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Subjektivitäten ins Zentrum stellen


Die Subjektiviterung unter neoliberaler Gouvernementalität

Niklas Reese

D
as zentrale Problem heutzutage ist weniger, Als Regierung bezeichnet Foucault „die Gesamtheit
dass Menschen keinen blassen Schimmer / der Institutionen und Praktiken. mittels deren man die
keine Ahnung von dem haben, ‚was abgeht’ Menschen lenkt [Menschenführung], von der Verwal-
und die Menschenfeindlichkeit des Kapitalismus nicht tung bis zur Erziehung”.
erkennen würden. Das Problem ist vielmehr, dass sich Ganz zentral für diesen Ansatz ist, dass Macht nicht
zu viele damit abgefunden haben, dass es keine Alter- mit politischer bzw. staatlicher Macht identisch ist.
native zum falschen Leben gebe und dass man ohnehin Die Zerstörung des Staatsapparates würde nicht das
an diesem System nichts ändern könne und dass kaum Verschwinden von Macht herbeiführen, da Macht, de-
jemand realisiert, wie der Neoliberalismus, wenn finiert als relationales Netz von Beziehungen, das alle
schon nicht ihre Herzen, so doch ihre Köpfe erobert Teile der Gesellschaft durchzieht, weiter bestehen
hat – und dass sich das große, abstrakte, strukturelle würde.2 So wie Macht kein Ding, sondern ein Verhält-
System sich in ihrem Alltag und privatem Leben (dem nis ist, das geworden und damit auch wieder vergäng-
Mikrobereich) abbildet und es sich durch die neolibe- lich ist, so nimmt Foucault generell an, dass alles So-
rale Subjektivierung sich täglich reproduziert. ziale entstanden und konstruiert wurde - und somit
Grundlage meiner Idee ist die Idee der Gouvernemen-
Gouvernemen- veränderlich und nicht per se stabil und dauerhaft ist –
talität,
talität die der zentrale Ansatzpunkt der governmenta- es also immer eine Alternative gibt und nichts so sein
lity studies in der Tradition Michel Foucaults ist. muss, wie es ist.
Im Folgenden folgt eine Zusammenfassung der vor- Wie kann es dann zu einer Verfestigung von flexiblen
züglichen Diplomarbeit von Julia Franz, die kompri- Machtbeziehungen in Form von (als gewalttätig und
miert in das Denken Foucaults einführt. Die folgenden unveränderlich wahrgenommenen) Herrschaft kom-
Passagen sind größtenteils ihrer Arbeit entnommen. men und wie wird zu verhindern gesucht, dass die be-
Allerdings habe ich sie zuweilen durch eigene Gedan- stehende Gouvernementalität nicht ins Wanken gerät?
ken ergänzt. Dies zu erreichen, ist die Aufgabe von Regie-
rung(stechnologien).
Wichtige Grundbegriffe Regierungstechnologien sollen politische Rationalitä-
Rationalitä-
ten umsetzen. Politische Rationalität ist die Erarbei-
Gouvernementalität ist eine semantische Verknüpfung
tung von Begriffen und Konzepten, mit denen Per-
der Worte govemer = Regieren und mentalite = Denk-
spektiven, Wahrnehmungen und Wirklichkeit produ-
weise. Für Foucault handelt es dabei um „die Gesamt-
ziert werden (Für Foucault ist Wissen konstruiert –
heit, gebildet aus den Institutionen, den Verfahren,
Analysen und Reflexionen, den Berechnungen und
suchung von Regelhaftigkeiten bestimmter Diskurse auseinander.
Taktiken, die es gestatten, diese recht spezifische und
Die Genealogie der Macht arbeitet Foucault in einer zweiten Phase
doch komplexe Form der Macht auszuüben, die als mit Texten wie Überwachen und Strafen und der Wille zum Wissen
Hauptzielscheibe die Bevölkerung, als Hauptwissens- heraus. Diese wird in einer dritten Phase durch die Zuwendung zur
form die politische Ökonomie und als wesentliches Konstruktion von Subjekten komplettiert, da Foucault die Produkti-
technisches Instrument die Sicherheitsdispositive hat.“ on von bestimmten Subjektivitäten als Machtstrategie versteht.
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Gouvernementalität hat ‚drei Achsen’(Foucault): die Machtpraktiken sind nicht mit Verboten oder direkten Zwangen
gleichgesetzt, sondern Macht wird als das Einwirken auf das Han-
Formierung der Wissen; die Machtsysteme, die ihre
deln anderer verstanden. Macht gilt als eine Beziehung zwischen
Ausübung regeln; und die Formen, in denen sich die Personen, die nur in ihrem aktuellen Gebrauch, im Moment der Be-
Individuen als Subjekte (an)erkennen können und ziehung zwischen mehreren Individuen existiert. Macht ist also ein
müssen. 1 mehr oder weniger starres und selbstverständliches Verhältnis zwi-
schen Menschen. Machtverhältnisse werden darum auch v.a. durch
Kämpfe, Konfrontation und Kriege hergestellt – die auch die Form
1In der ersten Phase seines Arbeitens, der Archäologie, setzte sich eines machtvollen Diskurses – einer ‚geistigen Auseinandersetzung’
Foucault vor allem mit der Produktion von Wissen durch die Unter- einnehmen können.

