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Februar 2011 DIE ZEIT No 6 POLITIK

Worte der Woche T I T E LG E S C H I C H T E

» Ich rufe Ägypten auf: Vergesst


nicht eure Kultur und Geschichte!« Das Drama in der
Recep Tayyip Erdoğan, türkischer arabischen Welt, ein TUNESIEN
LIBANON
SYRIEN
Ägypten
MAROKKO IRAK
Ministerpräsident, appelliert an die Regierung historischer Augenblick: ISRAEL IRAN
Seite 3-4
und die Demonstranten in Kairo, keine Gewalt JORDANIEN
einzusetzen Aufbegehren in Ägypten
Israel
(Seiten 3/4), die Sorge ALGERIEN LIBYEN ÄGYPTEN Seite 4
»Wir wollen frei sein. Wir wollen Israels (Seite 4), die Rolle SAUDI-
ein normales Leben leben können. des Internets und der Araber
ARABIEN Tunesien, Jordanien,
Wir wollen Frieden. Verlangen wir Syrien
zu viel?« in Deutschland (Seite 5), Seite 6

Aus dem »Manifest für den Wandel«, das Jugend-


Schockwellen von A F R I K A
Jemen
liche aus dem Gaza-Streifen veröffentlicht haben Washington über Brüssel bis JEMEN Seite 7
nach Jordanien (Seite 6),
»Wir wollen, dass die Stimmen der Proteste im Jemen (Seite 7)
Haitianer gehört und respektiert 500 km
ZEIT-Grafik
werden.«
Hillary Clinton, US-Außenministerin, über die
Unterstützung der USA für den Wiederaufbau
des Karibikstaates

»Europa hat seine Hand


ausgestreckt, aber Herr
Lukaschenko hat es vorgezogen,
diese Hand auszuschlagen.«
Sie sind so frei
Wie die Revolution in Arabien unser Weltbild zum Einsturz bringt VON JAN ROSS UND BERND ULRICH
Guido Westerwelle (FDP), Außenminister, zu den
EU-Sanktionen gegen Weißrussland

ie viele Mauern müssen noch fal- schätzungen. Es sei ungewiss, heißt es jetzt immer, lution im ganzen Nahen und Mittleren Osten an-

W
»Das ist Terrorismus.«
Niels Stolberg, Chef der Bremer Beluga-Reederei,
Wie rasch es ging len, bis wir aufhören, uns vor fal-
lenden Mauern zu fürchten?
ob sich in Kairo ein zweites 1989 oder ein neues
1979 abspielt. »1979« steht für die islamische Revo-
stoßen – aber auf der Spitze der eigenen Bajonette,
weswegen es nicht funktioniert hat. Was wäre damals
über die Lage des Frachters »Beluga Nomination«, Die Bilder aus Ägypten sind lution in Iran, die auf den Sturz des Schahs folgte aus Israel geworden, wenn es doch geklappt hätte?
der vor Kurzem von somalischen Piraten am
Horn von Afrika gekapert wurde 17. 12. Der tunesische Gemüsehändler bewegend wie die der sanften und statt Freiheit eine fanatische Religionsdiktatur Wer nun rasch zur Tagesordnung übergehen
Mohamed Bouazizi zündet sich an, um Revolution von 1989: die Familien mit Kindern, brachte. Aber gerade das war ein Fiasko der Stabili- und alsbald wieder die Region für unsere Interessen
gegen Willkür und Misshandlung zu die Betenden, die Friedlichkeit im Umgang mit tätspolitik: Nichts hat den Islamisten so geholfen zurichten möchte, der möge sich für einen Moment
»Wir sind im Augenblick, was protestieren. Es folgen Unruhen, De- den Soldaten. Kairo müsste für eine Menschheits- wie die jahrzehntelange Unterstützung des Westens vorstellen, wie das alles für leidlich informierte Ara-
Frauen in den Führungspositionen monstrationen – und Nachahmungs- hoffnung stehen, mit der die Welt mitfiebert. Die für den autokratischen, folternden Monarchen, in ber aussieht. Bis 1989 wurden Staaten in der Regi-
angeht, auf Höhe mit Indien, taten in anderen arabischen Ländern. repressiven Regime überall zittern – China, Syrien, dem Amerika einen unentbehrlichen Bündnispart- on unter dem Blickwinkel gesehen, ob sie dem
hinter Russland, hinter Tunesiens Präsident Ben Ali lässt Teile die Hamas-Miliz in Gaza sind tief beunruhigt. ner sah – wie später in Ägyptens Hosni Mubarak. Osten oder dem Westen von Nutzen waren. Da-
des Internets sperren. Aber die Freude im Westen ist gehemmt, nicht nur Mit der arabischen Herrscherkrise bricht die nach standen das Öl und die israelischen Interessen
Brasilien, hinter China.« wegen der Gefahren, die mit jeder Revolution auch Doktrin von den »moderaten« Staaten zusammen. im Vordergrund. Seit dem 11. September sollten
Ursula von der Leyen (CDU), Arbeitsministerin, 7. 1. Tote bei Protesten in Algerien. verbunden sind. Die Ereignisse treffen uns blamiert Demnach herrscht in der Region ein Kalter Krieg die Araber gegen den Islamismus sein, dann kurz-
über die Notwendigkeit einer Frauenquote in der und überrascht. Wer vor zwei Wochen die Freiheit in zwischen den »gemäßigten« Mächten wie Ägypten zeitig auch für die Demokratie. Die dann seit dem
Wirtschaft 8./9. 1. Zahlreiche Tote bei Tunesien feierte, wusste vor einer Woche noch nicht, und Saudi-Arabien auf der einen und einem radika- Wahlsieg der Hamas 2006 in den Palästinenser-
Demonstrationen in Tunesien, an die ob der Funke auf andere Länder überspringen würde len Block auf der anderen Seite, zu dem Iran und gebieten wieder fallengelassen wurde.
»Völlig kontraproduktiv.« Tausend Verhaftungen in Algerien. – und ist heute überrumpelt vom ägyptischen Drama. Syrien gehören. Westliche Politik, so die Theorie,
So viel aber ist klar: Die neue arabische Welt wird muss die »Moderaten« stärken. Jetzt zeigt sich die Wollen Russen die asiatische Despotie
Marie-Christine Ostermann, Bundesvorsitzende des 12. 1. Tunesiens Innenminister wird
Verbands Die Jungen Unternehmer, zum selben
weniger bequem sein, kein Stein auf einem geopoliti- Anfälligkeit dieser »gemäßigten« Regime, die gegen- und Araber die Knute?
abgelöst, Hochschulen werden geschlos- schen Schachbrett mehr, sondern eine dreidimensio- über dem Westen kompromissbereit sind, aber nach
Thema
sen. Stellenweise zieht sich die Polizei nale Landschaft mit echten Menschen, die uns von innen maßlos gierig und brutal. Was sollen die Menschen dort von uns denken? War
zurück, es kommt zu Plünderungen. Gleich zu Gleich begegnen und ihre Ansprüche an- Nun wird geklagt, mit Mubarak gehe ein wich- es nicht so, dass hinter all dem realpolitischen Gere-
»Ich kann nicht mit Sicherheit melden werden. Vielleicht fühlt sich der Westen jetzt tiger Partner im nahöstlichen Friedensprozess ver- de ein borniertes Interesse stand? Rohstoffe wollte
sagen, ob unsere Maßnahmen einen 14. 1. Ben Ali flieht nach Saudi-Ara- auch einfach ertappt, bei seinem verborgenen Kolo- loren. Abgesehen davon, dass die Rede vom »Frie- man, reisen, tauchen im Roten Meer, und bitte kei-
Anschlag verhindert haben. Eine bien. Demonstrationen in Jordanien. nialismus und seinem Rest-Rassismus. densprozess« nach Jahren des israelisch-arabischen ne Flüchtlinge aus Afrika. Und, noch tiefer gebohrt:
gute Wirkung hatten sie allemal.« Hinter der gebremsten Freude steckt zunächst Stillstands zur Phrase geworden ist: Es genügt nicht, Hieß der heimliche Konsens über die Russen nicht
15. 1. Familienmitglieder Ben Alis der Fetisch der Stabilität. Nur keine abrupte Ver- wenn die Regierenden Frieden schließen, man einst, sie seien halt die asiatische Despotie gewohnt
Thomas de Maizière (CDU), Bundesinnenminister, werden verhaftet. Ankündigung von änderung im gefährlichen Mittleren Osten, sie braucht dazu auch die Regierten. Regime, die im und für die Demokratie ungeeignet? Dachte man
zu seiner Ankündigung, die öffentliche Wahlen. könnte zur Katastrophe führen. Dass der Status Innern Angst vor dem eigenen Volk haben, sind hierzulande mehrheitlich nicht, dass die Araber
Polizeipräsenz nach Wochen erhöhter
Terrorgefahr zurückzufahren
« 17. 1. Suizid vor dem Parlament in
Kairo.
quo selbst die Katastrophe ist, haben erst die Mas-
senproteste bewusst gemacht. Die Stabilität à la
Mubarak war in Wahrheit fragil, die »Realpolitik«,
auch nach außen nicht auf Dauer geschäftsfähig.
Der Aufstand seiner Untertanen hat den Friedens-
politiker Mubarak als Attrappe enthüllt.
nichts anderes kennen und wollen als die Knute,
dass Geografie, Religion und Tradition gar nichts
anderes zulassen? Könnte es sein, dass geopolitische
ZEITSPIEGEL die auf Despoten setzt, unrealistisch. Nicht, dass Dass Israel mit bangen Gefühlen auf das alles Analyse und kulturelles »Verständnis« sich zu etwas
18. 1. Drei öffentliche Suizidversuche die Angst vor dem Chaos absurd wäre. Mubaraks blickt, ist begreiflich. Es fürchtet, dass die mühsam zusammenfügten, das von schnödem anti-ara-
in Ägypten. In Tunesien Proteste gegen
Vorgänger Sadat wurde 1981 von Islamisten er- befriedete Grenze zu Ägypten wieder zur Konflikt- bischen Rassismus kaum zu unterscheiden ist?
Repräsentanten des alten Regimes.
mordet, da kann man ein geradezu verzweifeltes linie, womöglich zur Front werden könnte, und Und wenn man schon dabei ist, die Perspektive
Nackter Protest 21. 1. Demonstrationen in Jordanien. Bedürfnis nach Kontrolle und Sicherheit verstehen.
Aber mit der Zeit ist es zur Ideologie erstarrt.
diese Aussicht ist erschreckend. Das kann dem
Westen, Deutschland zumal, nicht gleichgültig
umzukehren: Die Millionen Araber, die in Europa
leben, werden in letzter Zeit immer mehr als fünfte
25. 1. Landesweit Demonstrationen in sein. Trotzdem muss man hier klar unterscheiden: Kolonne des Islam betrachtet. (Zu Teilen ist das
Das hätten sich die Ägypterinnen nicht ge- Ägypten, Tote und Verletzte. Die Unterstützung für den Schah hat Es gibt eine unverbrüchliche Verpflichtung, das auch berechtigt). Aber wie mögen sich diejenigen,
traut: demonstrieren, nackt, für die Sache. die islamische Revolution ermöglicht Existenzrecht des Staates Israel zu verteidigen – aber die bei uns leben, fühlen, wenn wir gegenüber ihren
Wie in der Ukraine, dem Land der Orange 26. 1. Internationaler Haftbefehl gegen es gibt keine Verpflichtung, deswegen die israe- Heimatländern so reden, denken und handeln, wie
Revolution, aber die ist lang her. Anfang Feb- Ben Ali. Internetblockade in Ägypten. Die Vergötzung der Stabilität ist eine chronische lische Perspektive auf den Nahen Osten komplett das in den letzten Jahren der Fall war? Viele von
ruar protestierten Frauen der Organisation Krankheit. Es gab eine rechte Variante des Stabili- zu übernehmen. Israel verfügt über eine nukleare ihnen sind politische oder Wirtschaftsflüchtlinge,
Femen auf ihren Balkonen – mit blanken 27. 1. Der Oppositionspolitiker ElBara- tätskults: Militärdiktaturen in Lateinamerika und Abschreckung, und es hat mächtige Freunde, allen sie mussten erleben, wie der Westen, wie ihre neuen
Brüsten. Wogegen? Weil der Staat es seinen dei trifft in Kairo ein. Massendemons- Asien galten während des Kalten Krieges als Boll- voran die USA. Die Veränderungen in Ägypten Heimatländer die wirtschaftliche Ausbeutung und
Bürgern verbieten will, während der Fußball- tration in Jemens Hauptstadt Sanaa. werke gegen den Kommunismus. Es gab eine sozi- bedeuten für das Land insofern keine existenzielle politische Unterdrückung subventioniert haben.
EM 2012 die Balkone in Kiew für das Trock- aldemokratische Spielart: Die polnischen, tsche- Gefahr. Am Ende steckt sogar für Israel im Wandel Wie sollten sie sich da bei uns zu Hause fühlen?
nen der Unterwäsche zu nutzen. Es war nicht 28. 1. Hausarrest für ElBaradei, Militär chischen, russischen Dissidenten, die gegen das die Chance, es mit echten Partnern, nicht mit einer Nein, der Westen hat nicht an seine eigenen Werte
die erste Aktion der Frauen von Femen, aber rückt in Ägyptens größeren Städten ein. Sowjetsystem aufbegehrten, wurden als Störenfriede künstlichen, von Repression und vom Westen ge- geglaubt, nicht daran, dass Freiheit etwas Ur-
früher fanden sie ernstere Anlässe: Sie haben Demonstrationen in Jordanien. betrachtet, die die Entspannungspolitik gefähr- stützten Friedensfassade zu tun zu bekommen. Für menschliches ist – es war eine Schande.
Wahlkabinen gestürmt, um gegen »die Ver- deten. Die Teilung Europas und der Welt, die Un- den Moment mögen die arabischen Diktatoren für Am Wochenende treffen sich 360 Menschen
gewaltigung der Demokratie« zu protestieren, 31. 1. Ägyptens Armee kündigt an, terdrückung im sozialistischen Lager, das mochte Israel bequemer sein als deren Völker. Aber auch zur Münchener Sicherheitskonferenz. Sie stellen
und gegen die Todesstrafe in Iran mobil ge- friedlichen Protest zu dulden. In Syrien unerfreulich sein (aber nur für die hinter dem Eiser- hier: Für wie lange denn? das sicherheitspolitische Establishment des Westens
macht – alles nackt, alles erfolglos, aber zur verspricht Präsident al-Assad Reformen. nen Vorhang), doch war es stabil. Nur wie lange? Die Sorge um Israel wäre immerhin ein nobler dar, sie sind es gewohnt, die Welt zu erklären, wenn
Freude ukrainischer Chauvi-Politiker. Man Was hat man sich seinerzeit denn gedacht, für Grund für Stabilitätspolitik. Ist er auch das ehrliche nicht gar zu regieren, in unser aller Namen. Nun
möchte dann doch wieder zum Pullover raten. 1. 2. Millionen protestieren in Ägypten, wie viele Jahrzehnte wie viele Millionen Leben im Motiv? Eher nicht. Zum einen, weil die Potentaten sollten sie, ebenfalls in unserem Namen, vielleicht
Nicht nur wegen der Temperaturen. ABT Präsident Mubarak kündigt an, bei den Sowjet-Imperium und auf den Nebenkriegsschau- und ZKs, mit denen man sich während des Kalten einen Moment innehalten, ihre Orientierungslosig-
Wahlen im Herbst nicht wieder plätzen der Dritten Welt vergeudet werden dürfen Kriegs eingelassen hat, nichts mit Israel zu tun hatten. keit eingestehen und über ihre (unsere) Ängste re-
anzutreten. In Jordanien entlässt König um der Stabilität willen? Mit wie vielen unfreien, Zum anderen, weil es noch nicht einmal acht Jahre den. Und über die Frage, wie unsere Welt wohl aus-
Abdullah II. seine Regierung. In gedemütigten Leben für wie viele weitere Jahrzehn- her ist, dass der Westen dieselbe islamische Welt, um sehen wird, wenn wir auf niemanden mehr hinab-
NÄCHSTE WOCHE IN DER ZEIT Algerien streiken Zehntausende von te wurde bis zuletzt für Arabien gerechnet? deren Stabilität er heute bangt, in den Umsturz treiben blicken können.
Staatsbediensteten. Oppositionelle rufen Mit Blick auf die muslimische Welt produzierte wollte, indem er Saddam Hussein von der Macht ge-
Das Kino der Frauen: Zur Berlinale widmet zum Sturz der Regierung Bouteflika auf. dieser Stabilitätskult eine Serie von fatalen Fehlein- bombt hat. Damals wollte George W. Bush die Revo- www.zeit.de/audio
das ZEITmagazin den Heldinnen vor und
hinter der Kamera ein ganzes Heft. Darin er-
zählen Jury-Präsidentin Isabella Rossellini
(Foto) und Regisseurinnen von Miranda July Unten gegen oben:
bis Doris Dörrie und Maren Ade von der Demonstranten in
weiblichen Seite des Films. Die Fotos für die- Kairo und Ägyptens
ses Heft machte die Französin Brigitte La- Präsident Mubarak,
combe, die bekannt ist für ihre intensiven der am Dienstag
Porträts großer Schauspieler MAGAZIN seinen Verzicht auf
eine weitere Amtszeit
erklärte
Foto: Brigitte Lacombe für DIE ZEIT

