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von
Yvonne Chaddé
halt
sei still
ich kann mein selbst nicht hören
die Zeit läuft hinunter
und steht
1. Einleitung
Unsere Gegenwart unter dem Zeichen der Globalisierung scheint sich nicht nur
auszuweiten, sie beschleunigt und vervielfältigt sich.
Unsere Gesellschaft befindet sich in der zunehmenden Medialisierung unserer Umwelt.
Die Möglichkeit über technische Kommunikationsmittel Zugang zu im weiteren Sinne
kulturellen und wirtschaftlichen Ressourcen und Informationen zu gewinnen, ist
gewachsen. Den Spielraum dieser Möglichkeit für den Einzelnen auszuloten, verlangt
Aufmerksamkeit, Risikobereitschaft und Reflexionsvermögen. Die Organisation des
Lebens siedelt an zwischen Sachzwängen und Möglichkeiten, zwischen Vermittlung und
Erfahrung, in der Differenz der Geschwindigkeiten verschiedener gesellschaftlicher und
psychischer Prozesse.1
1 Diagnostiziert Simmel in einer durch Formel der Nation und des Fortschritts determinierten
2
Zeit versucht sich von Raum zu trennen. Das bedingt eine Arbeitspraxis, in welcher der Arbeiter
nicht nur durch die Zergliederung des Arbeitsganges von seinem Produkt entfremdet wird, auch die
Möglichkeit eine sinnlich fundierte Beziehung zum gemeinschaftlich produzierten Objekt aufzubauen,
gelingt nicht: es verschwindet sofort aus den Augen. Der zeitliche Druck fortwährend weiter zu
produzieren verlangt Aufmerksamkeit. Nicht nur der tatsächliche Raum der Arbeit wird weiter
begrenzt, welcher bisher persönliche Nachsichtigkeit der Zeit gegenüber tolerierte, sondern auch der
innere Raum der Wahrnehmung wird beschränkt. Zum Einen wird dem Bummeln Einhalt geboten,
dass sich in der Logistik der Lagerhaltung unter den Arbeitern einstellen kann, zum anderen
verringert sich die Zeit, indem der Arbeiter während der Arbeitszeit über sein Wirken nachdenken
kann.
Aufmerksamkeit ist allerdings ein trügerisches Konstrukt, in dem Sinne, dass der Arbeiter zwar
ständig ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit im Arbeitsprozess erbringen muss, darüber das
selbständige Denken aber verlernt. „Sie sind so angelegt, daß ihre adäquate Auffassung zwar
Promptheit, Beobachtungsgabe, Versiertheit erheischt, dass sie aber die denkende Aktivität des
Betrachters geradezu verbieten, wenn er nicht die vorbeihuschenden Fakten versäumen will.“, so
Adorno über die Beschaffenheit der Produkte der Filmindustrie. (siehe dazu: Max Horkheimer, Theodor
W. Adorno: Kulturindustrie, in: Max Horkheimer, Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung.
Philosophische Fragmente, 13. Auflage, 2001, Frankfurt am Main, S. 134)
Der Sinn der Tätigkeit liegt im zeitlichen Gebot, pünktlich zu produzieren, nicht in der
Sinnträchtigkeit menschlichen Lebens. Das Diktat der Dringlichkeit entfernt noch mehr vom
glücksversprechenden Sinn der Arbeit. Firmen- und Managementparadigmen manifestieren sich so
im Unterbau und auch in der Wahrnehmung der beschäftigten Arbeiter. Seine Zeitwahrnehmung
verdoppelt sich damit und trennt diese, erfordert zumindest, dass der Arbeiter diese Paradigmen mit
seinem eigenen Zeitgefühl arrangiert.
Der Übergang von der Postmoderne zur Globalisierung kennzeichnet sich durch
verschiedene Prozesse. Die Zeitsysteme und Zeitmodelle differenzieren sich
voneinander und eine hybride Zeitwahrnehmung wird zur Gewohnheit. Information
und Wissen als Produktionsfaktoren und als Produkte. Die Geschwindigkeit der
Datenübertragung über das Internet kann zu einem wirtschaftlichen Faktor werden,
ebenso wie die Halbwertzeit von Wissen.
Michael Hardt und Antonio Negri analysieren die „Globalisierung des ökonomischen
und kulturellen Austauschs“ als eine globale Ordnung, die sich über die Entgrenzung
des Raums manifestiert. Der begrenzte Raum in diesem Sinne … der Nationalstaat,
welcher in seiner Rechtfertigung durch die Aufklärung als territoriale und kulturelle
Einheit identitätsstiftend war und als Zentrum der Macht in die Peripherie wirkte.
