sein kleines Schwesterlein, nahm es auf den Arm und
rannte, so schnell er konnte, auf die nahe Haustür zu.
Und fast waren sie hineingekommen! Auf der Schwelle packte
ihn ein Wolf an der Schulter und riß ihn zu Boden. Gleich
darauf bissen die scharfen Zähne in seinen Leib und rissen ihm
die Eingeweide heraus. Der andere Wolf biß einstweilen das
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kleine Mädchen unbarmherzig. Es rief noch ein paar mal:
"Vater, Mutter, lieber Gott!" Zuletzt wimmerte es nur ein wenig.
Die hungrigen Wölfe fraßen solange, bis nur noch die blutigen
Knochen übrig waren. Da kamen die Eltern durch den Wald
daher gewandert. Mit lautem Schreien verscheuchten sie die
Wölfe. Sie sahen wohl die Knochen vor der Haustür liegen,
dachten aber nicht daran, dass das ihre lieben Kinder seien. Sie
suchten im ganzen Haus und riefen immerzu:
"Emma, Wolfgang! Wo seid ihr denn? Kommt her! Die Wölfe
sind fort. Wir haben euch Lebküchlein mitgebracht!" Da hörten
sie drunten an der Haustüre die Stimme eines Knaben. Aber es
war nicht ihr Wolfgang, sondern der Nachbarsbub, der vom
Baum heruntergeklettert war und den armen Zeidlersleuten von
dem Tod der Kleinen erzählen mußte.
Am Tag darauf, als der Burggraf Friedrich mit seiner
Gemahlin, mit seinen sechs Kindern und seinem Gefolge bei
Tische saß, entstand auf einmal großer Lärm an der Saaltüre. An
den Wachen verbei bei, die sie aufhalten wollten, stürzte der
Zeidler mit seiner Frau Die arme Mutter warf die blutigen
Knochen ihrer Kinder auf den Boden vor die Gesellschaft hin
und der Vater schrie: "Herr Reichsvogt, da ist meine letzte
Steuer. Es sind meine Kinder! Gesten haben sie die Wölfe
zerrissen, während ich und mein Weib euch den Honigzehnten
brachten." Erst war die ganze Tafelrund ganz erstarrt vor
Schreck.
Dann stand die Burggräfin auf und tröstete die arm Mutter; die
Herren aber machten sogleich aus, daß sie am andern Tag eine
große Wolfsjagd im Reichswald halten wollten, um da Untier
auszurotten Am frühen Morgen bliesen die Hörner zur Jagd.
Unter den sechs Kindern des Grafen Friedrich waren zwei junge
Herrlein. Hans war 18 und Sigmund 16 Jahre alt. Beide waren
schlank und kräftig herangewachsen; sie waren gut geübt in den
Waffen und hattet schon oft bewiesen im Kampf und im
Turnierspiel, daß sie Mut und Entschlossenheit besassen. Die
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grösste Freude war für die bei den jungen Herren, wenn sie im
groBen Reichswald Bären und Wölfe jagen durften. Die beiden
waren auch heut mit großem. Eifer dabei, und als die Jagd
voranging, ritten sie allen voraus. Sie waren unbesorgt, wenn
auch. am Morgen beim Auszug plötzlich ihre Mutter, die
Burggräfin, bleich und mit rot geweinten Augen erschienen war
und ihren Mann herzlich gebeten hatte die beiden Söhne nicht
mit zur Jagd ziehen zu lassen. Sie habe einen so schrecklichen
Traum gehabt. Die beiden hatten ihre Mutter ausgelacht: ,Sei
doch nicht abergläubisch!" Und auch der Burggraf Friedrich
hatte sie beruhigt: ,'Dein Traum kommt nur von dem Schrecken
und der Aufregung durch die beiden Zeidlersleute gestern
mittag. Fürchte dich nicht, ich werde auf die beiden Jungen
aufpassen, so gut ich kann!"
Die Hunde wurden losgelassen und im scharfen Ritt ging es
den Teilen des Waldes zu, wo die Wölfe gemeldet waren. Viele
Tiere wurden erlegt. Noch ehe die Sonne untergegangen war,
waren achtzehn Wölfe und dazu sechs Eber, fünf Hirsche, zehn
Füchse erlegt. Auf einer Waldwiese neben dem Schlößlein
Lichtenhof wurde ein Tisch aufgeschlagen. Dort sammelten sich
alle Jäger zum festlichen Schmaus. Der Weinbecher kreiste,
fröhliche Lieder erklangen und in munteren Gesprächen ging die
Zeit bis zum Abend hin. Burggraf Friedrich hatte schon an die in
ängstliche Mutter Botschaft gesandt von dem guten Verlauf der
Jagd. Als aber die Sonne unterging, mahnte er zum Aufbruch. In
der Abenddämmerung kamen sie an die Stadtmauer. Der Vater
ritt mit dem Gefolge gleich zur Burg; die Söhne ritten mit
einigen Knechten zu einem Jagdschlößlein beim weissen Turm,
um dort die Jagdbeute unterzubringen. Dabei mußten sie durch
die Siedlung der Sensenschmiede reiten. Die beiden Junker
waren bereits am Schlößlein angekommen und dort abgesessen.
Da erscholl weit hinter ihnen in der Vorstadt der
Sensenschmiede ein grässliches Geschrei; bald darauf war eine
große Menschenmenge auf der Strasse und schob sich dort hin
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und her. Keiner wusste was geschehen war. Jeder fragte, aber
keiner konnte Antwort geben. Die beiden Burggrafen warfen
sich auf ihre Pferde und brachen sich Bahn durch die Menge.
Plötzlich waren sie umringt von einem Haufen rußiger
Sensenschmiede die mit Eisenstangen, mit Sensen und mit
Beilen unter wildem Fluchen und Geschrei auf die Junker
eindrangen. Sie kamen bis zum Tor eines Hauses. Da lag auf
einer Bahre der blutige Körper eines Knaben. Die Mutter schrie
wie wahnsinnig und warf sich über den Leichnam ihres Kindes
und der Sensenschmiede Burkhard, der Vater, schwang ein
schweres Beil gegen die beiden jungen Herrn. Die fragten
umsonst, was denn das alles zu bedeuten habe. Die paar
Knechte, die mit den Junkern die Jagdbeute in das Schlößlein
hatten bringen sollen, wehrten mit starken Schlägen den
wildenten Haufen ab und auch die Prinzen hatten ihre Schwerter
gezogen. Burkhard war bereits so schwer getroffen, dass er am
Boden lag und ringsherum lagen bald noch mehr. Aber die
Sensenschmiede waren in zu grosser Übermacht.
Nach tapferer Gegenwehr wurde 'Sigmund, der jüngere Sohn,
von einem riesigen Schmied vom Pferde heruntergerissen und
zusammengeschlagen. Hans wollte seinem Bruder zu Hilfe
kommen.
Plötzlich aber merkte er, dass sein Pferd an dem Bruder vorbei
dahinstürmte. Mitleidige Leute hatten dem Pferd einen Hieb
versetzt um den Junker zu retten. Aber schnell war er eingeholt
und im nächsten Augenblick von den Schmieden ebenfalls
umgebracht. Jetzt erst kam den wütenden Schmieden die
Besinnung zurück. Ihr Gewissen erwachte. Ringsum hörte man
Jammern der Reue und des Mitleids. Dann liefen die Leute
auseinander. Keiner wollte mehr dabei gewesen sein. Die
Knechte legten die Leichen ihrer jungen Herren auf ihre Spiesse,
und traurig bewegte sich der Zug der Nürnberger Burg zu.
Jetzt erfuhr man auch, wie es zu der furchtbaren Bluttat
gekommen war: Bei der Rückkehr durch die Vorstadt der
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Sensenschmiede hatten die Troßknechte die Hunde, die noch
von der Jagd her wild und hitzig waren an zu langen Leinen
geführt. Da dass ein vierjähriges Knäblein, der kleine Sohn des
Meisters Burkhard, unter der Haustür, von seiner Mutter gegen
den kühlen Abend vorsorglich in ein Wolfsfell eingewickelt.
Kaum hatten die Hunde den Wolfspelz erblickt, da sprangen sie
darauf los, und noch ehe die Troßknechte die Leinen angezogen
hatten, hatten sie den "Wolf" gepackt und zerrissen. Es war aber
das kleine Sensenschmiedsbüblein. Noch ehe die Knechte oder
sonst irgend jemand zur Hilfe kommen konnte, war das Unglück
schon geschehen Und gleich darauf hatte die hitzigen
Sensenschmiede die furchtbare Wut gepackt.
Als der Zug mit den ermordeten Junkern auf die Burg kam,
war dort der Schrecken groß. Die Ritter und die Knechte
gerieten in den wildesten Zorn. Gleich machten sie sich auf, der
Vorstadt der Sensenschmiede zu, um die Übeltäter furchtbar zu
bestrafen. Aber der Burggraf Friedrich eilte ihnen nach und
drunten auf der Pegnitzbrücke konnte er den Zug aufhalten. So
weh ihm sein Herz tat, Er wollte nicht, daß noch weiteres Blut
vergossen werde. Er versprach, daß er selbst ein strenges
Strafgericht über die Schuldigen halten wolle.
Die Sensenschmiede aber warteten nicht auf die Folgen ihrer
Bluttat.
Als am nächsten Morgen Ritter und Knechte des Burggrafen
vor den weissen Turm ritten, um die Schuldigen ausfindig zu
machen, war die Vorstadt verlassen. Die Sensenschmiede waren
noch in derselben Nacht mit Weib und Kind aufgebrochen und
nach Donauwörth gezogen. Dort waren sie vor Strafe und Rache
des Burggrafen sicher.
In St. Jakob, neben. dem weisen Turm, liegen die Gebeine der
beiden Junker Hans und Sigmund begraben.
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Die Sonne Italiens
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Der feine Pinsel
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Die Steckenreiter
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Zwischenzeit silberne Münzen prägen lassen, die aber nicht
rund, sondern viereckig waren.
Auf der Vorderseite sah man einen Buben auf dem
Steckenpferd, mit der Peitsche in der Hand und der Jahreszahl
1650. Auf der Rückseite sah man den Reichsadler und ein Hoch
auf den damaligen Kaiser Ferdinand III.
Jeder Steckelesreiter bekam so einen Taler. In mancher
Nürnberger Familie wird die Münze heute noch aufbewahrt.
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Die Toten wollen ihre Ruh'
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Die Totenmesse
In der Nähe von St. Lorenz stand bis zum Jahr 1945 ein großes
Haus, das der Familie Imhoff gehörte Dort lebte einmal eine
Frau, die frühzeitig Witwe geworden war, und ihr ganzes Leben
lang schmerzlich um ihren verstorbenen Mann trauerte. Damals
war um die Lorenzkirche herum noch ein grosser Friedhof. Man
mußte also, wenn man zur Kirche ging erst an den vielen
Gräbern vorbei.
Die Witwe ging täglich zur Kirche. Viele Jahre hindurch
besuchte sie die Frühmesse in der Lorenzkirche, die wenigstens
im Herbst und Winter noch vor Tagesanbruch dort stattfand.
Einmal - es war am Allerseelentag, am 2. November - wachte
sie nach unruhigem Schlummer auf. Sie glaubte, die Glocke zur
Messe rufen zu hören.
Hinter den Wolken stand der Vollmond am Himmel, go
glaubte sie, der Tag komme schon heran. Rasch zog sie sich an,
warf ihren Mantel um, und eilte durch den Friedhof hinüber in
die Kirche. Die Türen standen weit offen und drinnen war die
Messe schon im Gange. Viele Andächtige knieten in den
Bänken und die Frau nahm still ihren Platz ein. Der Geistliche,
der die Messe las, kam ihr so bekannt vor. Als er sich umdrehte,
merkte sie, daß es der Pfarrer war, der vor einigen Monaten
draußen auf dem Friedhof begraben worden war. Und wie sie
voll Schreck sich zur Nachbarin wendet, um ihr zu erzählen,
was sie da bemerkt hat, da sieht sie, daß neben ihr, hinter ihr,
rings um sie herum lauter Menschen saßen, die schon längst
begraben waren.
Da kam ihre Jugendfreundin leise zu ihr her gegangen, die
auch schon lange gestorben war, und flüsterte ihr ins Ohr:
"Klara, geh so schnell du kannst, aus der Kirche. Du hast die
Totenmesse gestört.
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Wenn sie dich bemerken, dann werden sie dich in Stücke
reissen.
Leise stand Frau Klara auf und schlich auf die offene Tür zu.
Die Toten hatten ihre Köpfe alle zum Gebet gesenkt. Es war ihr
aber doch, als wäre hinter ihr ein Huschen und Schleichen, und
als sie über den Friedhof kam, waren alle Gräber offen. Atemlos
erreichte sie ihre Schwelle. Da schlug es 1 Uhr. Ohnmächtig
sank sie zusammen. Am andern Morgen fand man sie dort. Sie
erzählte, was sie erlebt hatte, und erinnerte sich daran, daß sie in
der Nacht im Schrecken ihren Mantel hatte liegen gelassen. Die
Diener gingen, um ihn zu suchen. Sie fanden den Mantel nicht
mehr; aber auf jedem Grab lag ein Fetzchen davon.
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Die Wette mit dem Teufel
Auf der Burg von Nürnberg steht ein alter, dicker Turm; er
heißt der Heidenturm. In ihm stehen zwei Kapellen
übereinander. Die untere finster und niedrig, mit dicken,
schweren Sandsteinsäulen; die obere hell und freundlich, mit
schlanken, hohen Marmorsäulen. Eine von den vier
Marmorsäulen in der oberen Kapelle trägt einen sonderbaren
Ring. Wie kommt der Ring an die Säule? War sie vielleicht
einmal gesprungen, und musste der Sprung mit dem Ring
überdeckt werden? Ja, so war es; aber das ist eine schreckliche
Geschichte. Der Kaiser hatte sich eine Burg auf den Nürnberger
Felsen gebaut. Die finstere, alte Kapelle gefiel ihm nicht. Sie
hatte auch nicht genug Raum für seine Ritter und war für seine
Diener; drum ließ er über die alte Kapelle eine neue, schönere,
hellere, geräumigere bauen. Der Schlosskaplan bekam den
Auftrag und den strengen Befehl, die neue Kapelle mit
Marmorsäulen aufzurichten.
Der Kaiser zog nach diesem Befehl in ferne Länder und
verlangte zum Schluß noch, dass die Kapelle genau über ein
Jahr fertig sei. Da wolle er mit dem Bischof das neue Gotteshaus
festlich einweihen.
Der Schlosskaplan ließ den besten Baumeister kommen, den er
kannte, und beriet mit ihm den Plan.
Aber Marmorsäulen konnte der Baumeister nicht
herbeischaffen. Die Wege waren zu schlecht, und in der Nähe
waren weit und breit keine Marmorsäulen aufzutreiben. Das Jahr
ging dahin, das Gebäude der Kapelle war fertig gestellt; das
Gewölbe trug sich selbst, so kunstvoll hatte der Baumeister es
gebaut Der Altar war aufgerichtet, die Fenster, die Emporen, die
Bänke mit kunstvollen Verzierungen versehen. Aber die Säulen
fehlten immer noch.
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Einige Tage vor der festgesetzten Einweihung der Kapelle fiel
dem Schlosskaplan die Sorge schwer aufs Herz. Der Kaiser
hatte seine Ankunft von Regensburg her durch einen reitenden
Boten angesagt und hatte mitteilen lassen, dass er den Bischof
zur Weihe gleich mitbringe. Er hoffe, dass die Kapelle schön
geworden sei, und dass besonders die bestellten Marmorsäulen
das neue Gotteshaus prächtig ausschmückten. Der Kaplan
fürchtete den Zorn des Kaisers. Unruhig ging er die Treppen der
Burg auf und ab, irrte durch den Burghof oder sah vom Turm
hinüber über die Wälder in die Richtung, aus der Zug des
Kaisers zu erwarten war. Woher sollte er die Marmorsäulen
nehmen? Was würde der Kaiser sagen, wenn die gewünschten
Säulen fehlten? Solche Gedanken ließen ihn nicht mehr los und
verfolgten ihn bis in den Schlaf hinein. Ein ungeheurere
Donnerschlag weckte ihn. Verstört fuhr er in die Höhe. Er sah
aber nichts Besonderes: nur drüben in der Ecke stand ein Mann
bescheiden an der Wand. Er trug das Kleid eines Baumeisters.
Seinen grossen Hut hatte er in der Hand, trat auf den Kaplan,
der wieder in sein Bett zurück gesunken war, zu und sagte:
"Deine Sorgen kennt ich genau. Ich will dir die vier
Marmorsäulen noch heute aus Rom herschaffen, wenn du
willst."
"Ich kenn dich, du bist der Teufel. Mit dir will ich nichts zu
tun haben", schrie der erschreckte Kaplan. Der Baumeister blieb
eine Weile ruhig. Dann aber trat er näher heran und sagte leise:
"Kaplan, du bist doch ein gescheiter, studierter Mann. Du kannst
eine Messe lesen wie Wasser; du brauchst nicht länger als eine
1/4 Stunde dazu." Trotz alles Schreckens schmunzelte der
Kaplan geschmeichelt. Der Baumeister aber fuhr fort: "Ich will
mit dir eine Wette machen. Bis du fertig bist mit dem Lesen der
Messe, will ich dir die vier Säulen aus Rom über die Berge
herschaffen. Wenn du in der Zeit, in der ich die vier Säulen, eine
nach der andern, in deine Kapelle bringe, zu Ende kommst, dann
gehören die Säulen dir, und ich will keinen Lohn dafür haben.
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Bist du aber nicht fertig, dann mußt du deine Seele geben." Der
Kaplan überlegte. Italien war so weit, und die Säulen waren so
schwer, und viermal nach Italien hin- und herfliegen, das
brauchte Zeit. Er setzte sich auf in seinem Bett und rief: "Teufel,
ich wag's! Die Wette gilt. Du darfst aber nicht fort, ehe ich mit
meiner Messe angefangen habe." Der Baumeister war's
zufrieden.
Bescheiden stand er da und wartete, bis der Kaplan aus dem
Bett gefahren war, seine Kleider angelegt, sein Messgewand
übergezogen und sich von der Burgwache einige Wachmänner
als Ministranten geholt hatte. Erst als das Glöcklein erklang,
machte er sich auf. Und nun kam ein Gewitter, wie man es noch
nicht gehört hatte. Donner krachten und knatterten, Blitze
flammten taghell auf, Regen und Hagel schossen prasselnd
herunter.
Der Kaplan aber las seine Messe mutig weiter. Aber kaum
hatte er begonnen, kam der Teufel schon mit der ersten Säule
herein. Noch ehe er zur Hälfte fertig war, stand bereits die
zweite Säule an ihrem Platz und bald darauf stand schon die
dritte Säule. Die Donner Schläge wurden immer furchtbarer, die
Blitze immer greller. Die Wachsoldaten lagen bewußtlos am
Boden und der Kaplan selber spürte, dass er nicht mehr sprechen
konnte; seine Zunge war so schwer, sein Kopf ganz wirr. Da
öffnete er in seiner Angst die Arme und rief: "Ite, missa est,
Dominus vobiscum!" Dann sank auch er bewußtlos auf die
Altarstufen. Der Teufel aber hatte im Hereinfahren nur die
letzten Worte der Messe gehört. In furchtbarer Wut warf er die
Säule mitten in die Kapelle, sodass sie auseinander sprang. Erst
nach Stunden kam der Kaplan wieder zu sich. Er ließ seinen
alten Baumeister kommen, und in kurzer Zeit war die vierte
Säule zusammengesetzt und an ihren Platz gestellt. Der Sprung
war durch den Ring verdeckt Und als der Kaiser und der Bischof
kamen, konnten sie die Pracht der neuen Kapelle und besonders
die schlanke Schönhe it der Marmorsäulen nicht genug loben.
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Die Wurstpredigt
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Darüber, dass alte Weiber hexen konnten, brauchte sich keiner
erst lang zu besinnen, das war seit Alters gewiß, und es gab auch
Mittel, herauszubringen, von wem das Unheil kam. Man ließ die
Kuh ihr Wasser in einen Topf abschlagen, wobei drauf zu achten
war, dass beileibe nichts daneben ging, rührte den Urin mit
einem alten Besen wohl um und goß ihn in Teufels Namen mit
Topf und Besen ins Feuer. Das machte vor allem einen
Wunderbaren Gestank im Haus, und manchem alten Weib im
Dorf kam wohl ein Zittern an, so sie das roch denn nun mußte
die Hexe den Grind bekommen. Und so kam's heraus, wer
solchen Unfug trieb. Ein ebenso sicheres Mittel, die Hexe zu
erkennen, war dies. Man molk die verzauberte Kuh, kochte die
Milch in einer Eisenp fanne und schlug die Kuh weiblich mit
einem tüchtigen Dornstecken; am andern Tag lief dann die Hexe
mit zerkratztem Gesicht herum, man brauchte nur die alten
Weiber anzusehen, um die Hexenmeisterin zu erwischen In
einem Buch von 1790 gegen , „Aberglauben sind falschen
Wahn" dessen Verfasser sich nicht nennt, fand ich den Satz::
„Das Dasein des Teufels leugnen, ist Unglaube; ihm diejenige
Macht über die Geschöpfe zuschreiben, die man ihm so
allgemein einräumt, ist Irrglaube.“ - - "Man rede von Gottes
Allmacht, von seinen Strafen, dass es bei ihm stehe, glücklich
oder unglücklich zu machen, man wird höchstens einen Seufzer
Hören, der übrigens keine Unruhe verursacht Aber man fange
vom Teufel an, rede von Bezauberungen durch ihm und von
seinen Verwüstungen; sage, er habe jenem den Hals umgedreht,
jenen in die Luft geführte und unter grauslichem Geschrei
zerrissen - und man wird es von ganzen Herzen glauben und
erschrecken.
Beweist dies, dass man den Teufel mehr fürchtet als Gott? Der
Teufel aber kann uns ohne Gottes Zulassung nicht schaden;
denn er ist unter Gott und kann ohne Gott nie seine Absichten
erreichen. "
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Doch da muß ich mir selber sagen, kurz zu sein, keine
Wurstpredigt zu halten, und so soll meine Geschichte ihren
Anfang nehmen. In der uralten romanischen Kapelle im
Heidentum wurde vor langer Zeit für das Bauernvolk und die
Gärtner hinter der Veste Gottesdienst gehalten. Aber nur alle
zwei Wochen predigte der Pfarrer am Sonntag schon früh vor
Tag; zwischenhinein versah damals den Dienst ein zahnloser
Mesner, der zudem ein schlimmer Stotterer war, der jedes Wort
zweimal sagte, manchmal, wenn er seinen bösen Tag hatte, wohl
auch öfter, hinten im Gaumen eine Weile dran herumkaute, bis
er es glücklich herausbrachte; da seine Zuhörer nicht verwöhnt
waren, so ging das lange Jahre so, und wenn nichts geschehen
wäre, wovon ich erzählen will, so wären die Bauern bis an
seinen Tod deshalb nicht ausgeblieben. Es war auch nicht seine
Sache, eine freie Predigt zu halten, wie der Pfarrer, er saß da und
las, so gut es ging, aus einer riesigen Postille, und wenn es nicht
so recht fort wollte, schob er ungeduldig die runde Hornbrille
auf der Nase bin und her oder hustete, was ihm viel leichter
ankam als reden. Im Spätherbst, wenn es morgens lange dunkel
blieb, und im Winter stand vor der Postille eine große Laterne
mit einem kümmerlichen Gollicht, das kaum armlang um das
Buch her so trüben Schimmer warf, das es in der alten, engen
Kapelle so finster wie in einer Gruft war.
Damals war in der Frühe das Neutor wie auch das Vestnertor
geschlossen, und die Bauern kamen zum Tiergärtnertor herein,
gingen die Stufen zum Oelberg hinauf, am Fuß der Burg bin,
den steilen Bimmelsweg zur Kapelle im Heidenturrn. Da war
weder Licht noch Pflaster und der ganze Weg schon unheimlich
genug für abergläubische Gemüter, die an allen Ecken und
Enden zu gruseln genug fanden; auf der Burg zumal trieben sich
nicht nur zur heiligen Zeit ganze Rudel Geister um. In einer
Kapelle zeigte man eine Säule mit einem Eisenring. Der Teufel
hatte die Säulen aus Italien geholt für den frommen Erbauer, mit
dem er um die Seele gewettet hatte; wenn der Mönch einschlief,
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bevor der Teufel mit der letzten Säule durch die Luft kam, war
er ihm verfallen. Als der Satan den frommen Mann betend fand,
warf er wütend die Säule zu Boden; man mußte sie mit Eisen
zusammenfügen. Auch am Himmelstor, durch das man von
unten her gehen mußte, war es nicht geheuer.
Als der stotternde Mesner wieder einmal an der Reihe war,
hatte es tagelang geregnet, und die Bauern kamen durch den
tiefen Schmutz zum Gottesdienst. Heute waren ihrer viele, so
daß sie den dunklen Raum bald bis in die Winkel füllten, wo
keiner den andern mehr am Gesicht erkannte. trübselig schien
das Gollicht auf die Postille, und der Mesner begann nach
einigen Anläufen den dreiundzwanzigsten Psalm Davids zu
lesen. Als er zum vierten Vers kam, war es schier zum
Verwundern, denn er sagte in laut und ganz ohne Stocken, mit
großen Gottvertrauen. Es war die schöne Stelle des gläubigen,
tiefen Bauens auf Gott, der dem Christenmensche n ein
gewaltiger Stecken und Stab im finstern Tal der Welt ist. Dann
las er aus dem dicken Buche kräftige Worte, wie sie der Pastor
Hartkopf von Sankt Jakob nicht stärker gesagt hätte, denn heut
war sein guter Tag. "Um der Menschen Gunst gib ich gar nicht
und will deshalb allein auf Deine gar große Macht und Gewalt
vertrauen, die da erschrecklich groß ist gar über die massen stark
über alle Geist Himmels und der Erden. 0 allerliebster Vater, Du
Licht der Blinden, Stab der Lahmen, De lässt uns Übel mit
widerfahren; 0 großer Fürst, Deine wunderbare Majestät behüt
uns von allen giftigen Seuchen, hitzigen Leibschäden und
anderen gefährlichen Krankheiten und widerwärtigen Zufällen,
also dass uns weder Glück noch Unglück, weder Gesundheit
noch Trübsal, weder Armut, weder Tot noch Leben von Dir
lieber Vater mögen absondern.
Auf der Kanzel sah man einen dunklen Fleck, der sich bin und
wieder bewegte. Ehe die andern hinsahen, flog ein großer,
schwarzer Vogel auf den Tisch neben die Postille und schrie:
"Halts Maul!
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Mach ka Wurstpredig. Alter Schmarrer!" Der Mesner fuhr auf,
warf den Tisch mit der Postille um, die Laterne fiel auf den
Steinboden und erlosch. "Gelobt sei Jesus Christus," stotterte der
Mesner. "Der Teufel, der Teufel!", brüllten die Bauern, stießen
einander über den Haufen und keilten und balgten sich an der
Kapellentür; Mannsleute und Weiber mit hochgerafften Röcken
rannten durch den tiefen Kot den Himmelsweg hinunter über die
Burgstrasse und den Oelberg fort. Über ihre Köpfe weg flatterte
ein Rabe und blieb oben auf dem Himmelstor sitzen, dort hörten
ihn die letzten und der schlotternde Mesner, den sie übel
zerstoßen hatten, nochmal krächzen: "Mach' ka Wurstpredig!
Mach' ka Wurstpredig' Der vermeintliche Teufel war eine
zahme, sprechende Dohle, die dem alten Türmer auf dem
Sinwellturm entflogen war, das Licht hatte sie in die Kapelle
gelockt; den Spruch hatte sie vom Türmer gelernt, der ihn oft
genug seiner schwatzhaften Frau zurief. Seitdem dies
geschehen, wird im Heidenturm kein Gottesdienst mehr
gehalten, denn keiner der Bauern ließ sich mehr dort sehen; sie
hielten es als Christen nicht damit, Gott mehr zu fürchten als
den Teufel.
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Die betenden Pferde
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Der reiche Mann starb. Die Verwandten konnten ihn nicht
schnell genug aus dem Haus haben und setzten die Beerdigung
schon auf den nächsten Morgen fest. Zur Totenwache hatte aber
keiner Zeit.
Sie holten sich die Schlüssel und kramten in allen Truhen und
Schränken und suchten nach Geld und anderen Schätzen. Und
weil keiner genug kriegen konnte, so fingen sie untereinander
Streit an, und schlugen sich.
Am anderen Morgen kam das Totenfuhrwerk und holte den
reichen Mann ab. Er lag so, wie er gestorben war, in seinem
Sarge. Nicht einmal die Hände hatten sie ihm gefaltet. Der Sarg
wurde geschlossen und hinüber gebracht in den Friedhof. Als
die Glocke zur Beerdigung läutete, regnete es. Ein kalter Wind
blies die Regentropfen den Menschen ins Gesicht. Der Pfarrer
ging langsam herüber zu dem offenen Grab, neben dem der
Mesner und die vier Träger standen. Der Pfarrer wartete, aber es
kam kein einziger, der den armen reichen Mann zum Grab
begleiten wollte. So hielten die Sechs miteinander eine kleine
Beerdigung. Als der Pfarrer zu Ende war - seine Predigt war
kurz - da betete er über dem Sarg. Plötzlich hörten die Sechs ein
Wiehern über ihren Köpfen. Sie sahen in die Höhe; da schauten
aus dem obersten Stockwerk im Nassauer Haus zwei braune
Pferdekoepfe heraus. Ihre Hufe lagen auf der Fensterbrüstung
wie zum Beten übereinandergelegt Und als der Pfarrer weiter
betete, blieben sie droben still, und schauten mit ihren treuen
Augen herunter auf das Grab, als wollten sie sagen: wenn dich
auch alle Menschen verlassen haben, wir armen, dummen Tiere
haben nicht vergessen, dass du so gut mit uns warst.
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Die blaue Agnes
Heute noch steht auf der Burg der Sinwellturm (sin-well ganz
rund); die Nürnberger nennen in einfach den Simpel. Das ist der
Turm, nach dem der Nürnberger zum Spaß fragte: "Welcher
Turm ist zugleich der dickste und der dünnste von allen
Nürnberger Türmen?". Das ist der Sinwellturm, denn er steht auf
einem breiten Felsen, und so ist er unten der dickste von allen
Türmen. Er selbst ist aber viel dünner als die andern Türme.
Daher ist er zugleich der dickste und der dünnste. In seinem
Innern ist nur eine enge Wendeltreppe, die in vielen Windungen
und unzähligen Stufen hinaufführt bis zur Plattform, über der
ein Stübchen für den Türmer gerichtet war. Dort wohnte Jörg
Kohler, der Wächter, viele Jahre.
Frau und Kinder waren ihm gestorben, und er lebte wie ein
Einsiedler da droben in luftiger Höhe als Höchster der Stadt.
Wenn es brannte, blies er das Feuerhorn, und sein Horn war
gewöhnlich das erste von allen Turmwächtern, wenn irgendwo
eine Flamme aufzüngelte. Er vertrieb die Zeit am Webstuhl und
verdiente manchen Kreuzer damit. Er webte ein grobes Leinen
und konnte es mit schöner, blauer Farbe färben. Wenn er einen
Packen fertig hatte, dann stieg er hinunter und verkaufte drunten
sein "Selbstgewobenes". Von dem Geld, das er dabei bekam,
kaufte er allerhand ein, was er sich wünschte für seine
Einsamkeit da droben, und dann stieg er wieder in seine
Einsiedelei hinauf. Als er wieder einmal mit seiner Last aus der
Stadt heraufgestiegen kam und das hohe Stiegenhaus durch den
Gang betrat, hörte er droben in der Finsternis ein menschliches
Wimmern. Erschrocken blieb er stehen.
Aber als das Wimmern wiederkam, stieg er mutig weiter und
fand droben vor der verschlossenen Tür seines Kämmerleins ein
kleines Mägdlein liegen. Er öffnete die Tür, machte Licht und
sah, dass es ein armes Wesen war, halb verhungert, die Kleider
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zerrissen. Mit letzter Kraft war es die steilen hohen Treppen
hinaufgekrochen und konnte nicht mehr weiter.
Jörg Kohler nahm das Mägdlein behutsam in seinen Arm, trug
es in seine Kammer und bettete es dort weich. Es hatte die
Augen aufgeschlagen, und seine zitternde Angst rührte den
rauhen, alten Einsiedler. Der Jörg hatte manch guten Bissen und
auch ein wenig Wein in der Stadt gekauft und in seinem Packen
heraufgetragen. Er rieb dem Kind die Schläfen ein und gab ihm
ein wenig zu knabbern.
Bald wurde das Mägdlein munter. Es wußte aber seinen
Namen nicht. Auch konnte es nicht sagen, wer seine Eltern
waren. Es erzählte nur, dass es von bösen Leuten, die sich
"Christen" nannten, aus der Heimat vertrieben und nun mit
Eltern und Bekannten nach langem Wandern hierher nach
Nürnberg gekommen war. Da war es den Eltern und den andern
noch schlechter gegangen und das Kind war davongelaufen und
hatte sich irgendwo verkrochen. Jörg merkte, dass es ein
Judenkind war. Es hatte so freundliche Augen und sein
Gesichtlein war schmal, aber feingeschnitten. Er beschloß, es
bei sich zu behalten und nannte es Agnes. Jahrelang wußte kein
Mensch von seinem Schatz. Das Kindlein blieb droben auf dem
Turm und kam nie herunter in die Stadt. Jörg besorgte alles. Das
Mägdlein wuchs heran, wurde 8, 10, 15 Jahre alt und erblühte
schließlich zu einer wunderschönen Jungfrau. Der alte
Einsiedler hatte nichts anderes, was er ihr als Kleid geben
konnte, als seine selbstgewebte Leinwand. So trug das Mädchen
nichts als blaue Kleider. Weil sie aber blond war, so standen ihr
die Kleider besonders gut und es wollte später gar nichts anderes
mehr tragen. Allmählich freilich sprach es sich herum, dass bei
dem alten, weißhaarigen Jörg ein schönes, blondes Mädchen
hauste, und man erzählte da und dort von der schönen, blauen
Agnes. Das störte aber die beiden nicht Sie lebten glücklich
zusammen, als wären sie wirklich Vater mit Tochter. Ungefähr
zehn Jahre waren vergangen, seit Jörg das Mädchen im Dunkeln
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vor seinem Stübchen gefunden hatte. Agnes war ein fröhlicher
Mensch. Von früh an hörte man ihre Lieder vom Turm
herunterklingen. Dann saß sie am Spinnrad und später webte sie
mit großem Geschick.
"Was machst du Agnes, wenn ich einmal gestorben bin, es
wird nicht mehr lange dauern?"
"Sei unbekümmert! Hat mich Gott to weit geführt, wird er für
mich auch weiter einen Weg leiten!" Agnes fiel ihrem treuen,
väterlichen Freud weinend um den Hals und bat ihm:
Sprich nicht von deinem Sterben, Vater. Bleib bei mir. Ich
werde für dich sorgen, soviel ich kann" Als Jörg ganz alt
geworden war, mußte Agnes für ihn hinuntersteigen in die Stadt
und den Barchent verkaufen und dafür das Notwendige fürs
Leben einhandeln.
Dadurch wurde sie immer mehr in der Stadt bekannt Eines
Nachts aber brach ein schwerer Brand in der Stadt aus. Alle
Türmer hatten geblasen, nur der Sinwellturm blieb aus. Als der
Brand gelöscht war, mußten ein paar Knechte hinaufsteigen und
nachsehen, warum denn der Ruf des Feuerhorns vom
Sinwellturm nicht erklungen war. Der "Feuerherr" (das war der
Oberste der Feuerwehr in der Stadt) hatte sie geschickt Die
Knechte fanden den alten Jörg tot Sein ganzes Stüblein war
sonst in Ordnung und so als hätte eben jemand aufgeräumt. Die
blaue Agnes aber war verschwunden, und niemand hat sie mehr
gesehen. Nun beschloß der Rat, dass die Wache auf dem
Sinwellturm nicht mehr besetzt werden sollte. Es wollte sich
keiner finden, der bereit war, so weit von allen Menschen weg in
die Einsamkeit zu ziehen. Fast 50 Jahre war kein Wächter mehr
dort droben. Als aber im Jahre 1632, wie die Schweden im Land
waren, wurde der Wächterposten neu besetzt, da war die "blaue
Agnes"
wieder da. Man hörte ihre Schuhe den Treppen auf- und
ablaufen. In der Nacht hörte man ihre lustigen Liedchen und das
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Schnurren ihres Spinnrades. Zu sehen bekam man die Agnes nur
selten. Aber wenn der Wächter einmal sich hingelegt hatte und
gegen die Vorschrift seines Dienstes eingeschlafen war, dann
kam die blaue Agnes und rüttelte ihm wach. Das ließ sich der
Türmer gefallen. Außerdem waren die Treppen und das Zimmer
jeden Morgen sauber gekehrt mit gewischt Aber bald erschien
die blaue Agnes auch auf den andern Türmen und besuchte,
warnte und bediente die Wächter der Stadt.
Man hörte sie überall herumschleichen und geschäftig alles in
Ordnung bringen, was durcheinander geraten war. Jeden großen
Brand zeigte sie den Wächtern schon ein paar Tage vorher an.
Sie hatte verschiedene Mittel, diese zu warnen: Bald läutete die
Feuerglocke leise in der Nacht, ohne dass jemand den Strick
berührt hatte; bald schwang das Feuerhorn an der Wand langsam
hin mit her; bald blieben einmal alle Uhren stehen. So soll es
noch heute sein.
Die blaue Agnes ist der Schutzgeist aller Türme.
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Die dicken Türme
Die Nürnberger Mauer war so dick, der Graben so tief und die
Nürnberger Türme so hoch und stark, daß kein Feind wagte, die
Stadt anzugreifen. Da kam die Zeit, dass man Kanonen gießen
konnte, die man weither über Land fuhr. Der Markgraf Albrecht
Alcibiades hatte auch Kanonen dabei, und als er draußen auf
dem Rechenberg sich lagerte, schob er von dort lange Zeit in die
Stadt.
Sehr zum Ärger der Nürnberger, die gar nichts dagegen
machen konnten.
Die Nürnberger hatten zwar eine ganze Anzahl Kanonen, die
standen hinter den Mauern und konnten nicht hinausschießen.
Der Rat aber wagte nicht, die Kanonen aus der Stadt
hinauszufahren und draußen vor den Toren aufzufahren. Dort
hätten sie frei schießen Können, aber es wäre schwer gewesen,
sie gegen einen Überfall der markgräflichen Reiter zu schützen.
So mußten denn die Nürnberger Kanonen hinter den Mauern
und hinter den geschlossenen Toren stehen und die Nürnberger
mußten ertragen, daß die markgräflichen Kanonen ohne
Erwiderung in die Stadt hereinschossen.
Als der Markgraf abgezogen war, ließ der Nürnberger Rat
schleunigst vier starke Türme an der Stadtmauer mit dicken
Mänteln aus Steinquadern umgeben. Oben in der Höhe wurde
eine breite Plattform gerichtet, wo man Kanonen aufstellen
konnte. Vier solche dicke Türme, die heute noch das
Wahrzeichen von Nürnberg sind, wurden damals gebaut.
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Die schwarze Kuh in Schlottenhof bei Arzberg
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Die verwunschene Jungfrau auf Schloß
Schönstein bei Röttingen
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Boden hinringelte und in den Lüften das "wilde Heer" mit
Höllenlärm vorbeibrauste.
Gleichzeitig rollte der Donner, zuckten die Blitze neben und
über ihm, und wildes Gewürm umkroch seine Füße, daß er
meinte, keinen Schritt weiter tun zu können.
Doch all diese Schrecknisse vermochten den Mut des
Jünglings nicht zu erschüttern; wacker schritt er aus, auf die
Jungfrau zu, die er auf einmal auf dem Gemäuer droben stehen
sah. Aber, o Graus! Um ihren Hals wanden sich zwei
scheußliche Schlangen, die zischend um sich züngelten und den
goldenen Schlüssel mit ihren Ringelleibern festhielten. Aus
diesem Knäuel giftigen Gewürms sollte der Jüngling den
Schlüssel nehmen! Dazu gehörte mehr als der Mut eines
Menschen!
Schon war der junge Schäfer nahe daran, wieder umzukehren,
als ein Blick auf die arme, still duldende Jungfrau sein Herz
noch einmal mit frischem Mut und neuem Mitleid erfüllte. So
wagte er, den - letzten Schritt zu tun : schon streckte er seine
Hand aus, den Schlüssel vom Hals des Fräuleins zu nehmen, da
fuhr eine Schlange zischend und Feuer sprühend auf ihn los, der
Jüngling taumelte zurück, und im gleichen Augenblick waren
Schlangen und Schlüssel verschwunden, und die Jungfrau stand
allein und wehklagend vor dem betäubten Schäfer. Darauf hob
sie eine Eichel vom Boden auf, stampfte diese mit den Füßen in
die Erde und rief: "Ich pflanze diese Eichel, aus ihr wird ein
gewaltiger Baum werden, den man dereinst fällen wird. Aus
seinen Brettern wird eine Wiege gefertigt, in dieser Wiege wird
ein Knäblein liegen, dieses Knäblein wird nach Jahren zum
Jüngling heranreifen, und dann erst wird dieser Jüngling mich
dereinst erlösen! "
Nach diesen klagenden Worten verschwand die Jungfrau. Der
arme Schäfer aber stand wie vernichtet verlassen im Wald und
dachte schmerzerfüllt an die unglückliche Jungfrau und an sein
entschwundenes Glück. Oft hat er nachher seine Herde an dem
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Schönstein geweidet, aber die Jungfrau hat er, wie die Sage vom
Schloß Schönstein berichtet, nie wiedergesehen.
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Dr. Schildkrot und das Zwölfbrüderhaus
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hatte, manches gelernt. Auch er wurde reich, und viele
Stiftungen haben seinen Namen nicht vergessen lassen.
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Ein Schusterjunge kommt in den Kaiserpalast
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Ein Zirkelschmied bekommt keine Königstochter,
aber ein schlauer Pater einen Bischofshut
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Rothkirch, schenkte für Dörfer und Schlösser und verheiratete
sie schliesslich mit einern seiner Adeligen am Kaiserhof. Bei der
Hochzeit wunderte sich jeder, dass Elisabeth dem verstorbenen
Kaiser Karl IV. so ähnlich sah als Wenzel bald darauf auf die
Nürnberger Burg kam, liess er seine Mutter heimlich aufs
Schloss holen und fragte sie selber aus. Und die Neugier plagte
ihm so, dass er auch seinen Vater kennenlernen wollte. Er soll
als Mönch verkleidet, in einer Kutte in das Haus seiner Eltern
gekommen sein und lange Zeit mit seinem Vater, dem
Schuhmachermeister, gesprochen haben, ohne dass der wusste,
dass er mit dem König und zugleich mit seinen eigenen Kind
sprach. In Nürnberg hat sich später niemand gewundert, dass
Wenzel niemals ein richtiger König geworden ist, und dass ihm
Fressen und Saufen lieber war als Regieren und Gerichthalten
über die Bösewichter. Seine Herrschaft ist ja auch so zu End
gegangen, wie es zu ihm gepasst hat. Er hat sein Königreich für
10 Fuder Wein an den Pfalzgrafen verkauft."
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Ein guter Schütze
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Eine unglückliche Hochzeit auf der Burg
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Mancher starb noch nachher an den Wunden.
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Goldsuchende Venediger im Fichtelgebirge
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Hans Stark
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Kaiser Karl ist unterwegs...
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Notburga in Hochhhausen am Neckar
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In Hornberg wußte man nicht, wo sich des Königs Tochter
aufhalte.
Doch der Küchenmeister merkte mit der Zeit, daß Speisen
fehlten, und suchte dem Dieb auf die Spur zu kommen.
Schließlich entdeckte er, daß eine Hirschkuh Speisen holte und
mit ihnen an den Neckar lief. Von nun an beobachtete er das
Tier und sah, wie es mit den Speisen täglich über den Neckar
schwamm und in einer Höhle am andern Ufer verschwand. Er
meldete das sonderbare Verhalten der Hirschkuh dem König.
Dieser begab sich mit dem Küchenmeister über den Fluß und
fand seine Tochter in der Höhle. Gerührt durch den Anblick
dieser dürftigen Behausung, in der sein Kind schon so lange
wohnte, bat der König seine Tochter, mit ihm ins Schloß
zurückzukommen. Notburga aber folgte dem Wunsche ihres
Vaters nicht, sondern flehte ihn an, allein in der Höhle bleiben
zu dürfen.
Über diese Widersetzlichkeit wurde König Dagobert zornig.
Er packte die Prinzessin am Arm, um sie gewaltsam aus der
Höhle zu ziehen. Aber, o Wunder, er hielt den Arm allein in
seinen Händen, Notburga fiel, aus schwerer Wunde blutend,
bewußtlos zu Boden.
Ergrimmt verließ Dagobert die Höhle. Als Notburga wieder zu
sich kam, sah sie eine Schlange neben sich in der Sonne ruhen,
die ein Krönlein auf dem Kopf trug und ein Kräutlein im Munde
hatte.
Damit heilte das Mädchen die Wunde. Der König aber war
durch das furchtbare Erlebnis so gebrochen, daß er sogleich aus
seinem Schlosse fortzog.
Notburga lebte noch viele Jahre in ihrer Höhle, von den
Umwo hnern sehr verehrt. Sie bewog viele Leute, zum
Christentum über zutreten.
Als sie dann ihr Ende nahen fühlte, bat sie, man möge ihren
Leichnam dereinst auf einen Wagen laden, diesen mit zwei
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weißen Stieren bespannen, die noch kein Joch getragen hätten,
und die Tiere frei ziehen lassen. An der Stelle, wo sie halten
würden, solle man sie begraben und über ihrem Grab ein
Kirchlein erbauen. Bald darauf schlossen sich ihre Augen zur
ewigen Ruhe.
Alle Glocken der Kirchen ringsum läuteten von selbst, als der
Leichenzug sich in Bewegung setzte. Die Stiere hielten in
Hochhausen, wo heute die Kirche sich erhebt.
Dort steht, in Stein gehauen, über Notburgas Grab ihr
Standbild. Die Gestalt weist nur einen Arm auf, ihr Haupt ist mit
der Königskrone geschmückt. Neben der Jungfrau ist die
Schlange mit dem Heilkräutlein im Munde dargestellt.
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Peter Henlein
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Peter Vischer und seine Söhne
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Beim vierten Bildwerk aber hat sich das Weiblein wieder
seiner Kerze zugewandt und hält sie wie vorher eifrig und
unverwandt, als wäre nichts gewesen. Das Weiblein, das wir
viermal abgebildet finden, soll also ein Bildnis der Liebsten des
Hermann Vischer sein.
Hermann soll bald, nachdem er seine Arbeiten am
Sebaldusgrab beendet hatte, den Tod gefunden haben.
Es war im Winter. Hermann ging in einer engen Nürnberger
Straße.
Da kam ein Schlitten dahergejagt. Ein herrschaftlicher
Kutscher vorn auf dem Bock und hinten im Sitz ein schönes
Fräulein. Hermann soll wie gebannt stehen geblieben sein,
sodaß die Pferde ihn umstießen und die Schlittenkufen über ihn
hinweggingen.
Man sagt, daß das Fräulein, welches sich über Hermann
Vischer beugte, bittere Tränen geweint habe.
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Serpentina von Dinkelsbühl
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als den reichsten Mann der ganzen Gegend kannte und der
schöne Heinrich ein wohlerzogener Jüngling war. Demnach
verlangte er, daß die Sache sogleich richtig gemacht werde.
Niemand war vergnügter als Heinrich und Serpentina, und
schon wurden alle Anstalten zur Hochzeit getroffen, als mit
einem Male ganz unerwartet Heinrichs Vater am Schlagfluß
starb. Heinrich, der sich bisher gar nicht um das Geschäft des
Vaters gekümmert hatte, war sehr bestürzt, weil er in dessen
Geschäftsbüchern nichts fand als ein Verzeichnis aller
ausstehenden Gelder und Schulden, aber kein Geld und keine
Schulddokumente. Wie vom Blitze getroffen, stand nun der
arme Heinrich da; ein Gläubiger nach dem andern kam und
machte seine Forderung geltend. Heinrich konnte nicht
bezahlen, und bald wurde der verstorbene Hopfenhändler als
Betrüger ausgeschrien. Dies konnte dem Bürgermeister nicht
verborgen bleiben; er kündigte deshalb Heinrich die Heirat auf.
Bald war es so weit, daß das Haus des Hopfenhändlers verkauft
werden sollte, damit man die Schulden bezahlen könnte.
Dem unglücklichen Heinrich blieb nichts anderes übrig, als
sein Glück in der Welt zu suchen. So gut es ging, beschleunigte
er seine Abreise aus der Vaterstadt, wo er nun das allgemeine
Gespräch des Tages war. Schon am nächsten Sonntag hörte die
schöne Bürgermeisterstochter in ihrem herrlich vergitterten
Kirchstuhl tränenden Auges die Bitte des Predigers auf der
Kanzel für einen Jüngling, der auf Reisen gehen wolle.
Bereits am nächsten Morgen wanderte der schöne Heinrich
unter den Segenswünschen seiner geliebten Serpentina aus
Dinkelsbühl fort und nahm seinen Weg nach dem benachbarten
Hesselberg. Von dort wollte er nach Nürnberg reisen. Auf dem
Hesselberg machte er noch einmal halt. Wehmütig blickte er auf
die Türme seiner Vaterstadt hinab und sagte in Gedanken seiner
heißgeliebten Serpentina ewiges Lebewohl. Er setzte sich auf
den Stein eines alten Gemäuers und sah dabei ein
wunderschönes Schlänglein, das über und über himmelblau war,
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einen goldenen Gürtel um den Leib und eine kleine goldene
Krone auf dem Kopfe trug. Da das Schlänglein ihn zutraulich
anschaute, fing Heinrich an, es zu streicheln, dann aber fiel ihm
wieder seine geliebte Serpentina ein, und er rief dreimal :
"Serpentina!"
Mit einemmal verschwand die Schlange, und eine blühende
Jungfrau in himmelblauem Seidengewande, einen goldenen,
edelsteindurchwirkten Gürtel um den Leib und eine goldene
Krone auf dem Haupt, stand vor ihm und fragte ihn, was sein
Begehren sei.
Heinrich erschrak über die Erscheinung nicht wenig und
meinte, er habe sie nicht gerufen.
Die Jungfrau aber erwiderte: "Hast du nicht dreimal mich bei
meinem Namen Serpentina gerufen?" Und nun setzte sie sich zu
ihm auf den Stein und bat ihn, ihr seine Geschichte zu erzählen.
Nachdem Heinrich sein Schicksal berichtet hatte, erklärte
Serpentina :
"Gottlob! Wenn es weiter nichts ist, so will ich dir helfen. "
Sie befahl ihm, ihr zu folgen. Sogleich stieß sie mit dem Fuß
an einen großen Stein, und augenblicklich öffnete sich eine Tür.
Heinrich stieg mit der Jungfrau eine lange Treppe hinab;
nachdem sie ein finsteres Gewölbe durchquert hatten, kamen sie
in einen großen Saal. Hier berührte die Jungfrau eine
Marmorsäule, und augenblicklich war der Saal von vielen
brennenden Wachskerzen erleuchtet.
Von da führte ihn die Jungfrau in einen zweiten Saal, der noch
köstlicher als der erste war. An den Wänden standen mehrere
große Kisten; sie öffnete eine davon, und Heinrich sah, daß sie
mit schweren Goldstücken angefüllt war. Nun befahl die
Jungfrau ihrem Begleiter, sein Felleisen auszuleeren und mit
Gold zu füllen, soviel er zu tragen vermöge. Dann nahm sie aus
einem Kistchen einen herrlichen Myrthenkranz, der aus
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goldenen Ranken verfertigt und mit blitzenden Edelsteinen
besetzt war, und eine lange Schnur von schönsten orientalischen
Perlen und sagte: "Nimm diesen Schmuck und gib ihn deiner
Braut als Hochzeitsgeschenk; es ist der Brautschmuck meiner
seligen Mutter. Mit dem Golde aber löse dein väterliches Erbe
aus!"
Heinrich dankte der Jungfrau auf das innigste. Nun bat er sie
noch, ihm doch auch die Geschichte des versunkenen Schlosses
zu erzählen. Sie begann: "Mein Vater war Ritter Arno, der weit
und breit bekannt war, und hauste auf diesem Schlosse. Er
führte ein ausschweifendes Leben und vergaß sich soweit, daß
er mit dem Fürsten der Hölle einen Bund schloß, der ihm auch
ungeheure Reichtümer verschaffte, wofür er ihm seine Seele
verschrieb. Als dies meine selige Mutter erfuhr, betete sie
unaufhörlich für meinen Vater zu Gott.
Damals kam ich zur Welt. Da erschien meiner Mutter die
Himmelskönigin und sprach: 'Wenn deine Tochter nie der Liebe
eines Mannes folgen, sondern ihr Leben Gott und der Kirche
weihen wird, so soll dein Gemahl von der Verdammnis erlöst
sein.' Meine selige Mutter gelobte dies der heiligen Jungfrau,
aber ich hielt, als ich erwachsen war, nicht Wort, sondern
schenkte mein Herz dem Ritter Benno von Lenkersheim, als ich
sechzehn Jahre alt war, und an dem Tage, an dem wir uns
verlobten, spaltete sich der Berg und verschlang das Schloß mit
allem, was es enthielt. Meinen Vater entführten höllische
Geister in die Lüfte, ich aber wurde in eine Schlange verwandelt
und dazu verdammt, so lange hier auszuhalten, bis die Kiste
geleert sein wird, aus der du soeben das Gold genommen hast.
Mir aber ist jedes Jahr nur auf einige Augenblicke vergönnt,
menschliche Gestalt anzunehmen und guten Menschen zu
helfen, die ohne ihr Verschulden in Not geraten sind. Nun kehre
in deine Vaterstadt zurück, morgen wird dein elterliches Haus
versteigert; verwende das Gold, um damit die Gläubiger deines
Vaters zu bezahlen, und nimm wieder Besitz von deinem
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väterlichen Erbe! Dann geh in das Zimmer deines Vaters, dort
hängt ein altes Ölgemälde an der Wand; rücke es weg, und du
wirst dahinter einen gemauerten Schrank finden, in dem alle in
dem Geschäftsbuch deines verstorbenen Vaters eingetragenen
Schuldscheine enthalten sind; damit wird dann auch die Ehre
deines Vaters wiederhergestellt sein; für mich aber laß hundert
Seelenmessen lesen und bezahle eine jede mit einem
Goldstück."
Nach diesen Worten führte ihn die Jungfrau wieder aus der
versunkenen Burg hinaus, und sogleich war die Öffnung samt
der Erscheinung verschwunden. Heinrich wanderte nun
getrosten Mutes seiner Vaterstadt zu, nahm sein väterliches Erbe
in Besitz und führte Serpentina, die schöne
Bürgermeisterstochter, als seine Gattin heim.
Beide führten die glücklichste Ehe.
Als sie starben, stifteten sie ein Waisenhaus und verordneten,
daß die Waisenkinder alle Jahre an dem Todestag der Stifter
einen frohen Festtag feiern sollten, den man später das
"Kinderfest zu Dinkelsbühl" nannte.
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So benimmt sich kein geborener König
Der König Wenzel hat später viel Unglück über sein Haus und
über das ganze Reich gebracht. Er war ein Säufer und ein
Luderjahn. Wie ihn einmal der König von Frankreich in die
Stadt Reims eingeladen hatte und ihn zum Festessen abholen
wollte, da lag der König Wenzel sinnlos besoffen auf dem
Ruhebett und konnte nicht mitkommen; bei dem Festessen drauf
war dann sein Stuhl leer.
Damals schämten sich alle Deutschen für den König Wenzel;
aber schon früher erzählte man in Nürnberg eine Geschichte,
dass Wenzel gar nicht ein Sohn Kaiser Karls IV. war, sondern
ein einfacher Schusterjunge.
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Till Eulenspiegel als Professor der Medizin
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Jedermann wunderte sich: das Spital war leer. In den Sälen
war kein einziger Kranker mehr, und man zahlte dem Till die
Summe von 200 Goldgulden aus.
An diesem Tag wollte der Bader seinen Abendschoppen ein
wenig früher anfangen; aber wie er zur Haustüre hinausging, da
hing vor seiner Nase der schwarze Mantel unter dem Barett mit
der weißen Perücke des Professors. Ein Stück Papier war dabei;
auf dem stand gemalt: Eine Eule neben einem Spiegel. Da wußte
der Bader, was es geschlagen hatte, und vor ihm stand
dichtgedrängt, Kopf an Kopf, die ganze Schar seiner Kranken;
die wartete auf den Professor, daß er ihnen helfen sollte. Der
war aber über alle Berge. So blieb dem Bader nichts übrig, als
die Kranken alle wieder in ihre Stuben zu lassen, und so kam es,
daß er an diesem Tag seinen Abendschoppen nicht früher
anfangen konnte, sondern viel später als sonst.
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Veit Stoß - Der Todesblick
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den Augen genommen hatte, weil das Licht nun nicht mehr zu
grell war, da brach es plötzlich mit einem lauten Schrei
zusammen. Blut floß über ihr Gesicht und ein Stein fiel vor ihr
nieder. Einer der jungen Markgrafensöhne hatte das Mädchen
mit einem Schleuderstein so an die Stirn getroffen, daß es bald
darauf starb. Veit Stoß hob das Mädchen auf und legte es auf die
Bank. Es konnte aber nicht mehr sprechen. Es sah nur den
Meister traurig an.
Die bitteren Schmerzen liefen wie Wellen über ihr sanftes
Gesichtlein. Schwere Atemstöße und Seufzer kamen ihm aus der
Brust. Dann brachen ihm die Augen. So hat Veit Stoß den Tod
gesehen und so hat er ihn abgebildet daß es jeden, der seine
Bilder sieht, ans Herz greift.
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Veit Stoß
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Vom Fischfangen in Pillenreuth
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Vom Heiligen Deokarus
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Vom Heiligen Egidius
Wer war denn der Heilige Egidius? "Egidius war ein Mann aus
Griechenland. Seine Eltern waren reich; aber als sie starben,
verteilte Egidius sein ganzes Erbe unter die Armen und
wanderte arm in der Welt umher. Er lebte nur von dem, was ihm
fromme Leute schenkten. Da zog er von einem Land ins andere
und kam auch nach Gallien, in das heutige Frankreich. Der
Bischof von Arles nahm ihn auf und dort konnte er einige Jahre
ohne Sorgen leben; dann aber zog er wieder hinaus in die Welt,
und weil die Menschen oft zornig wurden, wenn er sie um eine
Gabe bat, ging er in die Einsamkeit. In einem finstern Wald
suchte er sich eine Höhle und lebte dort nur von dem, was er im
Walde fand. Der Tag verging ihm mit Beten und frommen
Übungen und mit Nachdenken über die Ratschlüsse Gottes, über
Welt und Menschen. Viele Jahre lebte er da draußen in der
Einsamkeit, nur mit Tieren des Waldes zusammen.
Damals hatten die Könige von Gallien Hausmeier; das waren
mächtige Herren, die für die Könige im ganzen Reich regierte
Kriege führten, Gericht hielten, Bischöfe ein- und absetzten und
von allen Menschen gefürchtet wurden. Karl Martell, einer der
Hausmeier der fränkischen Könige, der seinen Beinamen davon
hatte, weil er das Heer der Mauren, das in Gallien eingebrochen
war, wie ein Hammer zusammengeschlagen hatte, hielt einmal
eine große Jagd in den weiten Wäldern, in denen der Heilige
Egidien hauste. Die Hunde hatten ein schönes, großes Reh
aufgejagt und Karl Martell folgte dem Tier, so schnell er konnte.
Er wurde bei der Jagd immer hitziger; aber er konnte das Reh
nicht erreichen. Da gerade als er glaubte, es erlegen zu können,
schlüpfte es in ein Höhle hinein. Karl Martell stieg zornig von
seinem Pferd, nahm seinen Spieß und wollte eben in die Höhle
treten. Da kam ihm ein grosser, alter Mann entgegen.
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Schneeweißes Haar und ein langer, weiser Bart, dazu ein
freundlicher Glanz auf seinen Gesicht ließen bei Karl Martell
den Zorn verfliegen. Der ehrwürdige Greis sprach in ernstem,
feierlichem Ton: "Tapferer Jäger schenkt dieser Rehgeiss das
Leben. Sie gibt mir, einem frommen Klausner jeden Tag ihre
Milch zur Nahrung. Du findest draußen im Wald andere Tiere
genug" Karl Martell stellte seinen Jagdspiess beiseite und fragte
den frommen Mann, der seine Hand wie schützend auf den Kopf
des Rehes gelegt hatte: Woher kommst du? Was tust du hier?"
Der Heilige Egidius erzählte gern von seinem Leben, und als
Karl Martell weiter fragte, merkte er bald, daß Egidius nicht nur
ein frommer, sondern auch ein weis er Mann war. Die
Jagdgenossen fanden den stolzen Hausmeier so ins Gespräch
vertieft mit dem Heiligen Egidius, daß er alles ringsum
vergessen hatte.
Nicht lange blieb Egidius mehr in seiner Höhle bei den
freundlichen Tieren des Waldes. Karl Martell hatte ein neues
Kloster gebaut und brauchte dafür einen tüchtigen Abt. Der
mächtige Hausmeier zog selbst in den Wald hinaus, um den
Heiligen Egidius zu bitten, dass er das hohe Amt übernehme.
Und der Heilige Egidius wurde ein berühmter Abt, der die
Mönche in seinem Kloster mit Frömmigkeit und Milde, aber
wenn es nötig war, auch mit Ernst und Bestimmtheit regierte.
-200-
Vom Heiligen Laurentius mit seinem Rost
"Großmutter, was hat denn der Mann da auf dem Altar für eine
komische Leiter in der Hand?"
"Dummer Bub, das ist doch keine Leiter, das ist ein Rost!"
"Was ist denn ein Rost, Großmutter?"
"Hast noch nie gesehen, wie im Bratwurstglöcklein die
Bratwürste gebraten werden?"
"Die ganz kleinen? "
"Ja!"
"Aber was tut denn der Mann da droben mit so etwas? Will
der auch Bratwürste braten? "
"Geh, red' nicht so dumm! Hör' lieber zu! Der Heilige
Laurentius war ein frommer Mann. In Spanien war er geboren.