Fotos: AP; Khalil Hamra/AP (l.)


POLITIK 3. Februar 2011 DIE ZEIT No 6 3
Foto: Ivor Prickett/Panos für DIE ZEIT

Die große Bühne


des Aufstandes:
Der Tahrir-Platz.
Hier tanzten
Demonstranten auf
Panzern

Wir sind das Volk!


Erst wollten sie wenig, dann immer mehr: Wie eine Ärztin, ein verarmter Händler, ein Islamist und ein Dozent
auf den Straßen von Kairo gegen ihren Diktator und für die Freiheit kämpfen VON JULIA GERLACH UND MICHAEL THUMANN

K aufstehen. Es machte sie als Araberin, als Ägyp- und dann die Augen mit klarem Wasser ausspülen len Atomenergiebehörde? Zu opportunistisch. Der keine muslimische, keine islamistische, sondern eine
m Tag, an dem sich Ägypten terin sehr stolz. Sie wollte dabei sein. Jetzt zählte solle. Man erklärte ihr auch den Slogan der Bewe- komme immer nur »aus dem Ausland eingeflogen, ägyptische ist. Allerdings, das war Dina Mohammed

A
erhob, erbebte die Welt und jeder Einzelne, um den Protest stärker und sicht- gung: »Salmia, salmia – friedlich, friedlich!« So riefen wenn es etwas für ihn zu gewinnen gibt«, sagte sie. anzumerken, kämpfte sie damit, sich ihre Begeiste-
schaute auf die Mitte von Kai- barer zu machen. Mit diesen Gedanken landete die Demonstranten unaufhörlich und stellten sich Die größte Enttäuschung dieser Revolte aber lag rung zu erhalten. Nicht, dass sie Zweifel gehabt
ro. Auf dem Tahrir-Platz, der sie in Kairo. dazwischen, wenn jemand versuchte, die anderen zu für sie gar nicht in Ägypten, sondern im Ausland. hätte an der Bewegung und daran, dass es richtig war,
großen Bühne des Aufstands, Dort eingetroffen, überredete sie ihre Schwester Gewalt anzustacheln oder die Sicherheitskräfte zu Sie empörte sich, dass sich der demokratische Wes- hierher zu kommen. Doch die bohrenden Blicke der
standen in der Nacht von mitzugehen. Gemeinsam zogen die beiden zum provozieren. Auf dem riesigen Tahrir-Platz müssten ten nicht voll und ganz auf die Seite des demokra- jungen Männer auf ihre langen Haare und ihre Jeans
Dienstag auf Mittwoch eine Tahrir-Platz. Dina Mohammed war begeistert. solche kleinen Eskalationen ständig entschärft wer- tischen Aufstandes stelle. Zu ängstlich fand sie die gingen ihr doch wahnsinnig auf die Nerven.
Million Menschen. Rockbands traten vor Panzer- »All diese Menschen, die aus allen Schichten kom- den, erklärte man ihr. Spitzel der Regierung und Appelle der Vereinigten Staaten an Mubarak, einen Am Tag, als sich Ägypten erhob, ging Basem
kanonen auf, Zivilisten trugen Soldaten durch die men, gemeinsam. Das ist Ägypten!«, rief sie und bezahlte Provokateure setzten alles daran, den fried- »ordentlichen Übergang« zu garantieren. Zu ha- Schoiab auf eine Beerdigung. Ein Freund des 36-
Menge, die Leute tanzten den Tag und die Nacht winkte allen zu. Im bleiernen ägyptischen Alltag lichen Protest zu radikalisieren, vor aller Welt zu ent- senfüßig die Warnung der Europäer, dass weder jährigen Universitätslektors wurde zu Grabe ge-
hindurch. Wie kam es zu diesem Aufstand, der der letzten Jahre hatten sich diese Menschen nie blößen und so kleinzukriegen. Gewalt noch Radikale herrschen dürften. »Die tragen. Lange war er krank gewesen, nun war der
Ägypten und die Welt verändert? Warum erheben getroffen. Da waren wütende Jugendliche aus den In diesen ersten Stunden auf dem Tahrir-Platz fürchten immer, dass, sobald Mubarak stürzt, die erwartete Tod eingetreten. In einem Vorort von
sich die Ägypter, von denen es immer hieß, sie Armenvierteln, die ohne Job und ohne Geld und veränderte sich Dina Omar Mohammed. Von ei- Islamisten das Ruder in die Hand nähmen«, sagte Kairo versammelten sich die Trauernden, während
seien politisch so träge wie der langsam dahinflie- ohne Zukunft aufgewachsen waren. Da waren die nem bürgerlichen Individuum wurde sie zu einem sie. »Die sollten mich mal anschauen!« Sie schüt- auf dem Tahrir das Volk aufstand. Basem sym-
ßende Nil? Am Dienstag hat ihr Herrscher zum Angestellten, Intellektuellen, Rechtsanwälte, Rich- Teil der Masse, von einer Medizindozentin zu ei- telte ihre langen schwarzen Haare. Ein Blick über pathisierte mit den Demonstranten wie Dina
Volk gesprochen. In einigen Monaten, noch vor ter, die meisten von ihnen unter 30. Gemeinsam ner Revolutionärin. Sie sah, wie die Polizei abzog den Tahrir-Platz sei doch wohl Beweis genug, dass Omar Mohammed, aber er dachte nicht daran,
der nächsten Wahl, will er abtreten. Aber warum forderten sie ein besseres, freieres Ägypten. und die Armee einmarschierte. Plötzlich standen die Tiefreligiösen und Islamisten hier in der Min- sich zu beteiligen. Massenaufmärsche waren seine
reicht das den Demonstranten nicht mehr? Panzer vor dem berühmten ägyptischen Museum. derheit seien. Sache nicht. Er wollte keine Revolution, sondern
Die Revolution hat viele Gesichter. Sie gehören Dina Mohammed und ihre Schwester Dahinter brannte die Parteizentrale der herrschen- eine geordnete Machtübergabe. Auf der Beerdi-
Männern und Frauen, Arbeitern und Akademi- lernen: Gegen Tränengas hilft Cola den Nationaldemokratischen Partei von Präsident Mit einem Stock in der Hand verteidigt gung verfolgte er keine Nachrichten. So erfuhr er
kern, Hungernden, Hoffenden und Radikalen. Sie Hosni Mubarak. Sie und ihre Schwester beschlos- Basem Schoiab seine Straße nicht, dass zu der Zeit, da das Grab seines Freun-
gehören Menschen wie der Ärztin Dina Omar Dina Omar Mohammed sah noch die Spuren des sen, erst wieder zu gehen, wenn Mubarak endlich des zugeschüttet wurde, sich die Gefängnisse öff-
Mohammed, dem Universitätslektor Basem Schoi- ersten großen Kampfes der Demonstranten mit der zurücktritt. Was dann kommen würde, wussten sie Bunt gemischt waren die Demonstranten an diesem neten. Die Gründe kannte niemand genau. Man-
ab, dem Muslim-Bruder Issam al-Erian und Ragab Staatspolizei. Als sich zum ersten Mal mehr als 50 000 nicht. Wer konnte es schon wissen? sonnigen Tag auf dem Tahrir-Platz schon. Doch Dina che sagen, die Polizei öffnete die Eisentore selbst
Mohammed, einem armen Straßenverkäufer. Menschen auf dem Tahrir versammelten, hatte die »Ich bin für einen Kandidaten, den ich noch Omar Mohammed und ihre Schwester, die beiden und zog sich zurück. Andere sprechen von Angrif-
Am Tag, an dem sich Ägypten erhob, schaute Polizei scharfes CS-Tränengas, Wasserwerfer, Gum- nicht kenne«, sagte Dina. Für den Geheimdienst- Frauen in engen Jeans und feinen Strickjacken, fielen fen der Bevölkerung auf die Gefängnisse, bis die
Dina Omar Mohammed Fernsehen. Bis tief in die mikugeln gegen die Demonstranten eingesetzt. chef Omar Suleiman, der am Tag zuvor vom dennoch auf. Auch wegen des Goldkettchens an Gitter aufgingen. Frei kamen alle, auch die Schwer-
Nacht sah sie die Bilder vom Tahrir-Platz. Am Hunderte von ihnen wurden verletzt, manche schwer. Staatsoberhaupt Mubarak zum Vizepräsidenten Dinas Hals. In den mondänen Straßen von Beirut ist kriminellen. Das sollte Basem Schoiab zu spüren
nächsten Morgen bat die 30-Jährige ihren Chef In den Krankenhäusern Kairos wurden die Blutkon- ernannt wurde? Nein, der konnte es nicht sein. »Er es normal, so auf die Straße zu gehen, keine Frau bekommen.
um Urlaub, kaufte sich ein Ticket und flog von serven knapp. Bisher waren fast 150 Menschen ge- mag geeignet sein, viele Ägypter achteten und mache sich darum Gedanken. In Ägypten schon. Als er über die Ringstraße nach Kairo fuhr, war
Beirut in ihre Heimatstadt Kairo. Dina Omar storben. Dina Mohammed sah, dass viele Demons- schätzten ihn.« Doch weil ihn jetzt Mubarak er- »Die Jungs dachten wegen meines goldenen Amuletts die Polizei verschwunden, die sonst an jeder Kreuzung
Mohammed ist Ärztin und lehrt Medizin in Bei- tranten Cola-Flaschen dabei hatten und Lappen, die nannte, habe er alle Glaubwürdigkeit verloren. und meines Ausschnitts, ich sei Christin«, sagte sie stand. Fort – wie aus den Gefängnissen. Wo sonst
rut. Seit vielen Jahren lebte die Frau aus Kairo mit Wasser getränkt waren. Gegen Tränengas. Man Der Herrscher hat seinen besten Mann verbrannt. und lachte. Die Leute interessierten sich für sie, Schutzpolizisten den Verkehr regelten, hatten Män-
nicht mehr in Ägypten. Sie hatte ein gutes, geord- erklärte ihr, dass sie – sollte es zu einem Einsatz kom- Und Mohammed ElBaradei, Friedensnobelpreis- wollten mit ihr reden, sie vor Kameras und Fotoappa-
netes Leben. Dann sah sie die Menschen endlich men – das Gas zunächst mit Cola vom Gesicht reiben träger und ehemaliger Direktor der Internationa- rate schieben. Sie wollten zeigen, dass diese Revolte Fortsetzung auf S. 4
4 3. Februar 2011 DIE ZEIT No 6 POLITIK

Protest auf
Englisch – für den
Westen (li.). Ein
Demonstrant küsst
in Kairo einen
Soldaten (re.)

