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Gegenöffentlichkeit

Das Josefinische
­Erlustigungskomitee
Wir wehren uns gegen einen bauwütigen
Investor und undemokratische Politik

«Allen Menschen gewidmeter Erlustigungs-Ort von Ihrem Schaetzer.»


Kaiser Josef II

Seit Anfang 2008 kämpft das sogenannte Josefinische Erlustigungskomitee mit Hilfe vieler Anrai-
ner_innen und anderen Bürger_innen-Initiativen auf ebenso vielseitige wie auch ungewöhnliche
Weise um den Fortbestand des öffentlichen und denkmalgeschützten Barockpark-Ensembles Augar-
ten und gegen den Bau einer privaten Konzerthalle für die Wiener Sängerknaben am Augartenspitz.

Der Augartenspitz – ein allen Menschen gewidmeter Erlustigungsort


Wie zuvor bereits andere Teile des Augartens, ist aktuell der Augartenspitz durch die Partikularinte-
ressen politisch einflussreicher und finanzpotenter älterer Herren gefährdet, die sich gerne selbst ein
Denkmal setzen wollen. Der Augartenspitz ist ein rund 1.700 m² großer Teil des denkmalgeschütz-
ten barocken Wiener Augartens, eines Parks sehr nahe dem Stadtzentrum Wiens. An dieser Stelle
der Anlage hätte der Sängerknaben-Präsident Eugen Jesser (2008 verstorben) gerne zusätzlich zur
großzügigen Unterbringung der Wiener Sängerknaben im barocken Augartenensemble eine Kon-
zert- und Probemöglichkeit für «seine» Knaben. Benötigt würden in unmittelbarer Nachbarschaft
des Internats doch nur «ein paar Quadratmeter», deren Verbauung die Gegend zusätzlich «aufwerte».
Hedgefonds-Manager und Großinvestor Peter Pühringer verspricht ein paar seiner durch Immo-
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bilien- und Finanzspekulationen erwirtschafteten Millionen für ein würdiges Gebäude an einem
repräsentativen Platz (ein «Geschenk an die Stadt») und liefert gleich – ohne Ausschreibung – seinen
Schwiegersohn als Architekten dazu. Wirtschaftsminister Bartenstein interpretierte seine Rolle als
Eigentümer_innenvertreter des öffentlichen Besitzes und Grunds so, dass er dem Hedgefonds-Ma-
nager das beliebte Parkgelände günstigst vermietet und zur Nutzung überlässt. Und nicht zuletzt ist
der Wiener Bürgermeister Michael Häupl dem Aushängeschild Wiener Sängerknaben bzw. deren
Leitung auf ewig verbunden, gibt Jesser bei einem privaten Abendessen sein Okay für den Bau im
Augarten und erstickt jeden demokratischen Entscheidungsprozess im Keim. So weit der typisch
österreichische Politskandal, der zuallererst mit Hilfe eines Machtkartells aus Wirtschaft, Politik und
Burschenschaftlern zustande kommen konnte.
Alle Einsprüche, Bitten und Versuche der Bürger_innen-Initiativen, doch an einem runden Tisch
über die Sache zu sprechen, stoßen jahrelang auf Ignoranz. Die übliche, professionelle Öffentlich-
keitsarbeit spricht gegenüber den Massenmedien von Dialog, während realiter jede Bürger_innen-
Beteiligung verhindert wird. Ein monatelanger, mühevoller Leitbildprozess der Gemeinde Wien,
bei dem gemeinsam über die Zukunft des Augartens bestimmt werden soll, verkommt zur – von
relevanten Stellen unbeachteten – Farce. Viel zu spät bescheinigen Expertisen hoch angesehener
Rechtsexperten, dass der Bescheid für das Bauvorhaben nicht rechtskonform erstellt wurde. Auch
die Volksanwältin kann nicht verhindern, dass Baumaschinen den notwendigen Bescheiden voraus-
rollen und so vollendete Tatsachen geschafft werden.

