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Grundsatzerklärung ehemaliger Südtiroler Freiheitskämpfer:

Tirol: Gegen Faschismus und Nazismus


und um die Achtung der Rechte anderer Völker. Es ging um die
Auch heute noch wird gelegentlich die Meinung vertreten,
Vergötzung des imperialistischen Staates, der für sich das „Recht
der Nationalsozialismus habe letztlich Südtirol nicht verra-
des Stärkeren“ auf die Unterdrückung anderer Völker und Men-
ten wollen. Sein Verhalten gegenüber Italien sei durch die
schen in Anspruch nahm.
weltpolitische Lage erzwungen und rein taktischer Natur
Auf diesem Weg waren abgetrennte Volksgruppen wie die Südti-
gewesen. Bei erstbester Gelegenheit wäre Südtirol doch an
roler nur lästige Stolpersteine, die notfalls durch Umsiedlung aus
Deutschland angeschlossen worden.
dem Weg geräumt werden konnten.
Dies stimmt nachweislich nicht. Es ging Hitler bereits um im-
periale Zielsetzungen, die vielfach in Gegensatz zu Volks- und
Volksgruppenrechten des eigenen Volkes wie auch anderer Hitler gegen Südtirol – Mussolini ein
Völker stehen mußten. „überragendes Genie“
Jede Kritik an Hitlers geliebtem Vorbild stieß von Anfang an auf
dessen Ablehnung. Bereits am 16. Oktober 1923 brachte die römi-
Hitler war die Schlüsselfigur sche Tageszeitung „Corriere Italiano“ ein Interview mit Adolf Hit-
Der Nationalsozialismus war keine geschlossene Ideologie, bereits ler unter dem Titel „Hitler über seine politischen Ziele“. Darin
die 25 Punkte seines Parteiprogramms waren willkürlich aus ver- wurde der damals noch wenig bekannte Politiker zitiert: „Ich kämp-
schiedenen geistigen Richtungen zusammengewürfelte Thesen. fe hier einen verzweifelten Kampf, um den Leuten klarzumachen,
Wenn man „den Nationalsozialismus“ beurteilen will, muß man daß Südtirol zwischen Italien und Deutschland keineswegs ein
daher vor allem Adolf Hitler und sein Handeln beurteilen. Er gab Zankapfel sein dürfe ... Als Nationalist vermag ich mich durchaus
in allen Dingen die Richtung vor, auch bei allen ideologischen in die italienischen Gedankengänge zu versetzen und verstehe so-
Schwenks seiner Partei. gar den italienischen Anspruch auf eine gesicherte Grenze.“
(Über Hitlers Buhlen um Mussolinis Gunst siehe auch: Paul Herre: „Die
Der Weg in den Imperialismus Südtiroler Frage“, München 1927, S. 300 f)
Hitlers überraschende politischen Erfolge waren darauf zurück
zu führen, daß er seine Bewegung als Befreiungsbewegung in
außen- und innenpolitischer Hinsicht darstellte.
Außenpolitisch forderte er die Befreiung des deutschen Volkes von
den auch materiell drückenden Ketten der Friedensverträge von
Versailles und St. Germain. Innenpolitisch vertrat er einen „na-
tionalen Sozialismus“.
Damals werden wohl zahlreiche seiner Wähler und Anhänger noch
nicht geahnt haben, daß Hitler keineswegs nur die Befreiung des
eigenen Volkes anstrebte, sondern, seinem bewunderten Vorbild
Mussolinis folgend, den Weg in die Diktatur und in den Imperia-
lismus zu Lasten anderer Völker wählte. Diese Zielrichtung wur-
de vielen erst klar, als Widerspruch im totalitären Staat nicht mehr
möglich war und während des Krieges auch als Hochverrat ver-
folgt wurde.

