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Wenn Verfassung und

Grundrechte sich kreuzen


Im Wallis sind Staat und Kirche immernoch stark verknüpft, was ein Lehrer letztes
Jahr an der eigenen Haut zu spüren bekam. Seine Darstellung der Geschehnisse.

Von Valentin Abgottspon einen säkularen Staat pes 21. Jahrhundert passen
Vor mittlerweile bald zwei Jahren habe ich das Kru- wollen. Im Artikel 3 heisst es: «Die allgemeine Aufga-
zifix aus meinem Klassenzimmer entfernt und damit be der Walliser Schule besteht darin, die Familie bei
einen Prozess losgetreten, der zu meiner fristlosen der Erziehung und Ausbildung der Jugend:w unter-
Entlassung geführt hat. Es entbrannte ein «Streit stützen. Zu diesem Zwecke erstrebt sie die Zusam-
ums Kruzifix». menarbeit mit den öffentlich-rechtlich anerkannten
Am 11. August 2010 fand zwischen zwei Vertretern Kirchen (nachfolgend Kirchen genannt). Sie bemüht
der Dienststelle für Unterrichtswesen des Kantons sich, die sittlichen, geistigen und körperlichen Anla-
Wallis und mir ein Gespräch statt. Diese Unterre- gen des Schülers zur Entfaltung zu bringen und ihn
dung führte ich - und das habe ich klar so ausge- auf seine Aufgabe als Mensch und Christ vorzube-
drückt - als Präsident der Freidenker-Sektion, als reiten.» Eine jüdische Lehrperson in Sitten müsste
Staatsbürger also, und nicht etwa als Lehrer. Inhalte demnach also beispielsweise ein Mädchen buddhi-
der Unterhaltung waren unter anderem Reglemente stischer Eltern auf ihre Aufgabe als Christ vorberei-
und Verordnungen zum Schulmessbesuch, die ten! Im besagten Gespräch wurde immer wieder auf
ich in der heutigen Zeit als nicht mehr angemes- diesen Artikel zurückgegriffen. Mein Einwand, dass
sen betrachte. So stellt beispielsweise die enge
Einbindung von Religion in den Schulunterricht
viele konfessionsfreie Eltern vor Schwierigkeiten .
Da Vorbereitungen für katholische Rituale wie die
Erstkommunion oder Konfirmation an vielen Pri-
marschulen während den Unterrichtszeiten stattfin- Freidenker.
den - ja es existiert tatsächlich noch ein solches Die Freidenker Vereinigung Schweiz (FVS) ist die
Schulsystem in der Schweiz -, müssen die Eltern wichtigste Interessenvertretung der Konfessions-
sich überlegen, ob sie ihre Kinder für diese Zeit von freien in der Schweiz und wurde im Jahre 1908
gegründet. Sie vertritt eine empirische, naturali-
der Schule dispensieren wollen. Doch würden die
stische Weltanschauung. die ohne Spekulationen
Kinder bei einem allfälligen Fernbleiben des Unter-
über nicht Beweisbares auskommt. Sie setzt sich
richts drei bis vier Wochen des Stoffes verpassen. für die Anerkennung und Durchsetzung der Men-
Die Dienststelle sah jedoch keinerlei Bedarf, die Si- schenrechte ein, sowie für die strikte Trennung von
tuation zu ändern, nicht einmal die Schulen bezüg- Staat und Religion (Laizismus). Sie kämpft dafür,
lich dieser Problematik zu sensibilisieren. Zusätzlich dass keine religiöse Gemeinschaft Sonderrechte
machte ich auch auf den Bundesgerichtsentscheid gegenüber der restliche Gesellschaft für sich be-
aufmerksam, dass religiöse Symbole aus Schulräu- anspruchen kann. Die FVS bietet auch weltliche
men anstandslos zu entfernen seien, wenn Eltern, (d.h. religionsfreie) Rituale an. Am häufigsten sind
Lehrpersonen oder religionsmündige Schülerinnen die Dienste für religionsfreie Abdankungsfeiem ge-
oder Schüler dies verlangen würden. Mir wurde mit- fragt. Anfangs Mai 2010 wurde die Sektion Wallis
des FVS gegründet und Valentin Abgottspon zum
geteilt, dass im Wallis auf eine Professionalisierung
Präsidenten gewählt.
Autor der SChulleitungen hin gearbeitet werde, ich solle
Eine weitere humanistische Vereinigung stellt die
Valentin Abgottspon.(31) mir keine Sorgen machen, die Schulleitungen und
Giordano Bruno Stiftung dar, eine Denkfabrik. be-
aus Staldenried (Wallis) Schulbehörden würden bestimmt angemessen re- stehend aus zahlreichEm Wissenschaftlern, Philo-
studierte Germanistik agieren. sophen und Künstlern. zur Förderung des evoluti-
und Philosophie und Der Beamte, ein Jurist der Dienststelle für Unter- onären Humanismus.
arbeitete in den letzten richtswesen, vermochte nicht professionell zu argu- Der Veranstalter der Podiumsdiskussion. die Hoch-
4 Jahren als Oberstu- mentieren und seine privaten Ansichten zum Chri- schulgruppe «Freidenken» vertritt das Denken der
fenlehrer an der Orien- stentum von allgemeinen Überlegungen zu trennen. FVS und der Giordano Bruno Stiftung an den Hoch-
tierungsschule Stalden, Es sind aber nicht nur Politiker, Beamte und ein schulen.
bis er aufgrund seiner beträchtlicher Teil der Bevölkerung, denen laizis-
Forderung nach säku- tische Ideen fremd sind. Auch das Gesetz über das o
Q.
lären staatlichen Schu- öffentliche Unterrichtswesen aus dem Jahre 1962 c
o
len entlassen wurde. beinhaltet Bestimmungen, welche nicht so recht in ~