Der Weltmarkt als ein Phänomen der Globalisierung gestaltet zunehmend in Produktion
und Zirkulation der Waren und Dienstleistungen. Fabrikarbeit ist in die Gebiete der so
genannten Dritten Welt gefallen und sozusagen auch aus unserem unmittelbaren
Gesichtskreis. In unserer Gesellschaft werden Begriffe wie Kommmunikation in
Echtzeit und up-to-minute – Produktion und Distribution zunehmend greifbarer. In
„Empire“ wird die globalisierte Welt als geglättet beschrieben, eine Welt, „die neue und
komplexe Ordnungen aus Differenzierung und Homogenisierung, aus
Deterritorialisierung und Reterritorialisierung bestimmen.“ Wird so mit gewachsenen
Denkstrukturen gebrochen, weil global das gleiche Verfahren der Umstrukturierung
angewendet wird, so verändern sich auch die Paradigmen der Lebensführung. Tradierte
normative Systeme haben keinen universellen Geltungsanspruch mehr. Im globalen
Netz von Handlungs-, Denk- und Zeitmodellen bilden sich „diskursiv weitgehend
abgeschlossene, selbstgenügsame und rigorose Gemeinschaften“3 hinlänglich als globale
Dörfer bezeichnet.
3
Stefan Beck: Fluchtgeschwindigkeiten aus der Moderne. Vom Nachteil der Dromomanie für die
Analyse der „Informationsgesellschaft“, 2002
4
Paul Virillio: Fluchtgeschwindigkeiten. Essay, Frankfurt/ Main, 1999
5
Holm Sundhaussen: Europa balcania. Der Balkan als historischer Raum Europa, in: Geschichte und
Gesellschaft 26, 1999, S. 628
6
Von der Herleitung und Rangordnung dieser Leitbilder möchte ich an dieser Stelle absehen. Nur
kurz sei darauf verwiesen, wie eng das lineare Zeitsystem mit dem evolutionären Prinzip verknüpft
ist: das lineare Zeitsystem ist ein historisches Konstrukt unter den philosophischen Vorzeichen der
Überwindung der Dualismen zwischen Konkretem und Ganzem. Danach lassen sich die
Erscheinungen immer im Zustand des Nicht-Fertigen betrachten, mit der Option, sie zu verbessern.
Das Leben kann sowohl linear als auch zyklisch im Kontext der Naturbewegung betrachtet werden.
Lineare Zeitmodelle bedingen Uhren, diese garantieren die Verwaltung der Zeit, lineare Zeitsysteme
bedingen den Gedanken des Evolutionären, der Bewegung und Entwicklung, das Wachsen von
Systemen. Nicht so sehr deren Vergehen, und so ist der menschliche Tod im linearen System nur
Kompromiss. Er wird soweit transformiert in eine Entwicklung der Gattung oder der menschlich
geschaffenen Dinge und Leistungen, die den Einzelnen überdauern.
Andererseits sei auf die Bedeutung der Zeiteinteilung durch die Erfindung der Uhr hingewiesen. Der
Tag ließ sich nun in vorbesetzte Sinneinheiten aufteilen, die Organisation einer Großstadt wurde
durch das Uhrensystem möglich, das Leben wurde kalkulierbar. (siehe dazu Georg Simmel: Die
Gross-Städte und das Geistesleben, in: Georg Simmel: Das Individuum und die Freiheit, Frankfurt/
Main, 1993)
7
Max Weber: Soziologische Grundbegriffe, 6. Aufl., Tübingen: Mohr, 1884, S. 70
Slow Food Deutschland e.V., 1992 gegründet, sieht sich selbst als Teil einer Bewegung,
die 1986 in Italien ihren Ursprung nahm und sich in den 90-er Jahren zu weltweiten
Bewegung ausweitete. Historisch lässt sich die Slow-Food Bewegung in den Kontext
Friedensbewegung und Ökobewegung der 80-er Jahre des letzten Jahrhunderts
einordnen, in die Zeiten des ankündigenden Falls der politischen Blocksysteme, da die
Betrachtung der Welt in Dichotomien unsinniger wurde.
Bestimmend für die Struktur ist die Zusammensetzung der Mitgliedschaft:
Einzelpersonen, Händler, Produzenten, Restaurants, Hotels, Verlage und Verbände.
