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Michael Gallati
Einführungsproseminar: Alltagskulturanalyse
Herbstsemester 2007
Evtixia Bibassis
Röntgenstrasse 41
8005 Zürich
2 EINLEITUNG
23 SCHLUSSWORT
24 LITERATURVERZEICHNIS
26 ABBILDUNGSVERZEICHNIS
1
EINLEITUNG
Das Gesicht der Langstrasse in Zürich verändert sich: Umbauten, Neubauten, weniger Dealer,
mehr Polizeipräsenz, In-Lokale und deren Klientel. Welche Rolle spielen die Printmedien in
diesem von der Stadt initiierten Aufwertungs-Prozess? Propagieren sie ein verbessertes Image
und sind somit zu den Akteuren der Gentrification zu zählen? Diesen Fragen gehe ich im
Folgenden nach.
2
Stauffacherstrasse/Hermann-Gräulich-Strasse kreative Kräfte, in der Literatur werden sie
Pioniere genannt, ebenfalls hier waren. Weitere Pioniere - Studenten, Künstler, kreativ
Arbeitende – sind hier neben etlichen Ateliers und alternativen Galerien vorzufinden. Auch ist
der Kreis 4 jung, die Hälfte aller EinwohnerInnen sind zwischen 25 und 44 Jahre alt, hat einen
hohen AusländerInnnen-Anteil und die Mieten sind im städtischen Vergleich relativ günstig1
– all dies verschafft dem Ort ein besonderes Flair.2 Initiatorin des Aufwertungsprozesses ist
die Stadt – auch dies ein Indikator für Gentrification. Mit den Legislaturzielen, Aufwertung
von belasteten Stadtgebieten (1998-2002) und Lebensqualität in allen Quartieren (2002-
2006), hat sie den Prozess in Gang gesetzt.3 Mit "public-private-partnership" holt sie sich
zusätzlich die finanzkräftige Unterstützung aus der Privatwirtschaft, ohne jedoch die
Kontrolle über die Stadtteilentwicklung aufgeben zu müssen. Benennenswert ist, dass das
Wort "Gentrification" von den städtischen Behörden nie benutzt wird. Es scheint noch immer
ein Reizwort, aus dem Anti-Gentrification Aktivismus der 1970er und frühen 1980er Jahre zu
sein. Mit Gentrification, wird noch immer Verdrängung einkommensniedrigerer
Bevölkerungsgruppen durch Finanzstärkere gleich gesetzt. Obschon die Forschung seit Mitte
1980er Jahre mehrmals belegt hat, dass Verdrängung kein zwingendes Merkmal sein muss
und aktuelle Begriffsbestimmungen diesen Aspekt nicht in die Definition einbeziehen.
Doch die starke Polizei- und SIP-Präsenz, der mobile Polizeiposten signalisieren hier
unmissverständlich: erlaubt ist was nicht stört und wer nicht stört. Offenbar stellt eine
Existenz am Rande der Gesellschaft eine grosse Gefahr für die konforme Bevölkerung dar.
Diese Bedrohung muss, so könnte man meinen, (video-)überwacht, architektonisch
kontrolliert und gebannt werden.4 Die Diskussion um einen Wegweisungsartikel für das
Langstrassengebiet, die architektonische Neugestaltung des namenlosen Platzes Ecke
Hohlstrasse/Langstrasse, das sind, um nur diese zu nennen, Beispiele starker Handlungen, die
gewisse Bevölkerungsgruppen fernhalten sollen, immer im Namen der Lebensqualität im
Quartier. Den ironischen Ton kann ich hier schwererdings unterdrücken, da Drogen- und
Sexmilieu nur einen Teil der Quartiersbelastung ausmachen, gegenüber der Stadt-
Öffentlichkeit aber als Hauptbelastung gehandelt werden und die Gegen-Massnahmen somit
gerechtfertigt scheinen.
1
Fachstelle für Stadtentwicklung, Quartieraufwertung mit Massnahmen des Immobilienmarktes im
Langstrasssenquartier (Analysen und Strategievorschläge). Schlussbericht, 2003, S. 7.
2
Dies mag auch der Grund sein, dass Gentrifier wie das Galeristen Pärchen Hauser & Wirth an der
Bäckerstrasse einen Neubau von Theo Hotz errichten liessen. Der Zweitwohnungsbestand könnte in einer
Untersuchung als Gradmesser für den Gentrificationprozess dienen.
3
Fachstelle für Stadtentwicklung, Lebensqualität, Ausgabe 4, september 2001, S. 3.
4
Wie dies etwa mit 17 Überwachungskameras am Limmatplatz im Kreis 5 geschieht.
3
Die Motivation zur Untersuchung der Printmedienberichte zur Langstrasse
Das Dilemma zwischen weiterer Verslummungstendenz, wenn man nicht interveniert, und der
Aufwertung mit der Verdrängungsgefahr, liess mich, trotz all den oben beschriebenen
Beobachtungen, nicht mit absoluter Überzeugung sagen, dass hier ein Gentrification-Prozess
am laufen ist und nicht etwa eine Stabilisierung, eine soziale Stadtteilentwicklung.5 Diese
kleine, irritierende Verunsicherung hat mich motiviert, den Indikator Medienberichte, genauer
zu betrachten. Die Rolle der Medien wurde schon in den frühesten Modellen zum Verlauf
einer Gentrification erkannt. Denn gerade die Medien sind wichtig, um das aufgewertete
Image in der breiten Öffentlichkeit zu verankern. Sie vermögen einen "way-of-life" zu
propagieren. Das urbane Pulsieren, in Wort und Bild skizziert, zieht neue Investoren an,
vermag Bankinstitute zu einer neuen Kreditvergabepraxis motivieren, ebenso die
Vergabepraxis von Vermietern ändern und lässt zahlungskräftigere, aber weniger risikobereite
Lifestyle-StädterInnen, die Gentrifier, in das Quartier umsiedeln.