Eine Park-Besetzung gegen den Baumaschinenaufmarsch


Den Aktivist_innen bleibt schließlich keine andere Wahl, als im Frühsommer 2009 Zelte auf dem
Gelände aufzuschlagen und den Park zu besetzen. Den Auslöser liefern erste Probebohrungen ohne
Genehmigung, die versuchte Inbesitznahme des Geländes durch die Bauwilligen. Die Aktivist_­
innen sind bemüht, alles möglichst lückenlos zu dokumentieren und Informationen schnell über
Presse und Internet zu verbreiten. Die Besetzung wird per Blogs #010 , Facebook #040 , Fotos
auf  Flickr #080 , Filmen auf YouTube #070 und Live-Streams #110 dokumentiert, vor Ort gibt es
Infostände, Permanent Breakfast, Kultur- und Kinderprogramm.
Mehrfach wird in den folgenden Monaten das Gelände geräumt, Sondereinsatzkräfte gehen früh-
morgens gegen Anrainer_innen vor, später kommen immer wieder auch private "Sicherheitskräfte"
hinzu, die nächtens unter den Augen der untätigen Polizei gegen die Besetzer_innen aktiv werden.
Bis nach Japan (!) wird über die skandalösen Vorgänge berichtet. Am 8. März 2010 soll schließlich
tatsächlich gerodet werden. Etwa zehn Aktivist_innen klettern auf die Bäume und halten bis zu 32
Stunden bei Minusgraden in den Baumkronen aus, auch als mit Kettensägen auf gefährliche Weise
die Äste rund um sie geschnitten werden. Das geräumte und verwüstete Gelände wird in einen
Hochsicherheitstrakt verwandelt (inklusive Stacheldraht, Scheinwerfern und Wachhunden). Die
Aktivist_innen werden immer wieder eingeschüchtert, erhalten anonyme Drohbriefe und werden
mit gerichtlichen Klagen eingedeckt.

Das Erlustigungskomitee, eine Bürgerinitiative der anderen Art


Das Josefinische Erlustigungskomitee wird im Frühling des Jahres 2008 von besorgten Menschen
rund um die Künstlerin und Restauratorin Raja Schwahn-Reichmann ins Leben gerufen. Das dekla-
fallbeispiele.sozialebewegungen.org/buergerinitiative
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rierte Ziel ist, barock-bacchantische Mahnwache über den Augarten zu halten, namentlich über das
berühmte «Augartenspitzerl, auf dass es dem Volke zur Erlustigung nicht verlustig gehe».

Wenn ich nicht tanzen kann, ist es nicht meine Bürgerinitiative.


1. Der III. Spot für den Augartenspitz von Doris Kittler wurde im Sommer 2010 täglich vor den Filmen
des Sommerkinos am Augartenspitz gezeigt.  2. Raja Schwahn-Reichmann bei einem der selbstbewussten,
fröhlichen Barockfeste am Augartenspitz. Es wird eingeladen, informiert, getanzt, besetzt und sollte es einmal
nichts anderes zu lachen geben, den Baulöwen ins Gesicht gelacht.  3. Ausschnitt eines der zahlreichen Trans-
parente, die im Lauf des jahrelangen Widerstands die Häuser der Umgebung und den Augartenspitz bis in
den 5. Stock hinauf zieren. Im eigenen Erlustigungs-Widerstandsdesign (EWD).