Mussolini war der große und bewunderte


Lehrmeister Hitlers
Eine weitgehend unterlassene Vergangenheitsbewältigung in Ita-
lien läßt heute Mussolini vielfach als „halb-so-schlimmen“ Dikta- Hitler und sein großes Vorbild Hitlers Südtirolschrift aus dem
tor und den faschistischen Terror als vergleichsweise harmlos er- Mussolini. Jahre 1926.
scheinen. So war es aber nicht!
Der große Lehrmeister seines Zauberlehrlings Hitler war jedoch Im Jahre 1926 veröffentlichte Hitler in dem Münchner Parteiverlag
Mussolini gewesen. Bereits Anfang der Zwanzigerjahre des 20. Eher einen Auszug aus seinem Buch „Mein Kampf“ unter dem
Jahrhunderts begeisterte sich Hitler an Mussolinis Konzept der Titel „Die Südtiroler Frage und das Deutsche Bündnis-
Staatsallmacht, an dessen Ablehnung der Demokratie und an dem problem“.
Ausschließlichkeitsanspruch der Faschistischen Partei. Hitlers Die Sicherung Deutschlands, sagte Hitler, könne nur durch ein
Verehrung für den „Duce“ kam auch in der Übernahme des „römi- Bündnis mit dem starken und vorbildlichen faschistischen Itali-
schen Grußes“ und in der Errichtung öffentlicher Bauten im Stile en herbeigeführt werden, dessen „Duce“ Mussolini „als überragen-
faschistischer Pseudo-Römertempel zum Ausdruck. des Genie das nationale Gewissen Italiens verkörpert.“ (Seite 6)
Hitler übernahm von seinem bewunderten Vorbild Mussolini das
Führerprinzip mit streng hierarchischer Durchorganisation und Hitler: Südtirol – ein jüdisches Steckenpferd
Gleichsetzung von Partei und Staat. Er richtete nach Mussolinis Dieses Bündnis (welches in Wahrheit der größte Sargnagel des
Vorbild eine terroristische Geheimpolizei und Konzentrationsla- Deutschen Reiches werden sollte) werde von dem „internationa-
ger ein – in den italienischen KZs in Lybien und Äthiopien sollten len Börsenjudentum“ wütend bekämpft, welches die „Versklavung“
immerhin Hunderttausende Menschen umkommen. Deutschlands wünsche.
Hitler schätzte an Mussolini auch dessen Rassenwahn der angeb- Dazu reite „der Jude“ ein „besonderes Steckenpferd“, nämlich „Süd-
lichen Überlegenheit der „italischen Rasse“ über die anderen tirol“! (Seite 30)
Mittelmeervölker und dessen Idee der Errichtung eines Mittel- In seiner Schrift beschimpfte Hitler die Freunde Südtirols wü-
meerimperiums nach altrömischem Vorbild. Ähnlich gedachte tend als „Spießbürger“ und erklärte, „eine Abrechnung zu halten
Hitler, seine Herrschaft nach Osten auszuweiten. Er übernahm mit diesem allerverlogensten Pack“, welches hier „nationale Em-
von dem „Duce“ auch die Idee der Zwangsassimilierung sowie der pörung“ mime, „die besonders diesen parlamentarischen Betrügern
Umsiedlung und Vertreibung ganzer Völkerschaften. ferner liegt als einer Elster redliche Eigentumsbegriffe.“ (S. 30 f)
Es ging nicht mehr um die natürlichen Rechte des eigenen Volkes „Gerade wir Nationalsozialisten aber haben uns zu hüten, in das
Tiroler – Dokumentation 54/2008 1
Schlepptau unserer von Juden geführten bürgerlichen Wortpatri- konsulat in München vermittelten Geheimtreffen des faschisti-
oten zu kommen.“ (Seite 35) schen Senators Ettore Tolomei mit dem emporstrebenden NSDAP-
Die nationalsozialistische Bewegung müsse „unser Volk lehren, Parteiführer Adolf Hitler.
über Kleinigkeiten hinweg auf das Größte zu sehen, sich nicht in Tolomei, der fanatische Urheber der Entnationalisierungspläne
Nebensächlichkeiten zu zersplittern“. (Seite 41) Derzeit führe das gegen Südtirol, berichtete am 30. September 1928 in einem Schrei-
„faszistische Italien“ den Kampf gegen das Judentum (Seite 43). ben an Mussolini:
Auch für Deutschland gelte es nun, „den bösen Feind der Mensch- „Ich trug von der Person einen im wesentlich guten Eindruck da-
heit ... dem allgemeinen Zorn zu weihen“. Dies müsse an die Stelle von. Hitler ist ein junger und von großer und reifer Energie beseel-
„des blöden Hasses gegen Arier“ treten, „mit denen uns jedoch ge- ter Politiker, mit feuriger Redegewandtheit, einem unbegrenzten
meinsames Blut oder die große Linie einer gemeinsamen Kultur Vertrauen in sich selbst; bestimmt, über jedes Hindernis hinweg-
verbindet.“ (Seite 47) zugehen, mit der Sicherheit, das Ziel zu erreichen. Er will sich ei-
Am 28. September 1930 veröffentlichte die faschistische Zeitung nes Tages an der Spitze Deutschlands sehen, ihm sein Programm
„Gazzetta del Popolo“ in Rom aus einer Unterredung ihres Korre- auferlegen ...
spondenten mit Adolf Hitler dessen Stellungnahme zu Südtirol: Hinsichtlich der Assimilierung konnte Hitler nicht ausdrücklicher
„Die Freundschaft einer großen Nation wie Italien kann nicht durch sein, als er es war.
Südtirol getrübt werden.“ Er sprach sich sehr rüde in Worten, die ich geradezu als grob be-
zeichnen könnte, aus (‚ganz wurst‘, ‚ich pfeif darauf‘); jene vier Älpler
Sozialdemokratische Kritik an der NS-Haltung zu von Bozen und von Meran dürfen Deutschland nicht hindern, das
Südtirol: „So schmachtet deutsches Land!“ im Spiel seiner außenpolitischen Beziehungen frei sein will ..., wobei
In einer im Verlag „Vorwärts“ in Wien erschienenen Broschüre man sich von der Behinderung durch kleine gefühlvolle Rückstän-
mit dem Titel „Südtirol verrecke!!“ (angeblich hatten reichs- de befreien muß, wie es gerade die irritierende Frage des Alto Adige
deutsche Nationalsozialisten am 1. Dezember 1931 bei der Spren- ist ... Er legt sich Rechenschaft ab, daß in einem kurzen Zeitraum
gung einer christlichsozialen Versammlung im Innsbrucker Stadt- die größeren Zentren des Alto Adige soweit italianisiert sein wer-
saal diesen Ruf ausgestoßen) beklagten die österreichischen Sozi- den, daß sogar die Pangermanisten den Eindruck einer verlorenen
aldemokraten die Unterdrückung der Südtiroler durch den Fa- Partie erhalten werden und daß folglich die Assimilierung der
schismus: „So schmachtet deutsches Land in grausamer Unterjo- Hochtäler und der abgelegenen Täler nur eine Frage der Zeit sein
chung und Not und alle Kulturmenschen sind sich einig in der wird. Er möchte lediglich, daß die Aktion der italienischen Regie-
Verachtung für die Bedrücker Südtirols.“ Hitler hingegen übe of- rung gegen die deutschen Zeitungen und Zeitschriften lebhafter
fenen Verrat an den nationalen Grundsätzen. So habe es in einem wäre, um auf diese Weise dem Überhandnehmen der wütenden anti-
Kommentar zu der ersten Auflage des NS-Parteiprogrammes noch italienischen und antifaschistischen Anschuldigungen einen Damm
geheißen, daß ein künftiger deutscher Nationalstaat auch die entgegenzustellen ... Hitler findet persönlich ein Hindernis in sei-
Deutschen „in Südtirol“ umfassen müsse. In der 5. Auflage des ner Kampagne für eine offene Übereinstimmung mit Italien und
Jahres 1929 seien die Worte „in Südtirol“ gestrichen worden. Da- auch im allgemeinen für den Fortschritt seines politischen Ein-
mit würde Hitler „die Deutschen in Südtirol einfach dem italieni- flusses nicht in den ‚Maßnahmen‘ für das Alto Adige selbst oder im
schen Faschismus preisgeben.“ realen Fortschritt in der Assimilierung, sondern in dem Lärm der
Am 14. November 1922 habe Hitler auf einer Versammlung in böswilligen Pangermanisten, die seinen Einfluß auf die Massen
München-Haidhaus erklärt: „Mit Italien, das seine nationale Wie- bekämpfen, indem sie ihm die Zustimmung zu den behaupteten
dergeburt erlebt und eine große Zukunft hat, muß Deutschland italienischen Greueln vorwerfen ...
zusammengehen. Dazu ist nötig ein klarer und bündiger Verzicht Hitler wünscht, einmal den Chef der italienischen Regierung ken-
Deutschlands auf die Deutschen in Südtirol. Das Geschwätz über nenzulernen und mit ihm zu sprechen. Die Bewunderung für die
Südtirol, die leeren Proteste schaden uns nur, da sie uns Italien historische italienische Persönlichkeit ist in ihm durch das leiden-
entfremden. In der Politik gibt es keine Sentiments, sondern nur schaftliche Ideal eines gleich geführten Deutschland gewachsen,
Kaltschnäuzigkeit.“ (Anm.: Hier hatten die Sozialdemokraten wörtlich eines Deutschland, das stark und einig sein soll.“
aus einem Bericht des „Bayerischen Kurier“ vom 15. Jänner 1932 zitiert.) Gegen Ende seines Schreibens empfahl Tolomei seinem „Duce“,
jenen Teil „seiner politischen Konzeption in Betracht zu ziehen und
Hitler trifft Tolomei: „Jene vier Älpler“ aufmerksam zu fördern, der das absolute Desinteressement an der
dürfen Deutsch-land nicht behindern italienischen Assimilierung des Oberetsch enthält.“
Am 14. August 1928 kam es in einer versteckten Villa in Nym- (Zitiert bei: Karl Heinz Ritschel: „Diplomatie um Südtirol“, Stuttgart 1966,
phenburg bei München zu einem durch das italienische General- S. 134 ff)