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welches Wissen sich dabei durchsetzt, was man für re- cault spricht von einer Mikrophysik der Macht,
Macht um
al und wahr hält, ist immer auch eine Machtfrage. Es die Formung und Normalisierung der Subjekte durch
gibt kein reines und neutrales Wissen, das die Wirk- die Macht zu beschreiben.
lichkeit bloß „re-präsentiert”).
Die Wirklichkeit wird intellektuell bearbeitet und ge- Subjektivierung
formt (mit dem Ziel, Wirklichkeitskonzepte zu verän-
Foucault versteht Subjektivierung - die Produktion
dern) – und zwar in Form einer Problematisierung.
von bestimmten erwünschten Subjekten5 - als existen-
Die Problematisierung definiert einen bestimmten
tielle Form der Gouvernementalität.6 Subjektivität ist
Raum, „innerhalb dessen historische Probleme auftau-
ein sich veränderndes Konstrukt, dem die jeweils ge-
chen (können) und bietet zugleich (...) Losungs- und
genwärtige Wahrheit immanent ist. So benötigt die
Bearbeitungsstrategien für diese Probleme an” (F.).
souveräne Regierungsmentalität (Absolutismus und
Problematisierung, heißt, „Probleme in einer be-
Voraufklärung) sich unterwerfende Subjekte, während
stimmten Weise zu stellen und wahrzuneh-
die Disziplinarmacht (Aufklärung, Bürgerliches Zeital-
men.”(Krasmann)
ter und Fordismus) funktionierende Subjekte produ-
Eine solche Rationalität geht mit politischen Techno-
ziert. Die Disziplin fabriziert dabei unterworfene, füg-
logien einher, die bereitgestellte Utopien in die Reali-
tät umzusetzen, also Gedanken Realität werden lassen.
geht dabei noch weiter als Gramsci und Freire, indem er a) die
Die Regierung bestimmt dabei die diskursive Arena,
„Selbstproduktion“ in den Mittelpunkt der Akzeptanzverschaffung
bestimmt darüber was sag- und denkbar ist und was stellt. Die Macht verschafft einem Menschen nicht bloß ein falsches
nicht. Bewusstsein, sondern indem unsere Körper durch Fremd- und
Foucault differenziert zwischen Herrschaftstechnolo- Selbstführung produziert werden, sind wir buchstäblich ein Räd-
gien, welche auf die Unterwerfung der Individuen un- chen des Systems und reproduzieren es jeden Tag neu. Anders als
Gramsci, Freire und die (alt)linke Theorie sowieso, gibt es für Fou-
ter Herrschaftszwecke zielen, und Selbsttechnologien,
cault kein Entrinnen aus dem Geschaffensein, kein Außen. Alles ist
die es den Individuen ermöglichen, ihre Lebensfüh- Konstruktion und es gibt kein richtiges Bewusstsein, keine Wahr-
rung nach bestimmten Zielen, Werten, etc. zu trans- heit, die gegen die Lüge sich durchsetzen könnte – sondern eben
formieren. lauter verschiedene Wahrheiten und wir sind dabei zugleich Opfer
Regierung funktioniert dabei nach Foucault nicht nur und Beherrschte (Ziel von Regierung) und Täter (Ursa-
che/Produzent von Regierung). Es ist nicht unbedingt der Staat oder
(und immer weniger) über Repression, Verbote,
ein anderer Akteur, der eine Strategie produziert. Vielmehr scheint
Zwänge und Restriktionen. Sie produziert viel eher es die vorherrschende Gouvernementalität zu sein, die nahezu allen
Subjekte und / oder bewegt sie zu bestimmten Hand- Subjekten inhärent ist, welche diese Strategien formt.
lungen (Subjektivierung)3 - im Fordismus vorwiegend Foucault bestreitet allerdings nicht die repressive Seite von Macht.
mittels einer „Dressierung“ (Fremdproduktion und - Vielmehr bilden die Konzepte von Freiheit und Sicherheit bei Fou-
führung etwa in Militär, Schule, Fabrik und Gefäng- cault die beiden Pole der liberalen Gouvernementalität. Denn: Ge-
rade weil der Liberalismus die Freiheit ,,künstlich” herstellt, riskiert
nis) und im Postfordismus / Neoliberalismus über die
er beständig, sie zu beschränken oder gar zu zerstören. Die poten-
Selbstproduktion und -führung der Individuen. 4 Fou- tielle Gefahr lauert überall. Sicherheitsproduktion und Repression
setzen dort ein, wo Selbstführung nicht hergestellt werden kann.
3
Die Macht der Regierungspraktiken besteht demzufolge in einer Foucault fasst dies unter dem Begriff des „Sicherheitsdispositivs“:
Beeinflussung der Handlungen der einzelnen Individuen. Man Bestimmte Gruppen werden als Risikopopulationen) kategorisiert,
könnte auch von einer manipulativen Selbstproduktion sprechen, da um sie durch den Einschluss bzw. Ausschluss von bestimmten Räu-
die Selbstproduktion, bzw. die Forderung von Selbsttechnologien an men kontrollierbar und somit regierbar gemacht werden Mechanis-
Regierungsziele gekoppelt werden kann. men der Sicherheit dienen zu Reduktion von potentieller Gefahr.