1. Mai-aufm-arsch des Josefinischen Erlustigungkomitees!


Jedes Jahr am 1. Mai marschieren die Genoss_innen der Wiener SPÖ sternförmig
aus den Bezirken zum Rathaus, um dort vor der versammelten sozialistischen
Politprominenz ihre Aufwartung zu machen. Irgendwann wurde die Idee geboren,
diesen traditionellen Aufmarsch zu nutzen, sich dem Zug der lokalen Bezirksgrup-
pe anzuschließen und so direkt vor das Rathaus zu marschieren. Die genaue Um-
setzung wurde bis zuletzt nach außen geheim gehalten, um keine Information an
die "Genoss_innen" durchsickern zu lassen. Nicht nur war dieser Tag der 120. Tag
der Arbeit, sondern auch der 235. Jahrestag der Öffnung des Augartens für die
Bevölkerung durch Josef II.!
Durch die allgemeine Kundgebungsaktivität und die zahlreichen unterschiedli-
chen, mitziehenden Gruppen war es auch bemühten Genoss_innen aus dem 2.
Bezirk, denen sich der lustig-listige Zug anschloss, nicht möglich, die Eindring-
linge abzuwehren. Der Erlustigungs-Tross konnte tatsächlich ungehindert vor der
Tribüne beim Rathaus aufmarschieren, wo ein sichtlich irritierter Bürgermeister
das Schauspiel über sich ergehen lassen musste. Für die Kameras war es ein
gefundenes Fressen, so kam die Kundgebung zu dem Vergnügen, auf den meter-
hohen Monitoren über der Tribüne ausführlich präsentiert zu werden. Ein barockes
Outfit mit entsprechend gestalteter Kutsche, Raja Schwahn-Reichmann im roten
Kleid mit großer Fahne und eine Aktivistin im "Transparentkleid" – so konnte große
Aufmerksamkeit und Zustimmung gesichert werden.
Die Lieder «Internationale», «Solidaritätslied» und «Arbeiter von Wien» wurden – so
gehört sich das für einen Aufmarsch zum 1. Mai in Wien – auf Kamm und Fagott
geblasen und in mehrstimmigen Sätzen gesungen. So wurde den ausgewählten
aufrührerischen Liedern ein besonderer Anstrich verpasst. Es war eine recht ge-
lungene Überraschung, viel Applaus und lachende Gesichter, nur wenige zeigten
sich "not amused".
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Nicht verbittert oder klagend, sondern lustvoll wird auf die einzigartige Schönheit dieses Platzes und
die Bedrohung durch den Bau eines "Konzertkristalls" für die Sängerknaben hingewiesen (dieser
Ausdruck wird übrigens von vielen wegen der Assoziation zur "Reichskristallnacht" als pietätlos
empfunden). Als Namensgeber der Bürgerinitiative fungiert Josef II., der am 1. Mai 1775 den Park
für die Allgemeinheit öffnete. So absurd es klingt, so klar sind die Fakten: Was einst ein Kaiser in
einem demokratisierenden Akt dem Volk geschenkt hat, wird dem Volk jetzt von einem privaten
Bauinvestor und der sozialdemokratischen Wiener Stadtregierung genommen.
Das Josefinische Erlustigungskomitee dreht den Spieß um und lockt mit Barockfesten, wöchentli-
chen Mahnwachen, "Erlustigungsmärschen" oder ausgelassenen Picknicks mit lukullischen Freuden,
Musik und Kostümen. Es kommen Menschen aus allen sozialen Schichten, Altersstufen, Commu-
nities und politischen Richtungen. Das wunderschöne Fleckchen Grün wird von den Stadtbewoh-
ner_innen genutzt, gepflegt und gefeiert, um es vor Zerstörung zu bewahren. Rastlose Recherche,
Aufdecken von immer neuen rechtlichen und politischen Skandalen, unzählige Pressekonferenzen,
Unterstützungserklärungen von 15.000 empörten Menschen, einschließlich 50 prominenter Un-
terstützer_innen, die sich auch als schützende Baumpat_innen engagieren, das dadurch generierte
Medienecho, all das bringt den Verantwortlichen nicht nur gewaltig schlechte Presse, sondern auch
immer wieder lange zeitliche Verzögerungen ihres Projektes, dessen Baubeginn sich von Jahr zu Jahr
verschiebt.
Das Josefinische Erlustigungskomitee lässt sich seine Lust auf Widerstand nicht verderben. Es bleibt
«listig, lästig, lustig» und wartet immer mit einer Reihe sympathischer Ideen und liebevoller In-
szenierungen auf. Mit wenig Geld, aber viel Liebe zum Detail und reichlich Engagement werden
bacchantische Tanzveranstaltungen, Feste, Lesungen, Konzerte, Wanderungen, Filmabende, Märkte,
Näh- und Mähstübchen, Pflanzaktionen («Pflanzen gegen die Pflanzerei von oben») etc. veranstaltet.
Dabei spielen Ironie, Spaßfaktor und Ästhetik die Hauptrollen.
Als Antithese zur aggressiven Wort- und Bildästhetik, wie man sie sonst von Demos und Kundge-
bungen gewohnt ist, wird Humor als bekannterweise stärkste Waffe gegen Ungerechtigkeit und Lüge
eingesetzt: Transparente mit Sprüchen in dramatischer Schreibschrift überraschen und irritieren.
Wer mediale Aufmerksamkeit will muss auffallen, und wer auffallen will braucht Ideen, die Inhalte
auch optisch und mit einer gewissen Dramatik rüberbringen!