Er ist durch die Länder gezogen und hat überall das Christentum
gepredigt. Das war in der Zeit, in der die meisten Menschen auf
der Welt noch Heiden waren. Der Laurentius ist auch nach Rom
gekommen, und dort haben die Christen ihn zum obersten
Geldverwalter für ihre Gemeinde gemacht. Da hat er vielen
armen Menschen helfen können; aber sein Geld war immer zu
früh zu Ende. So hat er immer wieder gesammelt und
gesammelt, um den Armen zu helfen. Der Kaiser von Rom -
Valerianus hat er geheißen - war auch noch ein Heide. Der hat
immer Geld gebraucht und hat sich's geholt in seinem Reich, wo
er's gefunden hat. Wie der Kaiser gehört hat, dass der Laurentius
Geldverwalter der Christen ist, hat er ihn kommen lassen und zu
ihm gesagt: "Die Schätze von den andern Göttern habe ich mir
schon geholt. Jetzt kommt dein Gott dran. Geh und bring mir die
Schätze von deinem Gott. Morgen lieferst du mir alles bis auf
den letzten Pfennig ab, und wenn ich merke, dass du mich
betrogen hast, dann lasse ich dich umbringen! Laurentius
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schwor: "Ich hab kein Geld und alle Christen und die
Christengemeinde haben auch kein Vermögen! "
Aber der Kaiser wollte nichts hören. Da bat endlich der
fromme Mann den Kaiser: "Ich bitte um drei Tage Frist, damit
ich alle Schätze aufsuchen kann"
Der Kaiser war's zufrieden und Laurentius kam am dritten Tag
wieder zum Kaiserpalast. draußen auf dem großen Platz standen
aber all die Armen, die zur römischen Christengemeinde
gehörten. Der ganze Platz war voll. Da standen arme Witwen
und Waisen und daneben saßen Lahme auf dem Boden; Blinde
und Taube waren auch darunter, und viele waren krank. Aber
alle waren sie vor dem Kaiserhaus zusammengekommen.
Laurentius ging in den Palast hinein zum Kaiser und sagte:
"Komm' heraus und schau dir die Schätze unseres Gottes an."
Der Kaiser stand auf von seinem Thron, schmunzelte und ging
hinter Laurentius her. Wie er aber mit ihm draußen auf der
Altane stand und all die jämmerlichen kranken, zerlumpten
Menschen da drunten auf dem Platz stehen und kauern sah, da
fragte er: "Was soll das heißen?" Laurentius aber sagte, und
machte mit seinem Arm einen großen Bogen:
"Das sind die Schätze unseres Gottes. Andere Schätze hat er
nicht."
Da wurde der Kaiser zornig. Er rief nach seinen Soldaten und
ließ den Laurentius binden. "Du hast mich verspottet; das sollst
du mir grausam büßen!" rief er. Er ließ ihm die Kleider vom
Leib reißen, ließ ihn grausam peitschen, mit langen Stricken, in
die große Eisenhaken hineingebunden waren, und dann ließ er
ihn auf einem großen eisernen Rost, so wie du ihn da oben
siehst, anbinden. Dann wurde ein gewaltiges Feuer angeschürt
und der Rost mit dem Heiligen Laurentius darauf gelegt.
Laurentius hatte große Schmerzen, aber er biß die Zähne
zusammen und wollte sich nichts merken lassen.
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Nach einiger Zeit schaute der Heilige Laurentius, der auf
seinem Rost über dem heißen Feuer angebunden war, dem
Präfekten ins Gesicht und sagte zu ihm: "Laß mich wenden! Auf
der einen Seite bin ich jetzt genug gebraten!" Und als man ihm
gewendet hatte, da betete er für den Präfekten, für seine Christen
und für alle Einwohner der großen Stadt Rom, bis er gestorben
war.
Noch vor seinem Tod aber dachte Laurent ius inmitten seiner
Qual an die vielen Sünden der Menschen und die ganze Last fiel
auf ihn.
Bittere Tränen vergoß er. Nicht über sich, sondern über die
sündige Welt. Die heißen Tränen des Laurentius wurden an den
Himmel verpflanzt als fliegende Sterne. Du kannst sie jedes Jahr
am 10., 11.
und 12. August sehen, wie sie vom Himmel fallen. Die
glühenden Funken sind die Tränen des hl. Laurentius, die er bei
seinem Tod über die sündigen Menschen geweint hat.
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Vom Männlein laufen
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Aber bis heute in der Nürnberger Altstadt stehen viele
Bewunderer, die gerade vorbeigehen jeden Mittag um 12 Uhr
auf dem Marktplatz und sehen hinauf zum Kaiser Karl, der noch
immer dort droben sitzt, und schauten zu, wie die Männlein
laufen.
-205-
Vom Siechenkobel
In der alten Zeit, als noch die Pest alle zehn Jahre in Nürnberg
wütete und jedesmal Hunderte von Einwohnern ins Grab
brachte, als noch der Aussatz im Land war und den Menschen
langsam die Gliedmaßen wegfraß, da wußte man noch keine
andere Hilfe gegen solche schweren Krankheiten und ihre
Ansteckung, als die Menschen draußen vor der Stadt
unterzubringen, damit ihre Berührung und ihr Atem möglichst
weit von den andern Menschen weggebracht wurden.
Deshalb baute man draußen, mehr als tausend Meter vor dem
Neutor, einen Siechenkobel, d. h. ein Haus, in dem die Kranken
schlecht und recht untergebracht waren, in dem sie von
frommen Männern und Frauen, die der Welt abgesagt hatten,
verpflegt und versorgt wurden, und von wo sie bei Todesstrafe
nicht mehr in die Stadt kommen durften. Sie bekamen ihr
eigenes Kirchlein, das dem heiligen Johannes geweiht war, die
St. Johanniskirche. Der Siechenkobel wurde immer wieder zu
klein und mußte erweitert und neu aufgebaut werden. Auch die
Kirche von St. Johannis war erst ein kleines Kapellchen und
mußte allmählich immer größer werden, um die Kranken aus
dem Siechenkobel aufnehmen zu können. Damals war der Weg
nach St. Johannis gemieden. Kein Mensch ging ohne Not dort
hinaus; denn keiner wollte sich eine Krankheit holen, die durch
den Hauch und durch die Luft übertragen wurde.
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Von der Nürnberger Freiung
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deswegen auf die Freiung flüchteten, sollten von nun an nicht
länger als drei Tage und Nächte Freiung und Frieden haben.
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Von der närrischen Gusterti
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großen Fichten stehen, da hingen sie den Sack auf den
allerhöchstens Baum, und von da an war Ruhe im Spital.
Seitdem geht der Geist da droben am Hohen Bühl um. Kinder
und Frauen, die zum Schwarzbeerpflücken oder zum
Schwammerlsuchen in die Gegend kommen, die sehen von
weitem eine Frau in großer weißer Schürze hinter den Büschen
stehen; einen Schöpflöffel mit langem Stil schwingt sie in der
Hand. Wenn man aber dann nach ihr sucht, ist sie
verschwunden. Man kann sie nirgends finden; nur manchmal
schreit es hinter einem dicken Baum hervor: ,,Laßt fei' den klan'
Löffel liegen, nehmt 'n großen!"
Manchmal ruft es auch, wenn einer sich verirrt hat, aus einern
Busch heraus: "Bist du von Wöhrd? Bist du von Wöhrd?" Dann
muß man sagen ,,Ja". Dann kommt die Gusterti mit ihrer weisen
Schürze und ihrem großen Löffel hinter dem Busch vor und
zeigt einem den Weg, daß man ihn nicht mehr fehlen kann.
Besonders den Kindern ist sie gut. Sie bringt sie nicht nur auf
den rechten Weg, wenn sie sich verlaufen haben, sondern sie
zeigt ihnen auch die schönsten Plätze, wo Beeren oder Pfiffer
wachsen, und wenn sie Holz sammeln, dann schüttelt sie Ihnen
die Bäume, daß die dürren Äste nur so herabprasseln wie die
Zwetschgen, wenn man den Baum schüttelt.
Besonders die Wöhrder Kinder kennen sie gut und verlassen
sich ganz auf sie. Wenn die Kleinen ihre Eltern im Wald
verloren haben, dann schreien sie: ,,Gusterti, Gusterti! Wo is
meine Mutter?" Dann sagt die Gusterti: ,,Geh her, Wackela!
jetzt gehst da runter und dort drunten bei dem Büschlein gehst
rechts um, dann siehst dei Mutter schon. "
Es gibt aber immer wieder Lausbuben, die wollen genauso,
wie sie die Menschen tretzen das Gleiche mit den Geistern tun.
Die schreien in den Wald hinein: ,,Wastl Köchin Wastl Köchin"
Dann dürfen sie aber laufen und schauen, dass sie einen
Kreuzweg erwischen, sonst kommt ihnen die Gusterti über den
Kragen und rüffelt sie, dass sie nicht so schnell darauf
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vergessen. Immer wieder aber hört man durch den Wald rufen:
,,Lasst fei' die klan' Löffel liege n! Nehmt 'n großen!".
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Von der schönen Frau Huli aus Hasloch
Frau Huli ist der Sage nach eine holde, schöne Frau, in langes
weißes Gewand mit weißem Schleier gehüllt, der ihr manchmal
das Gesicht verdeckt. So erscheint sie in der Maingegend unweit
Hasloch. Dort wohnt sie im Unteren Berge. Sie hilft gern
frommen Mädchen und Frauen auf dem Feld, beim Spinnen und
bei anderen häuslichen Arbeiten. Besonders mit alten,
schwachen Frauen meint sie es gut.
Wo sie geht, ist es strahlend hell in der finstersten Nacht; so
leuchtet sie oft Verirrten und geleitet sie aus Bedrängnis und
Not.
Nahe dem Mainufer, am Fuße des Unteren Berges, liegt ein
flacher Stein, der "Frau-Huli-Stein." Hier ruhte Frau Huli aus,
wenn sie ermüdeten Mädchen die Gras-, Streu- oder Holzlast
getragen hatte.
Weil sie aber jedesmal an der gleichen Stelle Rast hielt,
drückten sich im Laufe der Zeit von den Füßen der Körbe, den
"Kötzenstollen," Löcher in den Stein. Wer aber Frau Hulis
Gebote nicht erfüllt oder ihre Hilfe verschmäht, dem tut sie ganz
gewiß einen Schabernack an, daß er sein Lebtag dran denkt.
Die alte Klara Behringer aus Hasloch, das "Klärle," trug
einmal ihren Vettern, bei denen sie im Hause lebte, das Essen
zu; die Männer arbeiteten im Wald am Unteren Berg. Dort, wo
der Weg steil emporführt, konnte sie vor Müdigkeit fast nicht
mehr weiter. Da kam Frau Huli aus ihrem Berg und erbot sich,
der Alten den schweren Korb zu tragen. Klärle wollte aber
nichts davon wissen und meinte, sie werde schon allein mit
ihrem Korb fertig werden, sie habe ihn so lange getragen, da
werde sie ihn auch noch länger tragen können; und überhaupt
wolle sie mit Hexen nichts zu tun haben.
In demselben Augenblick war Frau Huli verschwunden, Klärle
aber wußte plötzlich gar nicht mehr, wo sie war; sie kam vom
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Weg ab, kletterte ganz irre über Felsen und Steinhaufen und
fand keinen Ausweg mehr. Die Vettern sahen den Vorfall von
weitem mit an und sprachen untereinander: "Was hat denn nur
heute unser Klärle vor?"
Als sie aber ganz gefährliche Pfade zu wählen schien und sich
durch das dichteste Dorngestrüpp drängen wollte, schrien ihr
beide aus Leibeskräften zu: "Klärle, wo ,naus?" Da kam die Alte
wieder zu sich, der Zuruf hatte den Zauber gebrochen. Sie
erkannte sogleich, wo sie hingeraten war, und begriff nunmehr,
warum sie durch Dornen und Nesseln geführt wurde.
Es ist wohl zu verstehen, daß Klärle sich vornahm, ein
andermal klüger zu sein und Frau Huli nie wieder durch ein
Schmähwort zu kränken. Ob sie Gelegenheit hatte, ihren
Vorsatz auch auszuführen, darüber weiß man nichts zu
berichten.
Schlimmer erging es einem Manne aus Röttbach, der
unterwegs im Wirtshaus zu Hasloch sitzengeblieben war und
sich betrunken hatte.
Als er endlich weitertorkelte, war es schon ganz dunkel. Der
Weg führte stellenweise so nahe am Fluß entlang, daß einer
leicht in den Main hätte fallen können. Auf einmal aber war es
ganz hell vor ihm, so daß er das kleinste Steinchen auf der
Straße sah. Das Licht spendete Frau Huli. Aber der Betrunkene
schrie sie an: "Fort, du Lumpenmensch, du Hexe! Habe ich dich
gerufen, mir zu leuchten?"
Da war es gleich wieder finstre Nacht um ihn, und im Nu hatte
er den richtigen Weg nicht mehr unter den Füßen. Plötzlich tat
es hinter ihm einen Plumpser, als ob der ganze Untere Berg in
den Main stürzte.
Der Schrecken machte den Mann ganz nüchtern. Er erkannte
gleich, wo er sich befand: auf dem "Frau-Huli-Stein." Noch
einen Schritt weiter, und er lag im Main. Da machte er, daß er
fort kam, aber nicht nach Faulenbach, wo er hinmußte, sondern
-213-
zurück nach Hasloch in das Wirtshaus, das er vor kurzem
verlassen. Die Wirtsleute sahen ihm gleich an, daß etwas
Schreckliches geschehen sei.
Der Röttbacher getraute sich nicht mehr allein durch den Wald
und bat sich einen Mann zur Begleitung aus. Als er zu Hause
anlangte, legte er sich ins Bett und stand wahrhaft nicht mehr
auf; schmerzhaftes Nervenfieber überfiel ihn, eines Tages trat
der Tod ein.
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Warum abends um neun Uhr die grossen Glocken
läuten
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Zeidlergütlein. Er wollte ihn nach dem Spaziergang zum
Heimweg in die Stadt wieder abholen. Fröhlich wanderte er in
den Wald hinein. Er freute sich an dem grünen Gras, das die
Bächlein entlang schon mächtig herauswuchs Die Sonne schien
warm auf eine Lichtung. Dort setzte er sich nieder und, weil er
von seinem weiten Weg müde geworden war, schlief er dort ein.
Als er auf wachte, war die Sonne schon im Untergehen; es war
kühl.
Er sprang erschrocken auf und wollte rasch zurücklaufen; aber
bald merkte er, daß er den Weg verloren hatte. Es wurde rasch
dunkel.
Die Dornen zerrissen ibm seine Kleider und seine Haut. Er
mußte immer wieder durchs Dickicht schlüpfen. Es wurde
finsterer und finsterer. Großen Sümpfen mußte er ausweichen.
Schließlich blieb er stehen und horchte. Aber alles blieb stumm.
Kein Hundebellen, kein Hähnekrähen, kein Rufen von
Menschen konnte er hören nur das Rauschen des Windes in den
Zweigen und das Knacken von alten Ästen und - war da nicht
das Bellen eines Wolfes?
Zu Hause war man in großer Sorge. Als der Junge am späten
Nachmittag noch immer nicht nach Haus gekommen war, hatte
man einen Boten nachgeschickt; der brachte nach Einbruch der
Dunkelheit die Nachricht von dem Zeidlergut, daß der junge
Herr einen Spaziergang in den Wald gemacht habe, wie es nun
immer dunkler wurde, dachte der Vater mit Schrecken daran,
daß erst vor wenigen Wochen bei einer Wolfsjagd 20 Wölfe
erlegt worden waren.
Der angesehene Patrizier ging zu den Geistlichen von St.
Sebald und St. Lorenz und bat in seiner Angst um seinen Sohn,
daß die Herren die großen Glocken läuten ließen. "Vielleicht",
so dachte er, "wird mein Sohn da draußen im Wald die Richtung
finden, wenn er die Glocken hört." Weil der Vater so herzlich
bat, und weil er ein so angesehener Mann war, ließen die Herren
-216-
alle Viertelstunden abwechselnd bei St. Sebald und dann wieder
bei St. Lorenz die großen Glocken läuten. Und wirklich, der
Bursch im Wald hörte das Läuten. Er ging der Richtung nach
und kam so nach Gleißhammer.
Dort war weit draußen vor den Mauern der Nürnberger Stadt
ein Schlößlein, das einem anderen Patrizier gehörte. Dort wurde
der Junge gut aufgenommen. Man gab ibm einen Mantel und
ließ einen Wagen anspannen, damit er ohne weitere Gefahr nach
Hause komme. Als der Sohn glücklich wieder bei Vater und
Mutter angekommen war, da war die Freude groß und der Vater
gelobte in seinem Glück, daß er so viel Geld für die Kirchen von
St. Sebald und St. Lorenz stiften wolle, als nötig sei, um jeden
Abend um 9 Uhr die Glocken läuten zu lassen. Mancher
Wanderer im Reichswald hat seitdem die Glocken gehört und
dadurch den Weg in die Stadt gefunden.
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Welche Blume ist es gewesen?
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Wer trägt da eine Kanone spazieren?
Erich Rinköping hat der Mann geheißen, von dem ich heut
erzählen will. Er war ein Schwede und kam im Jahr 1632 mit
König Gustav Adolf nach Nürnberg.
Damals wurden rings um die Stadt herum große, feste
Schanzen aufgeworfen, so auch die Sternschanze an der
Brückenstraße. Alle Soldaten und die ganze Bürgerschaft, außer
Geistlichen mit Ratsherren, halfen fleißig mit. Ringsherum
wurden schwere Kanonen in die Schanzen gestellt. Die zwei
kunstvollsten und festesten Schanzen waren die ›Sternschanze‹
und die ›Bärenschanze‹ genannt.
In der Sternschanze stand auch eine schwere Kanone. Und der
Mann, der diese Kanone bediente, der sie putzte und lud, der mit
ihr zielte und schoß, war eben Erich Rinköping.
Eimal war in einer Wirtschaft beim Jakobsplatz eine lustige
Gesellschaft von schwedischen Soldaten beisammen; die sangen
und lachten und erzählten und fanden kein Ende. Erich
Rinköping saß dabei und vergaß ganz, daß er von 10 bis 12 Uhr
in derselben Nacht noch an seiner Kanone in der Sternschanze
Wache stehen sollte. Er hatte aber auch allen Grund zu solchem
Vergessen; denn ein neuer Söldner war aus Schweden
angekommen und hatte ihm nicht nur Nachricht von seiner
Braut Jutta, sondern auch eine weiche duftige Locke von ihr
mitgebracht. Als zehn Uhr herankam, konnte er nur noch mit
Mühe stehen und gehen; und seine Kameraden mußten ihn zu
seiner Wache führen. Draußen war es stockfinster, kein Mond
schien; nur die Sterne glitzerten kalt und hämisch herunter.
Erich wurde es bald langweilig. Er wehrte sich lang gegen die
Müdigkeit, indem er hin und her ging an seiner großen Kanone.
Als die Müdigkeit immer stärker wurde, fühlte er in seiner
Tasche eine Flasche Enzianschnaps aus seiner Heimat. Er nahm
einen tüchtigen Schluck und noch einen, dann wieder einen, und
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bald darauf lag er auf der Lafette des Geschützes in tiefem
Schlaf. Um zwölf Uhr sollte er abgelöst werden. Die Runde kam
und fand Erich schlafend, und ehe er noch richtig wach
geworden, hatte man ihm schon die Hände gefesselt. Die
Disziplin im schwedischen Heer war über alle Maßen streng.
Am andern Tag wurde der Gefangene an seine Kanone geführt
und dort, wo er seine Pflicht vergessen hatte, erschossen und an
derselben Stelle gleich begraben.
In der nächsten Nacht kam von 10-12 Uhr ein riesiger, starker
Finnländer am gleichen Platz auf Posten. Der war ein tapferer
Soldat und hatte in mancher Schlacht seinen Mut bewiesen aber,
noch eh' es Zwölf Uhr ausgeschlagen hatte und die Runde zur
Ablösung zu ihm gekommen war, rannte der alte Soldat wie
besessen durch die Schanze und schrie so laut, daß die ganze
Wachmannschaft alarmiert war. Er wurde zum Offizier geführt
und, an allen Gliedern zitternd, erzählt er: Mit dem ersten
Schlag der Mitternacht sprang ein schwarzer Hund mit Augen
wie Feuerkugeln an mir hinauf, und dann keuchte der
Rinköping, mit einem Kanonenrohr auf der Schulter, zu mir
herauf und drohte mir mit dem Finger. - Weil der Finnländer
seinen Posten verlassen hatte, sollte auch er mit dem Tod
bestraft werden, und wurde gefesselt ins Gefängnis geführt.
In der nächsten Nacht hatte man nun einen ganz besonders
verlässigen Mann herausgesucht; der ließ sich auch, als Erich
Rinköping um Mitternacht wieder erschien, nicht schrecken. Er
hob seine Pistole und schoß Erich mitten ins Herz. Im nächsten
Augenblick apportierte der schwarze Pudel die Kugel, und
Rinköping stand unerschüttert da und drohte mit seinem Finger.
Da war auch bei diesem Mann der Mut zu Ende. Auch er lief,
was er laufen konnte, und verließ seinen Posten. Der Offizier
ließ ihn deswegen in Ketten legen und meldete die Sache seinem
Vorgesetzten. In der nächsten Nacht wurde ein Korporal mit
vier Mann an das Geschütz gestellt und kurz vor 12 Uhr
erschien noch ein höherer Offizier dazu. Aber auch diesmal
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kam's nicht anders. Als die Glocken Mitternacht schlugen, stand
zum Schrecken von allen Rinköping mit seiner Kanone auf der
Schulter am alten Platz. Er salutierte, wie es sich gehörte, vor
seinem Vorgesetzten und auch der Pudel sprang wedelnd um
den Offizier herum. Der ging schleunigst weg und auch der
Korporal mit seinen vier Mann blieb nicht an dem verfluchten
Platz, sondern alle rannten, was sie konnten, hinunter ins Innere
der Schanze.
Da faßte man die Sache anders an. Erich Rinköping wurde
ausgegraben und in geweihter Erde im Friedhof bestattet. Die
Kanone wurde gegen eine andere umgetauscht. Als in der
nächsten Nacht wieder ein Unteroffizier mit vier Mann an dem
Platz als Wache aufgezogen war, blieb Rinköping aus und ist
seitdem nie mehr erschienen.
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Wie der Friedhof von St. Johannis enstanden ist
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Wie der König Wenzel getauft wurde
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So benimmt sich kein geborener König
Der König Wenzel hat später viel Unglück über sein Haus und
über das ganze Reich gebracht. Er war ein Säufer und ein
Luderjahn. Wie ihn einmal der König von Frankreich in die
Stadt Reims eingeladen hatte und ihn zum Festessen abholen
wollte, da lag der König Wenzel sinnlos besoffen auf dem
Ruhebett und konnte nicht mitkommen; bei dem Festessen drauf
war dann sein Stuhl leer.
Damals schämten sich alle Deutschen für den König Wenzel;
aber schon früher erzählte man in Nürnberg eine Geschichte,
dass Wenzel gar nicht ein Sohn Kaiser Karls IV. war, sondern
ein einfacher Schusterjunge.
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Wie der Teufel den Schusserbuben geholt hat
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Wie die Nürnberger das große Spital bekamen
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Der "grindige Heinz" hat sein Versprechen gehalten. Der Rat
der Stadt Nürnberg erlaubte ihm, daß er den gefundenen Schatz
zur Gründung eines großen Spitals verwende. Der "grindige
Heinz"
kaufte das kleine Jungfrauenklösterlein, das den Namen "Zum
Himmelsthron" trug. Die Nonnen wanderten nach Gründlach.
Dann hieß er den Platz freimachen und holte sich Baumeister für
seinen Plan.
Aber bald sah er, daß der Baugrund in Nürnberg für ein so
großes Haus, wie er es bauen wollte, nicht ausreichte. Nirgends
war Raum genug. Da ließ er sich vom Rat die Erlaubnis geben,
den Bau über der Pegnitz aufzurichten. Der Rat gab die
Genehmigung; bald wölbten sich große Tore, unter denen die
Pegnitz in zwei Armen dahinfließen konnte und auf diesem
Grund wurde nun das große Spital gebaut.
Der grindige Heinz wurde aber auch für seine gute Tat
belohnt.
Bisher hatte kein Arzt ihn von seinem häßlichen Ausschlag
befreien können. Aber unter den alten Frauen, die zuerst ins
Spital aufgenommen wurden, war auch eine, die von Krankheit
und Gesundheit und von Heilküsteten aller Art mehr verstand
als andere Menschen. Sie gab dem Heinz eine Salbe, die ihn in
ein paar Monaten von seinem Ausschlag befreite.
Jetzt fing ein neues Leben an. Er ging auf die Straße, suchte
die Gesellschaft der Menschen und wurde bald in den Rat der
Stadt gewählt. Kaiser Ludwig der Bayer soll mit ihm besonders
befreundet gewesen sein. Er besuchte ihn oft, und wenn er in
Nürnberg war, stieg er im Plobenhof zum Quartier ab. Ludwig
der Bayer hat dem Heinz Groß und seiner Familie auch ein
Wappen verliehen. Auf dem Wappen sollen 23 Lindenblätter
mit einem Hügel zu sehen sein, zum Gedächtnis an den Traum
im großen Garten.
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Schöne Hoffräulein gehen in die Klause
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vergessen, woher der Name kommt, und schreiben den Namen
,,Pillenreuth". - Bald darauf haben Nürnberger Bürger für das
Kloster so viel gestiftet, daß man die Kirche und das Wohnhaus
in Stein auffuhren konnte. In der Nähe liegen große Fischteiche,
die gehörten dem Kaiser. Ludwig der Bayer schenkte den
frommen Frauen von Pillenreuth den Zehnten aus seinen
Fischteichen.
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Wie die große Linde in den Burghof kam
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Gefolge blieb weit zurück und verlor den Kaiser aus den Augen.
Der aber jagte und seinem Pferd unaufhörlich hinter der
Hirschkuh her und konnte sie nicht erreiche n. Auf einmal war
das Tier vor seinen Augen verschwunden; er jagte weiter da
stutzte sein Pferd und sprang erschreckt zurück. Mit Mühe nur
konnte der Kaiser sich im Sattel halten im unvorhergesehenen
Sprung seines Pferdes. Zornig gab er ihm die Sporen. Umsonst,
es stieg steil in die Höhe erschreckt vor einem alten, schwarzen
Baumstumpf, den der Blitz geschwärzt hatte.
Vorbei an dem schwarzen Lindenstamm, aus dem nur noch
wenige grüne Blätter austrieben, schaute der Kaiser in einen
tiefen Abgrund.
In den wäre er sicher gestürzt, wenn sein Pferd nicht vor dem
Blitz geschwächten Lindenbaum erschrocken gestutzt hätte. Der
Kaiser brach zur Erinnerung ein Lindenzweiglein ab und steckte
es auf seinen Hut Spät in der Nacht erst kam der Jagdzug heim
zur Nürnberger Burg. Die Kaiserin hatte in großer Angst
gewacht und gewartet, und als der Kaiser in den Burghof
hereinritt, ging Kunigunde ihm entgegen und rief: "Warum
kehrst du heute so spät zurück:, du böser Mann?" Da beugte sich
der Kaiser herab zu ihr, zog seinen Hut, nahm das
Lindenzweiglein herunter und reichte es ihr mit den Worten:
"Die Linde, an der das Zweiglein gewachsen ist, hat dir heute
das Leben deines Mannes gerettet". Und er erzählte ihr, wie es
ihm ergangen war. Am andern Morgen pflanzte Kunigunde das
Zweiglein in die Mitte des Burghofes, und dort grünte es weiter
und wuchs und wurde ein mächtiger Lindenbaum, der den
ganzen Hof beschattete. Fast tausend Jahre stand dort der Baum.
Ich selber hab ihn noch stehen sehen, mehr als eine Klafter breit,
gänzlich hohl, aber ringsum mit grünen Blättern. Ein schwerer
Gewittersturm mit zündendem Blitzstrahl stürzte ihn in einer
Nacht. Meine Kinder konnten noch die angekohlten Reste am
alten Platz sehen. Meine Enkel sahen auch das nicht mehr. Aber
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Ich kann ihnen den Ort noch zeigen, wo die alte, große
Burglinde von Nürnberg stand.
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Wie es dem Klösterlein weiter ergangen ist
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Sagen aus dem Harz
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Das Mädchen von der Quästenburg bei Roßla
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Das Mädchen von der Wegsmühle
Auf der Wegsmühle diente vor langer Zeit ein großes, starkes
und schönes Mädchen. Eines Abends spät kam ein Mann in die
Mühle, der einen vollen Hedesack (Hede = Werg, Abfall von
Flachs) trug.
Ob er nicht in der Mühle im Stalle übernachten könne, fragte
der Mann. Beinahe wäre es ihm gestattet worden, denn der
Müller tat manchem Armen Gutes. Aber er wollte an diesem
Abend mit seiner Frau in ein Dorf zu Verwandten gehen, wo
man ihn zu einer kleinen Lustbarkeit eingeladen hatte; es war
nämlich gerade Fastnacht. Da machte es sich nicht gut, daß der
Fremde in der Mühle blieb, weil das Mädchen ganz allein zu
Hause war.
Nun erklärte der Mann, er wolle ins nächste Dorf
zurückgehen, seinen Hedesack aber auf der Mühle in den
Kuhstall stellen, damit er ihn nicht wieder zurückschleppen
müsse; am nächsten Morgen werde er ihn dann abholen. Das sei
ihm ganz recht, meinte der Müller. Der Harzker stellte also
seinen Hedesack. in den Kuhstall und ging fort; eine Weile
darauf entfernten sich auch der Müller und die Müllerin.
Als aber das Mädchen nach einiger Zeit im Kuhstall ihre
Arbeit verrichtete, bemerkte es beim Melken, daß der Hedesack,
der in der Ecke lehnte, bald groß und bald klein wurde und sich
auf und nieder bewegte. Da lief die Magd geschwind ins Haus
und holte eine geladene Flinte heraus, die in der Stube an der
Wand hing. Mit der Flinte in der Hand trat sie vor den Sack hin
und rief: "Wer da?" Sie erhielt aber keine Antwort und drückte
ab. Ein Aufschrei erscholl aus dem Hedesack, und als das
Mädchen ihn aufband, schwamm da ein großer Mann in seinem
Blut, der hatte ein Messer und eine Pfeife neben sich liegen.
Der Mann winselte, daß er nun vor Gottes Richterstuhl treten
solle, und bekannte, daß ihrer zwölf Brüder seien, die alle das
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Räuberhandwerk betrieben. Zehn davon hätten in der Nacht hier
einbrechen wollen, der elfte, das sei der jüngste, der sitze in der
Räuberhöhle bei der steinalten Mutter, die ihn nicht fortlassen
wolle.
Er selbst sei der zwölfte, ihn hätten sie in einen Sack gebunden
und das große Messer neben ihn gelegt, damit er den Sack zur
rechten Zeit durchschneiden und heraussteigen könne. Dann
habe er vor die Öffnung der Mühle, wo der Mühlbach durchs
Haus geht, hintreten und den andern pfeifen sollen. Die elf
Räuber lägen schon draußen vor der Mühle versteckt und
lauerten nur auf den Ton seiner Pfeife.
Das Mädchen möge im Dunkeln rasch entfliehen und die
Mühle ihrem Schicksal überlassen, sonst sei es verloren. Dann
starb er.
Entfliehen aber konnte das Mädchen nicht, denn der Müller
hatte die Hoftür zugeschlossen und den Schlüssel eingesteckt,
damit die Magd nicht auf ihn und seine Frau in der Nacht zu
warten brauche und damit sie selbst, wenn sie heimkehrten,
aufschließen könnten. Das Mädchen überlegte nun, was zu tun
sei, nahm das große Räukermesser und die Pfeife und ging
damit in die Mühle hinein.
Dann trat sie vor die Öffnung in der Mühle und blies in die
Pfeife.
Plumps erklang es vom Wasser, und halb schwamm, halb
watete der Kerl, der den Hedesack getragen hatte. Es war der
Räuberhauptmann selbst, bald darauf streckte er seinen
häßlichen Kopf unter der Mühlschwelle herein. Den packte die
Magd nun bei den Haaren, fesselte ihn und legte ihm eine
Schnur um den Hals, so daß er nicht schreien konnte, und zog
ihn dann vollends herein. Nachher blies sie wieder auf der
Pfeife. Ein Plumpser, und schon kam der zweite Räuber daher,
dem es nicht anders erging als dem ersten. So lockte das
Mädchen alle zehn Räuber unter die Schwelle der Mühle.
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Als der Müller mit seiner Frau nach Hause kam, fand er das
Mädchen ganz verstört und mit Blut befleckt in der Stube sitzen.
Nachdem die Magd den Müllersleuten den ganzen Vorfall
erzählt und die dingfest gemachten Räuber gezeigt hatte, wurde
das tapfere Mädchen als Retterin der Mühle gepriesen. Sie lebte
nun in der Mühle hinfort mehr als Freundin denn als Magd und
wurde weit und breit berühmt wegen ihrer Heldentat. Es fanden
sich auch junge Burschen aus dem Dorfe ein, die sie gerne
gefreit hätten. Das Mädchen aber war eigenwillig und erklärte,
es wolle keinen andern zum Manne haben als den, der
verspreche, nach ihrer Pfeife zu tanzen, womit sie die Räuber
herbeigelockt habe. Und weil sie so schön war, fand sich zuletzt
in der Mühle ein feiner Herr aus der Stadt ein; der ging auf
Freiersfüßen, war sehr reich und hielt um das Mädchen an. Sie
wollte zuerst auch von ihm nicht viel wissen, aber er machte ihr
die kostbarsten Geschenke, und der Müller und die Müllerin
sagten, der Mann müsse einen großen Goldkasten zu Hause
stehen haben, und wer da einmal hineingreifen dürfe, sei wohl
sein Leben lang glücklich zu preisen. Und so fand sich das
Mädchen mit dem Gedanken ab, den Städter als ihren Verlobten
anzusehen.
Eines Tages erklärte der fremde Bräutigam, er wolle das
Mädchen einmal in der Kutsche abholen und ihm sein Haus
zeigen, wie prächtig es sei. Der Müller gab die Erlaubnis, daß
das Mädchen mit ihm fahren dürfe. Dieses selbst hatte anfangs
wieder keine rechte Lust, mit dem Bräutigam, den es nicht
liebte, zu fahren, doch war es neugierig, einmal sein Hauswesen
zu sehen, und darum setzte es sich in die Kutsche.
Der Fremde fuhr nun mit dem Mädchen in den Wald. Als sie
mitten im Forst waren, ließ er den Kutscher, der ein
Lohnfuhrmann war, halten und hieß das Mädchen mit ihm
aussteigen. Den Fuhrmann hatte er schon vorher gut bezahlt und
ihm mitgeteilt, was er im Wald tun solle. Darum schlug der
Kutscher nun auf seine Pferde ein, jagte davon und ließ das
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Mädchen mit dem Fremden im Wald stehen. Nun griff der
ungestüme Freier das Mädchen hart an, und weil er stärker war
als sie, so mußte sie ihm folgen, und er schleppte sie in eine
Räuberhöhle. Da saß die steinalte Mutter der elf Räuber, die das
Mädchen zur Strecke gebracht hatte. Der Fremde aber sagte, er
sei der zwölfte Bruder und habe seiner Mutter geschworen, die
andern elf Brüder an ihr zu rächen; darum habe er sich
verkleidet und sie hierher gelockt. Hier müsse sie nun sterben.
So mutig das Mädchen auch war, diese Not ging über ihre
Kraft; sie weinte und klagte und bat den jüngsten Bruder der
Räuber um ihr Leben. Dieser hätte sie gerne leben lassen, denn
ihre Schönheit hatte schon längst sein Herz betört. Weil die alte
Mutter das merkte und das Mädchen sich erbot, die Wirtschaft
in der Höhle zu führen und das Weib des jungen Räubers zu
werden, so beschlossen Mutter und Sohn, die Gefangene am
Leben zu lassen.
Aber das stolze Mädchen konnte es nicht verwinden, daß es
die Frau eines Mordgesellen sein sollte. Als der junge Räuber
einmal schlief, verließ es den Wald und kehrte wieder zu dem
Müller zurück. Dieser rief die Obrigkeit herbei, und das
Mädchen führte die Häscher zur Räuberhöhle. Dort fanden sie
die Alte dicht vor der Höhle, weil sie vor Altersschwäche nicht
hatte entfliehen können, nahmen die Häscher sie und ihren Sohn
mit und ließen ihnen die gerechte Strafe zuteil werden.
Das Mädchen aber erhielt alle Schätze, die sich in der
Räuberhöhle vorfanden. So war sie nun steinreich geworden.
Von den Burschen aus dem Dorf aber, denen sie früher sehr
schnöde begegnet war, fand sich kein Bewerber um sie wieder
ein, weil sie drei Tage bei dem jungen Räuber in der Höhle
verbracht hatte. So lebte das Mädchen weitbekannt und sehr
reich, aber einsam bis an ihr Ende.
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Der Schäfer von Wernigerode und der Alte aus
dem Berg
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auch die Handschuhe des Schäfers lagen da, wo er sie hingelegt
hatte. Beide füllten so viel in ihre Tasche n, als sie tragen
konnten, und eilten dann wieder ins Freie. Hinter ihnen schloß
sich der Eingang mit lautem Krachen.
In der folgenden Nacht wollten sie es zum drittenmal wagen;
lange suchten sie hin und her, konnten aber den Eingang nicht
mehr finden.
Plötzlich trat ihnen der alte Mann entgegen und sagte zum
Schäfer:
"Hättest du deine Handschuhe nicht mitgenommen, sondern
unten liegenlassen, so würdest du auch diesmal den Eingang
gefunden haben, denn dreimal sollte dir die Schatzkammer
offenstehen. Nun aber ist dir der Eingang auf immer
verschlossen. "
Der Schäfer hatte nicht gewußt, daß Geister nichts behalten
dürfen, was irdischen Menschen gehört, sonst hätte er seine
Handschuhe sicher wieder unten liegenlassen.
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Der Weinkeller von der Himmelspforte bei
Wernigerode
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schob das Buch unwillig zurück und schüttelte verneinend den
Kopf.
Das Mädchen dachte, auch gut; lief über die Treppen hinauf,
wünschte gute Nacht, erhielt aber keinen Dank und eilte nach
Hause.
Der Förster, der sie nicht so bald wieder zurückerwartet hatte,
fragte sie verwundert: "Wo hast du denn den Wein hergeholt,
daß du schon wieder hier bist?"
Die Magd antwortete: "Wie Ihr mir befohlen habt, in der
Himmelspforte."
Der Förster glaubte, das Mädchen wolle ihn zum besten
halten, fragte noch einige Male, erhielt aber immer die gleiche
Antwort. Er meinte daher, das Mädchen habe auf dem Weg von
dem Wein gekostet und sei nun etwas betrunken, und da er
überdies von den Gästen in der Stube verlangt wurde, ließ er die
Sache für diesen Abend auf sich beruhen.
Am andern Morgen nahm er die Magd wieder ins Gebet, diese
aber beharrte bei ihrer Aussage und erzählte den ganzen
Hergang der Sache, wie es sich zugetragen hatte. Der Förster
wußte nicht, was er davon denken solle, um so mehr, als der
Wein viel besser geschmeckt hatte als der frühere, ja, er glaubte
überhaupt noch nie einen so guten Tropfen getrunken zu haben.
Er schickte also einen Boten nach Wernigerode zu dem
Weinhändler und ließ fragen, ob vorige Nacht seine Magd dort
den Wein geholt habe. Als der Bote mit der Nachricht
zurückkehrte, niemand sei dort gewesen, kam dem Förster die
Sache bedenklich vor. Er schickte deshalb nach dem Pastor und
dem Lehrer, nahm einige Bauern und Jägerburschen mit, und so
zog der ganze Schwarm unter Führung des Mädchens nach der
Himmelspforte. Dort fand man zwar noch die Ruinen eines im
Bauernkrieg zerstörten Klosters, aber weder von der Kellertür
noch von der seltsam gekleideten Frau war eine Spur zu sehen.
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Seitjener Zeit wurde die Himmelspforte und besonders die
Klosterruine, die schon lange bei den umwohnenden Bauern
verrufen waren, noch mehr gemieden; jedem klopfte das Herz
hörbar in der Brust, wenn er an den Mauerresten vorüberging,
jeder erwartete, daß die Kellertür sich öffnen und die seltsame
Frau hervortreten würde; doch hat sich seit jenen Tagen nichts
Ähnliches mehr ereignet.
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Der starke Zwerg auf dem Kyffhäuser
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verschwand wie ein Regenwurm in einem Loch, das kaum eine
Spanne groß war.
Dem Müller taten alle Glieder weh, und er war am ganzen
Leib voll blauer Flecken. Noch mehr ärgerte ihn aber, daß er,
der bärenstarke Mann, dem kleinen Knirps fast unterlegen wäre;
aber was war zu machen?
Er lud mit seinem Knappen den Mühlstein auf und fuhr heim.
Der starke Zwerg aber war seither nicht mehr zu sehen.
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Die Entstehung der Bergwerke zu Rammelsberg
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Grund nicht angeben, er solle es zur Herrin des Berges
begleiten, dort werde er Weiteres erfahren.
Beide Ritter folgten nun dem Mädchen. Sie wurden in eine
große steinerne Höhle an der Nordwestseite des Brockens
geführt. Die Höhle war groß und schön wie ein fürstliches
Schloß. Drin trafen sie die Zauberjette. Auf die Frage der Ritter,
warum sie Befehl zur Vernichtung ihrer Arbeit gebe, erhielten
sie den Bescheid, auf dem Brocken sei der Bereich der
Zauberjette, und sie wolle allein im Berge herrschen. Wollten
die Ritter in ihren Dienst treten, so sei sie mit deren Bleiben
einverstanden; sie werde dann auch die Räuberbande dulden.
Die Ritter entschlossen sich, bei der Za uberin zu bleiben.
Nach einiger Zeit machten die beiden Ritter eine merkwürdige
Beobachtung: die Macht der Zauberin wurde täglich schwächer.
Sie war nämlich, bevor sie die Dienste der Ritter angenommen
hatte, jede Nacht um zwölf Uhr zum Wolfsbrunnen geeilt, der
unten am Brocken liegt, und hatte dort drei Handvoll Wasser
getrunken. Daher rührte ihre Zauberkraft. Dies hatte sie aber,
seit die Ritter bei ihr waren, versäumt. Deshalb nahm ihre Kraft
fortwährend ab.
Als die Zauberjette merkte, daß sie dem Tode nahe sei, zeigte
sie den Rittern all ihre Schätze. Fünf ihrer Dienerinnen ließ sie
frei. Dann holte sie eine Flasche und einen goldenen Becher, um
noch einmal auf das Wohl der Ritter zu trinken. Während der
Ritter Ramme gerade zum Trinken ansetzte, trat aus dem
Hintergrund der Höhle ein alter Mann hervor und rief: "O du
alte Zauberjette, nun sind die zwölf Jahre um, für die du mich in
den Schlaf gezaubert hast." Der Ritter Ramme ließ vor
Schrecken den Becher zu Boden fallen: in dem alten Mann
erkannte er seinen Vater. Dieser sagte zu ihm: "Ich bin dein
Retter, mein Sohn; denn was du hättest trinken sollen, ist das
übelste Gift."
Darauf zog der Sohn sein Schwert und schlug der Zauberjette
den Kopf ab. Ein furchtbares Krachen im Berge entstand. Der
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schwarze Hund, der eben noch in der Höhle gekauert war,
winselte auf und zog sich zurück. Nun kamen auch die Räuber
angesprungen. Da verwandelte sich der Hund in einen alten
Mann, der aufatmend jubelte: "Gott sei gelobt! Das bedeutet für
mich die Erlösung, ich habe jetzt nichts mehr zu bewachen, alles
ringsum gehört nun euch. "
Auch heute noch sind die Goslaer Bergwerke tätig, die Schätze
der Zauberjette zu heben.
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Die Fahrt nach dem Brocken
Es war einmal ein junger Mann, der sich mit einem hübschen
Mädchen verlobt hatte. Nach einiger Zeit fiel dem Bräutigam
das merkwürdige Verhalten seiner Braut und deren Mutter auf.
Beide waren nämlich Hexen. Als nun der Tag kam, an dem die
Hexen nach dem Brocken ziehen, stiegen die beiden Frauen auf
den Heuboden, nahmen ein kleines Gla s und tranken daraus,
dann waren sie auf einmal verschwunden. Den Bräutigam, der
ihnen nachgeschlichen war und sie beobachtet hatte, lockte es,
auch einmal einen Schluck aus dem Glas zu tun. Er nahm es und
nippte ein wenig daran; da war er mit einemmal auf dem
Brocken und sah, wie seine Braut und deren Mutter mitten unter
den Hexen tollten, die um den Teufel tanzten, der in ihrer Mitte
stand.
Nachdem der Tanz zu Ende war, befahl der Teufel, daß jede
ihr Glas nehme und trinke, und gleich darauf flogen sie nach
allen vier Windrichtungen auseinander. Der Bräutigam aber
stand mutterseelenallein auf dem Brocken und fror, denn es war
eine kalte Nacht. Ein Glas hatte er nicht mitgenommen, und so
mußte er den Rückweg zu Fuß antreten.
Nach einer langen beschwerlichen Wanderung kam er endlich
wieder bei seiner Braut an; aber diese war sehr zornig, und auch
die Mutter zankte mit ihm, weil er aus dem Glas getrunken
hatte. Mutter und Tochter kamen endlich überein, den
Bräutigam in einen Esel zu verwünschen, was denn auch
geschah.
Der arme Bräutigam war nun ein Esel geworden und trabte
betrübt von einem Haus zum andern, wobei er sein trauriges ija,
ija schrie.
Da erbarmte sich ein Mann des Esels, nahm ihn in seinen Stall
und legte ihm Heu vor; aber der Esel wollte begreiflicherweise
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nicht fressen und wurde nun mit Schlägen aus dem Stall
getrieben.
Nach langem Umherirren kam das Langohr wieder einmal vor
das Haus seiner Braut, der Hexe, und schrie recht kläglich. Die
Braut sah ihren vormaligen Bräutigam, der als Esel mit
gesenktem Kopf und herabhängenden Ohren vor der Tür stand.
Da bereute sie, was sie getan hatte, und sprach zum Esel: "Ich
will dir helfen, du mußt aber tun, was ich dir auftrage: Wenn ein
Kind getauft wird, so stelle dich vor die Kirchentür und laß dir
das Taufwasser über den Rücken gießen, dann wirst du wieder
in einen Menschen verwandelt werden. "
Der Esel folgte dem Rat seiner Braut. Am nächsten Sonntag
wurde ein Kind getauft; da stellte sich der Esel vor die
Kirchentür. Als die Taufhandlung vorbei war, wollte der Küster
das Taufwasser wegschütten, aber der Esel stand ihm im Wege.
"Geh, alter Esel!" meinte der Küster, aber der Esel wich nicht.
Da wurde der Küster ärgerlich und goß dem Tier das Wasser
über den Rücken. Nun war der Esel erlöst und verwandelte sich
wieder in einen Mann; dieser eilte zu seiner Braut, heiratete sie
und lebte fortan recht glücklich mit ihr.
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Die Roßtrappe
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wirbelnden Schlund heraufhole.
Otmar
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Die fleiße Liese in Claustal
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"Fleißige Liese, Leer ist die Diesse, Fein fühlt sich der Faden,
Bist wohl geraten"
Dann rührte sie mit der Silberdiesse an das Spinnrad des
Mädchens, lächelte ihm zu und verließ die Kammer. Es war die
Frau Holle.
Die Liese legte sich bald danach zu Bett. Aber einschlafen
konnte sie erst, als die Schwester endlich von ihrem nächtlichen
Ausgang zurückkam. Lachend warf sich die schöne Törin auf
ihr Lager und prahlte wunders, was die Liese an diesem Abend
versäumt und verloren habe.
Als nun die Ostermorgensonne durchs Fenster schien, da
erwachte die Liese zuerst. Sie rieb sich verwundert die Augen,
denn vom Morgenstrahl funkelte ihr Spinnrad wie Gold und
blitzte, daß die ganze Kammer hell wurde. Schnell sprang sie
aus dem Bett und prüfte mit ihrem Finger den goldenen Glanz,
hob auch das Rad vom Boden. Aber es wog schwer und war von
der Diesse bis hinunter zum Tretbrett aus gediegenem Gold.
Und der Faden, den sie am Osterabend gesponnen hatte,
erglänzte wie Seide. Sie haspelte ein Gebind nach dem andern,
es hing je zehn und zehn nebeneinander.
Aber die Rolle blieb voll, und das Garn wollte kein Ende
nehmen. So hatte sie denn eine doppelte Quelle des
Wohlstandes als Lohn für die treue, gediegene Arbeit.
Nun zerrte auch die Faule begierig ihr verstaubtes Spinnrad
hervor.
Aber wo sonst der ungesponnene Flachs auf der Diesse saß,
raschelte nun graues Stroh. Und als sie in böser Ahnung schnell
nach ihrem Leinenschatz in der Truhe kramte, fand sie statt der
schönen, gewebten Ballen nur Häcksel und Stroh.
Darum sagt man noch heute im Harzland: Am Ostersonnabend
muß die Diesse leer sein, sonst kommt Frau Holle und bringt
Häckerling.
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Die weiße Jungfrau in der Burg
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Osterode
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Als er daheim die Iilie seiner Frau zeigte, meinte diese : "Das
ist keine gewöhnliche Lilie, es ist eine goldene Blüte. Du hast
die Osterjungfer gesehen. "
Ja, da brauchte sich der Mann nicht mehr zu wundern, daß ihm
unterwegs der Hut so schwer geworden war. Nach der Kirche
trug er die Blume gleich zum Goldschmied. Dieser machte
große Augen, als der arme Mann das glänzende Ding auspackte.
Er sagte: "Du, die Blume ist aus dem feinsten Gold und Silber,
das es gibt. Die ganze Stadt Osterode hat nicht Geld genug, sie
dir zu bezahlen. "
Die Geschichte von der wundersamen Blume wurde bald im
ganzen Orte bekannt, und auch dem Rat kam sie zu Ohren.
Dieser ließ den Leinweber vorladen, und er mußte erzählen, wie
sich alles zugetragen hatte.
"Du mußt deine Blume dem Herzog verkaufen," meinten die
Ratsherren. Sie fertigten ihm ein Schreiben aus, worin der ganze
Hergang der Begebenheit ausführlich und säuberlich
aufgezeichnet war.
Nun reiste der Leinweber ins Hoflager. Der Herzog fand den
größten Gefallen an der Blume. "Bezahlen kann ich dir die Lilie
freilich auch nicht," sprach er zum Leinweber, "aber ich will dir
und den Deinen einen jährlichen Betrag aussetzen, daß ihr für
euer ganzes Leben versorgt seid."
Die Blume wurde von der Herzogin nur an hohen Festtagen
getragen. Der Herzog aber nahm zur Erinnerung drei Lilien in
sein Wappen auf; sie sind heute noch darin zu sehen.
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Frau Holle als Ehestifterin in Andreasberg
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dachte: "Und wenn es mir das Leben kostet, ich gehe und tue,
was mir befohlen ist!"
Sobald sie auf dem Hahnenklee angekommen war, machte sie
sich gleich an die Arbeit. Da stand auf einmal wieder Frau Holle
neben ihr und meinte freundlich lächelnd: "Du hast Wort
gehalten, ich halte auch Wort. Bald wird dich dein Bräutigam
zum Altar führen; die beiden andern kriegen nie einen Mann."
Mit dem letzten Wort war sie auch schon wieder weg. Als das
Mädchen nach Hause ging, kam der Mond aus den Wolken
heraus und schien ihr hell auf den Heimweg.
Das Mädchen, das auf dem Gesehr umgekehrt war, besaß
einen Bergmann zum Bräutigam. Am folgenden Tag brachte
man ihn zerschmettert nach Hause; er war im Schacht
verunglückt. Das Mädchen aber starb drei Tage danach vor
Gram und wurde an der Seite ihres Liebsten begraben. Der
Bräutigam des zweiten Mädchens hatte in den Krieg ziehen
müssen; er fiel wenige Wochen später, und auch sie hat
tatsächlich nie geheiratet. Das dritte Mädchen aber, das den
Hahnenklee gescheuert hatte, feierte bald Hochzeit.
Als die Vermählten dann an der Festtafel beisammensaßen,
erschien Frau Holle zum drittenmal; sie guckte über den Ofen
herüber und reichte dem Gast, der zunächst saß, eine silberne
Wiege für das Brautpaar. Und wie man das Geschenk genauer
besah, war es. ganz voll blanker Andreasberger Silbergroschen.
Seitdem heißt es in Andreasberg, wenn ein Mädchen keinen
Mann bekommt: Es muß den Hahnenklee scheuern. Und wo
man in den Häusern noch die alten Öfen hat, die zwei Stuben
nebeneinander heizen, daß man darüber hinwegsehen kann, sagt
man, wenn jemand überhebliche Worte spricht: "Schprich
sachte, de Frau Holle horcht!"
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Sagen der Hansestädte
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Dat lütte Rümeken
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getanen Staatsgeschäften noch besser mundete, bis der Graf vom
Bürgermeister und Notar, nicht ohne deren tätige Beihilfe, zu
Bett geleitet wurde.
Andern Morgens, als er heimkehrend über das abgetretene
»lütte Rümeken« ritt, verwunderte er sich sehr über dessen
Umfang, aber er war ein edelmütiger Herr, der fröhliche
Schwänke wohl leiden konnte, darum lachte er über die List
seiner Gastfreunde, die er nun wohl verstand, und ließ die Sache
gut sein. Und wenn er später, wie noch oft geschah, nach
Hamburg zu Weine und Biere ritt, so nahm er sich besser in acht
und verpaßte niemals wieder die Stunde des Torschlusses. Und
hat der schönen Bürgermeisterin lächelnd gesagt: um das ganze
Hamburger Linnenzeug zu bleichen, möchte sie wohl seine
ganze Herrschaft Pinneberg für ein - lüttes Rümeken ansehen
und ihm fördersamst abschwätzen.
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Der Graf, der nicht verwesen durfte
Einst lebte in Lübeck ein reicher und mächtiger Graf, der sich
aber durch sein schlechtes Betragen den Fluch seiner sterbenden
Eltern zugezogen hatte. Aber das wußten nur die wenigsten, und
er selbst suchte sein Gewissen in rauschenden Festen zu
betäuben. Allein kaum ein Jahr nach dem Tode seiner Eltern
starb auch er und wurde in der Katharinenkirche beigesetzt.
Fünfzig Jahre später öffnete man zufällig seinen Sarg und fand
seinen Leichnam unverwest. Das Gerücht von dieser seltsamen
Begebenheit drang weit in die Ferne, und kein Fremder verließ
Lübeck, bevor er nicht den unverwesten Grafe n gesehen hatte.
Nun saßen einmal in einem Wirtshaus bei der
Katharinenkirche lustige Zechbrüder beisammen und prahlten
mit ihrem Mut und ihrer Unerschrockenheit. In das Gespräch
mischte sich auch die Schenkmamsell, und indem sie alle zu
übertrumpfen suchte, vermaß sie sich, den Körper des Grafen
aus der Kirche zu holen. Die Wette wurde gemacht, das
Mädchen verschaffte sich den Eingang zur Totenkapelle und
kam bald mit ihrer unheimlichen Last zurück. »Da habt ihr den
Grafen«, rief sie lachend, »zurückbringen könnt ihr ihn selbst!
Die Wette habe ich gewonnen!« Die Gesellen aber zitterten
wie Espenlaub, und keiner wollte sich der unangenehmen
Aufgabe unterziehen. Da baten sie das Mädchen, ihnen das
Geschäft abzunehmen, und gegen ein gutes Stück Geld zeigte
sie sich auch willig und trug den Grafen zurück.
Aber kaum hatte sie ihn in seinen Sarg gebettet, als der Tote
sich aufrichtete und sie anredete: »Jetzt habe ich dir einen
Gefallen getan, nun tue du mir wieder einen als Gegendienst!
« Zu Tode erschrocken, nickte die Dirne. »Geh hinter den
Altar«, fuhr der Tote fort, »und bitte meine Eltern um
Vergebung!« Das Mädchen tat's zitternd, aber eine Stimme
antwortete ihr: »Nie und nimmermehr!« Auf den Wunsch des
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Grafen bat sie dann noch einmal, und wieder wurde sie
abschlägig beschieden. Erst, als sie zum dritten Male bat, rief
die Stimme so laut, daß das Gewölbe widerhallte: »Nun, so sei
er verweset!« Das Mädchen eilte so schnell wie möglich aus der
Kirche, aber als man am nächsten Morgen nach dem Grafen sah,
war er in Staub zerfallen.
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Der Lübecker Freiheitsbaum
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Der Meerweizen
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Der Meerweizen
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Der Nachtwächter und die Gans
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Der Schatz
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hat der Fremde den Kasten genommen und ist nach dem Stall zu
gegangen und verschwunden.
Darüber sind die guten Leute heftig erschrocken: wie sie aber
in die Stube kommen, wo der Sohn gelegen, ist er im Begriff
aufzustehn, und von Stund an gesund, wie andere, und auch ein
feiner Mann geworden, der sein Leben lang seine Eltern
ernährte.
Etliche aber sagen, der Teufel habe nicht alles fortgebracht,
und es liege dort noch ein Schatz, dem er nicht allein
beikommen könne.
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Der Teufel als Schatzhüter
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Der Bursche konnte dieses Erlebnis nicht vergessen; wo er
ging und stand, lag ihm der Schatz im Sinn und wie er seiner
habhaft werden könne. Er nahm seinen Abschied von dem
Bauern, ging zur See und wurde ein schmucker und starker
Mann, aber als die sieben Jahre zu Ende gingen, hielt es ihn
nicht länger auf dem Schiff, und er machte sich auf und
wanderte seinem Heimatdorf zu. Dort kannte ihn längst keiner
mehr, aber er erfuhr bald im Wirtshaus, daß sein Bauer vor
kurzer Zeit gestorben sei; nun lebe die Familie in großer Not,
denn mit dem Reichtum des Alten scheine es nicht weit her
gewesen zu sein - in seinem Nachlasse habe sich weder Gold
noch Silber gefunden. Der Bursche ging bald auf den Hof, fand
alles, wie man es ihm geschildert hatte und wurde, da die
verwaiste Tochter sich seiner noch gern erinnerte, dort ein
häufiger Gast, bis er den Mut fand, um das schmucke Mädchen
zu freien, das ihn nicht abwies. Nun hätte er in aller Ruhe mit
seinem zur See erworbenen Gute seinen Haushalt als ein
vermögender Mann beginnen können, aber der Schatz lag ihm
im Sinn, und er trachtete danach, wie er ihn heben könne. Da
träumte er einmal, die Scheune stehe in Flammen, und als er
genauer hinsah, war es ein roter Hahn, der auf dem Strohdach
stand und mit den Flügeln schlug. Der flog einen Augenblick
hernach von seinem hohen Standpunkt herab, setzte sich auf
eine umgestürzte Pflugschar auf dem Hofe, pickte mit dem
Schnabel und scharrte mit den Füßen daran und gebärdete sich
ganz, als wolle er den Pflug in die Höhe richten und mit sich
führen.
Lange Zeit verstand der Bursche diesen Traum nicht, aber
plötzlich kam ihm ein guter Gedanke. Er fuhr ungesäumt zu
einem Goldschmied in die Stadt und bestellte einen silbernen
Pflug, den er sofort mit blanken Talern bezahlte; nach acht
Tagen schon konnte er ihn holen, und nun machte er sich sofort
ans Werk. In der nächsten Nacht, sobald die Glocke zwölf
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geschlagen, machte er sich auf, unter dem rechten Arm den
Silberpflug, unter dem linken einen prächtigen roten Hahn.
Vor der Scheune spannte er den Hahn vor den silbernen Pflug,
öffnete das Tor und fuhr nach der Stelle, wo der Schatz
verborgen lag, und obgleich kein Mondschein in die Scheune
fiel, war es doch kerzenhell darin, denn der Pflug leuchtete hell,
und der Hahn glänzte wie Feuer und Flammen.
Schweigend ging er daran, im Kreise zu ackern und die
Erdschollen zur Seite zu pflügen, und obwohl ein Gebrause und
schreckliches Stimmengewirr anhob, vollbrachte er in tiefster
Ruhe sein Geschäft, bis er an den Deckel stieß und den Schatz in
all seiner Herrlichkeit gehoben hatte. Dann nahm er alles, packte
es in Körbe und lief damit in den Hof, es zu bergen. Da machten
die Leute freilich große Augen und freuten sich des
wiedererrungenen Gutes, und im Herbst gab es eine lustige
Hochzeit.
Der Silberpflug blieb dann lange Zeit ein Wahrzeichen der
Familie, bis er im Schwedenkrieg verlorenging.
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Des Teufels Kapelle
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Des Teufels Stiefel
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Und als er beichten ging zum Pfaffen, konnte er's nicht lassen,
denn sein Geheimnis drückte ihn, als wenn es Sünde und
Blutschuld wäre, und er offenbarte ihm, wenn er's gewiß
niemandem weiter sagen wolle, so müsse er's bekennen: er wäre
wendischer Abkunft. Und der Pfaffe hat sich bekreuzigt und
lange besonnen, dann hat er gesagt, ein Verbrechen wär's zwar
eigentlich nicht, das Wendentum, aber schön wär's auch nicht,
und wovon er ihn absolvieren sollte, das wüßte er nicht, er
möchte nur hingehen und sehen, wie er sich fromm und ehrlich
durch die Welt schlüge, und still sein Unglück tragen.
Nun wäre das wohl so gegangen, aber Hans Radegast warf
sein Auge auf eine feine Jungfer, die wollte er heiraten, und
zuvor Meister und Bürger dieser Stadt werden. Das Geld dazu
hatte er sich schon erspart. Altflicker oder Schuhknecht hätte er
leichter werden können, aber dann hätte ihn die feine Jungfer
nicht genommen, die trug einen hohen Sinn und wollte nur einen
Meister haben, woran sie auch merken konnte, ob er ein Wende
sei oder nicht. Als er sich aber bei dem Morgensprach-Herrn
meldet und tut seinen Spruch und begehrt das Amt, da treten die
Alterleute auf und fragen nach dem Geburtsbrief und sagen's
ihm auf den Kopf zu, daß er ein Wende sei, der in kein
zunftmäßig Amt kommen und das Bürgerrecht nimmer
gewinnen könne.
Und da half kein Bitten und Flehen, die Alterleute wollten's
nicht, und die Amtsrolle und Artikel zeigten's, daß sie im Recht
waren. Und Hans Radegast kam in Zorn deshalb und vermaß
sich, er wäre kein Wende und der beste Schuster in Hamburg
und verstünde mehr als alle Meister, darum müßte er ins Amt
und Bürgerrecht; und vermaß sich so sehr, daß er als
Meisterstück alles zu machen verhieß, was die Alterleute von
ihm fordern würden. Darauf dann die Alterleute, um seiner zu
spotten und sein zudringlich Begehren gänzlich abzuweisen,
ihm gesagt: falls er über Nacht bis Sonnenaufgang ein makellos
Paar Reiterstiefel ohne irgendeine Naht machen könne, so solle
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er ins Amt kommen und Meister werden, ihrethalben auch zum
Bürgerrecht gelangen. Würd's aber hernach entdeckt, daß er
doch ein Wende oder Slawe war, so würde es ihm gehen wie
dem Hans Swinegel 1466, dem sein fälschlich erworbener
Bürgerbrief wieder abgenommen worden war.