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dieser wohl verfassungswidrig sei, zumindest aber
im Einzelfall nicht angewendet werden dürfe, war
den Beamten ziemlich egal. Statt weitere Bestim-
mungen, Reglemente oder Verordnungen aufzuzei-
gen, wurde infrage gestellt, ob ich denn überhaupt
noch weiter unterrichten könne. Mir war zu diesem
Zeitpunkt nicht wirklich klar, ob ich die Ankündigung
einer entsprechenden Überprüfung als Drohung
und/oder als Anweisung zu Schweigen auffassen
sollte. Einigermassen frustriert jedenfalls beendete
ich dieses Gespräch.
Die Schulleitung sollte von mir aus ruhig Auskunft
über meine Arbeitsleistung geben, aber sie sollte
auch guten Gewissens sagen dürfen, dass ich
nicht dabei mithelfe, die Schülerinnen und Schüler
auf ihre Aufgabe als Christen vorzubereiten. Daher
stellte ich der Schulleitung und der Schulpräsidentin
einen Brief zu, in welchem ich forderte, das Kruzi-
fix aus dem Lehrerzimmer zu entfernen, mich von
sämtlichen religiösen Anlässen zu dispensieren und
ich kündigte zudem an, dass ich nicht mehr be-
stimmen wolle, wer von meinen Schülerinnen und
Schülern in den Messen Lektoren und Messdiener
sein sollten. Es erreichte mich daraufhin ein Brief mit
sieben Forderungen, der von allen Gemeindeprä-
sidenten der Schulregion und auch von fast allen
Mitgliedern der Schulkommission unterschrieben
worden war (sh. S. 35). Gefehlt hat einzig die Un-
terschrift des Priesters. In Stalden ist der römisch-
katholische Priester von Amtes wegen Mitglied der
regionalen Schulkommission. Ich antwortete dann,
dass es nicht in Frage komme, in meinem Schul-
zimmer ein Kruzifix aufzuhängen oder hängen zu
lassen würde. Ich kündigte auch an, dass ich auf
mein Grundrecht nicht verzichten und, sollte die
Schulbehörde diese Forderung aufrecht erhalten,
eine beschwerdefähige Anordnung mit Rechtsmit-
telbelehrung verlangen würde.
Statt einer beschwerdefähigen Anordnung er-
hielt ich dann während der letzten Lektion vor den
Herbstferien eine fristlose Kündigung ausgehändigt.
Mittlerweile ist ein Rechtsgutachten von Prof. Mar-
kus Schefer (Universität Basel) erschienen, welches
nachweist, dass sowohl die Kündigung als auch
Teile des Unterrichtsgesetzes und der Praktiken
an öffentlichen Schulen im Wallis verfassungswid-
rig sind. Gerade dieser Fall macht für mich klar, wie
nötig es ist, dass sich auch säkulare Leute in Ver-
einigungen organisieren. An den Hochschulen hat
sich mittlerweile eine Gruppierung gebildet, die mit
der FVS und der Giordano Bruno Stiftung zusam-
menarbeitet. Die religiösen Vereinigungen verfügen
über enorm viel Lobby-Einfluss und geniessen auch
in vielen Bereichen eine Art Gratis- und Vorschuss-
respekt. Meine Erfahrungen liefern ein sehr kon-
kretes, anschauliches Beispiel, wo die Trennung von
Staat und Kirche noch immer nicht funktioniert.

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