Die sozialdemokratische Broschü-


re, in welcher das Bündnis
zwischen Nationalsozialismus
und Faschismus und der Verrat
an Südtirol scharf angegriffen
wurden.

Die Sozialdemokraten wandten sich in


diesem Flugblatt an die Nordtiroler
Bevölkerung und forderten sie auf, die
nationalsozialistischen und Heimwehr-
Führer an einem Verrat an Südtirol zu
hindern und in dieser Frage zu einem
Zusammengehen mit den Sozial-
demokraten zu bewegen.
2 Tiroler – Dokumentation 54/2008
SA-, SS-Männer und italienische Faschisten
1932 vereint vor dem „Siegesdenkmal“:
Der SS-Standartenführer Theodor Eicke
darf dem Herzog Filiberto von Pistoia,
einem engen Verwandten des italienischen
Königs, die Hand schütteln.

Reichsdeutsche Nationalsozialisten Pistoia, einem engen Verwandten des italienischen Königs, die
vor dem faschistischen Siegesdenkmal Hand schütteln. Fotos dieser Schande sind im Innsbrucker Stadt-
Am 28. Oktober 1932 erschien eine etwa 30 Kopf starke unifor- archiv erhalten.
mierte reichsdeutsche Abordnung von SA und SS in Bozen und Der Andreas-Hofer-Bund in Innsbruck gab dazu eine Erklärung
nahm gemeinsam mit ebenfalls uniformierten Faschisten an dem an die Presse ab, in welcher er darauf hinwies, „daß das italieni-
Festakt zum zehnjährigen faschistischen Regierungsjubiläum vor sche Siegesdenkmal als Sinnbild der Unterdrückung des dortigen
dem faschistischen „Siegesdenkmal“ in Bozen teil. Das amtliche Deutschtums errichtet wurde und daß an seiner Stirn das Bild
faschistische Organ von Bozen, „La Provincia di Bolzano“ berich- einer Kriegsgöttin angebracht ist, die ihren Pfeil nach Norden
tete darüber: „Wir wollen auch die sympathische Geste einer schießt. Der Andreas-Hofer-Bund stellt weiter fest, daß zum Bau
Hitlerischen Gruppe hervorheben, die an der Kundgebung teilge- des Siegesdenkmals gerade jener Platz gewählt wurde, wo sich bis
nommen hat ... Der gesunde Teil des deutschen Volkes empfindet zum Jahre 1926 das Ehrenmal für die gefallenen Tiroler Kaiser-
für die Nation, welche heute die Fahne der Gerechtigkeit schwingt, jäger befand, und daß dieses Ehrenmal zerstört wurde, um jenem
nicht bloß Dankbarkeit, sondern will auch seine Bewunderung und für den angeblichen italienischen Sieg Platz zu machen.
Brüderlichkeit bezeugen. Die starke Abordnung der Hitler-Leute Der Andreas-Hofer-Bund stellt endlich fest, daß auf dem Gelände
hatte sich auf der Freitreppe des Siegesdenkmales aufgestellt.“ des Siegesdenkmals vor 120 Jahren eine der edelsten Gestalten
Welchem Geist das faschistische „Siegesdenkmal“ Ausdruck ver- des Tiroler Freiheitskampfes, Peter Mayr, der Wirt an der Mahr,
lieh, hatte der Minister für die öffentlichen Arbeiten, Giovanni am gleichen Tage erschossen wurde, an dem Andreas Hofer zu
Giurati, bereits bei der Denkmaleinweihung am 12. Juli 1928 ver- Mantua starb.
kündet gehabt, als er die angeblich „überlegenen Eigenschaften“ Wenn heutzutage Mitglieder einer großen deutschen Partei auf der
des italienischen Volkes in einer ebenso überheblichen wie dum- Treppe dieses Siegesdenkmals inmitten italienischer Frontkämp-
men Rede gerühmt hatte: fer jeder Waffengattung sich huldigend aufstellen, so reihen sie
„Ohne diese klare Überlegenheit der Eigenschaften ließen sich we- sich damit von selber unter die Feinde tirolischen Lebens und Er-
der das rasche Vorwärtsschreiten unseres Volkes, noch die Helden- lebens ein und haben das Recht verloren, sich fortan Sachwalter
taten erklären, wofür heute an den Grenzen des Vaterlandes das des deutschen Volkes zu nennen.
Monument eingeweiht wird, in dieser Stadt, die Drusus gegründet Der Andreas-Hofer-Bund spricht seine tiefste Empörung über ein
hat, die bis zum Morgengrauen des vorigen Jahrhunderts ihren solches Verhalten aus, für das er keine geeignete deutsche Bezeich-
echt italienischen Charakter behalten hat und die sich nun schnell nung zu finden vermag.“
von jeder ausländischen Schminke befreit ... Ein Volk, das durch (Michael Gehler: „Eduard Reut-Nicolussi und die Südtirolfrage 1918 –
den Sieg seine Einheit wiederentdeckte und das im Faschismus 1958“, Teil 2, Schlern Schrift 333/2, Innsbruck 2007, Dokument 258, An-
sein Gewissen wiedergefunden hat, ein großes Volk von bescheide- hang)
nen und klugen Arbeitern, von tapferen Soldaten, kann nicht tole-
rieren, daß die von Gott errichteten Grenzen auch nur diskutiert Reut-Nicolussi im „Braunen Haus“ –
werden. Adolf Hitler im Gleichklang mit heutigen Politikern:
Es kann nicht zulassen, daß als Vorwand für die kühnen Ansprü- Südtirol hat völkerverbindende Brückenfunktion
che die unendlich kleinen Minderheiten dienen, die während der Dr. Eduard Reut-Nicolussi, Kaiserjäger, Träger der Goldenen Tap-
vergangenen Jahrhunderte in einige unserer Provinzen eingewan- ferkeitsmedaille, nahm als Südtiroler Abgeordneter zum Öster-
dert sind.“ reichischen Nationalrat in einer ergreifenden Rede am 6. Sep-
Nun, Ende Oktober 1932, drei Monate vor Hitlers Machtergrei- tember 1919 Abschied vom Vaterland Österreich und kündigte
fung, feierte die nationalsozialistische Delegation zusammen mit an, daß nun ein erbitterter Kampf um die Selbstbehauptung Süd-
den Faschisten vor dem „Siegesdenkmal“. Dabei durfte der SS- tirols beginnen werde.
Standartenführer Theodor Eicke sogar dem Herzog Filiberto von Als Südtiroler Abgeordneter im römischen Parlament vertrat er
Tiroler – Dokumentation 54/2008 3
trotz Todesdrohungen der Faschisten unerschrocken Südtirols Liebedienerei gegenüber Mussolini ging man soweit, sogar kriti-
Rechte. Als am 24. April 1921 in Bozen der Marlinger Lehrer Franz sche Zeitungsartikel von Reut-Nicolussi polizeilich zensieren und
Innerhofer von Faschisten meuchlings erschossen wurde, hielt unterdrücken zu lassen. Veranstaltungen, auf welchen er spre-
Reut-Nicolussi am Grab des Blutzeugen die ergreifende und an- chen wollte, wurden verboten und die Presse erhielt die Weisung,
klagende Gedenkrede. keine Aussendungen des Andreas-Hofer-Bundes mehr abzudruk-
1927 mußte Reut-Nicolussi bei Nacht und Nebel nach Österreich ken. (Michael Gehler: a. a. O., Dokument 448)
fliehen. Ein Jahr später erschien sein berühmtes Buch „Tirol un- Die Zeitschrift „Der Südtiroler“ wurde behördlich eingestellt.
term Beil“. Er wirkte an der Innsbrucker Landesuniversität als