Und als er nun gegen Mitternacht still und allein in der
Kammer saß und bei seinem unmöglichen Unterfangen schier
verzweifelte, da haben ihn Ehrsucht und Weltlust geblendet, daß
er den Teufel rief, ihm beizustehen, und das Werk, dessen er
allein nicht mächtig, zu vollbringen. Und der Teufel, der allemal
erscheint, wenn ein junges Blut ihn nur an die Wand malt,
kommt angeflogen mit Sausen und Brausen durchs Fenster
herein, gehörnt, mit Pferdefüßen, ein scheußlich Ungetüm,
davor ein anderer als Hans Radegast sich entsetzt hätte; aber das
Wendenblut fürchtet solchen Satansspuk nicht und willigt ein,
ihm seine unsterbliche Seele zu verschreiben und fortan den
Namen Gottes nicht mehr zu nennen, da er ihm sonst sofort
verfallen sein soll. Und als der Pakt geschlossen, setzt sich der
Teufel flugs oben auf den Tisch und gebraucht Pfriemen und
Pechdraht, als wäre er niemals was anderes als ein Schuster
gewesen, und ehe der Hahn den Tag ankräht, ist das Stiefelpaar
fertig, von braunem Leder, und nirgendwo ist eine Naht zu
sehen, worauf der Teufel wieder mit Saus und Braus
verschwindet.
Und als andern Tags die Alterleute kamen und die Stiefel
besahen und keine Naht daran fanden, entsetzten sie sich und
mußten ihr Wort einlösen, und Hans Radegast als Meister
anerkennen. Und obwohl er nun ins Amt gekommen ist, so hat's
ihm doch nicht geholfen, denn als er vor dem Rat den Bürgereid
leisten will, und vergißt seinen Pakt und spricht die Worte aus:
»alse my Gott helpe und syn hilliges Wort«, da fällt plötzlich ein
Donner und Wetter vom Himmel mit Dampf und Rauch, und
Hans Radegast ist stracks nach Nennung des Namens Gottes zu
Boden geschlagen und nimmer wieder aufgestanden.
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Und als die Herren des Rats sich von ihrer Bestürzung erholt
und durch ihre Diener den toten Mann haben aufheben lassen,
da hat er das Gesicht im Nacken gehabt und die Zunge schwarz
zum Halse herausgereckt, so daß jeder mit Entsetzen gesehen,
daß den wendischen Mann der Teufel geholt.
Die ungenähten Stiefel wurden durch einen geschickten
geistlichen Teufelsbanner exorzisiert und mit Weihrauch
besprengt; sie haben lange Zeit hoch oben an einem Pfeiler im
Dom gehangen. Als der Dom zerstört wurde, kamen sie ins
Artilleriezeughaus im Bauhof, wo sie bis vor wenigen
Jahrzehnten zu sehen waren.
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Die Elbgeister
Vor mehreren hundert Jahren war die Stadt Hamburg nicht wie
jetzt gegen die andringenden Fluten geschützt, sondern von den
Häusern bis zum Flußbett zog sich eine breite Niederung hin.
Diese wurde häufig überschwemmt, namentlich im Frühjahr
oder im Herbst, wenn heftige Regengüsse eintraten und
Nordweststürme die Fluten aus der Nordsee in die Elbe trieben.
Durch den mitgeführten Sand wurden die Niederungen nach und
nach unfruchtbar.
Von diesen Niederungen wird erzählt, daß sich die Elbgeister
auf ihnen versammelten, um zu beraten, wie sie den Menschen
Schaden zufügen könnten. Die Menschen waren den Elbgeistern
verhaßt, weil sie durch die Schiffe in das Reich der Geister
einzugreifen versuchten.
Die Überschwemmungen währten fort. Wenn sie auch nicht
viel Schaden anrichten konnten, da das Land unbebaut war, das
von ihnen betroffen wurde, so ging diese Strecke den Menschen
doch verloren. Da kam ein kluger Mann auf den Gedanken, den
Elbgeistern diese Niederungen abzuringen. Er schlug vor, sie
durch Erdwälle vor den Fluten zu schützen.
Sein Vorschlag fand Beifall, und bald sah man viele Menschen
beschäftigt, die schützenden Deiche aufzuwerfen.
Die Elbgeister kamen jeden Abend und sahen sich das
Beginnen der Menschen an. Sie konnten sich nicht erklären,
wozu diese Arbeit dienen sollte, und spotteten darüber.
Endlich waren die Deiche fertiggestellt, und getrost sahen die
Bewohner einer Überschwemmung entgegen. Ein heftiger
Weststurm trat ein und trieb die Wellen zu außerordentlicher
Höhe.
Aber der Deich setzte ihnen kräftigen Widerstand entgegen,
und die Niederungen blieben verschont. Als die Elbgeister dies
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bemerkten, sahen sie sich überlistet. Sie versuchten mit heftigen
Stürmen und Hochfluten das Werk der Menschen zu zerstören,
aber ihr Mühen war vergeblich. Nur an einer schwachen, dem
Ansturm besonders ausgesetzten Stelle gelang es. Am nächsten
Morgen aber sprang der Wind nach Osten um, das Wasser lief
ab, und die Bewohner konnten ihren Deich nicht nur ausbessern,
sondern bedeutend verstärken.
Von nun an begann ein fortgesetzter Kampf mit den
Elbgeistern. Immer wieder versuchten diese, das Werk der
Menschen zu zerstören. Verschiedene Male ist es ihnen
gelungen, im Jahr 1825 und teilweise in den siebziger Jahren in
Billwerder. Noch heute sollen sich die Elbgeister in Gestalt von
Eulen auf dem Deich aufhalten, der heute Billwerder- Deich
heißt, früher aber den Namen Eulendeich führte.
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Die Gluckhenne
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Die Saake
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Ehrbarkeit ein Glas nach dem andern zu Leibe gesetzt hatte -
beim ersten Kreuzweg spürte, wie es ihn mit Zentnerschwere
überkam und in die Beine schoß, daß er sich kaum noch aufrecht
zu erhalten vermochte auf seinen Füßen.
Und die Häuser und Straßen fingen an zu tanzen und zu
springen und sausten zuletzt wie toll und töricht um ihn her im
Kreise, so daß er die Richtung verlor, nicht wußte woher noch
wohin, und aufs Geratewohl fortschob, bis ihm der Schweiß von
Stirn und Wange lief. Dabei lagen ihm allerlei Steine im Wege,
groß und klein, die er sah, und er mußte die Füße hoch in die
Höhe heben, wenn er hinüberschreiten wollte. Und es kamen
ihm wiederum alle Augenblicke Steine und Spitzen in die
Quere, die er nicht sah, so daß er darüber stolpern mußte, bis er
endlich erschöpft und von der schweren Last, die er zu tragen
hatte, überwältigt zu Boden sank und die Besinnung verlor, bis
etwa ein vorübergehender Nachtwächter oder ein anderer guter
Mann ihn wieder emporrichtete.
Da erinnerte er sich denn deutlich, daß er die Saake habe
tragen müssen, und erkannte mit Erstaunen, daß er seit den fünf
Stunden sich noch keine zwanzig Schritt vom Weinkeller
entfernt habe. Mit solc hen Fährlichkeiten hatte der zu kämpfen,
welcher mit der Saake zu tun hatte. Daher ist es leicht erklärlich,
wie alle Welt eine solche Angst und Scheu vor dem Ungetüm
hatte, daß es gemieden wurde wie die Pest und der Tod.
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Die sieben Faulen
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Ein Verbündeter des Teufels
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Hahl awer!
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Nach seinem Tode hatte sein Weib an ihrem reiche n Hause
keine Freude mehr und sie verkaufte es. Den Käufer aber reute
bald sein Geld, denn wenn er aus dem Fenster auf die Straße
schaute, so stand der tote Richter hinter ihm und blickte ihm
über die Schulter. Oder er zeigte sich unvermutet in der Küche
und im Keller und erschreckte die Hausbewohner. Da ließ man
einen gelehrten Kapuziner kommen, der bezwang den toten
Richter und brachte ihn am Abend trotz allen Widerstrebens auf
einen bereitgehaltenen Wagen. Der fuhr zum Ostertor, und als
sie am Rathaus vo rüberkamen, da rief es mit schrecklicher
Stimme dreimal aus dem Wagen: Richter, richte recht! Je näher
sie aber dem Ostertor kamen, desto schwerer wurde der Geist,
denn er wollte nicht zur Stadt hinaus, bis die Pferde schließlich
standen. Aber der Kapuzine r ließ aus dem Marstall Vorspann
kommen, und nun ging es rasch zum Tor hinaus nach dem
Schwarzen Meer und der Pauliner Marsch. Dort wurde der tote
Richter hin verbannt mit der Bedingung, daß er nicht eher
wiederkommen dürfe, ehe er nicht den Sumpf mit eine m Siebe
ausgeschöpft und das Gras auf der Wiese bis auf den letzten
Halm gezählt habe. Dort aber neckte und quälte der Verbannte
alle, die sich seinem Ort nahten.
Da sich nun niemand mehr auf die Pauliner Marsch getraute
und er ja in die Stadt der Bedingung wegen nicht rückkehren
konnte, versuchte er nach dem Werder auszuweichen. Als der
Bruder Fährmann am Morgen sein Schiff betrat, um die Melker
überzusetzen, stand unter ihnen mit abgewandtem Gesicht ein
prächtig angezogener Mann. Und als er drüben angekommen
war und das Fährgeld heischte, raffte sich jener Mann empor,
schoß jäh an ihm vorüber und rief aus: Der letzte Mann bezahlt
die Fähr! Da erkannte der Fährmann, wen er übergesetzt hatte
und die Melker schrien, er möge sie um Gotteswillen gleich
wieder zurückführen. Der Bruder Richter aber übte nun hier
seine Neckereien und Quälereien, wie vordem auf der Pauliner
Marsch. Als aber der Winter kam und es auf dem Werder
-292-
einsamer wurde und das Wasser die Landschaft weit und breit
überströmte, da verlangte es ihn zurück auf die Marsch. Er trat
also ans Ufer und rief den Fährmann: Hahl awer! Der kam, als
er den aber erkannte, der am Ufer stand, da wandte er die Fähre
und entwich. Jener hat später noch sehr oft gerufen; aber dem
Fährmann war der Ruf bekannt und er ließ sich nicht täuschen,
und ebensowenig nach ihm seine Kinder und Nachfolger. So
muß nun der Verbannte, den man um seines Rufes willen den
Hahl-awer nennt, für immer auf dem Werder bleiben. Und heute
noch ziehen sich die Anwohner am Punkendeich die Bettdecke
über die Ohren, wenn sie vom Werder herüber den Hahl-awer
hören.
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Henkersnot
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sieben, und wußte nicht, welches der rechte sei, und schlug
erbärmlich drauf los, so daß er den Kopf erst nach mehreren
Schlägen abzubauen vermochte. Das Volk aber schrie
aufgebracht gegen ihn und wäre er nicht ohnmächtig zu Boden
gesunken, hätte man ihm gewiß was angetan.
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Klaus Störtebeker und Godeke Michels
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Teile der Beute, nur die Reliquien des heiligen Vincentius, die
sie aus einer Kirche genommen, behielten sie für sich und trugen
sie seitdem unter ihrem Wams auf der bloßen Brust. Und daher
ist's gekommen, daß sie hieb- und schußfest gewesen sind; kein
Schwert und Dolch, keine Armbrust, Büchse oder Kartaune hat
sie je verwunden, geschweige denn töten können - so ging die
Sage.
Und nach ihrer Vertreibung aus der Ostsee haben sie von ihren
Schlupfwinkeln auf Rügen und andern Orten lassen müssen.
Darauf haben sie aber in Ostfriesland gute Freunde gewonnen
und dort ihren Raub bergen und verkaufen können.
Besonders bei Marienhave haben sie viel verkehrt und dort
gibt's noch viele Erinnerungen an Störtebeker. Der Häuptling,
Keno ten Brooke, wurde sein Schwiegervater, denn dessen
schöne Tochter verliebte sich in den kühnen mächtigen Mann
und folgte ihm auf sein Schiff und in sein schwankend' Reich.
Wenn Störtebeker Gefangene machte, die ein Lösegeld
versprachen, so ließ er sie leben. Waren sie aber arme Teufel
und alt oder schwächlich dazu, wurden sie gleich ohne weiteres
über Bord geworfen. Erschienen sie ihm jedoch tüchtig und
brauchbar, so machte er erst eine Probe mit ihnen.
Wenn sie nämlich seinen ungeheuren Mundbecher voll Wein
in einem Zuge leeren konnten, dann waren sie seine Leute, dann
nahm er sie als Gesellen an. Die es aber nicht konnten, die
wurden auch abgetan.
Störtebeker und Godeke Michels haben zuweilen Reue über
ihr Leben gefühlt. Und deshalb soll jeder von ihnen dem Dorn
zu Verden sieben Fenster, zur Abbüßung ihrer sieben
Todsünden, geschenkt haben; das Störtebeker'sche
Wahrzeichen, zwei umgestürzte Becher, ist in einem dieser
Fenster angebracht. Auch Brotspenden an dortige Arme haben
sie gestiftet. Und hierin finden viele eine Bestätigung der
Angabe, daß beide Verden'sche Landeskinder gewesen seien.
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Als Störtebeker endlich gefangengenommen worden war,
machte man in Hamburg, kraft des vom Kaiser verliehenen
Blutbannes über Seeräuber, kurzen Prozeß mit den Piraten.
Störtebeker saß in einem Keller des Rathauses, der
»Störtebeker's Loch« genannt worden ist. Die Sage erzählt:
Als man sein Todesurteil ihm verkündet, hat er nicht gern
daran gemocht und hat für Leben und Freiheit dem Rat eine
goldene Kette geboten, so lang, daß man den ganzen Dom, ja
die Stadt damit umschließen könne; die wolle er aus seinen
vergrabenen Schätzen herbeischaffen. Der Rat aber hat solch
Anerbieten mit Entrüstung von sich gewiesen und der Justiz
freien Lauf gelassen.
Schon folgenden Tags fand die Hinrichtung auf dem
Grasbrook statt. Das Volkslied sagt, daß diese 72 wilden
verwegenen Gesellen, die ihrer Bitte gemäß im besten Gewand
so stattlich und mannhaft hinter Trommlern und Pfeifern in den
Tod geschritten, von den Weibern und Jungfrauen Hamburgs
sehr beklagt seien. Der Scharfrichter Rosenfeld enthauptete sie
und steckte ihre Köpfe auf Pfähle hart am Elbstrande.
Der Sage nach durchsuchten die Hamburger Störtebeker's
Schiff besonders eifrig nach seinen ungeheuren Schätzen.
Außer einigen Pokalen und anderem Gerät fanden sie aber
anfangs nichts, bis endlich ein Zimmermann, der mit der Axt
zufällig gegen den Hauptmast schlug, eine Höhlung darin
entdeckte, welche voll geschmolzenen Goldes war. Von diesem
Schatz wurden die beraubten Hamburger Bürger entschädigt und
die Kosten des Kriegszuges bezahlt. Von dem Überrest aber, so
heißt es, ließ der Rat eine schöne goldene Krone für den St.
Nicolai-Kirchturm anfertigen. Aber noch war Godeke Michels
mit dem Rest der Vitalienbrüder zu vertilgen.
Gleich nach Störtebeker's Hinrichtung liefen die Hamburger
wieder in die Nordsee aus, um ihr Werk zu vollenden.
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Wiederum war es Simon von Utrecht auf seiner bunten Kuh,
dem nach den alten Berichten der Preis auch dieses Seezuges
gebührt, der mit völliger Niederlage der Piraten endete. Unter
den 80 nach Hamburg gebrachten Gefangenen war Godeke
Michels mit seinem Unterhauptmann Wigbold, einem gelehrten
Magister der Weltweisheit, der seinen Stand auf dem Rostocker
Katheder mit dem Schiffskastell vertauscht hatte.
Auch diese 80 Seeräuber wurden ebenso wie ihre früheren
Spießgesellen auf dem Grasbrook enthauptet.
Die Sage geht noch weiter: Als der ehrbare Rat, welcher der
Hinrichtung beigewohnt, die schwere Arbeit des Scharfrichters
wahrgenommen, da habe er ihn teilnehmend gefragt: ob er
ermüdet sei? Darauf soll Rosenfeld grimmig gehohnlacht und
trotzig gesagt haben: es sei ihm nie wohler gewesen, und er habe
genug Kraft, um noch den ganzen Rat ebenfalls zu köpfen.
Wegen dieser höchst verbrecherischen Antwort sei der Rat sehr
entsetzt gewesen und habe den Kerl sofort entlassen.
Störtebeker's Andenken haben noch verschiedene in Hamburg
als Kuriositäten und Merkwürdigkeiten aufbewahrte Dinge
frisch erhalten. Eine kleine Flöte oder Pfeife, mit der er auf dem
Schiff im Sturm oder Kampf seine Signale gegeben, soll früher
nebst dazu gehöriger silberner Halskette in der Kämmerei
gewesen sein. Eine 19 Fuß lange eiserne Kanone (sogenannte
Feldschlange) sowie Störtebeker's Harnisch hat man im
vormaligen Zeughaus aufbewahrt. Das Richtschwert Meister
Rosenfeld's kann noch jetzt im Arsenal des Bürger- Militairs
gesehen werden.
Als größte Merkwürdigkeit Hamburgs aber und als zweites
Wahrzeichen der Stadt (das erste und älteste war der Esel mit
dem Dudelsack im Dom) galt der sogenannte Störtebeker, ein
silberner Becher, aus dem er getrunken haben soll. »Wer nach
Hamburg kommt, und sollte nicht in die Schiffer-Gesellschaft
gehen, damit er aus Störtebeker's und Godeke Michels Becher
trinke, und seinen Namen in das bei dem Becher befindliche
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Buch schriebe, der wäre nicht in Hamburg gewesen«, heißt es in
einem alten Buch, betitelt: Die lustige Gesellschaft. Auf dem
Becher, der etwa 1/4 Elle hoch ist und vier Bouteillen faßt, ist
eine Seeschlacht dargestellt, die mit dem andern Bildwerk
darauf Störtebeker's Leben andeuten soll. Er ist aber, wie schon
die darauf eingegrabenen schlechten hochdeutschen Verse
lehren, später angefertigt, und sicher nicht von ihm gebraucht
gewesen. Er befindet sich jetzt im Schiffer- Armenhaus.
-300-
Moder Dwarksch
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Hopfensack, in dessen Grund er die blanke Schüssel mit den
Speckpfannkuchen setzt, und spricht seinen Spruch. Da ist
Moder Dwarksch alsbald vom Lehnstuhl auf- und in den
Hopfensack gefahren und über die Speckpfannkuchen
hergefallen: der kluge Schneider aber schnürt den Sack zu und
trägt ihn in die Grönauer Heide, wo er die Alte mit dem
stärksten Zwange bannt.
Seitdem hat nun Moder Dwarksch ihr Wesen dort getrieben:
den Leuten die Wege verrannt, den Sand aufgeblasen, falsche
Lichter gezeigt, sie durch Notrufe und Geheul verstört und sich
an die Wagen gehängt, daß sie nicht durchkommen konnten.
Besonders aber hat sie alle, die Speisen bei sich geführt,
verfolgt, und mit Speckpfannkuchen gar ist die Heide nicht zu
passieren gewesen. Einer aber, der es um Mitternacht dennoch
gewagt, ist anderen Tags mit umgedrehtem Genick aufgefunden.
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Rebundus
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Rebundus, der diese Verwünschung wie einen leeren Wind
achtete, sprach freventlich dazu: »Amen! Es sei also!"
Als nun Rebundus nicht lange danach starb, hat es von dem
Tage an unter seinem Grabstein, so oft eines Domherrn Ende
sich nahte, entsetzlich geklopft, und es ist das Sprichwort
entstanden: »Rebundus hat sich gerührt, es wird ein Domherr
sterben!« Eigentlich ist es kein bloßes Klopfen, sondern es
geschehen unter seinem sehr großen, langen und breiten
Grabstein drei Schläge, die nicht viel weniger krachen, als ob
das Wetter einschlüge oder dreimal ein Kartaunenschuß
geschehe. Beim dritten Schlag dringt über dem Gewölbe der
Schall der Länge nach durch die ganze Kirche mit so starkem
Krachen, daß man denken sollte, das Gewölbe würde ein- und
die Kirche übern Haufen fallen. Es wird dann nicht bloß in der
Kirche, sondern auch in den umstehenden Häusern vernehmlich
gehört.
Einmal hat sich Rebundus an einem Sonntag zwischen neun
und zehn Uhr mitten unter der Predigt geregt und so gewaltig
geschlagen, daß etliche Handwerksgesellen, welche eben auf
dem Grabstein gestanden und die Predigt angehört, teils durch
das starke Erbeben des Steins, teils aus Schrecken, nicht anders
herabgeprellt wurden, als ob sie der Donner weggeschlagen
hätte. Beim dritten entsetzlichen Schlag wollte jedermann zur
Kirche hinaus fliehen, in der Meinung, sie würde einstürzen, der
Prediger aber ermunterte sich und rief der Gemeinde zu,
dazubleiben und sich nicht zu fürchten; es wäre nur ein
Teufelsgespenst, das den Gottesdienst stören wolle, das müsse
man verachten und ihm im Glauben Trotz bieten. Nach etlichen
Wochen ist des Dechants Sohn verblichen, denn Rebundus tobt
auch, wenn eines Domherrn naher Verwandter bald zu Grabe
kommen wird.
-304-
Spökenkieken
Als in Lübeck der schwarze Tod wütete, geschah es, daß die
Mönche des Burgklosters in große Not kamen, weil neben
vielen anderen Brüdern auch ihr Koch der Pest zum Opfer fiel.
In ihrer Verlegenheit baten sie einen Laien, ihnen auszuhelfen,
und der erklärte sich auch bereit, für die Mönche zu kochen.
Da er ein beherzter Mann und bei den Ordensleuten schnell
beliebt war, ersuchten sie ihn, während einiger Nächte die
Wache mit ihnen zu teilen. Auch hierzu war er gern bereit.
Wie er nun in der zweiten Nacht wachte, glaubte er zum
offenen Fenster herein eine Stimme zu hören: »Bereite das Mahl
für die Brüder, die wandern wollen! « Zuerst sehr bestürzt, faßte
sich der Koch rasch und fragte, wieviele denn deren seien. »Es
sind sechsunddreißig«, erwiderte die Stimme.
Über diese Worte dachte der Koch noch eine Weile nach, dann
ging er zum Krankensaal. Da bot sich ihm ein seltsames Bild.
Sechsunddreißig Mönche standen in der Mitte des Saales, alle in
schneeweißen Gewändern, das Antlitz verhüllt.
Wenige Tage später starben in der Tat sechsunddreißig
Mönche an der Pest. Sie wurden auf dem gemeinsamen Friedhof
begraben.
-305-
Würfelspiel mit Gespenstern
-306-
Doch sollen die Seelen der Spieler noch heute keine Ruhe
haben und gelegentlich an die Wand pochen, namentlich wenn
Spieler zu lange beim Würfelspiel oder bei den Karten sitzen.
-307-
Sagen aus Hessen
-308-
Das Schicksalsstübchen auf dem Burgberg
-309-
Am nächsten Morgen waren die Knoten in lauter blanke
Dukaten verwandelt. So arm die Frau auch war, dies Geld legte
die sorgsame Mutter zurück; denn ihre Jungen sollten einmal
was Rechtes damit beginnen.
Solcherart hatten die Brüder bisher ein gleiches Geschick.
Aber sie waren doch allzu verschieden geartet. Der ältere strebte
einem ehrsamen Handwerk zu und lernte seinem Meister mit
Fleiß die Geheimnisse seiner Kunst ab. Der jüngere machte sich
lieber bequeme Tage. So kam die Zeit der Wanderschaft heran.
Der ältere ließ sein Vermögen zu Hause in Mutters Kasten, tat
sich fleißig in der Welt um, lernte noch manchen Kunstgriff in
seinem Handwerk dazu, war tüchtig und sparsam und kehrte
drei Jahre später geachtet als Meister zurück.
Der jüngere Bruder zog auch in die Welt, steckte aber das
Gold der Frau Holle in die Tasche, lebte auf großem Fuß und
hatte sein Geld bald in lustiger Gesellschaft vertan. Als er dann
unbelehrt zurückkam, dachte er: "Gleich gehst du wieder ins
Schicksalsstübchen und holst dir Nachschub," lief auf den
Burgberg, suchte in allen Winkeln die verborgene Kammer, rief
nach der Spinnerin und wollte und wollte nicht unbeschert
weichen. Als er aber gar nicht aufhörte mit seinem
Bettelgeschrei, knallte ihm plötzlich eine Backpfeife in das
Gesicht, daß ihm alle Sinne vergingen und er den Abhang
hinunterkollerte. Zu Hause erschien ein roter Fleck auf der
geschlagenen Wange; der wollte vor keiner Seifenlauge
vergehen und hat sich auch auf Kinder und Kindeskinder
fortgeerbt als ein Zeichen der Torheit.
-310-
Der Fluch des Fremdlings zu Gießen
Auf dem sogenannten Trieb bei Gießen, rechts von der Straße
nach Grünberg, sah man noch vor wenigen Jahren eine Fläche
von vielen Morgen, die mit Eichen bepflanzt war; aber
merkwürdigerweise hatten die Bäume alle keine rechte Kraft,
keinen frischen Saft, und ihre Wipfel waren dürr. Das war einem
Fluch zuzuschreiben, der auf den Bäumen lag.
Vor vielen, vielen Jahren, so berichtet die Sage, tauchte
nämlich ein fremder Mann in Gießen auf, der weinend und
wehklagend sein Weib und seine Kinder suchte. Damals muß
ein unglückseliger Rat In der Stadt geherrscht haben; denn
anstatt dem Manne in seiner Verzweiflung beizustehen,
beschuldigte man ihn, er habe Weib und Kinder getötet. Als er
die Tat bestritt und seine Unschuld beteuerte, wurde er auf die
Folter gespannt. Um von der Qual befreit zu werden, gestand er
im höchsten Schmerze, er habe es getan, was er in Wirklichkeit
nie ausgeführt hatte. Nach dem Geständnis wurde der Fremde
sofort auf den Richtplatz hinausgeführt. Bevor ihm dort,die
Augen verbunden wurden, beschwor er aufs neue seine
Schuldlosigkeit und rief: "Und zum Zeichen meiner Unschuld
werdet ihr sehen, wie diese Eichbäume von heute an gipfeldürr
werden; daraus mögt ihr dann erkennen und mir glauben, daß ihr
unschuldig Blut vergossen habt."
So starb der Fremdling und wurde unter dem Galgen begraben.
Wenige Tage nachher schon bewährte sich des Mannes
Unschuld auf eine erschütternde Weise; denn die von ihm
gesuchte Frau kam auf einmal mit ihren Kindern daher, um nach
dem vermißten Vater zu forschen. Da entstand große Trauer in
der Stadt. Man gab dem Hingerichteten sofort ein ehrliches
Begräbnis, der Frau und ihren Kindern aber wurde das
Bürgerrecht gewährt. Damit war aber die Tat nicht gesühnt. Und
als es Frühling wurde, da schlugen alle Bäume in und um
-311-
Gießen aus, nur die Eichen kränkelten, manche starben sogar ab,
und wie viele man auch nachpflanzte, nicht eine gedieh. So
schwer lastet der Fluch des Fremden auf diesen Bäumen.
-312-
Der Hexenritt bei Dieburg
Vor Münster bei Dieburg steht ein Kreuz, dort hatten drei
Burschen in der Walpurgisnacht drei Eggen zusammengestellt
und sich darunter versteckt, um die Hexen zu sehen. Diese
kamen wirklich nach einiger Zeit durch die Luft dahergeritten.
Neugierig starrten die Burschen den Hexenzug an, plötzlich
rief einer von ihnen den anderen zu: "Schaut, die alte Glasern ist
auch dabei!
Seht nur, wie spaßig sie daherreitet!"
Da hielt die alte Glasern an und schrie: "Ich hack, mein Beil in
den Eggenbalken." Zugleich ertönte ein Schlag, der Bursche
schrie laut auf, und seit dieser Zeit war er an einem Beine lahm.
Nun ging er zum Pfarrer und erzählte ihm alles. Dieser meinte:
"Ich weiß dir keinen anderen Rat, als dein Leid ein Jahr lang zu
tragen; aber komm am Abend vor der nächsten Walpurgisnacht
wieder zu mir, dann will ich dir sagen, wie dir geholfen werden
kann."
Als der Bursche im folgenden Jahr an dem bestimmten Abend
erschien, empfing ihn der Pfarrer: "Jetzt stelle die Eggen wieder
zusammen, wie sie im Vorjahr gestanden haben, lege dich
darunter, und wenn du die alte Glasern vorüberziehen siehst,
dann bitte sie dreimal um Gottes willen, sie möge dich von
deinem Übel befreien. "
Der Bursche tat, wie ihm der Pfarrer geraten hatte, und als er
zum drittenmal bat, sprach das Weib: "Hier hab, ich vor einem
Jahr mein Beil eingehackt, das will ich wieder mitnehmen." In
diesem Augenblick fühlte der Bursche einen Ruck in seinem
Bein, und von dieser Stunde an konnte er wieder gehen wie
früher.
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Die Erlösung suchende Jungfrau von Auerbach
Auf einer Wiese bei Auerbach unweit von Lorsch hütete einst
ein Knabe die Kühe seines Vaters. Wie er so müßig dastand und
an gar nichts dachte, fühlte er auf einmal einen sanften
Backenstreich von einer weichen Hand. Als er sich erschrocken
umwandte, stand eine wunderschöne Jungfrau vor ihm, ganz
weiß gekleidet, und redete ihn an. Aber der Bub tat vor Schreck
einen Schrei, als ob er am Spieße stäke, und rannte davon, nach
Auerbach zu.
Nach einiger Zeit war er wieder mit seinem Vieh auf jene
Wiese gezogen und stand in der heißen Mittagsstunde träumend
am Waldesrand. Da raschelte es am sonnigen Rain, als schlüpfe
eine Eidechse ins Gebüsch. Der Knabe blickte hin und sah eine
kleine Schlange, die eine blaue Blume in ihrem Mund trug und
zischte :
"Guter Junge, erlöse mich! Mit dieser Blume öffnest du im
alten Schloß Auerbach die verfallenen Keller und die Fässer voll
Gold, und alles ist dein. Nimm die Blume! Erlöse mich!"
Aber der Bub schauderte; er hatte all sein Lebtag noch keine
Schlange reden hören. Schleunig lief er davon, als ob der wilde
Jäger hinter ihm her wäre.
Als der Spätherbst kam, hütete er an der gleichen Stelle das
Vieh, und da empfing er wieder einen sanften Backenstreich und
sah im Umdrehen wie einst die weiße Jungfrau, die ihn flehend
ansprach:
"Erlöse mich! Erlöse mich! Ich will dich reich und glücklich
machen.
Du allein kannst es, nur du allein. Ich bin verwünscht
umherzuirren und kann nicht eher zur Seligkeit eingehen, bis
aus jenem Kirschkern, den ein Vöglein einst auf diese Wiese
fallen ließ, ein Kirschbaum groß gewachsen war, dann
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abgehauen und aus ihm eine Wiege gemacht ist. Das erste Kind,
das in dieser Wiege geschaukelt wird, kann mich erlösen, indem
es mit der blauen Blume, die ich in der Hand halte, zur Burg
hinaufgeht und dort die unterirdischen Schätze hebt. Du bist das
Kind, das in einer solchen Wiege gelegen ist."
Als der Bub diese Worte hörte, zitterte er, und es lief ihm
eiskalt über den Nacken; er bekreuzigte sich und schüttelte den
Kopf.
"Weh mir, wehe!" rief da die Jungfrau. "So muß ich wieder
hundert Jahre harren und wandeln; weh auch dir, weil du kein
Herz hast, darum sollst du auch keines finden!" Dann gab sie
einen lauten Schmerzensschrei von sich und verschwand.
Der Hirtenbub aber ging von diesem Tag an still und bleich
umher; er hat nicht mehr lange gelebt.
Dort bei Auerbach ist es auch sonst nicht geheuer. Über das
Flüßchen, den Auerbach, führt eine Brücke. Als einst ein Bauer
darüberschritt, hörte er im Wasser niesen, und zwar dreimal
hintereinander, und dreimal sprach er: "Helf dir Gott!" Plötzlich
stieg die Gestalt eines Knaben aus dem Wasser und rief: "Gott
danke dir, du hast mich erlöst. Darauf habe ich dreißig Jahre
gewartet."
Ein anderer Bauer hatte auch oberhalb der Brücke dreimal
niesen - hören, zweimal hatte er "Helf dir Gott!" gerufen. Weil
aber niemand einen Dank zurückrief, schrie er beim drittenmal :
"Hol dich der Teufel!" Da ist das Wasser aufgewallt, die Fluten
erfaßten den scheltenden Bauern, und dann ist es ringsum
wieder ganz stille geworden. Seit diesem Tage hat man nichts
Ähnliches mehr von der Auerbacher Brücke gehört.
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Die Jungfern von Döngessee
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Die Moorjungfern auf der hohen Rhön
Wo jetzt auf der Hohen Rhön das Schwarze Moor liegt, erhob
sich vor undenklichen Zeiten eine schöne Stadt, die später in die
Erde versank, weil die Einwohner ein gottloses, lasterhaftes
Leben führten. An Stelle der Stadt breitete sich ein
unergründlicher, tiefer schwarzer See aus, der aber nach und
nach bis auf einige dunkle Löcher von einer dichten Moordecke
überzogen wurde. In der Tiefe des Moores jedoch ist das Leben
noch nicht erstorben.
Wenn die Bewohner des versunkenen Ortes nach ihrer Kirche
eilen und dort reuevoll um Vergebung beten, dann braust es im
Moor gewaltig, und schwarzes, schlammiges Wasser gärt aus
dem Boden.
Manche, die sich am Rande des Moores niederlegten, um in
die Stille der Landschaft zu horchen, haben bisweilen noch die
Turmuhr schlagen und die Hähne aus der Tiefe krähen hören.
Nur drei Jungfrauen aus dem versunkenen Ort durften
manchmal aus der schlammigen Tiefe des Moores
emporkommen. Sie wurden in der Umgegend die Moorjungfern
genannt und erschienen regelmäßig beim Kirmestanz in
Wüstensachsen. Als sie aber dort einmal über die Zeit
zurückgehalten wurden, verließen sie traurig den Tanzplatz, und
am andern Morgen war einer der Teiche blutrot gefärbt.
Die Moorjungfern hat seitdem niemand mehr auf der Kirmes
gesehen. Sie schweben nur noch zur Nachtzeit mit anderen
Bewohnern der versunkenen Stadt als Irrlichter über dem
geheimnisvollen Moor.
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Doktor Aphrasterus
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bald das Goldmachen, das Verwandeln und viele andere
zauberhafte Dinge, die ihn zu einem reichen, angesehenen Mann
machten. Eine Kunst, die er jetzt wußte, war ihm besonders lieb:
er konnte sich nämlich gegen alles Gift sichern und dadurch am
Leben erhalten. Oft sagte er zu seinem Diener: "Es gibt nur ein
Gift, das mich töten kann, das ist das Magnetgift."
Lange Zeit lebte Doktor Aphrasterus hoch angesehen in Ruhe
und Frieden. Doch eines Tages kam ein anderer Zaub erer in die
Stadt, mit dem er bald in Streit geriet. Da suchte der Fremde ihn
auf alle mögliche Art zu vergiften, aber Aphrasterus lachte
darüber, trank und aß all das Gift wie den besten Wein und die
schmackhafteste Speise. Endlich, als kein Mittel dem Doktor
ans Leben ging, brachte ihm sein Gegner heimlich, ohne daß der
Doktor etwas davon merkte, das Magnetgift bei. Aphrasterus
spürte es bald in seinen Eingeweiden; da griff er zu seiner
Pistole, lud sie mit einer Kugel und schoß sie durch das Fenster
ab. Sodann rief er seinen Diener und sprach:
"Lauf schnell an das andere Ende der Stadt, wo der Zauberer
wohnt, und frage, wie es ihm geht."
Der Diener eilte so rasch er konnte und brachte die Antwort
zurück, der Zauberer sei von einer Kugel getroffen worden, man
wisse aber nicht, wer es getan habe.
"Ich will dir sagen, wer es war: ich hab's getan", sprach
Aphrasterus und gab dem Diener seine Zaubermixturen mit dem
Befehl sie in den Rhein zu werfen, denn er fühlte sich seinem
Ende nahe.
Der Diener ging wohl an den Rhein, warf aber die Gläser nicht
ins Wasser, sondern steckte sie ein, um später von der Kunst
seines Herrn zu profitieren.
Als er zurückgekehrt war, fragte der Doktor: "Hast du alles ins
Wasser geworfen? "
"Ja", antwortete der Diener."
"Was hast du denn an dem Wasser bemerkt?"
-319-
"Nichts", sagte der Diener."
"Willst du wohl schnell die Gläser ins Wasser werfen, oder
möchtest du, daß ich dich erschieße, wie ich jenen Zauberer
erschossen habe?"
rief der Doktor in höchstem Zorn.
Da lief der Diener, was er laufen konnte, an den Rhein und
warf die Gläser in das Wasser, das sogleich unruhig wurde und
gewaltige Wellen zu schlagen begann. Als der Mann dies
seinem Herrn meldete, lobte er ihn und schenkte ihm soviel
Geld, daß der Diener auf Lebenszeit genug daran hatte. Zwei
Stunden später hatte Doktor Aphrasterus sein Leben beendet.
-320-
Frau Holles Gericht über den Honighof am
Hirschberg
-321-
Ruhe lag über dem ganzen Hause. Da schlurfte ein altes,
zerlumptes Mütterchen den Wiesenpfad heran. Mühsam stützte
es sich auf die Krücke, reckte die dürre Bettelhand aus dem
dürftigen Ärmel und keuchte zum Erbarmen.
Das Mädchen stellte den Korb beiseite, strich sich die Schürze
glatt, lief flink in das Haus und schnitt ein stattliches Stück vom
Brotlaib herunter; dann gabelte sie eine Wurst aus dem
Rauchfang. Dieses Frühstück trug sie der Alten zu.
"Lohn's Gott!" stammelte die Alte - da stand auch schon der
Bauer mit seinen Söhnen im Hof. Brennend rot vor Zorn schlug
er der Tochter mit der Faust ins Gesicht. Dann rannte er in den
Stall, löste den Bluthund und hetzte ihn auf das zitternde
Weiblein.
"Pack dich, pack dich, die Wegweiser beißen!" schrie er
hohnvoll.
Aber der Köter zog den Schweif ein, winselte jämmerlich und
duckte sich furchtsam zu Boden. Im selben Augenblick löste
sich die Fremde in wirbelnden Rauch auf, flog hoch und immer
höher, bis an den Himmel, wo sie sich in einem Wolkenballen
verlor. Die Sonne verdunkelte sich vor dem schwarzen Gewölk,
das sich einem Sargdeckel gleich über das fruchtbare Tal legte.
Aus dem Schatten aber zuckten Blitze, krachten die Donner, als
solle der ganze Hirschberg bersten. Ein Blitz zündete, und die
lohende Flamme fraß um sich, bleckte, schmatzte und prasselte
im Gebälk. Wie goldener Schnee stoben die Feuerflocken im
Sturmwind daher, zernagten die stolzen Giebel, fraßen das
Holzwerk, und bald war der ganze Honighof ein glühende s
Flammenmeer, das den geizigen Bauern und seine Söhne unter
den stürzenden Trümmern begrub.
Als die Nachbarsleute mit Leitern und Eimern kamen, den
Brand zu löschen, fanden sie nur noch glosende Trümmer und
Asche und Rauch vor, Frucht, Vieh und Menschen waren
-322-
verbrannt; aber unter dem Birnbaum lag friedlich schlummernd
die Tochter des Bauern.
Neben ihr stand eine weiß gekleidete Frau, aufrecht und
streng. Sie hielt die Hände schützend über das Mädchen
gebreitet, daß alle Funken von ihr wichen. Als aber die Bauern
näher traten, da löste sich die Gestalt in Wolken und Rauch auf.
Nun wußten die Leute, dies war Frau Holles Gericht über den
Honighof.
Der Ort blieb völlig öde, kein Mensch wollte auf der
verfluchten Stelle mehr bauen, auch nicht die Tochter, die allein
von der Sippe noch am Leben war. Sie zog in das Dorf, wo sich
ein ordentlicher Bursche um sie bewarb. Dort hatte sie eine
glückliche Mutterhand, und auf allem, was sie berührte, lag
Segen. Denn sie blieb ihrem Herzen treu bis an ihr seliges Ende.
-323-
Rodenstein und Schnellerts
-324-
In der schlichten Volksüberlieferung aber wird der Ritter meist
"Schnellertsherr" genannt. Von ihm erzählt die Sage :
Viele Wanderer, die den Schnellerts bestiegen, hörten dort
einen lieblichen Gesang, und zwar waren es gewöhnlich
Kirchenlieder, die sie vernahmen. Diese Töne schienen aus dem
Berg zu kommen, doch ist es nie jemand gelungen, in das Innere
des Berges zu dringen.
Oft krähte auf dem Gipfel des Berges, da, wo die Ruinen der
Burg sich erheben, dem Menschen unsichtbar, der Hahn, und
dieser ungewöhnliche Schrei auf Bergeshöhen hat schon
manchen sehr erschreckt. So waren einmal Leute zu einer
Holzversteigerung droben versammelt, und eben bot der Förster
eine Fuhre aus, als der Hahn krähte. Großer Schrecken fuhr den
Bietern in die Glieder, im Nu war der Platz leer, und selbst der
Förster hatte nicht den Mut zu bleiben.
Ein Förster in Stierbach erwartete eines Tages seinen
Vorgesetzten zu einem forstlichen Geschäft. Da tiefer Schnee
lag und der Oberförster lange auf sich warten ließ, glaubte der
Förster zuletzt, sein Vorgesetzter werde nicht kommen, und ging
nach Hause. Dort schaute er noch ein paarmal durch das Fenster,
von dem aus man eine Seite des Berges übersehen konnte, und
bemerkte endlich einen Reiter der auf dem gewöhnlichen
Burgweg ritt. Im festen Glauben, es sei der Oberförster, warf der
Förster die Büchse um und eilte dem Reiter entgegen. Doch zu
seinem größten Erstaunen sah er ihn nicht mehr, fand auch nicht
die geringste Spur eines Pferdehufes im Schnee. So blieb für ihn
kein Zweifel, daß er den Berggeist von Schnellerts gesehen
habe.
Eine Frau aus der Haal, einem Hof in der Nähe des Schnellerts
ging spätabends noch außerhalb des Hauses umher. Da kam es
ihr vor, als ob sie jemand stark anhauche. Als sie sich
umschaute, bemerkte sie, daß sie unter dem Hals eines Pferdes
stand, auf dem ein Reiter saß.
-325-
In ihrer Angst betrachtete sie weder Pferd noch Reiter näher,
sondern lief in die Stube zurück. Hier sagten ihr die Hausleute,
es habe soeben dreimal derart an einen Pfosten geschlagen, daß
die Fenster klirrten. Dies pflege der Schnellertsgeist zu tun,
wenn er durch die Haal fahre. Als die Leute herausliefen,
gewahrten sie nichts mehr, hörten aber am andern Morgen, wie
der Geist, vom Rodenstein kommend, auf den Schnellerts
zurückfuhr.
Die Hofreite in Brensbach, durch die der Geist aus dem
Schnellerts seinen Zug genommen haben soll, liegt im obern
Teil des Ortes. Der Besitzer der Hofreite, durch dessen Scheuer
der Berggeist zu ziehen pflegte, beabsichtigte einmal, am
Morgen vor Tagesanbruch über Feld zu fahren. Er bat daher
seine Frau, sie möge früh aufstehen, um ihm sein Frühstück zu
bereiten. Als er dann am andern Morgen auf dem Weg zum
Pferdestall durch die Küche ging, sah er zu seiner
Verwunderung ein großes Kohlenfeuer auf dem Herd.
Nachdem er die Pferde gefüttert hatte, mahnte er seine Frau,
jetzt aufzustehen, da sie noch Feuer genug auf dem Herd habe.
Als aber die Frau aufgestanden war und die Morgensuppe
kochen wollte, fand sie keinen Funken Feuer mehr vor. Die
frische Glut, die der Bauer gesehen hatte, stammte von dem
wilden Heer, das in der Nacht in der Küche gewirtschaftet hatte.
Es war gar nichts Seltenes, daß die Geister nachts in diese
Küche einkehrten, Kessel über das Feuer hingen und kochten,
weiters auch Schüsseln und Teller nahmen und Mahlzeit hielten.
So trieb es der wilde Geisterzug zwischen Schnellerts und
Rodenstein lange Jahre, und das Volk weiß noch heute manches
darüber zu erzählen.
-326-
Sagen aus Mecklenburg
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Böser Mainachtzauber bei Schwerin
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daumenlange Geschöpfe standen zu seiner Aufwartung bereit.
Bald hatten sie ihn mit allem versehen, und er brauchte nur
zuzugreifen. Der Bote nahm Messer und Gabel zur Hand, aber,
siehe da! er vermochte sie nicht zu heben obgleich sie nur die
gewöhnliche Größe hatten. Das verdroß ihn, und schon wollte er
sich entfernen, da nahte sich ihm ein altes, häßliches Weib, das
dem Anschein nach aus seinem Dorf war, und raunte ihm ins
Ohr:
"Der dir gegenübersitzt, hindert dich daran, Messer und Gabel
zu gebrauchen. Speie ihm ins Gesicht, und es wird dir
gelingen! "
Kaum hatte der Mann dies getan, als ihn plötzlich ein
Sturmwind faßte und ihn den Berg hinunterwarf, daß er fast die
Glieder gebrochen hätte. Reisende, die an der Stelle
vorüberkamen, fanden ihn und brachten ihn in die nächste Stadt,
wo er lange krank lag. In der Folgezeit ging der Bote stets mit
geheimem Grauen an dem Gehölz vorüber, vor allem aber
hütete er sich, diesen Weg zur Nachtzeit zu betreten.
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Das Petermännchen von Schwerin
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Schloß eingetroffen war und alles besichtigt hatte, gefiel es ihm
so gut, daß er sich dort häuslich einzurichten gedachte. Aber er
hatte nicht mit der Feindseligkeit des Petermännchens
gerechnet. Sobald sich der große Feldherr ermüdet zur
nächtlichen Ruhe begeben hatte, plagte und zwickte ihn der
Hausgeis, die ganze Nacht hindurch. Bald warf er die Stühle um,
bald zog er dem Schläfer die Bettdecke weg und fegte damit im
Zimmer herum. Der ohnehin sehr abergläubische Herzog
befürchtete ein Unglück und rief seinen Sterndeuter und
Vertrauten Seni. Obwohl dieser den Feldherrn beruhigte, so ließ
sich der Friedländer doch sein Nachtlager in einem andern
Flügel des Schlosses bereiten.
In der nächsten Nacht erwachte Wallenstein aus tiefem Schlaf.
Im Gemach ließ sich ein gleichmäßig schnarrendes Geräusch
hören. Das Mondlicht flutete in den Ra um; bei dessen
unsicherem Schimmer gewahrte der erschrockene Herzog, wie
sich das Petermännchen ihm mit drohend gezücktem Schwert
näherte. Wallenstein streckte wie zum Schutz der Erscheinung
den Arm entgegen. In demselben Augenblick löste sich das
große Bild des rechtmäßigen Herzogs, das über dem Bett an der
Wand hing, vom Nagel los und begrub den Feldherrn unter sich.
Petermännchen aber verschwand hohnlachend.
Wallensteins Diener, durch den Angstruf seines Herrn
aufgeschreckt, stürzte herein und befreite seinen Herrn von der
Last des Bildes.
Schon am nächsten Tag verließ Wallenstein Schwerin und
betrat das verwünschte Schloß nie wieder.
Schlechtigkeiten ließ das Petermännchen auf keinen Fall
ungestraft hingehen. Einmal wurde im Schloß ein bedeutender
Diebstahl an Schmucksachen verübt. Der Verdacht fiel auf einen
alten Diener, der sofort ins Gefängnis geworfen wurde. Nur
Petermännchen kannte den wahren Täter. Er besuchte daher den
unschuldigen Häftling, tröstete ihn und brachte ihm gute Speisen
und warme Decken. Dem Dieb aber setzte er übel zu und riß von
-331-
den gestohlenen Sachen ein Stück nach dem andern aus der
Tasche und streute sie hinter ihm her, so daß andere Leute es
sahen und die Wahrheit bald ans Tageslicht kam.
Daß das Petermännchen Standhaftigkeit, Fleiß und Treue
belohnte, erfuhr auch ein junger Gardist, der in den inneren
fürstlichen Gemächern Wache hielt. Mit großen Augen
betrachtete der arme Soldat die vielen Kostbarkeiten, die in den
Räumen herumstanden.
Gern hätte er sich das eine oder andere Stück angeeignet. Das
Petermännchen beschloß, die Treue und Ehrlichkeit des jungen
Kriegers einmal auf die Probe zu stellen. Der Kleine erschien
daher plötzlich in dem Zimmer und redete dem Soldaten, der
zunächst nicht wenig erschrak, mit eindringlichen Worten zu,
doch einige der schönen Sachen in die Tasche zu stecken und
mit sich nach Hause zu nehmen; niemand werde es merken. Der
junge Mann aber weigerte sich entschieden und war trotz allem
Zureden nicht zu bewegen, das Geringste zu entwenden,
vielmehr forderte er seinen Versucher auf, ihn in Ruhe zu lassen
und sich zu entfernen. Das Petermännchen freute sich herzlich
über die Festigkeit und Treue des Soldaten; es belohnte ihn
deshalb und bat ihn zugleich, sobald er abgelöst sei, ihm einen
Gefallen zu erweisen; dabei sei gar keine Gefahr zu befürchten,
wohl aber ein schöner Verdienst zu erwarten. Der Soldat
willigte ein und trat, sobald er frei war, mit seinem
merkwürdigen Begleiter eine seltsame Wanderung an.
Der Zwerg führte ihn durch mancherlei unterirdische Gänge
und Gemächer, die er mit einem Schlüssel öffnete, den er an
seinem Gürtel trug. Zuletzt machten sie in einem großen Saal
halt. Hier reichte das Petermännchen dem Gardisten ein altes
Schwert und sprach zu ihm: "Sieh hier dieses Schwert! Ein
Ahnherr des Wendenfürsten Niklot stieß es in blinder Wut
einem alten Priester des Christengottes ins Herz. Unschuldiges
Blut klebt an der Waffe und wird so lange dran haften, bis es der
Hand eines reinen Christenjünglings gelingt, die Klinge vom
-332-
Blut zu reinigen. Du weißt ja mit Waffen umzugehen; mach mir
das Schwert blank, ganz blank; dort auf dem Tisch findest du
alles, was zu deinem Werk erforderlich ist."
Der junge Mann machte sich sogleich an die ihm vertraute
Arbeit, die ihm auch vortrefflich von der Hand ging; denn bald
blitzte und funkelte die alte Waffe, daß es eine rechte Freude
war. Nur ganz unten an der Spitze des Schwertes haftete noch
ein Rostflecken.
Deshalb fing der Soldat aufs neue zu putzen an, um auch
diesen zu beseitigen. Mit sichtlicher Freude sah das kleine
Männchen dem eifrigen Bemühen des Jünglings zu, dem es
schließlich gelang, auch den letzten Flecken bis auf einen
winzigen Punkt zu entfernen.
"Nur noch eine kleine Weile, mein Sohn!" rief das
Petermännchen aufmunternd dem Krieger zu. - Plötzlich krachte
ein gewaltiger Donnerschlag, der Geist versank in die Erde, dem
Soldaten aber schwanden die Sinne. Als er später, wie aus einem
Traum erwachend, wieder zu sich kam, befand er sich allein
wohl und gesund im Schloßhof. In seiner Tasche aber fühlte er
etwas Schweres; es waren drei Stangen reinen Goldes, der Lohn
des guten Petermännchens für den ihm geleisteten Dienst.
-333-
Das Riesenkönigsgrab bei Melkhof
-334-
alles in bester Ordnung vor sich gegangen. Keiner der
Schatzsucher hatte ein Wörtchen gesprochen, und kein Hund mit
tellergroßen Augen oder ein anderes gespenstisches Wesen hatte
sie gestört. Die Bauern erfaßten die Taue und Hebel, ein
kräftiger Ruck folgte, und der Schatz begann sich zu heben - da
erschien der leibhaftige Teufel.
"Dat is min un blift wo't liggt!" sagte er kurz und herrisch.
"Dreck is din!" gab ihm ein naseweiser Bursche zur Antwort.
Das war aber, was der Beelzebub gewollt hatte, das
vereinbarte Schweigen erschien unterbrochen.
Sarg und Teufel verschwanden, die Grube stürzte krachend
ein.
Es ist das letzte Mal gewesen, daß Schatzgräber versucht
haben, den dreifachen Sarg des Riesenkönigs zu heben.
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Das spukhafte Weib zu Rittermannshagen
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endlich die Sache zu bunt. Er schnürte sein Bündel, nahm den
Wanderstab und reiste in die weite Welt hinaus.
Die beiden andern Müllergesellen aber blieben von dem
nächtlichen Spuk verschont.
-337-
Der Pfingsttänzer von Kessin
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Bald darauf lag ein Haus vor ihnen, das verschlossen schien.
Der, Lange meinte wiederum: "Wie willst du da
hineinkommen? "
"Du wirst mir jedenfalls nicht aufmachen!" erwiderte der
Bursche und klopfte ans Fenster.
Im Stübchen zündete eine alte Frau Licht an, humpelte zur Tür
hin und schloß auf. Das war die Mutter des Burschen. Sie hieß
ihren Sohn freundlich willkommen. Der Fremde war
unaufgefordert mit in die Stube hineingegangen. Da sagte der
Bursche zu seiner Mutter :
"Ach, Mutter, da ist ein fremder Mann, dem ist nicht recht
wohl; geht doch zum Nachbarn hinüber, zum Herrn Pastor, und
sagt, er möge gleich kommen und den Fremden mit Gottes Wort
trösten. "
Da zuckte es dem Langen durch Mark und Bein; er hörte auf,
lang zu sein, wurde immer kleiner und kleiner, und endlich
kroch er wie ein Mäuslein unten durch die Türspalte ins Freie,
und - weg war er.
Der Knecht und seine Mutter aber dankten Gott, daß sie diesen
unheimlichen Gast losgeworden waren, der dem Burschen auch
nie wieder unterkam.
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Der Werwolf von Klein-Krams
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dessen Schwanz unter der Bettdecke hervorragte. Der Werwolf
war niemand anderer gewesen als Feegs Großmutter. Sie hatte
in ihrem Schmerz vergessen, den Riemen abzulegen, als sie ins
Bett kroch, und hat so ihr Geheimnis verraten.
Seit dieser Zeit hatte die Werwolfsplage in Klein-Krams ihr
Ende gefunden.
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Der gefangene Teufel von Dreilützow
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der Teufel nimmer hält, was er verspricht. Er wurde mit dem
Sack in die Grube geworfen, und eine Schaufel voll Erde nach
der andern fiel auf den Sack, bis die Grube ganz ausgefüllt war.
Da steckte nun der Teufel im Sack, und über ihm türmten sich
wohl acht Fuß Erde.
Wie lange er darunter gelegen ist, wird nicht erzählt, aber die
Gegend um Dreilützow hat der Teufel von da an gemieden.
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Die Himmelfahrtstänzer vom Tannenkrug bei
Dassow
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Die Kaienmühle bei Rostock
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Geld für die Beerdigung in seiner Rocktasche trage, war er
verschwunden.
Am andern Morgen erzählte der Geselle seinem Meister den
Vorfall.
Sie gruben an der bezeichneten Stelle nach und fanden auch
bald den Leichnam, der deutliche Merkmale eines gewaltsamen
Todes an sich trug. In der Rocktasche steckte ein Louisdor, von
dem sich die Kosten des Begräbnisses auf dem Biestower
Friedhof leicht bestreiten ließen.
Seit dieser Zeit wurden die Müller auf der Kaienmühle von
keiner Erscheinung mehr belästigt.
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Die Unterirdischen im Lindenberg bei Penzlin
Nahe bei Penzlin lag ein Hünengrab. Einst kamen zwei Leute
aus Zahren, die von Penzlin heimkehrten, bei dem Grab vorbei.
Der eine von ihnen hatte sehr großen Durst und wußte sich nicht
zu helfen, weil auf dem Wege von Penzlin nach Zahren kein
Wirtshaus und auch keine Quellen anzutreffen waren. Als er
sich nun dem Lindenberg näherte, hörte er drinnen eine
prächtige Musik, als ob zum Erntebier aufgespielt würde, und
zwischen dem Gebüsch schien Licht zu blinken. Weil der Mann
wußte, daß in dem Berg Unterirdische wohnten und die Leute
der Oberwelt damals noch auf vertrautem Fuß mit den Kleinen
im Berg drunten lebten, so dachte er, hier könntest du wohl
etwas für den Durst bekommen.
Während nun sein Gefährte weiterwanderte, ging er um den
Berg herum, um den Eingang zu suchen. Als er aber sah, daß all
sein Bemühen vergeblich sei, rief er dem lustigen Völklein
drinnen laut zu: "Heft ji nich eens to drinken, mi döst't ok gor to
dull."
Kaum hatte er dies gesagt, als auch schon ein kleiner Mann
mit einem prächtigen Krug neben ihm stand und ihm freundlich
zu trinken bot.
"Da", sagte er, "drink, äwer kik jo nich in den Kroog!"
Der Mann aus Zahren ließ sich dies nicht zweimal sagen, und
es schmeckte ihm gar köstlich, denn in dem Krug war ein feiner
Trunk von köstlichem Geschmack. Während er aber so trank,
flüsterte ihm der Versucher zu: "Lauf mit dem Krug davon, es
gibt seinesgleichen nicht, und mit dem Kleinen da wirst du
schon fertig werden. "
Als sich der Mann nun umsah und nur den einen Zwerg
gewahrte, lief er, da er nichts Arges ahnte, mit dem Krug davon.
Aber der Unterirdische erhob sofort ein großes Geschrei, und
gleich wimmelte die ganze Schar der Kleiden aus dem Berge
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heraus und hinter dem Spitzb uben her. Aber so eilig auch die
Bestohlenen trippelten, ihre kurzen Beinchen vermochten doch
nicht, mit den langen und schnellen Läufen des Diebes Schritt
zu halten, geschweige denn, ihn einzuholen.
Es war indes einer unter den Zwergen, der hatte zwar nur ein
Bein, als er aber rief: "Een Been loop!", da griff er mit dem
einen Bein wacker aus, war bald seinen Genossen weit voraus
und setzte dem Räuber heftig nach. Er war ihm auch schon
ziemlich nahe; denn seine Gefährten feuerten ihn fortwährend
an und schrien: "Brooder Eenbeen, lop doch!"
Als sie aber dicht vor Zahren an den Kreuzweg kamen und der
Einbeinige den Flüchtling fast schon eingeholt hatte, sprang der
Verfolgte mit einem Satz über den Weg und war in Sicherheit,
denn darüber hinaus durfte ihm der Einbeinige aus der
Unterwelt nicht folgen. Als der Zwerg nun sah, daß sein Schatz
für immer dahin sei, rief er dem Entkommenen nach: "Du magst
den Krug nun behalten und immerfort daraus trinken, denn er
wird nie leer werden, aber hüte dich hineinzusehen!"
Der Mann, froh, seinen Raub geborgen zu haben, eilte nun
heim und bewahrte das wunderbare Gerät sorgfältig auf. Es war
so, wie "Bruder Einbein" gesagt hatte. Er konnte daraus trinken,
so oft er Durst hatte, und trank auch fleißig, ohne Schaden zu
leiden, vielmehr bekam ihm der Trunk außerordentlich gut. Als
es aber den Krug schon viele Jahre gebraucht hatte, plagte ihn
doch einmal die Neugierde, er blickte in das Gefäß und sah auf
dem Grunde - eine große, häßliche Kröte. Nun war aber auch
alles aus. Die Kröte war mit einemmal verschwunden, der Krug
war leer, der Mann aber siechte in kurzer Zeit elend dahin.
Die älteren Bewohner der umliegenden Dörfer halten die
Umgebung des Lindenberges noch immer für nicht recht
geheuer. So soll es vielen Leuten besonders zur Nachtzeit dort
nicht gut ergangen sein; sie verirrten sich, obwohl sie den Weg
genau kannten. Die Unterirdischen waren auf die Menschen
böse.
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Die Wundereiche bei Stäbelow
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Die rote Ilse von Parchim
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Hexe blutend unter einem Baum. Mit ihren blutunterlaufenen
Augen und dem zahnlosen Mund grinste sie den Schäfer auf
abscheuliche Weise an. Dieser aber band ihr die Hände und
führte sie in die Stadt. Das Gericht sprach das Urteil: Ins Feuer
mit ihr!
Als die Hexe aber zum Scheiterhaufen geführt wurde,
versuchten ihre Hexenschwestern, sie noch zu retten. Schon war
der Holzstoß auf allen Seiten angezündet, da fiel plötzlich ein so
starker Regenguß, daß das Feuer schnell erlosch. Doch der
Schäfer wußte auch hier Rat. Er gebot, eine Bibel
herbeizuschaffen. Sobald diese dem Weib unter die Füße gelegt
war, loderte das Feuer wieder gewaltig empor und hatte bald den
Holzstoß samt der Hexe verzehrt.
Die Bibel aber wurde nachher wieder unversehrt aus der
Asche hervorgezogen.
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Teufelsbesuch in Großen- Methlind
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bückte sich, um es aufzunehmen; da erblickte sie an den Beinen
des Fremden einen Pferdeund einen Hühnerfuß! Erschrocken
eilte sie zur Hausfrau hinaus; diese meldete es dem Manne. In
aller Eile wurde der Geistliche des Dorfes geholt. Dieser kam,
die Bibel unter dem Arme.
Doch höhnisch rief ihm der Fremde entgegen: "Was willst du
von mir? Dich kenne ich. Du stahlst als Knabe deinem
Mitschüler ein Messer."
Der Geistliche wich beschämt und verwirrt zurück, der
Fremdling aber ließ sich unter vielen Gotteslästerungen das
Mahl weiter gut schmecken.
Inzwischen ließ man im Wagen auch den Geistlichen aus dem
nahen Brudersdorf holen. Dieser betrat mit der Bibel in der
Hand die Stube.
"O weh, o weh!" begann der Fremde zu jammern und starrte
bedrückt in eine Ecke der Stube, "erbarme dich meiner!"