Einerseits Verbraucher andererseits Produzenten und Händler. Nach dieser
Zusammensetzung kommt der zweckrationale Charakter der Tauschbeziehungen
zutage. Sei es, dass Informationen getauscht werden, Herstellungs- und
Zubereitungsverfahren auf dem kulinarischen Sektor. Die Mitglieder erfüllen eine
Funktion, welche mit der wirtschaftlichen Rolle einhergeht. Für die Netzwerkbildung
sind ihre praktische Erfahrung und ihre wirtschaftlichen Interessen von Vorteil. Das
zweite Charakteristikum ist die Organisation in Tafelrunden (Convivien), wobei das
Netz der Convivien zwar möglichst engmaschig aber auch kleinmaschig gespannt
werden soll. Das wird in der Internetpräsentation als >Kreise ziehen< umschrieben.
Der Wirkungsraum des Slow-Food-Vereins ist also territorial begrenzbar und kulturell
legitimiert. Als Ausdruck einer regionalen Kultur dienen kulinarische Erscheinungen,
„die es zu erkunden, sie neu zu beleben und zu stärken“ gilt.
Erklärungen lassen sich in der Selbstdarstellung des Vereins finden:
1. Ein Hauptanliegen der Organisatoren ist es: „dem menschlichen Rhythmus
gegenüber dem Maschinentakt und der Computergeschwindigkeit Geltung zu
verschaffen.“
„Statt der internationalen Angleichung in allen Lebensbereichen will Slow Food eine
Kultur stärken, die die Individualität des Menschen betont.“ Eine identitätsstiftende
Rolle spielt hier die kulinarische Kultur oder zumindest kann die Suche nach der
kulinarischen Kultur auch eine Suche nach der Individualität sein.
Jedenfalls setzt Slow Food einen Mangel an Individualität voraus. Die Diagnose der
>>internationalen Angleichung<< wird nicht näher erklärt, lässt sich aber sie sich auf
wissenschaftliche Diskurse des 20. Jahrhunderts berufen. Man denke an Adornos These
in der >Kulturindustrie<, dass das gleiche (Re-) Produktionsverfahren und die
Standardisierung der Produkte die Kulturgüter angleiche oder an oben genannte Thesen
von Hardt und Negri sowie Virillio: gewisse Globalisierungsprozesse wirken der
Vielfältigkeit der Kulturen entgegen.
Die kulinarische Kultur kann da als Suche nach dem Ursprünglichen verstanden
werden. In der Dokumentation, der Renaissance und der gemeinsam durchlebten
Emanzipation – ich meine das im Sinne von gemeinsam erlesen, erkochten und
verzehren dessen, was in der Region und Saison gegessen wird, wurde und noch zu
essen sein könnte - gegenüber massenhaft produzierter Ware und Kultur.
Individualität entsteht vielleicht so durch sinnträchtiges Handeln. Das Slow-Food
Erlebnis ist für den Teilhaber eine ganzheitliche Erfahrung nach der Formel >Was man
im Frühjahr säht, lässt sich im Herbst ernten<. Dieses agrarische Prinzip funktioniert
zeitlich verkürzt und teils sublimiert, denn man lernt den Spargel vielleicht durch denn
Bauern bei Slow-Food kennen, ist aber nicht der Bauer. Am Beispiel des gemeinsamen
Essens liegt die Sinnträchtigkeit des Handelns und die soziale Wertigkeit auf der Hand,
die Rollen in der Organisation des Essens sind verteilt und zielgerichtet, der Lohn für
die Arbeit lässt sich sinnlich erleben und damit kann ein Gefühl dafür entstehen, was
>essen< sein könnte. Damit ist der Ruf nach Individualität nicht geklärt.
Wenn der Wunsch nach Individualität nicht einem eurozentrischen Herz entspringt.
Genuss kann in diesem Kontext als Möglichkeit der Bildung und Selbstbestimmung
durch Erfahrung betrachtet werden. Die kulinarischen Erfahrungen lassen sich steigern,
unterscheiden und bewerten. Bevor ich handgefertigte Pralinées gegessen hatte, wusste
ich nicht, wie Schokolade schmecken kann und verstand auch nicht, warum in einigen
8
Alle Informationen von der Internetseite des Vereins Slow Food Deutschland e.V.: www.slow-
food.de, Stand: 22. 5. 2002
In der Betonung des Regionalen vor dem Nationalen aber der globalen Orientierung, ist
die Bewegung anderen Globalisierungsprozessen ähnlich:
Sie dezentralisiert ihren Wirkungsraum, sie bildet eine diskursiv abgeschlossene Gruppe
(globales Dorf), weil sie sich in ihrer ideologischen Begründung gegen ein Zeitsystem
stellt (Maschinentakt, Computergeschwindigkeit) und somit als Vergleich und
Gegenmodell davon abhängig ist.