Die Untersuchung der Printmedienmeldungen war geleitet von der Frage, was für ein Bild des
Langstrassenquartiers vermittelt wird. Da ich bisher keine empirische Forschung betrieben
habe, habe ich die Artikel nach intuitivem Gutdünken kategorisiert. Dies in der Hoffnung eine
nachvollziehbare, quantitative Aussage machen zu können. Ich sehe meine Arbeit als erster
Versuch, als ein Sprung ins kalte Wasser der Empirie. Stelle aber meine Recherchedokumente
nur zu gerne einer weiteren, vielleicht mit Einbezug von textlinguistischen Methoden,
Untersuchung zur Verfügung. Diesbezüglich können die pdf-Dateien jederzeit bei mir
angefordert oder eingesehen werden.
5
Solche stabilisierenden Massnahmen können allerdings nahtlos in eine Gentrification übergehen.
4
I GENTRIFICATION – EINE SCHWIERIGE BEGRIFFSBESTIMMUNG6
"One by one, many of the working class quarters of London have been invaded by the middle class – upper an
lower. Shabby, modest mews and cottages – two rooms up and two down – have been taken over, when their
leases have expired, and have become elegant, expensive residences. Larger Victorian houses, downgraded in an
earlier or recent period – which were used as lodging houses or were otherwise in divided into costly flats or
'houselets' (in terms of the new real estate snob jargon). The current social status and value of such dwellings are
frequently in inverse relation to their size, and in any case enormously inflated by comparison with previous
levels in their neighbourhoods. Once this process of 'gentrification' starts in a district, it goes on rapidly until all
or most of the original working class occupiers are displaced, and the whole social character of the district is
changed."7
Die Soziologin Ruth Glass beobachtet Ende der 1950er Jahre den Wandel der Bevölkerung in
den Altstadtquartieren Londons und führt den Begriff 1964 mit der obigen Beschreibung des
Phänomens ein. Er lässt sich von "gentry", der früheren Bezeichnung (18. & 19. Jh.) für den
niederen Landadel bzw. einer nobeln Bürgerschaft, herleiten. Der Begriff konnte sich
allerdings erst Mitte der 1980er Jahre durchsetzen. Vorher suchte man nach alternativen,
weniger britischen Bezeichnungen wie etwa, middleclass-resettelment, neighbourhood-
renewal, neighbourhood-reinvestment, back-to-city-movement, urban reinvasion, inner-city-
revitalisation, privat market housing renovation, embourgeoisement u.a.
Doch über das Verständnis, bzw die Definition von Gentrification war man sich lange nicht
einig. Oft orientierten sich die Bestimmungen am Forschungsgegenstand und am Zugang des
Forschers, der Forscherin. Dass diese Uneinigkeit sich eher negativ für die Forschung
auswirkt, ist einleuchtend. Jürgen Friedrichs weist in seinem Aufsatz erstmals deutlich auf
dieses Problem hin. 8
Das Spektrum der Begriffsbestimmungen reicht von solitären Definitionen mit nur einem
Merkmal über duale, bis zu holistischen Definitionen.
Die solitären Definitionen fokussieren den sozialen Austausch, um in von anderen
Stadtteilentwicklungen abzugrenzen. Ein Beispiel für eine solitäre Definition gibt Jürgen
Friedrichs 1996, "Gentrification ist der Austausch einer statusniedrigen Bevölkerung durch
eine statushöhere Bevölkerung in einem Wohngebiet."9
Die Dualen kombinieren den sozialen Austausch mit der baulichen Aufwertung und sind die
meistverwendeten Definitionen unter denen auch die von Ruth Glass zu zählen wäre.
6
Die folgende Ausführungen beruhen im Wesentlichen auf Glatter, 2007 und Krajewski, 2006.
7
Glatter, 2007, S. 7.
8
Friedrichs/Kecskes, 1996, S. 13-40.
9
Krajewski, 2006, S. 37.
5
Die holistischen Definitionen nehmen mehrere Veränderungsprozesse auf. So z. B. die
Definition von Chris Hamnett, die beschreibende und erklärende Merkmale umfasst. "[the
Gentrification is] simultaneously a physical, economic, social and cultural phenomenon. Gentrification
commonly involves the invasion by middle-class or higher income groups of previously working-class
neighbourhoods or multi-occupied "twilight areas" and the replacement or displacement of many of the original
occupants. It involves the physical renovation or rehabilitation of what was frequently a highly deteriorated
housing stock and its upgrading to meet the requirements of its new owners. In the process, housing in the areas
affected, both renovated and unrenovated, undergoes a significant price appreciation. Such a process of
neighbourhood transition commonly involves a degree of tenure transformation from renting to owning."10
10
Krajewski, 2006, S. 37.
11
Krajewski, 2006, S. 38.
12
Glatter, 2007, S. 8-9. Verschiedene Autoren halten fest, dass es sich im Allgemeinen schwierig gestaltet, eine
Verdrängung einer einkommensschwächeren Bevölkerung durch eine einkommenshöhere Gruppe empirisch
nachzuweisen. Hinzu kommt, dass Pioniere sich im Verlauf der Zeit beruflich weiter entwickeln und zu
Gentrifiern werden können und somit auch keine Verdrängung statt findet. Bei Glatters Studie ist die
Verdrängung zudem nicht konstituierend, weil sie in der postsozialistischen Stadtentwicklung nicht stark
ausgeprägt ist.