"Du kommst mir nicht anders aus dieser Stube hinaus", sprach
der Geistliche, "als durch diese Tür und bei dieser Bibel vorbei. "
Plötzlich erhob sich draußen im Hof ein Tosen, als ob ein
Sturm sich erhebe. Ein blauer Nebel sammelte sich über dem
Hause. Den Leuten wurde bange, und sie baten die Geistlichen
um ihre Hilfe.
"Nun", rief einer der beiden, "so öffnet das Fenster! Fahre aus,
du böser Geist!"
Da fuhr's mit gewaltigem Krachen hinaus wie ein Sturmwind;
das Fenstergebälk war ausgerissen, der Nebel verschwunden,
und auf dem Scheunengiebel, dem Haus gegenüber, saß der
Böse und stieß ein gellendes Lachen aus. Dann war er
verschwunden.
Der einstens so geizige Pächter aber wurde von dieser Zeit an
ein frommer Mann.
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Sagen aus Niedersachsen
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Camper Stör
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Das Bullenmeer im Saterland
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Das Riesenfräulein von der Lauenburg bei Heyen
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Das Steenhuus bei Bunde
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Das Unwetter
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"Öffne aber die Schachtel nicht eher, als bis du in Harmsdorf
ankommst. Sonst wird das Unwetter schon vorher
herausfliegen. "
Der Knecht bezahlte die hundert Mark und machte sich mit
seinem Unwetter auf den Heimweg. Unterwegs blieb er stehen
und holte die Schachtel aus der Tasche. Er hielt sie ans Ohr und
hörte es drinnen schnurren und brummen.
I, dachte er, wo schull so'n Unwedder wul utsehn? Muß doch
einmal tokiken. Er öffnete die Schachtel ein klein wenig, und
brr! schnurrte der Brummer heraus. Erst brummte er dem
Knecht ein paarmal um den Kopf herum, und dann war er weg.
Der Knecht lief hinterdrein und rief und winkte. "Na
Harrnsdörp to!
Na Enhus nich! Man ümmer na Harmsdörp to!"
Als der Knecht zu Haus ankam, fragten ihn die Bauern
sogleich, ob er das Unwetter bekommen hätte.
Ja", sagte er, "kregen heff ick wat. Awer dat's mi ünnerwegens
weg flagen. Ers wull't na Enhus to. Aber ick röp immerlos
achteran. Un do kreg dat toletz den Dreih hier na Harmsdörp to."
Der Knecht war noch gar nicht lange zu Hause, da zog es
schwarz herauf, blitzte und wetterte und begann ganz gefährlich
zu regnen.
Und es regnete und regnete einen Tag nach dem andern und
wollte gar nicht mehr aufhören.
Da meinten die Harmsdorfer, so viel Unwetter hätten sie für
ihre hundert Mark nicht nötig gehabt. Und wenn noch mal eine
solche Trockenheit über sie käme, dann wollten sie nicht mehr
als fünfzig Mark anwenden.
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Das liebe Brot
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Das taube Tal bei Winkel an der Aller
Nahe den grünen Wiesen der Aller liegt unweit des Dorfes
Winkel zwischen Gifhorn und Brenneckenbrück ein Tal, das ist
öd und unbewohnt. Rundumher hält die Heide den Sand fest,
und das Moos bändigt ihn; in dem "tauben Tal" aber liegt der
Sand lose da oder fliegt, wie der Wind es will. Mehr als einmal
hat der Förster Föhre und Birken dort gepflanzt, um den Sand an
Ort und Stelle zu bannen, es ist aber nichts von den jungen
Setzlingen übriggeblieben. Sie wuchsen ein Weilchen
kümmerlich fort und gingen dann ein. Denn das Tal ist verflucht
für immerdar, weil unschuldig Blut dort geflossen sein soll.
Kein Bauer geht zur Nachtzeit gern daran vorbei.
Gesichter von Verstorbenen umschweben den Mensche n, der
dies Tal betritt, und unheimliche Schatten folgen ihm.
Ein Knecht, der an Gott und den Teufel nicht glaubte und ein
heimlicher Wilderer war, paßte in einer hellen Nacht dort auf
einen weißen Rehbock, der sich in dem Tal aufhielt. Das Tier
stand dicht vor ihm, und der Mann schoß zweimal auf das Blatt,
ohne daß das Tier umfiel. Als er von neuem geladen hatte und
anlegte, sahen ihn zwei Menschenaugen so böse an, daß er keine
Kraft mehr in den Armen fühlte, sein Gewehr fallen ließ und
Hals über Kopf davo nlief.
Wie er am andern Mittag seine Waffe wieder holen wollte,
war der Lauf durchgebrochen.
Wenn es lange gestürmt und geregnet hat, gibt der Sand im
Umkreis der vielen hundert kleinen Hügel, die in dem Tale
liegen und wie verwahrloste Grabstätten aussehe n, schwarze
Scherben; von Aschenurnen und zerbröckelte Backsteine frei,
auch hat man gelegentlich eine vom Rost zerfressene
Speerspitze und einen silbernen Armring gefunden. Ein
Gelehrter, der sich auf solche Dinge verstand, ließ einige der
Hügel abgraben, fand aber lange nichts von Bedeutung, bis er
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schließlich auf einen Kranz von Steinen stieß. Voll Eifer grub er
drauf los, achtete nicht auf die Zeit und arbeitete bis in die Nacht
hinein. Da hörte er plötzlich hinter sich jämmerlich husten, und
als er sich umsah, stand ein uralter, in Lumpen und Fetzen
gehüllter Mann hinter ihm, der ihn um eine kleine Gabe bat. Der
Forscher warf ihm: ein Stück Geld in den Hut.
Aber als sich der Alte mit einem Händedruck verabschieden
wollte, kam dem Gelehrten der Bettler so schmierig vor, daß er
ihm die Grabscheitkrücke und nicht die Hand reichte. Das war
sein Glück; denn der Bettler war nicht von dieser Welt, und
seine Teufelsfinger brannten tief in den Spatenstiel hinein.
Einmal gerieten zwei junge Leute, die nachts durch die Heide
gingen und vom Wege abkamen, in das taube Tal, gerade als die
zwölfte Stunde schlug. Es war Mondschein, und bald erkannten
sie mit Schrecken, daß sie an dem Ort waren, vor dem man sie
in Brenneckenbrück gewarnt hatte. Als die jungen Leute so
dastanden und nicht wußten, wohin sie sich wenden sollten, kam
ein Mann gelaufen, der mit den Händen Raben abwehrte, die
nach seinem Kopf hackten; er rannte quer über die Blöße nach
dem kleinen See hin, der hinter den Föhren liegt, und stürzte
sich mit einem lauten Schrei dort hinein. Zu gleicher Zeit
erklang ein Hohngelächter in der Luft, ein glühendes Rad flog
über die beiden hin, kreiste über dem Wasser und zersprang in
lauter blaue Flammen, die um die jungen Leute einen Tanz
aufführten. Diese konnten sich nicht von der Stelle rühren, so
viele Mühe sie sich auch gaben. Erst als die erste
Mitternachtsstunde vorüber war, bekamen sie wieder Gewalt
über ihre Glieder und langten mehr tot als lebendig in Gifhorn
an.
In dem tauben Tal stand einst ein Bauernhof. Als im
Dreißigjährigen Krieg die Schwedischen in der Gegend raubten
und brannten, fanden sie zu dem Hof, der gut versteckt lag, nicht
hin, bis ihnen seine Lage von einem Knecht verraten wurde, der
dort im Dienst, stand und dessen Werbung von der Haustochter
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abgewiesen worden war. Die Soldaten brachten alles um, was
auf dem Hofe lebte, raubten das Anwesen aus und steckten es
schließlich in Brand. Als der Knecht aber seinen Lohn haben
wollte, lachten ihn die Soldaten aus und gaben ihm einen alten
Strick. Da sein häßlicher Verrat sich in der, Gegend
herumgesprochen hatte, wollte ihn kein Mensch mehr in den
Dienst nehmen und so ging er unter die Soldaten.
Nach vielen Jahren kam der Mann als Krüppel wieder, bettelte
eine Zeitlang in Gifhorn herum, bis sich herausstellte, wer er
war, und der Büttel ihn aus dem Tore wies. Da humpelte er nach
dem abgebrannten Hofe und ertrank in dem See, der dicht
daneben liegt.
Seitdem liegt der Ort verödet. Der Wind hat den losen Sand
über die Stätte des Grauens geweht und ihn so aufgetürmt, daß
man lauter Grabhügel zu sehen vermeint. Rundherum wuchert
die Heide, grünen die Wiesen, stehen die Föhren im dichten
Moos. Die Stelle aber, wo einst der Hof lag, ist unfruchtbar. Die
Hitze des Feuers, hat alle Keime weit umher versengt.
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Der Bauer, der die Grenzsteine versetzt hat
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Der Brautstein bei Lüchow
In der Nähe von Lüchow liegt die Kolborner Heide. Dort steht
ein großer Stein, rotgesprenkelt und vier Fuß hoch. Vor vielen,
vielen Jahren saß auf diesem Stein ein Ritter mit seiner Braut.
Beide nahmen Abschied voneinander; denn der Ritter mußte in
den Krieg ziehen. Schmerzlich bewegt bat er die Jungfrau, ihm
treu zu bleiben, bis er wiederkomme.
Sie gelobte ihm auch Treue mit einem feierlichen Eid. "Wenn
ich dir untreu würde", so schwur sie, "soll dieser Stein mein
Grabstein werden. "
Auf diesen Schwur hin zog der Ritter voll Zuversicht ins
Feindesland. Doch die Jungfrau vergaß bald ihren Schwur samt
ihrem Bräutigam und schenkte einem andern Mann ihre Gunst.
Eines Tages ging sie mit diesem durch die Heide. Ermüdet
setzten sie sich auf den Stein, auf dem sie einst dem Ritter
immerwährende Treue gelobt hatte. Plötzlich wankte der Stein,
die Treulose stürzte herab und wurde unter dem Stein begraben.
Ihr Begleiter aber eilte erschrocken davon.
Als der Krieg zu Ende war, kehrte der Ritter wieder heim. In
treuer Liebe zu seiner Braut suchte er bald den Stein auf, wo
ihm seine Liebste Treue geschworen hatte.
Doch der Fels wies Blutflecken auf. In banger Ahnung schlug
der Ritter mit seinem Schwert auf den Stein. Da sprang ein
Blutstrahl heraus, der weithin die Blumen rot färbte. Zugleich
drang ein jämmerlicher Schrei aus der Tiefe. Der Ritter erkannte
die Stimme seiner Braut und wußte nunmehr, daß sie ihm die
Treue gebrochen und ihr Schwur sich furchtbar erfüllt habe.
Bestürzt schwang er sich auf sein Pferd und ritt eiligst hinweg.
Niemals kehrte er mehr in die Heide zurück.
Im Volk aber heißt der Stein heute noch der "Brautstein".
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Der Geist von Ramsloh
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"Gewiß", meinte der Pastor, "aber Ihr solltet erst einmal diesen
Spuk kennen! Es wird uns noch mit den vier Pferden schwer
genug werden, bis ans Meer zu kommen !"
Unterdessen war der Wagen bereit. Die Dose mit dem Geist
kam obenhinauf zu liegen, und nun ging's zum Bullenmeer. Je
näher sie kamen, desto schwerer mußten die Pferde ziehen, aber
mit vieler Mühe langten sie doch am Bullenmeer an. Nun ließ
der Pastor den Geist aus der Dose.
Der Geist fragte: "Was soll ich hier tun? "
"Heide zählen sollst du!"
"Wenn ich das getan habe, was dann? "
"Dann sollst du immer wieder von vorne anfangen bis an den
Jüngsten Tag. "
Seit dieser Zeit läuft der Geist noch immer dort am
Meeresstrand umher und zählt Heide, aber nicht jeder kann ihn
sehen.
-370-
Der Gevatterbrief vom Schalksberg bei Gilde
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andere Stimmen und andere Farben, ihr guter Schimmel war
fort; und als sie Menschen begegnete, kannte sie niemanden,
und alle staunten sie an.
Nur ein alter Schäfer in Gilde, der selber nicht wußte, wie alt
er war, der kam, als er von dem Mädchen hörte, von der Gilde
herüber und meinte, sein Großvater habe ihm einmal erzählt, zur
Zeit, als dessen Vater klein gewesen sei, da sei ein Mädchen zu
den Zwergen gegangen und nicht wieder gekommen; es müßten
etwa dreihundert Jahre her sein. Im selben Augenblick war aus
dem Mädchen ein steinaltes Mütterchen geworden, das
schwankend zu Boden sank und nach kurzer Zeit verschied.
Das Schloß Schalksberg ist jetzt ganz verfallen, alle Zwerge
sind fortgezogen; aber die Wiege haben die Kobolde, mit Gold
angefüllt, zurückgelassen. Schon viele Leute haben nach diesem
wertvollen Schatz gesucht, aber keiner hat ihn gefunden.
Einst jedoch, weiß das Volk zu berichten, wird ein
Schweinehirt, der letzte Verwandte der Magd, mit seiner Herde
des Weges kommen, eine Sau wird die Wiege aus der Erde
wühlen, und der Hirt wird für einen Teil des Goldes in
Ettenbüttel eine Kirche bauen lassen mit einem Turm, gerade so
hoch, wie der vom Schloß Schalksberg früher gewesen ist. Die
goldene Wiege wird der Hirt seinem König schenken, und mit
dem übrigen Geld wird er sorgenlos leben bis an seinen Tod.
-372-
Der Huckup von Hildesheim
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Der Schläfer sprang auf und griff wieder nach einem Stein,
aber nirgends war ein Rabe zu sehen. Die heißen Sonnenstrahlen
schienen so matt durch das Laub, in dem sich kein Lüftchen
regte, und der Ort wurde dem Mann immer unheimlicher. Da
dachte er: "Hier ist nicht gut sein", sprach ein Gebet und machte
sich auf den Weg nach Söhre.
Kaum hatte er ein paar Schritte getan, als ihm etwas mit dem
Geschrei : "Hoho! Hoho!" auf den Nacken sprang. Der Mann
schüttelte sich, um die Last los zu werden, aber sein Bemühen
war vergebens. Wie ein Mehlsack drückte ihn das Gewicht auf
den Schultern, der Angstschweiß brach dem Armen aus den
Poren, und keuchend schleppte er sich mit seiner schweren
Bürde mühsam den Waldweg entlang. Endlich war der
Waldrand erreicht, das goldene Kreuz auf dem Kirchturmknauf
blinkte dem Geplagten entgegen, und plumps! da fiel ihm etwas
von den Schultern. Es war der Huckup gewesen, der mit dem
Mann seinen Scherz getrieben hatte.
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Der Rattenfänger zu Hameln
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dann aber umkehrte und die Kunde in die Stadt brachte. Die
Eltern liefen sogleich haufenweise vor alle Tore und suchten
jammernd ihre Kinder. Besonders die Mütter klagten und
weinten herzzerreißend.
Ungesäumt wurden Boten zu Wasser und zu Land an alle Orte
umhergeschickt, die nachforschen sollten, ob man die Kinder
oder auch nur einige von ihnen irgendwo gesehen habe; aber
alles Suchen war leider vergeblich.
Hundertunddreißig Kinder gingen damals verloren. Zwei
sollen sich, wie man erzählt, verspätet haben und
zurückgekommen sein, wovon aber das eine blind, das andere
taubstumm war. Das blinde konnte den Ort nicht zeigen, wo es
sich aufgehalten hatte, wohl aber erzählen, wie sie dem
Spielmann gefolgt waren, das taubstumme nur den Ort weisen,
da es nichts gehört hatte und auch nicht sprechen konnte.
Ein kleiner Knabe war im Hemd mitgelaufen und nach einiger
Zeit umgekehrt, um seinen Rock zu holen, wodurch er dem
Unglück entgangen war; denn als er zurückkam, waren die
andern schon in der Senkung eines Hügels verschwunden.
Die Straße, auf der die Kinder zum Tor hinausgezogen waren,
hieß später die bunge- lose (trommeltonlose, stille), weil kein
Tanz darin abgehalten und kein Saitenspiel gerührt werden
durfte. Ja, wenn eine Braut mit Musik zur Kirche geführt wurde,
mußten die Spielleute in dieser Gasse ihr Spiel unterbrechen.
Der Berg bei Hameln, wo die Kinder verschwanden, heißt der
Poppenberg. Dort sind links und rechts zwei Steine in
Kreuzform zur Erinnerung an dies traurige und seltsame
Ereignis errichtet.
Die Bürger von Hameln haben diese Begebenheit in ihrem
Stadtbuch verzeichnen lassen. Im Jahre 1572 ließ der
Bürgermeister die Geschichte auf den Kirche nfenstern abbilden.
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Der Rosenstrauch zu Hildesheim
Als Ludwig der Fromme vor mehr als tausend Jahren zur
Winterszeit in der Gegend von Hildesheim jagte, verlor er sein
mit Heiligtum gefülltes Kreuz, das ihm vor allem lieb war. Er
sandte seine Diener aus, um es suchen zu lassen, und gelobte, an
dem Ort, wo sie es finden würden, eine Kapelle zu bauen.
Die Diener verfolgten die Spur der Jagd im Schnee und sahen
bald aus der Ferne mitten im Wald einen grünen Rasen und
darauf einen grünenden wilden Rosenstrauch. Als sie näher
kamen, bemerkten sie, daß das verlorene Kreuz daran hing. Sie
nahmen es und berichteten dem Kaiser, wo sie es gefunden
hatten. Sogleich befahl Ludwig, an dieser Stätte eine Kapelle zu
erbauen und den Altar dahin zu setzen, wo der Rosenstrauc h
stand.
Das geschah, und bis auf die heutige Zeit grünt und blüht der
tausendjährige Rosenstrauch um die Apsis des Domes und wird
von einem eigens dazu bestellten Manne gepflegt. Die Äste und
Zweige des Strauches haben sogar die ersten Joche des
Kreuzganges bereits umzogen.
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Der Sonntags-Buttfang von Butjadingen
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Ein Schauer rann dem Fischer über den Rücken, aber der
Fremde winkte fortwährend, er solle nur ruhig immer weiter
nachkommen.
Der Fischer nahm nun den dritten Schluck, aber es half nichts,
das Grauen wollte nicht weichen; er trank den ganzen Rest der
Flasche aus, aber auch dies war vergebens. Jetzt wurde dem
Mann zumute, als hätte er jemanden ermordet und sollte dafür
büßen. Er warf den Fischbeutel über die Schulter und lief, was
er nur konnte, davon.
Mit einemmal drang die Flut hinter ihm her, ohne daß er
wußte, wo sie so plötzlich hergekommen war. Die Wasser liefen
mit ihm um die Wette. Als er sich umsah, waren die Wogen
dicht hinter ihm; nun schlugen sie ihm schon an die Fersen, und
bald trat er bis an die Knöchel in die Flut. Kurz darauf reichte
ihm das Wasser bis an die Waden, nun bis ans Knie, und von da
an war es ihm, als ob er liefe und doch nicht weiter käme. Nun
stieg ihm die Flut schon bis an die Lenden - da warf er den
Beutel mit Butt weg, streckte Arme und Hände aus und begann
zu schwimmen. Und er schwamm, bis das Wasser zu seicht
wurde und er wieder laufen konnte. Endlich hatte er festen
Boden unter den Füßen. Da rannte der Fischer weiter bis er
trockenes Land erreichte und in seinem klitschnassen Zeug oben
auf dem Deich stand. Als er sich hier aufatmend nach dem frem
den Mann umsah, war dieser verschwunden.
"Nun weiß ich, teuflischer Geselle, wer du gewesen bist",
sagte er zu sich selbst, "von nun an gehe ich mein Lebtag nicht
wieder Sonntags auf Buttfang aus."
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Der Teufel als Schatzhüter bei Bremen
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Flug den Mann und den Schatz und verschwand wieder. Der
Bauer nickte befriedigt und ging seiner Wege.
Der Bursche konnte dieses Erlebnis nicht vergessen; wo er
ging und stand, lag ihm der Schatz im Sinn, und der Gedanke,
wie er seiner habhaft werden könnte, ließ ihn nimmer los.
Schließlich nahm er seinen Abschied von dem Bauern, ging zur
See und wurde ein schmucker, tüchtiger Matrose. Doch als die
sieben Jahre um waren, hielt es ihn nicht länger auf dem Schiffe;
er machte sich auf und wanderte seinem Heimatort zu. Dort
kannte ihn längst niemand mehr, aber er erfuhr bald im
Wirtshaus, daß sein früherer Herr vor kurzer Zeit gestorben sei;
nun lebe die Familie in großer Not, denn mit dem Reichtum des
Alten scheine es nicht weit her gewesen zu sein; in seinem
Nachlaß habe sich weder Gold noch Silber gefunden.
Der Bursche sprach bald auf dem Hofe vor, fand alles, wie
man es ihm geschildert hatte, und wurde, da die verwaiste
Tochter sich seiner noch gern erinnerte, dort ein häufiger Gast.
Schließlich fand er den Mut, um das hübsche Mädchen zu
freien. Dieses wies ihn nicht ab. Nun hätte der junge Mann mit
seinem zur See erworbenen Gut in aller Ruhe seinen Haushalt
als ein vermögender Mann beginnen können. Doch der Schatz
lag ihm im Sinne, und er sann unablässig darüber nach, wie er
ihn heben könne.
Da träumte er einmal, die Scheune stehe in Flammen, aber als
er genauer hinsah, war es ein großer Hahn, der auf dem
Strohdach stand und mit den Flügeln schlug. Im nächsten
Augenblick schwang dieser sich von seinem hohen Standort
herab, setzte sich auf eine umgestürzte Pflugschar, pickte mit
dem Schnabel und scharrte mit den Füßen daran, kurz, benahm
sich ganz so, als wolle er den Pflug in die Höhe richten und mit
sich führen.
Lange Zeit verstand der Mann diesen Traum nicht, doch
plötzlich kam ihm ein guter Gedanke. Er fuhr sogleich zu einem
Goldschmied in die Stadt und bestellte einen silbernen Pflug,
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den er sofort mit blanken Talern bezahlte. Nach acht Tagen
schon konnte er ihn holen, und nunging er sogleich ans Werk. In
der nächsten Nacht, sobald die Glocke zwölf schlug, machte er
sich auf, unter dem rechten Arm den Silberpflug, unter dem
linken einen prächtigen roten Hahn. Vor der Scheune spannte er
den Hahn vor den silbernen Pflug, öffnete das, Tor und fuhr
nach der Stelle, wo der Schatz verborgen lag. Obgleich kein
Mondschein in die Scheune fiel, war es doch fast taghell darin,
denn der Pflug leuchtete und der Hahn glänzte wie helloderndes
Feuer.
Schweigend begann der Mann im Kreise zu ackern und die
Erdschollen zur Seite zu pflügen. Obwohl ein Gebrause und ein
schreckliches Stimmengewirr anhob, verrichtete er in tiefster
Ruhe seine Arbeit, bis er an den Deckel des Kessels stieß und
den Schatz in all seiner Herrlichkeit gehoben hatte. Dann packte
er alles in Körbe und eilte damit in den Hof, um es zu bergen.
Nun machten die Leute freilich große Augen und freuten sich
des wiedergewonnenen Gutes, und im Herbst gab es eine lustige
Hochzeit.
Der Silberpflug blieb lange Zeit ein Wahrzeichen der Familie,
bis er im Schwedenkrieg verlorenging.
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Der Teufel und der Pastor von Bockhorn
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Und weil das Mädchen sich an dieses Verbot hielt, hat man nie
Näheres in Erfahrung bringen können, was sich hinter der
verschlossenen Tür abgespielt hat.
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Der böse Graf von Wildenfels
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Die 'Waldridersken'
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"Lat mi los min Heer (Haar), Und fatt mi in min Kleer
(Kleider)."
Der Schiffer war dumm genug, ihr Haar loszulassen und sie
bei ihren Kleidern zu packen; damit hatte er die Macht über sie
verloren, und sie machte sich los. "Hu hu!" schrie die
Walriderske und ritt auf ihrem Besenstiel übers Wasser davon.
Als der Schiffer und sein Volk morgens aufstanden, konnte man
Blutflecken auf dem Schiffe feststellen.
Ein junger Mann hatte viel von den Walridersken zu leiden.
Eines Nachts spürte er wieder, wie etwas über seine Füße
heraufkroch und ihn drücken wollte. Er ermannte sich, griff zu
und erhaschte gerade noch einen Arm, konnte ihn aber nicht
festhalten. Die Gestalt verschwand durch das Schlüsselloch in
der Tür, von wo sie gekommen war. In der nächsten Nacht nahm
er das Ende eines Türriemens in die Hand und wartete, bis die
Walriderske kam. Als er sie wieder heranschleichen hörte, zog
er den Riemen an, und damit war die Tür versperrt, so daß die
Walriderske gefangen war. Als es Tag wurde und Licht in seine
Kajüte fiel, sah er auf einem Stuhl ein schönes Mädchen sitzen.
Da er noch unverheiratet war, nahm er sie zur Frau, lebte mit ihr
mehrere Jahre friedlich und still, und die Ehe war auch mit
Kindern gesegnet. Sein Hauswesen führte die Frau zu seiner
größten Zufriedenheit, und er fühlte sich recht glücklich bei ihr.
Oft bat sie ihren Mann, er möge das Schlüsselloch in der Tür
öffnen, oder den Riemen an der Tür nicht mehr festziehen, aber
er hütete sich wohl davor. Endlich brachte die Frau ihre
herangewachsenen Kinder dazu, daß sie um Mitternacht
Schlüsselloch und Riemen frei machten. Doch kaum war dies
geschehen, so rief sie "Wat klingen de Glocken, Wat stuvt de
Sand, In Engelland "
Nun sah der Mann sein Weib, seine Walriderske, nie wieder.
Aber solange er lebte, spürte er ihre Nähe und ihr liebreiches
Walten.
-387-
Unsichtbare Hände hielten das ganze Haus in Ordnung, und
jeden Sonnabend fand er seine Kleider und die Wäsche der
Kinder gereinigt und geplättet auf den Betten liegen.
-388-
Die Dambecksche Glocke in Röbel
-389-
Die Glocken von Debberode
-390-
Die Springwurzel auf dem Köterberg bei
Holzminden
-391-
zu tun, obwohl er leicht sein Leben hätte einbüßen können. Die
großen Reichtümer brachte der Mann glücklich nach Hause,
aber den Eingang zur Schatzkammer konnte er nicht
wiederfinden, und auch die Jungfrau zeigte sich ihm niemals
mehr.
-392-
Heinrich der Löwe
-393-
hatten, wickelte den Herzog hinein und nähte die Haut
zusammen; doch hatte er das Schwert des Herzogs mit
hineingelegt. Bald darauf kam der Vogel Greif geflogen, faßte
den ledernen Sack mit seinen Klauen und trug ihn durch die
Lüfte über das weite Meer bis in sein Nest.
Dort ließ er die Haut liegen und flog zu neuem Fang weg.
Mittlerweile faßte Heinrich das Schwert und zerschnitt die
Nähte des Sackes. Als die jungen Greifen im Nest den lebenden
Menschen erblickten, fielen sie gierig und mit Geschrei über ihn
her. Doch Heinrich wehrte sich und erschlug sie alle. Einem der
Greifen schnitt er die Klaue ab und nahm sie zum Andenken mit
sich. Dann stieg er aus dem Neste heraus, kletterte den hohen
Baum hernieder und sah sich nun in einem weiten, wilden Wald.
Unschlüssig strich Heinrich eine Weile dahin. Plötzlich
bemerkte er einen fürchterlichen Lindwurm, der mit einem
Löwen im Kampf lag.
Der Löwe schwebte in großer Gefahr zu unterliegen. Weil aber
der Löwe als ein edles Tier gilt, der Lindwurm dagegen für ein
giftiges, böses Gezücht gehalten wird, säumte Herzog Heinrich
nicht und sprang dem Löwen gegen den Lindwurm bei. Der
Lindwurm brüllte, daß es fürchterlich durch den Wald erscholl,
und wehrte sich lange.
Endlich gelang es Heinrich, dem Untier mit seinem Schwert
den Todesstoß zu versetzen. Hierauf nahte sich der Löwe dem
Herzog, legte sich ihm zu Füßen auf den Boden und verließ ihn
von dieser Stunde an nicht mehr.
Nun überlegte Heinrich, wie er aus dieser Einöde und aus der
immerhin unheimlichen Gesellschaft des Löwen wieder unter
die Menschen gelangen könnte. Nach einiger Zeit baute er sich
ein Floß aus zusammengelegtem Holz, das mit Reisern
durchflochten war, und setzte es aufs Meer. Als der Löwe
einmal zum Jagen in den Wald gelaufen war, bestieg Heinrich
sein Fahrzeug und stieß vom Ufer ab. Sobald der Löwe aber
-394-
zurückkam und seinen Herrn nicht mehr vorfand, eilte er ans
Gestade. In weiter Ferne erblickte er das Fahrzeug, sprang in die
Fluten und schwamm so lange, bis er das Floß mit dem Herzog
erreicht hatte, zu dessen Füßen er sich ruhig niederlegte. Dann
fuhren sie längere Zeit zusammen auf dem Meere.
Bald überkam sie Hunger und Elend. Der Herzog wachte und
betete und fand Tag und Nacht keine Ruhe. Da erschien ihm der
Teufel und ließ sich vernehmen: "Herzog, ich bringe dir
Botschaft; du schwebst hier in Pein und Not auf dem weiten
Meer, während daheim zu Braunschweig: eitel Freude und Jubel
herrschen; heute an diesem Abend feiert ein Fürst aus fremdem
Land Hochzeit mit deiner Frau; denn die gesetzlich
vorgeschriebenen sieben Jahre seit deiner Ausfahrt sind
verstrichen, und du giltst als tot."
Traurig versetzte Heinrich: "Das mag wahr sein. Doch will ich
mich an Gott wenden, der alles zum Guten lenkt."
"Du redest zuviel von Gott", erwiderte der Versucher, "der
hilft dir nicht aus diesen Wogen des Meeres; ich aber will dich
noch heute zu deiner Gemahlin führen, wenn du mein sein
willst!"
Beide hatten ein langes Gespräch; der Herzog wollte sein
Gelübde gegen Gott nicht brechen. Da schlug ihm der Teufel
vor, er wolle ihn ohne Schaden samt dem Löwen noch heute
abend auf den Giersberg bei Braunschweig tragen und absetzen,
dort möge er auf ihn warten; finde er den Herzog nach seiner
Rückkehr schlafend, so sei er dem Teufel und seinem Reiche
verfallen. Der Herzog, der von heißer Sehnsucht nach seiner
geliebten Gemahlin gequält wurde, ging darauf ein und hoffte
auf des Himmels Beistand wider alle Künste des Bösen.
Sogleich griff ihn der Teufel und führte ihn schnell durch die
Lüfte bis vor Braunschweig, legte ihn auf dem Giersberg nieder
und rief: "Nun bleib wach, Herr, ich kehre bald wieder!"
-395-
Heinrich aber war aufs höchste ermüdet, und der Schlaf setzte
ihm mächtig zu. Der Teufel flog indessen zurück, um, wie er
versprochen hatte, auch den Löwen zu holen; es währte nicht
lange, so kam, er mit dem treuen Tier dahergeflogen. Als nun
der Teufel, noch aus der Luft herunter, den Herzog in Müdigkeit
versenkt auf dem Giersberg ruhen sah, freute er sich schon im
voraus über seine Beute; doch, der Löwe, der seinen Herrn für
tot hielt, fing laut zu brüllen an, daß Heinrich im selben
Augenblick erwachte.
Der böse Feind sah nun sein Spiel verloren und bereute zu
spät, den Löwen herbeigeholt zu haben; er grimmt warf er das
Tier aus der Luft zu Boden herab, daß es dröhnte. Doch der
Löwe kam glücklich auf den Berg zu seinem Herrn. Dieser
richtete sich auf und dankte Gott für seine Rettung, beeilte sich
dann aber, weil es schon gegen Abend ging, in die Stadt
Braunschweig hinabzukommen. Der Löwe, folgte ihm.
Der Herzog wandte sich der Burg zu. Lautes Getöse scholl
ihm entgegen. Er wollte in das Fürstenschloß treten, doch die
Diener wiesen ihn zurück. "Was soll das Getön und Pfeifen?"
rief Heinrich aus. "Sollte doch wahr sein, was mir der Teufel
gesagt hat? Ist ein fremder Herr in diesem Haus?"
"Kein fremder", antwortete man ihm, "denn er ist unserer
gnädigen Frau verlobt, und heute wird ihm das Braunschweiger
Land übertragen. "
"So bitte ich", sagte der Herzog, "die Braut um einen Trunk
Wein, mein Herz ist ganz matt." Da lief einer der Leute zu der
Fürstin hinauf und meldete, ein fremder Gast, dem ein Löwe
folge, sei erschienen und bitte um einen Schluck Wein. Die
Herzogin wunderte sich, füllte einen Becher mit Wein und
sandte den Boten damit zu dem fremden Pilger.
"Wer magst du wohl sein", fragte der Diener, "daß du von
diesem edlen Wein zu trinken begehrst, den man nur der
Herzogin einschenkt?"
-396-
Der Fremde trank, zog seinen goldenen Ring vom Finger und
warf ihn in den Becher, den er der Braut zurücktragen hieß. Als
diese den Ring erblickte, worin des Herzogs Schild und Name
geschnitten waren, erbleichte sie, stand eilends auf und trat an
die Zinne, um nach dem Fremden zu schauen. Sie gewahrte den
Mann, der da mit dem Löwen saß. Darauf ließ sie ihn in den
Saal bitten und fragen, wie er zu dem Ring gekommen sei und
warum er ihn in den Becher gelegt habe.
"Von niemand habe ich den Ring erhalten, sondern ich habe
ihn selbst genommen, es sind nun mehr als sieben Jahre her; und
ich habe ihn hingelegt, wo er billigerweise hingehört."
Als man der Herzogin diese Antwort überbrachte, blickte sie
den Fremden nochmals an. Da riß sie ein freudiger Schreck fast
zu Boden, weil sie ihren geliebten Gemahl erkannte; sie bot ihm
ihre weiße Hand und hieß ihn herzlich willkommen.
Freude und Jubel erhoben sich im ganzen Saal. Herzog
Heinrich setzte sich an den Tisch zu seiner Gemahlin, dem
jungen Bräutigam aber wurde ein andres schönes Fräulein aus
Franken angetraut.
Heinrich regierte noch lange und glücklich in seinem Reich.
Als er in hohem Alter starb, legte sich der Löwe auf das Grab
seines Herrn und wich nicht, bis auch er verendete. Das Tier
liegt auf der Burg begraben, und seiner Treue zu Ehren wurde
später eine Säule errichtet, welche die Menschen an Treue und
Dankbarkeit mahnt.
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Zwölf ungerechte Richter
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Als es Mitternacht schlug, kamen die zwölf schwarzen
Männer, holten die Gebeine und die Totenköpfe hervor und
wollten kegeln.
Aber sie konnten nicht über den Kreis treten und stellten
deshalb die Kegel außerhalb des Kreises auf. Doch einmal rollte
ein Totenkopf in den Kreis hinein. Die Kegler baten den Küster,
ihn herauszugeben.
Dieser aber sagte : "Holt ihn doch!" Dreimal baten die
Männer, doch der Küster gab keine Antwort mehr. Mittlerweile
schlug es ein Uhr und alles war vorüber.
Am andern Tag ließ der Pastor den Sarg öffnen. Darin fand
sich eine Rolle. Auf dieser stand geschrieben :
"HIER RUHEN ZWEI UNSCHULDIG GERICHTETE
MÄNNER, UND DIESE SIND BEI GOTT. DIE ZWÖLF
RICHTER JEDOCH, DIE SICH HABEN BESTECHEN
LASSEN, EIN UNGERECHTES URTEIL ZU FÄLLEN,
SOLLEN SO LANGE BEI MONDENSCHEIN MIT DEN
KÖPFEN DER BEIDEN MÄNNER KEGELN, BIS SIE
DURCH GOTTES WORT VERSCHEUCHT WERDEN."
Und so geschah es. Wo aber die Seelen der ungerechten
Richter, hingekommen sind, das weiß kein Mensch.
Seit dieser Zeit ist von mitternächtlichen Geräuschen in der
Kirche nichts mehr zu hören.
-399-
Zwei Juister kommen in den Himmel
Beim heiligen Petrus sind die Leute von Norderney wohl gut
angeschrieben, weil sie den Fischfang, St. Peters Beruf, so
rechtschaffen und ehrlich ausüben. Auch die Borkumer haben
im Himmel ihre Fürsprecher und Freunde, denn sie sind fleißige
Landbauern. Die Juister dagegen stehen im Himmel und auf
Erden in bösem Ruf; sie betrieben den Strandraub gar zu
schlimm und konnten darum nicht in den Himmel kommen.
An einem schwülen Sommertag war Petrus an der Himmelstür
eingenickt. Da schlichen sich zwei Juister an ihm vorbei und
drückten sich still in eine Himmelsecke. Aber St. Paulus
erkannte sie gleich und zürnte dem heiligen Petrus, weil er die
frechen Strandräuber eingelassen habe. Petrus öffnete die
Himmelstür und wartete, ob die beiden nicht freiwillig wieder
abziehen würden, denn hinausjagen darf der Himmelspförtner
niemand, der einmal im himmlischen Paradies ist.
Die Juister aber blieben, und Petrus war sehr bedrückt, weil er
so nachlässig aufgemerkt hatte. Schließlich fiel Petrus eine List
ein. Als die beiden Juister Strandräuber einmal in seine Nähe
kamen, lugte er durch ein Himmelsfenster und tat, als ob er
draußen etwas Besonderes sähe. Dann rief er plötzlich mit lauter
Stimme: "Schipp an Strand! Schipp an Strand!"
"Wo is dat Schipp?" fragten die beiden Juister hocherfreut.
Spornstreichs rannten sie zur Himmelstür hinaus, und Petrus
schloß vergnügt das Tor hinter ihnen ab. Die Juister aber
konnten nicht mehr damit rechnen, nochmals durch eine
Unachtsamkeit St. Petris in den Himmel zu kommen.
-400-
Zwerge in den Schweckhäuser Bergen
-401-
abweisenden Bescheid der Mutter weggegangen war, hütete der
Schäfer gerade in den Bergen seine Schafe - die Sonne war
schon im Untergehen -, da kam der Zwerg plötzlich wieder
daher. Der Schäfer schlich ihm behutsam nach und sah, wie der
Zwerg an einen großen Felsblock trat und dort verschwand.
Sogleich ging der Schäfer ganz nahe an den Felsen heran und
gewahrte eine purpurrote Blume, die herrlich duftete und wie
ein Stern leuchtete; aber nirgends bemerkte er einen Eingang in
den Felsen. Auf einmal hörte er im Berg ein Klingen wie von
Silber und Gold und dazu den Gesang des Zwerges:
"Hier sitz ich, Gold schnitz ich.
Ich heiße Holzrührlein, Bonneführlein.
Wenn das die Mutter wüßt', Ihr Mägdlein sie nimmer
vermißt!"
Diesen Spruch merkte sich der Bursche, lief sogleich nach
Hause und erzählte ihn noch am selben Abend der Mutter seiner
Liebsten.
Als nun nach ein paar Tagen der Zwerg wieder erschien und
mit recht hämischem Lachen die Hirtenfrau fragte, ob sie denn
nun seinen Namen wisse, da erklärte die Frau ganz kurz: "Wie
mögt Ihr wohl heißen? Ihr heißt Holzrührlein, Bonneführlein. "
Sobald die Frau die Namen ausgesprochen hatte, war der
Zwerg verschwunden. Er kam auch nie mehr wieder. Die rote
Blume auf dem Steinfelsen hat der Schäfer auch nicht mehr
gesehen, aber er hat die Hirtentochter geheiratet und ist bis an
sein Lebensende glücklich mit ihr gewesen.
-402-
Sagen aus der Pfalz
-403-
Der Nonnenfels bei der Hartenburg
-404-
zu lindern und seine Wunden zu heilen, waren vergeblich. Das
hörte auch seine Tochter, die Klausnerin, und dem Drange des
Herzens folgend, stieg sie zur Hartenburg hinauf und rettete
unerkannt das Leben ihres Vaters.
Nach seiner Genesung besuchte der alte Graf die hilfsbereite
Nonne in ihrer Klause, erkannte sie aber diesmal und bat sie
nach den lebhaftesten Umarmungen, den wüsten Felsen zu
verlassen und sogleich mit in das Schloß zu kommen. Ihre
Antwort aber war:
"Zieht nur hin, lieber Vater, auf Eure Burg! Ich will Euch gern
wieder Tochter sein, doch als Klaus nerin." So blieb sie in ihrer
Felsenwohnung und widmete auch den Rest ihres Lebens der
Nächstenliebe.
Heute noch zeigt man den Bildstock, an dem sie ihr Gebet zu
verrichten pflegte, und die Vertiefungen im Fels, in denen die
Tür ihrer dürftigen Hütte befestigt war.
-405-
Der Pfeilschuß auf den Ritter von Than
Nicht weit von Burg Neudahn lag der Stammsitz der Edlen
von Sick.
Ein Sprößling dieses Geschlechtes wurde von dem jungen
Ritter Walter von Than auf der Jagd getötet; die Tat war nicht
mit absicht verübt worden, sondern es lag ein böser Zufall vor.
Doch der Ritter erbot sich, eine Geldbuße zu erlegen, wie sie das
Gesetz vorschrieb, oder ein Gottesgericht in ehrlichem
Zweikampf entscheiden zu lassen. Kunz von Sick, der Bruder
des Getöteten, war ein jähzorniger Mann und wollte Blutrache
üben; darum wies er das Anerbieten des Thaners trotzig ab.
Als Walter einst, nichts Böses ahnend, durch den Forst ritt,
kam aus dem Dickicht ein Pfeil auf ihn zugeflogen, der ihn aber
verfehlte und in einer Buche haftenblieb. Der junge Ritter nahm
den Pfeil und ging damit auf die Burg seines Feindes, als dieser
eben viele Gäste um sich versammelt hatte. Er überreichte Ritter
von Sick den Pfeil und sagte freundlich: "Ich dachte nicht, daß
Ihr Gäste hättet, sonst wär, ich ein andermal gekommen." Dem
Hausherrn stieg die Glut des Zornes ins Gesicht; weil er sich
aber seiner Tat schämte, suchte er sich zu beherrschen und
erwiderte: "Ihr seid mir ein werter Nachbar, nehmt Platz an
meinem Tische!" Der Zufall fügte es, daß Walter neben die
Tochter des Ritters zu sitzen kam.
Schoneta war ein schönes, verständiges und ehrbares
Mägdlein, das wohl Mitleid kannte, aber nicht Haß. Der Ritter
von Than und Schoneta fanden Gefallen aneinander. Nachdem
die Tafel aufgehoben war, sagte Walter zum Burgherrn: "Ich
will Euch eine Sühne vorschlagen, die allen Groll zwischen uns
tilgen wird: Gebt mir die Hand Eurer Tochter!" Der Alte gehörte
zu den Menschen, denen der Wein gute Laune verleiht, auch
hatte ihn Walters Edelmut überrascht. Er gab daher nicht nur
-406-
sein Jawort, sondern nahm auch zum Andenken an diesen
Vorfall einen Pfeil in sein Wappen auf.
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Der Rabe auf der Burg Stolzeneck
Einst zog der Ritter von Stolzeneck ins Heilige Land. Seine
Schwester, eine blühende Jungfrau, ließ er unter dem Schutze
treuer Diener auf der Burg zurück. Ein Ritter aus der
Nachbarschaft verliebte sich in das Burgfräulein und warb um
seine Hand. Doch die Jungfrau wies ihn ab und schenkte auch
allen späteren Werbungen des Ritters kein Gehör. Erzürnt
schwur dieser bittere Rache. Er berannte die Burg, eroberte sie
ohne großen Widerstand, da die Hauptverteidiger fern waren,
und ließ alle Bewohner töten, nur das Burgfräulein nicht. Als es
sich aber nach wie vor weigerte, seine Braut zu werden, befahl
er, es in den Turm zu werfen, und ge lobte, das Fräulein dort
verhungern und verdursten zu lassen, wenn es ihn nicht erhöre.
Auch nach dem zahmen Raben, dem ständigen Begleiter des
Fräuleins, hatte der Ritter sein Schwert geschwungen. Doch
dieser war ihm entkommen. Täglich stellte sich der Ritter nun
beim Gitterfenster am Burgturm ein, wo die Jungfrau
schmachtete, und fragte, ob sie ihm noch immer ihr Jawort nicht
geben wolle. Doch stets erhielt er die gleiche Absage. Voll Zorn
entfernte er sich jedesmal. Am meisten wunderte es ihn, daß das
Burgfräulein, dem doch nie eine Speise gereicht wurde, sich
noch immer aufrecht halten konnte. Er wußte natürlich nicht,
daß der treue Rabe ihr täglich Beeren und Früchte brachte. Auch
entwendete der Vogel manchmal in einer Küche eine Schnitte
Brot, ein anderes Mal ein Stück Fleisch und legte es seiner
geliebten Herrin vor.
Jahre vergingen, bis die Kämpfe im Heiligen Lande beendet
waren, und nun kehrte der Ritter von Stolzeneck wieder heim.
Seine Burg fand er verlassen, auf Bäumen und Dächern lärmte
eine Schar Raben.
"Schwester, liebe Schwester", rief der Ritter laut, als er über
den öden Burghof schritt. Leise antworteten ihm schmerzliche
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Laute hinter dem Turmgitter. Nun eilte er dorthin und erfuhr,
was geschehen war.
Starr vor Entsetzen über diese Untat stand der Heimgekehrte
noch am Gitter. Da kam der Urheber all dieses Übels
herangeritten, um sich heute das Jawort des Burgfräuleins zu
holen. Als er aber den Kriegsmann am Kerkergitter stehen sah,
zog er sein Schwert, um den Unbekannten zum Kampf zu
fordern. Plötzlich krächzte der Rabe des Burgfräuleins laut auf,
flog dem Ankömmling wütend entgegen und hackte auf seine
Augen los. Wie eine schwarze Wolke schossen nun all die
andern Raben herbei und kratzten dem Bösewicht die Augen
aus. Der Frevler stürzte zu Boden, und der Ritter von Stolzeneck
stieß ihm sein Schwert in die Brust. Dann öffnete er den Kerker
seiner lieben Schwester, die ihm freudetrunken um den Hals fiel.
Das Bild des treuen Raben wurde in Stein gehauen und in
einem Bogen der Burg angebracht. So verkündet dies Bildnis
der Nachwelt die Treue und Liebe des Stolzenecker Raben.
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Der Riesenstein bei Heidelberg
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Der Ritter vom Huneberg
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"Aber wer bist denn du? " stammelte der Junker.
"Ich bin der Waldgeist", antwortete der Zwerg, "und wer mir
Vertrauen schenkt, hat es nie zu bereuen. "
Mit diesen Worten verlor sich das kleine Wesen im Gestrüpp.
Schott aber schritt festen Trittes über die schmale hölzerne
Brücke und klopfte an das Tor des steinernen Hauses. Ein
junges, schönes, freundliches Mädchen öffnete ihm die Tür. Es
war die einzige Tochter einer betagten Mutter und der letzte
Sproß des alten Geschlechtes der Herren von Schwanau, die
durch Krieg und anderes Unglück in Armut geraten waren. Dem
Ritter gefiel die Jungfrau ganz vortrefflich, und er beschloß, um
ihre Hand anzuhalten; doch war er ehrlich und verhehlte seine
Armut nicht. Die Mutter erwiderte: "Es ist in unserem Haus eine
alte Prophezeiung, die letzte Erbtochter von Schwanau werde zu
Reichtum und Ehre gelangen, nur dürfe sie ihren Namen nicht
ändern." Der Junker von Huneberg war einverstanden, den
Namen Schwanau anzunehmen und das Wappen des
Geschlechtes mit dem seinigen zu vereinen.
Auf dem Heimweg traf er dann das alte Männlein wieder. Es
winkte ihm zu und führte ihn in eine Höhle, in der ein wertvoller
Schatz verborgen lag. "Das ist die Morgengabe deiner Braut",
lächelte der Zwerg. "Tue immer recht, und euer Glück wird
blühen." Schott führte seine schöne Braut heim, und die Worte
des Waldgeistes gingen an ihm und seinen Kindern in Erfüllung.
Das Geschlecht derer von Huneberg und Schwanau ist heute
erloschen. Man weiß nicht einmal mehr mit voller Bestimmtheit
zu sagen, wo ihre Schlösser standen.
-412-
Der arme Fiedler unserer lieben Frau im Dom zu
Mainz
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ein Stück auf seiner Geige zu spielen und ihr eines seiner
schönsten Lieder zu singen.
Gesagt, getan! Er spielte und sang mit solcher Wärme, daß es
ihm schien, als wäre seine Jugend zurückgekehrt, als könne er
dem Leben wieder froh und hoffnungsvoll entgegenblicken, und
die schönsten Farben des Frühlings schmückten sein Dasein.
Nochmals kniete er andächtig nieder, sprach ein kurzes Gebet
und wollte dann den Dom verlassen. Eben hatte er sich
aufgerichtet, siehe! da hob das Bild, vor dem er gekniet und dem
zu Ehren er seinen Gesang hatte erschallen lassen, den linken
Fuß auf und schleuderte mit einer raschen Bewegung den
goldnen Pantoffel, mit dem der Fuß bekleidet war, an die in
Lumpen gehüllte Brust des alten Geigers. "Welch ein Wunder,
oh, welch Wunder!" rief der Greis erschüttert aus; "die
hochgelobte Jungfrau weiß das Flehen eines Armen und sein
Streben, ihr Freude zu bereiten, huldreich zu belohnen! "
Dankerfüllt pries der alte Mann freudig und in den feurigsten
Ausdrücken die himmlische Spenderin und ging dann auf den
Markt, um einen Käufer für seinen Schatz zu suchen und aus
dem Erlös seiner dringendsten Not abzuhelfen. Einen Tag und
eine Nacht hatte er nichts mehr gegessen, der Hunger wühlte in
seinen Eingeweiden, und so blieb ihm jetzt keine andere Wahl,
als die Gabe mitzunehmen, die ihm die Gottesmutter doch
offenbar zur Stillung dieses Bedürfnisses gewährt hatte. Aber
ein Goldschmied, dem er den Pantoffel zum Kauf anbot,
erkannte denselben sogleich, und in wenigen Minuten war der
unglückliche Mann noch übler dran als vorher; denn er befand
sich in den Händen der strafenden Gerechtigkeit.
In jener Zeit machte man mit jedem Verbrecher, mochte er
auch noch so sehr seine Unschuld beteuern, kurzen Prozeß. Die
Laune des Richters sprach das Urteil und ließ es auch in ein paar
Stunden vollziehen. Insbesondere für das ruchlose Verbrechen
eines Kirchenraubes, mit dem der beklagenswerte Greis belastet
-414-
war, erschien keine Hoffnung, keine Gnade, kein Aufschob
gegeben.
Innerhalb einer Stunde sah sich der Häftling gerichtlich
verhört, abgeurteilt und auf dem Wege zur Hinrichtung.
Die Richtstätte war auf dem Speisemarkt, der gerade den
ehernen Toren des Domes gegenüberlag. Vergebens wiederholte
der Greis die Erzählung der ganzen Begebenheit, umsonst
schwor er, die Wahrheit zu sprechen. Die Richter hörten nicht
darauf und hielten seine Beteuerungen für eine unverschämte
Lüge. Der arme Geiger hatte nichts mehr zu hoffen, man
verkündete ihm, daß er noch vor Mittag sterben müsse.
"Wohlan denn!" rief er, schon am aufgerichteten Schafott
stehend, "wenn ich hier mein Leben endigen soll, so sei es mir
doch erlaubt, nochmals zu den Füßen der Heiligen Jungfrau
mein Gebet zu verrichten und nach der Musik meiner alten
Fiedel ein Lied anzustimmen. Ich bitte darum in ihrem
gebenedeiten Namen - ihr könnt es mir nicht verweigern. "
Die Richter schlugen seine Bitte nicht ab; denn es wäre eine
ebenso strafbare Ruchlosigkeit gewesen, wenn man sich
zwischen einen Verurteilten und die Heilige Jungfrau hätte
stellen und sein letztes Gebet verhindern wollen. Streng
bewacht, trat der alte Fiedler nun in den Dom, der ihm zum
Verhängnis geworden war, und betete kniend am Altare der
Himmelskönigin; dann stand er auf und sang vor der
Gottesmutter sein Lied. Kaum war es verklungen, so erhob zum
Schrecken der Wachen, die den Verurteilten umgaben, das
Bildnis seinen rechten Fuß und warf den Pantoffel, der den Fuß
schmückte, an die Brust des Greises. Alle Anwesenden
bezeugten dies, und niemand konnte leugnen, daß der Himmel
sein Zeugnis zugunsten des armen Mannes abgegeben habe.
Dieser wurde sogleich von seinen Fesseln befreit und im
Triumph vor den Stadtrat gebracht, wo man nach Recht und
Pflicht das gesprochene Urteil wieder aufhob und den Alten
unverzüglich in Freiheit setzte.
-415-
Dann hat der alte Geiger vom Dome zu Mainz, so berichtet die
Sage, gegen eine Versorgung für den Rest seiner Tage die
goldenen Schuhe der hohen Geistlichkeit übergeben. Die
Schatzkammer des alten Domes verwahrt heute noch diesen
wertvollen Besitz.
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Der weiße Peter auf der Wachtenburg
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ihm den goldenen Schatz entreißt, den er zu behüten hat. Um zu
diesem Schatz zu gelangen, müssen drei Tore, ein eisernes, ein
silbernes und ein goldenes, durchschritten werden. Vor dem
goldenen Tor liegt der grimmige Hund, der jeden furchtbar
angeht. Wehe dem, der dann das Zauberwort nicht weiß! Es
heißt "Zufriedenheit". Nimm nun die drei Schlüssel zu den drei
Toren, doch vergiß das Zauberwort nicht, sonst schreckt das
Hundegebell die Ritter aus ihrem Schlaf, und sie werden dich
töten!" Damit gab das Männlein seinem Begleiter einen
eisernen, einen silbernen und einen goldenen Schlüssel und
verschwand.
Peter aber öffnete mit dem eisernen Schlüssel das eiserne Tor,
schritt dann durch einen finsteren Gang zu der silbernen Pforte
und sah, als er auch diese aufgeschlossen hatte, am Ende des
Ganges das goldene Tor erstrahlen. Doch davor lag der
grimmige Hund und fletschte sein schreckliches Gebiß.
Plötzlich erhob er sich und schickte sich an, auf Peter
loszufahren. Den aber überkam eine qualvolle Angst, er wollte
das Zauberwort rufen, doch - O Schrecken! - er hatte es
vergessen.
In seiner furchtbaren Not rannte Peter davon, durch das
silberne und eiserne Tor zum Rittersaal. Doch der unheimliche
Hund hetzte hinter ihm her, sein schauerliches Kläffen kam
näher und näher. Da erwachten die Ritter, griffen zu den
Schwertern, als ob der Feind sie überrumpelt hätte, und machten
Miene, sich auf Peter zu stürzen. Der stürmte durch die Gänge
und wieder die Treppen hinauf zu dem Pförtchen, durch das er
unter die Erde gelangt war. Droben blieb er atemlos und halb tot
vor Schrecken liegen.
So fanden ihn, als der Morgen dämmerte, die Leute. Doch sie
erkannten ihn nicht mehr. Hatte er noch gestern ein junges
Gesicht und blonde Haare gehabt, so blickte ihnen jetzt ein
zerfurchtes Greisenantlitz mit weißem Schopf entgegen.
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Auf solche Art war die Schatzsuche Peters mißglückt, er
hauste weiter, ein armer Teufel, in seiner alten Hütte am Fuß der
Wachtenburg, und die Leute nannten ihn fortab den "weißen
Peter".
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Die Lilie zu Altenbaumberg
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einem Blick zum Himmel: "Ewiger Richter, sei mir gnädig!"
Dann sank er tot nieder.
Ein ehrenvolles Begräbnis neben den Opfern seines Jähzornes
blieb ihm nicht versagt.
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Die Wolfskirche bei Bosenbach
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Eine Luftfahrt von Pirmasens nach Gersbach
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"Ach, Herr und Gott, wo sind wir!" rief er, aber in demselben
Augenblick hörte er ein höllisches Gelächter, dann fuhren
Baumzweige um seine Ohren und - plumps! lag er mitten in
einem Wald. Er schaute sich erstaunt um, rieb seine Arme und
Beine, die ihn nicht wenig schmerzten, und versuchte, ob er
noch gehen könne.
Das gelang ihm mit schwerer Mühe, und so schleppte er sich
durch das Gehölz bis er auf freies Feld kam. Dort hütete ein
Schäfer seine Schafe. Der Soldat bot ihm einen Gruß und
erkundigte sich: "Guter Freund, wie weit habe ich bis
Pirmasens?"
"Pirmasens?" fragte der Schäfer, "den Namen habe ich noch
nie gehört. Geht einmal in das Dorf hinüber und fragt den Herrn
Pfarrer, vielleicht weiß er, wo der Ort liegt."
Das tat Schubkehl und hörte zu seinem Erstaunen von dem
Pfarrer, daß Pirmasens vierzig Stunden entfernt sei. Jetzt
erkannte Schubkehl, mit welchem Fuhrwerk er gefahren und daß
er auf geradem Weg zum Hexentanz gewesen war.
Zurückgekehrt fuhr ihn der Landgraf anfangs zwar hart an, wo
er so lange geblieben sei, aber als Schubkehl ihm alles erzählte,
verzieh er ihm, weil der arme Grenadier soviel Angst
ausgestanden hatte.
-425-
Franz von Sickingen auf Ebernburg und der Geist
vom Rotenfelsen
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Darauf führte ihn der Berggeist sicheren Schrittes die
Felswand hinab und nach der Ebernburg hinüber. Dann
verschwand er. Wurde der Knabe von seinem Vater auch
ungnädig empfangen, so erzählte er doch nichts von dem, was
ihm begegnet war.
So lebte Franz forthin in steter Gemeinschaft mit dem Geiste
im Rotenfelsen. Als er ein mächtiger Rittersmann geworden
war, da standen ihm die Schätze des Berggeistes zu all seinen
Taten und Zügen offen. Nur einmal warnte ihn der Geist, als er
gegen Trier zog, und wandte sich grollend von ihm, weil er
dennoch den Zug unternahm. Von da an verfolgte den Ritter das
Unglück, bis er von seinen Feinden besiegt wurde und auf seiner
Feste Landstuhl den Tod fand.
Der Geist trauerte tief um seinen Freund und verschloß sich
ein Jahr lang in seiner kristallenen Wohnung. Dann ließ er sich
wieder sehen.
Er schwebt noch heute um Fels und Burg. Trübe und wolkig
ist seitdem sein Gewand, und im Gras am Ufer der Nahe
glänzen seine Tränen, die er um seinen Liebling, den letzten
Ritter, weint.
-427-
Kaiser Rudolfs Ritt zum Grabe
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Sagen aus Pommern
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Der Fünflöcherstein bei Zarrentin
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Der Klabatermann in Pommern
Sobald ein neues Schiff fertig ist und von seiner Mannschaft
übernommen wird, zieht auch, wie die Schiffsleute in Pommern
meinen, ein kleiner Geist in das Fahrzeug ein, den die Schiffer
den Kalfater oder Klabatermann nennen. Er ist ein guter Geist,
der für das Schiff und für die Mannschaft Segen bringt. Nur
wenige Leute haben ihn gesehen, denn es bedeutet ein Unglück
für den, der ihn wahrnimmt. Die wenigen, die ihn zu Gesicht
bekamen, erklärten, er sei kaum zwei Fuß groß, trage eine rote
Jacke und habe weite Schifferhosen an, ferner trage er einen
runden Hut auf dem Kopf.
Man kann den Klabatermann zwar nur selten sehen, aber desto
öfter hören, wie er im Schiff arbeitet; denn das tut er
unaufhörlich. Überall hilft er bei der Arbeit mit, am Anker, bei
den Segeln und besonders im Laderaum, wo er die Ballen
nachstaucht und das Schiff an Stellen kalfatert, wo kein Mensch
dazukann; daher hat er auch seinen Namen. Er weckt auch den
Schiffer, wenn dieser in der Kajüte eingeschlafen ist und das
Schiff in Gefahr gerät.
Das alles wissen die Schiffsleute recht gut, und wenn sie ihn
unten im Raum oder draußen an den Planken hantieren hören, so
sagen sie nur: "Hörst du? Da ist er wieder."
Manche behaupten, nicht jedes Schiff habe so einen Kalfater,
sondern es sei ein besonderes Glück, das nur wenigen Schiffen
zuteil werde. Denn ein solches Schiff soll niemals zugrunde
gehen.
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Der Klabautermann
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Nase, der festgeschlossene Mund und das starke Kinn deuteten
auf Willensstärke, indessen sich über das gebräunte Antlitz ein
Ausdruck von Gutmütigkeit verbreitete. Gekleidet war sie in die
dunkle Tracht, welche bei den Frauen Rügens üblich war.
Zeugte der Anzug auch von großer Armut, so doch auch
wiederum von peinlicher Ordnung und Sauberkeit.
Sie war einst ein hübsches Mädchen gewesen, die Helge, und
viele junge Männer hatten sich um sie beworben, auch
wohlhabendere als Jan Classen. Sie hätte nur zuzugreifen
brauchen, und sie wäre des reichsten Bauern Weib geworden
und hätte heute in teuren Kleidern mit goldenen Knöpfen
einhergehen können. Ihre Mutter hatte ihr vergebens zugeredet,
ihr Glück nicht von sich zu stoßen, und hatte die Hände über
dem Kopf zusammengeschlagen, als sie erfuhr, daß Helge den
wilden, unbändigen, jähzornigen Jan heiraten wollte.
Dieser besaß nichts als einen Fischerkahn, und ein Häuschen
wollte er sich erst von seinen Ersparnissen bauen, die er als
Steuermann eines Kauffahrers erworben hatte. Und doch wurde
es so. Allgemein bedauerte man, daß die brave Helge eine
solche Wahl getroffen hatte, und die Mutter sagte ärgerlich:
"Meinetwegen denn, wenn du dir einmal einbildest, daß du den
wilden Menschen zähmen willst.
Komme mir aber später nicht mit Klagen!" Helge kam nicht
mit Klagen, obgleich sie viel unter ihres Mannes Ungestüm und
rohem Sinn zu leiden hatte.
Aber sie hatte ihn eben lieb und er sie auch.