Inszenierung, Öffentlichkeit und Vernetzung


Die optisch-dramatische Komponente des Sich-in-Szene-Setzens hilft der Bürgerinitiative, bei die-
sem Widerstand auf positive wiewohl ebenso freche Art Aufmerksamkeit zu erregen, die schnell und
gerne von Presse und Fernsehen aufgegriffen wird. Und Präsenz in der Öffentlichkeit ist – darüber
sind sich wohl alle einig – der stärkste und mächtigste Faktor, was Meinungsbildung in Gesellschaft
und Politik (von oben und von unten) betrifft. Das heißt: Präsenz im öffentlichen Raum (im Park,
auf der Straße, über Transparente auf Häusern, Flugzettel, Plakate und Pickerl), in der massenme-
dialen Öffentlichkeit (im Fernsehen, Radio, den Zeitungen) und im öffentlichen Raum "WWW"
(Websites, Blogs, Videos, Veranstaltungseinladungen auf Facebook usw.).
Aktionismus im öffentlichen Raum: Aktionismus ist an sich nichts, womit man, insbesondere in
Ballungsräumen, unbedingt großes Aufsehen erregt. Was man zu bieten hat, muss schon originell
sein, eine Geschichte erzählen.
fallbeispiele.sozialebewegungen.org/buergerinitiative
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Das Zusammentreffen des Anliegens (Schutz des barocken Augartenspitzes) mit der Person Raja
Schwahn-Reichmanns, die als Barockmalerin und Restauratorin eben dieses Thema zu einem wich-
tigen Teil ihrer Arbeit erkoren hat (Denkmalschutz im Sinne Natur und Kunst bewahrender, men-
schenfreundlicher, gemütlicher Umgebung), ist freilich ein besonderer Glücksfall, der nicht kons-
truiert werden kann. Wenn sich eine solch natürliche Festlegung auf einen bestimmten Stil nicht
aufdrängt, ist es sehr zu empfehlen, sich genau darüber Gedanken zu machen, um den Fans ein
klares, einprägsames Bild zu liefern. "Corporate Identity", ein auf einen Blick wiedererkennbares Er-
scheinungsbild, Symbole, Schriften und Grafik auf Flyern und Plakaten, ist immer sinnvoll und hilft
vor allem über die lange Zeit des Widerstands als klar wahrnehmbare, selbstbewusste Bürgerinitiative
kontinuierlich wahrgenommen zu werden. Der besondere, amüsante und nie langweilige Stil wirkt
dabei auch nach drei Jahren noch frisch und fröhlich.
Öffentlichkeit durch Prominenz: Sehr ratsam für die Öffentlichkeitsarbeit ist Unterstützung durch
prominente Persönlichkeiten. Je mehr und je charismatischer lokal beliebte bis weltberühmte Intel-
lektuelle, Menschen aus Kunst, Medien, Wissenschaft, Politik usw. die Ideen und Forderungen der
Bürgerinitiative transportieren, desto aufregender und glaubhafter! Im Falle Augartenspitz sind dies
mehr als 50 Prominente, die für ein Prominentenkomitee und als Baumpat_innen gewonnen werden
konnten, um die Bäume vor der drohenden Fällung zu schützen. Da gibt es Konservative (wie bei-
spielsweise ÖVP-Ex-Politiker Erhard Busek), bekennende SPÖ-Symphatisant_innen (Schauspielerin
Erika Pluhar) bis hin zu sogenannten "Linkslinken" (Theatermacher Hubsi Kramar) und natürlich
Künstler_innen (z. B. Hollywoodstar Tilda Swinton). Einige engagieren sich gerne und beteiligten sich
mit Reden und Musikbeiträgen bei diversen Kundgebungen oder schreiben Kommentare in Zeitungen
und den Feuilletonseiten. Kein Fehler ist es natürlich auch, Kontakte zu Fachleuten aufzubauen.