Professor für Völkerrecht, und als Obmann des Andreas-Hofer- Huldigung an den „Duce“
Bundes vertrat er unermüdlich die Anliegen Südtirols. 1934 erschien in Deutschland ein Huldigungsbuch, welches den
Am 31. März 1932 kam es nach langem Drängen seitens der Süd- Deutschen die Freundschaft mit dem Faschismus schmackhaft
tiroler dazu, daß Adolf Hitler im Braunen Haus in München die machen sollte. Es hieß „Wir haben’s gewagt! Weg und Wollen
Südtiroler Dr. Reut-Nicolussi, Graf Bossi Fedrigotti und den ehe- der Führer in Deutschland und Italien“ In dem Buch wurden
maligen Bezirkshauptmann Mumelter empfing. Über diese Un- die Parteigrößen der NSDAP und
terredung sind uns Aufzeichnungen von Reut-Nicolussi erhalten. des Faschismus in einer Sprache
Demnach brachten die Südtiroler die konkrete Bitte vor, die verherrlicht, die heute lächerlich
NSDAP möge ihnen gegenüber die Erklärung abgeben, daß sich anmutet. So heißt es in dem Bei-
die nationalen Ziele der Partei auch auf Südtirol bezögen. Des trag über Mussolini: „Seit wenig
weiteren sollten Verbrüderungen von Nationalsozialisten mit Fa- mehr denn einem Jahrzehnt be-
schisten und der Gebrauch des faschistischen Grußes durch Na- neidet die Welt Italien um Mus-
tionalsozialisten abgestellt werden. solini ... Die Welt steht unter dem
Hitler antwortete laut der Niederschrift von Reut-Nicolussi: Eindruck einer ungewöhnlichen
„Er wünsche eine Entgiftung der Südtirolerfrage, die heute partei- Größe, eines Zyklopen ... der Ge-
politisch ausgenützt werde, und sprach von einer krankhaft über- nialität im Tun und planvollen
steigerten Bedeutung der Südtirolerfrage ... Südtirol solle eine Denken des Duce ... Dazu kennt
Brücke der Verständigung werden zwischen dem deutschen und sie einigermaßen Mussolinis
dem italienischen Volke.“ Menschlichkeit, eine Menschlich-
(Bericht von Eduard Reut-Nicolussi, 31. 3. 1932 „Vertrauliche Ausspra- keit, die jede seiner Handlungen
che im Braunen Haus, München, am 31. März 1932, 4-3/4 7 nachm.“ In: bestimmt und lenkt.“ Er sei ein
Michael Gehler a.a.O., Dokument 248) „vielfältiges Genie“, „auch der
Der Schwachsinn, wonach ausgerechnet eine aufgezwungene Welt den vernünftigsten Weg zu Das NS-Huldigungsbuch, in
Landesteilung eine positive und völkerverbindende Brücken- den ersehnten Zielen des Friedens welchem die faschistischen
funktion haben solle, wird übrigens auch heute noch von zahlrei- und des gedeihlichen Wohlstan- Führer verherrlicht wurden.
chen opportunistischen Politikern wiederholt, die sich damit ide- des zu weisen.“ Und so fort und
ellen Verpflichtungen gegenüber Südtirol entziehen wollen. so weiter. (Dr. R. O. Stahn und Filippo Bojano (Hrsg.): „Wir haben’s ge-
Ob sie sich dessen bewußt sind, daß sie hier Hitler nachbeten? wagt! Weg und Wollen der Führer in Deutschland und Italien“, Stuttgart
Am 17. Oktober 1932 nahm Reut-Nicolussi zu der NS-These der und Berlin 1934, S. 161 ff)
„Brückenfunktion“ Südtirols auf einer Veranstaltung des „Andre-
as-Hofer-Bundes“ in Innsbruck Stellung. Er sagte: „Vielleicht mei- Vergebliche Hoffnungen
nen die Wortführer den Begriff ‚Brücke‘ im geistigen Sinne ... Dann Als im Jahre 1935 das Saarland durch Volksabstimmung wieder
wolle man die Mahnung gefälligst an die Italiener richten, denn zurück zum Deutschen Reich kam, ging in Südtirol der optimisti-
eine Berührung und Verständigung zwischen zwei Kulturen kann sche Spruch um: „Die Saar ist frei, jetzt kommen wir an die Reih‘!“
nur dort stattfinden, wo es zwei Kulturen gibt. Italien aber arbei- Die Hoffnungen waren vergeblich. Ab 1936 bewirkte die gemein-
tet seit zehn Jahren mit Keulenhieben nicht an der Pflege, sondern same italienisch-deutsche Unterstützung Francos im spanischen
an der Vernichtung der deutschen Kultur in Südtirol.“ Bürgerkrieg eine weitere Annäherung zwischen Rom und Berlin.
(Rede von Eduard Reut-Nicolussi „Die Lehre eines Jahrzehnts“ In: Mi- Am 22. Oktober 1936 schlossen Deutschland und Italien ein Ab-
chael Gehler: a. a. O., Dokument 258) kommen, welches Mussolini als „Achse Rom-Berlin“ bezeichnete.
Reut-Nicolussi wurde aber auch in Österreich politisch schwer Im September 1937 folgte Mussolini einer Einladung Hitlers zu
enttäuscht. Er mußte entdecken, daß die Heimwehr von den ita- einem mehrtägigen Staatsbesuch in Deutschland, wo begeisterte
lienischen Faschisten finanziert wurde. Obwohl selbst dem ka- Massenempfänge für ihn organisiert wurden.
tholischen Lager zugehörig, geriet der Vorkämpfer für die Rechte Am 28. September 1937 sprachen beide Diktatoren auf dem Berli-
Südtirols wegen „fortwährender schwerer außenpolitischer Ent- ner Maifeld zu einer Million aufmarschierter Nationalsozialisten.
gleisungen“ bald in Konflikt mit dem Ständestaatsregime. Aus In seiner Ansprache erwähnte Hitler natürlich mit keinem einzi-
gen Wort das ungelöste Südtirolproblem, sondern betonte das po-
litische Bündnis mit Rom: „...hinter uns liegt vor dem Machtan-
tritt des Nationalsozialismus eine Periode von 15 Jahren, die eine
einzige Folge von Unterdrückungen, Erpressungen, verweigertem
gleichen Recht und damit von unsagbarer seelischer und materiel-
ler Not war ... In dieser Zeit bitterster Prüfungen, da hat sich ...
Italien und besonders das faschistische Italien, an den Demüti-
gungen unseres Volkes nicht beteiligt ... Aus der Gemeinsamkeit
der faschistischen und der nationalsozialistischen Revolution ist
heute eine Gemeinsamkeit nicht nur der Ansichten, sondern auch
des Handelns gekommen“.
Mussolini antwortete: „Faschismus und Nationalsozialismus sind
beide Ausdrücke jener Gleichartigkeit des geschichtlichen Lebens
unserer Nationen.“
Dann bedankte er sich dafür, daß sich Deutschland den Sanktio-
nen des Völkerbundes gegen Italien (nach dem italienischen Über-
Der unermüdliche Vorkämpfer Südtirols, Univ. Prof. Dr. Eduard fall auf Äthiopien und den dort verübten Gräueln) nicht angeschlos-
Reut-Nicolussi. Hier auf einer Südtirolkundgebung unmittelbar sen hatte. „Wir werden das niemals vergessen.“ Er fuhr fort: „Der
nach dem Zweiten Weltkrieg. Faschismus hat seine Ethik, der er treu zu bleiben beabsichtigt,
4 Tiroler – Dokumentation 54/2008
Mussolini bei Hitler in Deutschland – Verbrüderung zweier Diktatoren.