6
sondern auch Quartiere mit jüngerer Bausubstanz, anderer Sozialstruktur, auf dem Land, in
ehemaligen Industrie- und Hafengebieten.
Auch die den Umwertungsprozess initiierenden Akteure haben sich mit der Entwicklung und
der daraus gezogenen Erfahrungen über Gentrification-Indikatoren und -Merkmale gewandelt
– einheitlich bestimmen liessen sie sich allerdings nie. Bis in die 1970er Jahre hinein waren es
mehrheitlich private Personen, aus einem tendenziell alternativen Lebens- und Konsumstil-
Umkreis, die den Prozess unbeabsichtigt in Gang brachten. Diese Rolle der kreativen
Pioniere, der alternativen Kunst- und Kulturszene ist früh wahrgenommen worden. Sie wurde
zunehmend von einer professionellen Kulturindustie ersetzt, die heute z.T. selbst als
Investoren agieren und Sorge tragen, dass sich das Gebiet auch zu einem Trend-Quartier
entwickelt. In den 1980er Jahren, früher noch als die initiierenden Kreativekräfte, wurde das
wirtschaftliche Potential der Gentrification erkannt und von Immobilien- und
Kapitalgesellschaften genutzt. Dies auch mit dem Gutheissen oder gar Fördern durch die
öffentlichen Hand. Heute treten solche Gesellschaften z. T. als direkte Initiatoren einer
Gentrification auf, ebenfalls ohne das Pioniere das entsprechende Gebiet zuerst umwerten.
13
Siehe Aufsatzsammlung von Atkinson, 2005.
7
II DIE POLITISCHE INTERVENTION: LANGSTRASSE PLUS
Geographisch ist das Langstrassenquartier in meinen Ausführungen innerhalb folgender
Parameter gelegen: bezüglich der Nord-Südachse vom Limmatplatz im Kreis 5 bis zur Ecke
Badenerstrasse/Langstrasse im Kreis 4. Diese Langstrassen-Achse wird gegen Osten und
Westen bis zu den nächst grösseren Parallelstrassen erweitert. Im Kreis 4 bis zur
Kanonengasse/Ankerstrasse östlich und westlich bis zur Feldstrasse. Im Kreis 5 östlich bis zur
Klingenstrasse und westlich bis zu den Viaduktbögen.
Mittlerweilen ist sich die Forschung einig: es gibt keine allgemeingültige Definition von
Gentrification. Auch ist ein homologes Konzept der Gentrificationprozesse nicht haltbar.14
Jan Glatter schlägt bei der Betrachtung eines möglichen Gentrificationprozesses vor, die
Einflussfaktoren und Zusammenhänge auf verschiedenen Massstabsebenen und zu
verschiedenen Zeiten der Entwicklung zu untersuchen.15 Um der Komplexität der
Gentrification gerecht zu werden, ist es sinnfällig ein idealtypisches Verlaufsmodell zu
modellieren, welches den Prozess in verschiedenen Ebenen, sozial, baulich, kommerziell und
symbolisch betrachtet. Das im Folgenden skizzierte städtische Projekt "Langstrasse Plus"
siedelt sich im Mehrebenen-Modell möglicher Einflussfaktoren auf der Mesoebene der Stadt
bzw. des Stadtteils an und bezieht sich auf den Einflussfaktor "politische Intervention".16
14
Glatter Jan, S 43.
15
Glatter Jan, S.44.
16
Glatter Jan, S.44 Modell der Einflussfaktoren auf den Prozess der Gentrification.
8
Aussersihls findet.17 Ein ähnliches Szenario spielte sich in den 1970er und 1980er Jahren ab,
als die Kreise 4 und 5 für eine neue Bevölkerungsgruppe und den tertiären Wirtschaftssektor
erschlossen werden soll. Nur konnte die Stadt nicht ohne Widerstand über das Gebiet
verfügen.18 Gerade dieser eigentümliche Ortscharakter, gefurcht durch die Geschichte des
Anrüchigen und des Stigmatisierten, zieht im Verlauf der zweiten Hälfte des vorigen
Jahrhunderts neue Bewohner/Innen an. Junge Erwachsene, entweder gesellschaftspolitisch für
das Andere und das Marginalisierte einstehend, oder einen nicht angepassten,
"experimentellen" Lebensstil habend19. Die Kreise 4 und 5, erstarkt an den Interventionen,
sind unartige und eigensinnige Kinder der Stadt. Diesen Eindruck, so glaube ich, teilen die
städtische Behörden und die Stadtentwicklung Zürich mit mir. Vor diesem Hintergrund sehe
ich die Konzeption der aktuellen politischen Intervention "Langstrasse Plus".
Seit 1998 begleitet bzw. koordiniert die "Stadtentwicklung Zürich", die dem
Präsidialdepartement unterstellt ist, auf gesamtstädtischer Ebene eine nachhaltige
Quartierentwicklung. Hierzu erschaffen Arbeitsgruppen die Grundlagen zum Thema.
Im Spätherbst 2000 beauftrag der Stadtrat eine departementsübergreifende Arbeitsgruppe. Sie
entwickeln Massnahmen zur Verbesserung der aktuellen Situation und planen die langfristige,
17
Berger, Somm, Hildenbrand, Stadtteil zwischen Abwertung und Aufwertung, S. 4.