4 Die Institutionen der Disziplinargesellschaft nach Michel Foucault,
„Führen“ im Doppelsinn des französischen (se) conduire gleicher-
wie etwa Schule, Gefängnis oder Klinik, verlieren ihre Begrenzung
maßen „die Tätigkeit des ‚Anführens‘ anderer (vermöge mehr oder
und werden über die ganze Gesellschaft ausgedehnt. Daraus bildet
weniger strikter Zwangsmechanismen) und die Weise des Sich-
sich die allgegenwärtige Kontrollgesellschaft
Verhaltens in einem mehr oder weniger offenen Feld von Möglich-
5 Darunter werden nicht nur Individuen, sondern auch kollektive
keiten“ einschließt. (Foucault 1987, S. 255) Englisch. Conduct,
Deutsch. Gute Führung / Führungszeugnis Subjekte wie Unternehmen und andere Gruppen verstanden, die
„wie ein Mann“ handeln können.
Damit geht Foucault in eine ähnliche Richtung wie etwa Gramscis
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Hegemoniebegriff oder wie Paolo Freire. Alle drei gehen davon aus Diese Form von Macht wird unmittelbar im Alltagsleben spürbar,
bzw. setzen voraus, dass das Funktionieren des Kapitalismus die welches das Individuum in Kategorien einteilt, ihm seine Individua-
breite Akzeptanz eines "Paradigmas [voraussetzt], in dem Wettbe- lität aufprägt, es an seine Identität fesselt, ihm ein Gesetz der Wahr-
werb und Interessenkonflikte geregelt werden können, ohne den heit auferlegt, das es anerkennen muss und das andere in ihm aner-
Kapitalverkehr wirklich zu stören (so "(Bob Jessop) Dazu muss der kennen müssen. Es ist eine Machtform, die aus Individuen Subjekte
Kapitalismus „die Köpfe und Herzen gewinnen“ (Gramsci). Foucault macht. (Foucault, 1987, 5. 246)

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same, gelehrige, geübte und alles in allem nützliche Freiheit steht für die Möglichkeit, zwischen ‚rationa-
Körper.7 In neoliberaler Gouvernementalität (Postfor- len’ Handlungsalternativen zu entscheiden).
dismus) ist v.a. die Eigenverantwortung ein Bestandteil Verlangt man in einer souveränen Herrschaftsrationa-
der erwünschten Subjektivität, auf deren Herstellung lität von jedem einzelnen Individuum sich dem politi-
neoliberale Regierung ausgerichtet ist. (siehe ausführ- schen Souverän zu unterwerfen, so ist es das Ziel der
lich unten) liberalen Regierungsrationalität, Subjekte zu produzie-
Das äußert sich vor allem in einer Individualisierungs- ren, die nur wollen, was als ‚rational’ gilt.
strategie: Die Menschen werden nicht mehr erzogen, Die Begriffe von Selbstbestimmtheit oder Eigenver-
um eine Gemeinschaft zu vervollständigen, sondern antwortung verkommen dabei zu einer Farce. „Im
sie werden als Einzelkämpfer subjektiviert und indivi- Rahmen neoliberaler Gouvernementalität signalisieren
dualisiert. Dies geschieht durch die Durchsetzung von Selbstbestimmung, Verantwortung und Wahlfreiheit
Konkurrenz- und Wirtschaftsmechanismen in den so- nicht die Grenze des Regierungshandelns, sondern
zialen Bereichen. Das erwünschte Subjektbild im Neo- sind selbst ein Instrument und Vehikel, um das Ver-
liberalismus kann nur derjenige erfüllen, der über hältnis der Subjekte zu sich selbst und zu den anderen
Kompetenzen wie Anpassungsfähigkeit, Mobilität, zu verändern” (Lemke et al, 2000, S. 30).
Dynamik und ähnliche Schlüsselqualifikationen ver-
fügt. Selbstunternehmer
Der Grund: Die politischen Ziele lassen sich ökonomi-
Als Vor- oder Leitbild der neoliberalen Subjektivie-
scher und effizienter durch individuelle Selbstver-
rung bzw. als das Persönlichkeitsmodell des Neolibera-
wirklichung bzw. Selbstausbeutung realisieren. Die
lismus kristallisiert sich die Figur des aktiven Selbstun-
Individuen werden nun nicht mittels (Androhung)
ternehmers, bzw. Unternehmers, der sich selbst zu-
körperlicher oder rechtlicher Gewalt integriert oder
richtet bzw. ein„Projekt aus sich selbst” macht.8
bestraft, sondern durch „Responsibilisierung“.