Das Häuschen, welches Jan sich weitab von allen andern
erbaut hatte, war wohl klein, doch nett und wohnlich. Helge
wußte der sehr bescheidenen Einrichtung eine solche
Behaglichkeit zu geben, daß es jedem wohltat, der in die kleine
Stube trat. Aber nicht nur ihr kleines Hauswesen hielt sie in
Ordnung; sie half ihrem Mann auch tüchtig bei der Arbeit. Sie
fuhr mit hinaus zum Fischfang, trocknete und räucherte die
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Fische, strickte, flickte und wusch die Netze, kurz: Sie war eine
richtige und echte Gefährtin ihres Mannes. Ja, und wenn er es
auch nicht laut sagte, er empfand ihren Wert gut und ehrte und
liebte sie in seiner barschen Weise. Er gab viel auf ihren Rat und
ihre verständige Rede, wenn er ihr auch scheinbar niemals recht
gab.
Vielleicht hätte sich seine Rauheit noch gemildert, wenn die
bunte Wiege, die ihnen als Hochzeitsgabe verehrt worden war,
nicht leer geblieben wäre. Doch Jahr um Jahr ging dahin, und
das Paar blieb allein. Kein helles Kinderlachen unterbrach die
Stille der Hütte, kein Kindesauge strahlte Jan und Helge an. Und
sie hätten sich beide unendlich gefreut, wenn ihnen solches
Glück beschert worden wäre.
So schön das Häuschen gelegen war --- es gewährte einen
prächtigen Ausblick auf das weite Meer ---, so gab es dabei
doch einen Punkt, über den Helge mit ihrem Manne nie einig
wurde, und das war die Nachbarschaft einer wunderbaren
QueIle. Unweit der Hütte quoll klares, reines Wasser aus dem
Felsen. Es war von einer merkwürdig blaugrünen Farbe, genau
wie Seewasser, jedoch von süßem Geschmack. Als munteres
Bächlein stürzte es sich über die FeIsen hinab in das Meer, mit
dem es sich sofort verband. Jan hatte sein Haus mit gutem
Bedacht in die Nähe dieser Quelle gebaut, da Trinkwasser sonst
nur aus großer Entfernung zu beschaffen war. Es gab zwar den
Herthasee in der Nähe; aber daraus mochte niemand Wasser für
den Haushalt schöpfen.
Kurze Zeit, nachdem Helge als junge Frau in ihr neues Heim
gezogen war, fiel es ihr auf, daß sich in der Quelle jedesmal ein
sonderbares Brausen und Rauschen bemerkbar machte, wenn sie
ihre Eimer dort füllte. Einigemal war es ihr vorgekommen, als
ob ein wunderliches Gesicht sie aus dem klaren Wasserspiegel
drohend angeblickt hätte, so daß sie erschrocken zurückfuhr.
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Eines Tages wollte sie eben wieder zur Quelle gehe n, da
begegnete ihr der greise Knut, der Ziegenhirt, der wohl mehr als
hundert Jahre alt sein mochte.
Als er sah, daß die Frau in der Felsenquelle Wasser schöpfen
wollte, fiel er ihr entsetzt in den Arm und rief: "Was beginnst
du, törichtes Weib, willst du mit aller Gewalt Unheil über dich
und deinen Mann bringen? Weißt du nicht, daß diese QueIle der
Eingang zur Wohnung des Klabautermanns ist?"
"Was sagst du", stammelte Helge erschrocken, "hier wohnt der
boshafte Wassergeist, der seine Freude daran hat, wenn die
Schiffe ins Verderben stürzen? "
"Jaja." Der Alte nickte.
"Dein Mann weiß es recht gut; aber in seinem wilden
Frevelmut hat er sich fern von allen Menschen trotzig hier
angebaut."
Helge überlief es eiskalt. Sie überlegte, daß sie ja, ihren
ganzen Bedarf an Wasser von jeher aus dieser Quelle geschöpft
hatte und daß ihr auch in Zukunft nichts anderes zu tun
übrigblieb. Wie, wenn dies nun den Zorn dieses unheimlichen
Wasserzwerges erregte, der von den Seeleuten so gefürchtet
war? Hatte sie nicht oft erzählen hören, wie der Klabautermann,
lachend seine Laterne schwenkend, auf dem Kiel des Schiffes
hockte oder in den Rahen umherkletterte, wenn des Wetters
Ungestüm das Schiff, das dem Untergang geweiht war, in seinen
Fugen erbeben ließ? Wenn der Blitz den Mast zerschmetterte,
wenn die wilden Wogen das Steuer entrissen, wenn das
unglückselige Wrack dem Untergang nahe war und die
Besatzung dem Wellentod entgegensah, dann jauchzte der
Klabautermann, und bis zum letzten Augenblick verweilte er auf
dem untergehenden Fahrzeug. Versank es endlich in den
tosenden Fluten, so war der letzte Ton, der an die Ohren der
Ertrinkenden schlug das gellende Gelächter des
Klabautermanns. Und aus seinem Bereich war Helge
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gezwungen, Wasser zu holen! Natürlich hatte sie diese Tatsache
sofort ihrem Manne mitgeteilt und ihn inständig gebeten, sich
doch bei all den andern Menschen im Dorf ein neues Häuschen
zu bauen. Gern wollte sie alle ihre Ersparnisse hingeben, um nur
dieser gefährlichen, unheimlichen Nachbarschaft zu entgehen.
Aber da war sie schön angekommen! Jan wollte über Helges
Entsetzen schier platzen vor Lachen und rief: "Närrisches Weib,
denkst du, ich weiß nicht, wer unser Nachbar ist? Das ist's ja
eben, was mir Spaß macht, daß uns der wunderliche Kauz
Trinkwasser geben muß, er mag wollen oder nicht. Sei nicht so
dumm, dich zu fürchten! Der Klabautermann ist kein so
schlimmer Gesell, wie du glaubst. Ich habe Beispiele genug
gehört, daß er Schiffer und Fischer sogar beschützt hat."
"Um so weniger hättest du seinen Unwillen herausfordern
sollen", entgegnete die Frau ernst. "Man muß die Bosheit nie
herausfordern und die Gutmütigkeit nicht mißbrauchen. Warum
störst du den Wassergeist in der Stille seiner Wohnung? Ich
glaube nicht, daß es ihm gefällt, wenn ich den Eimer in die
Quelle hinablasse."
"Ach, Weibergeschwätz", brummte der Fischer. "Wenn ihm
meine Nachbarschaft nicht gefällt, mag er fortziehen!"
Helge seufzte. Sie wußte leider schon längst, daß ihr Mann
niemals auf vernünftige Vorstellungen hörte, sondern nur
seinem Eigenwillen folgte. Seit der Zeit ging sie mit Zagen und
Widerwillen nach der Quelle. Viel lieber wäre sie drei Stunden
nach dem Herthasee gegangen. Allein dessen Wasser war am
Ufer oft trüb und schlammig. Sie schöpfte von nun an mit der
größten Vorsicht und vergaß niemals, vorher hinabzurufen:
"Bitte erlaube mir, ein wenig Wasser hier zu schöpfen." Alsdann
war es ihr, als ob aus dem Wasserspiegel ein runzliges Antlitz
zustimmend nickte.
Es war an einem sonnigen Sommernachmittag. Das Meer
glitzerte ,und glänzte im Sonnenschein und murmelte leise wie
ein Waldbächlein. Über ihm wölbte sich tiefblau die
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Himmelsdecke. Am Horizont flossen Himmel und Meer so innig
zusammen, als ob man dort aus einem ins andere schreiten
könnte. Helge war zur Quelle gegangen, hatte aber ihre Eimer
hingestellt und saß nun, die Hände über dem Knie verschränkt,
nachdenklich auf einem Felsenvorsprung. GedankenvoIl blickte
sie in die Ferne. Dort draußen die weißen Punkte waren wohl
die Fischerboote, bei denen sich auch Jan befand. Sie fühlte sich
heute wieder einmal recht einsam. Die schwüle Stille wirkte
niederschlagend auf ihr Gemüt. Es war so leer, so öde um sie.
Warum war ihr nur das Glück nicht beschieden, ein Kindlein zu
besitzen? Unwillkürlich hatte sie ihren Gedanken Worte
verliehen; da, plötzlich ein Schrei, ein Platsch -- und als sie sich
erschrocken umsah, bemerkte sie, daß von dem steilen Abhang
ein kleines Kind in die Quelle gefallen war. Diese war tief.
Rasch und entschlossen beugte sich Helge über den
Brunnenrand. In demselben Augenblick tauchte das Kind wieder
empor. Sie erfaßte es, und mit einem kräftigen Ruck hob sie es
hoch.
Es war ein Knabe von vielleicht drei Jahren. Weder der Fall
noch das Bad schienen ihm geschadet zu haben; denn er blickte
seine Retterin mit hellen Augen an und lachte. Schön war er
nicht, das mußte man sagen. Auf einem kleinen, schmächtigen,
aber starkknochigen Körper saß ein großer, dicker Kopf,
bedeckt mit langsträhnigem schwarzem Haar, das zottig in die
breite, niedere Stirn hineinhing.
Die gelbe Haut war straff über die hervorstehenden
Backenknochen gezogen. Ein breiter Mund mit wulstigen
Lippen ließ zwei Reihen mächtiger Zähne erkennen. Eine
kleine, plumpe Nase gereichte dem Gesicht durchaus nicht zur
Zierde, und nur die beweglichen grauen Augen verschönten
dasselbe einigermaßen. Im Grunde bot der Junge den Anblick
eines recht häßlichen, kleinen Ungetüms. Er schien überdies
auch keineswegs von reicher Herkunft zu sein; denn das einzige
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Kleidungsstück, das er trug, war ein grobwollener, brauner
Kittel. Seine krummen Beinchen waren unbedeckt.
Was fragt denn aber ein Frauenherz nach Schönheit, wenn sein
Mitgefühl für ein hilfsbedürftiges Wesen erweckt wird! Frau
Helge trocknete den armen Schelm mit ihrer Schürze ab und
fragte ihn besorgt, ob er sich weh getan habe. Da riß der Kleine
den Mund weit auf und schrie: "Nein, Purzelbaum 'macht, bums,
platsch!" Dabei bezeichnete er den Vorgang so komisch mit
Händen und Beinen, daß die Frau mitlachen mußte. Endlich
fragte sie den Knaben, der es sich auf ihrem Schoß bequem
gemacht hatte: "Wie heißt du denn, mein Söhnchen? Wer sind
deine Eltern, und wo wohnst du? "
Der Knabe schien aber gar nicht zu verstehen, was die Frau
wissen wollte, sondern rief nur, vergnügt mit den Beinen
strampelnd :
"Bautzmann, Bautzmann!"
"Du kannst doch nicht Bautzmann heißen", erwiderte
verwundert Helge. Aber: "Oja, oja!" beteuerte der Kleine
lachend und zappelnd.
Helge überlegte, was sie wohl mit dem Kind anfangen sollte.
Es hatte etwas so Fremdartiges an sich und schien durchaus
keine Auskunft über seine Angehörigen oder seine Heimat
geben zu können. "Willst du mit mir kommen?" fragte sie von
neuem, und "ei ja, ei ja! Hunger, essen!" antwortete der Kleine.
Das ließ sich die Frau gesagt sein. Rasch füllte sie ihre Eimer,
hob den einen auf die Schulter und hieß den Kleinen sich an der
Hand festhalten, mit welcher sie den anderen Eimer trug.
Hei, wie der Junge mit den krummen Beinchen rennen konnte!
Im Häuschen angekommen, holte Helge Ziegenmilch und Brot
herzu, um den Hunger ihres Findlings zu stillen. Dieser war auf
die Bank geklettert und stemmte die Ärmchen auf den Tisch, als
ob er von jeher hier daheim gewesen wäre. In unglaublich
kurzer Zeit hatte er die Speisen verzehrt; doch war er nicht so
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unbescheiden, noch mehr zu fordern, obgleich sich Helge erbot,
ihm noch Milch und Brot zu holen. Er machte es sich bald
bequem, streckte sich auf die Bank, legte den Kopf auf den Arm
und schlief ein. Kopfschüttelnd betrachtete die Frau den kleinen
Schläfer. Er war doch ein gar zu wunderliches Geschöpf. Was
würde wohl ihr Mann zu dem kleinen Gast sagen?
Es wurde Abend. Helge war mit dem Zubereiten des
Abendbrotes fertig und trat hinaus, um nach Jan auszuschauen.
Da nahten die Boote schon. Flink lief sie zum Ufer hinab, um
beim Landen zur Hand zu sein. Ihr Mann winkte ihr schon von
weitem fröhlich zu und rief herüber: "Solchen Fang wie heute
habe ich noch nie gemacht.
Schau her, Weib, das Boot faßt die Fische kaum!"
HeIge schlug die Hände vor Erstaunen zusammen. Da galt es,
sich zu rühren, um das Glück richtig zu nützen, damit die schöne
Beute nicht verderbe. Vorläufig wurden die Fische in Fässer
getan und für die Nacht an einen kühlen Ort gestellt. Morgen in
aller Frühe sollte es an das Einsalzen oder Trocknen gehen. Die
Sonne war bereits untergegangen, als Jan und Helge in die Stube
traten, um sich das wohlverdiente Abendbrot schmecken zu
lassen. Erst jetzt fiel es der Frau ein, daß sie ganz vergessen
hatte, ihrem Mann von dem kleinen Ankömmling etwas zu
sagen. Im Halbdunkel kollerte den Eintretenden ein sonderbares
Etwas entgegen. Es war der kleine Junge, welcher ausgeschlafen
hatte und nun zum Zeitvertreib Purzelbäume in der Stube
schlug. Verwundert prallte Jan zurück; doch Helge erzählte kurz
und bündig, während sie die Tranlampe anzündete, wie sie zu
dem Kinde gekommen sei. Prüfend betrachtete der Fischer den
wilden Knaben. Dann packte er ihn mit raschem Griffe beim
Genick, stellte ihn auf die Beine und sagte: "Na, mal still,
Knirps, muß doch sehen, was du eigentlich für ein Kerlchen
bist."
Der guckte ihn von unten herauf mit einer so komisch
ernsthaften Miene an, daß Jan in lautes Lachen ausbrach und
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rief: "Gelt, Weib, gerade so hätte unser Söhnchen nicht
ausschauen sollen. Ich werde morgen nach der Arbeit Umfrage
halten, wohin der kleine Schelm gehört. Sollte sich jedoch
niemand zu ihm finden, nun, so mag er eben bei uns bleiben."
Ein listiger Blick schoß aus des Knaben Augen nach Jan und
Helge. Diese jedoch bemerkten es nicht. Helge hob ihn auf die
Bank, damit er an der abendlichen Mahlzeit teilnehme.
Jans Nachforschungen nach des Kleinen Eltern und Heimat
blieben erfolglos, obgleich er sie beharrlich wochenlang
fortsetzte.
Bautzmännchen zeigte auch gar kein Verlangen, wieder
fortzukommen, sondern fühlte sich in Classens Hause ganz
heimisch.
Helge war dies recht. Sie hatte den Wildfang liebgewonnen.
"Er sieht auch gar nicht so häßlich aus, wie es mir anfangs
vorkam", sagte sie zu ihrem Mann. Doch dieser schlug ihr
lachend auf die Schulter und fügte hinzu: "Weil du dich bereits
an den Kleinen gewöhnt hast!"
Wochen und Monate gingen dahin. Der Knabe, den man Klaus
genannt hatte, weil Bautzmann doch gar zu sonderbar klang,
brachte Leben in das eintönige Dasein Jans und Helges. Er
tummelte sich auch sorglos außerhalb des Häuschens, kletterte
mit den beiden Ziegen um die Wette oder bat den Fischer so
lange, bis er ihn mit auf den Fischfang nahm. Dann hockte er
auf der Spitze des Kieles, und wenn das Boot auf bewegten
Wellen auf und nieder tanzte, schrie er lustig: "Hoioho, hoioho!"
Anfänglich war Jan ängstlich gewesen, das Kerlchen könne am
Ende ins Meer fallen. Aber diese Sorge schwand bald; denn
Klaus klebte wie eine Klette an dem Kahn. Und als er eines
Morgens doch ins Wasser purzelte, sah Jan zu seinem höchsten
Erstaunen, daß er schwimmen konnte wie eine Wassermaus.
Das schien ihm doch nicht mit rechten Dingen zuzugehen, und
bedenklich sah er den Jungen von der Seite an, als er wieder im
Boot stand und wie ein nasser Pudel das Wasser abschüttelte.
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Bald aber beruhigte er sich. Er dachte: Der Klaus ist jedenfalls
älter, als wir gemeint haben. Er ist nur so klein, und bei seinem
häßlichen Gesicht läßt sich das Alter schwer bestimmen. Es ist
schade, daß er darüber keine Auskunft geben kann.
Einige Tage später begleitete Klaus seine Pflegemutter, die
eine Bütte voll Fische nach dem Markte trug. Unterwegs
begegnete ihnen der alte Knut, der Ziegenhirt. Kaum hatte er
den Knaben an Helges Seite erblickt, so fuhr er zusammen, als
ob ihn eine Natter gestochen hätte. Starr sah er ihn an und hob
warnend die Hand in die Höhe.
"Woher habt Ihr denn den Jungen, Helge Classen?" rief er aus.
"Schafft ihn schleunigst wieder hin, wo Ihr ihn gefunden habt.
Denkt an meinen Rat!" Klaus war hinter die Frau getreten und
schnitt dem Hirten eine fürchterliche Fratze, wobei er drohend
die kleine Faust ballte. Doch dieser ließ sich nicht irremachen,
sondern sagte mit erhobener Stimme: "Er scheint aus Holland zu
stammen, man hört es an der Sprache. Jaja, dort gibt es Leute,
die haben Wohnungen wie die Dachse und Füchse. Nur daß sie
mit Wasser gefüllt sind und ihre Ausgänge an den Ufern aller
Meere haben, damit sie bei der Hand sind, wenn Sturm und
Wetter die Schiffe in Not bringen! "
Hätte jetzt Frau Helge Obacht auf ihren Schützling gehabt, so
würde sie mit Entsetzen die Veränderung bemerkt haben, die
mit ihm vorging. Die Füße schienen vor Wut den Erdboden
zerstampfen zu wollen. Die Gesichtszüge waren verzerrt. Aus
dem Munde fletschten die Zähne wie bei einem Raubtier, und
die Augen schienen Flammen zu sprühen. Von alledem nahm
die gute Frau jedoch nichts wahr.
Sanft antwortete sie: "Wir haben das hilflose Kind
aufgenommen, weil niemand es haben mochte, und bis jetzt
haben wir keine Ursache, den armen Schelm wieder fortzujagen.
Uns ist endlich ein Kind geschenkt worden, das wir liebhaben
können. Nicht wahr, Klaus, du hast uns auch lieb?" Bei den
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freundlichen Worten Helges hatten sich die Mienen des Knaben
wieder aufgehellt, und jetzt antwortete er freundlich, nicht ohne
einen Seitenblick auf Knut, der mit vorgestrecktem Kopf
aufhorchte: "Ja, habe euch lieb; Bautzmann will bei euch
bIeiben! "
Bei dem Namen Bautzmann zuckte Knut zusammen, fuchtelte
nochmals warnend mit seinem Stock in der Luft herum, sagte
aber nichts mehr, sondern hinkte davon.
So war der Spätherbst gekommen. Das Wetter wurde von Tag
zu Tag stürmischer und für die Fischer gefährlicher. Mit Sorge
sah Helge oftmals ihren Mann hinausfahren auf die stürmische
See. Sein alter Trotz und Übermut, die eine Zeitlang geruht
hatten, brachen plötzlich mit Gewalt wieder hervor, und er
achtete weder auf Bitten noch auf Warnungen. Seine Lust an der
Gefahr überwog alle vernünftigen Vorstellungen. Auch den
kleinen Klaus befiel eine merkwürdige Unruhe. Er kam oft den
ganzen Tag nicht heim, und Helge lebte in fortwährender Angst,
daß ihm ein Unglück widerfahren sei. Seit die schlimme
Witterung eingetreten war, durfte er Jan nicht mehr beim
Fischfang begleiten. Seine Bitten wurden rauh zurückgewiesen:
"Das fehlte mir noch, auf einen unnützen Bengel aufpassen zu
müssen, wenn man alle Hände voll zu tun hat, um mit Wind und
Wasser fertig zu werden. Warte, bis du groß bist, dann kannst du
mir helfen!"
Eines Tages rüstete sich Jan wieder zum Fischfang. Der Sturm
heulte um die Hütte, als ob alle bösen Geister losgelassen wären.
Dichte Nebel verhüllten das Meer. Die Sonne glich einem
schwefelgelben Ball, der sich mühsam im Firmament fortwälzte.
Als Jan das Boot klarmachte, war ihm Helge gefolgt. Sie war
zum Mitfahren fest entschlossen, damit ihr Mann wenigstens
jemanden in der Nähe habe, der ihm beistehen könne. Aber
barsch und ungestüm hatte dieser ihre Hilfe zurückgewiesen.
"Ich bin Manns genug", schrie er ihr zu, "und ich brauche keinen
Weiberbeistand. Du willst mich wohl gar retten, wenn es an
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Hals und Kragen geht? He? Da müßte ich mich ja schämen und
auslachen lassen! Nein, du bleibst daheim.
Punktum!"
Als Jans Boot in den wallenden Nebelmassen verschwunden
war, kehrte Helge tiefbetrübt ins Häuschen zurück. Eben
schlüpfte Klaus mit einem listigen Lächeln zur Hintertür hinaus,
als die Frau in die Stube trat und sich nach dem Knaben umsah.
Es war ihr gar nicht lieb, daß auch er sich bei dem bösen Wetter
umhertrieb. Wollte er es ihrem Manne nachtun? Der Tag schlich
dahin. Gegen Abend hellte sich der Himmel etwas auf. Heute
war Vollmond. In Helges geängstigtem Herzen stieg die
Hoffnung auf, daß ihr Mann beim Mondenschein zurückkehren
werde, wenn nur das Meer sich erst etwas beruhigte.
Auch Klaus war den ganzen Tag nicht heimgekommen. Wo
trieb sich nur der Bub umher? Die Frau trat vor die Tür, um
nach ihm auszuschauen. Siehe, da nahte der alte Knut. Er winkte
und machte schon von weitem allerhand Zeichen, daß Frau
Helge mit ihm kommen solle. Ein Schrecken durchfuhr sie. War
ein Unglück geschehen? Knut ging eilenden Schrittes den
steilen Weg hinab, der in das Tal führte, wo der Herthasee lag.
Immer winkend, rief er Helge halblaut zu: "Geschwind,
geschwind, daß wir unten sind, wenn der Mond aufgeht. Da
werdet Ihr sehen, was Ihr mir nicht glauben wolltet!"
Der Frau klopfte das Herz. Was sollte sie nur erfahren? Jetzt
waren sie angekommen. Knut faßte sie bei der Hand und zog sie
hinter einen Felsvorsprung von dem aus man ungesehen das Tal
beobachten konnte. Alles lag still. In wunderlichen Formen und
Gestalten wallten die Nebelschleier durcheinander. Ein fahles
Licht ließ alles noch unheimlicher erscheinen. Aus dem
sumpfigen Boden am Rande des Sees tauchten zahllose
Irrlichter auf. Leuchtende Dünste durchzogen die Luft. Es war
ein Leben und Treiben, das unheimlich aussah. Plötzlich
erschien den Mond über den Hügeln, und sofort veränderte sich
das Bild. Den Abhang herab schritt Hertha, eine große
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weißgekleidete Frau. Weithin wallte ihr goldblondes Haar gleich
einem mächtigen Schleier. Ihre großen blauen Augen strahlten
in mildem Glanz; doch über ihrer ganzen Erscheinung lag der
Ausdruck tiefer Trauer. Als sie am See angekommen war,
umringten sie zahllose weibliche Wesen, die aus den Nebeln
entstanden waren. Sie brachten einen goldenen Wagen herbei,
den sie vorher im See gewaschen hatten. Aber siehe, er war
morsch, und die Speichen seine r Räder waren zerbrochen. Im
wogenden Reigen zogen sie den Wagen hinweg, und nun
umtanzten Kobolde und Erdgeister die betrübte Frau, die
teilnahmslos am Seeufer saß und nach dem stillen Monde
blickte.
Da veränderte sich das Bild. Mitten auf dem See kam ein
sonderbares Wesen in einem Muschelwagen gefahren. Beinahe
hätte Helge laut aufgeschrien und "Klaus!" gerufen, wenn ihr
nicht zu rechter Zeit Knut die Hand auf den Mund gelegt hätte.
Das Männchen sah aber durchaus nicht kindlich aus, sondern
trug einen langen, dunklen Bart, auf dem Kopf eine Lederkappe
und war nach Art der holländischen Schiffer gekleidet. In der
Hand hielt es eine weithin leuchtende Laterne, weIche es lustig
im Kreise schwang. Vor der weißgekleideten Frau machte es
halt, verneigte sich und schien ihr leise etwas mitzuteilen, wobei
es mehrmals nach der Richtung deutete, in der Classens Hütte
lag. Ein Schimmer von Heiterkeit überflog Herthas Gesicht, als
sie den Kleinen abschiednehmend freundlich grüßte. Dieser
lenkte alsbald seine Muschel nach der Mitte des Sees, wo er
versank. In diesem Augenblick kamen düstere Wolken und
verhüllten den Mond. Im Nu verschwanden auch die übrigen
Gestalten auf dem Herthasee sowie Hertha selbst. In der Luft
ertönte ein dumpfes, entsetzliches Brausen, und mit doppelter
Gewalt brach das Unwetter wieder los. Helge war regungslos.
Ihr wirbelte der Kopf von dem Gesehenen. Der Schrecken nahm
ihr den Atem und ließ sie keinen Gedanken fassen.
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Da packte Knut sie am Arm und rief: "Wißt Ihr nun, wen Ihr
bei Euch aufgenommen habt? Habt Ihr den Klabautermann
erkannt?"
HeIge konnte nicht antworten. Sie nickte nur stumm und ließ
sich willenlos von dem Hirten hinwegziehen. Es war schwer,
das Häuschen zu erreichen; denn die Naturgewalten schienen
sich verschworen zu haben, den entsetzlichsten Reigen
aufzuführen. Das Meer brüllte und schleuderte Wogenberge
brandend gegen die Felsen, als ob es das Eiland vernichten
wollte. Jammernd rang Helge die Hände; denn aus diesem
Aufruhr der Natur kehrte wohl ihr Mann nimmer zurück.
Voll Trotz und sehr befriedigt, sein Weib zurückgewiesen zu
haben, segeIte Jan hinaus auf die See. Obgleich Wind und Nebel
für den Fischer keine Verbündeten sind, senkte er doch die
Netze ins Meer.
Er hatte aber heute entschieden Unglück. Zuerst geriet das
Netz an eine Klippe, und es war noch gut, daß es völlig zerriß;
denn beinahe wäre durch die Gewalt des Rucks das Boot
gekentert. Während Jan damit beschäftigt war, das Netz aus dem
Wasser zu ziehen, legte sich der Wind in das Segel, und von
neuem kam das Schiff in Gefahr umzuschlagen. Jan arbeitete
aus Leibeskräften, um das Segel zu reffen; denn der Sturm erhob
sich immer mehr. Nur mit äußerster Anstrengung gelang es ihm
endlich. Dichter und kälter umgaben die Nebelmassen den
einsamen Fischer. Kaum konnte er die blendendweißen
Schaumkämme der heranstürzenden Wogen erkennen. Doch der
wetterharte Mann verzagte nicht. Mit eiserner Faust hielt er das
Steuer und lugte scharf aus, daß er vor dem Winde blieb.
Allerdings sagte er sich, daß er auf diese Weise keine Aussicht
hätte, wieder in die Nähe der Heimatinsel zu gelangen, sondern
vielmehr auf das weite Meer hinaustrieb. Mittag war vorbei, als
sich der Wind einigermaßen legte und hier und da ein Riß in der
Nebelwand entstand. Eiligst hißte Jan das Segel auf, und durch
Kreuzundquerfahrt hoffte er, die Rückkehr noch vor dem
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Dunkelwerden bewerkstelligen zu können. Es sollte ihm nicht
gelingen. Der Sturm schien nur Atem geholt zu haben; denn als
der Abend nahte, erhob er sich mit erneuter Gewalt. Gleichzeitig
brach eine dichte Finsternis herein, und der unglückliche Fischer
sah sich rettungslos dem empörten Meere preisgegeben.
Vergebens kämpfte er mit Aufbietung seiner letzten Kräfte in
Todesangst um sein Leben.
Längst waren ihm das Spotten und das Trotzen vergangen.
Noch einmal durchbrach der Vollmond die Wolken und den
Nebel; dann wurde es wieder tiefe Nacht. Stumpf und starr, nur
noch krampfhaft das Steuer umklammernd, hockte Jan in seinem
Boot. Da, plötzlich, was war das? Welch sonderbarer
Lichtschein? Was kauerte denn da vorn auf dem Kiel? Dem
Fischer lief es eiskalt über den Rücken, als er erkannte, daß es
ein zwerghaftes Männchen mit einem langen Bart war, welches
eine Laterne im Kreise schwang und gellend dazu lachte. "Der
Klabautermann!" murmelte der erblassende Jan.
"Ja, der Klabautermann!" kreischte der Kleine. "Erkennst du
mich nicht?"
"Klaus, Bautzmann!" rief entsetzt der Fischer.
"So ist's", entgegnete der. "Ich bin Helges und dein
Pflegesohn. Euch zu prüfen, kam ich in euer Haus. Jetzt siehst
du nun, eigenwilliger, hochmütiger Mensch, wohin dich dein
wilder Trotz geführt hat." Jan vermochte nicht zu antworten.
Seine Zähne schlugen klappernd gegeneinander, und die helle
Verzweiflung malte sich auf seinen Zügen. Seine schlotternden
Beine trugen ihn nicht mehr. Kraftlos sank er in sich zusammen,
und seinen Händen entglitt das Steuer.
Hei, wie das befreite Schifflein nun auf den turmhohen Wogen
tanzte; ein lustiges Spiel, wenn es nur nicht so verderblich
gewesen wäre! Des Fischers Übermut war gebrochen. Er ergab
sich in sein Schicksal und erwartete den Tod, den er selbst
heraufbeschworen hatte. "Klaus", bat er mit leiser, demütiger
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Stimme, "ich habe mein Los verdient. Wenn es aber noch eine
Gnade für mich gibt, so bitte ich dich: Grüße mein armes Weib,
tröste sie und verla sse sie nicht!"
Der Kleine hob seine Laterne empor und leuchtete dem Mann
ins Gesicht. Nachdem er ihn durchdringend angesehen hatte, rief
er.
"Will sehen, was sich für dich tun läßt." Und für sich setzte er
hinzu:
"Diese Lehre wird er nicht vergessen!" In demselben
Augenblick raste eine Riesenwelle heran, und -- verschwunden
war das kleine Fahrzeug mit seinen Insassen.
Am andern Morgen ging die Sonne fröhlich und heiter auf,
gerade als ob niemals ein Unwetter sie verdunkelt hätte. Das
Meer murrte noch ein wenig, die Wellen schlugen noch unruhig
gegen den Strand; aber die unendliche Wasserfläche machte
einen friedlichen Eindruck.
In Classens Hütte war es still. Helge saß vor dem großen Bett,
dessen buntgeblümte Vorhänge zurückgeschlagen waren, und
blickte besorgt auf ihren Mann, der mit verbundenem Kopf in
den Kissen lag und im Fieber irre redete. Sie beachtete die
eigene Erschöpfung nicht. Hatte sie doch die ganze Nacht in
Sturm und Graus am Ufer gestanden und in Angst auf ihren
Mann gewartet. Beim Morgengrauen hatte sie auf einmal ein
kreischendes "Hoioho "
vernommen. Gleich darauf spülte eine Welle mit dumpfem
Krach ein Boot ans Ufer, in dem sich, mit einem Seil an die
Ruderbank festgeschnürt, Jan befand. Voll Schreck und doch
voll Jubel hatte Helge ihren Mann losgeknüpft. Freilich gab er
nur schwache Lebenszeichen von sich und blutete aus einer
Kopfwunde; aber die brave Helge hob ihn auf und trug ihn in
die Hütte. So befand sich nun der Fischer in treuer Pflege, und
nach wenigen Tagen hatte das gute Weib die Freude, ihren
Mann genesen zu sehen.
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War dies aber noch ihr wilder Jan? Er war wie ausgewechselt.
Ernst und sanft, ruhig in seinem ganzen Benehmen, konnte sie
ihn kaum wiedererkennen. Er bemerkte das freudige Erstaunen
seiner Frau und benützte die erste Gelegenheit, als sie abends
bei der Lampe behaglich beisammensaßen, ihr die Erlebnisse
seiner letzten Schreckensfahrt zu erzählen. Am Schlusse reichte
er ihr die Hand und sagte: "Von nun an will ich ein anderer
werden. Nie wieder werde ich mich mutwillig in Gefahr
begeben. Wir wollen uns im Dorf bei all den andern Menschen
anbauen, dann werden wir auch den Klabautermann in Zukunft
nicht mehr belästigen." Wie froh war Helge über diesen
Entschluß!
Sie erzählte, was sie mit Knut gesehen hatte, und Jan hörte ihr
voll Staunen zu.
Im nächsten Frühjahr wurde im Dorf ein neues Häuschen
erbaut. Es gehörte Jan Classen. Schon im Spätsommer konnte
das glückliche Ehepaar einziehen. Hier sollte ihnen auch eine
Freude zuteil werden, die ihnen bisher versagt geblieben war;
denn im Herbst lag ein prächtiger Junge in der bunten Wiege.
Von nun an wurde ihr Glück durch nichts gestört.
Den Klabautermann sahen sie nie wieder. Sein Andenken aber
hielten sie in Ehren und litten nicht, daß man ihn einen
boshaften Wassergeist schalt.
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Der Kornwucherer
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Der Mägdesprung auf dem Rugard
Auf dem Rugard bei Bergen sieht man einen Stein, in dem ganz
deutlich die Spuren eines Frauenfußes und eines
Peitschenschlages abgebildet sind. Diese Spuren sollen auf
folgende Weise entstanden sein:
Dort lebte einst ein Junker, ein gar großer und frecher
Mädchenjäger.
Der traf einmal bei diesem Stein eine Jungfrau, die er mit seinen
falschen Liebesschwüren bestürmte, so daß sie sich seiner kaum
erwehren konnte. Als sie nun zuletzt gar keinen Ausweg mehr
sah, ihm zu entkommen, sprang sie in ihrer Angst von dem
Stein, auf dem sie stand, hinunter in die Tiefe des Tals. Darüber
wurde der Junker so zornig, daß er mit seiner Reitgerte auf den
Stein schlug. Da war es denn wunderbar, daß nicht nur die
Jungfrau unversehrt unten im Tal ankam, sondern daß sich auch
die Spur ihres Fußes und die des Peitschenschlages in dem Stein
abgedrückt hatten.
Jahn
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Der geizige Graf von Eberstein
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Die Glocken im schwarzen See bei Wrangelsburg
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Die Prinzessin Svanvithe und die Schätze unter
dem Garzer Wall auf Rügen
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Die goldene Henne in Vineta
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Die sieben eingemauerten Bauern zu Turow
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Die vier Rappen
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wie sausten da die Peitschenschläge auf ihre Schenkel und
Nacken, und das half auch.
Denn nun rasten die Tiere, indem sie helle Feuerflammen aus
den Nüstern bliesen, mit dem Wagen den Berg hinauf und durch
den Torweg auf den Schloßplatz, wo sie zitternd und bebend vor
der Haustür haltmachten.
Der Schloßherr schaute gerade zum Fenster heraus, als dies
geschah.
Vor Schreck war er wie versteinert. "Schöne Pferde, nicht
wahr?"
rief das graue Männchen zu ihm hinauf. "Hier, die beiden sind
dein Vater und deine Mutter, und die Vorderpferde, das sind
deine Großeltern. Worin du und dein Weib euch nicht bessert,
so werde ich wohl bald mit sechs Pferden fahren! "
Sprach's und verschwand, und mit ihm verschwanden die
unheimlichen Rappen und der Wagen, so daß allein der
entwurzelte Baum vor der Haustür noch an das Ereignis
erinnerte.
Der Edelmann nahm sich die Sache zu Herzen und wurde von
Stund an ein neuer Mensch. Dem Gärtner aber schenkte er
seinen Hof zum freien Eigentum, und der war darauf glücklich
und zufrieden sein Leben lang.
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Sankt Nikolaus in Greifswald
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Schatzgräberei in Bartelshagen
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Sagen aus Posen
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Das Hollenweibchen von Nemmersdorf
Nun war einmal ein junges Mädchen aus der Stadt erschienen,
um in Nemmersdorf die Hauswirtschaft zu erlernen. Das
Spinnen ging ihr nicht recht von der Hand, weil sie diese Arbeit
nicht von Jugend auf gelernt hatte; bei ihrer Hausfrau aber
mußte so fein gesponnen werden, daß man ein Gewinde durch
einen Trauring ziehen konnte.
Dieses Mädchen aus der Stadt wollte an die Spinnfrauen oder
Holleweibchen nicht glauben. Am Lichtmeßabend, als alle
andern schon schliefen, stand sie leise auf, reinigte die
Schlüssellöcher in Flur und Küche, die die Köchin sorgsam
verstopft hatte, damit die Holleweibchen nicht ins Haus
schlüpfen könnten, nahm das Spinnrad und legte Flachs auf;
kaum lag das Mädchen wieder im Bett, da brauste und sauste es
vor den Fenstern, als ziehe die wilde Jagd vorüber. Neugierig
eilte das Mädchen wieder in die Küche. Da saß ein kleines
graues Wesen am Spinnrad und spann; schon lag eine Rolle des
allerfeinsten Garns auf der Erde. Als das Mädchen erstaunt
näher schlich, packte das Holleweibchen seine losen Haare und
spann sie statt des Flachses. Plötzlich sah das Mädchen eine
Sternschnuppe fallen. Es wußte selbst nicht, was es war, und
schrie in seiner Angst und Not: "Ach, ach, der Himmel fällt
ein!" Darüber erschrak das Holleweibchen und rannte bei der
Tür hinaus. Das Mädchen machte sich rasch vom Spinnrad los
und zerhackte den Spinnrocken mit einem Küchenbeil in viele
Stücke. Als das Holleweibchen nach einiger Zeit wieder zur Tür
hereinschaute und das Spinnrad zerschlagen sah, kehrte es um
und lief davon.
Das Stadtmädchen aber war von nun an von seinem
Unglauben geheilt und hat nie mehr versucht, in der verbotenen
Zeit, in den Zwölften, den Nächten zwischen Weihnachten und
Dreikönig und zu Lichtmeß, zu spinnen oder Flachs aufzulegen.
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Der Tanz mit dem Teufel zu Danzig
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Der Topich vom Swenty-See bei Osterode
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Die Riesen von Insterburg
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Die Seejungfrauen im Tilsiter Schloßteich
Ein Bauernsohn aus der Umgebung von Tilsit wurde zum Heer
eingezogen; man bestimmte ihn zum Tambour, und ob gern oder
ungern, er mußte das Kalbsfell schlagen. Um sich ungestört, in
dieser Kunst zu üben, schlich er gewöhnlich hinter einen Busch
am Schloßteich. Eines Abends im Sommer begab sich der
Soldat mit seiner Trommel wieder dorthin. Da sah er im Teich
drei wunderschöne Mädchen baden; ihre Kleider, lange grüne
Gewänder und Schleier, lagen am Ufer. Wie der Blitz sprang der
Tambour aus dem Gebüsch hervor und raffte die Kleider
zusammen. Die Mädchen bemerkten ihn, vor Schrecken laut
aufschreiend, schwammen heran und baten ihn, ihnen doch
wenigstens ihre grünen Schleier zurückzugeben. Zweien folgte
er die Kleider aus, der schönsten Jungfrau brachte er
Bauernkleider, das Nixengewand aber verschloß er in einer
eisernen Kiste; dann begab er sich wieder in den Dienst; die
Nixe wurde demnach seine Hausmagd.
Von nun an gedieh alles im Hause aufs beste, es war die
ertragreichste Wirtschaft weit und breit. Der Soldat nahm seinen
Abschied und feierte Hochzeit mit der Seejungfrau. Viele Leute
beneideten den Glücklichen um seine schöne Frau. Nur war sie
immer so bleich und blieb am liebsten für sich allein. Abends
sang sie im Garten mit lieblicher Stimme rührende Lieder,
jedoch in einer Sprache, die niemand verstand.
So verstrichen einige Jahre, die Ehe war mit mehreren Kindern
gesegnet. Da mußte der Ehemann einmal verreisen. Er übergab
seiner Mutter den Schlüssel zu der versperrten Kiste und trug ihr
aufs strengste auf, ihn niemand auszuhändigen. Aber die junge
Frau bat so inständig, sie wolle noch einmal ihre alten Kleider
anziehen, daß die Mutter sich erweichen ließ und die Kiste
aufschloß.
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Schnell kleidete sich die schöne Frau an, doch als sie den
Schleier übergeworfen hatte, war sie verschwunden. Sie kam
auch nicht wieder, auch ihr Mann hat sie niemals mehr gesehen.
Nur ihren Kindern war sie - allen unsichtbar - oftmals nahe.
Diese spielten am liebsten in der Nähe des Schloßteiches, wo sie
häufig in der gleichen Sprache wie einst ihre Mutter liebliche
Lieder sangen.
Doch die Kinder wurden groß, verließen Haus und Hof. Heute
steht nur noch ein Bauernhof - doch liegt er in fremden Händen.
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Die Unterirdischen und das Glück eines Bauern
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Die Unterirdischen und der Graf zu Eulenburg
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Trauteppich, wo sie eben die Ringe wechselten; sie weinte aber
sehr, daß sie einen so kleinen Mann nehmen mußte. Der
Hausho fmeister sah eine Weile zu; plötzlich erloschen die
Lichter, und das Fest war jählings zu Ende.
Noch saß der Graf in seinem Arbeitszimmer, da sprang wieder
der kleine Unterirdische aufsein Pult und brachte folgende
Beschwerde vor.
"Lieber Graf, du hast versprochen, deine Leute fortzuschicken.
Dein Haushofmeister hat uns aber belauscht und dadurch unser
Fest gestört; deshalb sollen nie mehr als sieben Eulenburgs in
deiner Familie leben. Weil du es aber doch ehrlich mit uns
gemeint hast, schenke ich dir diesen Ring. Hüte dich, ihn zu
verlieren; solange du ihn trägst, soll deinem Haus kein Unheil
widerfahren!"
Der Graf hatte von der Rückkehr des Haushofmeisters nichts
geahnt.
Die Voraussage aber, daß stets nur sieben Grafen Eulenburg
leben sollten, ist bis zur heutigen Stunde eingetroffen, auch den
Ring hütet jeder Stammhalter treulich. Wie nötig dies ist, konnte
der alte Graf noch am eigenen Leibe erfahren. Der Schloßherr
hatte nämlich die Gewohnheit, wenn er sich wusch, den Ring
auf das Waschbecken zu legen. Einmal ging er, ohne ihn wieder
anzustecken, in den Schloßgarten. Kaum hatte er das Schloß
verlassen, als auch schon das ganze Gebäude in Flammen stand.
Und es war sein Glück, daß er sogleich an den Ring dachte, in
sein Zimmer stürzte und noch Zeit fand, das Kleinod wieder auf
den Finger zu streifen. Darauf erlosch das Feuer sofort.
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Ein Meisterschuß im Kampf um die Marienburg
Es war im Juli des Jahres 1410, als Ulrich von Jungingen, der
Hochmeister des Deutschritterordens, von der Marienburg aus
zur Verteidigung des Ordenslandes gegen den anrückenden
Polenkönig Wladislaus Jagello und dessen Vetter Witowd von
Litauen aufbrach und seine Truppen bei Tannenberg zur
Schlacht aufstellte. Doch von der Übermacht der Feinde besiegt,
mußte er selbst, heldenhaft kämpfend, sein Leben lassen, die
Reste des Ordesheeres aber zogen sich in die Feste Marienburg
zurück.
Ringsum ergaben sich Städte und Burgen dem Sieger, auch die
Landesbischöfe huldigten ihm. Der Polenkönig war überzeugt,
daß auch die Marienburg kapitulieren würde, wenn er mit
seinem gewaltigen Heer dort erschiene. Aber darin hatte er sich
getäuscht.
Die polnische Vorhut fand die Brücke über die Nogat
abgebrochen, alle Häuser in der Umgebung waren
niedergebrannt, rings um die Burg glühte noch das Feuer in den
Aschenhaufen. Die Polen konnten nur langsam und
beschwerlich auf die Burg vorrücken. Auf deren Mauern aber
und hinter den Zinnen standen Männer im Harnisch, alle Tore
waren fest verschlossen, die Fallbrücken aufgezogen.
So mußten der Polenkönig und sein Verbündeter sich zu
langwieriger Belagerung der Feste entschließen. Doch schon
nach kurzer Zeit spürten die Belagerer Not und Elend. Ihr
vereinigtes Heer war zu groß, um auf einem Platz gehörig
verpflegt zu werden; Krankheiten wüteten unter den Söldnern,
die wochenlang unter freiem Himmel auf engem Raum lagern
mußten. Tausende raffte die Ruhr hinweg.
Nun wurde der König besorgt und fing an, mit seinen
Bischöfen viel zu beten, auf daß Gott sich nicht von ihm wende.
Doch das Bitten brachte ihm wenig Trost und Beruhigung. Denn
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eine sonderbare Vorstellung hatte Gewalt über seine ängstliche
Seele errungen. Das große Bildwerk der Jungfrau Maria mit
dem Jesuskind in der äußeren Chornische der Marienkapelle,
das über die Stadt hinaus in das weite Land blickte, konnte er in
seinem farbigen Glanze nicht leuchten sehen, ohne von Sorge
und Neid ergriffen zu werden, daß der Orden einen so sichtbaren
Schutz habe. Tag und Nacht quälte ihn diese Angst. Schließlich
sprach er sogar in einer Versammlung seiner Kriegsobersten
darüber.
"Unsere Kugeln und Schleudersteine sind", so meinte er, "auf
jener Seite machtlos, denn die Heilige Jungfrau wehrt sie von
den Belagerten ab. Glaubt mir, solange das Bild dort mit der
Goldkrone auf dem Haupt ins Land hinausschaut, ist all unser
Mühen vergeblich. Die Jungfrau sorgt im Himmel dafür, daß
Gott uns nicht erhört."
Diese Worte des Königs vernahm Wladislaus, erster
Büchsenmeister, ein gewalttätiger, abergläubischer Mensch, den
es schon lange kränkte, daß seine Schießkunst von so geringem
Erfolg begleitet war.
Nun glaubte er zu wissen, worin der Grund dafür zu suchen
sei.
Immer hatte er seinen Kanonieren aufgetragen, die Kirche und
besonders das Heiligenbild zu schonen; jetzt sah er ein, wie sehr
er sich durch diese falsche Rücksichtnahme geschadet hatte, und
meinte, seines Königs Besorgnis leicht beseitigen zu können.
Zu diesem Zwecke stellte er eine mächtige Steinbüchse gerade
dem Chor der Marienkapelle mit dem wundertätigen Bild
gegenüber auf.
Den Schützen, die ihm zur Hand gingen, wurde bange. Sie
merkten wohl, was er vorhatte, und warnten ihn ernstlich. Aber
er lachte sie aus und höhnte: "Ihr sollt sehen, ihr Narren, daß das
Ding dort drüben nur aus Stein und Ziegel zusammengeklebt ist
und zerfällt, sobald meine Kugel dagegen fliegt. Wenn einmal
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die Marienkrone am Boden liegt, wird der Widerstand ein Ende
haben und unser König in die Burg einziehen. Ruft alle herbei,
die nun mit eigenen Augen sehen wollen, was geschieht.
Manchen guten Schuß habe ich in meinem Leben schon getan,
dieser aber soll mein Meisterschuß sein. Der König wird mich
reich belohnen, und ihr sollt nicht leer ausgehen. "
Bald lief die Kunde von dem Vorhaben des Büchsenmeisters
durchs Lager. Eine große Menschenmenge sammelte sich um
die Steinbüchse. Es hieß, der König habe den Schuß befohlen,
denn es sei ihm in der Nacht durch einen Engel geoffenbart
worden, daß er in die Burg einziehen werde, wenn er das
Steinbild in der Nische vernichten und in die Kapelle eine
Bresche schießen lasse. Manche schüttelten ängstlich den Kopf
dazu, wieder andere hatten gehört, die Ritter hätten mit dem
Bild Abgötterei getrieben und seien deshalb vom Papst in Rom
verflucht worden. Darum sei es ein gottgefälliges Werk, den
Anlaß zu solcher Sünde zu vertilgen.
Der Büchsenmeister kümmerte sich wenig um all dies Gerede
und um die ängstlichen Gesichter vieler Umstehenden, sondern
schüttete grobkörniges Pulver in ein Säckchen, mehr als das
doppelte Maß von dem, was sonst zu einem kräftigen Schuß
gehörte, packte es fest zusammen und schob es in die weite
Öffnung des Rohrs so weit sein nackter Arm reichte. Dann half
er mit einer Stange nach und stampfte es ,dreimal fest
zusammen. Darauf wählte er unter den Steinkugeln am Boden
die schwerste und glatteste und warf sie prüfend in die Luft, um
festzustellen, ob sie beim Fall auf die Erde zerspringen würde.
Sie bewährte sich, wurde in die Büchse geschoben und mit
einem Graspfropfen festgehalten. Nun stellte er sich an das
Kopfende des Geschützes und richtete nochmals scharf.
Gespannt blickte die Menge bald auf ihn, bald auf das Bild.
Plötzlich rief einer: "Das Christuskind hat die Hand aufgehoben
und mit dem Finger gedroht. Laß ab, Meister!" Ein anderer
äußerte zitternd zu den Nachbarn: "Seht, seht, die Jungfrau
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bewegt zornig die Augen!" Es herrschte allgemeine Aufregung.
Die meisten wünschten, der Schuß möge unterbleiben.
Indes schüttete der Büchsenmeister, ohne sich beirren zu
lassen, feines Pulver auf die Platte um das Zündloch, und stellte
einen Blechreiter gegen den Wind, damit es nicht verweht
werde. Dann ließ er sich die brennende Lunte reichen, klopfte
sie ab, rief ein weithin hörbares "Nun gebt acht!" und brachte
die feurige Kohle vorsichtig von hinten her an das Pulver. Eine
Sekunde herrschte atemlose Stille, dann gab,s einen
entsetzlichen Knall, wie man ihn bisher noch nie von einer
Steinbüchse vernommen hatte. Eine riesige Pulverwolke hüllte
das Geschütz ein, die nur langsam vom Wind fortgetragen
wurde.
Unversehrt stand das Marienbild. Mit mildem Ernst lächelte
die Jungfrau zu dem Kind auf ihrem Arm hinab. Das Rohr des
Geschützes aber war geborsten und abgesprengt. Mit
geschwärztem Gesicht und verbranntem Haar lag der
Büchsenmeister auf dem Boden, deckte die Hände über die
Augen und wimmerte kläglich.
Einige von seinen Knechten hoben ihn auf und trugen ihn fort.
"Um Himmels willen, was ist euch geschehen, Meister?" fragten
sie.
"Oh, meine Augen, meine Augen!" rief er jammernd; "ich bin
blind."
Da erfaßte die Menge Furcht und Entsetzen. Viele sanken auf
die Knie, erhoben die Hände zu dem Bild und beteten um
Vergebung ihrer Sünden. Die meisten rannten eiligst davon und
trugen die Schreckenskunde durch das Lager, der
Büchsenmeister des Königs sei mit Blindheit geschlagen
worden, weil er sich an der Muttergottes versündigt habe. Auch
Jagello erfuhr, was geschehen war. Er riß sein Gewand über der
Brust auf und rief: "Weh uns, das bedeutet Übel!
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Nun werden unsere Feinde hohnlachen, unsere Freunde aber
mutlos werden. Betet, betet, damit wir nicht noch schwerer
heimgesucht werden! "
In der Burg erfuhr man bald, was vorgefallen war. Auch hier
sah man es als Wunder an, daß der Schuß auf das
Muttergottesbild sich gegen den frevelhaften Schützen selbst
entladen und ihm für immer das Licht der Augen geraubt habe.
Das Vertrauen der Belagerten wuchs, sie verlangten zu
Ausfällen gegen den Feind geführt zu werden. Dieser zog
daraufhin ab, die Marienburg war für immer gerettet.
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Riesenwerke im Kurischen Haff
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Sagen aus dem Rheinland
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Das Gnadenbild zu Klausen
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Nun wollte ihnen Eberhard dafür etwas zugute tun und ließ, da
es sehr heiß war, ein Fäßchen Wein von der nahen Mosel holen.
Aber das war für die vielen Arbeiter nicht groß genug gewesen,
deshalb ging der Wein bald aus. Der fromme Mann hatte zwar
einen Boten um ein zweites Fäßchen geschickt, aber dieser blieb
lange aus.
Als Eberhard nun sah, wie seine Leute Durst litten, eilte er zu
dem Gnadenbild und bat : "Meine liebe himmlische Magd! Ich
habe das meinige getan, die Reihe ist jetzt an Dir. Hilf mir und
den Meinen in dieser Not!" Und wirklich, die himmlische Magd
hatte das Gebet des frommen Klausners erhört, das Fäßchen war
mit einemmal wieder gefüllt.
Das Volk aber erzählt, das Wunder sei weitergegangen. Als
das Fäßchen lange, lange nicht leer geworden war, kam
Eberhard ein Zweifel, wie lange es noch so fortgehen könne,
und neugierig untersuchte er mit einem Maßstab, wieviel Liter
noch im Faß seien.
Im selben Augenblick aber hörte zur Strafe für seinen Zweifel
das Fäßchen zu laufen auf.
Heute noch wünscht sich mancher, wenn ihm zum heißen
Tagewerk der Trunk abgeht, "Eberhards Fäßchen", so sagen die
Moselländer Landsleute.
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Das Haus der Frau Richmut zu Köln
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Zum Gedenken an diesen Vorfall hat man Pferde ausgestopft,
die an diesem Haus zum Boden herausschauen. Auch ist Frau
Richmut in der Apostelkirche zu Köln dargestellt, wo man
überdies einen langen leinenen Vorhang zeigt, den sie nachher
mit eigener Hand gesponnen und der Kirche verehrt hat. Denn
sie lebte noch sieben Jahre nach den schrecklichen Tagen ihrer
Beerdigung.
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Der Kalkbrenner aus Birkenfeld und der Teufel
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Der Mäuseturm
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Der Mäuseturm bei Bingen
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nur Müßiggänger, sagte er, die sich ihr Brot auf leichte Art
durch Bettel erwerben wollten. Doch nur um so stärker erscholl
die Klage, man hörte sogar Worte der Verwünschung, aus der
die Verzweiflung zu erkennen war. Denn der Erzbischof hatte
sich beim Volke durch Bedrückungen schon längst verhaßt
gemacht; immer neue Bittsteller vermehrten die Schar der
Flehenden, die schließlich mit Gewalt zu drohen schienen, da er
ihrem Flehen kein Gehör schenkte.
Hatto sah darin einen Aufstand, rief seine Waffenknechte
herbei und befahl ihnen, die frechen Empörer zu ergreifen. Die
Söldner stürmten heran und zerstreuten die zusammengerottete
Menge nach kurzem Widerstand. Groß war die Zahl derer, die
man gefangen ins Schloß führte.
"Sie trachten nach meiner Frucht", erklärte Hatto mit bitterem
Hohn.
"Gut! Man sperre sie in eine der Scheunen!" Die Knechte
schleppten die Ärmsten hinein, und der grausame Herr befahl,
die Scheune in Brand zu stecken. Bald ol derten die Flammen
ringsum empor, und das Klagegeschrei der Unglücklichen, für
die jeder Weg zur Rettung verschlossen war, drang zum
Himmel. Mit satanischem Gelächter rief der Bischof: "Hört
doch, hört, wie die Kornmäuse pfeifen!" Den Aufruhr hatte der
Bösewicht nun unterdrückt, der Strafe Gottes aber vermochte er
nicht zu entrinnen.
Als sich Hatto am Abend nach dem Mahle in sein prächtiges
Schlafgemach zurückzog, hörte er plötzlich ein sonderbares
Gepolter und ein durchdringendes Pfeifen. Kalter Schauer fuhr
ihm durch die Glieder. Mit einemmal sprangen Mäuse aus allen
Wänden und Ritzen und fielen über den erschrockenen Mann
her. Heulend rief er seine Diener zu Hilfe; aber sie konnten den
dichten Haufen der Tiere nicht, abwehren; die Leute bekreuzten
sich entsetzt und flohen.
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Endlich warf sich Hatto zu Pferd, eilte mit einem Trupp seiner
Knechte stromabwärts und suchte Schutz in der Burg Ehrenfels.
Doch die Plagegeister wimmelten auch hier durch das ganze
Schloß, ihn mit scharfen, quälenden Bissen verfolgend.
Nun erwachte Hattos Gewissen, er fühlte seine Sünde und
flehte zum Himmel um Hilfe. Aber die gerechte Strafe, die ihn
treffen sollte, war noch nicht vollendet. Er floh daraufhin auf
einem Kahn zu dem einsamen Turm, der sich auf der kleinen
Rheininsel erhob, und - ließ dort sein Bett an Ketten aufhängen.
Aber die Mäuse schwammen durch die Flut, kamen ihm nach,
schlüpften durch alle Gitter und Löcher und nagten mit scharfem
Biß so lange an seinem Leib, bis der geistliche Würdenträger
den Geist aufgab. Ja, selbst sein Name, der in die Tapeten des
Gemachs gewirkt war, wurde von den Tieren zernagt.
Kaum war dies geschehen, so zerstreute sich das ganze Heer
der Mäuse und wurde nicht mehr gesehen. Der Ort aber, wo der
Bischof seinen gerechten Lohn gefunden, heißt von jener Zeit an
der "Mäuseturm". Noch oft soll bei Nacht, wenn der Sturm
braust und die Woge grollt, sein Geist gleich einer grauen
Wolke das uralte Gemäuer umschweben; somit hat der Bischof
wegen seiner schweren Schuld noch immer nicht die ewige
Ruhe gefunden.
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Der Riese im Treiser Schock
Zu jener Zeit, als die Hunnen über den Hunsrück zogen, lebte
im Treiser Schock ein wilder Riese in einer tiefen, dunklen
Felsenhöhle; ringsumher hatte er große Steinblöcke wie eine
Mauer aufgeschichtet. Manchmal spielte er mit schweren
Felskugeln Ball oder warf sie vom hohen Berg ins Tal; das tat er
besonders gern, wenn Leute dort arbeiteten; die mußten dann
jedesmal schleunigst das Weite suchen. Fast täglich jagte der
Unhold in den Wäldern; alles Wild, das ihm in den Wurf kam,
erlegte er, und wenn ihm dabei ein Mensch begegnete, so mußte
der Unglückliche mit ihm jagen, da half kein Bitten und
Sträuben. Dann ging's vom Morgen bis zum Abend über Stock
und Stein. Waren die armen Leute abends todmüde, so brüllte er
sie fürchterlich an, stieß die gräßlichsten Drohungen aus und
jagte die Ärmsten, die vor Angst schon mehr tot als lebendig
waren, schließlich unter wüsten Flüchen davon. Daher mied
jedermann ängstlich den Schockwald, um nur dem Riesen nicht
zu begegnen.
Nur ein Mann fürchtete den gewalttätigen Unhold nicht; das
war ein frommer Einsiedler, der am Südende des Waldes seine
Behausung hatte. Der Klausner hatte dreizehn Steinchen, die
wunderbar glänzten; wenn man eins davon dem Riesen vor die
Augen hielt, wurde er geblend et und konnte einem nichts tun.
Wer über den Schock zur Mosel ging, lieh sich bei dem
Einsiedler eines von seinen Steinchen aus.
Einmal kamen zwölf Männer, denen gab der gottesfürchtige
Mann je eins von den Steinchen mit. Nach einer Weile fand sich
aber noch ein Junge ein und bat wieder um eins. Da wollte ihm
der Einsiedler sein letztes Steinchen zuerst nicht geben; als aber
der Junge bitterlich zu weinen anfing, hatte der Alte Mitleid und
überließ es ihm.
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Der Junge kam zur Höhle des wilden Mannes. Da trat der
Riese plötzlich heraus, brüllte den Knaben an und wollte ihn auf
die Jagd mitnehmen. Der arme Kerl erschrak so heftig, daß er
das Steinchen fallen ließ; er konnte es nicht wieder finden,
sosehr er sich auch mühte. Aber der Riese wurde auf einmal
ganz still, machte sich rasch in seine Höhle davon und ließ den
Jungen ungehindert weitergehen.
Als die zwölf Männer gegen Abend zurückkehrten, war von
dem Riesen nichts mehr zu sehen. Während sie noch ganz
verwundert mit dem Einsiedler darüber sprachen, kam auc h der
Junge dahergelaufen und erzählte schluchzend, wie es ihm mit
dem Steinchen ergangen war. Da erkannten alle, daß der Riese
durch das Steinchen in seine Höhle gebannt war. Alle Leute in
der Gegend dankten Gott, daß sie von der Plage befreit waren,
und erbauten mit dem Einsiedler bei der Klause ein Gotteshaus.
Später entstand dort ein Hof, der bis auf den heutigen Tag
"Gotteshausen" heißt. Auch an der anderen Seite des Schocks
wurde ein Bauerngehöft angelegt und nach den Hünen der
"Hohnhäuser- Hof" genannt. Das Steinchen liegt immer noch im
Schock vor der Riesenhöhle.
Wenn dies Wundersteinchen jemand finden und wegnehmen
sollte, erscheint der Riese wieder, und es fängt die alte Plage
von neuem an.
-490-
Der Schmied und die Zwerge von Müngsten
-491-
Eisen dehnte sich wie Wachs, und in wenigen Stunden lag der
Stahl fertig da.
Nun wollte sich der Hammerschmied auch nicht lumpen
lassen; er bestellte bei dem besten Schneider ein goldgesticktes
Wämschen für seinen kleinen Gesellen und legte es ihm am
Abend, fein verpackt, hin. Das Männchen kam, öffnete
vorsichtig das Paketchen und lachte übers ganze Gesicht vor
Freude. Schnell hatte es sein graues Röckchen aus- und das neue
angezogen, besah sich von oben bis unten und rief: " Wat brukt
en Jonker te schlipen, de en ruaden Rock anhett?", und ließ sich
seitdem nicht mehr sehen.
Einstens sind Zwerge öfters bei Schmieden und anderen
Arbeitern eingekehrt und haben ihnen geholfen. Leider sind
diese Zeiten verklungen!
-492-
Der Traum vom Glück auf der Brücke zu Koblenz
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Der Wechselbalg von Schalken
-495-
"lch bin so alt Wie der Duisburger Wald, Hab, aber mein
Lebtag nicht gesehn So viel, Töpfe am Herd eines Bauern
stehn. "
Dann lief sie fort.
Der Bauer kroch aus dem Rauchfang heraus, holte seine Leute
und auch den Pfarrer herbei, und als diese vors Haus kamen,
hörten sie von draußen in der Stube drinnen ein Kind weinen.