Fortsetzung von S. 3
ner aus dem Volk das Winken übernommen. Es wohin. Seinem Sohn hatte er noch in letzter Sekun- schickte die drei jungen Männer zur großen De-
wurde dunkel. Armeepanzer standen auf den Haupt-
straßen und zentralen Kreuzungen. Schoiab wollte
eine Freundin nach Hause bringen, die mit auf der
Beerdigung war. Sie wohnte in einem besseren Viertel
im Vorort Heliopolis. Als sie von der Hauptstraße
de sein Mobiltelefon in die Hand gedrückt. »Wir
wissen nichts von ihm«, sagte Ibrahim al-Erian, der
26-jährige Sohn, jedem Anrufer.
Sein Vater saß in einer Zelle des Wadi-Natrun-
Gefängnisses, eines berüchtigten Zuchthauses für
monstration gegen den Pharao. Ragab Mohammed
setzte sich auf einen Plastikstuhl vor sein Geschäft
und wartete. Er ist ein Mann aus den Straßen von
Kairo, zerschlissene Arbeitskleidung, ein rot ge-
fleckter Turban auf dem Kopf, sonnengegerbte
»Wir sind besorgt«
abbogen, wurden sie an einem Checkpoint gestoppt. politische Gefangene und Schwerverbrecher zwischen Haut. Der 55-Jährige handelt mit Zement. Was er Der ehemalige Botschafter Shimon Stein über israelische Ängste,
Menschen in Zivil, die sich bei näherem Hinsehen als Kairo und Alexandria. Issam al-Erian hatte in dieser seinen »Laden« nennt, besteht aus einem großen
Nachbarn entpuppten, durchsuchten das Auto. Schnell Nacht wenig geschlafen, es war laut und unruhig in Haufen Zementsäcke und eben jenem Stuhl, von amerikanische Kehrtwenden und arabische Demokratie
durften sie weiterfahren. Als sie bei Basems Freundin den überfüllten Zellen. Plötzlich riss ein Häftling von dem er sich erst wieder wegbewegen wolle, wenn
angelangt waren, warnten die Nachbarn sie: »Unser außen die Zellentür auf. »Raus, schnell raus hier!« Al- seine Jungen zurück seien. Er sah sie weggehen,
Viertel wird angegriffen, von Verbrechern, von Plün- Erian fing an zu laufen, so schnell er konnte. Auf der durch die schmale Gasse. »Sie heißt Saad Zaghloul- DIE ZEIT: Herr Stein, in Ägypten erhebt sich schläge machen? Aber der Umsturz hätte ver-
derern!« Heliopolis war kein Einzelfall. Ganz Kairo Flucht begriff er langsam, was passiert war. Die Bevöl- Straße«, betonte er. Benannt nach dem großen Frei- das Volk gegen seinen Diktator – erfüllt Sie mieden werden können, wenn Mubarak etwas
wurde zur Bühne der Banditen. kerung aus den nahe gelegenen Dörfern hatte die heitskämpfer gegen die britische Kolonialherrschaft. das als Demokraten mit Freude? sensibler gewesen wäre. Er hat dreißig Jahre
Basem konnte nicht mehr nach Hause fahren. Er Gefängniswärter angegriffen – denn in diesem Gefäng- Heute geht es gegen einen ägyptischen Herrscher. Shimon Stein: Ja, ich bin für die Befreiung der lang regiert, er hat nicht mehr zugehört.
wurde sofort von der Bürgerwehr eingeteilt. Die Män- nis saßen neben Kriminellen zu viele politische Ge- Er sah, wie seine Jungen um die Ecke bogen und Völker. Aber wir beobachten schon mit Sorge, ZEIT: Wird die ägyptische Revolution in an-
ner eines jeden Hauses bauten den inneren Verteidi- fangene, zu viele Islamisten und Oppositionelle. Als den Weg zur großen Moschee am Giza-Platz nah- was in Ägypten geschieht. deren arabischen Ländern weitergehen?
gungsring auf. Da stand der Universitätsdozent plötz- die Häftlinge merkten, wie ihre Bewacher unter Druck men. Hier wollten sie ihr Freitagsgebet verrichten. ZEIT: Was fürchten Sie? Eine Machtübernah- Stein: Die Region ist in Unruhe. Gerade haben
lich mitten in der Nacht auf der Straße, einen Stock gerieten, wagten sie den Aufstand. Die Gefängnis- Erst danach sollte die Demonstration beginnen. me der islamistischen Muslimbruderschaft? wir erfahren, dass der jordanische König sei-
in der Hand, wartend auf die Plünderer. Einige Nach- wärter flüchteten. Polizeiwagen gingen in Flammen Ragab Mohammed ist kein Mann, der seine Stein: Wir alle hoffen, dass am Ende die säku- nen Ministerpräsidenten entlassen hat. Auch
barn waren für die Waffen zuständig – Latten, Knüp- auf. Die Dorfbevölkerung und die Häftlinge öffneten Söhne blind und rücksichtslos in die Schlacht laren, demokratischen Kräfte in Ägypten die der syrische Präsident signalisiert, dass er man-
pel, wenige Pistolen, Flaschen, mit Sprit gefüllt. Sie die Zellen. Issam al-Erian war frei. schickt. Er hat in seinem Leben viele Zementsäcke Oberhand gewinnen werden. Aber man kann che Probleme in seinem Land sieht. Und Sau-
errichteten Straßensperren, parkten Autos quer auf geschleppt, um aus seinen Jungs ordentliche Leute nicht ausschließen, dass die Muslimbruder- di-Arabien verfolgt mit Sorge die Ereignisse.
der Fahrbahn. Straße für Straße wurde so gesichert. zu machen. Sein ganzes Geld hat er in ihre Ausbil- schaft nach einer turbulenten Übergangspha- ZEIT: Inoffiziell heißt es in Israel, der Westen
Zwischen den Sperren liefen Boten hin und her. Man dung gesteckt. Alle drei Söhne haben die Fachhoch- se an die Macht kommt. Momentan ist das habe Mubarak fallen gelassen, und daraus
erkannte sich an den weißen Armbinden. Revolutionslyrik schule besucht. Der älteste ist Verwaltungsfach- neben der Armee die einzige organisierte poli- müsse Israel seine Schlüsse ziehen.
Wo der Feind herkam, blieb unklar. Aus den Ge- mann, die beiden jüngeren haben Hotelwesen stu- tische Kraft in Ägypten, ganz im Gegensatz Stein: Nicht nur Israel ist überrascht, wie
fängnissen, aus den Slums der Vorstädte – oder aus Von Tunis bis Alexandria rezitieren diert. »Ich bin ein einfacher Mann, aber das habe zur säkularen Opposition. Ob das der Fall schnell die USA nach 30 Jahren strategischer
den Armenvierteln nebenan. Dort hatte der Mob die Demonstranten in diesen Tagen immer ich geschafft, das haben wir geschafft«, sagte er. sein wird, könnte unter Umständen auch von Partnerschaft bereit waren, Mubarak loszuwer-
Polizei vertrieben und Dutzende Polizeiwagen in Brand wieder ein Gedicht: »An die Tyrannen Stolz und wütend. Was half das teure Studium? Seit der ägyptischen Armee abhängen. Sollten die den. Das ist für die ganze Region eine Lektion.
gesteckt. Die Angreifer trugen Knüppel, Messer und der Welt«, aus dem Jahr 1933. Es stammt Langem sind seine Söhne fertig damit, aber sie fin- Islamisten aber an die Macht kommen, muss Die Golf-Staaten werden sich fragen, wie zu-
Pistolen bei sich. Basem Schoiab lauschte angespannt vom tunesischen Dichter Abu al-Qasim den keine Arbeit. Ragab Mohammed fühlt sich be- man sich große Sorgen machen. Die antijü- verlässig die USA sind.
den Schüssen, den Schreien am Rand des Stadtviertels. al-Shabi (1909 bis 1934), der mit seiner trogen. Betrogen um die Zukunft seiner Söhne und dische, antiisraelische, antiwestliche Welt- ZEIT: Heißt das, Israel kann sich auf nieman-
Diese Plünderer sind nicht die dunkle Seite des Auf- Begeisterung für die Dichtung des frühen auch um die eigene: »Ich hatte natürlich gehofft, anschauung der Muslimbruderschaft ist be- den verlassen?
stands, sondern wohl die Rache des Regimes. Dieses 20. Jahrhunderts zu den Protagonisten der dass sie gute Arbeit finden und ich mich dann end- drohlich. Was wird dann aus dem Friedens- Stein: So weit sind wir nicht. Unsere Bezie-
Chaos schien gewollt zu sein. arabischen Moderne gehörte. lich ausruhen kann.« Nun schleppt er weiter Säcke, vertrag zwischen Ägypten und Israel? hungen zu Amerika sind sehr stabil, über
Beim Morgengrauen ließ das Schießen nach. und seine Söhne mit Diplom schleppen auch. Sie ZEIT: Was glauben Sie? Jahre gewachsen, und ich bin sehr glücklich,
Basem Schoiab hatte Glück. Die äußere Verteidi- erarbeiten nicht einmal genug Geld, damit seine Stein: Es ist viel zu früh, eine dass wir Amerika als Verbün-
gungslinie hielt, die Banditen flüchteten, als es hell An die Tyrannen der Welt einzige Tochter heiraten kann. »Wenn es denn allen Prognose zu wagen. Ich kann S H I M O N S T E I N deten haben. Aber letztlich
wurde. Er sank auf einer Kiste zusammen. Aus den Ihr ungerechten Tyrannen Ägyptern so ginge, wäre es wohl leichter zu ertra- nur eines mit Sicherheit sagen: dürfen wir nicht vergessen,
Häusern wurden Tee und Fladenbrot gebracht. Ihr Liebhaber der Dunkelheit gen«, sagt Mohammed. Doch die Kommilitonen Es sieht so aus, als sei die Ära dass Interessen sich verändern
»Was ist das für ein Regime, das uns Sicherheit statt Ihr Feinde des Lebens seiner Söhne aus wohlhabenden, einflussreichen Mubarak zu Ende. Was nach können.
Demokratie verspricht«, fragte er, »und dann im Ihr habt die Wunden Unschuldiger Familien fanden natürlich sofort nach dem Studi- ihm kommt, ist völlig unklar. ZEIT: Sich verraten zu fühlen
Ernstfall die Polizei abzieht?« Wie konnte das pas- verspottet, eure Hände um Arbeit. »Die Reichen herrschen und greifen sich Aber vor einem warne ich: ist aber noch keine Politik.
sieren? Alles wirkte wie Absicht. Die demokratische Sind bedeckt mit ihrem Blut alles.« Es war höchste Zeit, dass sich etwas änderte. Diese Region hat keine demo- Stein: Wir müssen alles tun,
Bewegung sollte diskreditiert werden, Mubarak Ihr gingt weiter, während ihr den Zauber Egal wie. kratische Tradition. Wenn um unsere Interessen wahr-
und die Polizei sollte als unentbehrlich dastehen. des Lebens entstelltet Kurze Zeit später hörte Ragab Mohammed den man glaubt, wie manche Eu- zunehmen. Klar, Sicherheit
Da war sie wieder, die uralte Begründung der Dik- Und die Saat der Traurigkeit auf Ruf der Muezzine. Ihr vielstimmiges Dröhnen klang ropäer in ihrer Naivität, freie spielt dabei eine wichtige Rol-
tatur: »Wir oder das Chaos!« Plötzlich glaubte ihrem Land sätet an diesem Tag aufwühlend, aufmunternd, fast kämp- Wahlen seien schon Demo- war von 2001 bis 2007 le, aber das kann nicht bedeu-
Schoiab nicht mehr an die alten Weisheiten. Aber wartet! Lasst euch nicht vom Frühling, ferisch. Aber vielleicht war das auch nur Einbildung. kratie, dann täuschen sie sich. israelischer Botschafter ten, dass sich Israel mit dem
In der nächsten Nacht schloss sich Basem Schoiab des Himmels Klarheit oder dem Als der Gebetsruf verhallte, trat erst Stille ein. Dann Demokratie ist viel mehr, De- in Deutschland Status quo abfindet. Israel muss
der Bürgerwehr in seinem Wohnviertel an. Oben in Glanz des Morgenlichts täuschen drang vom Giza-Platz Geschrei herüber. Kurz danach mokratie ist Erziehung, und die Initiative ergreifen, ein kal-
der Wohnung wartete seine Familie die Nacht hin- Denn die Dunkelheit, das Donnergrollen liefen die ersten Demonstranten mit verquollenen das ist ein Prozess, der sehr kuliertes Risiko eingehen.
durch und reichte Essen herunter. Unten stand er mit und der Wind kommen vom Horizont Augen durch die Gasse, sie suchten Schutz vor den lange braucht. ZEIT: Und was tun?
seinem Stock und mit den Männern. Und während direkt auf euch zu Schlagstöcken der Polizei und dem sich rasch aus- ZEIT: Heißt das, Sie sprechen den arabischen Stein: Wir sollten versuchen, Gespräche mit
er Wache hielt, dachte er nach. Noch vor wenigen Hütet euch! Unter der Asche brennt breitenden Tränengas. Sie suchten Wasser zum Augen- Völkern die Fähigkeit zur Demokratie ab? Syrien aufzunehmen, es gibt auf syrischer Seite
Tagen wollte er nicht an den Demonstrationen teil- ein Feuer spülen und Schutz, um sich kurz auszuruhen, dann Stein: Im Gegenteil, aber es wird sehr lange durchaus die Bereitschaft zu einem Frieden mit
nehmen. Wollte eine geordnete Machtübergabe. Doch Wer Dornen züchtet, wird Wunden ernten zogen sie wieder los. »Ich habe keine Angst um meine dauern, bis sich eine demokratische Tradition Israel. Das werden wir prüfen müssen. Und wir
wo war die Ordnung geblieben? »Vor einer Woche Ihr habt Menschen enthauptet, und die Söhne«, wiederholte Ragab Mohammed immer wie- in der arabischen Welt entwickeln wird. müssen endlich mit unseren palästinensischen
hätte Mubarak noch Reformen durchführen können. Blumen der Hoffnung der. Auch wenn es das erste Mal war, dass sie zu einer ZEIT: Deshalb hat Israel seine Sicherheit an Partnern vorankommen. Ich plädiere für eine
Jetzt will er bei den Wahlen nicht mehr antreten«, Ihr habt den nährenden Sand mit Blut und Demonstration gingen. Seine Familie hatte sich wie die Stabilität eines autoritären Regimes in Wiederaufnahme der direkten Gespräche.
sagte er. »Aber das reicht nicht. Er will uns alle ver- Tränen getränkt die meisten Ägypter nie für Politik interessiert. Wahlen Ägypten geknüpft? ZEIT: Wird Israel auf die neuen Kräfte in
höhnen.« Konnte sich Basem Schoiab noch heraus- bis er davon vollgesogen war waren eine Farce, natürlich, das war in Ägypten ganz Stein: Es ist einfach eine Tatsache: In dieser Ägypten zugehen?
halten? Hatte er nicht längst seine Sicherheit, sein Der Strom des Blutes wird euch normal. Die Herrschaft war von oben gegeben, unten Region gibt es nur eine einzige Demokratie, Stein: Dazu wären wir gern bereit. Auch unter
Schicksal in die eigene Hand genommen? Noch am fortschwemmen und ein feuriger Sturm versuchte Ragab Mohammed seine Familie durch- und das ist Israel. Deshalb hatten wir in den Mubarak waren wir ja nicht in jeder Frage ei-
selben Abend übernachtete er auf dem Tahrir-Platz. wird euch verbrennen zubringen. Er war einer von achtzig Millionen Ägyp- vergangenen Jahrzehnten im Nahen Osten ner Meinung. Der Frieden war von enormer
Am nächsten Tag rief er mit Millionen Ägyptern tern, von denen das Regime und die Welt dachten, sie ausschließlich mit autoritären Regimen zu strategischer Bedeutung für uns, aber es war
Mubarak zum Rücktritt auf, auf der bisher größten würden ewig stillhalten. Das war gestern. tun. Und die haben für eine gewisse Stabilität alles andere als ein warmer Frieden. Es gab
Demonstration gegen das alte Regime. Zurück in Kairo, sah er als Erstes seine Familie, Ragab Mohammed stand von seinem Plastik- gesorgt. Präsident Mubarak ist dem Friedens- kaum Kontakte mit der Zivilgesellschaft, alle
Fotos: Khaled Desouki/AFP/Getty Images; Mohammed Abed/AFP/Getty Images (r.); Herlinde Koelbl für DZ (u.)