Selbstverwirklichung und Eigenverantwortung wer-
Subjektivierung ist dabei „ein Formungsprozess, bei
den an unternehmerischen Kalkülen gemessen. Dieses
dem gesellschaftliche Zurichtung und Selbstkonstitu-
enterprising self steht für die Richtung, in die sich die
tion ineinsgehen” (Bröckling, 2002a, S. 177). Dabei
Individuen hinsubjektiveren müssen und das neolibe-
meint das Subjekt bei Foucault das Resultat eines
rale Regierung produzieren soll, die daher auf die
zweiteiligen Prozesses. Zum einen wird das Indivi-
Selbstpraktiken der Individuen ausgerichtet ist.
duum durch Subjektivierung unterworfen und zum
Im Neoliberalismus werden Menschen dazu angeleitet,
anderen gelangt es zur Selbsterkenntnis der eigenen
sich selbst in eine bestimmte Richtung hin zu entwi-
Identität. (Verbindung von aktivem Selbst und passi-
ckeln, sich aus einer Unternehmerperspektive heraus
ver Unterwerfungsweise).
zu formen. Die Verantwortung für die Resultate dieser
Formierung wird auf das Subjekt übertragen. Erfolg
(Neo)liberale Gouvernementalität
oder Scheitern kann im Leben eines Selbstunterneh-
Der Liberalismus stellt den Begriff der Freiheit ins mers nicht mehr extern attribuiert werden, sondern
Zentrum der liberalen Regierungsmentalität. Ein von wird auf das Auswählen der falschen Handlungsalter-
außen auferlegtes Verhältnis von Macht und Subjekt native des Individuums zugeschrieben.
wird durch eine Konzeption der inneren Regulierung Der Selbstunternehmer steht unter der Anforderung,
ersetzt: Das Prinzip der Regierung erfordert die sich „richtig“ zu entscheiden und sich selbst zu opti-
,,Freiheit” der Regierten, und der rationale Gebrauch mieren, ein ständiger Prozess, der niemals aufhört.9
dieser Freiheit ist die Bedingung einer
,,ökonomischen” Regierung. (Freiheit bedeutet im Li- – 8 Der Erwerb von bestimmten Qualifikationen durch Weiterbildung
beralismus nicht, zu machen, was man will, sondern etwa wird dabei als Investition in das eigene Unternehmen gesehen.
9
Bröckling definiert das neoliberale Subjekt als „Subjekt im Gerun-
7 divum” (ebd. S. 179), da ihm im Prozess der Selbstoptimierung die
Die Disziplinarmacht zielt zunächst genau wie die juridische Kon-
Möglichkeit fertig zu werden, versagt bleibt. Daraus resultiert eine
zeption der Macht auf den Körper. Allerdings wird der Körper nicht
strukturelle Überforderung, die sich durch permanente Anspannung
zum Zweck der Rache entstellt, verletzt und getötet, sondern Ziel ist
und fortwährenden Druck auf das zu optimierende Subjekt äußert.
es, die Individuen durch bestimmte Raumordnungen, Funktions-
Das gleiche Prinzip zeigt sich bei einer Betrachtung von Qualitäts-
und Bewegungsablaufe und durch panoptische Überwachungsprin-
managementsystemen wie Selbstevaluation und Feedback. Ein Ge-
zipien (vgl. Foucault, 1994a, S. 173- 295) zu kontrollieren und nach
nug an Qualität kann es aus dieser Perspektive nicht geben, da Qua-
einer bestehenden gesellschaftlich anerkannten Norm zu formen.
lität auch immer nur im Gerundivum existiert. Daraus folgt, dass es
schwer möglich ist, sich Grenzen der eigenen Arbeit zu setzen, da

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Flexibilität gilt daher als Grundtugend eines Selbstun- folgt nicht mehr starr und direkt, sondern zeichnet
ternehmers bzw. Arbeitskraftunternehmers. 10 Das er- sich durch flexible und indirekte Strukturen aus. Der
wünschte Subjektbild im Neoliberalismus kann nur Zwang verändert seine Gestalt. Zwang wirkt sich nicht
derjenige erfüllen, der über Kompetenzen wie Anpas- mehr nur direkt und repressiv, wie zum Beispiel in
sungsfähigkeit, Mobilität, Dynamik und ähnliche Disziplinarsystemen aus, sondern indirekt verdeckt,
Schlüsselqualifikationen verfügt. eben durch implizite Drohungen, die dem Subjekt die
eigentlich triviale Notwendigkeit suggerieren, es müs-
Regulierung Deregulierung se sich aktiv um das eigene Leben sorgen. Der Zwang,
Formelle Regierung Informelle Regierung etwa durch ökonomischen Druck, sich auf andere
Machen Ermöglichen; Aktivieren Weise dem (Arbeits-)Markt anzupassen, wird nicht
Der Staat Communities mehr als solcher wahrgenommen. Auch entsteht fak-
tisch eine Norm zur kontinuierlichen Qualitätsverbes-
Die Moral erscheint wie die Individuen atomisiert
- -
serung, um dem Fall der Fälle, nicht mehr für sich
und bleibt an die Persönlichkeitseigenschaften von selbst sorgen zu können, präventiv entgegenzuwirken.
vermeintlich autonomen Subjekten gebunden. Die Au-
tonomie stellt die zentrale Bedingung für die Optimie- Fach spricht von einer ‚Regierung aus Distanz’ und di-
rung des eigenen Lebensstils dar. Statt soziale Proble- agnostiziert drei neue Figuren des Politischen.