und diese Ethik deckt sich mit meiner persönlichen Moral: Klar Am 11. März 1938, zwei Tage vor dem Einmarsch deutscher Trup-
und offen miteinander reden und, wenn man einen Freund hat, pen, hatte sich in Salzburg, Linz und Innsbruck das fantastische
mit ihm zusammen bis ans Ende marschieren ... Wichtig ist, daß Gerücht verbreitet, Italien habe Südtirol bedingungslos an
unsere beiden großen Völker zusammenstehen in einer einzigen un- Deutschland abgetreten. In Tirol glaubte man begeistert daran.
erschütterlichen Geschlossenheit.“ Als die Deutsche Wehrmacht in Innsbruck einmarschierte und
(Zitiert nach „8Uhr-Blatt“, Nürnberg 29. September 1937) im Triumphzug zum Brenner vorrückte, drängten sich die Men-
schen an den Straßenrändern und es erschollen die Rufe „Heil
Hitler sichert Mussolini die Brennergrenze auf ewig zu Hitler“, „Heil Mussolini“ und „Hoch Italien“. Zahlreiche Menschen
machten sich in Autos mit Hakenkreuzfahnen zum Brenner auf,
Mit Hitler hatten die Austrofaschisten des österreichischen
um Zeugen des Einmarsches der deutschen Truppen nach Südti-
Ständestaates um die Gunst Mussolinis gewetteifert. In Öster-
rol zu sein. Ihre Hoffnungen wurden bitter enttäuscht.
reich wehrten sich der sozialdemokratische „Südtiroler Freiheits-
Das offizielle Dementi des Innsbrucker Gauleiters ließ die Stim-
bund“ und Freundeskreise wie der Andreas-Hofer-Bund um den
mung rasch in Wut umschlagen, die sich in Demonstrationen und
im Innsbrucker Exil tätigen ehemaligen Südtiroler Abgeordneten
Drohungen gegen das italienische Konsulat entlud. Die aufge-
Dr. Reut-Nicolussi mit ihren Publikationen gegen die Preisgabe
brachte Volksmenge mußte durch die Polizei zerstreut werden.
Südtirols.
Am 28. März 1938 überreichte der italienische Botschafter in Ber-
Mussolini gab letztlich dem mächtigeren Deutschen Reich den lin eine Denkschrift, in welcher Klage über „revisionistische“ und
Vorzug und ließ die österreichische Schmalspurdiktatur fallen. „antiitalienische“ Propaganda geführt wurde, als deren Urheber
Damit besiegelte er maßgebend das spätere Schicksal des Deut- Teile der Innsbrucker NSDAP bezeichnet wurden. (Conrad F. Latour:
schen Reiches (Krieg auf dem Balkan, Krieg in Griechenland, Krieg „Südtirol und die Achse Berlin-Rom 1938 - 1945“, Stuttgart 1962, S. 22 f)
in Afrika und im Mittelmeer).
Falschen Hoffnungen hatten sich aber nicht nur die Nordtiroler
Um Mussolini angesichts des Einmarsches reichsdeutscher Trup-
hingegeben. In der Umgebung von Bozen und im Pustertal wur-
pen nach Österreich von einer Intervention abzuhalten, richtete
den auf den Bergen Freudenfeuer abgebrannt. Auf Häusern wur-
der „Führer“ am 11. März 1938 einen im herzlichsten Ton der
den Hakenkreuze und die Aufschrift „Bis Salurn“ angebracht. Nun
Freundschaft gehaltenen Brief an den „Duce“, in welchem es hieß:
überfielen Carabinieri und bewaffnete Faschistentrupps deutsche
„Ich ziehe jetzt eine klare Grenze gegenüber Italien. Es ist der Bren- Dörfer und schossen auf die Südtiroler, es gab Schwerverletzte
ner. Diese Entscheidung wird niemals in Zweifel gezogen, noch und einen Toten. Zahlreiche Südtiroler wurden verhaftet und in
angetastet werden.“ (Zitiert nach Conrad F. Latour: „Südtirol und die den Carabinierikasernen schwer mißhandelt. Eine regelrechte
Achse Berlin-Rom 1938 - 1945“, Stuttgart 1962, S. 21) Terrorwelle ging über das Land.