Der Vergesellschaftungscharakter lässt sich nach Weber für mich in dem Typus
>zweckrationaler Gesinnungsverein< suchen. Die Zweckrationalität lässt sich anhand
der strukturellen Gliederung und der wirtschaftlichen Rolle seiner Mitglieder feststellen.
In den regionalen Territorien lassen sich durch die Netzwerke der Bewegung
Synergieeffekte herbeiführen: Tauschbeziehungen persönlichen sich, Verbraucher können
Multiplikatoren werden, Tourismus und Gastronomie werden mit Qualitätsmerkmalen
wie >öko< und >naturbelassen< versehen und können auf den Zug der
Nachhaltigkeitsdebatten aufspringen, die Zivilgesellschaft formt sich mit der Aussicht
auf regionale Selbstverwaltung.
Dennoch führe ich das Interesse, Mitglied bei Slow-Food zu werden auf Gesinnung
zurück.
Der Verein zur Verzögerung der Zeit e.V. ist an das Institut für interdisziplinäre
Forschung und Fortbildung (IFF) der Universität Klagenfurt angegliedert und umfasst
derzeit ca. 1000 Mitglieder. Der Gründer Professor Dr. Peter Heintel wollte auf
kollektiver Grundlage eine Reflexion neuer Zeitformen und Phänomene wie der
Beschleunigung und Entschleunigung anregen. Der Netzwerkcharakter der
Der Gliederung Webers zufolge, stellt der Verein zur Verzögerung der Zeit e.V. ein
soziales Beziehungsgebilde der Art >>praktizierte Zweckverein<< mit einer
>>Vereinbarung kontinuierlichen Handelns<< unter der Mitgliedschaft dar. Sicherlich
sind zudem emotionale Anteile des Gesinnungscharakters vorhanden, weil die zu
verfolgende Sache, die Entschleunigung, immateriellen Charakters ist. Die Kontinuität
des Handelns beruht auf der vereinbarten Entsagung an den Aktionismus.
Sanktionsmechanismen sind nicht augenscheinlich, denn die Verabredung beruht auf
dem Konsensus über die Grenzen des Aktionismus: seine Sinnhaftigkeit und seine
psychologische Bedeutung der Ablenkung.
Der Gruppenkonsens hebt sich zum Mut, gegen die Masse zu schwimmen, sich also
bewusst den Strömungen der Masse entgegenzustellen. Ich deute das als rhetorisches
Geschick, den Verein über die Zustimmung der Mitglieder zu legitimieren und natürlich
als Reklame. Als Gegenleistung für den Mitgliedsbeitrag erhielten die Mitglieder ein „ …
Gefühl der Sicherheit, einer Gruppe von Menschen angeschlossen zu sein, die schon
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Alle Zitate aus: http://zeitverein.uni-klu.ac.at.html, Stand: 12. 5. 2002
3.3. Simplify-your-life
Zuletzt möchte ich noch mal die >Sieben Stufen zur Vereinfachung< vorstellen, welche
über das Internetversion der Zeitschrift10 >>simplify your life<< zu erhalten ist. Somit
ist die Anleitung zur Vereinfachung in das Produkt Zeitschrift eingebettet. Für die
Periodika selbst wirbt ein Faltblatt und Gratis-Abonnement und mit der
10
Informationen entstammen der Homepage: http://www.simplify-your-life.de, Stand: 24. 3. 2002
Die Sätze sind in der Form des Imperativs gehalten, wenn auch nicht ersichtlich durch
ein Ausrufezeichen. Sie haben Aufforderungscharakter, was eine gewisse Motivation in
sich trägt. Der Vereinfachungsplan in seiner Richtung zielt auf >Persönlichkeit< und
den Grad der Selbstbestimmung. Eigentlich ist es daher eine Reflexionsmethode, in wie
weit die Lebensgestaltung mit den ideellen Lebenszielen persönlich übereinstimmen.