18
Die Gesellschafts- und Kapitalismuskritik der 68er Studentenbewegung schlug sich in den 1970er Jahren und
frühen 1980er Jahren in den europaweiten und us-amerikanischen Anti-Gentrification-Initiativen nieder. Siehe
Jan Glatter, S. 16. Zur Situation in Zürich, Stauffacher, siehe Stahel Thomas, 2006 und Wolkenstein P.M.,
Reyneclod Didymos, 1985.
19
Berger, Somm, Hildenbrand, Stadtteil zwischen Abwertung und Aufwertung, Tabelle der
Milieurepresentanten, S. 10.
20
Rolf Vieli in: Beat Metzler, Der Schmächtige trotzt vielen Gegnern, Tagblatt der Stadt Zürich, 23.05.07, S. 7.
9
nachhaltige Aufwertung des Langstrasse-Quartiers. Die Erfahrungen des Vorgängerprojektes
"Pro Langstrasse Quartier", 1995 – 1998, sollen in das neue Aufwertungsprojekt einfliessen.
Wohl noch von der Berühmtheit des Platzspitz hinter dem schweizerischen Landesmuseum
und des Lettens traumatisiert, von der relativen Wirkungslosigkeit vom Projekt "Pro
Langstrasse Quartier" ernüchtert, suchte die Stadtregierung nach einem nachhaltigen Konzept
für die labile Situation rund um die Langstrasse. Doch die Stadt muss hier besonders auch mit
den Bewohnern rechnen21. Die Erfahrung der Widerstände gegen grossangelegte bauliche und
strukturelle Veränderungen der frühen 80er Jahre – z.B. im Kreis 4 am Stauffacher oder im
so genannten Dreieck – dürften ebenfalls in die Strategie eingeflossen sein.
Am 14. März 2001 bewilligt der Stadtrat das umfassende Projekt "Langstrasse Plus". Es steht
unter der Gesamtverantwortung der Polizeivorsteherin Esther Maurer und ist als Vier-
Säulenmodell – Sicherheit im öffentlichen Raum, Leben im Quartier, Liegenschaften
Nutzungen, Gebietsentwicklung – konzipiert.22
Schnell ändern sollte sich die Situation auf der Parkanlage Aussersihl, die heutige
Bäckeranlage. Dort hatte sich seit geraumer Zeit eine offene Drogen- und Alkoholszene
eingenistet. Drogendeal, dessen Konsum sowie die Alkoholiker-Szene sollen für die
Quartierbewohner erleb- und sichtbar eingedämmt werden. Die Grünfläche schnellstmöglich
wieder für die QuartierbewohnerInnen rückerobert werden. Doch auch das Rotlichtmilieu,
welches seit Ende der 1970er Jahre floriert, miteinander konkurriert und in der Konsequenz
zum Teil aggressive Freierumwerbung betreibt soll in seinen Wucherungen und illegalen
Aktivitäten eingedämmt werden. Diese zwei Hauptprobleme im Bereich Langstrasse ziehen
andere unliebsame Faktoren nach: Lärm und Schmutz.
Mit der neuen Bau- und Zonenordnung für das Langstrassengebiet, die 2001 in Kraft trat, hat
die Stadt auch die juristische Grundlage geschaffen, um grosszügige Sanierungen und
Renovationen, die einem zeitgemässen Wohnen und Arbeiten entsprechen, zu ermöglichen.
Das kommunizierte Ziel des Stadtentwicklungsprojektes: eine gute Mischung von Wohnen,
Kleingewerbe und Prostitution.
21
Sieß Immanuel, Mit den Bewohnern rechnen, Nachhaltige Modernisierung von Wohnsiedlungen im Dialog
mit den Mietern. Seit den 90er wird diese Einbeziehung, von Privaten wie öffentlichen Institutionen diskutiert
und praktiziert.
22
Polizeidepartement der Stadt Zürich, 2003.
10
III. GENTRIFICATIONINDIKATOR MEDIENBERICHTE
23
Häussermann, Grossstadt Soziologische Stichworte, S 60 – 62.
24
Yann Cherix, Bewegung im Langstrassenquartier. Klimawandel im Rotlichviertel. In: Züritipp/Tagesanzeiger,
08.11.07, S. 4.
25
So z. B. die Problemliegenschaft an der Sihlhallenstrasse. Diese wurde von der Stadt gekauft und beherbergt
nun eine Sex- und Drogenmilieuferne Bar; das Hotel Rothhaus wechselt den Besitzer und wurde in restaurierter
Form wieder zu einem richtigen Hotelbetrieb.
26
Friedrichs/Kecskes, 1996.
27
Die Veränderungen der Angebotsseite in Gentrificationgebieten wird mehrheitlich mit der value-gap und der
rent-gap Theorie beschrieben; die der Nachfrageveränderung wird in der aktuelleren Literatur mit allgemeinem
Gesellschaftswandel erklärt. Siehe Hartmund Häußermann S. 64-66.
11
somit zum Wegzug drängen. Das Geschäftsmodell Kleingewerbetreibender kann die
Mietkosten nicht tragen oder ihr Klientel ist weggezogen. Der Wandel der
Bevölkerungsstruktur kann aber auch nicht durch direkte Verdrängung wie eben beschrieben
passieren, sondern zum Beispiel auch durch den beruflichen Aufstieg der Pioniere. Doch in
dieser letzten Phase der Aufwertung ist das Gebiet rund um die Langstrasse noch nicht.