Die Getäuschten in Nord- und Südtirol


Als deutsche Truppen im März 1938 am Brenner standen, jubel-
ten viele illegale Nationalsozialisten in Nord- und Südtirol, wel-
che Hitlers Stellungnahmen zu Südtirol nur für taktische Manö-
ver gehalten hatten. Nun würde der Brenner überschritten und
das Land von der Fremdherrschaft befreit werden.
Diese Hoffnung war in den vergangenen Jahren durch NS-Kreise
in Süddeutschland genährt worden, welche sogar in Zeitungen
offen ihre Sympathie zu Südtirol bekundet hatten. Vor diesem
Hintergrund ist es auch erklärlich, daß die meisten Nordtiroler
Nationalsozialisten im Jahre 1932 den Aufmarsch ihrer reichs-
deutschen Kameraden vor dem „Siegesdenkmal“ in Bozen ledig-
lich für eine bedauerliche aber ansonsten bedeutungslose Fehllei-
stung norddeutscher Parteigenossen gehalten hatten. In Südtirol
selbst war mit Unterstützung durch illegale Nordtiroler Natio-
nalsozialisten eine nationalsozialistische Bewegung entstanden, Als die reichsdeutschen Truppen am Brenner standen, durften sie
welche auf den Anschluß Südtirols zusammen mit Österreich an nicht weiter vorrücken. Stattdessen reichte man sich am Schlag-
das Deutsche Reich hinarbeitete. baum die Hand.
Tiroler – Dokumentation 54/2008 5
Wie wenig die Nordtiroler Nationalsozialisten an einen
wirklichen Verzicht ihres „Führers“ auf Südtirol
glaubten, geht aus diesem Flugblatt aus dem Jahre
1937 hervor. Hier wird die Heimwehr des Verrates an
Südtirol bezichtigt, während die illegalen Nationalso-
zialisten für Südtirol einzutreten vermeinen.