Als sie aber eilig nachsahen, lag in der Wiege des Bauern sein
kleines Mädchen, gesund und frisch und schon ordentlich
gewachsen, das häßliche Zwergenkind aber war verschwunden.
Seit diesen aufregenden Tagen ließ der Vater seinem Kind alle
Liebe und Sorgfalt angedeihen.
-496-
Der heilige Mauritius auf dem Speicher zu
Georgsweiler
-497-
Roß und Reiter standen dann wieder unbeweglich dort wie
zuvor.
Am andern Morgen ließ sich der Bauer vom Küster gleich die
Kirche aufschließen und trug die Holzstatue auf seinen Armen
hinein. So hatte Mauritius wieder einen Aufenthalt, wie er sich
für einen Heiligen geziemt, und dem Bauern wurde kein Hafer
mehr weggefressen.
-498-
Die Johannisopfer zu Schönrath
-499-
Die Jungfrau am Drachenfels
-500-
heiligen Zeichens, und alle fielen zur Erde und baten sie, zu den
Ihrigen zurückzukehren und ihnen einen Priester zu schicken,
der sie unterweisen und taufen möge.
So kam das Christentum in die Gegend des Siebengebirges,
und bei der Drachenhöhle wurde eine Kapelle erbaut.
-501-
Die Neunhollen in Georgsweiler
-502-
Tag. Da buken die Männlein des Nachts vierzehn große, runde
Brote und stellten sie zum Ausdunsten auf die Treppenstufen.
Als nun die Frau am Morgen in der Dunkelheit die Treppe
herunter wollte, stolperte sie und sauste über vierzehn Brotlaibe
die finsteren Stufen hinab. Und die Brote bumsten unten gegen
Tür und Tische, gegen Stühle und Schrank; alles fiel um, das
Geschirr kollerte auf den Boden, und die junge Frau lag mitten
in dem Wirrwarr und jammerte. Trotzdem hätten die Neunhollen
wohl noch bis zum Frühjahr ausgehalten, wäre nicht der
Dreikönigstag gewesen.
Am Abend dieses Tages kam nämlich eine arme Witwe mit
ihrem kleinen kranken Jungen an der Hand; um seine Pelzmütze
trug er eine Dreikönigskrone aus Papier und auf seinem Stock
einen Blechstern. Der Hunger guckte den beiden aus den Augen.
Sie sprachen vor der Tür ein lautes "Vaterunser" und traten dann
zaghaft in die große Küche. Als sie da im Schornstein die vielen
Schinken, Speckseiten und Würste hängen sahen, sagte die
Mutter voll Vertrauen den alten Reim:
Stellt die Leiter an die Wand, Nehmt das Messer in die Hand,
Laßt das Messer klinken, Schneid't mir 'n Stück vom Schinken!
Und der kleine Junge schwang seinen Stab, hustete und
plapperte:
Ich bin an kleiner König, Gebt mir nicht zu wenig!
Aber die Bäuerin machte ein böses Gesicht, riß die Tür weit
auf und wies beide hinaus, ohne ein Wort zu reden. Da fingen
aber die Neunhollen zu knurren, zu brummen und zu brausen an
wie ein Sturmwind, so fürchterlich, daß es die Frau nicht mehr
aushalten konnte, angsterfüllt in ihre Kammer lief und den Kopf
unters Federbett steckte. Sogleich warfen die Neunhollen allen
Speck und Schinken auf den Herd herunter und kletterten dann
rasch durch den Schornstein hinaus; es war auch die höchste
Zeit dazu, denn hinter ihnen schoß eine gewaltige Flamme
empor. Das ganze Dorf lief zusammen, aber es war nichts mehr
-503-
zu machen; alle Würste, Schinken und Speckseiten waren
verbrannt. Die Neunhollen aber suchten von da an eine andere
Winterwohnung auf.
-504-
Loreley
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Drum laßt mein Recht mich finden, mich sterben wie ein
Christ.
Denn alles muß verschwinden, weil er mir treulos ist."
Drei Ritter läßt er holen:
"Bringt sie ins Kloster hin!
Geh, Lore! Gott befohlen sei dein berückter Sinn.
Du sollst ein Nönnchen werden, ein Nönnchen schwarz und
weiß.
Bereite dich auf Erden zu deines Todes Reis!"
Zum Kloster sie nun ritten, die Ritter alle drei, und traurig in
der Mitten die schöne Loreley.
"O Ritter, laßt mich gehen auf diesen Felsen groß, Ich will
noch einmal sehen nach meines Liebsten Schloß.
Ich will noch einmal sehen wohl in den tiefen Rhein.
Und dann ins Kloster gehen und Gottes Jungfrau sein. "
Der Felsen ist so jähe, so steil ist seine Wand, doch klimmt sie
in die Höhe, bis daß sie oben stand.
Es binden die drei Ritter die Rosse unten an, und klettern
immer weiter zum Felsen auch hinan.
Die Jungfrau sprach :
"Da wehet ein Sege l auf dem Rhein, der in dem Schifflein
stehet, der soll mein Liebster sein.
Mein Herz wird mir so munter, er muß mein Liebster sein!"
Da lehnt sie sich hinunter und stürzet in den Rhein.
Die Ritter mußten sterben, sie konnten nicht hinab.
Sie mußten all verderben ohn' Priester und ohn' Grab.
Wer hat dies Lied gesungen?
Ein Schiffer auf dem Rhein, und immer hat,s geklungen von
dem Dreiritterstein:
Loreley!
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Loreley!
Loreley!
Als wären es meiner drei.
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Zwerge als Hirten am Niederrhein
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Sagen aus dem Saarland
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Das Hufeisen auf dem Breitenstein
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Schritte vom Eingang zu den Ruinen der Burg Montclair, über
den Rand eines jäh nach der Saar sich öffnenden Abgrundes
hinausragend, findet sich der Gedenkstein.
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Der Bausmärten von Schwemlingen
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um sich den Zorn und die Sorge um die Zukunft
hinwegzuspülen. Erst als die Hähne bereits krähten, kam er von
der Wirtsstube heim. Er stieg in die Mühle hinunter, hieß seine
Mutter ihm folgen und öffnete die Schleuse, um die Baus in
Bewegung zu setzen. Plötzlich faßte er seine Mutter an ihren
schwachen Schultern und drückte sie auf den leeren Stein. Mit
Wucht sauste der Hammer nieder. Als letzter Laut ertönte ihr
Todesschrei - dann war alles wie ausgestorben. Der Müller floh
ins Dickicht des Hardtwaldes, die Mühle ließ er weiter bausen.
Leute, die zum Ölschlagen in die Mühle kamen und sie leer
fanden, suchten im Gewölbe nach und fanden neben dem
Hammer die zerschmetterte Leiche der alten Mutter. Von
Entsetzen gepackt, rannten sie hinaus. Draußen sprang ihnen
unversehens aus dem Gebüsch der Märten entgegen. "Hu- hä
kreischte sie noch", rief der Mordbube und rannte den Berg
hinauf, wobei er unaufhörlich den Todesschrei der Mutter
wiederholte. Als man der Müllerin zum fernen Friedhof St.
Gangolf das letzte Geleit gab, sprang der tolle Märten wieder
aus dem Gebüsch und drang durch den Zug der Trauergäste ins
Mühlgewölbe, immer wieder den furchtbaren Schrei seiner
Mutter ausstoßend. Ehe die Versammelten sich gefaßt hatten,
stürzte der Märten wieder aus dem Hause, die gänzlich
zerschmetterte, blutige Rechte vor sich haltend. Einige beherzte
Männer ergriffen ihn, banden das strömende Blut ab und
sperrten ihn dann in eine Kammer ein, bis ein Heilkundiger
herbeigeholt war.
Während der Trauerzug sich in Bewegung setzte, hielten zwei
Männer vor der Kammer Wache, wo der Gefangene die
zerschlagene Hand in die Höhe hielt und schrie: "Mit dieser hab,
ich sie unter die Baus gezogen." Allmählich wurde es aber still.
Als dann der Wundarzt zur Stelle war, gab es für ihn nichts
mehr zu tun - der Märten war dennoch verschwunden. Alles
Suchen half nichts - er blieb verschwunden - Hielt er es mit dem
Bösen?
-513-
Mancher, der später in der Nähe der Mühle vorbeikam,
glaubte, im Dunkel der Bäume sein Gesicht gesehen und aus
dem Wald heraus seinen irren Schrei gehört zu haben.
Einsam, verrufen stand nun die Mühle am waldigen Hang.
Sturm und Regen rissen auseinander, was die Menschen nicht
mehr zusammenhalten wollten. In einem Winter brach das Dach
unter der Last des Schnees zusammen. Stürme und Wasserfluten
ließen mit der Zeit die Mauern einstürzen. Ein Wolkenbruch
führte das haushohe Mühlrad zu Tal und schwemmte es in die
Saar hinein. Im Welles bei Montclair zerschellte es an einem
Felsen. "Die gehn den Welles hinunter", sagen heute noch die
Leute im Saartal, wenn in einem reichen Hause Sterben und
Verderben eingerissen sind.
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Der Riese Kreuzmann auf dem 'großen Stiefel' bei
Ensheim
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fuhr der Stein durch die Luft, weit über die Menschen hinweg,
mit der Spitze in die Erde, wo er noch heute neben dem Bach zu
sehen ist.
Nun wollte der Riese selbst eilends den Berg hinablaufen, um
die Menschen mit Baumstämmen zu erschlagen, aber er
stolperte über einen Felsen und stürzte so wuchtig zu Boden,
daß er betäubt liegen blieb. Kaum sahen die Menschen seinen
Fall, da liefen einige besonders mutige Männer hin und schlugen
das Scheusal vollends tot; seinen Le ichnam warfen sie in ein
tiefes Loch, auf das sie Stein um Stein wälzten, bis sich ein
kleiner Hügel erhob. Darunter liegt der Riese noch heute
begraben. Den Hügel aber nennt man auch jetzt noch das
Riesengrab.
-516-
Der Saarfischer von Leukergrub und die Glocken
in der Saar
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Der Teufel als Wildsau
Ein Bauer aus dem Saarland fuhr einstmals mit einem Wagen
voll Kohlen die Staffel hinauf. Sein Bub hockte auf dem Wagen
droben, er selber ging nebenher. Ach, es war eine armselige
Fahrerei! Je höher sie hinaufkamen, desto langsamer bewegte
sich der Wagen vorwärts, und am Ende wollte es überhaupt
nicht mehr gehen. Da fing der Bauer zu fluchen an: "Ein
Himmelheiligmillionendunnerkeil soll so ein Gefährt
verschlagen! Da sieht man,s wieder:
Berge nunner helfe all, Heilige drigge, Berge noffer awwer ke
Däiwel. "
(Bergab helfen alle Heiligen drücken, Bergauf aber kein
Teufel.) Das letzte Wort war noch nicht aus seinem Munde, da
rauschte es in der Hecke nebenan, eine pechschwarze
Riesenwildsau sprang heraus, schoß unter den Wagen und war
dann wie ein Ungewitter mit dem Gefährt verschwunden. Wenn
man den Bauern damals gestochen hätte, keinen Tropfen Blut
hätte er von sich gegeben, so erschrocken war er. Aber, wer
meint, er sei ein anderer geworden, der täuscht sich. - "Pferde
und Wagen sind beim Teufel", dachte er achselzuckend, "und
mein Bub? Soll er dahin sein! Hat der Teufel das Fuhrwerk
geholt, kann er auch den Buben mitnehmen. "
Doch wie er dann auf die Ebene kam, da stand das Fuhrwerk,
als wäre nichts passiert, und der Bauernbub hockte obenauf und
kaute vergnügt an seinem Butterbrot.
Seit dieser Zeit hat der Bauer dem Teufel keine Vorwürfe
mehr gemacht. Sooft er die Geschichte von der Wildsau
erzählte, meinte er zum Schluß: "Da seht doch, ihr Leute, der
Teufel ist nicht so schwarz, wie er an die Wand gemalt wird."
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Der Teufel und der Fuhrmann von Weiten
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Seit dieser Fahrt wurde der Fuhrmann ein stiller Mensch. Kein
Fluch kam mehr über seine Lippen, und der Schnapsflasche ging
er weit aus dem Weg. Der Felsen auf dem Eisenkopf aber weist
noch immer die Bilder des Hufeisens und der Schnapsflasche als
dauernde Warnungszeichen auf.
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Der Teufelsschornstein auf dem Eisenkopf bei
Saarhölzbach
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Der Wallerbrunnen bei Saarbrücken
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Der ewige Jäger von Bliesbolchen
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Der unheimliche Jäger von St. Ingbert
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wandten sie das Fuhrwerk um und zogen unverrichteter Dinge in
größter Eile ab mit dem festen Vorsatz, auf dem Stiefel kein
Brennholz mehr zu sammeln.
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Die Heinzelmännchen von Serrig
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Witterchen aber purzelten kopfüber die Treppe hinunter. Als das
Weib sich erhob, waren Brote und Witterchen verschwunden.
Seit diesem Ereignis aber ließ sich das emsige Völkchen nicht
mehr sehen, es zog aus der Gegend fort, und die Serriger mußten
von da an in Feld, Wald und Haus die Hilfe der fleißigen
Männlein entbehren.
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Die Teufelsbeschwörung in der Düppenweiler
Mühle
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Die guten Zwerge von Ensheim
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Sagen aus Sachsen
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Das Kegelspiel der Querxe in Neustadt
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Der Basilisk in Torgau
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Der Lindwurm von Syrau
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Der Pumphut im Vogtland
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Nun fiel den Gästen der wandernde Geselle ein, und es ging
ihnen ein Licht auf. "Das wird der Pumphut gewesen sein!"
meinte einer.
"Lauft, was ihr könnt, und bringt ihn wieder her."
Ein paar Leute machten sich gleich auf die Beine und sahen
bald den Pumphut dahinwandern. Sie liefen, so rasch sie die
Füße trugen, konnten ihn aber nicht erreichen. Endlich blieb er
stehen und hörte auf ihr Rufen. Doch erst nach langem Bitten
ließ er sich bewegen, wieder umzukehren. Ehe er aber in der
Mühle ans Werk ging, aß und trank er sich einmal tüchtig satt.
Dann ließ er sich zum Rad führen, besah die Welle von allen
Seiten, klopfte mit seinem Hütlein dran herum, und, siehe da,
auf einmal saß sie in dem Zapfen und paßte wie zuvor. Darüber
war große Freude in der Mühle.
Pumphut aber wanderte still von dannen und ward seither
nicht mehr gesehen.
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Die Buschweiblein
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Bäuerin. So ging es bei jeder Arbeit; aber das Buschweiblein
sprach niemals ein Wort dabei. Wenn die Leute mit der
Hausarbeit fertig waren, setzte sich das fremde Weiblein an den
Spinnrocken und spann in ganz kurzer Zeit so viel, wie die
Bäuerin in zwei Tagen kaum fertig brachte.
Darüber freute sich der Bauer, denn sein Hausstand gedieh, so
daß er bald seine Schulden bezahlen konnte. Jedesmal wenn es
zum Mittag läutete, ging das Buschweibel wieder den Astberg
hinauf und verschwand. Nun wollte die Bäuerin dem fremden
Weiblein auch einmal eine Freude machen. Sie nähte ein
Kleidlein von der selbstgesponnenen Leinwand und schenkte es
ihm. Aber da wurde das Buschweiblein ganz traurig und kam
nie mehr wieder - die Hilfskraft sollte unbemerkt bleiben!
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Die Elbjungfrau von Magdeburg
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Die Geisterkatze von Magdeburg
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Hexen in der Walpurgisnacht in der Lausitz
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Wurde das alles genau befolgt, so war der Stall gesichert und die
Kühe gaben das ganze Jahr über reichlich Milch.
Solche und ähnliche Geschichten über das Treiben der Hexe n
in der Walpurgisnacht gehen noch zahlreich im Volke um.
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Sagen aus Schlesien
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Das 'Hoawiif' in Brüssow
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Seither treibt die Alte dort am Ganznow ihr Unwesen und
ängstigt und ärgert die Menschen auf mancherlei Weise.
Und wehe dem, der harmlos zum Bade in den stillen,
tückischen Ganznow steigt; das Hoawiif zieht ihn an den Beinen
in die Tiefe, die Wasser schließen sich über den allzu
Wagemutigen, und nicht einmal sein Leichnam wird von den
düsteren Fluten des Sees freigegeben.
So ist dies scheußliche Weib zur Strafe für ihre Übeltat auf
ewig verurteilt, am Ganznowsee zu verweilen und sich ruhelos
dort umherzutreiben.
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Das Bild in der weißen Kapelle zu Oberglogau
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Der betrogene Teufel
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Die sieben Riesen im Spitzberge zu Schwiebus
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Am nächsten Morgen aber erzählten die Bauern, sie hätten auf
der Straße nach Norden sieben ungeheuer große gespenstige
Männer gesehen, die schwer beladen klagend und jammernd
fremdes Gut fortschafften.
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Die tapferen Weiber zu Gleiwitz
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lange Belagerung nicht eingerichtet waren, zogen sie nach
wenigen Tagen ab.
Nachdem sich die Feinde zurückgezogen hatten und die Tore
wieder geöffnet waren, fanden sich versprengte Landbewohner
ein und berichteten, was ihnen die Schweden erzählt hätten:
über Gleiwitz sei eine leichte Wolke gestanden, und in dieser
habe die Heilige Jungfrau gethront, die über die Stadt ihren
großen Mantel ausbreitete; als sie aber beim Sturm auf die
Städter schossen, sei die Gottesmutter auf der Mauer erschienen
und habe mit ihrem Mantel die Verteidiger gedeckt, so daß
keiner getroffen worden sei.
In Gleiwitz herrschte nun große Freude. Man gelobte eine
Wallfahrt zu unternehmen. Die Bürger verpflichteten sich hiezu
durch Ablegen eines Eides in der Pfarrkirche. Dazu mußten die
Eltern alle ihre Kinder mitbringen. Am Schluß des Eides mußten
sie dann die Kinder bei den Ohren zupfen, und den Müttern war
aufgetragen, ihren Säuglingen einen lauten Schrei zu entlocken,
um dadurch anzuzeigen, daß es auch Gelöbnis der Kinder sei,
diese Wallfahrt alljährlich zu wiederholen.
An jener Stelle aber, wo der schwedische Hauptmann
erschossen worden war, hat man mitten auf der Landstraße eine
Säule errichtet, die erst 1820 beim Bau der neuen Landstraße
abgetragen wurde.
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Die treue Bergmannsbraut
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Die wiedergefundene Glocke von Glatz
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Erlösung eines Ritters und einer Jungfrau in
Neudorf
-561-
"Gut", riefen sie der weinenden Frau zu, "wir schenken dir das
Leben, aber nur unter der Bedingung, daß du in der Nacht um
zwölf Uhr in das Dorf gehst und das Gerippe, das dort vor der
Kirche steht, von seinem Platz hebst." Dieses Knochengerippe
stand in schlechtem Ruf: es waren die Überreste eines Ritters,
der eine Jungfrau betrogen und verraten hatte und zur Strafe
dafür noch nach seinem Tode vor der Kirchentüre stehen mußte,
solange, bis ihn jemand erlöste. Das Gerippe war aber
versteinert, und niemand konnte es vom Platz rücken oder
heben.
Die beiden Burschen hofften, die Frau werde vor Furcht
sterben, wenn sie des Nachts das Gerippe anfassen müsse. Sie
wollten dann die Schenke übernehmen und den kleinen Josel
zum Knecht machen.
Als die Wirtin ihrem Ansinnen nicht nachkam, hörten sie nicht
auf, die Frau zu quälen, indem sie ihr drohten: "Wir erschlagen
deinen Josel, wenn du nicht tust, was wir verlangen. "
In ihrer Not gab sie endlich nach: "Es ist wohl Sünde, was ihr
von mir verlangt, aber um des kleinen Josels willen werde ich es
tun." Sie empfahl ihr Kind dem Schutze Gottes und machte sich
auf den Weg.
Während des Gehens betete sie: "Verzeih mir, Gott, wenn ich
unrecht handle, ich tue es um meines Josels willen. "
Nach langer Wanderung kam die Frau zur Kirche. Das
Gerippe stand vor der Tür und leuchtete grell in der
stockfinsteren Nacht.
"In Gottes Namen denn", seufzte die Frau und faßte das
Gerippe.
Und das steinerne Knochengerüst, das bisher noch niemand
hatte von der Stelle rücken können, gab nach, herzhaft nahm sie
es auf den Rücken und trug es betend um die Kirche.
Als sie es aber auf den alten Platz stellen wollte, umschlang
das Gerippe sie mit seinen Knochenarmen und raunte ihr hohl in
-562-
die Ohren: "Ich erwürge dich, wenn du mich nicht in die Kirche
trägst und dreimal mit mir um den Altar gehst." Die arme Frau
erschrak heftig, aber es blieb ihr keine Wahl.
"Um meines Josels willen folge ich dir", stöhnte sie ergeben
und trug das Gerippe in die Kirche.
Bei ihrem Eintreten erhob sich ein eisiger Wind, der in der
Kirche wild herumfegte und alle Bänke durcheinanderwarf. Die
Frau ahnte die Nähe des bösen Geistes und trug zitternd unter
beständigem Beten das Gerippe um den Altar. Hinter diesem
stand ein schwarzer Sarg, in dem eine Jungfrau aufrecht saß, die
in einem Buche las; auf dem Kopf trug sie einen Kranz von
schwarzen Rosen.
Immer heftiger tobte der Sturm, er fauchte und raste in alle
Winkel und wehte der geängstigten Frau kalt ins Angesicht.
Aber sie ließ sich trotzdem nicht beirren und legte mit dem
Gespenst auf dem Rücken den Weg um den Altar dreimal
zurück. Als sie das drittemal vor der Jungfrau stand, erglänzte
diese in weißem Licht und streckte sich aus, der Sargdeckel fiel
über ihr nieder. Gleichzeitig wurde der Ritter auf dem Rücken
der Witwe immer leichter und leichter, bis nur mehr ein
Häufchen Asche übrig blieb. Der Sturm in der Kirche legte sich,
und der Mond ging auf. In Schweiß gebadet, trat die Witwe den
Heimweg an.
Zu Hause traf sie die Burschen, wie sie sich über die Tische
und Bänke lümmelten; denn sie glaubten sich schon im Besitz
der Wirtschaft, da die Frau drei Tage weggewesen war. Als sie
nun gesund und heil bei der Tür hereintrat, fielen die beiden
Gauner vor Schreck zu Boden.
Die Witwe aber lebte nun mit ihrem Josel in Frieden und
wurde sehr alt. Die Schenke stand noch mehr als hundert Jahre;
ein Blitzstrahl hatte sie schließlich eingeäschert.
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Petrus und der Teufel
Sankt Petrus traf eines Tages bei einer Wanderung auf Erden
den Teufel, der ihm seine Begleitung antrug. Petrus wies ihn
nicht ab. So zogen sie denn gemeinsam durch die dichten
Beuthener Wälder vom Morgen bis zum Abend und kamen
schließlich in ein Dorf. Der Weg zweigte hier nach zwei Seiten
ab. Von einer Seite her hörte man Kinder weinen, von der
anderen scholl lustige Tanzmusik.
Petrus fragte den Teufel: "Wohin sollen wir unsere Schritte
lenken? "
"Natürlich zur Tanzmusik", erwiderte der Satan. Nun gingen
sie der Richtung nach, aus der die Tanzmusik erklang, und
fanden ein Gasthaus, das voller Menschen war. Der Wirt aber
hatte kein Quartier für die beiden.
"Wir feiern Kirchweih heut, wollt ihr oben auf dem
Zigeunerofen schlafen, dann meinetwegen", sagte er und wies
auf den mächtigen Ofen, der in der Schankstube stand. Die
beiden Wanderer waren einverstanden und kletterten auf den
Ofen.
Der Teufel zupfte Petrus am Rock und bat : "Laß mich vorne
liegen und lege du dich hinten hin. Du bist müder als ich. Ich
möchte noch ein bißchen zusehen. "
Petrus tat ihm den Gefallen, nahm seinen Rosenkranz und
betete; der Teufel aber erfreute sich an der Lust der tanzenden
Bauern. Diese stampften die Dielen und schrien: "Juchhuhu,
juchhuhu...!"
Auf einmal entstand aus irgendeiner Ursache ein Streit unter
ihnen.
Es dauerte nicht lange, und die schönste Schlägerei war im
Gang.
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Der Teufel hatte seine Freude daran, klatschte in die Hände
und schrie: "So ist's recht, immer zu, immer zu! "
Das hörte ein Bauer, der gerade seine Hände frei hatte, und
rief:
"Was schreist du da oben immer zu, na warte..."
Mit einem Satz holte er sich den Teufel vom Ofen herunter
und prügelte ihn windelweich durch. "So, nun hast du dein
'Immer zu'!"
Der Teufel kroch stöhnend auf den Ofen und ächzte: "Petrus,
ich hab, nun schon genug gesehen, leg du dichjetzt einmal vorne
hin!"
Petrus lächelte ein wenig und erfüllte ihm den Wunsch.
Inzwischen hatten sich die Bauern wieder versöhnt, tanzten
und riefen von neuem: "Juchhuhu, juchhuhu!" Das ging so eine
Weile fort. Die Dielen zitterten, die Fenster klirrten von dem
Gestampfe der Tänzer, und der Jubel hatte seinen Höhepunkt
erreicht. Da stieß einer der Tanzenden an den anderen an, daß er
hinfiel. Dieser sprang auf und tobte zornig: "Ein Bein willst du
mir stellen, na warte, du Lump!" Bald gab es wieder eine wüste
Prügelei. Der Teufel duckte sich und muckste sich nicht.
Nachdem die Bauern sich gehörig braun und blau geschlagen
hatten und keine Lust mehr verspürten, sich weiter zu
unterhalten, meinte einer, sich nach allen Seiten umsehend:
"Nun haben sie alle etwas abbekommen! "
"Nein", rief ein anderer, "der dort hinten auf dem Ofen liegt,
hat noch nichts bekommen. "
Da holten sie den Teufel zum zweitenmal herunter und
verprügelten ihn, daß es eine Lust war. Ganz zerschlagen
kletterte er endlich wieder heulend auf den Ofen und sagte unter
Tränen zu Petrus: "Das nächstemal wollen wir doch lieber
dorthin gehen, wo die Kinder weinen. "
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Rübezahl-Legenden
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Darauf der Bauer: "Großmächtiger Herr, könntet Ihr mir
hundert Taler borgen? Ich will sie Euch als ein redlicher Mann
übers Jahr hier wieder zustellen. "
Hierauf entfernte sich Rübezahl und kam nach einem
Weilchen wieder zurück. Er brachte einen Beutel mit vielem
Geld, das er dem Bauern lieh.
Nach einem Jahr erschien der Bauer von neuem im Gebirge,
am gleichen Ort wie im Vorjahr. Dort traf er einen Mann, der
ganz anders aussah als jener, der ihm das Geld geliehen hatte.
Daher stutzte der Bauer und war nicht sicher, ob es Rübezahl
sei. Auf die Frage des Mannes: "Wo willst du denn hin, Bauer?"
antwortete er daher "Ich wollte zum mächtigen Herrn des
Riesengebirges und ihm, wie ausgemacht, die Taler
zurückbringen, die ich im Vorjahr von ihm geliehen bekam. "
Darauf erwiderte der verkleidete Geist: "Mein lieber Bauer,
der Rübezahl ist schon lange tot; geh mit deinem Geld wieder
nach Hause und behalte es." Wer war da fröhlicher als unser
Bauer!
Gerne trieb Rübezahl mit den Le uten seinen Schabernack. Oft,
wenn jemand sich im Walde nicht gut auskannte, begleitete er,
als Mönch verkleidet, den Wanderer ein Stück Weges. Im
Gespräch bemerkte er dann, der andere könne sich auf ihn
verlassen, denn er kenne sich hier im Wald gut aus. Wenn er den
Fremden dann auf einen Seitenpfad geführt hatte, von dem aus
man sich schlecht zurecht finden konnte, verschwand er
plötzlich über die Äste der Bäume und lachte spöttisch. Das
klang dann wie das Krächzen eines Raubvogels, der im
einsamen Wald plötzlich in die Höhe fliegt, wenn unverhofft ein
Wanderer in seine Nähe kommt.
Öfters hat Rübezahl arme Leute reich und glücklich gemacht.
Einer armen Kräutersammlerin, die sich verirrt hatte, half er auf
den richtigen Weg, nahm aber die Kräuter, die sie im Korbe
hatte, heraus und legte ihr Baumblätter hinein. Doch die Frau
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fand später wieder die gleichen Kräuter und warf die
Baumblätter weg. Einige davon aber waren am Korb hängen
geblieben. Als sie dann nach Hause kam, waren alle diese
Blätter aus feinem Gold. Gleich ging die Frau in den Wald
zurück, um die weggeworfenen zu suchen, fand sie aber nicht
mehr. Doch schon die wenigen, die ihr verblieben waren,
machten sie reich.
In alter Zeit hat man den Rübezahl voll Ehrfurcht angeredet:
Domine Johannes. Leute, die höher oben im Gebirge wohnen,
wissen dies noch und vermeiden auch heute die dem Berggeist
verhaßte Benennung : Rübezahl, die als Spottname gilt - und
wohl keineswegs ein harmloser Spott ist. Dem Herrn Johannes
hat man zur Zeit der Sommersonnenwende schwarze Hähne
geopfert.
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Von den Irrlichtern bei Alt-Bielitz
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Sagen aus Schleswig-Holstein
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Das Haus mit neunundneunzig Fenstern bei
Witzwort
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Der Bau der Laurenzi-Kirche auf der Insel Föhr
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Der Geist auf Blangenmoor
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Wohnstube, und fragte ihn, wie er sich habe unterstehen können,
zurückzukehren. Buhmann antwortete, er sei zu Wagen
heruntergekommen, das Fahren sei ihm ja nicht verboten
gewesen.
Da drohte der ergrimmte Pastor, ihn ins Haff zu bannen, wo
niemand ihn wieder erlösen würde. Der Geist wurde jetzt frech
und versuchte zu zeigen, daß der Pastor auch ein großer Sünder
sei: einmal habe er drei Roggenähren abgerissen. Der Pastor
antwortete, das sei unversehens mit den Schuhschnallen
geschehen, als er durch ein Feld ging. Dann beschuldigte ihn der
Geist, daß er einmal einem Bäcker einen Stollen genommen
habe, ohne zu bezahlen. Aber der Pastor erklärte, er habe das
Geld dafür gleich nachher in die Bäckerei gebracht.
"Aber", sagte der Geist, "du hast einmal ein Mädchen geküßt,
wozu du kein Recht hast."
Der Pastor entgegnete: "Das geschah aus wirklicher Liebe."
Nun wußte der Geist nichts mehr vorzubringen, und der Pastor
bannte ihn ins Haff und gab ihm auf, den Sand auf den Watten
zu zählen. Könnte er einmal damit vor Mitternacht fertig
werden, dann solle er frei sein.
Draußen im Haff, wo Buhmann umgeht, hausen noch andere
Geister, die dorthin verbannt wurden. Die armen Fischer, die auf
den Butt- und Krabbenfang ausgehen, sehen sie da oft
umherschweben. Den Buhmann, den die Fischer Juchen Knoop
nennen, sehen sie meistens an lebensgefährlichen Tiefen stehen.
Nähert sich jemand dem Geist, so weicht dieser immer weiter
zurück an noch gefährlichere Stellen.
Folgt ihm der unvorsichtige Fischer, so läuft er Gefahr, im
Schlick und Sand zu versinken, und dann kommt die Flut, und er
muß ertrinken.
Doch manchmal ist Buhmann auch gutartig: einen Fischer, der
an der fallenden Sucht litt und einmal von diesem Übel
heimgesucht wurde, als er draußen stand, während gerade die
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Flut herankam, trug Juchen Knoop ans Land zurück und rettete
ihn so vor dem sicheren Tode.
Ein anderes Mal, als unerwartet schnell eine Sturmflut
heranbrauste und ein Außendeichshirte sein Vieh nicht mehr
rechtzeitig zurücktreiben konnte, rief der verzweifelte Hirt:
"Juchen Knoop, Hal uns dat God tohop!"
Und wirklich erschien der Gerufene, und im Nu war alles Vieh
geborgen. Auch sonst ist Buhmann den Hirten in mancherlei
Gefahren beigestanden.
So muß der verbannte Geist schon Jahrhunderte sein
verdientes Los tragen, und die Menschen am Haff haben es bald
zu ihrem Nutzen, bald zu ihrem Schaden am eigenen Leib zu
spüren bekommen.
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Der Schimmelreiter vom
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Eidelstedter Deich
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Der Wassermann in der Mühle zu Steenholt
In Steenholt lebte einmal ein Müller, der das Unglück hatte, daß
ihm alle sieben Jahre seine Mühle abbrannte, immer am
gleichen Tag, und zugleich wurden jedesmal auch alle Leute
getötet, die sich in der Mühle aufhielten. Nun kam eines Tages
ein Müllergeselle daher, der gerne Arbeit haben wollte; doch der
Müller meinte warnend, er könne ihm keine Arbeit geben; in
zwei Tagen sei es gerade sieben Jahre her, daß seine Mühle
niedergebrannt sei, und an diesem Jahrestag werde sie wieder
abbrennen.
Der Geselle schlug vor, der Müller möge ihm die Mühle
schenken, dann werde sie nicht abbrennen.
Der Herr erwiderte: "Dat könnt wi versöken. Wenn em de Möl
nich upbrennt, so will ik se em schenken, un min Dochter sall he
darto hebben!"
Als nun die Nacht anbrach, blieb der Müllergeselle ganz allein
in der Mühle und verriegelte Fenster und Türen. Schlag zehn
Uhr klopfte es an die Tür. Der Müllergeselle wollte niemand
einlassen und rief:
"Hier wart hüt Nacht allens umbröcht, wat in de Möl is; blif du
man buten. "
Der Mann draußen widersprach: "Lat he mi man in; kann sin, ik
kann hüt Nacht sin Retter warren. "
Der Geselle ließ also den Fremden ein und nötigte ihn zu Tisch.
Und wie er dann Licht machte, sah er einen Mann eintreten, der
einen großen Bären bei sich hatte.
Nun schlug es Mitternacht. Da sprang plötzlich die Tür auf und
der Waterkärl (Wassermann) tappte herein, splitternackt, und
warf zwei große Fische auf den Tisch; diese sollten sie ihm
kochen. Sie brachten die Fische also ans Feuer und fingen an,
sie zu kochen.
Sobald sie gar waren, meinte der Mann mit dem Bären: "Nu
mütt ik min Gesellen da ok mit to nödigen", und nahm dem
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Bären den Maulkorb ab.
Der Bär wollte nun mit dem Wassermann essen, aber dieser war
damit nicht einverstanden. Nun begann der Bär mit dem
Wassermann zu raufen, kratzte und biß ihn und wurde seiner
Herr, so daß der ungebetene Gast zuletzt blutend wieder zum
Fenster hinaus mußte.
In dieser Nacht brannte die Mühle nicht ab. Der Müllergeselle
heiratete die Müllerstochter und bekam die Mühle dazu.
Als nun die sieben Jahre um waren, ging der Müllerknecht
einmal am Mühlteich spazieren. Plötzlich steckte der Waterkärl
den Kopf aus dem Wasser und fragte: "Hest du de grote Katt
(Katze) noch, de för säwen Jor bi di weer?"
Da erwiderte der Müller: "Ja, de liggt ünnen Awen (Ofen) und
hett säwen Junge."
Darauf knurrte der Wassermann mißmutig: "So will ik in minen
ganzen Läwen nich werrerkamen." (wiederkommen.)
-581-
Der Werwolf von Hüsby
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Der Wode
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das Moor nach Beidendorf zu. Wenn er angebraust kommt,
müssen die Unterirdischen flüchten, denn er will sie von der
Erde vertilgen. Ein alter Bauer brach einmal spät von
Beidendorf aufund wollte noch nach Krumesse gehen, plötzlich
bemerkte er, wie die Unterirdischen dahergelaufen kamen. Sie
waren aber gar nic ht ängstlich und riefen ganz munter: "Heute
kann er uns nichts anhaben, er soll uns nur in Ruhe lassen; er hat
sich heute morgen noch nicht gewaschen. "
Als der Bauer ein Stück weiter gewandert war, begegnete ihm
der Wode und fragte ihn, was die Kleinen gerufen hätten. Der
Bauer erwiderte, sie hätten gesagt, er habe sich heute morgen
nicht gewaschen und könne ihnen daher nichts Übles antun. Da
hielt der Wode sein Pferd an, stieg ab und wusch sich. Dann
sprang er wieder auf sein Roß und jagte den Unterirdischen
nach. Nicht lange nachher sah der Bauer den Wode wieder
zurückkommen; er hatte die armen Kleinen an ihren langen
Haaren zusammengebunden und an jeder Seite des Pferdes
mehrere von ihnen hängen. So grausam hat Wode die
Unterirdischen verfolgt. Heute sind sie alle verschwunden.
Deshalb jagt der Wode nun nicht mehr auf der Erde, sondern
oben in der Luft.
Der Wode ist in Schleswig- Holstein immer noch weithin
bekannt; deshalb schließen viele Leute in der Weihnachtszeit die
Türen vor ihm zu.
-584-
Der alte Jakob
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Land gebe er nicht her. Der Edelmann drohte, aber Jakob gab
nicht nach. Da ließ der Herr die Fischteiche öffnen, und Jakobs
Haus ward von einem See umgeben. Er aber angelte zum
Fenster hinaus, und sooft der Edelmann auch nach Schrevendorf
kam und dann von dem Hügel aus, den man noch zeigt, mit
Jakob verhandelte, so blieb der doch immer beim alten und gab
nicht nach. Da mußte endlich der Edelmann nachgeben und dem
Bauern seine Ländereien lassen.
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Der liebe Gott und der Teufel
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Der Teufel aber fragte den lieben Gott: "Wer hat denn nun die
Schuld bekommen?" stieg in den Graben und brachte die Kuh
wieder auf die Beine, so daß sie ruhig grasend am Weg ging, als
der Mann mit den Helfern ankam.
"Nun, Gott sei Dank", rief der Bauer aus, "daß es so gegangen
ist!"
"Hörst du wohl", sagte der Teufel, "wer erntet nun den Dank?"
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Der unerfahrene Teufel
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Der versöhnte Niss auf Stapelholm
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Der Mann überlegte sich die Sache noch einmal, besprach sich
wieder mit seiner Frau, und schließlich kaufte er das Haus um
einen, Spottpreis. Es hatte sich kein anderer Käufer gemeldet,
und der Besitzer wollte es um jeden Preis loshaben.
Der neue Eigentümer bezog das Haus nun mit seiner Frau
selbst; der Sohn aber sollte den väterlichen Hof übernehmen.
Die Frau ließ nun das Haus zunächst reinigen und in den acht
Tagen, ehe sie es bezogen, jeden Abend eine süße Grütze mit
Butter hinübertragen und auf den Heuboden bringen. Die drei
ersten Abende wurde nichts angerührt, an den folgenden aber
war immer alles leer gegessen. Als nun am neunten Abend ein
Paar weiche Pantoffeln, die sie für den Niss hingelegt hatten,
verschwunden war, glaubten sie sicher zu sein" das Wohlwollen
des kleinen Wesens gewonnen zu haben; sie bezogen daher am
nächsten Tag das Haus und hatten sich nicht getäuscht, denn es
gab nie Anlaß, sich über irgend eine Bosheit des Niss ärgern zu
müssen.
Viele Leute behaupteten sogar, an Winterabenden den Niss
mitten unter der Familie, meistens in der kleinen Ecke hinter
dem Ofen, gesehen zu haben. Doch verschwand er beim Anblick
fremder Gesichter sofort. Im Hause ging weiterhin alles gut, und
die Familie lebte in ungestörter Ruhe.
-591-
Die Abfahrt der Zwerge aus den Hüttemer Bergen
-593-
Die Kartenspieler von Stellau
Auf der Burg in Dahme lebte vor vielen hundert Jahren ein
mächtiger und reicher Graf. In seiner Jugend zog er einst mit
dem Kaiser auf einen Kreuzzug ins Heilige Land. Dort brachten
ihm seine Reitersknechte eine junge Sarazenin, die sie gefunden
hatten. Der Graf aber schenkte ihr die Freiheit. Zum Dank gab
sie ihm ein Kästchen. Darin waren ein Goldpfennig und ein
Eisenpfennig. Sie sagte. "Hebe das Kästchen gut auf. Den
Goldpfennig gib nur aus, wenn du ein großes Unglück
abwenden kannst. Ist aber der Goldpfennig einmal fort, so darfst
du dich von dem Eisenpfennig nicht mehr trennen, sonst wird
das Unglück noch größer."
Nach Jahren kam der Graf wieder in seine Heimat zurück. Da
war sein Töchterchen inzwischen zu einer schönen Jungfrau
herangewachsen. Das Mädchen war jedoch von einem bösen
Zauber befallen. Es tobte jede Nacht, schrie und zerschlug alles,
was in seine Hände kam. Der Graf grämte sich sehr um sein
Kind und ließ viele berühmte Ärzte kommen, aber keiner konnte
es gesund machen. Die Krankheit wurde immer ärger. Und
schließlich mußte er die Tochter aus der Burg schaffen lassen.
Draußen, weit vor der Stadt, im Walde, ließ er für sie ein
Häuschen bauen. Darin wohnte sie mit einer Dienerin und einem
alten, treuen Knecht.
Nun begab es sich, daß eines Tages ein armer, fahrender
Musikant auf dem Dahmer Burghof aufspielte. In der
Knechtestube wurde ihm eine gute Mahlzeit gereicht. Beim
Essen erzählten ihm die Knechte von der unglücklichen
Grafentochter. Da ging der Musikant zum Grafen und sagte:
"Ich will Eure Tochter gesund machen, wenn Ihr mir einen
Wunsch erfüllt, den ich Euch übers Jahr sagen will, wenn ich
wiederkomme." Das sagte der Graf gern zu. Dann erbat sich der
Musikant die kleinste Goldmünze, die in der Burg zu finden
-595-
war. Es waren aber nur große Goldgulden da. Da fiel dem
Grafen das Kästchen aus dem Morgenland ein und der
Goldpfennig, der darin lag. Er mußte auch an die Worte der
Sarazenin denken. So konnte er den Goldpfennig gern hingeben,
um das Unglück von seiner Tochter abzuwenden. Schnell holte
er das Kästchen und gab dem Musikanten den kleinen
Goldpfennig. Dieser aber stieg damit auf den höchsten Turm der
Burg und warf ihn mit mächtigem Schwung durch die Luft
gegen Abend, wo eben die Sonne untergehen wollte.
Einige Tage darauf kam der alte Knecht aus dem Waldhaus
auf die Burg gelaufen und erzählte dem Grafen: "Eure Tochter
ist ganz gesund geworden. Sie saß vor drei Tagen beim
Sonnenuntergang vor der Türe. Da flog etwas mit hellem
Klingen an die kleine Wetterfahne des Hauses. Von dort prallte
es ab und fiel dem Edelfräulein in den Schoß. Und das war ein
kleines Goldstück. Seit dem Augenblick ist der böse Zauber von
Eurer Tochter gewichen. "
Nun war große Freude in der Dahmer Burg. Die Grafentochter
aber wollte nicht mehr in die finstere Burg zurückkehren. Es
gefiel ihr draußen im Walde viel besser. Da ließ ihr der Graf
dort draußen ein kleines, prächtiges Schloß bauen, das hieß
Güldenpfennig.
Ein Jahr darauf kam der Spielmann wieder und forderte seinen
Lohn vom Grafen. "Gib mir deine Tochter zur Frau", sagte er.
Der alte Graf erschrak sehr. Einen armen Musikanten sollte
seine Tochter heiraten? Da schämte er sich. So bot er ihm viel
Gold und schöne Pferde an, damit der Musikant von seinem
Wunsche lasse. Der aber bestand darauf, daß der Graf sein
Versprechen einlösen solle. Da wurde der Graf zornig und ließ
den Musikanten aus der Burg jagen.
Im andern Jahr aber vermählte er seine Tochter mit einem
reichen, jungen Edelmann aus dem Thüringer Land.
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Am Hochzeitstage erschien der Spielmann wieder in der Burg
und spielte ein lustig Stücklein auf dem Burghof. Es war
indessen niemand in der Burg als eine alte Dienerin, denn alle
übrigen waren draußen im Schloß Güldenpfennig, wo die
Hochzeit gefeiert wurde.
Die Dienerin suchte nach einem kleinen Geldstück, das sie
dem Musikanten für sein Spiel schenken konnte. Endlich fand
sie ein Holzschächtelchen. Darin lag eine kleine eiserne Münze.
Die gab sie dem Musikanten. Der aber stieg mit dem
Eisenpfennig auf den Burgturm und warf ihn mit
großemSchwung in die Richtung gegen Abend. Er flog klirrend
an die Wetterfahne von Schloß Güldenpfennig. In dem
Augenblick erscholl ein furchtbarer Donnerschlag, und das
Schloß mit der Hochzeitsgesellschaft sank in die Tiefe. Die
Stelle aber, wo das Schloß versank, heißt noch heute
PfennigPfuhl.
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Die Teufelskatze
Es war einmal ein Bauer, der hatte drei schöne große Katzen.
Sein Nachbar kam und bat ihn um eine. Er erhielt sie und setzte
sie auf den Boden, um sie einzugewöhnen.
Nachts steckte die Katze den Kopf durch die Bodenluke und
fragte:
"Was soll ich bringen über Nacht?"
"Mäuse sollst du bringen", antwortete der Bauer. Da fing die
Katze Mäuse und warf sie alle auf die Diele. Am andern Morgen
lag die Diele so voll, daß man die Tür gar nicht öffnen konnte,
und der Bauer fuhr den ganzen Tag die Mäuse haufenweise weg.
Nachts streckte die Katze den Kopf wieder durchs Bodenloch
und fragte: "Was soll ich bringen über Nacht?"
"Roggen sollst du bringen", antwortete der Bauer. Da schüttete
die Katze die ganze Nacht Roggen hinunter, daß man morgens
wieder die Tür nicht öffnen konnte. Da merkte der Bauer, daß
die Katze eine Hexe war und brachte sie wieder zum Nachbarn.
Und daran hat er klug getan; denn hätte er ihr zum drittenmal
Arbeit gegeben, so hätte er sie niemals wieder loswerden
können. Aber daran tat er nicht klug, daß er nicht das zweite
Mal gesagt hatte: "Geld sollst du bringen! "
Dann hätte er nämlich so viel Geld gehabt, wie er jetzt Roggen
hatte.
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Die Zahlen Eins bis Sieben
In Dithmarschen besaß ein Bauer einst Haus und Hof und dazu
so viel Land, daß er mit Weib und Kind gut leben konnte. Lange
Jahre war er auch glücklich und zufrieden. Da brach einmal eine
Seuche aus, die fast sein ganzes Vieh vernichtete. Doch wußte
er sich durch Fleiß und Sparsamkeit über die Not
hinwegzuhelfen und schaffte sich bald wieder neues Vieh an.
Kaum glaubte der Mann, wieder aufatmen zu können, so kam
die Seuche zum zweitenmal und fraß wieder seinen Stall leer.
Auch dieses Unglück konnte seine Ausdauer nicht brechen, und
er arbeitete sich wieder in die Höhe.
Als der Hof aber zum drittenmal von der Krankheit
heimgesucht wurde, kam der Bauer in die traurigste Lage. Sorge
und Not waren ständig zu Gast; es fehlte an Milch, Brot, Butter
und Speck. Die Nachbarn mochte er in dieser schrecklichen
Bedrängnis auch nicht um Hilfe bitten; denn bei ihnen stand es
nicht besser. Seine Äcker konnte er dieses Jahr nicht bebauen;
denn die Pferde, die zur Arbeit nötig waren, lebten ja nicht
mehr.
Als der Bauer an einem klaren Herbstmorgen, statt zu arbeiten,
in düstere Gedanken versunken, durch das Feld ging, schien es
ihm, als hätte ihn Gott ganz vergessen. In seiner Trostlosigkeit
schlug er die Hände über dem Kopf zusammen, als die Frage
vor ihm stand: "Wie ernähre ich diesen Winter Weib und Kind?"
Während der Bauer noch mit seiner Verzweiflung rang,
gewahrte er plötzlich ein kleines Männchen vor sich, das mit
einem grauen Rock bekleidet war und einen dreieckigen Hut auf
dem Kopf hatte. Es schaute ihn mit forschenden Blicken an.
Verwundert blieb der Bauer stehen, er konnte sich nicht
erklären, woher dieses Männchen auf einmal gekommen sei.
Schweigend wollte er dann an ihm vorbeigehen. Das Männchen
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aber redete ihn an: "Sag mir doch, warum du so traurig bist,
lieber Freund! Vielleicht kann ich dir helfen. "
"Ach", erwiderte der Bauer, "wie sollst du mir helfen
können? "
Der kleine Mann ließ aber nicht nach, sondern fragte immer
wieder, bis ihm der Bauer den Grund seiner Trauer ausführlich
erzählt hatte.
Da kniff das Männlein seine klugen Äuglein zu, schnalzte mit
den Fingern und rief: "Wenns weiter nichts ist, kann dir
geholfen werden.
Höre: Ich gebe dir auf fünfundzwanzig Jahre vier Pferde, die
mehr arbeiten können, als zehn andere und obendrein nicht
gefüttert werden brauchen. Du kannst sie jeden Morgen
anspannen und brauchst sie nur abends in den Stall zu führen.
Alles übrige besorge ich. In diesen fünfundzwanzig Jahren
sollen deine Felder reichlichen Ertrag bringen. Ich stelle nur
eine Bedingung: Sobald die Zeit abgelaufen ist, mußt du mir die
Antwort auf eine Frage geben, die ich dir jetzt vorlegen werde,
oder du selbst bist mir verfallen. "
Der Bauer stimmte zu, ohne sich weiter zu bedenken. Er
hoffte, während der langen Frist schon die Antwort auf die
Frage zu finden.
Da fragte der Kle ine : Was bedeuten die Zahlen eins bis
sieben? Dies sollst du mir nach fünfundzwanzig Jahren
beantworten".
Der Kleine hielt seine Hand hin, und der Bauer schlug ein.
Dann begleitete das Männlein den Bauern noch bis ans Dorf.
Zum Abschied gab er ihm einen vollen Beutel mit Geld, hierauf
war er verschwunden. Als der Bauer heimkam, standen vier
Pferde im Stall.
Die Bäuerin erklärte, ein fremder Knecht habe sie gebracht.
-600-
Nun kehrten Glück und Zufriedenheit aufs neue ins Haus
zurück.
Kühe wurden gekauft, und der Haushalt kam wieder in
Ordnung.
Jeden Morgen fuhr der Bauer mit seinen vier Pferden aufs
Feld. Die Arbeit ging wundervoll vorwärts. Abends brachte er
sie in den Stallund ließ den Kleinen für sie sorgen. Seine Ernte
war reichlicher als die seiner Nachbarn. Bald war der Bauer ein
vermögender Mann, baute sich ein neues, schönes Haus und
kaufte mehrere Grundstücke, so daß sein Hof stark vergrößert
war. Fiel ihm einmal die Frage ein, die er beantworten sollte, so
dachte er, das hätte wohl noch Zeit, darüber könne er im
nächsten Jahr nachdenken, und er schlug sich die Gedanken
daran aus dem Sinn.
So verfloß die Zeit, und endlich waren vierundzwanzig Jahre
herum.
Nun gab es keinen Aufschub mehr. Der Bauer begann zu
grübeln und zu raten, was wohl die Zahlen von eins bis sieben
bedeuten könnten. Doch wie sehr er sich auch quälte, er fand
keine Antwort.
Darüber wurde er ganz stumm und verdrossen, ja zuletzt krank
und elend. Seine Frau und die Kinder sahen dies mit großer
Sorge und wollten von ihm wissen, was ihm denn fehle. Er aber
schwieg.
Doch je näher die Zeit der Beantwortung kam, desto
schlimmer wurde es mit dem Bauern. Voll Angst und Unruhe
lag er im Bett, Speise und Trank nahm er kaum noch zu sich.
Seine Frau und die Kinder blieben ängstlich immer an seiner
Seite. Als nun der festgesetzte Tag anbrach und es gegen Mittag
ging, schärfte der Kranke seiner Frau aufs dringendste ein, alle
Türen und Fensterläden des Hauses zu schließen und niemand
einzulassen, der ihn sprechen wolle.
-601-
Plötzlich zog schwarzes Gewölk am Himmel auf, und ein
greuliches Unwetter brach los, der Sturm heulte und fauchte, es
donnerte und blitzte, und der Regen goß in Strömen vom
Himmel. Da pochte es an die Tür, doch niemand öffnete; es
klopfte wieder und noch einmal.
Schließlich bat eine Stimme vor der Haustür flehentlich um
Einlaß und Schutz vor dem Unwetter. Endlich wagte sich die
Bäuerin an die Tür. Dort stand ein freundlicher Mann, der gut
aussah, in schlichter Kleidung mit einem Stock in der Hand. Er
bat inständig um Einlaß und erwähnte im Lauf des Gespräches,
daß er auch Kranke zu heilen verstehe. Da ließ ihn die Bäuerin
schließlich eintreten. Nun forderte der Fremde die Frau und die
Kinder auf, ihn bei dem kranken Mann allein zu lassen, und
setzte sich zu dem Bauern ans Bett, tröstete ihn und wußte durch
sein Benehmen den Kranken so zu gewinnen, daß dieser ihm
unter vielen Tränen den Grund seines Leides bekannte.
Da sprach der Fremde: "Guter Freund, Ihr seid leichtsinnig
gewesen.
Aber ich will Euch helfen. Merkt auf:
Eins ist eine Schiebkarre, Zwei eine Karriole, Drei ein
Dreifuß, Vier ein Wagen, Fünf die Finger an der Hand, Sechs
die Werktage in der Woche, Sieben das Siebengestirn.
Und nun steht auf und seid getrost."
Der Bauer erhob sich und fühlte sich wieder leicht und wohl;
als er sich aber umsah, war der Fremde verschwunden. Da
merkten sie, daß es unser Herr Christus selbst gewesen sein
müsse, der sich des Mannes angenommen hatte; wo aber der
Herr selbst erscheint, da hat der Teufel sein Spiel verloren.
Das Unwetter jedoch dauerte noch immer an, ja, es sah aus, als
ob es stets arger würde. Und als der Abend anbrach, fuhr mit
einem tosenden Wirbelwind der Böse ins Haus und fragte
grinsend nach der Bedeutung der Zahlen. Da lachte der Bauer
und gab Antwort auf die Frage. Nun konnte ihm der Teufel
-602-
nichts anhaben. Fluchend auf den, der ihm sein Spiel verdorben
hatte, stürzte der Satan in den Stall, riß die vier Pferde vom
Stand und raste mit ihnen durch die Luft davon.
Sogleich ging das Unwetter zu Ende. Der Bauer lebte von nun
an noch lange Jahre glücklich mit den Seinen, und der Segen des
Himmels lag auf allen seinen Werken.
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Die Zwergenschmiede im Hüggel bei Osnabrück
Wer Glück hat, kann noch jetzt hören, daß im Innern der Erde
die Werkstätten der Erdgeister sind. Das hört man zu gewissen
Zeiten auch in dem großen Struckberg bei Heiligenhafen, wenn
man das Ohr auf die Erde legt. Dann vernimmt man Hämmern
und Pochen wie in einer Schmiede. Von altersher gelten ja die
Zwerge als Meister in der Schmiedekunst. Die Geschmeide, die
sie verfertigen, sind besonders begehrt.
Im Hüggel, einem Berge zwischen Ohrbeck und Hagen bei
Osnabrück, wohnte früher ein Zwergengeschlecht, das die
"Sgönauken" hieß. Von diesen ließen sich die Leute in der
Umgebung allerhand Geräte schmieden, wie Pflugeisen und
Ofenroste, wie man sie dort brauchte, um Holz auf den Herd zu
legen; besonders die dreifüßigen Roste waren beliebt, an denen
auf der einen Seite ein sitzender Hund als Handgriff
angeschmiedet war.
Diese hießen deshalb "Feuerhunde".
Die Sgönauken waren unsichtbar, und wer etwas bei ihnen
schmieden lassen wollte, mußte einen Bestellzettel auf den
Tisch legen, der vor ihrer Höhle stand; Wenn der Besteller dann
am andern Tag wieder vorsprach, befand sich die Arbeit fertig
auf dem Tisch und daneben lag ein Zettel mit dem Preis, der
dafür zu entrichten war. Das Geld mußte man auf den Tisch
legen.
Vor langen Jahren hat auch der Hüggelmeier einmal bei den
Sgönauken ein Pflugeisen bestellt. Wie er es nun am andern
Tage abholte, da stach ihn der Hafer, und statt das Geld
hinzulegen, machte er sich eiligst mit dem bestellten Gerät aus
dem Staube, und das war sein Glück! Denn auf einmal kam es
wie aus der Hölle ganz fürchterlich hinter ihm her. War es ein
glühendes Rad oder ein noch glutheißes Pflugeisen? Er hatte
kaum Zeit, sich umzudrehen. Eben war er auf seinem Hof
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angelangt und hatte das Tor zugeschlagen, da schoß das feurige
Eisen an den Torpfosten, daß es nur so krachte.
Die Stelle, wo das Holz versengt worden war, konnte man
noch lange sehen.
Plötzlich schrie ihm eine Stimme nach: "Diesen Betrug soll
der neunte Hüggelmeier noch büßen!" Und so ist es auch
gekommen:
Unglück über Unglück hat den Hof seitdem getroffen.
In letzter Zeit müssen die Hüggelmeier wohl schon über den
neunten Sproß hinaus sein, denn Glück und Wohlstand sind auf
dem einsamen Hof wieder eingezogen.
-605-
Die rote Jacke
-606-
Da trat gerade zur rechten Zeit, als der Streit am hitzigsten war
und in eine Prügelei ausarten wollte, ein Fremdling in einer
blauen Jacke auf. Es war Paul Modders von Sylt, der unmöglich
länger schweigen konnte. Er sprach: "Ihr wollt eure Kirche
südwärts rücken. Wohlan, tretet alle an die Nordseite, stoßt und
drückt mit ganzer Kraft gegen die Kirche, so muß sie, die von
wenigen Menschen gebaut ist, der vereinigten Macht so vieler
weichen! Damit wir aber merken, wann die Kirche auf den
gewünschten Platz gekommen ist, lege einer von euch seine rote
Jacke an die Südseite der Kirche, zwei Ellen von der Mauer
entfernt. Wenn die Jacke nicht mehr zu sehen ist, wird die
Kirche stehen, wo sie stehen soll."
Dieser Rat fand bei dem Römöer Volk ungeteilten Beifall,
besonders deshalb, weil er von einem Fremdling kam und weil
die Römöer soeben die Erfahrung gemacht hatten, daß sie sich
nicht selber zu raten vermochten. Die ganze Inselbevölkerung
lief nun nach der Nordseite der Kirche, schob und stieß unter
Vergießung vielen Schweißes mit unerhörter Kraftanstrengung
gegen die Kirche, und der kluge Ratgeber Paul Modders ging ab
und zu nach der Südseite, um nachzusehen, ob die hingelegte
Jacke noch sichtbar wäre. Nach einigen Stunden, währenddes
sich die Römöer Kopf und Rücken, Hände und Füße wund
gestoßen hatten, kehrte Paul Modders wieder zu ihnen zurück.
Er erklärte, daß die Jacke nicht mehr sichtbar sei und die Kirche
stehe, wo sie stehen solle.
Da stürmten alle, der schweren Arbeit müde, nach der
südlichen Seite der Kirche. Die Jacke war wirklich nicht mehr
zu sehen. Also stand die Kirche, wo sie stehen sollte.
Paul Modders hatte jedoch den Römöern zu viel Dummheit
zugetraut. Als er frech genug war, am folgenden Sonntag die
gestohlene Jacke anzuziehen, sagten alle: "Er hat uns betrogen!"
Und der Schalk mußte die Jacke schnell wieder ausziehen und
nach seiner Heimatinsel Sylt entfliehen.
-607-
Geisterbanner auf Satrupholm
-608-
Der Student hatte aufmerksam zugehört. Er erbot sich
sogleich, den Spuk zu bannen. Man führte ihn in das gleiche
Zimmer, in dem der Prediger vor kurzem seinen Versuch
gemacht hatte. Bald erschien der Geist. Der Student, die Bibel in
der Hand, erteilte ihm erst eine lange Strafpredigt und stellte
ihm alle seine Schandtaten vor. Darauf erwiderte der Geist, wer
sich zum Strafprediger erhöht, müsse selbst rein sein; er, der
Student, habe einmal beim Bäcker Semmeln gekauft, sei aber,
ohne bezahlt zu haben, davongegangen. Der Student griff
sogleich in die Tasche und warf dem Geist den schuldigen
Groschen zu; darauf mußte dieser schweigen. Nun hielt der
junge Mann das Heilige Buch hin und forderte das Gespenst auf,
ihm die Bibel aus der Hand zu schlagen; aber der Geist war
nicht imstande, dies zu tun, und mußte sich für überwunden
erklären; nur eine Bitte brachte er noch vor, nämlich unter der
Zugbrücke wohnen zu dürfen. Doch diese Bitte fand kein
Gehör; denn der Geist hätte hier sicherlich die Vorübergehenden
ständig belästigt, und das wollte der Geisterbanner vermeiden.
Es wurde also eine große, hohle Buche nördlich vom Schloß als
Verbannungsort ausersehen. Der Kutscher war schon bereit,
Geist und Geisterbanner dorthin zu fahren, als dieser den!
Wagenlenker vorerst noch befahl, das Hinterrad abzuziehen und
in den Wagen zu: werfen. In vollem Galopp gings dann zum
hohlen Baum, und der Geist mußte bis dahin die Achse. an
welcher das Rad fehlte, tragen. Am Ziel angelangt, trieb der
Student das Gespenst, schnell in den Baum hineinzufahren. Seit
der Zeit war Ruhe im Schloß.
Viele Jahre später wollte ein neuer Besitzer alles Widerratens
ungeachtet, den gefährlichen Baum fällen lassen. Aber die
Knechte kamen bald wieder zurück und meldeten, daß keine
ihrer Äxte in den steinharten Baum dringe. Da erbot sich der
Schmied in Ausacker, die Beile zu schärfen. Es gelang nun, den
Baum zu fällen; aber kaum stürzte er, als eine ungeheure Schar
-609-
von Uhus und Eulen herbeigeflogen kam und mit entsetzlichem
Geschrei und Gekrächze lange die Luft erfüllte.
Im Schloß aber hat sich der Spuk nie mehr gezeigt, man weiß
auch nicht, wohin der Geist aus dem gefällten Baum entwichen
ist.