Mehrmals betont Rolf Vieli, Leiter des Projektes "Langstrasse Plus", in publizierten
Interviews, dass es nicht zu einer Verdrängung kommen wird. "Wird der Kreis 4 mit all
seinen Trendlokalen und Edelwohnungen bald ein Schickimickiquartier? Nein, ganz gewiss
nicht. Wir sind noch meilenweit davon entfernt, und vor allem zwei Dinge werden das
verhindern: Im Langstrassenquartier gibt es viele kleine Parzellen, die grosse und teure
Überbauungen verhindern. Und zahlreiche Hausbesitzer hier haben eine soziale
Verantwortung gegenüber dem Quartier."28 "'Es braucht eine bessere Durchmischung und
auch neue Bewohnerinnen und Bewohner.' Und zwar solche, die sich für die Lebensqualität
hier engagierten, betont er [Vieli]."29 "Das Angebot an günstigen Wohnungen ist der am
häufigsten genannte Grund für die Wahl des Wohnortes Langstrassengebiet. Fast ebenso oft
werden Lebendigkeit und Multikultur sowie das vielfältige Kultur- und Ladenangebot als
Grund für den Zuzug genannt. Deutlich zum Ausdruck kommt in der Umfrage aber auch eine
Angst vor Verteuerung des Wohnraums und davor, dass die Aufwertung des Quartiers kippen
und die Langstrasse «seefeldisiert» werden könnte. 'Eine Gentrifizierung respektive
Yuppisierung des Quartiers wird von vielen befürchtet und explizit nicht gewünscht', heisst
es."30 Ein Bevölkerungsstrukturwandel lässt sich zum heutigen Zeitpunkt weder widerlegen
noch feststellen. In einigen jüngeren Zeitungsartikeln äussern Quartierbewohner die Angst
vor einer Juppysierung und geben als negative Referenz den Kreis 5 an. Doch nun zu den
Medienberichten, die in den Verlaufsmodellen, je nach Phasenanzahl in der letzten oder ab
der zweiten Phase als Indikatoren auftreten.
28
Lukas Häuptli, Die Stadt muss im Kreis 4 investieren, Tages-Anzeiger, 17.11.06, S. 17
29
Alfred Borter, Langstrassenquartier Der 2-Millionen-Franken-Kredit wird nicht angetastet. Wenns nur kein
Papiertiger wird, Zürichsee-Zeitung, 10.06.06.
30
Martin Huber, Viel Sympathie für Langstrasse, Tages-Anzeiger, 25.10.07, S. 60.
12
IV DER UNTERSUCHTE MEDIENPOOL
Als grosser Printmedienpool stand mir das Archiv der schweizerischen Mediendatenbank
(www.SMD.ch) mit 151 regelmässig erfassten Schweizer Quellen zur freien Verfügung. Die
Bandbreite der Datenbank erstreckt sich von Tageszeitungen über Wochenzeitungen,
Magazine bis Zeitschriften. Die Recherche beschränkt sich auf die Begriffe "Langstrasse" und
"Langstrasse Plus". 340 Artikel sind es insgesamt, wobei die doppelten Artikel, also jene die
in beiden Recherchen vorkommen, nur einmal in der Zählung aufgenommen wurden. Beim
ersten Lesen habe ich die Artikel in grobe Inhalts-Kategorien unterteilt. Beim zweiten
Durchgang habe ich die Kategorien nochmals reduziert. So sind mehrere Subthemen in einer
übergeordneten Kategorie zusammengefasst.
13
1997 Anzahl Artikel
Image /multikulti eher positiv 4
Quartierzentrum 2
Kriminalität 1
14
2003 Anzahl Artikel
Negativ Image 1
Gewerbetreibende und Anwohnerstimmen 3
Verkehr 5
Langstrasse Plus 6
Positives Image 3
Polizeibericht 1
Parteipolitische Stimme 3
15
IV.1.1 KLEINES FAZIT
Image
15 Meldungen geben ein negatives Image vom Gebiet rund um die Langstrasse. Wobei 11
solcher negativen Berichte im Zeitraum 1994-2000 erschienen. 2001-2007 waren es nur noch
deren 4. Umgekehrt verhält es sich mit den Berichten, die ein positives Image abgeben: Von
den total 18 Berichten, erscheinen 4 in den Jahren 1994-2000 und die restlichen 14 positiven
Meldungen erscheinen 2001-2007. Rein rechnerisch betrachtet ergibt das ein eher Positives
Image.
Kriminalität/Polizeimeldungen
22 Artikel sind Polizeimeldungen oder berichten über Kriminalität bzw. Gewalt. 4 Meldungen
sind es von 1996-2000, 2001-2007 die restlichen 18.
Verkehr
7 von 24 Artikeln widmen sich 1994-2000 dem Verkehr. 17 Artikel 2001-2007, wobei 10
alleine im Jahr 2007 erschienen sind.
Städtische Projekte: Pro Langstrasse/Langstrasse Plus
1994-2000 berichten 4 Artikel vom städtischen Projekt Pro Langstrasse. 2001-2007
erscheinen 41 Meldungen, welche entweder das Projekt selber, den Projektleiter Rolf Vieli
(Interviews) oder die Fortschritte des Projektes thematisieren.
Kultur (Kunst/Lesungen/Events)/Bar- und Restauranttipps
Ab 2002 berichten 11 Artikel über Bars, Restaurants und kulturelle Veranstaltungen.
Bewohner/Innen-Stimmen und Stimmen der Gewerbetreibenden
2002 und 2003 je einen Artikel.