Am Tag, an dem sich Ägypten erhob, wurde Is- seinen Sohn. Er nahm sein Mobiltelefon an sich stuhl auf. Er selbst hätte nie gedacht, dass die Macht vertrag mit Israel, den er übernommen hat, haben uns boykottiert, ich hoffe, dass sich das
sam al-Erian verhaftet. Für das Vorstandsmitglied und stürzte sich in die Arbeit. Der Präsident hatte des Herrschers einmal wanken würde. »Wenn wir treu geblieben. Dieser Friedensvertrag hat ändern wird, ich bin da aber eher skeptisch.
der Muslim-Brüder war das nichts Neues. Er saß in einen Vizepräsidenten und ein neues Kabinett er- jetzt nicht die Chance ergreifen, sind wir bis ans enorme strategische Bedeutung für uns, er hat ZEIT: Was erwarten Sie jetzt von den Europä-
den vergangenen zehn Jahren immer dann im Ge- nannt. Das Militär aber erklärte die Proteste für le- Ende unserer Tage verloren«, sagte er. Seine Söhne uns militärisch entlastet, die ägyptische Front ern und den Vereinigten Staaten?
fängnis, wenn es der Regierung gefiel. Vorzugsweise gitim. Schien hier das Ende des Regimes, die Chan- hatten sich längst der größten aller Demonstratio- war ruhig. Im Laufe der vergangenen Jahre Stein: Ich glaube, die Europäer müssen sich
bei Wahlen, bei Kundgebungen, beim Brotaufstand ce für eine friedliche Revolution auf? Al-Erian setzte nen angeschlossen. Dem Millionen-Protest auf dem haben wir auch gemeinsame Interessen ent- sehr kritisch fragen, was sie mit ihrer Nahost-
vor drei Jahren, bei ausländischen Staatsbesuchen. sich hin mit den Parteifreunden der Muslim-Brü- Tahrir-Platz. Dort versammelten sie sich mit der wickelt, Ägypten hat den Waffenschmuggel und Mittelmeerpolitik erreicht haben. Europa
Immer dann, wenn das Regime sichergehen wollte, der. Was sollte man tun? Auf keinen Fall nun isla- langhaarigen Dina Omar Mohammed und den der Hamas, die es als Bedrohung sieht, im kann nicht einfach zur Tagesordnung überge-
dass die Islamisten keinen Ärger machen. Al-Erian, mistische Transparente enthüllen und der Angst- bärtigen Muslim-Brüdern, mit Basem Schoiab und Gaza-Streifen bekämpft, nicht genug, aber hen. Erklärungen über Demokratie reichen
Arzt, ein hagerer Typ mit Brille und kurz geschore- propaganda des Regimes recht geben. Pläne ent- den säkularen Politikern um Mohammed ElBara- immerhin. Ägypten hat den gemäßigten Pa- nicht aus. Die EU und die USA sollen einen
nem Bart, ist ein ruhiger, maßvoller Mann. Seine werfen, ja, für die Zeit danach. Aber was sind Pläne dei. Mit dem ägyptischen Volk. lästinenser-Präsidenten Abbas unterstützt und kritischen und gleichzeitig konstruktiven Dia-
diplomatische Art hat ihn zu einer der wichtigen wert, wenn nichts vorhersehbar ist? Die Muslim- Mit jedem Tag des Protests, mit jeder weiteren De- versucht, zwischen ihm und uns zu vermit- log mit den Regimen der Region führen. Nie-
Stimmen der Muslim-Brüder gemacht. Und zu ei- Brüder waren von der gleichen Verwirrung erfasst monstration verlängert sich die Liste ihrer Forderun- teln. Und nicht zuletzt war Ägypten unter mand sollte von außen auf einen Regime-
nem Vermittler. Am Vorabend seiner Verhaftung wie das Regime, wie die Ägypter, wie die Welt. Wo- gen. Ragab Mohammed wollte am ersten Tag, an dem Mubarak ein entschiedener Gegner Irans. wechsel drängen, das ist die Entscheidung des
noch hatte er sich mit Mohammed ElBaradei ge- hin geht diese elementare Volksbewegung? Wieder sich Ägypten erhob, nur anständige Jobs für seine ZEIT: Den Preis dafür zahlten die Ägypter. jeweiligen Volkes. Ein stabiler Naher Osten ist
troffen. Während westliche Regierungen vor »Radi- sprach Al-Erian mit Mohammed ElBaradei und Söhne und eine Senkung der Lebensmittelpreise. Doch Stein: Ja, das Regime in Ägypten hat den legi- im Interesse aller, und daher müssen wir alles
kalen und Islamisten« in Ägypten warnten, sprach dessen Mitstreitern. Er ging auf den Tahrir-Platz, während er auf dem Stuhl saß und die Schreie und timen Wunsch der Bevölkerung nach Freiheit dafür tun, dass Ägypten stabil bleibt.
der durch und durch säkulare Friedensnobelpreis- auf immer neue Sitzungen, er schlief nicht mehr, Explosionen von den großen Plätzen der Stadt zu ihm und Wohlstand unterdrückt, aber in der Re- ZEIT: Also notfalls auch den Aufstand nieder-
träger mit den gemäßigten Islamisten: über Wege, sein Hals wurde dick, seine Nase schwoll an, seine herüberschallten, kam er zu dem Schluss, dass wohl gion hat es für Stabilität gesorgt – für eine schlagen? Oder eine Machtergreifung der
das eiserne Regime zu lockern, über einen friedli- Kehle wurde heiser. Am Tag, als in Kairo eine Mil- auch eine neue Regierung fällig sei. Dass der Pharao Scheinstabilität, wie wir jetzt sehen. Muslim-Brüder mit Gewalt verhindern?
chen Abgang des Präsidenten, über eine demokrati- lion Menschen auf die Straße drängten, hatte Issam gehen müsse. Dass endlich das Volk an die Macht ZEIT: Gab es in Israel nie die Frage: Wie lange Stein: Man kann nur hoffen, dass die Ereig-
sche Zukunft für das Heimatland. Darüber redeten al-Erian seine Stimme verloren. Issam al-Erian kommen müsse. So saß er auf seinem Plastikstuhl und kann das gut gehen? nisse so weit wie möglich friedlich abgeschlos-
Mohammed ElBaradei und Issam al-Erian. schwamm einfach stumm mit im großen Strom wartete und hoffte, dass Ägypten am nächsten Morgen Stein: Ich fürchte nicht. Hätten wir gründlich sen werden.
Am nächsten Morgen bekamen beide Besuch von Millionen Ägyptern. nicht mehr so sein würde wie gestern. die langfristigen Ursachen für künftige Unru-
von der Polizei. ElBaradei wurde unter Hausarrest Am Tag, an dem sich Ägypten erhob, sagte Ra- hen analysiert, dann hätten wir eigentlich da- Die Fragen stellte HEINRICH WEFING
gestellt, al-Erian in einem vergitterten Polizeibus gab Mohammed zu seinen drei Söhnen: »Geht! Die Revolte in Ägypten: Aktuelle Informationen auf rauf kommen können. Aber was hätten wir
abtransportiert. Er verschwand. Niemand wusste, Zeit ist gekommen. Wir müssen uns wehren!« Er ZEIT ONLINE: www.zeit.de/aegypten tun sollen? Uns einmischen? Mubarak Vor- Siehe auch Wochenschau, Seite 18
POLITIK 3. Februar 2011 DIE ZEIT No 6 5

Revolution offline Allein


Die Umstürze brauchen kein Internet –
gelassen
Die Exil-Ägypter in Deutschland sind
es kann die Demonstranten sogar gefährden VON EVGENY MOZOROV
wütend auf die Bundesregierung

ie wichtig ist das Internet, um Dikta- munikationsgesellschaft des Landes teilweise über- Mohamed Sameh El Nakoury ist in Alexandria ge-