Um den potentiellen Schrecken einer Diskrepanz und somit die Gefahr einer
Enttäuschung abzumildern, muss sich der im Vereinfachen Befindliche nicht von
Anfang an den Sinnfragen des Lebens stellen, sondern über den Weg der Ordnung der
Lebensbereiche zu diesen Fragen hervordringen. Die mögen bestenfalls bei Erreichen
der Stufe 7 beantwortet sein, weil sich das geordnete Leben klar auf dem beschrittenen
Weg spiegelt. Der Plan gibt keine Dauer vor, doch scheint er langfristig wirksamer, weil
sich durch das Wirken der Kriterien der Ordnung ein Prozess der
Entscheidungsfindung einfinden kann. Dem Prozess der Selbstbeschauung und
Selbstbestimmung seiner Lebensräume kann eine Positionierung folgen, die der
kulinarischen Grenzziehung am Beispiel der Rosinen ähnelt.
Gefahren, für den Plan zu scheitern, ergeben sich, wenn das praktische Vereinfachen als
Aufwand betrachtet wird und sich keine Disziplin einstellt. Umgekehrt ist möglich, dass
viel Disziplin und Aufwand die Vereinfachung praktisch aber nicht mental durchgeführt
wird und sich ein Gefühl der Enttäuschung einstellt. Auch für den Fall, dass der Plan
nach der ersten Motivation den Lebensumständen nicht Stand hält, ist nicht gesorgt,
ebenso wenig, wie für das potentielle Hervorbrechen pathologischer psychischer
Probleme, die an bestimmte Lebensbereiche gekoppelt sind, aber verdrängt wurden.
Auffällig ist der Ratgebercharakter. Als Basis dient das Ergebnis aus den Analysen der
gesellschaftlichen Situation und gesellschaftlichen Tendenzen und Trends und der
psychologischen Diagnose des Unbehagens in den Lebensumständen. Die
Informationen werden zum Produkt verwertet. Da sie für eine bestimmte Art der
Lebensführung werben, vermitteln sie nicht den Eindruck, daran werde Arbeit
aufgewendet. Das Glücksversprechen liegt darin, die Reflexion oder die Folgen der
Reflexion vermeiden zu können. Das Gefühl des Unbehagens wird instrumentalisiert,
Schlussfolgerungen
Die Intention der Entschleunigungs-Gruppen ist es, eine Gegenbewegung zur sich
verändernden Zeit zu schaffen. Die Funktion liegt in der Vergemeinschaftung des
Individuums. Individuen heutiger Zeit sind bestimmt, wie seither von Eigenzeit und
genießen ein hohes Maß an persönlicher Freiheit. Gesellschaftliche Normierungen
haben sich diversifiziert und somit in der Summe abgeschwächt, die Kontroll- und
Herrschaftsmechanismen scheinen subtiler zu wirken: die Sachzwänge der Realität
mischen sich auf eigentümliche Weise mit dem Wissensangebot einer Gesellschaft in
Diskursen und dem Leitbildangebot der Massenmedien – Zwang zur
Selbstvermarktung, zur Innovativität, Mobilität und allseitigen Leistungsbereitschaft.
Das kann den Druck erzeugen, sich ständig neu erfinden zu müssen und erzeugt
Einsicht in die Notwendigkeit von Energiehaushaltung und Lebensplanung. Das Leben
wird also subtil durch Leitbilder determiniert und die Anforderungen der Selbstplanung
erzeugen Stress und Reibung mit den tradierten Herrschaftsformen wie Staat und
Institutionen.
Das Individuum fühlt sich geteilt, verfällt in Aktionismus und verleidet sich das
Glücksstreben.
Wirtschaftliche und sachliche Interessen werden nicht als Begründung für die
Zusammenschlüsse ausgewiesen. Wie es scheint, werden partikulare und wirtschaftliche
Interessen über die Gesinnung transformiert. Gesinnung heißt, selbstbestimmt in der
Gruppe gegen vorherrschende Prozesse anzutreten. Es wird also eine Gegenrichtung
suggeriert, der ich nicht zustimmen würde. Gruppen bilden sich über
Vergemeinschaftungsprozesse, aber weisen Merkmale der Vergesellschaftung auf. Die
oben angeführten Beispiele Slow-Food, Verein zur Verzögerung der Zeit und simplify-
your-life stützen sich inhaltlich auf die Gesinnung eine Gegenentwicklungen zur >Zeit<
zuzusteuern, sie tragen aber in ihrer strukturellen Orientierung (Netzwerke, NGOs) und
in der Form der Kommunikation (international, populärwissenschaftlich, mittels
Internet) zur Infrastrukturierung der globalen Welt bei.