You are on page 1of 3

Das Kindchenschema in der

Raumentwicklung.
Martin Schönherr

Bevor die Frage gestellt wird, ob das ein Faschingsbeitrag sei, zuvorkommend die
Antwort: Ja und Nein. Denn ein ziemlich gewaltiger Brocken Wahrheit steckt da drin.
Ähnlichkeiten mit realen Situationen sind also gezielt und völlig beabsichtigt….

Räumliche Fehlentwicklungen

Jeder der aufmerksam die räumliche Entwicklung beobachtet, wird sich fragen, wie es zu
Fehlentwicklungen kommt.
Fachliche Begründungen gibt es dafür natürlich keine.
Die Interessensabwägung, in der alles Entscheidungsrelevante einfließt, führt dazu, dass mitunter
(eher häufig) fachliche Gegenargumente unterliegen und das scheinbar menschliche Antlitz der
Verwaltung obsiegt. Vorderhand möchte man meinen, dass das wohl ganz gut sei – denn so wird
die Bürokratie in die Schranken verwiesen.
Dass aber Sinn und Zweck der Bürokratie ist, die Gesellschaft vor sich selbst bzw. einzelnen
Individuen, die der Gesellschaft ihren Willen aufdrängen wollen, zu schützen, wird in dieser
Diskussion vergessen.
Im Folgenden wird versucht, das gewisse Etwas zu beschreiben, welches oft in der
Interessensabwägung zu den bekannten Verzerrungen führt.

Dieses gewisse Etwas will ich „Kindchenschema1 in der Raumentwicklung“ nennen.

Zu unterscheiden sind dabei zwei Ebenen, in denen sich die Auseinadersetzung abspielt:

1
Im Gegensatz zur Erklärung in der Wikipedia http://de.wikipedia.org/wiki/Kindchenschema verwende ich
den Begriff im übertragenen Sinn, da die dort dargelegten Kriterien nicht auf übliche Gemeindepolitiker und
Projektwerber angewandt werden können.

DI Martin Schönherr
Innsbruck Seite 1
16.02.2011
Projektwerber

Zum Verständnis muss man voraussetzen – auf dieser Ebene ist alles erlaubt, was nicht explizit
verboten ist.
Die Gemeinden sind den Projektwerbern gewissermaßen ausgeliefert und betreiben nicht selten
„Ablehnungsoutsourcing“ in die nächste Verwaltungsebene.
Gelingt es dem Projektwerber die Gemeinde auf seine Seite zu ziehen, so ist die Gemeinde
gewissermaßen verloren und jedenfalls gezwungen das zu tun, was im nächsten Punkt
beschrieben ist.
Es gibt solche und solche Projektwerber. Hier wird natürlich auf den Einsatz des
Kindchenschemas in der Verhandlung fokussiert. Folgende Beispiele seien genannt:

 Mitnehmen von Kindern (wird gerne angewandt um die Dringlichkeit einer


Wohnraumvergrößerung zu Unterstreichen, im Prinzip auch einer Art von Projektion)
 Vorwurfsvoller Blick, wässriges Auge
 Lang gezogenes „Geeeeh sei niiiet sooo!“ (am Land ist es eher so üblich aber, im städtischen
Raum kommt dann eher die Frage „Kann die Verwaltung nicht menschlich sein?)

Gemeinde

Wie bekannt, ist die Gemeindeautonomie ein heiliges Gut in Österreich. In der Raumentwicklung
unterliegt aber diese Autonomie der Aufsicht durch die Landesverwaltung. So kommt es, dass die
Gemeinde hier in der Rolle eines Bittstellers fällt. Da zugleich aber das Autonomieprinzip existiert,
müsste man davon ausgehen, dass die Gemeinde eigenverantwortlich handelt und Entwicklungen
abblockt, die grundlegend unvernünftig sind (da sie z.B. den Gesetzen widersprechen).
Zu beobachten ist hier aber in der Praxis, dass auf Gemeindeebene Entscheidungen vorbereitet
werden oder sogar fallen, die von vorn herein keinen gesetzlich einfach gedeckten Konsens
ermöglichen und dann in einer Interessensabwägung hingebogen werden müssen.
Um in solchen Situationen ihren Willen durchzusetzen, bedient die Gemeinde sich trotz autonomen
Erwachsenseins Motiven des Kindchenschemas. Da aber der Gemeindepolitiker üblicherweise
dieses Schema nicht erfüllen kann, bedient er sich der Projektion auf Gruppen, die den
Niedlichkeitsbonus haben bzw. die durch ewiges Gejammere und Lobbyismus zumindest teilweise
damit assoziiert werden.
Es sind das z.B.:

DI Martin Schönherr
Innsbruck Seite 2
16.02.2011
 Junge Familien (sie jammern meist im stillen, aber die Politik bedient sich ihrer sehr gern)
 Aufstrebende Gewerbetreibende
 Etablierte expansionswillige Gewerbetreibende
 Konkursreife Gewerbetreibende
 Bauern mit Leib und Seele

Zugleich wird versucht die Gemeinde als Ganzes zu verniedlichen. Dazu bieten sich Phrasen, wie
z.B.
 Unsere Nachbargemeinde hat auch ein Gewerbegebiet. Und wir nagen am Hungertuch.
 Wenn das Land in der anderen Gemeinde das genehmigt hat, wird es bei uns wohl auch hier
gehen, wo wir doch in einer viel ärmeren Situation sind.
 Wir sind so hilflos als Gemeinde- ihr müsst uns helfen, das durchzusetzen (die bitte zielt auf die
gesetzlich verankerte Manuduktionspflicht2, hier allerdings besonders perfide angewandt, das ja
dieser Diskurs innerhalb der Verwaltungsebenen stattfindet

Bevor sich der Leser fragt, welch


misantrophische Neigungen zu meinen
Kommentaren geführt haben – es ist die
langjährige Beobachtung.
Ich möchte nicht in der Haut des
Interessensabwägers stecken. Denn die
menschlichen Argumente sind mitunter
erdrückend. Oftmals wäre aber der Blick
mit dem Weitwinkelobjektiv auf die
jeweilige Situation wichtig.
Er lässt manches Einzelschicksal,
verblassen - sei es noch so bewegend
und entgegen den obigen launigen
Bemerkungen „echt“.
Dieses Photo versinnbildlicht das Paar aus dem Werber und seinen Projektionen (z.B. Bürgermeister will Wohnraum für junge Familien
schaffen) recht gut. Wie man sieht, hat die ältere Katze sogar einen etwas spöttisch - siegessicheren Zug, da sie sich der Niedlichkeit
des Kätzchens bedient. Aber das sieht man sicher nur so, wenn man zuvor diesen Artikel gelesen hat ;-)

2
Manuduktion ist die mündliche Rechtsmittelbelehrung bzw., die Anleitung die von Seiten der Verwaltung
dem Projektwerber zu geben ist, damit er zu seinem Recht kommt. Recht ist hier das, was dem Gesetz
entspricht und nicht das, was der Einzelnen subjektiv glaubt, was im zustünde.

DI Martin Schönherr
Innsbruck Seite 3
16.02.2011

You might also like