W turen zu stürzen? Aus der Revolution


in Tunesien könnte man schließen,
das Netz werde in Ägypten zu einem
ähnlichen Erfolg führen, schließlich organisieren
sich auch die jungen Ägypter über soziale Medien
nommen, um die Kontrolle über Festnetz, Handy
und Internet zu sichern. Vermutlich werden andere
Diktatoren, Tunesien und Ägypten vor Augen, die
iranischen Erfahrungen beherzigen.
Die Entwicklungen in Ägypten und Tunesien
boren, lebt in Berlin, ist mittlerweile Rentner und
leitet die Gesellschaft für deutsch-ägyptische
Freundschaft, einen lockeren Zusammenschluss
von 40 ägyptischen Familien. Was El Nakoury zu
sagen hat, klingt allerdings nicht so freundschaft-
wie Twitter und Facebook. stimmen auf den ersten Blick optimistisch, was die lich. »Seit 30 Jahren stinkt es in Ägypten, und
Als Hosni Mubarak am Freitag vergangener Macht des Internets angeht. Doch das Netz nützt Deutschland hat sich einfach die Nase zugehalten.«
Woche Ägypten vom Internet und Mobilfunknetz dem Unterdrücker ebenso wie dem Unterdrück- Und jetzt, wo sich das ägyptische Volk selbst ans
abschnitt, beeilten sich Google und Twitter, ihren ten. Es kann die revolutionären Gefühle hervor- Ausmisten mache, zeige die deutsche Regierung,
ägyptischen Nutzern zu helfen. Sie richteten einen ragend anfeuern – und diejenigen aufspüren, die dass sie gar kein Interesse daran habe, dass der
Service ein, mit dem Ägypter Tweets über ihr nor- für eine Revolution kämpfen. Es kann Propaganda Dreck beseitigt werde. El Nakoury ist enttäuscht
males Telefon versenden konnten. Da die anderen im Blitztempo verbreiten – und die Lügen der Re- von dem Land, das seit mehr als 30 Jahren sein
Ägypter diese Tweets nicht lesen konnten, war der gierung entlarven. Es kann die Überwachung Zuhause ist. Ein Land, das er für seine demokrati-
Beitrag dieses Angebots vermutlich begrenzt. Aber durch die Regierung verstärken – und den Men- schen Werte achtet und das er für seine friedliche
er war sehr medienwirksam für die beiden Tech- schen helfen, sich ihr zu entziehen. Revolution von 1989 bewundert. »Wir fühlen uns
nologiegiganten – wer wird schon nicht gern als Um Revolten zu unterdrücken, ließen Auto- allein gelassen«, sagt El Nakoury.
Dienstleister der Revolution gesehen? kraten in der Vergangenheit die Telefonverbindun- Dieser Satz ist in diesen Tagen oft zu hören, wenn
Nur wenigen fiel auf, dass die fehlende Online- gen kappen, nicht jedoch den Rundfunk. Sie be- man mit Ägyptern, die in Deutschland leben, über
kommunikation die ägyptische Protestbewegung nutzten das Radio, um das Volk mit Propaganda die Ereignisse in ihrer Heimat spricht. Die meisten
kaum geschwächt hat: Auch ohne Twitter und einzulullen. Das Internet jedoch spielt die Rolle haben dort Verwandte, Eltern und Geschwister, so
SMS gab es viele und gut organisierte Demons- von Telefon und Radio zugleich; es hat viele Funk- wie Sarwat Ramadan, der sich im Verein Das ägyp-
tranten. Wären sie mit digitaler Technik noch tionen, wobei einige an bestimmten Punkten der tische Haus engagiert. Seine Schwester lebt in Al
stärker gewesen? Vielleicht. Aber entscheidend war politischen Entwicklung deutlicher sind als andere. Mansura, 120 Kilometer nördlich von Kairo. Auch
die Technik offensichtlich nicht. Jedenfalls nicht Es ist also durchaus logisch, wenn Despoten wie dort ist der Protest angekommen, und seine Schwes-
so sehr, dass man wieder einmal von einer »Twit- Hosni Mubarak diese Plattform in aufrührerischen ter hat sich ihm angeschlossen. »Sie ist 62 Jahre alt,
ter-Revolution« sprechen könnte. Zeiten schließen, sie in Zeiten relativer Stabilität und es ist die erste Demonstration in ihrem Leben.
Angesichts der zunehmenden Proteste in der aber für sich nutzen möchten. Wer glaubt, dass Eigentlich sind wir keine Revolutionäre«, sagt Rama-
arabischen Welt war viel von der demokratisieren- Autokraten dem Web nichts abgewinnen können, dan. Er klingt, als könne er immer noch nicht ganz
den Kraft des Internets die Rede. Doch die Cheer- hat eine naive Sicht auf moderne Diktaturen. fassen, dass seine Schwester jetzt tatsächlich auf die
leader der Befreiungstechnologie übersehen nur zu Vermutlich werden bestimmte Formen von Netz- Straße geht und demonstriert. Es ist eine schöne
gern, dass sie in der Hand eines diktatorischen politik in repressiven Gesellschaften zu längeren und Fassungslosigkeit, die da aus ihm spricht. Sie wird zu
Regimes auch zu einem Werkzeug der Repression häufigeren Phasen der Stabilität führen. Die Geheim- einer traurigen Fassungslosigkeit, wenn er von der
werden kann. Über Facebook und Twitter werden polizei kann mehr über die Gegner des Staates erfah- Haltung Deutschlands, ja überhaupt des Westens
Proteste und Menschenrechtsverletzungen bekannt ren, wenn sie sich ihre Profile – und die ihrer Freun- erzählt. Die Worte, die Hillary Clinton unmittelbar
gemacht, doch nach einer gescheiterten Revolte de – in sozialen Netzwerken ansieht. Die Ideologen nach Beginn der Proteste in Kairo wählte – »Ägypten
können auf diesem Wege die Dissidenten ausfin- der Regierung können ihre Legitimität durch neue ist stabil« –, wird Ramadan nicht vergessen. »Ich kann
dig gemacht werden. Medienpropaganda künstlich steigern; sie können nicht verstehen, warum der Westen zögert, die Men-
In Iran wurden am 24. Januar zwei Aktivisten soziale Netzwerke unterwandern und sich dort als schen in Ägypten zu unterstützen. Sie wollen doch
gehängt, weil sie Videos von der »Twitterrevolu- »Stimme des Volkes« inszenieren. Außerdem: Junge nur Freiheit.«
tion« 2009 im Internet verbreitet hatten. Eine in Menschen nutzen das Netz nicht nur für Politik. Die Haltung Deutschlands, die zurückhalten-
Kairo verbreitete 26-seitige Broschüre mit Tipps Durch Onlineshopping und Unterhaltung im Netz, den Worte der Kanzlerin, Atef Botros findet sie
für Aktionen fordert ihre Leser eindringlich auf, sie das neue i-Opium des Volkes, kann es sogar von der »beschämend«. Deshalb hat er bei Facebook die
lieber als Fotokopie oder per E-Mail zu verbreiten Politik abgelenkt werden. Gruppe Egyptian German Network for Changing
als über die sozialen Medien, da diese von der Si- Nichts von alldem erhöht die Aussicht auf eine Egypt, ein deutsch-ägyptisches Netzwerk für den
cherheitspolizei bespitzelt werden könnten. Revolution gegen ein bestimmtes Regime. Dafür Wandel in Ägypten, gegründet und dort zu einer
Schon immer waren revolutionäre Bewegungen gibt es viele Offlinefaktoren, die die Wahrschein- Kundgebung in Berlin eingeladen. Mehr als 200
und neueste Kommunikationstechnik symbiotisch lichkeit vergrößern. Es wäre absurd, wollte man so Menschen sind am vergangenen Sonntag seinem
verbunden. Lenin pries die Möglichkeiten von Te- tun, als könnten Probleme wie Arbeitslosigkeit Aufruf gefolgt, haben vor der ägyptischen Bot-
legrafen und Post, und die iranische Revolution 1979 oder Korruption durch das Internet verschwinden. schaft Kerzen und Fotos von den Demonstratio-
hat dem Kassettenrecorder sehr viel zu verdanken. Tatkräftige Autokraten jedoch, die ihre Macht ver- nen in Kairo aufgestellt. »Mit der Kundgebung
Damit hatte Ajatollah Chomeini Predigten in Paris mehren, während sie ihre Scheinkriege gegen Kor- wollten wir an die deutsche Regierung appellieren,
aufgenommen und dann in das Schah-Regime in Iran ruption über das Internet bekannt machen, haben sich endlich auf die Seite des ägyptischen Volkes
geschmuggelt. Es ist deshalb nur natürlich, dass die gute Überlebenschancen – und sie werden Mittel zu stellen.« Botros, in Kairo geboren, Literaturwis-
Foto (Ausschnitt): ABACA PRESS/action press

neuesten Protestbewegungen im Nahen Osten auf finden, das Internet zu ihrem Vorteil zu nutzen. senschaftler und Dozent an der Universität Mar-
Facebook und Twitter vertrauen: Diese Foren sind Verliert man diesen entscheidenden Punkt aus den burg, versucht in Deutschland, für seine Lands-
billig und schnell. Augen, so entlässt man diejenigen zu schnell aus leute zu kämpfen, wenn auch mit bescheidenen
Die Lektion für Tyrannen ist einfach: Sie können der Verantwortung, die den Fortbestand dieser Mitteln. So organisiert er nun eine Mahnwache
Quelle Internet:
den digital verstärkten Aufruhr nur dann eindämmen, Regime sichern helfen: an erster Stelle die west- vor dem Auswärtigen Amt. Auf Botros’ Facebook-
Tunesier informieren
wenn sie die gesamte Telekommunikation im Land lichen Unternehmen, die sie mit Zensur- und Seite hat ein Mann aus Alexandria über ein Ge-
sich, wo Proteste
kontrollieren und zentralisieren. Ohne einen Not- Überwachungssoftware versorgen. spräch mit einem Demonstranten geschrieben, der
stattfinden. Doch so
Schalter, der das digitale Netzwerk in Krisenzeiten seinen Sohn bei den Protesten verloren und gesagt
können Dissidenten
komplett lahmlegt, geht es nicht. Das passiert derzeit Evgeny Mozorov ist Blogger und Autor des Buchs »The hat, er sei bereit, auch seine anderen zwei Söhne
aufgespürt werden
in Ägypten. Aber auch in Iran haben die Revolutions- Net Delusion: The Dark Side of Internet Freedom« herzugeben, um Mubarak loszuwerden. »Diese
wächter wenige Monate nach den angefochtenen Menschen«, sagt Botros, »haben Deutschlands
Wahlen von 2009 die Herrschaft über die Telekom- Aus dem Englischen von ELISABETH THIELICKE Unterstützung verdient.« DAGMAR ROSENFELD

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6 3. Februar 2011 DIE ZEIT No 6 POLITIK PROTESTE GEGEN DIE REGIERUNG
3. Februar 2011 DIE ZEIT No 6 7

SPANIEN

Algier
Tunis
TÜRKEI ZEIT-Grafik
500 km
25 Dollar für eine
Wer wankt, wer stürzt?
Von Tunis bis Amman: In immer mehr Ländern gehen die Menschen auf die Straße. Politiker in Washington,
Rabat

MAROKKO
Sidi Bouzid
TUNESIEN
Tripolis Alexandria
LIBANON
ISRAEL
Amman
SYRIEN
Damaskus Bagdad

IRAK
IRAN
Kalaschnikow
JORDANIEN Im Jemen hat eine junge Elite ihren Herrscher satt. Sie protestiert
Brüssel und Jerusalem wissen nicht, wie sie reagieren sollen. Protokoll einer dramatischen Woche Kairo Sues
ohne Gewalt – aber wie lange noch? VON FRANZISKA AUGSTEIN
KUWAIT
ALGERIEN
WEST- LIBYEN
+ + + Washington + + + Hohe Polizeioffiziere murren, dass ihnen die Armee in die alte Tagesordnung für diese Regierungskonsultatio- S seine Macht vergeht. So hofft er, sie noch eine
der Schlussphase des alten Regimes die Macht entrissen nen: Jugendaustausch, Forschungszusammenarbeit und SAHARA SAUDI- ine Woche ist es her, dass in der Weile zu erhalten.