Widerstand an allen Fronten, von Politik und Kapital ignoriert.


1. Viele bekannte Persönlichkeiten unterstützen die Bürgerinitiative. Die Filmemacherin Barbara Albert
und der Schriftsteller Robert Menasse machen als Baumpat_innen darauf aufmerksam, dass wunderschöne,
für Mensch und Tier wichtige Bäume gefällt werden sollen.  2. Am 21. September 2010 wurden Wiens
Bürgermeister Häupl nicht weniger als 15.000 Unterschriften gegen den Bau einer Konzerthalle am denk-
malgeschützten Augartenspitz überreicht.  3. Am 8. März 2010 wurde der Augartenspitz gegen passiven
Widerstand zum wiederholten Male brutal geräumt. Baumbesetzer_innen harrten bei Minusgraden stun-
denlang in Baumkronen aus, während Zentimeter neben ihnen Motorsägen kreischten.

Medienarbeit: Aufmerksamkeit der Presse gibt es oft nur, wenn es kracht. Selbst individuelle Be-
treuung der Journalist_innen hilft wenig, wenn man nicht über spannende neue Entwicklungen
berichten kann. Die zu vermittelnden Inhalte dürfen nicht zu komplex sein, zu Erklärendes kommt
nicht an. Fertig aufbereitetes Material ist wichtig, im Besonderen Fotos, wobei hier Kreativität und
Schnelligkeit zählen. Was bereits berichtet wurde, interessiert kaum jemanden mehr. Journalist_in-
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nen können oder wollen Geschichten nicht selbst transportieren müssen, die Geschichte sollte sich
von selbst tragen, also entwickeln wir sie selbst. Was den Medien am Widerstand am Augartenspitz
gefällt, ist neben den Aktionen vor allem die Andersartigkeit dieses Protestes.
Gerade bei den herkömmlichen Medien ist es schwierig, sich gegen die Einflussnahme mächtiger
Gegner, wie politischer (Groß-)Parteien oder finanzkräftiger Wirtschaftstreibender mit Beziehungen
in die Politik, durchzusetzen. Hier werden die einflussreicheren Kräfte meist vorsichtig behandelt,
und entsprechend schwierig gestaltet sich dann eine halbwegs neutrale Berichterstattung. Wenn
rücksichtslose Gegner in der größten österreichischen Tageszeitung einen "Herz-Schmerz-Artikel"
voll falscher Darstellungen, aber mit treuherzigen Kinderaugen geziert platzieren können, dann sind
die Machtverhältnisse besonders klar. In solchen Situationen kann man scheinbar wenig tun, aber
immerhin lässt sich diese Berichterstattung gut dokumentieren und den protokollierten Gescheh-
nissen gegenüberstellen.
Präsenz im WWW: Die Social Media Plattformen werden vom Erlustigungskomitee und allgemein
von den vernetzten Aktivist_innen seit der ersten Stunde vielfältig verwendet. Natürlich gibt es von
Anbeginn an auch eine SMS-Liste #707 mit Telefonnummern, über die schnell viele Menschen
zusammengetrommelt werden können, wenn Feuer am Dach ist.
An den Möglichkeiten und Werkzeugen des Internet allerdings kommt man ohnehin nicht mehr
vorbei. Zum Teil können nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, weil die Inhomogenität der
Gruppen das verhindert. So ist manches, was vielleicht selbstverständlich erscheint, nicht einfach
realisierbar. Selbst so simple Tools wie doodle.com funktionieren nur, wenn die Mehrzahl der Betei-
ligten solche Tools auch akzeptiert und anwenden kann.
Zur Website auf Basis der Blogsoftware Wordpress, gleich zu Beginn mit einer einfachen­
Petition auf iPetitions kam ein Newsletter, bald auch Fotoalben (picasa/Flickr) sowie ein YouTube-,