Quellen und Anzahl Meldungen: Tagesanzeiger 41, Neue Zürcher Zeitung 35, Tagblatt der
Stadt Zürich 9, Zürichsee Zeitung 3, Zuger Zeitung 3, Neue Luzerner Zeitung 8, Aargauer
Zeitung 11, Der Landbote 1, Der Bund 1, Cash 1, Facts 1, Die Weltwoche 2, Limmattaler
Tagblatt 7, Hochparterre 1, Willisauer Bote 1, Le Temps 2, Le Matin 1, Tribune de Genève 1,
Zürich Express 4, Züritipp 1, Blick 1, heute 1
16
2001 Anzahl Artikel
Langstrasse Plus 24
Polizeimeldungen 4
Podiumsdiskussion 1
Die Besetzten Häuser, Ego-City an der Badenerstrasse und das Haus an der Ecke Stauffacher-
/Herman-Greulich-Strasse 1
Parteipolitische Stimmen zu Langstrasse Plus 2
17
2006: Anzahl Artikel
Kriminalität 3
Langstrasse Plus, Liegenschaften, Integration, Image 21
Anwohnerstimmen 1
Kultur/Zürich 4, Paris 18 1
Podiumsdiskussion zur Langstrasse 1
WM-Lärm, Prostitution während WM 1
18
Podiumsdiskussion
4 Artikel berichten über Podiumsdiskussionen rund um die Aufwertung, 2001-2003 und 2006
je einen.
Parteipolitische- und Stadtratsmeldungen
19 Meldungen insgesamt, 12 parteipolitische Äusserungen in den Jahren 2001-2003, 2005
werden 7 Stadtratsmeldungen veröffentlicht.
Sozialamt/Fürsorge
2002 erscheinen 1 Interview mit Monika Stocker und 3 Artikel über die Unterkunft weniger
Sozialhilfeempfänger/Innen in Einzelzimmern von schwierigen Liegenschaften, deren Miete
das Sozialamt übernimmt.
Besetzte Liegenschaften
2001 erscheint 1 Artikel zu Ego City, dem besetzen Haus an der Badenerstrasse und der
Besetzung an der Ecke Hermann-Gräulich-/Stauffacherstrasse. Beide existieren heute nicht
mehr und mussten einem Design Hotel und einem Komplex mit teureren Wohnungen und
einem "Lifestyle" Restaurant weichen.
19
V. ZUSAMMENFASSUNG DER BEOBACHTUNGEN BEIDER RECHERCHEN
"Das Langstrassenquartier galt jahrelang als zweifelhaftes Sex-, Drogen- und Vergnügungs-
viertel. Plötzlich aber bauen Private millionenteure Häuser mitten im Kreis 4. [...]
Gegenwärtig werden zwischen Bahnunterführung und Helvetiaplatz nämlich ein halbes
Dutzend neue Wohn- und Geschäftshäuser geplant und gebaut. Deren Kosten: total
mindestens 25 Millionen Franken. An der Ecke Lang- und Brauerstrasse soll an Stelle des
früheren Modegeschäfts Perla ein fünfstöckiger Neubau entstehen. In den oberen Geschossen
sind Wohnungen und Lofts geplant (Fläche: 80 bis 100 Quadratmeter), im Parterre
Geschäftsräume oder ein Restaurant. Die Baukosten belaufen sich auf drei bis vier Millionen
Franken, Bauherr ist eine Privatperson aus dem Säuliamt. [...] Bereits abgebrochen ist das
Gebäude des ehemaligen Restaurants La Côte an der Lagerstrasse. Hier lassen drei
Privatpersonen aus den Kantonen Zürich und Aargau ein siebenstöckiges Haus mit fünfzehn 3
1/2-Zimmer-Wohnungen (Fläche: 100 bis 125 Quadratmeter) sowie zwei Geschäften bauen.
Die Kosten betragen rund neun Millionen Franken, die Eigentumswohnungen kosten
zwischen 560 000 und 850 000 Franken. Mehr als die Hälfte davon sei schon verkauft, sagt
der Projektleiter. Bezugsbereit ist die Liegenschaft im Herbst 2007. Ebenfalls im Herbst 2007
fertig ist das Haus an der Schöneggstrasse 27. Im fünfstöckigen Gebäude entstehen fünf Lofts
und ein Laden. Bauherrin ist eine private Baugenossenschaft aus Zürich, die Land und Altbau
von der Stadt im Baurecht übernommen hat. Die bestehende Liegenschaft wird abgerissen,
der Neubau kostet rund drei Millionen Franken. Die Wohnungen mit 80 bis 125 Quadratmeter
Fläche und Mietzinsen zwischen 2200 und 2800 Franken monatlich seien bereits vermietet,
sagt der Projektleiter. Zwei sechsstöckige Gebäude sind an der Neufrankengasse geplant. Das
eine steht bereits im Rohbau, und zwar an Stelle zweier Abbruchliegenschaften. Im Haus sind
acht Lofts, drei Büros und eine Bar geplant. Die Wohnungen sind bis 130 Quadratmeter gross
und kosten monatlich zwischen 2300 und 3300 Franken. Unmittelbar daneben, wo sich heute
das Restaurant Tessinerkeller befindet, soll in rund drei Jahren ein Gebäude mit ebenfalls acht
Wohnungen sowie mit Geschäftsräumen entstehen, die etwa gleich teuer sind wie die im
Nachbarhaus. [...] Dass private Investoren im Langstrassenquartier plötzlich Häuser bauen,
dürfte zwei Gründe haben. Zum einen greift das städtische Quartierberuhigungsprogramm
Langstrasse Plus mehr und mehr. Die halb offene Drogenszene konnte vor allem durch
vermehrte Polizeirazzien verkleinert werden. Die Zahl der Sexsalons und Bordelle verringerte
sich, weil die Stadt mit baurechtlichen Massnahmen zahlreiche Etablissements schloss. Vor
allem aber griffen Stadt und Langstrasse-Plus-Projekt in den Immobilienmarkt im Kreis 4 ein.