-610-
Graf Rudolf auf der Bökelnburg
Auf der Bökelnburg saß ein Graf Rudolf und hielt die
Dithmarschen alle in schwerer Dienstbarkeit. Die Bauern
mußten zum Zeichen ihrer Abhängigkeit am Hals einen Klawen
(Joch) tragen, mit dem sonst das Vieh im Stall angebunden
steht. Sie mußten den Schimpf dulden. Des Grafen Frau aber,
die Walburg hieß, hatte ihn zu dieser Härte angestiftet. Sie trieb
ihn auch dazu, daß er noch eine große, ungewöhnliche Abgabe
in einem Jahr auflegte, in dem erst der Winter so hart war und
die Kälte so grimmig, daß die Vögel in der Luft erfroren und
herunterfielen. Darauf folgten Teuerungen und Hungersnot, und
Menschen und Vieh starben in großer Zahl. Da hielten die
Bauern bei dem Grafen an, daß er ihnen das Korn erließe.
Er sah wohl ein, daß doch wenig oder gar nichts einkommen
könnte, und erließ ihnen also die Abgabe, doch unter der
Bedingung, im folgenden Jahr sie doppelt zu entrichten.
Zu dieser Zeit wohnte zwischen Schaafstedt und Eckstedt auf
einem großen Hof ein reicher Bauer, ein vornehmer Mann. Den
bat der Graf im folgenden Jahr einmal bei sich zu Gast und
bewirtete ihn stattlich. Während des Schmauses ließ er Musik
machen. Nach einiger Zeit lud ihn der Bauer dafür wieder ein
und stellte ein großes Gastgebot an. Wie es früher öfter bei
Hochzeiten und Bieren geschah, waren Säcke voll Korn
hingestellt und Bretter darübergelegt. Darauf saßen die Gäste.
Anstatt des Saitenspiels und der Musik aber ließ der Bauer erst
seine Schweine heraus, dann die Schafe, dann das Jungvieh,
darauf die Kühe und endlich die Pferde, alle nacheinander. Die
trieben mit Springen und Laufen ihre Kurzweil und machten
keinen geringen Lärm. Als die Frau des Grafen aber all den
Reichtum sah, stiftete sie ihren Mann dazu an, daß er die Pacht
ernstlich fordere. Darum hielt er nun auch die Bauern mit
Gewalt dazu an, daß sie beide Abgaben, nämlich des vorigen
-611-
Jahres nachständige und dieses Jahres fällige Pflicht, eines mit
dem andern aufbrächten.
Die Bauern aber wurden böse, denn sie hatten gerade erst die
ärgste Not überwunden. Daher dachten sie auf Gelegenheit und
Mittel, wie sie gleichzeitig ihr Joch ablegen und ihre alte
Freiheit wiedererlangen könnten. Das ist ihnen auf diese Weise
gelungen:
Als sie am Sankt-Martins-Abend (11. November) das Korn auf
die Burg bringen sollten, schickten sie erst einige Wagen mit
vollen Säcken voran. Auf den ersten aber setzte sich ein Bauer
mit seiner schönen Tochter, die der Bökelnburger Herr wohl
leiden mochte.
Auf den übrigen Wagen verbargen sich starke Männer in und
unter den Säcken, und nebenher gingen nicht weniger starke, als
wenn sie das Korn abladen wollten. So fuhren sie eilends
hintereinander her.
Bald war der Burgraum voll, und etliche hielten, wie
verabredet war, unter dem Tor, damit dieses nicht gesperrt
werden konnte. Als die vorderen Wagen abgeladen wurden und
der Graf keinen Arg vermutete, erscholl von den hinteren
Wagen her die Losung: "Röhret die Hände! Snydet de
Sacksbände!" Da schnitten sich die Verborgenen heraus. Die
Wagenführer und die Sackträger rotteten sich mit ihnen
zusammen und mit ihren langen Messern bewaffnet, fielen sie
über die Leute in der Burg her. Als die Gräfin die Gefahr
bemerkte und. nichts Gutes ahnte, sprang sie aus dem Fenster
des Schlosses in das fließende Wasser hinein, das bis auf den
heutigen Tag nach ihr die Wolbersaue (Walburgsaue) heißt. Den
Grafen aber suchte man überall vergebens. Als man nun das
Schloß schleifte und zerstörte und schon der dritte Tag da war,
beobachtete man, wie die Elster, die der Graf gezähmt t und zur
Kurzweil stets bei sich gehabt hatte, vor einem verborgenen
Gang saß und immer seinen Namen rief. Da zog man ihn hervor,
-612-
erstach ihn und riß vollends alles nieder, daß weiter keine Spur
als der große Ringwall übrigblieb.
-613-
Inge von Rantum und der Meermann auf Hörnum
-614-
Heute werd, ich brauen.
Morgen werd, ich Backen.
Übermorgen will ich Hochzeit machen.
Ich heiße Ekke Nekkepen; Inge von Rantum gehört zur
Auserwählten - Und das weiß niemand als ich!
Als die Jungfrau dies hörte, wurde ihr leichter ums Herz; sie
eilte sogleich zum Küssetal, um dort ihren Freier zu erwarten.
Nach einer Weile kam er auch; gleich rief sie ihm zu: "Du heißt
Ekke Nekkepen, und ich bleibe die Inge von Rantum!" Dann lief
die Maid schnell nach Hause samt ihren goldenen
Schmucksachen; der Meernix aber hatte das Nachsehen.
Seit diesem Geschehen war der Meermann auf alle Rantumer
böse und brachte ihnen Unglück und Schaden, wo er nur konnte.
Er ließ seine Frau Salz mahlen; das erzeugte einen solchen
Wirbel, daß manches Schiff darin versank. Auch der Lärm des
Mahlens übertönte so manchen verzweifelten Hilferuf. Von dem
vielen Salzmahlen der Meerfrau, so erzählt die Sage, ist zuletzt
auch die ganze, weite See salzig geworden.
-615-
Knaben entscheiden einen Rechtsfall bei Tondern
Ein Arm der Widau bei Tondern führt den Namen Renzau,
von dem kleinen Dorf Renz, im Kirchspiel* Burkall. Da, wo die
Ufer ziemlich hoch und steil zum Fluß abfallen, stürzte einst ein
Mann ins Wasser; er wäre ertrunken, wenn nicht ein Bauer, der
in der Nähe arbeitete, sein Geschrei gehört hätte und
herbeigeeilt wäre. Der wackere Helfer hielt dem mit den Wellen
Ringenden eine Stange entgegen, und der Mann half sich daran
heraus, stieß sich jedoch dabei ein Auge aus.
Darum erschien er auf dem nächsten Gerichtstag, verklagte
seinen Retter und verlangte von ihm Ersatz für das verlorene
Auge. Die Richter waren ratlos und verschoben das Urteil auf
den nächsten Gerichtstag. Aber der dritte Gerichtstermin war da,
und der Vogt war noch immer nicht mit sich einig. Mißmutig
stieg er zu Pferd und ritt langsam und nachdenklich Tondern zu,
wo Gericht gehalten wurde.
So kam er nach Rohrkarrberg. Dort saßen drei Hirtenknaben
beisammen und berieten eifrig. "Was macht ihr da, Kinder",
fragte der Vogt.
"Wir spielen Gericht", war die Antwort.
"Was habt ihr denn für eine Sache vor?" forschte er weiter.
"Wir sitzen zu Gericht über den Mann, der in die Renz
gefallen ist", antworteten sie.
Da hielt der Vogt sein Pferd an, um auf das Urteil zu warten.
Die Jungen kannten ihn nicht und ließen sich daher auch nicht
stören.
Von ihnen wurde nun zu Recht erkannt, daß der gerettete
Mann an der gleichen Stelle wieder in den Fluß geworfen
werden solle; könne er sich dann selbst retten, so solle er Ersatz
für das Auge bekommen; könne er es aber nicht, so habe der
andere gewonnen. Ehe der Vogt weiter ritt, gab er den Jungen
-616-
einen schönen Geldbetrag und ritt dann erleichtert nach
Tondern. Bei der Gerichtstagung entschied er wie die
Hirtenknaben. Der Schurke konnte sich nicht allein retten und
mußte ertrinken. Der hilfsbereite Bauer hatte also gewonnen.
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Pidder Lüng
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ihnen heißt es, daß die Leute und besonders die Hörnumer
Fischer nichts nach ihnen fragten, ihnen nic ht gehorchen
wollten.
Doch jetzt erst noch etwas von Pidder Lüng, dem Sohn des
Jakob Lüng. Als er noch klein und jung war, hielten die Fischer
ihn oft zum besten, um ihren Spaß mit ihm zu haben und sich in
müßigen Stunden die Zeit zu vertreiben. Wenn der kleine Pidder
zuletzt jedoch merkte, daß die Fischer ihm etwas weisgemacht
hatten, lachten sie ihn noch dazu aus. Dadurch wurde der Junge
mißtrauisch und glaubte außer seinen Eltern niemandem mehr.
Eines Tages hatte er sich ziemlich weit von der elterlichen
Wohnung entfernt. Er lag in einem Dünental und pflückte
sogenannte Hungerblumen, um damit zu spielen. Da trat ein
Mädchen aus NeuRantum von hinten leise zu ihm und hielt ihm
die Hände vor die Augen, so daß er nichts sehen konnte. Pidder
schrie laut auf und kratzte die Hände des Mädchens. Da zog es
die Hände zurück, und er konnte wieder sehen.
"Die Blumen, die du gepflückt hast, sind häßlich", sprach das
Mädchen.
"Nein", antwortete Pidder zornig, "sie sind schön. "
"Aber sie riechen häßlich", sprach es weiter.
"Nein, sie riechen schön", entgegnete er.
"Pidder Lüng, wie bist du noch so klein und schwach", sprach
das Mädchen aus NeuRantum.
"Nein", rief Peter trotzig, "ich bin groß und stark."
"Aber du bist böse."
"Nein, ich bin nicht böse."
"Wenn du nicht böse bist, so komm her und gehorche mir!"
"Ich will nicht."
"Aber, Pidder, komm doch, ich will dich waschen, du bist
schmutzig."
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"Nein, ich bin nicht schmutzig, ich will nicht gewaschen sein. "
"Nun, Peter, darf ich denn deine Nase nicht saubermachen? "
"Nein!"
"Willst du nicht meinen Korb tragen, du eigensinniger Junge?"
"Nein, ich will nicht, ich bin nicht eigensinnig."
"Will Pidder Lüng denn gar nicht hören? "
"Nein, ich will nicht hören! "
"Auch nicht gut werden? "
"Nein, ich will nicht gut werden! "
In solcher Schule wuchs Peter auf. Die Fischer, die ihren Spaß
mit ihm hatten, machten ihn mißtrauisch; neckende Mädchen
machten ihn eigensinnig. Er war so widerspenstig und
hartnäckig geworden, daß er zu allem, was man von ihm
verlangte oder worum man ihn bat, niemals ja, sondern immer
nein sagte. Nur seiner Mutter, einem weinenden Kinde, der
darbenden Armut, dem Jammer und dem Elend der Menschen
gegenüber konnte er nicht nein sagen. Da war es, als ob ihm das
Herz vor Mitleid brechen müßte. Er war unterdessen groß und
stark geworden und half bereits beim Fischfang.
Eines Abends --- bei hellem Mondschein und mildem Wetter -
-- blickte er, in Gedanken vertieft, auf die Stätte, wo einst das
Haus seines Großvaters gestanden hatte. Es war um die Zeit, als
der Priester Georg besonders ingrimmig gegen die Hörnumer
wütete, als er veranlaßte, daß die Vögte kamen, welche die alten
Freiheiten und Rechte der Sylter zu unterdrücken strebten. Da
schien ihm, als ob eine weinende Gestalt händeringend auf dem
Herdsteine des alten, verbrannten Hauses saß. Je länger er die
Gestalt anschaute, desto bestimmtere Züge nahm sie an, desto
mehr überzeugte er sich, daß er ein wirkliches Wesen vor sich
sah.
"Wer bist du?" fragte er endlich.
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"Ich bin die Stavenhüterin. Wo rechtschaffene, freie Mensche n
wohnten, da bewache ich die Stätte, wo sie geweilt haben, damit
der Ort nicht durch Lug und Trug, durch Unrecht und
Unterdrückung entweiht werde. Oh, daß Jens Lüng noch lebte!"
"Warum?" sprach Peter. "Jens Lüng war mein Großvater."
"Ach", sagte das händeringende Weib, "möchtest du ihm
ähnlich sein, zu wehren mit festem, männlichem Sinn dem
Greuel der Verwüstung, der über Friesland immer mehr
hereinbricht. Ach, möchtest du retten an Tugenden und
Freiheiten, was zu retten ist, oder, wenn du --- wie ich fürchte ---
nicht siegen kannst, im Kampf untergehen nach alter Weise.
Lewwer duad üs Slaaw! (Lieber tot als Sklave!)" Peter schwur,
tief erschüttert: "Ja! Lewwer duad üs Slaaw!
Ich will in die Fußtapfen meines Großvaters treten, so gut ich's
kann und verstehe !" Darauf verschwand die edle Stavenhüterin.
Unterdes gingen Jahre hin und änderten nichts. Eines Tages
aber hatte Pidder Lüng, der jetzt schon gegen 26 Lebensjahre
zählte, für seine alte Mutter, die wie sein Vater besonders gern
Grünkohl aß, obgleich dieses Küchengewächs auf Hörnum nicht
gedeihen wollte, eine große Tracht Kohl von guten Freunden auf
Westerland geholt und auf seinem Rücken heimgetragen. Die
Mutter hatte am folgenden Tage den Kohl gekocht. Alle drei
freuten sich auf dieses Gericht und saßen eben rings um den
Tisch, um sich den herrlichen Kohl wohlschmecken zu lassen.
Da öffnete sich die Tür ihres Hauses, und es trat ein junger
Mann in kostbarer Kleidung in die Stube. In seinem Gefolge
waren der alte falsche Priester Georg, der Landvogt der Insel
und der Strandvogt von Rantum.
Der junge Herr grüßte nicht, sondern sagte: "Wohnt hier das
Gesindel, welches Gott und der hohen Obrigkeit trotzt?"
Peters Mutter ließ vor Schreck den Löffel fallen. Peter selbst
zerbrach den seinigen vor Wut und knirschte mit den Zähnen.
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Nachdem der langsame, alte Jakob Lüng sich besonnen hatte,
antwortete er: "Wir sind kein gottloses Gesindel, sind ehrliche
Fischersleute und niemandem etwas schuldig! Wer seid Ihr aber,
der Ihr in das Haus eines freien Friesen einzudringe n wagt ---
wie es scheint, nicht in guter Absicht?"
"Wer ich bin, alter Trotzkopf, das will ich dir gleich zeigen.
Ich bin von der Obrigkeit hierher gesandt und komme im
Namen meines Herrn Vaters, des Amtmanns Henning Pogwisch
in Tondern, um euch eures Ungehorsams wegen zu strafen und
alles andere trotzige und hochmütige Gesindel auf Sylt zu
bändigen. Ihr scheint hier noch keine Ahnung davon zu haben,
welche Gewalt die Obrigkeit besitzt noch wie ihr als Untertanen
euch gegen sie zu verhalten habt. Das will ich euch lehren, ihr
freien friesischen Kohlfresser, die ihr Abgaben mit
Rochenstacheln zu bezahlen euch erfrecht!"
Den jungen Pogwisch überkam bei diesen Worten eine starke
Anwandlung zum Husten und zugleich eine unwiderstehliche
Neigung, seinem Spott und seiner hochmütigen Laune Luft zu
machen. Er spuckte in dieser Aufwallung in die Kohlschüssel
der Friesen. Da war die Geduld des jungen Pidder Lüng, der
bisher stillgeblieben war, zu Ende. Glühend vor Zorn stand er
auf Er zitterte an allen Gliedern. "Wer in den Kohl spuckt, soll
ihn fressen!" rief er, faßte mit riesiger Kraft den Nacken des
Pogwisch und drückte ihm das Gesicht in den heißen Kohl, bis
der junge Tyrann erstickte.
"Um Gott, was machst du?" schrie Herr Georg. Jakob Lüng
und seine Frau erblaßten. Die beiden Vögte ergriffen feige die
Flucht.
Jetzt wurde es draußen lebendig. Die mitgekommenen
Fußknechte, Henker und Diener hatten, während das eben
Erzählte im Hause Jakob Lüngs vorfiel, sich über die hölzernen,
galgenähnlichen Gerüste der Fischer lustig gemacht, woran die
Rochen und andere Fische zum Trocknen aufgehängt waren.
Spottend sagten sie: "Seht, da sind die Galgen für die
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Strandräuber schon fertig!" Dabei hatten sie die ungestalten,
übelriechenden Rochen bereits heruntergerissen, um den
Fischern Platz zu machen. Doch diese waren noch nicht
gefangen und nicht gewillt, sich von einer Handvoll
Landsknechte gutwillig greifen und hängen zu lassen. Einer der
Fischer rief: "Sie wollen wieder Abgaben haben. Wartet nur, wir
bezahlen mit Rochenstacheln!" Die Fischer schnitten eiligst
ihren Rochen die stacheligen Schwänze ab, und mit diesen
gefährlichen Waffen fielen sie über die Knechte des Amtmanns
her, hieben ihnen Köpfe und Rücken wund und jagten sie in die
Flucht. Jetzt kamen in großer Angst die Vögte und der Priester
aus dem Haus des Jakob Lüng.
"Seid ihr blind oder könnt ihr sehen?" riefen die Fischer den
Vögten zu.
"Wir sind blind und geschlagen; wir sehen nichts!"
antworteten die feigen Vögte.
"Ich verfluche euch in die Hölle, ihr Heiden!" schrie der
Priester.
"Aha", riefen die Fischer, "da ist der Herr Pater Gierig auch;
den müssen wir blind machen. Doch nein, wir wollen ihm von
den Rochenschwänzen die Zehnten geben. Hört, seid nicht karg
gegen ihn. Gebt ihm reichlich!" So schrien die erbosten Fis cher
einander zu und hieben mit ihren Rochenschwänzen dermaßen
auf den falschen Priester ein, daß die giftigen Stacheln ihm die
Haut von den Knochen rissen, zum Teil im Fleische
steckenblieben und er nur mit genauer Not lebendig nach
Rantum zurückkehrte, wo er bald darauf an seinen Wunden
starb. So ging es damals auf Hörnum zu!
Nach diesem Aufruhr wurde es dort eine Zeitlang sehr still.
Pidder Lüng freilich konnte sich viele Jahre nicht wieder auf
Sylt sehen lassen. In dem Ewer seines Vaters fuhr er mit einigen
Freunden von Hörnum weg, auf die See und in die Fremde.
Viele andere Fischer folgten ihm nach. Wenigstens hieß es so.
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Als der böse Amtmann erfuhr, wie es seinem Sohn und seinen
Dienern auf Sylt ergangen war, wurde er sehr zornig. Er ließ alle
Fußknechte, Soldaten und andere Diener aus dem ganzen Amte
zusammenkommen und sandte sie mit den strengsten Befehlen
nach Sylt, die Hörnumer Fischer und Stranddiebe tot oder
lebendig nach Tondern zu bringen. Als diese jedoch auf Sylt
ankamen, waren Pidder Lüng und alle anderen Fischer bereits
auf das Meer entflohen.
Nur einige alte, schwache Leute, unter denen sich auch Jakob
Lüng und seine Frau befanden, waren noch auf Hörnum. Als
diese erfuhren, daß des Amtmanns Knechte und viele andere
Diener und Soldaten gekommen wären, um die Hörnumer
Aufrührer zu fangen, mußten auch sie sich zur Flucht rüsten.
Jedoch Jakob Lüng wollte nicht. Seine Frau sagte zu ihm:
"Wenn die Häscher die Schuldigen nicht finden, so werden sie
die Unschuldigen mitnehmen und büßen lassen. Wir mü ssen
fliehen. "
"Ich mag nicht fliehen. Ich laufe vor niemandem davon",
antwortete Jakob.
"Aber lieber Mann, sie werden dir das Leben nehmen", sprach
seine Frau.
"Nun, laß sie, ich bin alt genug zum Sterben", war die
Antwort.
Als die Frau sah, daß ihr Mann sich nicht zur Flucht bewegen
ließ, ging sie hinaus, um mit den Nachbarn zu sprechen und von
sich aus die Rettung herbeizuführen. Gegen Abend kehrte sie
wieder heim zu ihrem Mann. Als es dunkel geworden war,
zündete sie ihre Lampe an und legte ihre Kleider und
notwendigsten Sachen bereit. Kaum war sie damit fertig, so
wurde heftig an die Haustür geklopft. Die Frau des Jakob Lüng
blies schnell die Lampe aus und ging zur Tür, um aufzumachen.
Die hereintretenden Männer sprachen harte und rauhe Worte,
welche die beiden Eheleute nur teilweise verstanden. Die
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Fremdlinge nahmen jetzt mit leichter Muhe den alten,
langsamen Jakob gefangen, banden ihm die Hände und führten
ihn samt seiner Frau aus dem Hause fort. Die Gesellschaft
wanderte in der sehr finsteren Nacht schweigend durch die
Dünen nach dem Meer und dann längs des westlichen Strandes
nordwärts. Als sie ungefähr drei Stunden gegangen waren,
stiegen alle, noch immer schweigend, wieder über die Dünen in
das Innere dieses kleinen Gebirges. Sie waren in einer dem alten
Jakob Lüng fremden Gegend. Mitten in einem wilden,
verborgenen Dünenkessel standen die Reste eines alten, im
Sande halb begrabenen Hauses. Hier klopfte man an. Ein
kleiner, buckliger Mann, den die Begleiter oder Entführer des
alten Ehepaares in der Sylter Sprache anredeten und den sie Pua
nannten, öffnete leise die Tür, ließ alle ein und schloß die Tür
eilig wieder zu.
Jakob Lüng und seine Ehefrau waren gerettet.
Am folgenden Morgen stürmten die Tondernschen Häscher
und Knechte des Amtmanns nach Hörnum, fanden aber das Nest
leer. Sie zerstörten das Haus Jakob Lüngs, nachdem sie es wie
auch die übrigen Hütten der Hörnumer geplündert hatten.
Darauf begannen sie alle Dörfer, Schluchten und andere
verborgene Stätten der Insel sowie viele einzelne Wohnunge n zu
durchsuchen. Sie forderten auch alle wohlgesinnten Sylter auf,
ihnen zu Hilfe zu kommen. Es waren aber keine ihnen
wohlgesinnten Sylter zu finden, mit Ausnahme allerdings des
Priesters Georg. Dieser lag jedoch im Sterben und konnte ihnen
nichts mehr nützen. Jetzt wollte man die Sylter zu solcher
Hilfeleistung zwingen. Allein sie waren und blieben
widerspenstig und rührten sich nicht zur Teilnahme an solchem
widerwärtigen Geschäft. Sie schienen vielmehr geneigt zu sein,
allesamt die Rochenschwänze in die Hand zu nehmen, um sie
gleich den Hörnumern zu gebrauchen und die herrschsüchtigen
Fremdlinge damit zu verjagen.
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Unterdessen kamen für die Dienstleute des Amtmanns, ehe sie
auf Sylt irgendeinen Erfolg hatten, schlimme Nachrichten vom
Festland.
Als nämlich die Tondernschen Geest-- und Marschharden des
Festlandes von den Knechten des tyrannischen Amtmanns
entblößt waren, begannen die Bauern auch dort trotzig zu
werden. Sie wollten keine Steuern mehr bezahlen und machten
Miene, nach Tondern zu gehen, um den bösen Amtmann zu
erschlagen. Die Regierung merkte jedoch den Unfrieden und
wollte die Grausamkeiten des Amtmanns Pogwisch und seiner
Söhne nicht länger dulden.
Sie kam deshalb den Bauern zuvor und ließ den Amtmann
absetzen und mit seinen Söhnen aus dem Reiche vertreiben.
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Sagen aus Schwaben
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Das Bleichebrückle zwischen Löffingen und
Rötenbach
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Das Galgenbrünnele von Geißlingen
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Das Hornberger Schießen
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Das Rockenweiblein bei Schloß Eberstein im
Schwarzwald
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Ich habe mir sagen lassen, man könne aus diesem Unkraut
einen überaus zarten Faden spinnen, und darum mache ich dir
jetzt einen Vorschlag: du sollst mir aus jenen Nesseln ein Stück
Leinwand verfertigen, das gerade für zwei Hemden reicht, aber
nicht größer und nicht kleiner! Das eine wird dann dein
Brauthemd sein, in dem andern soll man mich einst begraben. "
Nach diesen Worten ging der Vogt, boshaft kichernd, seiner
Wege.
Das arme Mädchen stand voll Bestürzung da und wußte weder
Rat noch Trost. In der Trauer ihres Herze ns eilte sie dann
hinunter zu dem Grabe ihrer Eltern und weinte. Da stand
plötzlich das Bergweiblein neben ihr und fragte nach der
Ursache ihres Grams.
Als Klärchen der alten Frau alles erzählt hatte, verfinsterte sich
das sonst so gutmütige Gesicht des Weibleins, und es sagte: "Sei
nur ruhig und getrost, es soll dir schon geholfen werden!"
Sprach's und riß einen Arm voll Nesseln vom Grabhügel und
verschwand. Klara ging mit erleichtertem Herzen zur Ruhe.
Kurze Zeit nachher jagte der Vogt in dem Forst über der Murg
und kam zufällig auch an den Rockenfels. Dort saß das
Bergweiblein am Eingang seiner Höhle und schnellte recht
wacker die zierliche Spindel.
"Du spinnst dir wohl ein Brauthemd, du graue Schönheit?"
lachte der Vogt.
"Ein Brauthemd und ein Totenhemd, Herr Vogt", versetzte das
Mütterchen.
"Du hast da einen gar schönen Flachs, der ist gewiß von
irgendwo gestohlen? "
"Mit nichten, dort drunten ist er gewachsen auf einem armen
Bauerngrab."
Den Vogt überlief es kalt. Die Jagd war ihm verleidet, er
kehrte sogleich nach Eberstein zurück, mit sich selbst im
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Kampf, ob er die Zustimmung zu Klärchens Heirat geben solle
oder nicht.
So vergingen einige Tage, ohne daß er zu einem festen
Entschluß gelangen konnte. Als er eines Abends eben beim
vollen Humpen im Rittersaal seine ängstlichen Gedanken
niederzutrinken suchte, erschien Klara, zwei schöne Hemden auf
dem Arm tragend. "Herr Vogt", sagte sie, "Eurem Verlangen ist
nun entsprochen. Hier sind die zwei Hemden aus den Nesseln
von dem Grabe meiner Eltern; das eine für Euch, das andere für
mich. Jetzt haltet aber auch Euer gegebenes Wort!"
"Das will ich, gewiß, das will ich", stotterte der Vogt, dem es
ganz unheimlich zumute war, "morgen soll deine Hochzeit
sein!"
In der Tat gab er auch sogleich dem Schloßgärtner die
Erlaubnis zur Trauung und versprach, er werde sich selbst dem
Ehrengeleit in die Kirche anschließen.
Doch während am folgenden Morgen das junge Paar glücklich
am Altar stand, lag der Burgvogt auf der Bahre, mit dem
Leichenhemd aus Nesseln angetan.
Die Strafe des Himmels hatte den Sünder unmittelbar später
ereilt.
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Das Schrättele von Obersdorf im Allgäu
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Das hochmütige Schloßfräulein von Steinen
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Das kopflose Weiblein zu Münsingen
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Der Geisterbaum von Altdorf
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Der Haalgeist von Schwäbisch-Hall
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Der Müller von Göttelfingen
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Der Popele von Hohenkrähen
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gefangenzuhalten, bis es auch so mager geworden sei, daß man
es durch ein Nadelöhr ziehen könne. Das geschah: der Abt
wurde in Verwahrung genommen, bis er so mager war wie sein
ungastlicher Wirt, der Burgvogt. Doch der Abt sann nach seiner
Entlassung auf Rache. In seiner Klosterbibliothek fand er ein
Zauberbuch. Darin waren verhä ngnisvolle
Beschwörungsformeln aufgezeichnet. Der Abt lud einen
schrecklichen Fluch auf den Burgvogt. Dieser brach sich bald
darauf das Genick und muß seither als Burggeist umgehen, der
die ganze Gegend mit seinen Spukereien beunruhigt.
Die Äbtissin von Arnptenhausen reiste einmal nach Öhningen,
um das zu ihrem Kloster gehörige Weingut zu besichtigen. Als
sie am Hohenkrähen vorbeifuhr, drehten sich auf einmal die
Räder ihres Wagens nicht mehr. Äußerlich war alles in
Ordnung. Man vermutete daher gleich, der Popele habe seine
Hand im Spiel. Wohl wußte die Äbtissin, daß ein kräftiges
Fluchen gegen den Zauber des Geistes helfe, aber die fromme
Frau hatte ihrem Kutscher verboten, während der Fahrt zu
schelten. Doch es war an kein Weiterkommen zu denken. In
ihrer Verzweiflung rief sie dem Kutscher zu: "Nu, Seppele, so
fluch halt mal in Gott's Namen!" Das tat der Kutscher denn auch
kräftig, und augenblicklich lief der Wagen weiter.
Jeden Sonntag, nachts um zwölf Uhr, kommt der Popele in
einem unterirdischen Gewölbe der Burg Hohenkrähen mit vielen
Rittern zusammen, um zu kegeln. Die Kegel wie die Kugeln
sind aus reinem Gold. Auch am Sonntagmorgen während des
Gottesdienstes hat man den Popele schon beim Kegeln
beobachtet. Einst sahen ihn um diese Zeit zwei
Handwerksburschen im Burggraben Kegel schieben. Als der
gespenstische Vogt die Burschen bemerkte, lud er sie zum Spiel
ein, und diese weigerten sich nicht lange. Anfangs gewannen sie
auch einige Gulden, dann aber verspielten sie den ganzen
Gewinn und ihr Reisegeld dazu bis auf den letzten Kreuzer.
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Ärgerlich zogen die Burschen weiter. Unterwegs entdeckte der
eine von ihnen eine Kegelkugel in seinem Felleisen, hielt es aber
für eine Neckerei seines Kameraden und warf die Kugel weg.
Die beiden Burschen kamen bald darauf ins Dorf Mühlhausen
am Mägdeberg.
Indes der zweite seinen Ranzen abnahm, staunte er nicht
wenig, als er obendrauf einen Kegel aus lauterem Golde sah.
Gleich wollte er diesen Schatz zu Geld machen, aber niemand
im Dorf konnte den kostbaren Kegel bezahlen. Endlich ließ sich
einer ein Stück für zweitausend Gulden absägen. Den Rest des
Kegels nahm der Handwerksbursche mit nach Schaffhausen und
löste dort viele tausend Gulden dafür ein. Voller Neid suchte
nun der andere Handwerksbursche nach der weggeworfenen
Kugel, aber er konnte sie nirgends mehr finden. - Wenn man
seitdem den Popele kegeln sah, hatte immer nur acht Kegel und
eine einzige Kugel.
Ein Müller aus Radolfzell fuhr einst vom Möhringer
Fruchtmarkt heim. Da kam unter der Burg Hohenkrähen ein
schlechtgekleideter Wanderer und bat den Müller, ihn bis
Singen mitzunehmen. Der Fuhrmann hatte nichts dagegen. Kurz
vor Singen mußte der Müller absteigen, da erschrak er aber nicht
wenig, als er merkte, wie sein Geldgurt, den er um den Leib
trug, ganz leicht geworden war. Mit der unschuldigsten Miene
sagte der Fremde: "Geht einmal zurück, vielleicht findet Ihr das
Geld wieder." Wirklich, gleich hinter dem Wagen blinkte der
erste Taler im Mondschein auf der Straße, einige Schritte weiter
lag wieder einer, der letzte fand sich da, wo der Fremde
eingestiegen war. Dieser war inzwischen lachend
verschwunden. Jetzt merkte der Müller, daß er den Popele auf
dem Wagen mitgenommen hatte.
Glasträgern und Eierfrauen spielte der Popele oft übel mit. Er
verwandelte sich in einen Stock oder Baumstumpf am Weg.
Setzten sich die Leute drauf, um auszuruhen, so verschwand er.
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Die müden Wanderer aber fielen zu Boden, Gläser und Eier
zerbrachen, und Popele lachte boshaft darüber.
Dem Torwart von Radolfzell raubte er manchmal die
Nachtruhe: er ahmte das Posthorn nach. Wenn dann der Torwart
eilig aufstand, um das Stadttor zu öffnen, so verschwand der
Popele lachend.
Auch der Fischer von Moos wußte vom Popele zu erzählen. In
dunklen Nächten hörte er oft rufen: "Hol, Hol", und eilte an die
Fähre, weil er meinte, es wolle jemand von dem andern Ufer
übersetzen; aber wenn er dann hinkam, war das Schifflein
losgebunden, und die Ruder lagen im Wasser. Wenn der Fischer
im See bei Nachtzeit seine letzten Netze setzte, so patschte es,
als wären die Fische haufenweise im Garn. Sobald er jedoch zur
Stelle eilte, fand er die Netze zerrissen, und im Nachtwind
erschallte ein schelmisches Gelächter. Jedesmal aber folgte auf
einen solchen Spuk ein Unwetter.
In Hohenkrähen war einmal eine Magd, die stets beim Melken
von der Milch trank. Dabei bekam sie von der unsichtbaren
Hand Popeles immer Ohrfeigen. Deshalb kündigte sie ihrer
Herrschaft den Dienst auf. Den Grund des Austrittes wollte sie
dem Hausherrn freilich nicht nennen. Endlich erklärte sie, sie
wolle sich beim Melken nicht länger schlagen lassen.
"Dann mußt du etwas Unrechtes getan haben", meinte der
Herr, "sonst hättest du keine Schläge bekommen." Die Magd
gestand schließlich ihre Schuld und wurde ermahnt, das
Milchtrinken in Zukunft zu unterlassen. Das tat sie und hat
seitdem keine Ohrfeigen mehr bekommen.
Manchen Hegäuern zeigte sich der Popele auch wieder sehr
gefällig.
Vor allem den Leuten auf dem Bruderhof war er sehr nützlich:
er tat alles, was ihm aufgetragen wurde, holte Wasser und Holz
in die Küche, warf Stroh und Heu vom Boden herunter, fütterte
das Vieh, putzte die Pferde, wendete den Dreschern die Garben
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um und langte zu, wo es fehlte. Bei jedem Auftrag aber mußte
man sagen: It z,litzel und it z,viel (nicht zuwenig und nicht
zuviel), sonst warf er alles Heu vom Boden und schleppte alles
vorrätige Holz in die Küche. Zum Lohn für seine Dienste aber
mußte man für ihn alle Tage mitdecken, ihm einen besonderen
Teller hinstellen und sagen: "Popele, iß auch mit!" Vergaß man
den Spruch, so warf er das Gedeck und alle Speisen
durcheinander, band das Vieh im Stall los und trieb allerlei
Unfug. Ebenso mußte man ihn einladen, wenn man ausfahren
wollte:
"Popele, fahr auch mit!" Dann setzte er sich hinten auf das
hervorstehende Wagenbrett, die "Schnättere", und fuhr mit ins
Feld.
Wurde er nicht eingeladen, so geschah dem Fuhrwerk gewiß
ein Unglück.
Nach dem Backen mußte man jedesmal dem ersten Bettler, der
ins Haus kam, einen ganzen Laib Brot geben, sonst holte der
Popele das übrige Brot und brachte die Küche in Unordnung.
Solche Geschichten weiß man vom Popele in Hohenkrähen in
Unzahl aus alter Zeit zu erzählen. Wer aber glaubt, daß der
spukende Burgvogt auch heute noch sein Unwesen treibe, dem
muß gesagt werden, daß der Popele sich schon lange nicht mehr
sehen ließ.
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Der Riese Romeias von Villingen
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Torflügel ungehindert nach Villingen, wo man sie zum
Andenken an seine Heldentat an dem neuerbauten oberen Turm
anbrachte.
Ebenso groß wie die Stärke des Romeias war auch sein
Hunger.
Einst betrat er eine Stube, in der sich gerade niemand befand,
wo aber das Essen für sieben Personen auf dem Tisch stand.
Sofort machte sich der Riese über das Mahl und aß alles auf. Als
die Leute dann zum Essen erschienen, fragte er, ob nicht bald
die weiteren Gänge aufgetragen würden.
Schließlich benahm sich Romeias sogar gegen die eigene
Obrigkeit ungebührlich. Da sich niemand offen an ihn
heranwagen wollte, ersann der Stadtrat eine List, um ihn
gefangenzunehmen. Der Bürgermeister gab dem Riesen den
Auftrag, eine schwere eiserne Truhe aus dem tiefen Verließ des
Diebsturmes heraufzuschaffen, und versprach ihm dafür eine
gute Belohnung. Arglos stieg Romeias hinab. Kaum aber hatte
er sich von der Leiter entfernt, da zog sie einer der Stadtknechte
schnell herauf und schloß den starken Mann damit in den Turm
ein, der seitdem Romeiasturm genannt wird. Zur Ernährung des
Riesen wurde täglich ein Kalb oder ein Schaf in das Verließ
geworfen. Romeias sammelte die abgenagten Knochen, und als
er genug beisammen hatte, steckte er sie in die Ritzen und
Löcher der Mauer, stieg an ihnen wie auf einer Treppe hinauf,
durchbrach die Balkendecke und gelangte bis unter das Dach
des Turmes. Dort fand er eine Menge Stroh, drehte daraus ein
starkes Seil und ließ sich bei Nacht daran auf die Ringmauer
herab. Von hier aus gelang es ihm in der folgenden Nacht,
während eines Gewitters aus der Stadt zu entkommen.
Romeias begab sich geradewegs vor das befestigte Schloß
Busenberg und belagerte es allein so lange, bis es sich ihm
ergab. Darauf nahmen ihn die Villinger wieder in Gnaden auf
und gewährten ihm bis zu seinem Tode den nötigen
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Lebensunterhalt. Sein lebensgroßes Bild wurde später an der
Mauer am oberen Tor angebracht.
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Der Schmied von Hechelbach
Der Schmied von Hechelbach war sein Leben lang ein heiterer
Geselle und steckte stets voller Listen und Schalkheiten. Er
trank auch oft über den Durst und vollführte dann manchmal
dumme Streiche. Da geschah es, daß er starb und im Jenseits an
die Himmelspforte klopfte.
"Wer bist du?" fragte Petrus, der Himmelspförtner.
"Ich bin der Schmied von Hechelbach und bitte um Einlaß in
den Himmel."
Da schlug Petrus das große Buch auf, in dem alle Taten der
Menschen verzeichnet stehen, und las nach. Aber je länger er
las, desto unwilliger schüttelte er den Kopf und sprach zuletzt:
"Fort mit dir! Für Leute deines Schlages gibt es im Himmel
keinen Platz. "
Doch der Schmied von Hechelbach war keiner von denen, die
sich so leicht abweisen lassen, und darum hatte er auch hier
sogleich eine List zur Hand. Er stellte sich recht einfältig, gab
dem Heiligen freundliche Worte und fragte zuletzt, ob er nicht
wenigstens für die guten Handlungen, die er in seinem Leben
vollbracht habe, einen Augenblick durch den Türspalt in den
Himmel hineinblicken dürfe.
Weil der Schmied gar so inständig flehte, wollte Petrus nicht
verschlossen bleiben und gestattete es. Kaum aber hatte er die
Tür ein wenig geöffnet, so warf der Schmied flink sein Käpplein
durch den Türspalt in den Himmelssaal hinein, stellte sich aber
so, als wäre es ihm unversehens und vor lauter Staunen über die
himmlische Pracht entfallen. Darüber fing er nun zu jammern an
und bat, ob er es nicht schnell wieder herausholen dürfe. Petrus
erlaubte es ihm.
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Sobald aber der schlaue Schmied zur Tür hineingeschlüpft
war, setzte er sich im Himmelssaal auf sein Kapplein und
sprach:
"Jetzt sitz i auf meinem Gurt, will seah, wer weg mi duet."
Im Himmel gibt es nun weder Streit noch Zank, auch keine
Gewalttätigkeit. Weil man aber ohne solche den Schmied nicht
mehr hätte herausbringen können, und da er auch wirklich auf
seinem Eigentum saß, so konnte Petrus nichts anderes tun, als
über den schlauen Schmied lachen und ihn auf seinem Platze
lassen.
So also ist der Schmied von Hechelbach doch in den Himmel
gekommen.
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Die Glocke von Wunnenstein
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Alles Volk aber war des Jubels voll, als die Glocke dann auf
ihrem Turme hing und sie des Schut zes vor Wetternot und
Sturmesunbill wieder sicher waren.
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Die Hexenversammlung bei Zavelstein
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Die Wallfahrt zweier Schwaben nach Compostella
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Die Wurmlinger Kapelle
Graf Anselm von Kalw hatte angeordnet, daß man ihn, sobald
er gestorben sei, in seinem Sarge von zwei "ungewohnten
Ochsen", die noch nie einen Wagen gezogen hätten, sollte
fortfahren lassen, und zwar ohne Kutscher. Wo die Ochsen dann
stillstünden, dort solle man eine Kapelle bauen und alljährlich
den Stiftungstag durch eine heilige Messe und durch ein großes
Festessen, das er selbst genau vorgeschrieben hatte, feiern.
Dieses Fest wurde später stets am Dienstag nach der großen
Kirchweih abgehalten.
Der letzte Wille des Grafen wurde genau vollführt. Zwei junge
Ochsen fuhren allein mit seiner Leiche von Kalw ab und standen
erst auf dem jetzigen Remigiusberge bei Wurmlingen still. Dort
wurde dem heiligen Remigius zu Ehren eine Kapelle erbaut, die
zwar im Dreißigjährigen Kriege von den Schweden
niedergebrannt, später aber wieder hergestellt wurde.
Heute ist sie allgemein bekannt durch das Gedicht von
Uhland :
"Drohen stehet die Kapelle."
Auf dem Heimenstein im Neidlinger Tal hauste einst der Riese
Heim. Als er eines Morgens aufgewacht war und sein zottiges
Haupt zur Höhle hinausstreckte, bekam er plötzlich Lust, auf
einem Felsen auf der anderen Talseite ein Schloß zu erbauen.
Mit einem einzigen Riesenschritt erreichte er den Felsen an der
gegenüberliegenden Talwand. Von dort aus rief er mit
dröhnender Stimme ins Tal hinab:
"Ihr Menschenzwerglein, wer von euch arbeiten will, der soll
zu mir heraufkommen und mir mein Schloß bauen helfen!"
Da erschienen Maurer und Zimmerleute, Steinhauer und
Schlosser und nahmen die Arbeit freudig auf. Denn der Riese
hatte Gold in Fülle und versprach reichlichen Lohn. Bald stand
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das Schloß fertig da und schaute stolz vom Reußenstein ins Tal
hinab. Bald zeigte sich auch der Riese und beschaute das Werk.
Alles war in schönster Ordnung, es gefiel ihm über die Maßen.
Nur außen am obersten Fenster im höchsten Turm fehlte noch
ein Nagel. Unwillig erklärte er: "Keiner soll seinen Lohn
bekommen, ehe der letzte Nagel eingeschlagen ist." Aber
niemand wagte es, die schwindelnde Höhe zu erklimmen und
den Nagel einzuschlagen. Schließlich versprach der Riese dem
Mann, der dies wage, noch besonders reichen Lohn.
Da war ein armer junger Schlossergesell aus Neidlingen, der
liebte heimlich seines Meisters Tochter. Der Meister wollte sie
ihm aber nicht geben, weil ihm der Junge nicht vermögend
genug war. Darob brach diesem schier das Herz, und das Leben
war ihm verleidet. Da dachte er: "Du solltest doch den Nagel
einschlagen, vielleicht gelingt es dir; stürzest du hinab, nun dann
ist dein Herzeleid vorüber." So meldete sich der Schlosser bei
dem Riesen.
Als dieser den mut igen Burschen auf den Turm steigen und
ans Fenster treten sah, um hinauszusteigen und den Nagel
einzuschlagen, hatte der Riese seine herzliche Freude an ihm,
packte den Gesellen fest beim Genick und hielt ihn mit
Riesenkraft in die Luft hinaus, so daß der Bursche die Hände
frei hatte und unbehindert arbeiten konnte. Als das Werk getan
war, lobte der Riese den wagemutigen Gesellen:
"Zwerg, das hast du brav gemacht!" und beschenkte ihn
reichlich, so daß er nunmehr um seines Meisters Tochter werben
konnte und sie zur Frau bekam.
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Die drei Jungfrauen vom Mummelsee bei Seebach
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Die goldene Windfahne auf der Güssenburg bei
Giengen
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Ungewarnt und ungebessert setzte er sein ruchloses Treiben
fort und achtete nicht der ewigen Wahrheit, daß jegliches
irdische Tun seinen Zielpunkt hat, wo es heißt: Bis hierher und
nicht weiter!
Die Güssenburg war den Lauingern eine recht verdrießliche
Nachbarschaft, und die Bürger dieser Stadt knüpften mit den
Ulmern und andern insgeheim Unterhandlungen an, das
Raubnest zu zerstören. Besonders tätig war bei diesem
Unternehmen ein Lauinger, um seiner Profession willen der
Schlosserpeter genannt, der lange im Felde gedient hatte und im
Gebrauch der eben erst aufkommenden Artillerie und in der
Verfertigung von allerlei Waffen und Kriegsmaschinen sehr
erfahren war. Der Schlosser stellte eine Maschine her, die er mit
feinstem Schießpulver füllte.
Damit, schwur er, könne man das ganze Tor der Güssenburg,
und wenn es auch noch zehnmal stärkere Eichenbohlen hätte
und aus noch mehr Eisen bestünde, gleich einem Garbenbündel
über den Haufen werfen.
Seinem oft bewährten Wort vertrauend und lüstern nach der
im Schloß erhofften Beute, schlossen sich viele Städter ihm an.
Und am Vorabend des Tages St. Johannes des Täufers im Jahre
1448 zogen die Bürger von Lauingen zu ihrem Unternehmen
aus. Hinter ihnen wurden, damit niemand die bedrohte Burg
warnen könnte, die Stadttore geschlossen, und kein Mensch
durfte mehr hinausgelassen werden. Auf den Abend folgte eine
regnerische, stürmische Nacht; außer der aufgestellten
Hochwacht lag auf der bedrohten Burg alles im Schlaf. Den
Lauingern war es gelungen, den Burgberg zu ersteigen; an die
Mauern der Feste gedrückt, harrten sie der Öffnung des
Eingangs, um Brand und Mord hineinzutragen. Behutsam
arbeitete der Schlosserpeter an dem Tor, und die Horcher
glaubten, das Geräusch von Schrauben zu vernehmen. Es war
schon Mitternacht vorüber, als er endlich mit seiner Arbeit fertig
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war, hinter den Vorsprung der Mauer eilte und den Wartenden
zuflüsterte:
"Jetzt gilt's, seid bereit!"
Zugleich hörte man ein Geräusch wie von einer ablaufenden
Weckeruhr, dann flammte auf einmal eine hellaufblitzende
Feuerlohe empor und mit einem gewaltigen Krach flogen die
beiden riesigen Torflügel zersplitternd aus ihren Angeln, die
Bürger aber stürmten voll Blut- und Beutelust durch die
gähnende Öffnung in den Burghofhinein.
Sie trafen auf wenig Widerstand, denn die furchtbare
Explosion und der unvermutete Überfall hatten alle ihre
Bewohner außer sich gebracht. Da die Burg schnell an allen vier
Ecken in Brand gesteckt wurde, war das Schreckensschauspiel
bald ausgespielt. Weit durch das Brenztal hin verkündeten die
auflodernden Türme der Feste Fall und Zerstörung.
Der Mordhans war, als er im Hemd, mit einem Streitkolben
bewaffnet, auf dem Burghof erschien, gleich im Anfang des
Kampfes erschlagen worden, die meisten seiner Leute hatten
sich geflüchtet. Als die schwer mit Beute beladenen Bürger sich
zum Abzug bereitmachten, fehlte der Schlosser. Er erschien erst
spät, nachdem er mehrmals in Gefahr gewesen war, von
stürzenden Balken erschlagen zu werden oder im Rauch zu
ersticken. Auf seiner Schulter trug er stolz die goldene
Windfahne, die er von ihrem Standort heruntergeholt hatte.
Mehrere Bürger waren verwundet worden, doch nur ein Mann
hatte den Tod gefunden, ein Handwerksgeselle aus einem fernen
Ort, um den sich niemand kümmerte.
Unter den entflohenen Burgbewohnern befanden sich auch die
beiden Töchter des Mordhans, die später jedes Jahr nach der
Stätte der elterlichen Heimat wallten und des Vaters Tod und die
Zerstörung der Burg bejammerten. Man will gesehen haben, daß
sie als Gespenster noch immer in der Nacht vor dem St.-
Johannis-Tag in den Ruinen umherwandeln. Dort hat man auch
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häufig Pfeilspitzen, Nägel und anderes verrostetes Eisenzeug
gefunden; drei bis fünf Meter hoch ist der Boden mit
Brandtrümmern bedeckt. Die noch stehenden Mauerreste sind
zum Teil aus rotem Marmor erbaut, was merkwürdig ist, da es
heutzutage in dieser Gegend keinen Marmorbruch mehr gibt.
Der Schlosserpeter hätte seine wertvolle Beute oft verkaufen
können, aber er erklärte immer: "Nach meinem Tode will ich's
dem vermachen, der mir im Leben der liebste war." Und
jedermann schmeichelte ihm nun in der Hoffnung, das wertvolle
Kleinod zu erben. Doch als er endlich hochbetagt starb, da fand
man in seinem Testamente die Widmung, die goldene
Windfahne schenke er der Stadt, sie möge diese auf den eben
vollendeten Stadtturm hissen lassen. Wenn man jedoch um des
edlen Metalls willen Bedenken trage, die Fahne der Unbill des
Wetters auszusetzen, so habe er eine gleiche Wind fahne aus
Messing eigener Erfindung verfertigt, die von dem Originale
kaum zu unterscheiden sei.
Eine dieser Windfahnen wurde auf den Turm aufgezogen, ob
es aber die echte oder die aus Messing war, konnte man nie
erfahren.
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Die schöne Melusine und das Schloß Staufenberg
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Hexentanz auf dem Heuberg in der Schwäbischen
Alb
Auf dem Heuberger Buckel ist es nicht geheuer. Dort war eins
ein uralter Tanzplatz der Hexen, wo sie jeweils in der
Freitagnacht reitend zusammnenkamen. Gastgeberin war das
"Heuberger Hexle", eine kleine Person mit gewaltigem Kopf,
die alle Hexenkünste beherrschte : Wetterbrauen und
Viehschlagen, Abwesende prügeln und Wahrsagen.
Einmal hörte ein Seebronner auf seinem nächtlichen Heimweg
von Rottenburg schöne Musik auf dem Heuberger Turm.
Verwundert stieg er hinauf. Im Innern des alten Gemäuers, in
dem sonst nur Spinnen von Balken zu Balken ihre Netze
webten, prangte ein herrlicher Saal; um köstlich gedeckte Tafeln
saß eine vornehme Gesellschaft, andere tanzten zum Klang
fröhlicher Musik. Auch der Seebronner wurde gastlich bewirtet
und mit Wein und erlesenen Speisen traktiert, die aber nicht
gesalzen waren. Lange schaute er vergnügt dem ausgelassenen
Treiben zu, bis ihm plötzlich sein Heimweh wieder einfiel. "O
Jeses, iatz muaß i aber hoam!" rief er erschrocken.
Kaum war ihm das Wort entfahren, da verschwand mit einem
Schlag die ganze Herrlichkeit. Er selbst fand sich rittlings auf
einem Balken sitzen; Leute, die auf seine Hilferufe
herbeikamen, holten den Seebronner schließlich von seinem
luftigen Sitz herunter.
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Käsperle von Gomaringen
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Holz abfuhr, saß Käsperle obendrauf, wovon der Wagen so
belastet wurde, daß er sich ganz bog, als ob er jeden Augenblick
zusammenbrechen wollte. In Gomaringen wagte niemand, den
Wagen abzuladen, bis der Geist fortgesprungen war. Sobald
aber das Holz verbaut war, stellte sich auch Käsperle im neuen
Hause ein und trieb darin sein Unwesen fort, bis sein Grab
geöffnet und er unverwest darin gefunden wurde. Da begrub
man ihn zum zweitenmal in Gomaringen. Seitdem ist er nicht
mehr gesehen worden und wird nun gewiß erlöst sein.
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Kloster Allerheiligen im Schwarzwald
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Doch als er eben die Hand nach dem Nest ausstreckte. brach
der Ast und der Jüngling stürzte herunter. Zerschmettert blieb er
auf einem der Felsen im Lierbach liegen.
Das Mädchen stieß einen fürchterlichen Schrei aus und rannte
zum Kloster, um Hilfe zu holen. Die Mönche kamen, aber sie
konnten den jungen Klosterschüler nur als Leic he ins Kloster
zurücktragen.
Wer aber an jener Stelle am Lierbächlein vorbeikommt, soll
heute noch angsterfüllte Rufe und lautes Jammern vernehmen.
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Sagen aus Thüringen
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Betrüger und Bedrücker
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Christiane von Lasberg
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Das Faust-Gäßchen zu Erfurt
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Das Heufuder
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Das Jagen im fremden Walde
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Das Kristallsehen
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Das Leichentuch
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gleich dem Sturmwinde entflieht. Am andern Morgen fand
man die Leiche auf dem Gesichte liegend und über sie das
Leichentuch gebreitet.
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Das Mäuselein
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Das Schloß am Beyer
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immer dahin. Vor vielen, vielen Jahren wäre das Schloß mit
allen Bewohnern verwünscht und verflucht worden. Sie allein,
wenn sie ihrem Gelübde treu geblieben wäre, hätte den Bann
brechen und ihre drei Kinder zurückerhalten können. Nun aber
sei alles verloren. Die Hirtentochter verfiel hierauf in einen
tiefen Schlaf, und als sie erwachte, befand sie sich in ihren alten
Kleidern einsam im Walde.
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Das Teufelsbad
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Das Waldweiblein von Wilhelmsdorf
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Das erschrockene Wichtel von Gössitz
Eine Bauersfrau aus Gössitz an der Saale war eben dabei, auf
ihrer Holzwiese im Schlingengrund den letzten Heuschober
auszubreiten, als sie zu ihrem Schrecken oben auf dem Schober
ein ganz kleines Männchen sitzen sah; das war nicht größer als
eine aufrecht sitzende Katze. Das kleine Wesen wandte der Frau
den Rücken zu; diese wagte nicht, das Männchen anzureden,
sondern zupfte vorsichtig von hinten mit dem Rechen etwas Heu
unten vom Schober weg, dann streifte sie immer mehr Halme
heraus und tat das so lange, bis der ganze Schober endlich
zusammenbrach und das Männchen mit einem Schrei
herunterpurzelte. Da kam aus dem Gehölz ein ganzer Haufe von
ebensolchen Männchen herausgelaufen, die mit drohender
Miene fragten:
"Sag an, sag an, Eckele, hat sie dir was angetan?"
Das Wichtel aber krabbelte mühsam aus dem Heuha ufen
hervor und schaute verwundert den eingestürzten Schober an.
Dann schüttelte es den Kopf und sagte:
"Ei, ei!
Das Ding fiel nur so ein.
Ich purzelte hinterdrein, Da möchte eins nicht schrei'n.
Ei, ei!
Es ist mir lieb, Daß ich nicht drunter steckenblieb."
Und dann lief das Männlein, was es nur laufen konnte, mit
seinen Kameraden in den Wald hinein, ohne auf die Bauersfrau
weiter zu achten, die lächelnd der hüpfenden Schar nachblickte
und dann ruhig mit ihrer Arbeit fortfuhr.
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Der Advokat
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Der Erdspiegel
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ihn plötzlich schwarze Nacht, dann und wann von grellen
Blitzen durchzuckt. Auch vernahm er ein unheimliches
Geräusch, als ob jemand vor ihm mit einem Besen den
Erdboden fege, um ihn von dem Grabe der Wöchnerin
abzuleiten. Doch ließ er sich durch das alles nicht irre machen,
fand nach einer Weile das Grab und zog, diesmal aber in
Dreiteufels Namen, den Spiegel wieder heraus, drückte ihn
sorgfältig mit dem Glas auf seinen Leib und trat in gewohnter
Weise den Rückweg an. Der Böse suchte ihn zu hindern und den
Spiegel zu vernichten. Braun und blau geschlagen, dankte der
Mann dem Himmel, als er wieder jenseits der Kirchhofsmauer
stand. Doch hatte er nun einen Erdspiegel und wurde durch
denselben bald einer der gesuchtesten weisen Männer der
Gegend. Keine Hexe, kein Dieb war sicher vor seiner Kunst. Er
konnte sie und noch viel mehr in seinem Erdspiegel erblicken.
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Der Farnsame und der Mann aus Berka
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Der Graf von Gleichen
Graf Ludwig von Gleichen zog im Jahr 1227 mit gegen die
Ungläubigen, wurde aber gefangen und in die Knechtschaft
geführt. Da er seinen Stand verbarg, mußte er, gleich den
übrigen Sklaven, die schwersten Arbeiten tun: bis er endlich der
schönen Tochter des Sultans in die Augen fiel, wegen seiner
besondern Geschicklichkeit und Anmut zu allen Dingen, so daß
ihr Herz von Liebe entzündet wurde. Durch seinen
mitgefangenen Diener erfuhr sie seinen wahren Stand; und
nachdem sie mehrere Jahre vertraulich mit ihm gelebt, verhieß
sie, ihn frei zu machen und mit großen Schätzen zu begaben:
wenn er sie zur Ehe nehmen wolle. Graf Ludwig hatte eine
Gemahlin mit zwei Kindern zu Haus gelassen; doch siegte die
Liebe zur Freiheit, und er sagte ihr alles zu, indem er des
Papstes und seiner ersten Gemahlin Einwilligung zu erwirken
hoffte. Glücklich entflohen sie darauf, langten in der
Christenheit an, und der Papst, indem sich die schöne Heidin
taufen ließ, willfahrte der gewünschten Vermählung. Beide
reisten nach Thüringen, wo sie im Jahr 1249 ankamen. Der Ort
bei Gleichen, wo die beiden Gemahlinnen zuerst
zusammentrafen, wurde das Freudenthal benannt, und noch steht
dabei ein Haus dieses Namens. Man zeigt noch das
dreischläfrige Bett mit rundgewölbtem Himmel, grün
angestrichen; auch zu Tonna den türkischen Bund und das
goldne Kreuz der Sarazenin. Der Weg, den sie zu der Burg
pflastern ließ, heißt bis auf den heutigen Tag: der Türkenweg.
Die Burggrafen von Kirchberg besitzen auf Farrenrode, ihrer
Burg bei Eisenach, alte Tapeten, worauf die Geschichte
eingewirkt ist. Auf dem Petersberge zu Erfurt liegen die drei
Gemahel begraben, und ihre Bilder sind auf dem Grabsteine
ausgehauen (gestochen in Frankensteins annal. nordgaviens).
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Der Höselberg
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Der Pfarrer von Rosa
AIs der alte Pfarrer von Rosa eines Abends von seiner Filiale
Helmers nach Hause ging, gesellte sich unbemerkt ein
unheimlicher Wanderer zu ihm und belästigte ihn mit allerlei
spitzfindigen theologischen Fragen. Der Pfarrer beantwortete sie
ihm lange geduldig. Aber der Geselle wurde immer dreister und
fragte ihn sogar, wie er als Geistlicher es vor seinem Gewissen
verantworten könne, einst eine Rübe von einem fremden Acker
gestohlen zu haben. Der Pfarrer antwortete zornig, daß er das
wegen allzu großen Durstes getan, auch an die Stelle der Rübe
sogleich einen Kreuzer in das Loch gelegt habe. Und da er
hierauf den frechen Burschen genauer ins Auge faßte, erkannte
er endlich, in wessen Gesellschaft er bisher gegangen. Rief also
mit lauter Stimme: »Hebe dich weg vor mir, Satanas!« Und
sogleich verschwand der Teufel mit einem furchtbaren Knall,
ließ aber einen solchen Schwefeldampf zurück, daß der Pfarrer
fast erstickte.
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Der Riesenfinger
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Der Riesenfinger auf dem Hausberg an der Saale
Am Strand der Saale, häufig aber in der Nähe von Jena trieb
einst ein wilder, ungebärdiger Riese sein Wesen. Auf den
Bergen hielt er seine Mahlzeiten, und ein Teil des
Landgrafenberges heißt noch heute der "Löffel", weil er dort
seinen Löffel fallen ließ. Der Riese benahm sich auch gegen
seine Mutter wüst und aufbrausend, und wenn sie ihm Vorwürfe
über sein arges Treiben machte, so schalt und schmähte er sie
und ging nur noch wilder mit den Menschen um, die er Zwerge
hieß.
Einmal, als ihn die Mutter wieder ermahnte, sich zu bezähmen,
wurde der Unhold so wütend, daß er mit den Fäusten nach ihr
schlug. Aber bei dieser Greueltat verfinsterte sich der Tag zu
schwarzer Nacht, ein Sturm zog herauf, und der Donner krachte
so fürchterlich, daß der Riese betäubt zu Boden stürzte. Und
schon fielen die Berge über ihn her und bedeckten seinen Leib;
nur der kleine Finger wuchs ihm aus dem Grabe heraus, das
geschah zur Strafe für seine Freveltat.
Dieser Finger aber wurde zu einem langen schmalen Turm auf
dem Hausberg, den man jetzt den "Fuchsturm" heißt.
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Der Schnupftabaksmann
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statt der Frau ein wohlgetroffener Hirsch vor ihnen. Ein anderes
Mal bat Burgold einen Handwerksburschen, den er bei den vier
riesigen Eichen auf den Windischenbernsdorfer Hofwiesen traf,
ihm doch einen Stiefel auszuziehen, der ihn gar zu sehr drücke.
jener tut‘s; aber nicht nur den Stiefel, nein, das ganze Bein hat er
ihm ausgerissen und ist, wie er‘s sieht, entsetzt davongelaufen,
so sehr auch der andere hinterher rief. Kaum aber sitzt der
Handwerksbursche im Wirtshause zu Windischenbernsdorf, so
kommt auch Burgold herein und lacht ihn aus. Freilich hat‘s mit
ihm zuletzt kein gutes Ende genommen: er ist hinterm Zaun
gestorben.
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Der Wartburger Krieg
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Siebenbürgen zu dem Meister, dem er die Ursache seiner Fahrt
erzählte, und seine Lieder vorsang.
Clingsor lobte diese sehr, und versprach ihm mit nach
Thüringen zu ziehen, um den Streit der Sänge r zu schlichten.