ein Facebook- und ein Twitter-Account. Die Besetzung ebenso wie die Räumungen waren dank
Superbertram via Live-Stream mitzuerleben. Den Vorsprung, den große Institutionen oder Apparate
bei den herkömmlichen Medien haben, haben in vielen Fällen kleine Initiativen bei den neuen Me-
dien. Hier kommt die Wendigkeit der kleinen Strukturen, der Einsatz von Freiwilligen, die nicht nur
zu Bürozeiten im Netz aktiv sind, zum Zug. Die Involvierten und die Interessierten arbeiten zusam-
men und bauen ihre eigene Gegenöffentlichkeit auf, die freilich auch für die Multiplikator_innen
aus Presse, Zivilgesellschaft und Politik zur wichtigen Anlaufstelle wird.
Bei den Wiener Sängerknaben ist man mit den neuen Möglichkeiten sichtlich überfordert, da hel-
fen auch ausgebildete Öffentlichkeitsarbeiter_innen und großzügige Werbebudgets nichts. Seltsam
ungeschickte Versuche, beispielsweise über Facebook der Mobilisierung des Widerstands Paroli zu
bieten, scheiterten kläglich.
Vernetzung mit SympathisantInnen und anderen Bürgerinitiativen: Am Beginn steht der Aufbau
der Kontakte zu Menschen, die sich interessieren oder engagieren wollen. Adressen #030 werden
über persönliche Bekanntschaften, die Unterschriftenliste und die Online-Petition und später auch
in Facebook zusammengetragen. Das Josefinische Erlustigungskomitee arbeitet seit seinen Anfängen
mit verschiedensten Bürgerinitiativen wie «Freunde des Augartens», «Initiative Denkmalschutz» und
«Aktion 21» zusammen; aber auch Kulturinstitutionen wie «Filmarchiv Austria» und «Aktionsradius
Augarten» oder von politischer Seite die «Grünen Leopoldstadt» beteiligten sich am Widerstand. Spä-
ter gab es Kontakte zu Bewegungen wie #unibrennt und Stuttgart 21 .
fallbeispiele.sozialebewegungen.org/buergerinitiative
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Die Zusammenarbeit ist höchst fruchtbar und funktioniert meist gut. Da Widerstandsarbeit in
der Regel langen Atem verlangt und an den Nerven aller zehrt, kommt es bei Bürgerinitiativen
natürlich auch zu Missverständnissen und Reibereien. Allein das gemeinsame Ziel schweißt dann
zusammen und lässt individuelle Konflikte und persönliche Befindlichkeiten in den Hintergrund
treten. Gemeinsame Aktionen verbinden und helfen auch über zähe Phasen hinweg, längere Zeit-
räume mit monotoner Bürgerinitiativenarbeit sind hingegen eine wirkliche Herausforderung für
jeden Einzelnen, sich in Toleranz und Geduld zu üben. Insgesamt ist die Vernetzung mit anderen
Gruppen unumgänglich und auf jeden Fall die Zukunft jeder widerständischen Initiative!
Die Arbeit mit solchen zusammengewürfelten Gemeinschaften erfordert eine Menge guten Willens
und Toleranz. Da müssen der pensionierte Beamte und der junge Anarchist auf einmal miteinander
reden, was natürlich nicht immer ohne Friktionen abgeht. Dazu kommen fallweise auch Men-
schen, die sich immer neue, offene (und in der Öffentlichkeit agierende) Gemeinschaften suchen,
sich aber nicht wirklich mit den spezifischen Anliegen identifizieren können oder wollen; manche
suchen einfach einen Schlafplatz oder eine Trinkgesellschaft. Die Kunst liegt darin, die Balance zu
behalten, die Freude ebenso wie die Widerstandskraft. Es gilt, die Fähigkeit jedes Einzelnen zur
Geltung kommen zu lassen, und ein Zerbrechen der schnell und ungeplant entstandenen Gruppen
zu verhindern.