E
ÄGYPTEN Riad
Seit Montag ist er in geheimer Mission in Kairo, doch habe – doch sie hätten den Widerstand nicht aufgegeben. eine »Vereinbarung zur deutsch-israelischen Dialogplatt- ARABIEN Hauptstadt von Jemen Zigtausende Die Frage wurde von den Diplomaten auch des-
tatsächlich weiß jeder um den Auftrag von Frank Wis- Am Montagnachmittag versammelten sich Hunderte form Elektromobilität«. Just zu diesem Zeitpunkt spielen Demonstranten auf die Straße gin- halb gestellt, weil Hamid al-Ahmars Privathaus
ner, amerikanischer Spitzendiplomat und ehemals aufgebrachte Polizisten im Innenministeriums, um gegen sich in Ägyptens Städten Szenen wie im Herbst 1989 in VEREINIGTE gen, darunter viele Studenten: Sanaas »eine Festung mit Wachtürmen« ist. »Ich möchte
Botschafter in Ägypten: Er soll dem Diktator beim die Aufklärung der Polizeimorde in den vergangenen Leipzig oder Ost-Berlin ab. Schon diese positive Analo- ARABISCHE junge Elite demonstrierte. Deren Vä- nicht wissen«, sagte einer der Diplomaten, »was in
Kofferpacken helfen, soll Hosni Mubarak überzeugen, Wochen zu protestieren. gie bringt viele Israelis auf. Demokratie in der arabischen MAURETANIEN ter hätten es nicht hingenommen, wenn ihre den Kellern an Waffen lagert. Wenn Hamid al-
sein Amt niederzulegen und für einen geordneten Und die Einsatzpolizei BOP prügelt weiter, vor allem Welt? Das kann nur mit offener anti-israelischer Stim- EMIRATE OMAN Kinder von bewaffneten Staatskräften bedrängt Ahmar Ärger sucht, dann brennt halb Sanaa.«
MALI
Machtwechsel zu sorgen. Möglichst bis Freitag. Denn gegen Demonstranten aus den ländlichen Gebieten und
dann läuft das Ultimatum ab, dass das ägyptische gegen die junge Intelligenz. Beide wollen die restlose
Volk seinem Herrscher gegeben hat. Nach Tagen der Entmachtung der alten Elite, deren Instrument die Ein-
mungsmache einhergehen, mit Islamisten in Regierungs-
ämtern (siehe Interview Seite 4).
Merkel klingt in Jerusalem und Tel Aviv wie eine
Nouakchott
A F R I K A worden wären. Auch deshalb ging der Tag fried- Aber nein, habe Hamid al-Ahmar den Anwe-
lich vonstatten. Aber Hunderttausende einfache senden versichert: Er wolle kein zweites Tunesien.
Bewohner von Sanaa blieben den Straßen fern. Wenn er sich nun aber ohne Zugeständnisse von
Schockstarre und des Lavierens aus dem Weißen Haus heitspartei RCD war. Die ist mit dem Diktator nicht politische Therapeutin, die ihre Gegenüber sanft aus Hadramaut Das hat seine Gründe. Saleh vor den Wahlen im kommenden April
und dem State Department hat die Obama-Regierung verschwunden. In allen Institutionen des Landes halten der Realitätsverweigerung zu schütteln versucht. Ja, SENEGAL Sanaa Nachmittags nimmt der Verkehr in der konziliant gäbe, dann würden seine Anhänger
zwar keine Strategie für diesen revolutionären Januar RCD-Funktionäre an ihren Amtssesseln fest, vernichten mit den arabischen Autokraten wanken auch die bere- NIGER TSCHAD SUDAN Hauptstadt deutlich ab. Auch jene, die dann ihm nicht mehr glauben. Dann seien sie auch für
ERITREA JEMEN
in der arabischen Welt parat, aber sie hat das größte belastende Dokumente und greifen nach den vom Ben- chenbaren Partner für die Israelis. Aber wir können es noch arbeiten müssen, stopfen sich die Blätter ihn und seine Partei nicht mehr kontrollierbar.
Übel erkannt: Mubaraks Festhalten an der Macht. Ali-Clan verlassenen Pfründen. Waren Staatsfernsehen nicht ändern, sagt Merkel immer wieder, wir haben BURKINA des Kat-Strauches in den Mund. Die Männer – Das beruhigte die Europäer ein wenig.
Doch der lässt sich vorerst nur so viel abringen: Bei und Zeitungen in den ersten Tagen nach dem Sturz Ben keine Kontrolle über die Lage. Und sie spricht von den FASO Aden die meisten Frauen bleiben zu Hause – laufen Was sich nach dem Gespräch mit den EU-
GUINEA
der nächsten Präsidentschaftswahl im September Alis auf einmal interessant geworden, verbreiten sie nun »legitimen Beschwernissen« der Unzufriedenen in BENIN dann mit dicken Backen herum, und weil Kat- Botschaftern auf Sanaas Straßen abspielte, ent-
nicht wieder anzutreten. Wisners Mission ist noch wieder gleichgeschaltete Propaganda: Schluss mit den Ägypten, die man nicht länger unterdrücken könne. Kauen für Infektionen anfällig macht, nehmen sprach Hamid al-Ahmars Konzept: Zigtausende
nicht beendet. Demonstrationen, zurück an die Ar- Wenn sich in diesen Tagen eine europäische Ini- sie einen Zipfel ihres lose auf dem Kopf ver- demonstrierten, aber sie griffen nicht zu ihren
Amerika wurde von den arabischen VON JOCHEN BITTNER,
beit. Gäbe es al-Dschasira und Face- tiative in diesem Revolutionsjanuar abzeichnet, dann schlungenen Turbans in den Mund, als Schutz Waffen. Al-Ahmar und andere hatten ihre Ge-
Revolutionen ebenso überrascht wie book nicht, könnte man meinen, vielleicht durch Merkels Versuch, die Lage für Israel gegen jede Art Pestilenz. Wer eine Stunde lang folgsleute nicht gerufen.
Europa. Aber es hatte im Fall Ägypten ANDREA BÖHM, Tunesiens Revolution sei vollendet. zu entgiften und von Netanjahu das scheinbar Un- Kat kaut, wird zunächst gesellig, später fühlt er
wenigstens einen wichtigen Mann aus GISELA DACHS, MARTIN Dabei befindet sich das Land im mögliche zu fordern: ein neues positives Signal an die sich luzide und ist ganz bei sich. Während der Man weiß im Jemen genau,
Kairo »griffbereit«: den Generalstabs- KLINGST, JÖRG LAU, Wettlauf mit der Zeit. Spätestens im Palästinenser, eine Wiederbelebung des komatösen ersten zwei Phasen sind die Männer redselig, da worauf es dem Westen ankommt
chef Sami Hafez Enan. Juni soll gewählt werden. Vorher muss Friedensprozesses. Ausgerechnet jetzt? Gerade jetzt. wird politisiert. Wer mithält, nimmt seine Rede
Der war just dann zu seinem jähr- GERO VON RANDOW das Wahlsystem, bislang eine einzige So deutlich wie nie zuvor drängt sie Netanjahu, den gern für die Tat. Präsident Saleh sah sich gleichwohl in die Ecke
lichen Routinebesuch erschienen, als Fälschungsmaschine, rundum erneu- Siedlungsbau zu stoppen, erwähnt bei jeder Gelegenheit Wenn es bei den Demonstrationen in Sanaa gedrängt. Er hat auf die Demonstrationen rea-
die Welt den Fall des tunesischen Diktators Ben-Ali be- ert werden, um jeden Verdacht des Betrugs auszuräumen: auch öffentlich neue Siedlungen als Hindernis für einen wochenlang nicht zu Gewalttaten gekommen ist, giert, wie er immer gehandelt hat, seitdem er
staunte. Nichts, was Enan aus der Ruhe gebracht hätte. Das betrifft die Rechtsgrundlage, Wählerregister, Kon- Friedensschluss. Sie fürchtet eine Angst– und Trotz- dann liegt es, einem verbreiteten Vorurteil zum 1978 im Nordjemen die Regierung übernahm,
Er wollte im Pentagon über Waffensysteme fachsimpeln, trollmechanismen und vor allem das Beamtenpersonal. starre Israels, sie will die Argumente nicht gelten lassen, Trotz, nicht vor allem daran, dass die Männer- seitdem er im 1990 wiedervereinten Nord- und
die allgemeine Weltlage diskutieren und war, wie immer Bislang ist auch unklar, wer und was neu gewählt werden dass nach dem Sturz Mubaraks, dem Garanten des kalten welt von zwei Uhr nachmittags an mit Kat-Kauen Südjemen Präsident ist: Er versucht, seine Geg-
bei seinen Amerika-Visiten, in bester Laune eingetroffen. soll: Ein Parlament, gewiss. Aber auch ein neuer Prä- Friedens und Vermittlers zwischen Israel und beiden beschäftigt ist. Es liegt auch nur zum Teil daran, ner zu kaufen. Anders als Hamid al-Ahmar
Die hielt exakt bis zum 28. Januar, jenem Tag, da die sident? Und auf Grundlage welcher Verfassung? Der Palästinenser-Fraktionen, jede Chance auf eine Einigung dass die meisten Jemeniten islamisch-konservativ kommt er aus einfachen Verhältnissen. Er ist
Revolution auch Ägypten erfasste. Enan und seine bestehenden, die Ben Alis Handschrift trägt? Wer aber vorbei sei. Netanjahus Reaktion ist unverhohlene Ab- sind und Politik für etwas halten, was sich im Analphabet. Bis zum heutigen Tag kann er die
Offiziere packten die Koffer und rasten zum Flughafen, sollte eine neue beschließen? lehnung. »Israel«, sagt er, »ist jetzt die einzige Insel der Fernsehen abspielt. Der Grund ist, dass die ent- Vorlagen seiner Mitarbeiter nicht lesen. Er re-
im Ohr die eindringliche Aufforderung hoher Beamter Hilfe wird gebraucht. Natürlich aus Europa und Stabilität in der Region.« Was werbend klingen soll, ist scheidenden Stammesführer nicht zu den Waffen giert als Feudalist, wie es in früheren Zeiten üb-
aus dem amerikanischen Verteidigungsministerium: Amerika. Bis auf Weiteres hat die westlich orientierte ein hilfloses Klammern an eine Ordnung, die gerade vor gerufen haben. lich war. Seine Politik ist seit dreißig Jahren eine
»Üben Sie Zurückhaltung gegenüber den Demons- Generation Facebook die Meinungsführerschaft, aber aller Augen zusammenbricht. Kein arabisches Land ist so arm wie der Je- Mischung aus Repression und Bestechung. Der
tranten. Zurückhaltung!« der Westen hört nicht auf, seinen ohnehin ramponier- men. Aber eine Kalaschnikow ist dort für nur 25 Armee versprach er nun bessere Gehälter, der
Einen Tag später brausten F-16-Kampfflugzeuge ten Ruf weiter zu beschädigen. Frankreich hat mit + + + Amman + + + Dollar zu haben. Und jeder, der auf sich hält, Bevölkerung Steuersenkungen. Letzteres kann
aus amerikanischer Produktion im Tiefflug über Kai- seiner Unterstützung des Diktators ganz Europa des- Es gibt den Sturm auf die Paläste – oder den Palast im besitzt wenigstens eine Schusswaffe. Wenn ein in einem Land, in dem die Hälfte der Bewohner
ro. In Washington war man sich nicht sicher, ob der avouiert, Amerika hatte zunächst den richtigen Ton Auge des Orkans. Angela Merkel ist noch nicht wie- Scheich ruft, wenn ein Sippenchef seine Leute keine zwei Euro am Tag verdient, wenig Ein-
ägyptische Generalstabschef die Mahnung verstanden gefunden, als Barack Obama den »Mut und die Wür- der im Flugzeug, da hat einige Hundert Kilometer mobilisiert – das gilt für das gesamte Land –, druck machen.
hatte – bis am Montag die erlösende Nachricht aus de« der Tunesier pries. Doch dann setzte sich Wa- nördlich König Abdullah von Jordanien den Volks- dann nutzen die Männer die ersten zwei Phasen Viele Jemeniten haben die Ereignisse in Tune-
Kairo kam: Die Armee werde keine Gewalt gegen das shington dafür ein, Außenminister Kamel Morjane zorn aufgefangen wie einen Medizinball und damit der Kat-Wirkung. Jemeniten gelten als tapfere sien und Ägypten nicht gebraucht, um ihre Re-
Volk anwenden. im Amt zu lassen, eine Stütze des Ben-Ali-Regimes. zwecks Entspannung der Lage die amtierende Regie- Kämpfer. gierung zu hassen. Die Menschen im Norden,
Bis auf Weiteres darf man nun die Omnipräsenz von Morjane musste am vergangenen Donnerstag nach rung weggekegelt. Die großen und kleinen Revolten Auch im Jemen gilt jetzt die neue Zeitrech- die nicht zum Hashid-Stammesverbund gehören,
M1A1 Abrams Panzern (ebenfalls amerikanischer Bau- anhaltenden Straßenprotesten gehen, und die USA haben immer mehr Länder erreicht. Im Sudan sind sie nung: vor Tunesien oder nach Tunesien. dem Saleh entstammt, sind von der Regierung
art) in Ägyptens Straßen als beruhigendes Zeichen inter- stehen wieder als Komplizen der verhassten Kaste da. bis auf Weiteres unter den Schlagstöcken der Polizei »Tunesien ist passiert«, sagte Scheich Hamid sträflich vernachlässigt worden. Das Gleiche gilt
pretieren, gewissermaßen als überraschend profitables zusammengebrochen, in Syrien fühlte sich Staatsprä- al-Ahmar Mitte Januar bei einem vertraulichen für die Region Hadramaut. Und in der südlichen
Ergebnis jener 1,3 Milliarden Dollar, die Amerika jähr- + + + Brüssel + + + sident Assad nach kleinen Protestaktionen immerhin Gespräch mit einer Delegation Stadt Aden trauern viele der
lich als Militärhilfe nach Kairo überweist. Bruce Riedel Am vergangenen Freitag, um kurz nach 16 Uhr hatte es bemüßigt, seine anti-israelische Position als besonders von EU-Botschaftern. Seitdem sozialistischen Regierung vor
kennt diese Panzer genau, er hat als hoher CIA-Beamter nicht nur die tunesische, sondern auch die ägyptische volksnah hervorzuheben. Im Jemen musste das Re- sei »alles anders«. Der Präsident 1990 nach, die zwar auch un-
in den neunziger Jahren mitgeholfen, sie an Ägypten zu Revolution auf die Tagesordnung der EU geschafft. Per gime nach Demonstrationen eine prominente, inhaf- Hamid al-Ahmar ist einer gerecht war, sich aber immerhin
verkaufen. Heute arbeitet er in der Brookings Institution, SMS teilte die Außenbeauftragte Catherine Ashton dem tierte Menschenrechtsaktivistin wieder freilassen. Und der vielen Söhne des 2007 regiert als Feudalist, um Bildung und medizinische
einer der führenden Denkfabriken in Washington und deutschen Diplomaten Hans-Dieter Lucas und den in Jordanien? Dort schätzt man den König und mar- verstorbenen Scheichs Abdul- wie es früher üblich Versorgung kümmerte.
berät die Obama-Regierung. anderen Botschaftern im Politischen und Sicherheits- schiert gegen die Regierung. lah bin Hussain al-Ahmar. Und Jemens Zukunft sieht
Und was, bitte schön, rät man der Supermacht politischen Komitee (PSK) mit, sie wolle Ägypten auf Dass die arabischen Länder und ihre Aufstands- Wenn im Jemen von einem war. Seine Politik ist düster aus. Bald werden die Öl-
dieser Tage in Sachen arabische Welt? die Agenda setzen. Das PSK ist das Gremium, das die bewegungen nicht über einen Kamm zu scheren sind, Mann die Rede ist, dann seit 30 Jahren eine vorkommen erschöpft sein. Seit
Weiter auf die Armee setzen, meint Riedel. Und Außenministertreffen in Brüssel vorbereitet. Europa, so ist inzwischen ein Gemeinplatz. Jordanien ist wieder muss man wissen, mit wem Mischung aus 2001 ist die Ölförderung jähr-
hoffen. Hoffen, dass die jüngeren ägyptischen Offiziere Ashton, müsse sich positionieren. Das Wochenende über ganz anders als Tunesien oder Ägypten. In den Ge- er verwandt ist: Das ist ent- Repression und Beste- lich um fünf bis sieben Prozent
an amerikanischen Militärakademien auch einiges über feilen Lucas und seine Kollegen in Berlin und Kairo an fängnissen sitzen keine Oppositionellen und in den scheidend. Der verstorbene
Demokratie und Menschenrechte gelernt haben. Damit einem Nonpaper, einem internen Leitfaden, mit dem Medien kommen – mit Einschränkungen – durchaus Vater war, mit den Worten
chung. Der Armee ver- zurückgegangen. Um aus bis zu
800 Meter Tiefe auch noch die
haben sich die Konturen der amerikanischen Politik im Guido Westerwelle in Brüssel auftreten soll. Darin wagen kritische Stimmen zu Wort. Es brodelt auf den Stra- eines westlichen Diplomaten, sprach er nun bessere letzten Tropfen Grundwasser
Angesicht der arabischen Revolutionen aber schon er- sich die Deutschen weit vor. »Die EU sollte erwägen, ßen, doch gleichzeitig spürt man förmlich das Bedürf- »der Präsident der Herzen«. Gehälter, dem Volk nach oben zu pumpen, sind
schöpft. Was tun? Klar und deutlich den Volksaufstand eine Wiederholung der Parlamentswahlen von 2010 zu nis der Demonstranten auf Ammans Straßen, einen Scheich Abdullah war Grün- Steuersenkungen große Mengen Diesel nötig.
begrüßen in einem Land, dessen Diktator man jahr- unterstützen«, lautet ein Kernsatz. friedlicheren Aufbruch zu Wege zu bringen – jordanian der und Chef der wichtigsten Was sich in dem Land abspielen
zehntelang gestützt hat, dessen Geheimdienst man Dann, am Montag, beginnt das Ringen der 27 Mi- style. Dazu gehören vergleichsweise präzise Forderun- Oppositionspartei, der isla- wird, wenn der letzte Tropfen
jahrelang Terrorismusverdächtige zur Folter übergeben nister um konsensfähige Formulierungen. An der Seite gen: niedrigere Brotpreise, Maßnahmen gegen die mischen Islah. Sein Ansehen war so groß wie Öl gefördert, wenn die letzte noch verborgene
hat? »Wir hören eure Stimmen«, sagt Obama am Diens- Deutschlands steht, grob gesprochen, das nördliche EU- Arbeitslosigkeit und das Recht, den Premierminister sein Reichtum – und dafür sorgte auch Prä- Grundwasserblase angestochen ist, traut sich
tagabend an die Adresse der jungen Ägypter. Und an die Lager. Die arabische Welt befinde sich an einer »Weg- zu wählen. Außerdem, sagt Amenah Aizobey, »mehr sident Ali Abdullah Saleh, der wusste, dass er niemand vorzustellen.
Adresse Mubaraks: »Eine wirkliche Machtübergabe muss scheide«, sagt der schwedische Außenminister Carl Bildt. Rechte für Nichtregierungsorganisationen«. Die Akti- sich diesen mächtigsten aller Stammesführer Anstatt die satteren Jahre dafür zu nutzen, die
jetzt beginnen.« In Washington macht derweil der Satz »Die biologische und politische Uhr tickt. Die Ära Mu- vistin der Jordanischen Frauenunion trifft man dieser gewogen halten musste. Nicht zufällig wurde Infrastruktur zu verbessern, eine medizinische
von Michail Gorbatschow die Runde: »Wer zu spät barak ist vorbei.« Die südlichen EU-Länder raten zur Tage regelmäßig bei Demonstrationen vor dem Par- Scheich Abdullah die Lizenz für den Aufbau Versorgung aufzubauen und Schulen einzurich-
kommt, den bestraft das Leben.« Aber keiner weiß, wer Vorsicht. Der zypriotische Außenminister warnt vor lament. Ebenso die Kamerateams von al-Dschasira. des Handynetzes im Jemen übertragen. Siche- ten, hat Präsident Saleh die Einkünfte des Landes
zu spät ist. Mubarak, der die Zeichen der Zeit nicht er- einer islamistischen Machtübernahme – »wir sollten vor- Dessen Büroleiter Jasser Abu Hilalah hat inmitten der re Einkommensquellen und lukrative Ämter dazu verwendet, alle maßgeblichen Kräfte zu be-
kannt hat? Oder Obama, der die Wut der arabischen sichtig sein, was wir uns wünschen«. Die griechische eher milden jordanischen Revolutionsstimmung Zeit, sind in dem Land als Pfründen zu verstehen, stechen. Dazu gehört übrigens auch der Westen.
Bevölkerung auf ihre Herrscher unterschätzt hat? Vize-Außenministerin fürchtet eine neue Flüchtlings- westlichen Kollegen zu erklären, dass »Journalismus in die der Staatschef verteilt, wie einst Europas Seit Langem argumentiert die jemenitische Re-
welle. Auch William Hague, der Brite, mahnt, die EU der arabischen Welt anders ist als im Westen. Die Me- feudalistische Herrscher ihren Vasallen lukra- gierung, man sei auf westliche Finanzhilfe ange-
+ + + Tunis + + + solle nicht »den Wechsel um des Wechsels willen« unter- dien hier sind die größte politische Partei, weil sie der tive Diözesen übertrugen. wiesen, weil man anders – leider – Organisatio-
Wer zu schnell wegsieht, wird erneut überrollt. Als stützen. Die dänische Außenministerin zeigt sich »ver- Zivilgesellschaft eine Stimme verleihen.« Im Gegen- nen wie al-Qaida nicht im Zaum halten könne.
Rachid Ghannouchi, der Führer der Ennahda, ver- stört über diese Diskussion«. Europa dürfe doch Stabi- satz zu Ägypten darf al-Dschasira in Jordanien weit- Der Herrscher versucht, seine Gegner Da man im Jemen weiß, worauf es dem Westen
gangenen Sonntag auf dem Flughafen in Tunis ein- lität nicht mit Demokratie aufrechnen! Zwei Stunden gehend ungehindert agieren. Vielleicht, weil das Kö- zu bestechen – so wie immer ankommt, hat man 2003 ein Ministerium für
traf, war das Scheinwerferlicht längst auf Ägypten ge- geht das so, Lady Ashton macht sich Notizen, sie soll aus nigshaus auf die beruhigende Wirkung der jordani- Menschenrechte gegründet. Die Ministerin, Hu-
richtet. Die islamistische Ennahda gilt bisher als die all dem Irgendwie eine EU-Position destillieren. schen Verhältnisse spekulieren kann: Die palästinensi- Auch Scheich Abdullahs Sohn Hamid al-Ahmar da al-Ban, erklärte: »Politische Gefangene gibt es
einzige Partei, die das wahlpolitische Vakuum in Tu- Schließlich schaffen es die 27 Außenminister doch sche Mehrheit der Bevölkerung mag sich nur in Maßen ist ein starker Mann. Er ist Anfang 40, gebildet im Jemen nicht.« Auch unliebsame Journalisten
nesien füllen könnte. Ihre aus dem Exil zurückkeh- noch, das Regime in Ägypten aufzufordern, »den Weg für eine nationale Revolution engagieren, während die und ein begabter Volkstribun. Den EU-Bot- würden nicht eingesperrt, bedauerlicherweise
renden Oberhäupter geben sich moderat, vergleichen für freie und faire Wahlen zu ebnen«. Ob dies nicht transjordanische Minderheit fürchtet, an Einfluss zu schaftern hat er seine Politik erklärt: Die Unzu- gebe es aber unter ihnen auch »Kriminelle«.
sich mit der türkischen AKP oder gar mit der deut- einem Aufruf an Mubarak gleichkäme aufzugeben, verlieren, sollte eine allzu heftige Revolution alles auf friedenheit im Land liege auf der Hand. Er selbst Für arabische Verhältnisse hat der Jemen ein
schen CDU. Rund tausend Anhänger erwarteten will ein Journalist von Catherine Ashton wissen. Die den Kopf stellen. Daher die Popularität des Königs, sei mehr als unzufrieden: Bei jeder Wahl in den sehr fortschrittliches Pressegesetz – aber in einem
Ghannouchi. Plötzlich tauchten auch Gegendemons- wirkt unsicher. »Wir wollen«, antwortet sie, »dass die der Lebensmittelpakete in den Armenvierteln verteilt, vergangenen zwanzig Jahren habe der Präsident Land, in dem rund 60 bis 70 Prozent der Bevöl-
tranten auf, junge Leute, die lautstark fordern, dass Menschen selbst bestimmen können. Wir wollen uns daher vielleicht auch die ostentative Bescheidenheit die Jemeniten betrogen. Alle Versprechen, auch kerung funktionale Analphabeten sind, ist es
Tunesien kein religiöser Staat werden dürfe. Einige nicht in innere Angelegenheiten einmischen.« der Islamischen Aktionsfront, des politischen Flügels die schriftlichen, wurden vom Präsidenten Saleh ziemlich egal, was die Presse schreibt. Deshalb
von Ghannouchis Leuten reagierten mit Prügeln und der hiesigen Muslim-Brüder. Ein unscheinbares Büro, gegeben und dann gebrochen; dass man das veröffentlichen die Zeitungen haarsträubende
Beleidigungen. Die Szene ist symptomatisch für den + + + Jerusalem + + + die Aufrufe zum Boykott dänischer Lego-Bausteine Wahlsystem reformieren, dass man es repräsenta- Anschuldigungen: »Normal« ist es, den Präsiden-
Riss zwischen einer weitgehend säkularen Jugend und Was in Brüssel gemischte Gefühle hervorruft, hat in Is- und Lurpak-Butter erinnern an den Aufruhr um die tiver gestalten werde. Die Islah-Partei hat 2006 ten und seine Regierung für korrupt zu erklären.
einer islamistischen Strömung. rael einen Schock ausgelöst. Nichts scheint mehr sicher Mohammed-Karikaturen. Aber auch Generalsekretär 24 Prozent der Stimmen gewonnen, aber nur 11 Drangsaliert werden jemenitische Journalisten
Tunesien gut zwei Wochen nach dem Sturz des – weder die kühle Partnerschaft mit Kairo noch die Hamzah Mansour will keine Revolution, sondern Re- Prozent der Sitze bekommen. Niemand glaubt, nur dann, wenn sie Details verbreiten, die der
Diktators Ben Ali: Die Märkte und Läden sind wieder Loyalität des großen Bruders Amerika mit den sogenann- formen – unter den Fittichen des Königshauses. Die dass Salehs Partei »Allgemeiner Volkskongress« Regierung missliebig erscheinen.
geöffnet, viele sehnen sich nach einem geordneten ten prowestlichen Machthabern im arabischen Raum. Aktionsfront ist die stärkste Kraft der Opposition. nur durch Zufall im Parlament immer ein paar Die jungen Leute, die jetzt in Sanaa demons-
Alltag, und nur zu leicht könnte man diese Sehnsucht, Premierminister Benjamin Netanjahu spricht von Mu- Ob er bereit wäre, sich an die Spitze einer neuen Re- Demonstranten im Stimmen mehr hat, als sie für die verfassungs- trierten, repräsentieren nicht die Bevölkerung.
diese Erschöpfung mit einer »Stabilisierung« verwech- barak als einem Freund in Not, den die ganze Welt offen- gierung zu stellen? »Wir würden auch dann nicht mit all Jemen gehen auf ändernde Mehrheit benötigt. Das Gros der Bevölkerung ist damit beschäftigt,
Foto: Xinhua/imago