Der damalige Konferenzdolmetscher Paul Schmidt aber


sah die begeisterten Italiener und die enttäuschten Süd-
tiroler. Er berichtet:
„Blumen und Fahnen begrüßten uns auf dem Bahnsteig
der Brennerstation; breite Teppiche zogen sich auf ihm
hin, an deren Rand die Formationen des italienischen
Heeres und der faschistischen Partei aufgestellt waren.
Als wir in den Bahnhof einfuhren, ertönten die National-
hymnen, und der Vertreter des italienischen Königs, der
Herzog von Pistoia, kam mit einer großen Abordnung in
herrlich bunten Uniformen zur Begrüßung an den Zug.
Weiter ging die Fahrt durch Südtirol, wo die Menschen
sich zwar auch an der Strecke entlang auf den Bahnhö-
fen drängten, aber beim Anblick unseres Zuges merkwür-
dig still blieben. Kein Hitler- oder Faschistengruß, kaum
ein vereinzeltes Winken oder Tücherschwenken.
Ernst und nachdenklich blickten uns diese Südtiroler
Deutschen nach, die wohl mit zu den besten unter den
deutschen Volksstämmen gehören. ‚Werdet ihr uns jetzt in Rom ver-
Am 21. April 1938 berichtete der deutsche Konsul Bene kurz vor raten?‘, so glaubte ich eine bange Frage auf ihren Gesichtern zu
Hitlers Staatsbesuch in Rom nach Berlin, daß die Südtiroler im- lesen.“ (Dr. Paul Schmidt: „Statist auf diplomatischer Bühne 1923 – 45“,
mer noch auf die Vereinigung mit Deutschland hofften: „Weitver- Wien 1952, S. 385)
breitet ist der kindliche Glaube, daß der Duce dem Führer in Rom In Rom wurden sie dann tatsächlich wiederum durch Hitler ver-
Südtirol übergeben werde ... Der Duce habe von einem Geschenk raten. In seinem Trinkspruch auf den „Duce“ auf dem Staats-
an den Führer gesprochen, das die Welt in Erstaunen versetzen bankett im römischen Palazzo Venezia sagte er: „Es ist mein uner-
werde. Ein solches Geschenk kann nach Ansicht der Südtiroler eben schütterlicher Wille und mein Vermächtnis an das deutsche Volk,
nur Südtirol sein.“ daß es die von Natur zwischen uns beiden aufgerichtete Alpengrenze
für immer als eine unantastbare ansieht, die die Vorsehung und
„Ernst und nachdenklich blickten uns die Geschichte unseren beiden Völkern ersichtlich gezogen haben.“
diese Südtiroler Deutschen nach“ Der Dolmetscher Schmidt vermerkt dazu: „Als ich Hitlers Worte
Hitler zeigte jedoch, daß ihm mit dem Verzicht auf Südtirol ernst an jenem Abend hörte, fielen mir sofort die stillen Gesichter wieder
war. Mussolinis Freundschaft stand über allem, Südtirol war eine ein, die südlich des Brenners unserem Zug nachgeschaut hatten.“
lästige Nebensache. Kritiker wurden auch in Nordtirol eingesperrt. (Dr. Paul Schmidt, a. a. O., S. 388)
Am 2. Mai 1938 begab sich Hitler auf einen Staatsbesuch zu
Mussolini nach Rom. In seinem Waggon blieben die Vorhänge ge- NS-Drohung strafrechtlicher Verfolgung
schlossen. Der „Führer“ wünschte das deutsche Volk Südtirols gegen Südtirolfreunde
keineswegs zu sehen. Im „Völkischen Kampfring Südtirol“ (VKS) und in der Nordtiroler
NSDAP wollten es viele nicht glauben. Sie klammerten sich im-
mer noch an die Hoffnung, daß Hitlers Äußerungen rein takti-
scher Natur seien und doch noch die Stunde der Freiheit schlagen
werde. Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß sah sich daher im Juni
und dann nochmals im November 1938 veranlaßt, eine strenge
Anordnung an „alle Parteigenossen und SA-Kameraden“ zu rich-
ten, in welcher jegliche Tätigkeit und Propaganda für Südtirol
untersagt wurde: „Rücksichtslose Entfernung aus der Partei und
strafrechtliche Verfolgung werden den Beteiligten für die Zukunft
jede Lust nehmen, sich über wohlbegründete Entscheidungen des
Führers hinwegzusetzen.“
Ab nun wurde die Gestapo für allzu heftige Sympathiebezeu-
gungen für Südtirol zuständig. Sie beschlagnahmte Bücher über
Südtirol und entfernte in Innsbruck Kränze und Blumen, welche
an der Gedenktafel für den von den Faschisten in Bozen ermorde-
ten Südtiroler Lehrer Franz Innerhofer niedergelegt worden wa-
ren. (Steininger-Pitscheider: „Tirol und Vorarlberg in der NS-Zeit“, Inns-
bruck 2002, S. 195 f)