Zusammenfassung
Mit zahllosen Veranstaltungen über mehrere Jahre, einer Unterschriftenaktion, einem Prominenten-
komitee, großem medialen Echo und auch unter großem körperlichem Einsatz feiert die Initiative
ihre größten Erfolge bislang mit der Rettung des barocken Gebäudes und der langen Bauverzöge-
rung des Projektes "Konzertkristall". Egal wie dieser Kampf endet, eines ist gewiss: Viele Menschen
wurden wachgerüttelt und haben gelernt, sich zu engagieren und aufzulehnen.

Positive Ästhetik und Botschaften wirken wesentlich stärker und effektiver nach außen! Das gilt
für Transparente genauso wie für Slogans, Sprechchöre, Farben, Symbole, Bilder oder Musik.
Dokumentation – Alles möglichst lückenlos dokumentieren, sei es mittels Fotos, Videos
oder einfach als schriftliche Gedächtnisprotokolle.
Rechtliches – möglichst rasch über rechtliche do’s and dont’s informieren.
Mediales – Wer mediale Aufmerksamkeit will, muss auffallen und wer auffallen will
braucht Ideen, die Inhalte auch optisch und mit einer gewissen Dramatik rüberbringen!
Eine Petition starten – Unterschriften sammeln und die Politik (heraus-)fordern.
­Sympathisant_innen ist es wichtig, wenn sie zumindest den symbolischen Beitrag
einer Unterschrift liefern können.
Ein Prominentenkomitee hilft als Rückenstärkung und Sympathiefaktor in der Öffentlichkeit.
Und Personen mit Fachwissen sind Gold wert, also Kontakte zu Fachleuten aufbauen.
Unabhängigkeit – Die Position gegenüber politischen Parteien festlegen,
strikt auf Parteiunabhängigkeit achten!
Vernetzung – Gemeinsame Aktionen mit anderen Initiativen verbinden!
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Keine zu komplexen (Presse)Texte für die Öffentlichkeitsarbeit verfassen.


Negative Formulierungen vermeiden. Keine Gewalt, kein Hass, kein Rassismus, kein Sexismus;
das gilt insbesondere auch für Texte auf Transparenten!
Die komplexe, zeitaufwändige Arbeit nicht nur 1-2 Engagierten überlassen,
sondern die Fähigkeiten möglichst vieler nützen und rechtzeitig auf Aufgabenverteilung achten.