20
Ein ehemaliges Bordell an der Sihlhallenstrasse kaufte die Stadt selbst, verschiedene andere
problematische Liegenschaften wurden von der städtischen Stiftung PWG erworben.
«Natürlich war die Quartierberuhigung durch die Stadt ein Grund für unsere Investition», sagt
etwa der Bauherr des Projekts an der Langstrasse."31
Diese Auszüge aus einem Tages-Anzeiger Artikel geben exemplarisch meinen gewonnen
Eindruck wieder. Die Printmedien berichten seit dem Jahr 2000 bis heute kontinuierlich,
überwiegend positiv von der Langstrasse:
Anfangsphase der Betrachtung: Wir sind aktiv!
Anfangs wurde das Projekt "Langstrasse Plus" vorgestellt und die darin enthaltene Strategie
der Stadt, in den Liegenschaftenmarkt einzugreifen bzw. Häuser aufzukaufen. Neben diesem
Vorstellen des städteplanerischen Vorhabens, erschienen in der Anfangsphase von
"Langstrasse Plus" 2001/2003 viele Artikel, die die Polizei- und SIP-Arbeit beleuchten, dies
weit über die Kantonsgrenzen hinaus. Es erscheinen mehrere, reportageartige Artikel, deren
Autor einen Polizisten in seiner Tätigkeit an der Langstrasse begleitet. Die Leserin, der Leser
ist mit dabei an vorderster Front. In dieser Anfangsphase kommen zu Langstrasse Plus,
Polizei-/SIP-Arbeit, noch die zahlreichen Berichte über die Erfolgreiche Rückeroberung der
Bäckeranlage und die nachhaltige Vertreibung der Junky- und AlkoholikerInnen-Szene.
Mittlere Phase der Betrachtung: Wir bleiben dran!
Nun greifen die ersten Massnahmen von "Langstrasse Plus", die Käufe der Stadt und die neue
Nutzung der Liegenschaften werden intensiv beschrieben, immer im Kontext der städtischen
Aufwertung, der städtischen Politur. Vermehrt rücken nun auch private
Liegenschaftenbesitzer in den Fokus der Berichte. Zum einen werden Besitzer von schwierig
eingestuften Liegenschaften an den Pranger gestellt, zum anderen werden erwünschte Kauf-
und Sanierungstätigkeiten von privaten Investoren oder Baugenossenschaften ausgeleuchtet.
Das Quartierleben, der Verein, die Zeitung, die kulturellen Events und Gastrotipps finden
vermehrt Eingang in die Presse.
Letzte Phase der Betrachtung: Und es wird noch besser!
Neben den steten Berichten zu neuen Wohnungen, Gastrobetrieben, Geschäften, Klubs und
kulturellen Ereignissen ist häufig der Verkehr und der Lärm Thema der Presse. Als kritische
Beobachterin der Presse, könnte man prompt den Eindruck gewinnen, hier wird eine
städteplanerische Verkehrsmassnahme eingeleitet.
31
Lukas Häuptli, Lofts in Zürichs Problemquartier, Tages-Anzeiger, 08.08.06, S 13.
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Gentrificationindikator Medienberichte
Betrachtet man meine Analyse rein rechnerisch, so überwiegen die Meldungen in der
Kategorie positives Image. In meiner abschliessenden Betrachtung zähle ich aber die
Berichte der Kategorie Langstrasse Plus, Kultur und Restaurant- und Bartipps hinzu. Weil
diese die verbesserte Situation im öffentlichen Gedächtnis etablieren, das positivere Image
längerfristig verankern. Derart, das risikoscheuere, potentielle QuartiersnutzerInnen und
potentielle QuartiersbewohnerInnen es wagen, dort hinzukommen, wo Zürich eine Weltstadt
ist, um zu wohnen, zu arbeiten oder die Freizeit zu verbringen. Die anfänglichen Zweifel, ob
im Langstrassenquartier eine Gentrification im Gange ist und nicht eine soziale
Stadtteilentwicklung, haben sich quasi in der Masse des "postiven Image-Gebilde" der Presse
aufgelöst. Ich kann sogar zur eingangs erwähnten Metapher des Bilderbuches zurückgreifen:
Wie im Lehrbuch, häufen sich die positiven Berichte von Jahr zu Jahr. Das Image wird
geschaffen, etabliert und untermauert. Fasst man die Medienberichte als Indikator für eine
mögliche Gentrification auf, so findet sie hier, wie schon in den 70er Jahren beschrieben,
statt.
Was mich doch bisweilen etwas traurig gestimmt hat, ist der Umstand, dass sich im
Untersuchten Pool, der sich doch über 10 Jahre erstreckt, gerade mal 5 Artikel kritisch zum
Aufwertungsprozess äussern. Dort fragen sich die Autorinnen und Autoren, wohin denn die
vertriebenen Prostituierten verschoben werden. Wie wird das soziale Netz der vertriebenen
Sexarbeiterinnen ersetzt? Wo wohnen künftig die vielen SozialhilfebezügerInnen und die
frisch eingewanderten oder geflohenen Immigrantinnen und Immigranten? In welchen
Räumlichkeiten werden kreative Kräfte, ihre billigen Arbeitsplätze finden?