me zu lösen, geht es darum, persönliche Probleme er- 1. Animation
folgreich zu managen und produktiv zu nutzen. Ge- Innerhalb einer indirekten Regierung distanziert sich
sellschaftliche Rahmenbedingungen gelten als tenden- der Staat von einer direkten Regierungsposition und
ziell gegeben und unveränderlich (It’s economy, stu- nimmt die Rolle des Ermöglichenden oder Aktivieren-
pid!) Derjenige gilt am erfolgreichsten, der in diesem den ein. Eine Politik wird konstituiert, die die Subjek-
Setting möglichst effizient und erfolgreich pragma- te, individuelle und kollektive dazu anleitet, sich selbst
tisch, klug, flexibel und anpassungsbereit agiert und zu regieren, das Leben in die eigene Hand zu nehmen
reagiert - „organisieren“ bzw. „sich durchschlagen“ und Verantwortung zu übernehmen. Somit bleibt das
kann. Machen den Bürgern überlassen, während die Aufga-
ben der staatlichen Regierung auf Anleiten und Ent-
Indirekte Regierung scheiden beschränkt werden. Regieren bedeutet nun
Zugleich wird eine direkte durch eine indirekte Regie- Aktivierung von Engagement und Initiative, Aktivie-
rung abgelöst. Die direkte und formelle, oft mit dem rung der Kräfte und der Entscheidungsbereitschaft des
Staat konnotierte, Regierung, verschiebt sich in Rich- Einzelnen. Die Organisationsform Staat verschwindet
tung einer indirekten und informellen Regierungswei- also nicht, sondern sieht seine neue Aufgabe darin, ei-
se. Das direkte Weisungsverhältnis wird durch eine ne moderierende Rolle jenseits der politischen Ver-
indirekte Mobilisierung der Individuen ersetzt. 11 Das antwortung zu übernehmen.
Einwirken auf die Selbstpraktiken des Individuums er- 2. Penetration
Penetration
Die Entscheidungsverantwortung wird von formeller,
diese, wie seine eigene Persönlichkeit, prinzipiell optimierbar bleibt. staatlicher Regierung zu informeller, individueller o-
Wie viel nötig ist, um ausreichend dranzubleiben, bleibt unklar. Die der gemeinschaftlicher Regierung übertragen. Durch
Verantwortungsübertragung geht nicht mit klaren Handlungsanwei- die Dezentralisierung der Macht entsteht ein parzel-
sungen einher, sondern basiert auf der Fiktion des „Theorems der liertes Feld von Gemeinschaften, die durch die „In-
vollständigen Information“. Die ansteigende Verantwortungsdele-
strumentalisierung persönlicher Loyalitätsbeziehungen
gation gilt als essenzieller Punkt der neoliberalen Gouvernementali-
tät, „die größtmöglichen Druck mit größtmöglichen Freiräumen und der Bereitschaft, aktiv Verantwortung zu über-
kombiniert” (Sven Opitz: Gouvernementalität im Postfordismus, nehmen” regieren können. , (Rose, 2000a, S. 86) Re-
Hamburg, 2004, S. 126). gieren kann demnach indirekt durch Gemeinschaften,
10Opitz bestimmt die Flexibilisierung „als Knotenpunkt einer gou- wie zum Beispiel Familien, Nachbarschaften und alle
vernementalen Rationalität an dem sich spezifische Vokabulare, or- möglichen Initiativen, stattfinden. Der Staat tritt als
ganisatorische Maßnahmen, Führungspraktiken und Ansprüche an
zentralisierendes Organ zurück und differenzierte
das Subjekt verbinden” (a.a.O, S. 116).
11 Gruppen innerhalb des sozialen Feldes bilden regie-
Am Beispiel der Qualität lässt sich diese Veränderung verdeutli-
chen. Die Mittelkürzungen wirken als indirektes Steuerungsmittel rende und zu regierende Communities. In Communi-
auf die Handlungen der Einrichtungen ein. Diese müssen dafür Sor- ties werden die Subjekte dazu angehalten, sich aktiv
ge tragen, dass sie weiterhin über genügend Marktanteile verfügen, und loyal für ihre Gemeinschaft zu engagieren. Inso-
um nicht durch die Konkurrenz vom Markt verdrängt zu werden. fern bestehen die Communities aus dem Zusammen-

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schluss von moralischen Subjekten, deren Maxime in Zwänge zu sehen, wo doch so viel Freiraum für eigene
der Pflicht zur Eigenverantwortung und vor allem zur Entscheidungen zu bestehen scheint.13
Eigeninitiative besteht. Die Communities erhalten
Verantwortung für ihren jeweiligen Bereich, indem sie Hopp oder Topp
kontrollierende und normierende Funktionen auf In-
In der neoliberalen Gesellschaft wird eine Art magi-
dividuen haben.
sche Suggestion aufgebaut, die den Traum vom Tel-
Das Soziale rückt zugunsten der Gemeinschaft in den
lerwäscher zum Millionär zum Inhalt hat. Du kannst
Hintergrund, die sich als neues Territorium präsen-
es schaffen, wenn du dich nur richtig bemühst, so der
tiert, auf dem das individuelle wie das kollektive Le-
appellative Duktus. Jedem Erfolgsversprechen folgt al-
ben regiert und die mikro-moralische Beziehungen
lerdings eine Drohung: Wenn du dich nicht bemühst,
zwischen Personen begrifflich gefasst und verwaltet
dann wirst du scheitern und selber schuld sein, so die
wird. Auf der einen Seite kann also von einer neuen
versteckte Drohung der Suggestion. Die Besonderheit
Methode und auf der anderen Seite von einem neuen
dieser Machtstrategien besteht in ihrer Zweiseitigkeit.