Augarten, Wien, Barockpark, Denkmalschutz, Naturdenkmäler, Hedgefonds Manager, Bürgerbeteiligung,


Wiener­Sängerknaben, Securityfirmen, Widerstand, Besetzung, ­Räumung, Petitionen

Kommentare

Raja Schwahn-Reichmann sagt:erlustigung.org


Das Josefinische Erlustigungskomitee ruft weiterhin zum Frühstück! Zur Mahn­
wache, zum Fest, zum Konzert!
Gegen das Bubenstück der Sängerknaben, ein Sommerloch am Augartenspitz,
das wir herzlich beklagen wollen, und zwar mit Guter Minne zum Bösen Spiel!
Darum auf Ihr Augartenbeschützer, Baumgeister, Spitzbuben, Madln und Mänadln:
Barockig bis sehr leicht geschürzt zum frohsinnlichen Gelage, das Venus erfreuen
und ein lebendes Bild unseres listig – lustig – lästigen Widerstands bilden soll!

cornelia sagt:
ich würde es ewig schade finden wenn der Augartenspitz einem Unge-
tüm wie dem Konzertsaal weichen müsste.
Ich finde eure Aktionen wunderbar, eure Kostüme etc und bekomme
schon seit Jahren mit wie sehr und wie toll ihr euch bemüht. Grüße euch
alle und würde mich auf ein Wiedersehen freuen!! Ihr seid die Besten!!

Monika Roesler-Schmidt sagt: baustopp.at


Sehr geehrter Herr Bürgermeister Dr. Häupl,
Im Zuge des unverhältnismäßigen WEGA-Polizei-Einsatzes meinten Sie, dass man
so einen Konflikt ausreden müsse. Das meinen wir auch! Da wir über Ihr Büro
bisher keinen Termin mit Ihnen erhalten haben, bitten die Augarteninitiativen auf
diesem Weg um einen Gesprächstermin für einen „Runden Tisch“, gemeinsam mit
den Wiener Sängerknaben. Am besten vor Ort am Augartenspitz. Um mit Ihnen
bei einem Lokalaugenschein die Perspektive der Kritiker des Projekts zu erörtern,
Ihnen die Schönheit dieses „Alt-Wiener Ortes“ vermitteln zu können und um Ihre
Argumente kennen zu lernen. mfg
Die Freunde des Augartens

Robert Menasse sagt:baustopp.at


Michael Häupl sagte in einem Standard-Interview: “Mich interessieren Investoren,
und nicht irgendwelche Anrainer!” Was Häupl “irgendwelche Anrainer” nennt, sind
die Bürger dieser Stadt, die Eigentümer des Volks-Gartens. Und was wir “Bürger-
fallbeispiele.sozialebewegungen.org/buergerinitiative
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meister” nennen, meint nicht “den Meister irgendwelcher Investoren”. Herr Häupl
sollte sich daran erinnern, dass er für das VERWALTEN, UND NICHT FÜR DAS
VERKAUFEN ODER VERSCHENKEN der Stadt gewählt wurde. Sieh dazu diesen
Kommentar im Standard: bit.ly/standardkommentar
Öffentlicher Raum muss öffentlicher Raum bleiben, auch wenn ein Bürgermeister
nicht Bürgermeister bleibt …

Martin Juen sagt: martinjuen.wordpress.com


Oh, an diesen Tag und die Nacht der Baumfällungen erinnere ich mich, da schnürt
es mir immer noch alles zusammen. Aber eine Wahnsinnsleistung von 6 Leuten, bei
minus 8° stundenlang auf den letzten Bäumen auszuharren. Die ganze Nacht bei
Minustemperaturen. In den Baumkronen während die Motorsägen bis Zentimeter
an sie heran Äste durchtrennt haben!
Ich hab ja damals auch fotografiert, die Bilder von dieser Aktion gibts hier: bit.ly/
baumfaellung

Superbertram sagt: superbertram.com


Es ist ganz wichtig immer bereit zu sein, dabei können technische Hilfs-
mittel wie ich enorm helfen. Kein Bohrfahrzeug konnte so "unbemerkt"
bohren, es war immer sofort und ohne menschliches Zutun für alle im
Internet zu sehen. Dadurch konnten Sympathisanten im Internet besser
mit eingebunden und somit mobilisiert werden. Diese lückenlose und
transparente Publizierung aller "Feindbewegungen" am Augartenspitz
war mein Beitrag dazu.

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