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SCHLUSSWORT
Die Medien, so bin ich heute überzeugt, sind Akteure im Gentrificationprozess im
Langstrassenquartier. In der Forschung, soweit ich das überblicke, werden die Medien als
Akteure erwähnt, aber in der empirischen Forschung ausgeblendet. Doch die Medien erfinden
die Welt nicht neu: jedem Medientext geht ein anderer Text oder mehrere voran, die so
genannten Prätexte. In diesem Zusammenhang würde ich in einem nächsten Schritt meiner
neuen These nachgehen wollen, dass die Stadt die Presse für ihre Ziele instrumentalisiert.
Eine genaue Analyse der Pressemitteilungen, der Leitbilder, der Studien und öffentlichen
Informationsveranstaltungen wären hier sicher aussagekräftig.
Eine, aus persönlicher Sicht, noch viel wichtigere Perspektive: die These, dass sich im
Langstrassenquartier die Bevölkerungsstruktur sich zu Gunsten von besser verdienenden
ändern wird. Dies wird heute schon seitens der Stadtentwicklung Zürich längerfristig
betrachtet nicht mehr dementiert. Sie erachten dies als ein normales, globales Phänomen im
Wettbewerb der Städte. Etwas natürliches, der Lauf der Dinge bzw. der Wirtschaft halt. Wenn
man die Dimensionen der Verdrängung hier an der Langstrasse zum Beispiel mit jener in
Shanghai vergleicht, dann sieht man sich leicht mit der eigenen Kritik am Prozess in die Ecke
gedrängt. Eben mit dem Argument, wenn wir mithalten wollen, dann passiert das halt. Die
Verdrängung trifft ja nur wenige Randgruppen. Und wenn man der Verdrängungsfrage dann
doch nachgeht, dann landet man ganz unverhofft in einer sozialromantischen, linken Ecke und
wird als Idealistin belächelt. Doch gerade die Forschungsgeschichte zur Gentrification hat
gezeigt: dass die kritischen Betrachtungen und Benennungen problematischer Fakten zu
neuen integrativen Strategien des Städtebaus führen kann. In dem Sinne lautet mein
Schlusswort: forschen, forschen, forschen!
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LITERATURVERZEICHNIS
Atkinson, Rowland und Gary Bridge (Hg.): Gentrification in a global context. The new urban
colonialism. London: Routledge, 2005.
Berger, Christina, Irene Somm und Bruno Hildenbrand: Stadtteil zwischen Abwertung und
Aufwertung. Verunsicherte lokale Zugehörigkeit in den Zürcher Stadtkreisen 4 und 5. Kurzfassung des
Forschungsberichtes. Forschungsbericht aus dem Institut für Suchtforschung, Nr. 93. Zürich: Institut
für Suchtforschung, 1999.
Friedrichs, Jürgen und Robert Kecskes (Hrsg.): Gentrification: Theorie und Froschungsergebnisse.
Opladen: Leske + Budrich, 1996.Glatter, Jan: Gentrification in Ostdeutschland – untersucht am
Beispiel der Dresdner Äußeren Neustadt. Dresden: Selbstverlag des Instituts für Geographie, 2007
(Dresdener Geographische Beiträge, 11).
Häußermann, Hartmund (Hg.): Großstadt. Soziologische Stichworte. Opladen: Leske + Budrich, 1998.
Häußermann, Hartmund und Walter Siebel: Stadtsoziologie. Eine Einführung. Unter Mitarbeit von
Jens Wurtzbacher.Fankfurt/Main, Campus, 2004.
Sägesser, Peter: Geschlossene Stadt. Stadtentwicklung und Gentrifizierung. Bern: Edition Soziothek,
2004 (Diplomarbeiten der Hochschule für Sozialarbeit HSA Bern).
Stahel, Thomas (Hg.): Wo-Wo-Wonige! Stadt- und wohnpolitische Bewegungen in Zürich nach 1968.
Zürich: Paranoia city, [2006].
Wehrheim, Jan: Die überwachte Stadt – Sicherheit, Segregation und Ausgrenzung. 2. völlig
überarbeitete und aktualisierte Auflage. Opladen, Barbara Budich, 2006
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Quellenverzeichnis
Fachstelle für Stadtentwicklung, Präsidialdepartement, Zürich (Hg.): stadtentwicklung.zh.
Informationen der Fachstelle für Stadtentwicklung der Stadt Zürich. FSTE. Nummer 1, März 2000.
Fachstelle für Stadtentwicklung, Präsidialdepartement, Zürich (Hg.): Ist Zürich auf dem richtigen
Weg? Zürich, März 2008.
Fachstelle für Stadtentwicklung, Präsidialdepartement, Zürich (Hg.): Bericht über die Tätigkeiten im
Jahr 2006. Zürich, März 2007.
Liechtenhan, Werner: Mitwirkungs- und Beteiligungsprozesse in der Stadt Zürich. In: Stadtblick 15,
März 2007.
Polizeidepartement der Stadt Zürich (Hg.): Langstrasse PLUS – das 4-Säulen-Modell. Zürich, 2003.
Polizeidepartement der Tadt Zürich (Hg.): Projekt Langstrasse PLUS. Bericht März 2003 bis März
2004. Zürich, Mai 2004.
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Zeitungsartikel aus dem online-Archiv der Schweizerischen Mediendatenbank, www.smd.ch.
Recherche mit dem Suchbegriff "Langstrasse Plus", ohne zeitliche Beschränkung.
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Alle Abbildung sind vom Fotografen Gerry Amstutz (gee_ly) in meinem Auftrag gemacht.
©gee-ly.ch
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