Unterdessen verbrachten sie die Zeit mit mancherlei Kurzweil,
und die Frist, die man Heinrichen bewilligt hatte, nahte sich
ihrem Ende. Weil aber Clingsor immer noch keine Anstalt zur
Reise machte, so wurde Heinrich bang' und sprach: »Meister,
ich fürchte, ihr lasset mich im Stich, und ich muß allein und
traurig meine Straße ziehen; dann bin ich ehrenlos, und darf
Zeitlebens nimmermehr nach Thüringen.« Da antwortete
Clingsor: »Sei unbesorgt! wir haben starke Pferde und einen
leichten Wagen, wollen den Weg kürzlich gefahren haben. "
Heinrich konnte vor Unruhe nicht schlafen; da gab ihm der
Meister abends einen Trank ein, daß er in tiefen Schlummer
sank. Darauf legte er ihn in eine lederne Decke und sich dazu,
und befahl seinen Geistern: daß sie ihn schnell nach Eisenach in
Thüringerland schaffen sollten, auch in das beste Wirtshaus
niedersetzen. Das geschah, und sie brachten ihn in Helgreven-
Hof, eh der Tag erschien. Im Morgenschlaf hörte Heinrich
bekannte Glocken läuten, er sprach: »Mir ist, als ob ich das
mehr gehört hätte, und deucht, daß ich zu Eisenach wäre.« »Dir
träumt wohl«, sprach der Meister. Heinrich aber stand auf und
sah sich um, da merkte er schon, daß er wirklich in Thüringen
wäre. »Gott sei Lob, daß wir hier sind, das ist Helgreven-Haus,
und hier sehe ich S. Georgen Tor, und die Leute, die davor
stehen und über Feld gehen wollen. "
Bald wurde nun die Ankunft der beiden Gäste auf der
Wartburg bekannt, der Landgraf befahl den fremden Meister
ehrlich zu empfahen, und ihm Geschenke zu tragen. Als man
den Ofterdingen fragte, wie es ihm ergangen und wo er
gewesen, antwortete er: »Gestern ging ich zu Siebenbürgen
schlafen, und zur Metten war ich heute hier; wie das zuging,
hab' ich nicht erfahren. « So vergingen einige Tage, eh daß die
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Meister singen und Clingsor richten sollten; eines Abends saß er
in seines Wirtes Garten, und schaute unverwandt die Gestirne
an. Die Herren fragten, was er am Himmel sähe?
Clingsor sagte: »Wisset, daß in dieser Nacht dem König von
Ungarn eine Tochter geboren werden soll; die wird schön,
tugendreich und heilig, und des Landgrafen Schrie zur Ehe
vermählt werden.« Als diese Botschaft Landgraf Herrmann
hinterbracht worden war, freute er sich und entbot Clingsor zu
sich auf die Wartburg, erwies ihm große Ehre und zog ihn zum
fürstlichen Tische. Nach dem Essen ging er aufs Richterhaus
(Ritterhaus), wo die Sänger saßen, und wollte Heinrich von
Ofterdingen ledig machen. Da sangen Clingsor und Wolfram
mit Liedern gegen einander, aber Wolfram tat so viel Sinn und
Behendigkeit kund, daß ihn der Meister nicht überwinden
mochte. Clingsor rief einen seiner Geiste, der kam in eines
Jünglinges Gestalt: »Ich bin müde worden vom Reden«, sprach
Clingsor, »da bringe ich dir meinen Knecht, der mag eine Weile
mit dir streiten, Wolfram.« Da hub der Geist zu singen an, von
dem Anbeginne der Welt bis auf die Zeit der Gnaden: aber
Wolfram wandte sich zu der göttlichen Geburt des ewigen
Wortes; und wie er kam, von der heiligen Wandlung des Brotes
und Weines zu reden, mußte der Teufel schweigen und von
dannen weichen. Clingsor hatte alles mit angehört, wie Wolfram
mit gelehrten Worten das göttliche Geheimnis besungen hatte,
und glaubte, daß Wolfram wohl auch ein Gelehrter sein möge.
Hierauf gingen sie auseinander.
Wolfram hatte seine Herberg in Titzel Gottschalks Hause, dem
Brotmarkt gegenüber mitten in der Stadt. Nachts wie er schlief,
sandte ihm Clingsor von neuem seinen Teufel, daß er ihn prüfen
sollte, ob er ein Gelehrter oder ein Laie wäre; Wolfram aber war
bloß gelehrt in Gottes Wort, einfältig und andrer Künste
unerfahren. Da sang ihm der Teufel von den Sternen des
Himmels, und legte ihm Fragen vor, die der Meister nicht
aufzulösen vermochte; und als er nun schwieg, lachte der Teufel
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laut, und schrieb mit seinem Finger in die steinerne Wand, als
ob sie ein weicher Teig gewesen wäre: »Wolfram, du bist ein
Laie Schnipfenschnapf! « Darauf entwich der Teufel, die Schrift
aber blieb in der Wand stehen. Weil jedoch viele Leute kamen,
die das Wunder sehen wollten, verdroß es den Hauswirt, ließ
den Stein aus der Mauer brechen, und in die Horsel werfen.
Clingsor aber, nachdem er dieses ausgerichtet hatte, beurlaubte
sich von dem Landgrafen, und fuhr mit Geschenken und Gaben
belohnt samt seinen Knechten in der Decke wieder weg, wie und
woher er gekommen war.
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Der hart geschmiedete Landgraf
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niemand, der ihnen Hülf täte; denn der Herr nähme es nicht an,
die Ritterschaft spottete seiner hinterrücks, nennten ihn
Landgraf Metz, und hielten ihn gar unwert. Unser Fürst und
seine Jäger treiben die Wölfe ins Garn, und die Amtleute die
roten Füchse (die Goldmünzen) in ihre Beutel. Mit solchen und
andern Worten redete der Schmied die ganze lange Nacht zu
dem Schmiedegesellen; und wenn die Hammerschläge kamen,
schalt er den Herrn, und hieß ihn hart werden wie das Eisen. Das
trieb er an bis zum Morgen; aber der Landgraf fassete alles zu
Ohren und Herzen, und ward seit der Zeit scharf und ernsthaftig
in seinem Gemüt, begunnte die Widerspenstigen zwingen und
zum Gehorsam bringen. Das wollten etliche nicht leiden,
sondern bunden sich zusammen, und unterstunden sich gegen
ihren Herrn zu wehren.
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Der wilde Jäger und sein Gefolge in den Zeitzer
Wäldern
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Hinter ihnen trabte noch eine Schar lediger Pferde; darauf
schloß der Zug wieder mit einem Trupp großer Hunde mit
langen, buschigen Schwänzen. Um eins nach Mitternacht war
der ganze Spuk vorbei.
In einem Haus in Wasungen, worin drei Türen
aufeinanderstießen, hielt das wütende Heer in der Neujahrsnacht
mit Sang und Klang seinen Durchzug, und deutlich vernahm
man dabei die Worte: "Umgürt mich und schürz mich, daß ich
auch mitkomm!" Es waren lauter krüppelhafte Gestalten, die
dann über die Werra hinüberzogen und dort ihre unbekannten
Bahnen weiter verfolgten. Einmal schnitt einer aus dem Heere in
jenem Haus einen Laib Brot an, der, soviel auch davon gegessen
wurde, sieben Jahre anhielt, bis das Heer seinen Durchzug aufs
neue begann.
Bei Schwarza ging der treue Eckart dem wilden Heere voraus
und forderte die Leute auf, aus dem Wege zu weichen, damit
ihnen kein Leid widerfahre. Ein paar Bauernknaben hatten
gerade Bier in der Schenke geholt, das sie nach Hause tragen
wollten, als der Zug erschien. Die Gespenster nahmen aber die
ganze breite Straße ein, da wichen die Jungen mit ihren Kannen
abseits in eine Ecke. Bald aber traten verschiedene Weiber aus
der vorüberziehenden Rotte, nahmen den Knaben die Kannen
aus den Händen und tranken. Die Knaben schwiegen, obwohl
sie bangten, mit leeren Krügen nach Hause zu kommen.
Da trat sogleich der treue Eckart herbei und sagte: "Das riet
euch Gott, daß ihr kein Wörtchen gesprochen habt; sonst wären
euch eure Hälse umgedreht worden. Geht nun flugs heim und
sagt keinem Menschen von dem Erlebten! Dann werden Eure
Kannen immer voll Bier sein."
Das taten die Knaben auch, und es war wirklich so: die
Kannen wurden nicht leer. Doch nur drei Tage beachteten die
Knaben die Mahnung. Dann konnten sie es nicht länger mehr
aushalten und erzählten ihren Freunden den Verlauf der Sache.
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Da war es aus mit dem Trunk, und die Krüglein versiegten auf
immer.
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Der wilde Jäger jagt die Moosleute
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Der zu Ruhla hartgeschmiedete Landgraf
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dieser Zeit besonders ernst in seinem Gemüt. Dann zwang er
seine widerspenstigen Junker zum Gehorsam und suchte der
Ausbeutung seines Volkes zu steuern. Dagegen wollten sich
einige Adelige erheben, sie verbanden sich und wagten es sogar,
sich gegen ihren Herrn zu wenden. Doch die Standhaftigkeit und
Härte des Landgrafen brachte auch diese bald zur Vernunft, und
kein Widerstand erhob sich mehr gegen die Verfügungen des
Landesherrn.
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Die Erdhenne
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Die Hexenbälge
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Die Jungfrau mit dem Bart
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Die Krone des Otternkönigs
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Die Rosen
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Die Saalenixe
Es ist eine allgemeine Sage, daß die Nixe der Saale jedes Jahr
an einem bestimmten Tage ihr Opfer haben wolle. Darum
vermeiden die Anwohner des Flusses, an diesem Tage zu baden;
namentlich unterlassen es die Fischer zu derselben Zeit, ihrem
Gewerbe nachzugehen. Schon mancher, der das nicht glauben
wollte und darum nicht beachtet hat, mußte seinen Vorwitz mit
dem Tode im Wasser büßen. - Ein Fleischer, der vom Paradiese
bei Jena nach der Schneidemühle geschwommen war, wurde, als
er zurück wollte, bei den Füßen festgehalten und unter das
Wasser gezogen. Er rief um Hilfe, und einige weiter unten
badende Leute schwammen heran. Sie ergriffen ihn und
versuchten durch gemeinsame Anstrengung, ihn loszumachen.
Das gelang endlich, und nun sah man an den Beinen den mit
Blute unterlaufenen Abdruck zweier großer Krallen. Die Nixe
hatte ihn nieder ziehen wollen. - An derselben Stelle wollte ein
Maler die Nixe kennen lernen. Er ging deshalb am Ufer hin und
her und lockte sie durch Weisen auf der Gitarre, von denen er
wußte, daß sie ihr eigen waren. Eines Abends sah er die Nixe in
ihrer Schöne hinter sich herkommen, und floh in der Verwirrung
nach der Saale zu, wo er verschwand. Sein Gefährte, ein Jenaer
Maler, hatte es gesehen, rief und suchte ihn aber vergebens; so
auch andere Leute, die dazukamen.
Dann eilten sie zum Fischer, der auch sogleich mit seinem
Sohne anfing zu suchen, doch wieder umsonst. Erst am andern
Tage sahen sie nahe dem Ufer einen Gegenstand gleich einem
Hühnerkorbe. Sie ruderten hin und wurden gewahr, daß es die
von dem Wasser ausgebreiteten Haare des Malers waren.
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Doktor Faust in Erfurt
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ein Weberbaum, den stieß er wider den Erdboden, daß der ganze
Saal erschüttert wurde. Faust aber winkte ihm mit dem Finger,
da trat er hinaus, und damit beschloß der Doktor seine
Vorlesung.
Die Studenten aber waren mehr als zufrieden, hatten sie doch
Gräßliches genug gesehen, und verlangten von Doktor Faust nie
mehr eine solche Erscheinung.
-717-
Doktor Luther zu Wartburg
Doktor Luther saß auf der Wartburg und übersetzte die Bibel.
Dem Teufel war das unlieb, und hätte gern das heilige Werk
gestört; aber als er ihn versuchen wollte, griff Luther das
Dintenfaß, aus dem er schrieb, und warfs dem Bösen an den
Kopf. Noch zeigt man heutiges Tages die Stube und den Stuhl,
worauf Luther gesessen, auch den Flecken an der Wand, wohin
die Dinte geflogen ist.
-718-
Ein Hexenzug
-719-
Erlöste Feuermänner
-720-
Farnsamen
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Feuerbeschwörer
-722-
Frau Holla und der treue Eckart
-723-
Frau Perchta und die Heimchen im Saaletal
-724-
Der Schiffer stieß ab, und als Perchta am anderen Ufer
angelangt war, gebot sie ihm, nochmals zu fahren und die
zurückgebliebenen Heimchen vollzählig herüberzuholen. Auch
das geschah. Unterdessen hatte Perchta am Pfluge geschnitzt,
deutete auf die Späne und sprach zum Fährmann:
"Da nimm, das sei der Lohn für deine Mühe!"
Mürrisch steckte der Mann ein paar von den Spänen ein, warf
sie zu Hause auf das Fensterbrett und legte sich ins Bett. Am
nächsten Morgen lagen drei Goldstücke an dem Platz, wohin er
die Späne gelegt hatte.
Am ganzen Saaleufer fand der brave Fuhrmann keinen der
Holzspäne mehr, so eifrig er auch gleich danach suchte.
-725-
Georg Kresse
-726-
Kinder angelernt
-727-
und im Nu wimmelt sein Rock von Läusen. Da eilte er voll
Entsetzen zum Richter und meldete den Vorfall; die Knaben
aber gingen nach Hause. Nun war des einen Vater der
Scharfrichter Michel Weber. Der entsetzte sich, ergriff sein
Richtschwert und schlug seinem Kind den Kopf ab. Grub
danach im Stalle ein tiefes Grab und bedeckte es mit schweren
Steinen. Die beiden andern Knaben, als sie solches vernahmen,
flogen auf und davon, und niemand hat je wieder von ihnen
gehört. Jener Brunnen aber unter der Liete heißt bis auf den
heutigen Tag der Hexenbrunnen.
-728-
Koppy
-729-
Und als man sie endlich am dritten Tage nach dem Veltsberger
Friedhof überführen wollte, und vor dem Schlosse den
Trauerzug in die gebräuchliche Ordnung brachte, da scha ute
Koppy zum Fenster heraus und betrachtete mit Aufmerksamkeit
die Feierlichkeit bei seiner eignen Bestattung.
Selbst nach der Beisetzung erhielt er die Umgegend noch
lange in Unruhe. Sein Leichnam verfiel nämlich nicht, sondern
war noch lange Zeit unversehrt in der Gruft zu sehen. Viele
schauten durch die Mauerritze und sahen ihn liegen.
-730-
Lindwürmer
Wo jetzt das Dorf Schöten bei Apolda liegt, war ehemals ein
großer Teich, überall mit Schilf bedeckt. Darin lagen zwei
Lindwürmer, ein Männchen und ein Weibchen, die der
umliegenden Gegend, besonders den Viehherden, großen
Schaden zufügten. Die Herren von Apolda, denen damals die
ganze Gegend gehörte, wendeten alles an, die beiden Untiere
aus der Welt zu schaffen, aber vergebens, es wollte ihnen nicht
gelingen. Da geschah es, daß ein Knecht und eine Magd dieser
Herren sich vergingen und das Mädchen ihre Unschuld verlor,
was damals sehr hart bestraft wurde. Der Tod war beiden gewiß.
Doch sollte ihnen das Leben geschenkt sein, wenn sie die
Lindwürmer in dem Schilfsumpfe aus dem Wege räumten, Sie
entschlossen sich zu dieser Tat und mußten das Los werfen.
Obgleich es nun zuerst die Magd traf, so übernahm es doch
zunächst ihr Liebhaber, sich der Gefahr des Kampfes mit den
Lindwürmern auszusetzen. Mit Spieß und Schwert bewaffnet,
ging er beherzt nach dem Sumpfe.
Hoch stand die Sonne am Himmel; es war gerade zur
Mittagszeit am Johannistage, und die beiden Ungeheuer lagen,
die Schwänze ineinandergeschlungen am Ufer, sich zu sonnen.
Langsam schlich sich der Kämpfer heran und hieb mit einem
Streiche beide Schwänze ab. Ein schwarzer Blutstrom quoll aus
den Leibern der Lindwürmer, und beide verendeten; denn in den
Schwänzen war ihr Leben. Zum Andenken an diese Tat wurde
dort ein Brunnen gefaßt, mit einer eisernen Kelle zum Trinken
versehen und mit einem Stein, in den zwei Lindwürmer mit
verschlungenen Schwänzen eingehauen waren.
-731-
Ludwig ackert mit seinen Adligen
Als nun Ludwig der eiserne seiner Ritter einen überzog, der
sich wider ihn verbrochen hatte, sammelten sich die andern, und
wolltens nicht leiden. Da kam er zu streiten mit ihnen bei der
Naumburg an der Saal, bezwang und fing sie, und führte sie zu
der Burg; redte seine Notdurft, und strafte sie hart mit Worten:
»Euren geleisteten Eid, so ihr mir geschworen und gelobet, habt
ihr böslich gehalten. Nun wollte ich zwar euer Untreu wohl
lohnen; wenn ichs aber täte, spräche man vielleicht, ich tötete
meine eigne Diener; sollte ich euch schatzen, spräche man mirs
auch nicht wohl; und ließe ich euch aber los, so achtetet ihr
meines Zorns fürder nicht.« Da nahm er sie und führte sie zu
Felde, und fand auf dem Acker einen Pflug; darein spannete er
der ungehorsamen Edelleute je vier, ahr (riß, ackerte) mit ihnen
eine Furche und die Diener hielten den Pflug; er aber trieb mit
der Geißel und hieb, daß sie sich beugeten und oft auf die Erde
fielen. Wann dann eine Furche geahren war, sandte er vier
andere ein, und ahrete also einen ganzen Acker, gleich als mit
Pferden; und ließ darnach den Acker mit großen Steinen
zeichnen zu einem ewigen Gedächtnis. Und den Acker machte
er frei, dergestalt, daß ein jeder Übeltäter, wie groß er auch
wäre, wenn er darauf käme, daselbst solle frei sein, und wer
diese Freiheit brechen würde, sollte den Hals verloren haben;
nannte den Acker den Edelacker, führte sie darauf wieder zur
Naumburg, da mußten sie ihm auf ein neues schwören und
hulden.
Darnach ward der Landgraf im ganzen Lande gefürchtet; und
wo die, so im Pflug gezogen hatten, seinen Namen hörten
nennen, erseufzten sie und schämeten sich. Die Geschichte
erscholl an allen Enden in deutschen Landen, und etliche
scholten den Herrn darum, und wurden ihm gram; etliche
scholten die Beamten, daß sie so untreu gewesen; etliche
-732-
meinten auch, sie wollten sich eh' haben töten lassen, dann in
den Pflug spannen. Etliche auch demütigten sich gegen ihrem
Herrn, denen tat er gut und hatte sie lieb. Etliche aber wolltens
ihm nicht vergessen, stunden ihm heimlich und öffentlich nach
Leib und Leben. Und wann er solche mit Wahrheit hinterkam,
ließ er sie hängen, enthaupten und ertränken, und in den Stöcken
sterben. Darum gewann er viel heimliche Neider von ihren
Kindern und Freunden, ging derohalben mit seinen Dienern
stetig in einem eisern Panzer, wo er hinging. Darum hieß man
ihn den eisernen Landgrafen.
-733-
Ludwig der Springer
-734-
Schwan hieß, bis gen Sangerhausen. Von diesem Sprunge heißt
er Ludwig der Springer; dankte Gott und baute eine schöne
Kirche, wie er gelobet hatte. Gott gab ihm und seiner Gemahlin
Gnad in ihr Herz, daß sie Reu und Leid ob ihrer Sünde hatten.
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Luthers Widersacher
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Mißglückte Schatzhebung
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Nonnenprozession
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Pölsmichel
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Riese und Drache
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Vertreibung der Pest
Nach Gera sollen die Pest drei Männer gebracht haben, die aus
Rohpeters Haus gekommen seien; darin wurde sie später auch
wieder vermauert. Alte glaubwürdige Bürger der Stadt
erzählten, daß am Anfang des 17. Jahrhunderts zwei Kerle in
einer Stuben beisammen gesessen, darin etliche Personen an der
Pest danieder gelegen und gestorben. Da sehen sie von ungefähr
in einem Winkel der Stube einen blauen Dunst wie einen Nebel
gar sachte aufsteigen, welchem sie mit Verwunderung zusehen
und vermerken, daß er sich allmählich in eine Glunze an der
Wand hineinverschlichen. Darauf ist einer zugelaufen und hat
aus Kurzweil einen Pflock in das Loch geschlagen, nach der Zeit
aber nicht wieder daran gedacht, bis nach etlichen Jahren, da
man von keiner Seuche mehr gewußt, dieser Mensch in
ebenderselben Stuben sich wieder befindet und von ohngefähr
gewahr wird, daß der Pflock, den er vor etlichen Jahren in die
Wand geschlagen, noch an seinem Orte stecke. Dadurch ist er
bewogen worden, indem er nichts Böses vermutet, aus Scherz
gegen die Anwesenden zu sagen: »Siehe da, vor etlichen Jahren
habe ich einen Vogel darin versperrt; ich muß sehen, ob er noch
darinnen stecke«, und ziehet darauf den Pflock aus der Wand.
Da denn von Stund an der vorbesagte giftige Dunst aus dem
Loch wieder hervorgezogen und alsbald nicht allein etliche
Personen im Hause, sondern auch von neuem wieder die ganze
Stadt angesteckt hat und zwar viel schrecklicher als zuvor.
-741-
Wie Ludwig Wartburg überkommen
-742-
Zauberkräuter kochen
Im Jahr 1672 hat sich zu Erfurt begeben, daß die Magd eines
Schreiners und ein Färbersgesell, die in einem Hause gedient,
einen Liebeshandel mit einander angefangen, welcher in
Leichtfertigkeit einige Zeit gedauert. Hernach ward der Gesell
dessen überdrüssig, wanderte weiter und ging in Langensalza
bei einem Meister in Arbeit. Die Magd aber konnte die
Liebesgedanken nicht los werden und wollte ihren Buhlen
durchaus wieder haben. Am heiligen Pfingsttage, da alle
Hausgenossen, der Lehrjunge ausgenommen, in der Kirche
waren, tat sie gewisse Kräuter in einen Topf, setzte ihn zum
Feuer und sobald solche zu sieden kamen, hat auch ihr Buhle
zugegen sein müssen. Nun trug sich zu, daß, als der Topf beim
Feuer stand und brodelte, der Lehrjunge, unwissend, was darin
ist, ihn näher zur Glut rückt und seine Pfanne mit Leim an
dessen Stelle setzt. Sobald jener Topf mit den Kräutern näher zu
der Feuerhitze gekommen, hat sich etliche mal darin eine
Stimme vernehmen lassen und gesprochen:
»Komm, komm, Hansel, komm! komm, komm, Hansel,
komm!
« Indem aber der Bube seinen Leim umrührt, fällt es hinter
ihm nieder wie ein Sack und als er sich umschaut, sieht er einen
jungen Kerl daliegen, der nichts als ein Hemd am Leibe hat,
worüber er ein jämmerlich Geschrei anhebt. Die Magd kam
gelaufen, auch andere im Haus wohnende Leute, zu sehen,
warum der Bube so heftig geschrien, und fanden den guten
Gesellen als einen aus tiefem Schlaf erwachten Menschen also
im Hemde liegen. Indessen ermunterte er sich etwas und
erzählte auf Be fragen, es wäre ein großes schwarzes Tier, ganz
zottigt, wie ein Bock gestaltet, zu ihm vor sein Bett gekommen
und habe ihn also geängstigt, daß es ihn alsbald auf seine Hörner
gefaßt und zum großen Fenster mit ihm hinausgefahren. Wie
-743-
ihm weiter geschehen, wisse er nicht, auch habe er nichts
sonderliches empfunden, nun aber befinde er sich so weit weg,
denn gegen acht Uhr habe er noch zu Langensalza im Bett
gelegen und jetzt wäre es zu Erfurt kaum halber neun. Er könne
nicht anders glauben, als daß die Catharine, seine vorige
Liebste, dieses zu Wege gebracht, indem sie bei seiner Abreise
zu ihm gesprochen, wenn er nicht bald wieder zu ihr käme,
wollte sie ihn auf dem Bock holen lassen. Die Magd hat,
nachdem man ihr gedroht, sie als eine Hexe der Obrigkeit zu
überantworten, anfangen herzlich zu weinen und gestanden, daß
ein altes Weib, dessen Namen sie auch nannte, sie dazu
überredet und ihr Kräuter gegeben, mit der Unterweisung: wenn
sie die sachte würde kochen lassen, müsse ihr Buhle erscheinen,
er sei auch so weit er immer wolle.
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Zwergenkegel
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Sagen aus Westfalen
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Bielefeld
Über den Ursprung des Namens hat man viel gefabelt. Es soll
früher die Gegend voll Wald gewesen und beim Bau der Stadt
dieser Wald mit Bielen (Beilen) gefällt sein, davon stamme der
Name her. - Andere sagen, das Bild des Waldgottes Biel habe in
dem Felde gestanden, wo man die Stadt anlegte, darum sei sie
Bielevelde genannt. Die Volkssage spricht: Man war am Bau
des Stadttores, als plötzlich einem Arbeiter das Beil entfiel.
Damit nun unten sich jeder vor Schaden hüte, schrie er: »Dat
Biel dat fällt!« und davon der Namen. Dies ist irrig. Es lagen
früher in dem Felde, wo jetzt die Stadt steht, drei Waldhöfe, die
Bieler Höfe genannt, und diese machten den Anfang der Stadt
aus. Als sich dieselbe in dem Bielder Felde ausbreitete, nannte
man sie Bielevelde, woraus nachher das Wort: »Bielefeld«
entstanden ist.
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Das Dorf Eine
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Das Gelübde der Geister
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Das Hillertsloch
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Das Hufeisen auf dem Überwassers-Kirchhofe
-751-
Das Stift Gevelsberg
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Das alte Schloß zu Raesfeld
-753-
Das eingemauerte Kind
-754-
Das unheimliche Feuer
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Das weiße Mütterchen
In Haltern geht abends gegen acht Uhr und später ein weiß
Mütterchen um. Wenn jemand ihm begegnet, den bittet es,
mitzugehen, indem es ihm einen Schatz zeigen und geben wolle.
Wer ihr aber folgt, den tötet sie, und der ist unrettbar verloren.
-756-
Der Berggeist
Der Berggeist ist ein kleiner Mann mit langem, weißem Barte.
In der rechten Hand trägt er einen großen Stab, seine Linke
hält ein klares Licht. Ganz unmerkbar durchwandert er die Erde,
tritt plötzlich aus dem Gestein her- vor, gesellt sich den
Arbeitern zu, um ihnen Öl auf die erloschenen Lampen zu
bringen und ihnen zu zeigen, wie man die wertvolle Kohle am
leichtesten gewinnt. Oft kommt er auch in böser Absicht.
Menschen, die mit unreinem Gewissen in die Grube fahren,
sucht er durch gespensterhaftes Wesen in ihrer Arbeit zu stören,
führt sie im dunklen Schoß der Erde auf Irrwege und stürzt sie
ins Verderben. Guten Menschen zeigt er wertvolle Erzlager.
Will sich ein Arbeiter dem klugen Berggeiste widersetzen, so
führt er ihn sofort ins Verderben.
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Der Bremmenstein
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Der Durant
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Der Eichbaum zu Strohen
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Der Geist am Meer
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Der Geisterschimmel
Die Bentdorfer mußten früher ihr Korn auf dem Kopfe zur
Mühle tragen. Der Weg führte an einem Busche vorbei, bei dein
sie zu rasten pflegten, und der deshalb der Restebusch hieß. Sie
ließen dort ihren Sack nach hinten auf das hohe Ufer sinken. In
der Nähe lag eine große Heide. Darauf zeigte sich zuweilen ein
Schimmel, der den Menschen gefährlich werden konnte. Wer
ihn sah, mußte rufen: »Bernäken van Golen, diu dois müi doch
nicks!« Dann ging der Spuk vorüber. Einmal kam auch ein
Mann über die Heide. Als er den Schimmel sah, meinte er, es sei
des Müllers Pferd und wollte ihm seinen Sack auf den Rücken
werfen. Aber der Sack fiel mitten durch den Körper des
Schimmels hindurch auf die Erde, und der Schimmel war
plötzlich verschwunden.
-762-
Der Glockenguß zu Attendorn
-763-
»Was hast du getan, du Bestia! « ihm eine Kugel durch den
Kopf jagte. Zu den Geleitsleuten aber sprach er: »Der Kerl hat
die Glocke gegossen, wie ein anderer Schelm, er wäre erbietig,
solche umzugießen und der Stadt ein ander Werk zu machen.«
Ritte darauf hinein und wiederholte seine Reden, als ob er den
Handel gar wohl ausgerichtet. Aber er wurde wegen der Mordtat
ergriffen und gefragt, was ihn doch dazu bewogen, da sie mit
der Arbeit des Gesellen doch vollkommen zufrieden gewesen?
Endlich bekannte er, wie er an dem Klang abgenommen, daß
eine gute Masse Gold bei der Glocke wäre, so er nicht dazu
kommen lassen, sondern weggezwackt haben wollte, dafern sein
Gesell befohlnermaßen mit dem Guß seine Ankunft abgewartet,
weswegen er ihm den Rest gegeben.
Hierauf wurde dem Glockenmeister der Kopf abgeschlagen,
dem Gesell aber auf der Brücke, wo er sein End genommen, ein
eisern Kreuz zum ewigen Gedächtnis aufgerichtet.
Unterdessen konnte niemand ersinnen, woher das Gold zu der
Glocke gekommen, bis der Wittib Sohn mit Freuden und
großem Reichtum beladen nach Haus kehrte und vergeblich
betrauerte, daß sein Gold zween um das Leben gebracht, einen
unschuldig und einen schuldig, gleichwohl hat er dieses Gold
nicht wieder verlangt, weil ihn Gott anderwärts reichlich
gesegnet.
Längst hernach hat das Wetter in den Kirchenturm geschlagen
und wie sonst alles verzehret, außer dem Gemäuer, auch die
Glocke geschmelzt. Worauf in der Asche Erz gefunden worden,
welches an Gehalt den Goldgülden gleich gewesen, woraus
derselbige Turm wieder hergestellt und mit Blei gedeckt
worden.
-764-
Der Hase im Wege
-765-
Der Heidemann
-766-
Der Herr von der Wewelsburg
-767-
huschte über den gepflasterten Hof zur verschlossenen Pforte
hinein. Das war der Geist des gemordeten, unbegrabenen
Priesters. Durch alle die langen Gänge, an allen Türen vorüber
ging er, schlich er, leise - leise. Er suchte die Gemächer des
trunknen Herrn.
Wie tiefes Seufzen stieg es aus ihm auf, als sich die schwere
Eichentür knarrend vor ihm öffnete. Jetzt war er darin jetzt stand
er am Bette. Und ein Geräusch ward laut und ein Getön und ein
Wimmern und Heulen, daß es anzuhören war wie ein langer,
qualvoller Kampf, wie ein Ringen zum Tode. Alle in der Burg
erwachten. Aber keiner wagte nachzusehen; denn sie
schauderten vor Entsetzen. Kalter Schweiß troff von ihren
Schläfen. Endlich wurden die gräßlichen Klänge schwächer,
immer schwächer, und als die Turmuhr eins schlug, da verhallte
der letzte schwere Seufzer. Als man bei Tagesanbruch den
Herrn von der Wewelsburg wecken wollte, fand man ihn mit
umgedrehtem Genicke am Boden liegend.
Sein Antlitz war von fürchterlicher Todesangst entstellt
worden, daß die Seinen ihres Herrn Leiche kaum erkannten. -
Auf dem Friedhof der Wewelsburg fand man am nämlichen
Tage einen frischen Grabhügel, den niemand aufgeworfen hatte.
Die Leute dachten es gleich wohl, wenn sie es sich auch gerade
nicht merken ließen, daß hier der fromme Kaplan zum
ewiglangen Schlafe ruhe.
-768-
Der Kirchturm in Gildehaus
-769-
Spitze wurde eine neue gesetzt, die nur mit Holz und Schiefer
gedeckt ist, aber das alte Kreuz wieder trägt.
-770-
Der Kärrner zu Gesicke in Westfalen
-771-
Der Name der Stadt Unna
Der Name der Stadt Unna kommt nicht, wie man angenommen
hat, aus dem lateinischen (ab unitate animorum, von der
Einigkeit der Gemüter der Bürger untereinander), sondern daher,
weil sie der Stadt Camen zu nahe gebaut worden ist und soll
soviel hießen als: Uns to nah (d. h.
allzunah).
-772-
Der Rentmeister Schenkewald
-773-
Schenkewald saß zwischen den Kapuzinern, eine Peitsche
knallte, und mit Blitzesschnelle fuhr der Wagen von dannen,
welcher den Weg nach der Davert verfolgte. Seit Schenkewald
in dieser Art abgeholt war, wurde auf dem Schlosse
Nordkirchen alles still, in der Davert aber fährt er seitdem bis
auf den heutigen Tag mit den beiden Kapuzinern und in
demselben Wagen Tag und Nacht umher. Eine Menge Leute
haben ihn fahren sehen und beschreiben ihn bis auf den
kleinsten Umstand, wie er aussieht. Auch ist es schon mehreren
begegnet, daß sie den Wagen für eine herrschaftliche Kutsche
hielten und sich hinten aufsetzen wollten. Kaum hatten sie ihn
aber berührt, so flog der Wagen mit den Pferden hoch durch die
Lüfte davon.
-774-
Der Sarg in der Küche
In der Nähe von Horstmar ist der Sohn eines Bauern krank
gewesen. Da mußte er des Nachts öfters aufstehen. Einmal nun
stieß er auf eine Leiche. Die stand dort in der Küche. Weil er
wissen wollte, wer das sei, hat er dem Toten mit der Schere
etwas von dem Haar abgeschnitten und dieses in die Kofferlade
gelegt. Den andern hat er nichts gesagt, weil er befürchtete, sie
könnten sich ängstigen. Als der Sohn sich dann am folgenden
Morgen das Haar vor dem Spiegel kämmte, ist er blaß wie der
Tod geworden. Dem er was von dem Haar abgeschnitten hatte,
das war er selbst. Es sollte das aber mit seiner Leiche nicht wahr
werden, deshalb ging er fort nach Altenberge, wo er auf einem
Gut die Stelle als Verwalter annahm. Nach langen Jahren nun
passierte es, daß der Verwalter schlimm krank wurde. Da haben
die Angehörigen absolut gewollt, daß er sich zu Hause pflegen
lasse. Der Sohn sträubte sich mit aller Gewalt dagegen.
Schließlich aber hat er sich doch bereden lassen und ist nach
dem Elternhofe zurückgekommen. Und da nimmt die
Geschichte das bekannte Ende. Die Leiche kam wirklich in der
Küche zu stehen.
Der das erzählt hat, ein Kötter bei Horstmar, von dem ich
überhaupt eine ganze Reihe von Sagen aufgeschrieben habe,
verbürgt sich dafür, daß alles so gekommen ist.
-775-
Der Teufel in der Davert
-776-
Der Zehn-Uhrs-Hund zu Wiedenbrück
-777-
Der böse Geist
Eine halbe Stunde von hier steht ein kleines Häuschen, worin
noch vor zehn Jahren eine Bauernfamilie wohnte, die dieses
Häuschen von dem nahe wohnenden Schulzen gemietet hatte.
jetzt steht es seit mehreren Jahren leer, und die Familie mußt es
wider Willen verlassen, weil ein Geist sich darin umtreibt, der
ihnen keine Ruhe lassen wollte. Oft wenn die Frau morgens
nach den Kühen sehen wollte, hatte der Geist einer den Hals
umgedreht oder einem Kalbe die Füße mit Stroh aneinander
gebunden und es im Stalle aufgehängt.
Auch lärmte es nachts auf dem Boden und in der Küche, warf
Stühle, Töpfe und anderes Gerät durcheinander und ließ keinen
schlafen. Wer auch um Mitternacht vorn aus der großen Tür
ging, der bekam eine tüchtige Ohrfeige, und es wurden ihm die
Augen dergestalt verblendet, daß er das Haus nicht wiederfinden
konnte und in der Gegend umherirrte, bis der Morgen anbrach.
Nun geht die Sage, daß der Geist durch einen Baum, der bei der
Erbauung dieses Häuschens aus der Davert geholt und in den
vor alten Zeiten ein sehr böser Geist gebannt, mit hineingebracht
sei. Die Davert aber ist ein sieben Stunden langer Wald, in der
Gegend von Ottmarsbocholt, und der größte in unserem Lande,
in den aus der ganzen Gegend alle bösen und unruhigen Geister
verwiesen werden.
-778-
Der ewige Jude
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Der westfälische Pumpernickel
-780-
Die Braut als Hexe
-781-
es in die Eiche, und die Eiche und das Mädchen wurden in
tausend Stücke zerschlagen.
-782-
Die Eggester Steine
-783-
Wald zu sehen sind. Auf der Höhe des einen findet sich ein
Gemach mit einem Opfersteine, welches der Teufel zu zerstören
wohl vergessen haben muß. In viel späterer Zeit hat einmal ein
christlicher Einsiedler in den Höhlen der Felsen gewohnt und in
die rauhen Wände erbauliche Heiligenbilder geha uen, welche
ebenfalls noch deutlich genug zu sehen sind.
-784-
Die Kartause bei Nottuln
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Die Sage von dem Fräulein von Rodenschild
-786-
sank und am Morgen von ihren Leuten hier in Ohnmacht
gefunden ward, verfiel in eine schwere Krankheit, aus der sie
sich jedoch wieder erholte; allein geträumt hatte sie nicht, denn
die Hand, womit sie ihre Doppelgängerin berührt hatte, blieb für
immer eiskalt wie von einer Leiche, und nie trug sie dieselbe
seit dieser Zeit ohne Handschuh.
-787-
Die Steine in der Davert
In der Gegend der Davert und ebenso auf dem Wege von
Münster nach dem Sauerlande findet man einzelne große Steine.
Über die Art und Weise, wie diese ungeheuren Felsstücke in die
hiesige Gegend gekommen sind, gehen viele Sagen, wozu auch
folgende gehört:
Als einst der Teufel mit einem großen Sack voll Steine des
Weges durch die Davert kam, schrammte er mit dem Sack an
einem auf der Erde liegenden Felsen vorbei, so daß der Sack ein
Loch bekam. Ohne daß es der Teufel bemerkte, verlor er nun
nach und nach einige Steine, die sich durch das entstandene
Loch durchdrängten und noch an derselben Stelle liegen, wo sie
ihm entfielen. Da er nun bis an die Grenze des Sauerlandes kam,
wurde das Loch immer größer, bis endlich in der Gegend des
Klusensteins der ganze Sack borst und so das sogenannte
Felsmeer entstand.
-788-
Die Teufel im Wartturm bei Beckum
-789-
Die Westfalen
Als Satan einmal vor den Herrn trat, fragte ihn der Herr, woher
er käme. Satan antwortete, er habe sich auf der Erde
umhergetrieben. Sprach wiederum der Herr: »Hast du auch das
Westfalenvolk gesehen, das harte, unbekehrbare und allen
Gläubigen so lästige?« Und Satan: »Ei, ja wohl hab ich es
gesehen; wenn du es aber mir gäbest, dann sollte es dir nicht
mehr zur Last fallen! « - »Nun, ich geb es dir, doch unter der
Bedingung, daß du es aus der Welt hinausschaffest.« Da ging
Satan vergnügt und froh hinweg und richtete einen großen Sack
her, in den er alle Westfalen steckte und dann in die Luft flog,
um dieselben aus der Welt fortzuschaffen. Als aber diesen die
Sache verdächtig vorkam, begannen sie zu knurren und
bereiteten ihrem Träger so viel Last, daß er vor Müdigkeit auf
einem Berge den Sack niedersetzen mußte.
Kaum fühlten dieselben sich wieder auf festem Boden, als sie
alsbald den Sack zerrissen und davonflohen, daß keiner seines
Nächstes gedachte, und so ist es gekommen, daß sie in alle Welt
zerstreut wurden. Als aber Satan wieder zum Herrn kam, machte
dieser ihm Vorwürfe und sprach: »Nun, was hast du tun wollen?
Ich hatte dir die Westfalen gegeben, damit du sie aus der Welt
fortschaffen solltest, und du hast sie im Gegenteil über die ganze
Welt zerstreut! « jener aber: »Halt es mir zugute Herr! Du
kennst ja das Volk, wie hartnäckig es ist; weder auf mich, noch
auf Dich wollen sie hören. Siehe, ich geb sie zurück in Deine
Hände; mache mit ihnen, was Dir gut dünkt! "
-790-
Die alte Linde zu Laer
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Die beiden Schwestern
-792-
Die beiden heiligen Ewalde
Zu einer Zeit, als das deutsche Volk noch tief in der Finsternis
des Heidentums begraben lag, kamen zwölf fromme Männer aus
England, welche ausgerüstet mit Entschlossenheit und Mut die
deutschen Länder durchwanderten, um die Lehre Christi zu
predigen in Wort und Tat. Unter diesen waren zwei Brüder, von
denen der eine der weiße, der andere aber der schwarze Ewald
genannt wurde. Beide wanderten in brüderlicher Eintracht
miteinander und beschlossen, gemeinsam für das Wort Gottes in
den Tod zu gehen. Da kamen sie zu einer heißen Sommerszeit in
einen Flecken, genannt Laer, gelegen im Stifte Münster nicht
weit von Burgsteinfurt, verrichteten hier ihre Gebete und
segneten und belehrten das Volk. Dieses aber war seinen
Götzenbildern zugetan und verachtete die heilige Lehre. Als nun
die Sonnenhitze sehr groß und die Gegend wasserleer war, die
durstigen Helden aber vergeblich ihre Götzen um Wasser
anflehten, da traten die frommen Brüder mit dem Bilde des
gekreuzigten Heilandes in der Hand auf einen Felsen, beteten
und segneten selbigen und siehe, da sprang aus dem harten
Steine eine frische, klare Wasserquelle unter ihren Fußstapfen
hervor und labte das ganze Volk. Erstaunend erkannte nun der
Droste des Landes die Kraft und Heiligkeit der beiden
Fremdlinge; willig räumte er ihnen einen Acker ein, welcher
reiche Früchte trug, und alle Heiden der Umgegend ließen sich
taufen in dem Wasser der wunderbar entstandenen Quelle. Als
nun aber das Wort des Herrn in dem Herzen des Volkes Wurzel
gefaßt hatte, schenkten die heiligen Brüder ihren Acker den
Armen und zogen weiter in das Land, um auch unter den
benachbarten Völkern das Evangelium auszubreiten. Allein der
Herr hatte ein anderes mit ihnen beschlossen und würdigte sie,
die Märtyrerkrone zu empfangen. Auf dem noch heute so
genannten Mordhofe zu Apelterbeck zwischen Unna und
Dortmund wurden die frommen Brüder von den Heiden auf eine
-793-
qualvolle Art ums Leben gebracht. Die Leichname wurden
später von dem heiligen Erzbischof Anno aus ihren Gräbern
genommen und sollen, wie mehrere alte Schriften versichern, in
dem Dome zu Münster beigesetzt sein, wo man viele hundert
Jahre hindurch ihr Andenken festlich feierte. Zu Laer heißt noch
gegenwärtig der Acker, welchen sie besaßen, der Heiligenkamp,
und ist auf demselben zur Ehre ihres Namens eine Kapelle
erbauet, welche die älteste in Westfalen sein soll.
-794-
Die geheime Richtstätte zu Horst
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Bald darauf stürzte das Gewölbe ein, und seither hat niemand
wieder die Stätte des Grauens betreten können.
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Die reitenden Hexen
Eine besondere Vorliebe hatten die Hexen für das Reiten. Sie
ritten aber nicht auf Besenstielen, wie es uns aus dem Harz
erzählt wird, sondern auf Pferden. Hören wir nur folgende
Geschichte. Ein Bauer aus Haddorf bei Wettringen hatte die
Gewohnheit, die Pferde des Nachts auf der Weide zu lassen, um
mit dem Heufutter zu sparen. Er sollte aber keine rechte Freude
daran haben. Jeden Morgen, wenn er die Tiere heimholte, waren
ihnen die Mähnen geflochten, ihre Körper naß, daß der weiße
Schaum nur so hervortrat, dazu hatten sie nichts im Leibe und
konnten nicht arbeiten. Als das gar nicht anders wurde, stimmte
es den Bauern verdrießlich. Da ging er eines Abends nach der
Weide und verbarg sich in der Hecke, um aufzupassen, wer das
mit seinen Pferden anstelle. Zuerst blieb alles um ihn still. Da
um Mitternacht aber nahte ein Sausen durch die Luft. Eine Frau
im Siebrand flog herbei, setzte das runde Ding in die Hecke und
schwang sich auf eines der Pferde und ritt wie toll. Das ging nur
immer: Katuffel, katuffel, de Wieske up un dahl. Wie der Bauer
das gewahrte, rief er vor Zorn: »Ik sall di helpen, ik sall di dat
endlicks afleän!« Und er nahm den Siebrand an sich. Die Hexe
sollte ja schon kommen. Die war auf einen solchen Ausgang
nicht gefaßt gewesen, kam ganz verlegen herbei und bat den
Bauern, er möchte ihr doch das Sieb zurückgeben; denn sonst
würde sie unglücklich werden, und um vier Uhr morgens müßte
sie schon in Amsterdam zum Kuhmelken sein. Als der Bauer
noch zögerte, versprach sie ihm hoch und heilig, nie wieder
seine Pferde belästigen zu wollen. Nur solle er ihr das Sieb
wiedergeben. Da gab der Bauer ihr das Sieb denn zurück. Die
Hexe schwang sich hinein und sauste durch die Luft davon. Seit
der Nacht passierte den Pferden des Bauern nichts mehr.
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Die ungetaufte Glocke
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Eine Hexenverbrennung
Es war zu der Zeit, als bei den Rittern im Lande Sitte und
Recht nicht mehr galten. Da ereignete es sich, daß das Pferd
eines Nienborger Ritters auf der Weide eine Wunde am Bein
davontrug. Der Ritter wußte noch nichts davon. Sein Diener
jedoch hatte beobachtet, wie eine Bauersfrau durch die Weide
ging. Da glaubte er denn, das Weib müßte das dem Pferde wohl
angetan haben, und er meldete es seinem Herrn. Dieser sandte
seine Knechte sofort aus, damit sie die Frau ergriffen und
herbeiholten. Da drangen denn die Söldner in das Bauernhaus
ein und schleppten das Weib vor den Ritter, der über sie zu
Gerichte saß. Man erkannte auf Verbrennung.
Alles Unschuldbeteuern half der Frau nichts. Auf der
Kusenborg im Esch schichteten die Soldatenknechte einen
großen Holzstoß auf, um die Verurteilte darauf zu verbrennen.
Das Urteil jedoch mußte zunächst durch den Landrichter in
Münster bestätigt werden. Also sandten sie einen Boten nach
Münster ab. Der Ritter brauchte indes nur eine bestimmte Zeit
auf die Rückkehr zu warten. Wie diese sich ihrem Ende zu nahte
und der Bote noch immer nicht erschien, ließ der Ritter den
Scheiterhaufen anzünden, und dann befahl er: »Werft sie hinein,
die alte Hexe, die Zeit ist verstrichen!« Da ergriffen nun die
Knechte das Weib und schleuderten es in die Flammen.
Alsbald wurden seine Kleider von dem Feuer ergriffen, und
Rauch hüllte die vermeintliche Hexe ein. Inzwischen kehrte
auch der Bote von Münster heim. In den Bülten am Esch
schwang er seinen Hut auf einem langen Stabe, um sich noch
rechtzeitig bemerkbar machen zu können. Aber es war schon zu
spät. Die Bauersfrau hatte bereits ausgelitten. Dem Ritter tat das
nichts. Auf seiner Burg ließ er ein großes Festessen zubereiten
und lud die übrigen Ritter dazu ein. Da klangen nun die Gläser
und eilten die Diener. Bis der Taumel sie ergriffen.
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Der aber das Mahl gegeben, war vom Tische aufgestanden.
Keiner hatte das bemerkt. Als sie den Zechgenossen
vermißten, suchten sie ihn in der ganzen Burg, ohne ihn zu
finden. Endlich jedoch fanden sie ihn, auf dem »Hüsken«
sitzend, tot, das Gesicht im Nacken. So ereilte den Übeltäter die
gerechte Strafe. An der Stelle aber, wo dem Raubritter der Hals
umgedreht wurde, erhob sich später ein frommes Steinbild,
Johannes von Nepomuk darstellend.
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Festgebannt
Unweit Rheine war gar ein Student, der übte auch die Kunst
des Festbannens aus. Einmal ist dieser Student mit zwei
Kameraden nach einem benachbarten Marktflecken gegangen.
Es war gerade an einem Muttergottesfeiertag. Wie sie nun
miteinander in das freie Feld kamen, sahen sie da einen Bauern,
der Plaggen auf den Wagen lud. Der Student sagte: »Sack äm es
staohn laoten?« Da lachten die andern ihn aus und erwiderten:
»Ja, wat woß du küen'n!« Im nächsten Augenblick hat der Bauer
dennoch still gestanden, die Gabel mit Plaggen halb hoch zum
Wagen gewandt, unbeweglich.
Dem einen der Begleiter kam die Sache unheimlich vor, und er
wandte sich ab mit den Worten: »Ik gaoh wegg van di, du kaas
hexen.« Und er hielt Wort. Da gingen sie nun zu zweien ihres
Weges weiter. Als die beiden den Ort erreicht hatten, meinte der
Student: »Ik will äm no män wier loßlaot'n, he sall no möh
genög weär'n.« Kaum hatte er das gesagt, da faßte der Bauer
hinten in der Ferne die Pferde beim Kopf und fuhr nach Hause.
Im Gesicht glich er einem Toten, als er dort ankam.
Seine Frau zeigte sich ganz besorgt und fragte, was ihm denn
eigentlich sei, er, sehe ja so schlecht aus. ja, er wüßte es auch
nicht recht, eine alte Hexe hätte ihn da draußen beim
Plaggenladen stehen lassen. Zwei Tage lang mußte der Bauer
das Bett hüten. Und wie er wieder besser war, hat er zu seiner
Frau gesagt, daß er nie wieder an einem Muttergottestage würde
Plaggen fahren.
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Geisterhund
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Geistersagen aus Lippe
Wie ein über 80 Jahre alter Mann mitteilte ist (seiner Ansicht
nach) die älteste Sage im ganzen Lande die von einem Geiste in
dem Dorfe Mosebeck (zwischen Detmold und Blomberg).
Die Einwohner in dortiger Gegend glauben noch heute fest an
diese Sage :
Auf dem Spruteschen Hofe in Mosebeck war eine zweite
junge Frau eingezogen, die aber in jeder Nacht von einem Geiste
belästigt wurde, so daß sie keine Ruhe hatte. Auf Anraten der
nahen Verwandten wurde beschlossen, einen Pater aus
Paderborn kommen zu lassen, damit dieser den Geist bespreche,
aus dem Hause treibe und in den Brockhauser Mühlenteich
banne. Zu diesem Zweck wurde ein großer Leiterwagen
rückwärts auf die Diele geschoben; dann wurden die Pferde
vorgespannt. Der Pater setzte sich auf den Wagen, betete und
betete und beschwor den Geist, der auf dem Boden (Balken)
war, herunterzukommen und sich auf den Wagen zu setzen. Der
Geist blickte durch die Bodenluke und weigerte sich
herabzusteigen; allein der Pater ließ nicht nach mit Beten, und
der Geist bequemte sich zuletzt, kam herab und setzte sich
hinten auf den Wagen. Dem Knechte, der die Pferde mit Mühe
und Not hielt, war vorher verboten worden, sich umzusehen,
allein er konnte seine Neugier nicht beherrsche n. Er sah sich
nach dem Geiste um, jedoch im nächsten Augenblick hatte sich
dieser schon auf den armen Kutscher geworfen und sich
festgeklammert. Der Pater hatte jetzt seine ganze Macht
anzuwenden, um durch sein Beten und Besprechen den Geist
wieder von dem Knecht loszubekommen. Endlich setzte sich der
Geist wieder auf den Wagen; er wurde zum Brockhauser
Mühlenteiche gefahren und hineingebannt.
Die Bewohner der Gegend glauben noch immer, daß der Geist
in dem Mühlenteiche verborgen sei und das dabei liegende
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Brockhauser Holz unsicher mache. »Als ich vor ungefähr 30
Jahren«, so erzählte mein Gewährsmann, »meinen Schwager in
Cappel besuchte, begleitete dieser mich bis zum Kruge in
Mosebeck, wo wir uns nach einem kleinen Trunke trennten; es
konnten wohl gegen elf Uhr nachts sein. Der Wirt Tegeler fragte
mich ganz erstaunt, ob ich denn durch das Brockerholz
heimgehen wollte, und als ich das bejahte, erklärte er, ihm
könne einer hundert Taler geben, er ging in der Nacht nicht
durch das Holz, denn da sei es ganz gewiß nicht richtig. "
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Heybrock
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Hostienwunder
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Iserlohn
Der Name der Stadt kommt her von Eisen und Lohnen. Denn
weil daselbst sonst viel Eisenerz gegraben wurde und die in
dasiger Gegend wohnenden Arbeitsleute am Sonnabend
hingingen, um ihren Lohn für die getane Arbeit zu empfangen,
und wenn sie gefragt wurden: »Wohin?« zur Antwort gaben:
»Wy welt na Lohne gahn!« so ist hieraus der Name Iserlohn
entstanden.
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Jungfer Eli
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die Äbtissin aber sprach: »Ich hab nichts zu schaffen mit dir,
hast du Übel getan, so ist's nicht mein Wille gewesen.« Jungfer
Eli wollte sich aber nicht abweisen lassen.
Da warf die Äbtissin einen Handschuh aus dem Wagen und
befahl ihr, den wieder aufzuheben, und während sie sich bückte,
trieb die Äbtissin den Fuhrmann an und sprach: »Fahr zu, so
schnell du kannst, und wenn auch die Pferde drüber zugrunde
gehen.« So jagte der Fuhrmann, und sie kamen glücklich nach
Warendorf. Die Äbtissin endlich, des vielen Lärmens
überdrüssig, berief alle Geistlichen der ganzen Gegend, die
sollten Jungfer Eli verbannen. Die Geistlichen versammelten
sich auf dem Herren-Chor und fingen an, das Gespenst zu
zitieren, allein sie wollte nicht erscheinen, und eine Stimme rief:
»He kickt, he kickt!« Da sprach die Geistlichkeit: »Hier muß
jemand in der Kirche verborgen sein, der zulauscht«, suchten
und fanden einen kleinen Knaben, der sich aus Neugierde drin
versteckt hatte. Sobald der Knabe hinausgejagt war, erschien
Jungfer Eli und ward in die Davert verbannt. Die Davert ist aber
ein Wald im Münsterschen, wo Geister umgehen und wohin alle
Gespenster verwiesen werden. Alle Jahr einmal fährt nun noch,
wie die Sage geht, Jungfer Eli über die Abtei zu Freckenhorst
mit schrecklichem Gebraus und schlägt einige Fensterscheiben
ein oder dergleichen, und alle vier Hochzeiten kommt sie wieder
einen Hahnenschritt näher.
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Magd holt Feuer
Eine Magd, die in einem Hause auf dem Markte in der Stadt
Münster diente, wurde einstmals in der Nacht wach. Und weil
der Mond so hell schien, meinte sie, es sei schon Zeit,
aufzustehen und Feuer zu machen. Sie ging also in ein Haus
unter dem Bogen, um Kohlen zu holen. Sie fand dort die
Haustüre weit offen und ging in die Stube. Da saßen um den
Tisch viele Männer in ganz alter Kleidung und großen Perücken,
die spielten Karten und sahen sie ganz böse an.
Das Mädchen dachte aber davon nichts Arges, nahm die
Kohlen und ging fort. Als sie nun aber aus dem Hause war, da
war ihr das Feuer schon wieder ausgegangen, und sie ging
wieder in dasselbe Haus, um anderes zu holen. Als sie nun in
der Stube war, wo die Männer saßen, sprach einer zu ihr:
»Was störst du unsere Ruh! Diesmal magst du noch Feuer
nehmen! Kommst du aber zum drittenmal, so brechen wir dir
den Hals!« Das Mädchen nahm also eilig das Feuer und lief
nach Haus.
Als sie nun in die Haustüre trat, schlug die Glocke eins, und
sie sah, daß es nicht mit rechten Dingen zugegangen, warf die
Kohlen auf den Herd und ging wieder zu Bette. Am andern
Morgen suchte sie nach den Kohlen, aber die waren lauter
Goldgeld geworden. Bei näherer Untersuchung haben sich in
dem Hause, wo die Männer gewesen sind, große vergrabene
Schätze gefunden, wodurch diese Leute darum ganz reich
geworden sind.
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Marienmünster
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Das goldene Kreuz selbst zeigt man in dem Kloster bis auf den
heutigen Tag.
Dieses ist der Anfang des Klosters Marienmünster.
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Minden
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Spuk in der Brennerei
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seien, stieg er die Treppe hinauf, füllte den »Schepper« mit
brennendheißem Wasser und schüttete dieses über die Katzen
aus. Diese spritzten auseinander und rannten durch das Loch
davon. Die dicke Katze aber blieb noch was vor dem Loch
stecken, und so bekam sie einen zweiten »Schepper« kochenden
Wassers auf den Rücken. Dann blieb alles still in der Brennerei.
Den Morgen darauf fragte der Besitzer den Knecht, wie es ihm
ergangen sei. Oh, mit dem nächtlichen Spuk sei er schon fertig
geworden, wo denn aber seine Frau wäre. Die läge noch zu Bett,
hat drauf der Besitzer erwidert. Ja, dann sollte er sie doch mal
umdrehen, und da hat es sich gezeigt, daß der Hausfrau der
ganze Rücken verbrannt war. Die die Brauknechte einen nach
dem andern umgebracht hatte, war niemand anders als des
Brennereibesitzers Frau selbst gewesen, die sich dazu in eine
Katze verwandelt hatte.
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Spukende Nonnen
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Spukgeschichten aus Wildeshausen
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durch einen Pater wegbannen in eine Vertiefung nicht weit von
dem Dorfe, wo sie sich noch jetzt zeigen soll. In einem
Bauernhause auf jener Seite der Hunte bindet man alle Abend
Flachs in einen Spinnrocken und findet es jeden Morgen
gesponnen. Zwei Stunden von hier, eine halbe Stunde vor der
Stadt Wildeshausen, liegt ein einzelner Bauernhof, Spasche
genannt, wo in alten Zeiten ein Schloß gestanden hat. Hier soll
bei Nachtzeit eine Chaise mit sechs Hirschen fahren. Nicht weit
davon wälzen sich zwei ungeheuer große Tiere, deren Gestalt
man nicht genau beschreiben kann, über den Weg. Auf einem
Kamp in dem Dorfe Sage pflügt des Nachts jemand mit einem
glühenden Pfluge. Auf dem Wege von hier nach dem Dorfe
Döhlen wird den Leuten zur Nachtzeit der Hut abgeschlagen
von einer unsichtbaren Hand. In dem Dorfe Alhorn geht in einer
kleinen Straße ein Gespenst, in der Gestalt eines rauhen Hundes.
Eine halbe Stunde von Wildeshausen soll an einem kleinen
Dorngesträuch am Wege eine Jungfrau sitzen, welche auf der
Zitter spielt. Nicht weit von Wildeshausen, nahe bei Spasche,
wo ehemals ein altes Schloß gestanden hat, liegt ein kleiner
Garten; an dessen Eingang zeigt sich in der Abenddämmerung
eine lange männliche Figur in einem grauen Habit. Dieses ist
von mehreren glaubwürdigen Leuten vor ungefähr 18 Jahren
noch gesehen worden.
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Spukhund
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Timmermanns »Skitz "
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Weking in der Babilonie
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dir gefällt, nur vergiß das Beste nicht.« Da legte er die Blumen
aus der Hand auf den Tisch und erwählte sich von den Schätzen,
was ihm das Beste schien und was er eben fassen konnte. Und
nun eilte er, (las unheimliche Gewölbe zu verlassen. Nochmals
rief die Jungfrau ihm nach: »Vergiß doch das Beste nicht!« Er
blieb stehen und blickte zurück und sah umher, welches denn
wohl das Beste sei. Auch nahm er noch einiges, was besonders
köstlich schien. An die Blumen aber dachte er leider nicht,
sondern ließ sie auf dem Tische liegen.
Und diese waren doch das Beste, denn sie hatten ihm ja den
Eingang verschafft. Überzeugt, gewiß nicht das Beste vergessen
zu haben, ging er mit Schätzen beladen durch die dunkle Halle
zurück. Eben trat er an das Tageslicht heraus, als das Eisentor
mit solcher Gewalt hinter ihm her fuhr, daß ihm die Ferse
abgeschlagen wurde.
Dieser Schäfer liegt in der Kirche zu Hille auf dem Chore
unter einem großen Steine begraben. Er hat nach diesem
Ereignis viele Jahre in großem Wohlstande gelebt. Allein den
Eingang hat er nie wieder erblickt, und seine Ferse ist nie heil
geworden; so daß man ihn bis an seinen Tod nicht anders als mit
einem niedergetretenen Schuh an diesem Fuße gesehen hat. Er
hat manche Vermächtnisse nachgelassen, unter anderem auch
eins für die Kirche zu Hille. Und die Nachkommen seiner Erben
besitzen noch gegenwärtig den Aswen-Hof in Hille, welcher von
ihm angekauft ist.
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Zirkzirk
Einer Frau hat einmal das Spinnen nicht recht von der Hand
gewollt, und ihr Mann hat oft gescholten, daß sie nichts vor sich
bringe, und wie sie einmal darüber ganz traurig ist und so in
ihren Gedanken dahingeht, steht plötzlich ein Zwerg vor ihr, der
sie fragt, was ihr fehle und ob er ihr nicht helfen könne. Da
erzählt sie ihm alles, und der Zwerg sagt, er ,wolle ihr helfen,
wenn sie ihm nur das geben wolle, was sie unter der Schürze
habe; könne sie aber raten, wie er heiße, so brauche sie ihm gar
nichts zu geben. Die Frau bedachte sich auch nicht lange und
sagte ja, denn sie glaubte nichts darunter zu haben. Von der Zeit
an hat sie immer Garn genug gehabt, und alle Sonnabende,
wenn ihr Mann kam und nachsah, war das Stück voll. Da ist sie
vergnügt und zufrieden gewesen, aber es hat nicht lange
gedauert, da hat sich das geändert, denn sie sollte in die Wochen
kommen und wußte nun wohl, was der Zwerg gemeint habe.
Voll Betrübnis hat sie alles ihrem Manne erzählt, und wie der
eines Tags über einen Berg geht, hört er ein schnurrendes Rad
im Berge drehen und einen Zwerg dazu singen:
»Dat is gaut dat dat de gnädige Frau nich weit dat ik Zirkzirk
heit."
Da ist er vergnügt nach Hause gegangen, hat alles seiner Frau
erzählt, und als die Frau in die Wochen gekommen ist und der
Zwerg sich einfand, um das Versprochene zu holen, hat sie ihm
sogleich gesagt, wie er heiße, und seit der Zeit ist er nicht
wiedergekommen.
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