seln. Stabil ist bislang gar nichts. bar aufgegeben habe. Und ein israelischer Journalist fragt unserer Macht auftreten, nur in Partnerschaft mit ande- die Straße – Bei dem Treffen mit Hamid al-Ahmar wollten ihr tägliches Brot zu erwerben. Aber natürlich
Die Armee und Bürgerwehren haben den Terror hörbar fassungslos die Besucherin aus Berlin: »Warum ren. Eine Partei kann in dieser Situation nicht allein Ver- friedlich, trotz der die EU-Botschafter also wissen, wie er sich die gibt es viele junge Männer ohne jede Ausbildung,
durch bewaffnete Anhänger des ehemaligen Staatschefs hat der Westen Mubarak fallen lassen?« antwortung übernehmen«, antwortet Mansour. »Das Kalaschnikow Zukunft vorstelle. Werde er vielleicht im Interes- deren Chance, sich zu beweisen, einzig darauf
weitgehend unterdrückt, doch mittlerweile haben sich Angela Merkel ist mit ihrem halben Kabinett in Je- würde auch dem Westen zu viel Angst machen.« Er lä- se der Stabilität nun doch Präsident Salehs Vor- beruht, dass sie eine Kalaschnikow besitzen. Die
Teile der Ben-Ali-treuen Polizeiverbände neu formiert. rusalem angereist, in den Akten ihrer Minister liegt noch chelt und streicht über seinen langen Bart. schlag zustimmen, eine Regierung der nationalen 25 Dollar dafür kann ein jeder irgendwie auf-
Einheit zu bilden? Saleh merkt seit Langem, dass treiben.
3. Februar 2011 DIE ZEIT No 6 7
PROTESTE GEGEN DIE REGIERUNG