Territorium des Regierens gesprochen werden. Der
Subjekte werden also im Guten und im Schlechten für
Staat beschränkt sich dabei auf die Forderung des Ge-
ihre Situation selbst verantwortlich gemacht. Empo-
meinsinns, der zum Gegenbild einer zentralistischen
werment und „Blame the victim“ sind zwei Seiten der-
und bevormundenden Regierung des Sozialen wird,
selben Medaille. Wessen Eigeninitiative gefördert
die angeblich den Einzelnen lahmt.
wurde, der darf von der Gesellschaft nichts mehr for-
dern. Die Schuld darf nicht mehr durch die Heranzie-
Responsibilisierung, Risiko und Moral
hung externer Erklärungsschemata für Erfolg oder
Verantwortung und Zuständigkeit werden an indivi- Misserfolg abgewälzt werden Man darf sich den Er-
duelle und kollektive Subjekte delegiert (Responsibili- folg selbst zu schreiben, muss sich aber auch das Schei-
sierung). Staat und Gesellschaft weisen Zuständigkei- tern selbst zuschreiben. Selber schuld!
ten von sich, etwa mit dem Argument der Unmöglich- Erfolg kann aber nur derjenige haben, der sich auf die
keit einer politischen Steuerung oder aber durch die Regeln des Marktes einlässt und risikobereit ist.14
Nichtbeantwortung zentraler Fragen, die dann indivi-
duell oder gemeinschaftlich gelöst werden müssen.12 1313
Opitz spricht von einer „Multiplizierung von Verantwortung als
Dies basiert auf dem Glauben in die Fähigkeiten der zentralem Kernstück einer Gouvernementalität, die größtmöglichen
Subjekte und die Selbstheilungskräfte des Marktes. Druck mit größtmöglicher Freiräumen kombiniert“. (a.a.O. 126)
14
Dies geht einher mit Strategien des Empowerments Die neoliberale Regierung operiert mit zwei Komponenten. Zum
oder Mobilisierung von Individuen unter dem Signum einen werden erfolgsversprechende Suggestionen aufgebaut, die be-
sagen, dass alles möglich und erreichbar ist, wenn man sich intensiv
von Eigenverantwortung, Eigenständigkeit und Eigen-
bemüht. Zum anderen sind diese unbegrenzten Möglichkeiten an
initiative einher (siehe oben: Animation). Der Neoli- den Markt gebunden und fordern das Individuum auf, nach Kosten-
beralismus regiert über Verantwortungszuschreibung Nutzen-Kalkülen zu handeln.
und Aktivierung des Engagements, wobei der Einzelne Julia Franz erklärt dies am Beispiel der Einführung von Qualitäts-
moralisch angereizt wird, dies als neue Autonomie zu managementsystemen, durch die den Weiterbildungseinrichtungen
verstehen und es ihm schwer fällt, die indirekten höhere Kundenzahlen und eine organisatorische Verbesserung ver-
sprochen werden. Gleichzeitig droht den Einrichtung ohne Quali-
tätsmanagementverfahren der Verlust von Marktanteilen.
12 Communities sind Teil der Responsibilisierung und zugleich de-
Statt dem Weiterbildungsinteressenten die beste Beratung zu geben,
ren Resultat. Die direkte, staatliche Regierung, deren Aufgabe in der ihn somit eventuell auch an andere Einrichtungen weiterzuempfeh-
Steuerung des Sozialen bestand, verschwindet zunehmend, da in der len, gilt das Konzept der Kundenbindung. Der Kundenbegriff wird
neoliberalen Argumentation, die direkte Steuerung als ein Zeichen in den Einrichtungen der Weiterbildung größtenteils übernommen
der (unnötigen) Bevormundung gesehen wird. Durch die Verant- und impliziert die bereits angesprochene Orientierung am Markt,
wortungsdelegation geschieht nun zweierlei. Zum einen werden die bestehend aus konkurrierenden Einrichtungen und selektierenden
Communities durch diesen Prozess indirekt regiert, da Situationen Kunden. In welche Richtung muß die Einrichtung sich bewegen,
des Scheiterns, finanzielle Notstande und ähnliches in den Bereich um ihren „Marktanteil” zu halten oder zu erweitern? Welches Pro-
der Eigenverantwortlichkeit fallen und die Communities aktivieren, fil, welches Image hat sie auf dem Markt? Plötzlich werden Strate-
ihre Selbstführungspraktiken nach ökonomischen Maßstäben zu ü- gien wie Marketing, Öffentlichkeitsarbeit, Corporate-Identity-
berdenken. Zum anderen wird ihnen durch die Übergabe der Ver- Konzepte und anderes bedeutsam.
antwortung auch eine gewisse Macht zugestanden, die es ermög-
Die Dublette von Versprechen und Drohung spiegelt sich indirekt
licht, ihren eigenen Gegenstand - wie zum Beispiel Qualität - zu re- wider. Wenn die Bildungseinrichtungen Kunden binden können,
gieren. indem sie ihre Organisation mittels Qualitätsmanagementverfahren
optimieren, wären ihnen große Marktanteile sicher, so die magische

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Risiko postuliert wird, wird das schlechte als Krankheit pa-


thologisiert, die als prinzipiell vermeidbar gilt. Das
Die Haltung zu Risiken nimmt im Neoliberalismus ei-
Subjekt wird nicht direkt gezwungen, sich dem öko-
ne zentrale Stellung ein. Risiken werden nicht mehr
nomischen Duktus zu unterwerfen, es wird ihm viel-
ais zu beseitigendes Defizit gesehen, sondern vielmehr
mehr nahe gelegt, dies zu tun, ansonsten wird es ver-
ais konstitutive Bedingung für ,,individuelle Entfal-
sagen und die Verantwortung dafür tragen müssen.
tung und gesellschaftlichen Fortschritt”.15 Aus dieser
Die Unfähigkeit, sich Selbst zu managen, wird als in-
Perspektive gewinnt Risikobereitschaft als aktive Ei-
dividueller Mangel verstanden.
geninitiative einen enormen Stellenwert. Wenn das
Es entsteht eine permanente "Schuldvermutung": Aus
Individuum sich selbst risikobereit (etwa mit Hilfe von
einem Recht der Einzelnen gegen den Staat auf die
Ratgebern und Verhaltensvorschlägen) zu beherrschen
Produktion kollektiver Schutzgüter wird zunehmend
weiß, steht dem erfolgreichen Leben, beruflich wie
ein Anspruch des Staates gegen die Einzelnen auf "vor-
privat, nichts mehr im Weg.
sichtiges" Verhalten und Risikovermeidung (Präventi-
Das Versprechen zum Erfolg wird aber von einer im-
on).18
pliziten Androhung des Misserfolgs begleitet. Werden
die Ratschläge nicht befolgt, ist es nicht überraschend,
Es gibt keine Opfer mehr
zu scheitern. 16
Daraus folgt dreierlei: Angesichts der Dublette von Drohung und Verspre-
chen wird dem Subjekt (Unternehmen bzw. Indivi-
Pflicht zur Risikovermeidung duum) im Falle des Eintretens von Worst-Case-
Szenarien Unterstützung verweigert. Opfern wird
Wenn man schon nicht in der Pflicht steht, möglichst
immer eine Teilschuld zugesprochen, da sie sich nicht
riskant zu leben (jedoch anzuerkennen hat, dass Erfolg
risikovermeidend und unverantwortlich riskant ver-
auf Risikobereitschaft zurückgeht und daher Sozial-
halten hat.19
neid unmoralisch ist), so besteht zumindest eine
Das Individuum steht in der Pflicht, sich selbst ange-
Pflicht zur Vermeidung von schlechtem Risikomana-
messen zu regieren, um einen adäquaten Lebensstil zu
gement. 17 Während das gute Management ais Norm
erreichen. Wenn das Selbst diese Fähigkeit nun nicht
wahrnimmt, wird dies der persönlichen Freiheit des
Suggestion. Verlieren sie Kunden, wird ihr Bestehen auf dem Markt Individuums zugerechnet. Dieses ist dann für alle fol-
unsicherer. Das Konstrukt Kunde verlangt von den Einrichtungen
eine Subjektivierung in Form eines kollektiven Selbstunternehmers. genden Konsequenzen verantwortlich, denn es hat es
Es erfordert die Reformierung bestehender Selbstpraktiken und Or- ja so gewollt.
ganisationsstrukturen. Ein gesellschaftlich-dynamisches Erklärungsmodell für
15 Die Handlung einer Figur wie Sankt Martin wäre im Neolibera- Massenphänomene wie Arbeitslosigkeit oder die Be-
lismus nicht nur ineffizient, da er seinen Mantel mit einem Bettler
nachteiligung bestimmter Randgruppen kann in dieser
teilt, sondern auch unmoralisch, da er sich nicht nach Leistungskri-
terien orientiert.