Tunis

Sidi Bouzid
TÜRKEI

SYRIEN
ZEIT-Grafik
500 km
25 Dollar für eine
TUNESIEN
Tripolis Alexandria
LIBANON
ISRAEL
Amman
Damaskus Bagdad

IRAK
IRAN
Kalaschnikow
JORDANIEN Im Jemen hat eine junge Elite ihren Herrscher satt. Sie protestiert
Kairo Sues
ohne Gewalt – aber wie lange noch? VON FRANZISKA AUGSTEIN
KUWAIT
LIBYEN S seine Macht vergeht. So hofft er, sie noch eine
SAUDI- ine Woche ist es her, dass in der Weile zu erhalten.

E
ÄGYPTEN Riad
ARABIEN Hauptstadt von Jemen Zigtausende Die Frage wurde von den Diplomaten auch des-
Demonstranten auf die Straße gin- halb gestellt, weil Hamid al-Ahmars Privathaus
VEREINIGTE gen, darunter viele Studenten: Sanaas »eine Festung mit Wachtürmen« ist. »Ich möchte
ARABISCHE junge Elite demonstrierte. Deren Vä- nicht wissen«, sagte einer der Diplomaten, »was in
ter hätten es nicht hingenommen, wenn ihre den Kellern an Waffen lagert. Wenn Hamid al-
EMIRATE OMAN Kinder von bewaffneten Staatskräften bedrängt Ahmar Ärger sucht, dann brennt halb Sanaa.«

R I K A worden wären. Auch deshalb ging der Tag fried- Aber nein, habe Hamid al-Ahmar den Anwe-
lich vonstatten. Aber Hunderttausende einfache senden versichert: Er wolle kein zweites Tunesien.
Bewohner von Sanaa blieben den Straßen fern. Wenn er sich nun aber ohne Zugeständnisse von
Hadramaut Das hat seine Gründe. Saleh vor den Wahlen im kommenden April
TSCHAD SUDAN Sanaa Nachmittags nimmt der Verkehr in der konziliant gäbe, dann würden seine Anhänger
ERITREA Hauptstadt deutlich ab. Auch jene, die dann ihm nicht mehr glauben. Dann seien sie auch für
JEMEN noch arbeiten müssen, stopfen sich die Blätter ihn und seine Partei nicht mehr kontrollierbar.
des Kat-Strauches in den Mund. Die Männer – Das beruhigte die Europäer ein wenig.
Aden die meisten Frauen bleiben zu Hause – laufen Was sich nach dem Gespräch mit den EU-
dann mit dicken Backen herum, und weil Kat- Botschaftern auf Sanaas Straßen abspielte, ent-
Kauen für Infektionen anfällig macht, nehmen sprach Hamid al-Ahmars Konzept: Zigtausende
sie einen Zipfel ihres lose auf dem Kopf ver- demonstrierten, aber sie griffen nicht zu ihren
schlungenen Turbans in den Mund, als Schutz Waffen. Al-Ahmar und andere hatten ihre Ge-
gegen jede Art Pestilenz. Wer eine Stunde lang folgsleute nicht gerufen.
Kat kaut, wird zunächst gesellig, später fühlt er
sich luzide und ist ganz bei sich. Während der Man weiß im Jemen genau,
ersten zwei Phasen sind die Männer redselig, da worauf es dem Westen ankommt
wird politisiert. Wer mithält, nimmt seine Rede
gern für die Tat. Präsident Saleh sah sich gleichwohl in die Ecke
Wenn es bei den Demonstrationen in Sanaa gedrängt. Er hat auf die Demonstrationen rea-
wochenlang nicht zu Gewalttaten gekommen ist, giert, wie er immer gehandelt hat, seitdem er
dann liegt es, einem verbreiteten Vorurteil zum 1978 im Nordjemen die Regierung übernahm,
Trotz, nicht vor allem daran, dass die Männer- seitdem er im 1990 wiedervereinten Nord- und
welt von zwei Uhr nachmittags an mit Kat-Kauen Südjemen Präsident ist: Er versucht, seine Geg-
beschäftigt ist. Es liegt auch nur zum Teil daran, ner zu kaufen. Anders als Hamid al-Ahmar
dass die meisten Jemeniten islamisch-konservativ kommt er aus einfachen Verhältnissen. Er ist
sind und Politik für etwas halten, was sich im Analphabet. Bis zum heutigen Tag kann er die
Fernsehen abspielt. Der Grund ist, dass die ent- Vorlagen seiner Mitarbeiter nicht lesen. Er re-
scheidenden Stammesführer nicht zu den Waffen giert als Feudalist, wie es in früheren Zeiten üb-
gerufen haben. lich war. Seine Politik ist seit dreißig Jahren eine
Kein arabisches Land ist so arm wie der Je- Mischung aus Repression und Bestechung. Der
men. Aber eine Kalaschnikow ist dort für nur 25 Armee versprach er nun bessere Gehälter, der
Dollar zu haben. Und jeder, der auf sich hält, Bevölkerung Steuersenkungen. Letzteres kann
besitzt wenigstens eine Schusswaffe. Wenn ein in einem Land, in dem die Hälfte der Bewohner
Scheich ruft, wenn ein Sippenchef seine Leute keine zwei Euro am Tag verdient, wenig Ein-
mobilisiert – das gilt für das gesamte Land –, druck machen.
dann nutzen die Männer die ersten zwei Phasen Viele Jemeniten haben die Ereignisse in Tune-
der Kat-Wirkung. Jemeniten gelten als tapfere sien und Ägypten nicht gebraucht, um ihre Re-
Kämpfer. gierung zu hassen. Die Menschen im Norden,
Auch im Jemen gilt jetzt die neue Zeitrech- die nicht zum Hashid-Stammesverbund gehören,
nung: vor Tunesien oder nach Tunesien. dem Saleh entstammt, sind von der Regierung
»Tunesien ist passiert«, sagte Scheich Hamid sträflich vernachlässigt worden. Das Gleiche gilt
al-Ahmar Mitte Januar bei einem vertraulichen für die Region Hadramaut. Und in der südlichen
Gespräch mit einer Delegation Stadt Aden trauern viele der
von EU-Botschaftern. Seitdem sozialistischen Regierung vor
sei »alles anders«. Der Präsident 1990 nach, die zwar auch un-
Hamid al-Ahmar ist einer gerecht war, sich aber immerhin
der vielen Söhne des 2007 regiert als Feudalist, um Bildung und medizinische
verstorbenen Scheichs Abdul- wie es früher üblich Versorgung kümmerte.
lah bin Hussain al-Ahmar. Und Jemens Zukunft sieht
Wenn im Jemen von einem war. Seine Politik ist düster aus. Bald werden die Öl-
Mann die Rede ist, dann seit 30 Jahren eine vorkommen erschöpft sein. Seit
muss man wissen, mit wem Mischung aus 2001 ist die Ölförderung jähr-
er verwandt ist: Das ist ent- Repression und Beste- lich um fünf bis sieben Prozent
scheidend. Der verstorbene zurückgegangen. Um aus bis zu
Vater war, mit den Worten
chung. Der Armee ver- 800 Meter Tiefe auch noch die
eines westlichen Diplomaten, sprach er nun bessere letzten Tropfen Grundwasser
»der Präsident der Herzen«. Gehälter, dem Volk nach oben zu pumpen, sind
Scheich Abdullah war Grün- Steuersenkungen große Mengen Diesel nötig.
der und Chef der wichtigsten Was sich in dem Land abspielen
Oppositionspartei, der isla- wird, wenn der letzte Tropfen
mischen Islah. Sein Ansehen war so groß wie Öl gefördert, wenn die letzte noch verborgene
sein Reichtum – und dafür sorgte auch Prä- Grundwasserblase angestochen ist, traut sich
sident Ali Abdullah Saleh, der wusste, dass er niemand vorzustellen.
sich diesen mächtigsten aller Stammesführer Anstatt die satteren Jahre dafür zu nutzen, die
gewogen halten musste. Nicht zufällig wurde Infrastruktur zu verbessern, eine medizinische
Scheich Abdullah die Lizenz für den Aufbau Versorgung aufzubauen und Schulen einzurich-
des Handynetzes im Jemen übertragen. Siche- ten, hat Präsident Saleh die Einkünfte des Landes
re Einkommensquellen und lukrative Ämter dazu verwendet, alle maßgeblichen Kräfte zu be-
sind in dem Land als Pfründen zu verstehen, stechen. Dazu gehört übrigens auch der Westen.
die der Staatschef verteilt, wie einst Europas Seit Langem argumentiert die jemenitische Re-
feudalistische Herrscher ihren Vasallen lukra- gierung, man sei auf westliche Finanzhilfe ange-
tive Diözesen übertrugen. wiesen, weil man anders – leider – Organisatio-
nen wie al-Qaida nicht im Zaum halten könne.
Der Herrscher versucht, seine Gegner Da man im Jemen weiß, worauf es dem Westen
zu bestechen – so wie immer ankommt, hat man 2003 ein Ministerium für
Menschenrechte gegründet. Die Ministerin, Hu-
Auch Scheich Abdullahs Sohn Hamid al-Ahmar da al-Ban, erklärte: »Politische Gefangene gibt es
ist ein starker Mann. Er ist Anfang 40, gebildet im Jemen nicht.« Auch unliebsame Journalisten
und ein begabter Volkstribun. Den EU-Bot- würden nicht eingesperrt, bedauerlicherweise
schaftern hat er seine Politik erklärt: Die Unzu- gebe es aber unter ihnen auch »Kriminelle«.
friedenheit im Land liege auf der Hand. Er selbst Für arabische Verhältnisse hat der Jemen ein
sei mehr als unzufrieden: Bei jeder Wahl in den sehr fortschrittliches Pressegesetz – aber in einem
vergangenen zwanzig Jahren habe der Präsident Land, in dem rund 60 bis 70 Prozent der Bevöl-
die Jemeniten betrogen. Alle Versprechen, auch kerung funktionale Analphabeten sind, ist es
die schriftlichen, wurden vom Präsidenten Saleh ziemlich egal, was die Presse schreibt. Deshalb
gegeben und dann gebrochen; dass man das veröffentlichen die Zeitungen haarsträubende
Wahlsystem reformieren, dass man es repräsenta- Anschuldigungen: »Normal« ist es, den Präsiden-
tiver gestalten werde. Die Islah-Partei hat 2006 ten und seine Regierung für korrupt zu erklären.
24 Prozent der Stimmen gewonnen, aber nur 11 Drangsaliert werden jemenitische Journalisten
Prozent der Sitze bekommen. Niemand glaubt, nur dann, wenn sie Details verbreiten, die der
dass Salehs Partei »Allgemeiner Volkskongress« Regierung missliebig erscheinen.
nur durch Zufall im Parlament immer ein paar Die jungen Leute, die jetzt in Sanaa demons-
Demonstranten im Stimmen mehr hat, als sie für die verfassungs- trierten, repräsentieren nicht die Bevölkerung.
Jemen gehen auf ändernde Mehrheit benötigt. Das Gros der Bevölkerung ist damit beschäftigt,
die Straße – Bei dem Treffen mit Hamid al-Ahmar wollten ihr tägliches Brot zu erwerben. Aber natürlich
friedlich, trotz der die EU-Botschafter also wissen, wie er sich die gibt es viele junge Männer ohne jede Ausbildung,
Kalaschnikow Zukunft vorstelle. Werde er vielleicht im Interes- deren Chance, sich zu beweisen, einzig darauf
se der Stabilität nun doch Präsident Salehs Vor- beruht, dass sie eine Kalaschnikow besitzen. Die
schlag zustimmen, eine Regierung der nationalen 25 Dollar dafür kann ein jeder irgendwie auf-
Einheit zu bilden? Saleh merkt seit Langem, dass treiben.

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