Argumentationslinie verabschiedet werden, da Ar-
16 Während Ulrich Beck (Risikogesellschaft) davon ausgeht, dass Ri-
beitslose über nicht ausreichende Kompetenzen zur
siken in der modernen Gesellschaft prinzipiell nicht mehr kalkulier- Selbstführung verfügen und demnach moralisch selber
bar seien, sie somit einen egalisierenden Effekt hatten und sie eine schuld sind. So wird auch das Phänomen der Armut
soziologische Realität bilden, gehen die Governmentality Studies im Liberalismus individuellem Fehlverhalten zuge-
davon aus, dass Risiken kalkulierbar und produzierbar sind. Letzt-
endlich stehen Risiken in den Studien nicht für eine gegebene Reali-
18 Permanente Weiterbildung und lebenslanges Lernen, so Franz,
tät, sondern stellen vielmehr intellektuelle Bearbeitungen der Reali-
tät, eine politische Rationalität dar. etwa können in dieser Perspektive als „präventive Weiterbildung”
17 Diese Dialektik lässt sich auf den Gesundheitsbereich übertragen. (Aschmann, 2000, S. 68) in Form des Erhalts der ‚Employability’ ver-
Hier manifestiert sich der Übergang von einer reaktiven zu einer ak- standen werden. Weiterbildung wird somit, ähnlich wie Gesund-
tiven Risikoorientierung. Gesundheit wird als Produkt einer rationa- heit, zur Präventionsmaßnahme, die auf individueller Ebene vor
len Wahl, eines freien Willens gewertet. Wenn in dieser Konzeption Arbeitsverlust aufgrund mangelnder Qualifikationen und auf kollek-
Gesundheit als Gegenstand einer rationalen und freien Wahl er- tiver und organisatorischer Ebene vor dem Verlust von Marktantei-
scheint, so folgt daraus, dass Gesundheit nicht mehr nur etwas ist, len schützen soll.
19 Das Verschwinden des Opfer-Typus wird in der gouvernementali-
das wir haben oder nicht haben. Sie ist zum sichtbaren Zeichen ei-
nes richtigen Lebens geworden, wie umgekehrt das Ereignis der täts-theoretischen Literatur in der Regel negativ besetzt. Es darf al-
Krankheit zum Augenblick der Wahrheit über die fehlenden mora- lerdings nicht vergessen werden, dass mit dem Wegfall der Opfer-
lischen Qualitäten eines individuellen Körpers wird. (Lemke, 2000c, Figur auch eine Stigmatisierungspraktik entkräftet wird. Individuen
S. 403) werden nicht mehr in Opferrollen, denen ein bestimmter gesell-
schaftlicher und sozialer Status inhärent ist, hinein subjektiviert.

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schrieben. „Nach der liberalen Rationalität ist die Ar- verstanden wird, schließt diese Perspektive das Ope-
mut kein soziales Übel, das in den Gesetzmäßigkeiten rieren auf einem Möglichkeitsfeld voller Handlungsal-
einer kapitalistisch organisierten Ökonomie begründet ternativen ein. Foucault zufolge ist Freiheit ein konsti-
ist, sondern eine moralische Disposition und eine indi- tutives Element von Machtverhältnissen.
viduelle Verhaltensweise” (Lemke, 1997, 5. 201). Die Perspektive der Gouvernementalität bietet Raum
In diesem Sinne ist die Mündigkeitsmetapher emanzi- für Kritik an bestehenden Machtstrukturen, indem die
patorisch und euphemistisch zugleich. Sich gegen den vorherrschenden Rationalitäten aufdeckt werden.
Markt zu entscheiden und womöglich anschließend In Foucaults Konzept schließen Machtpraktiken im -

unterzugehen, ist demnach ein Ausdruck von zweifel- Gegensatz zu Herrschaftszuständen die Möglichkeit zu
hafter Freiheit. alternativen Freiheitspraktiken ein. Allerdings kann
die systematische Regierung der Selbstpraktiken, zum
Emanzipatorisches Potential / Widerstän- Beispiel durch die Versicherungsrationalität, die Sub-
digkeit20 jekte zu eigenverantwortlichem, präventivem Verhal-
ten nötigt, als herrschaftlicher Akt verstanden werden.
Machtverhältnisse tief im gesellschaftlichen Nexus
Es ist kaum möglich, sich dieser Rationalität zu ent-
wurzeln, und nicht über der Gesellschaft eine zusätzli-
ziehen Möglichkeit zum Widerstand.21
che Struktur bilden, von deren radikaler Austilgung
Dieses Tun folgt immer der Interpretation eines Ak-
man träumen könnte. In Gesellschaft leben heißt je-
teurs.
denfalls so leben, dass man gegenseitig auf sein Han-
Dieses Resultat des Widerstandes, wie immer es auch
deln einwirken kann. Eine Gesellschaft ohne Macht-
aussehen mag, wird in die Verantwortung der Akteure
verhältnisse kann nur eine Abstraktion sein. (Foucault,
gelegt.
1987, 5. 257) Bezeichnend für Machtverhältnisse ist
ihre konzeptionelle Verbindung mit dem Freiheitsbeg-
21Dieses Resultat des Widerstandes, wie immer es auch aussehen
riff. Wenn Machtausübung als ein ,,Ensemble von
mag, wird in die Verantwortung der Akteure gelegt. Somit ist das
Handlungen in Hinsicht auf mögliche Handlungen”
Individuum an seiner Situation selber schuld, denn es hatte auch
(ebd. 5. 255) oder als ,,Führen der Führungen” (ebd.) marktkonform handeln können. Sich gegen den Markt zu entschei-
den und womöglich anschließend unterzugehen, ist demnach ein
20 Ausdruck von zweifelhafter Freiheit, der bei den vorherigen Kon-
Siehe auch Opitz, 84f.
zepten nicht gegeben war.

Subjektivitäten ins Zentrum stellen

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