Die Fenster fest geschlossen


Unter den nachgelassenen Papieren von Reut-Nicolussi befindet
sich auch ein Bericht eines wohl aus Vorsicht namentlich nicht
genannten Vertrauensmannes aus Südtirol vom 20. Juni 1938 über
die „Stimmung in Südtirol nach Hitlers Reise nach Rom“.
Der Gewährsmann berichtete, daß zunächst, als die Nachricht über
Der „Führer“ bei dem „Duce“ in Rom: Feierlicher Verzicht auf Hitlers Tischrede in allen Zeitungen zu lesen war, Verzweiflung
Südtirol. über den „Verrat Hitlers“ ausgebrochen sei. „Die Mehrzahl hatte
6 Tiroler – Dokumentation 54/2008
sich Hoffnungen hingegeben und ist zutiefst enttäuscht worden ...
Diese gefahrvolle seelische Verfassung im Lande währte nicht all-
zu lange. Es ist wieder allgemeine Entschlossenheit eingetreten,
vielleicht noch härter als zuvor. ‚Jetzt geht es überhaupt erst los. Es
wird noch 10, 15, vielleicht noch 20 Jahre dauern, aber der Tag
wird kommen.‘“
In ganz Südtirol wurden vervielfältigte Zettel von Hand zu Hand
gereicht, auf denen die Strophen eines Liedes geschrieben stan-
den, welches nach der Melodie des Horst-Wessel-Liedes zu singen
war.
In diesem Lied wurden der „Führer“ und seine Romreise ange-
sprochen. Es handelte sich aber um keine Lobpreisung, ganz im
Gegenteil:
„Im tiefen Schlaf, die Fenster fest geschlossen,
fuhrst Du durchs heilge deutsche Südtirol. Bereits im Jahre 1928 meldeten Zeitungen die Absicht Hitlers auf
Du letzte Hoffnung unsrer Volksgenossen, die Preisgabe Südtirols.
du letzter Traum der Rettung, fahre wohl!
Es sank der Arm, der schon zum Gruß erhoben, ten daher deutsche Soldaten in einer „Tornisterschrift des Ober-
doch nicht der Mut, der immer uns beseelt, kommandos der Deutschen Wehrmacht“, (1941 - Heft 38, „Nur für
obgleich wir hörten, daß am Brenner droben den Gebrauch innerhalb der Wehrmacht“) Ergüsse lesen, welche
die Grenze bleibt, die zwar kein Gott gewählt. der „Duce“ bei verschiedenen Gelegenheiten von sich gegeben
hatte.“ Diese Schrift trug den Titel „Der Geist des Faschismus“.
Noch war kein Rom, kein Römer war geboren,
Der Verfasser war Benito Mussolini, der Inhalt weitgehend von
als unsre Alpen längst die Sonn beschien;
der Wirklichkeit abgehobenes pseudophilosophisches Geschwafel.
wir haben nur den letzten Krieg verloren
Zum Beispiel auf Seite 3: „Der Faschismus ist eine religiöse Auf-
und Saint Germain war seine Rächerin.
fassung, in der der Mensch in seiner inneren Verbundenheit mit
Wir fühlen uns auch jetzt noch nicht geschlagen einem höheren Gesetz gesehen wird, einem objektiven Geist, der
und denken deutscher noch als je zuvor. über das besondere Individuum hinausgeht und es zu einem mit-
Es kommt ein Tag nach diesen Festgelagen, wissenden Gliede einer geistigen Gemeinschaft macht.“
da schwingt der rote Adler sich empor. Hitler blieb während des ganzen Krieges seinem Idol Mussolini
unerschütterlich treu. Auch der Bündnisabfall Italiens im Jahr
Hebt Euren Blick, wenn unsre Firnen glänzen
1943 erschütterte diese Freundschaft nicht. Selbst als Mussolini
und haltet unsre Südmark stets in Treu,
nur noch ein Miniherrscher von Hitlers Gnaden in der ober-
dann zieht uns die Natur die alten Grenzen,
italienischen faschistischen „Sozialrepublik“ von Salo war und
dann kommt der Südtiroler schönster Mai!“
längst deutsche Truppen die „Operationszone Alpenvorland“ kon-
(Bericht von Unbekannt vom 20. 6. 1938 an Eduard Reut-Nicolussi „Stim- trollierten, enttäuschte der „Führer“ alle – auch von dem Tiroler
mung in Südtirol nach Hitlers Reise nach Rom“. In: Michael Gehler: a. a. Gauleiter Hofer gehegten – Hoffnungen auf Revision der Brenner-
O., Dokument 466) grenze.

NS-Berichtsverbot über Südtirol


Am 22. Juni 1938 ergriff der Nordtiroler Gauleiter Hofer Maß-
nahmen, um ein Übergreifen der Südtiroler Stimmungslage auf
den Tiroler Norden zu verhindern. Er erteilte den Vertretern der
Presse den Auftrag, ab nun überhaupt nichts mehr über Südtirol
zu berichten. Am Tag davor hatte er allen Parteiformationen die
strikte Weisung einer vollständigen Enthaltung in allen Südtiro-
ler Angelegenheiten erteilt. Er sagte, er habe von Hitler persön-
lich einen diesbezüglichen Befehl erhalten.
(Aufzeichnung von Eduard Reut-Nicolussi, 22. 6. 1938 „Gauleiter Hofer
und Südtirol“. In: Michael Gehler: a. a. O., Dokument 467)

Endgültiger Verrat an Südtirol: Die Option


Am 22. Mai 1939 kam es zum Abschluß des deutsch-italienischen
Bündnispaktes (von Mussolini „Stahlpakt“ genannt), welcher den
Weg in den Zweiten Weltkrieg öffnen und Deutschland in den
Abgrund führen sollte.
Für die Südtiroler hatte dieses enge Bündnis verheerende Fol-
gen. Mit der Option von 1939 planten und vereinbarten Hitler
und Mussolini nämlich die „ethnische Säuberung“ des Tiroler
Südens von seiner angestammten deutschen und ladinischen Be-
völkerung. Diese „Säuberung“ des Landes von seinen eigenen Ein-
wohnern sollte auf ewig den Zankapfel Südtirol beseitigen. Sie
wäre auch geglückt, wenn nicht die Kriegsereignisse der weiteren
Durchführung einen Riegel vorgeschoben hätten.

„Der Geist des Faschismus“


Trotz aller katastrophalen Fehlleistungen und Niederlagen Itali-
ens in den mutwillig angezettelten Kriegen in Nordafrika, auf dem Die „Dolomiten“ mußten am 24. Mai 1939 über ein großes
Balkan und in Griechenland hielt Adolf Hitler seinem bewunder- Freundschaftstreffen zwischen Hitlerjugend und italienischen
ten Freund Mussolini weiterhin die Stange. Im Jahr 1941 muß- Jungfaschisten auf dem Brenner berichten.
Tiroler – Dokumentation 54/2008 7
Auf dem Finanzamt in Bozen – dem früheren Sitz der Bozner „Siegesdenkmal“ auf einer Postkarte aus der Faschistenzeit.
Faschistischen Partei – prangt heute noch das steinerne
Bildnis des „Duce“. Die Inschrift „credere, obbedire,
combattere“ fordert heute noch die Südtiroler auf, an
den Faschismus zu glauben, ihm zu gehorchen und für
ihn zu kämpfen.

Der Bozner Justizpalast trägt heute noch


eine Inschrift, welche das faschistische
Rechtsverständnis bezeichnet: „Für das
italische Imperium mit Tapferkeit, der
Justiz, der faschistischen Hierarchie und
mit Zähnen und Klauen“.

Absage an die unselige Vergangenheit – mit dem „Führer“ hoch oben darauf in Siegerpose. Vor diesem
Forderung nach Beseitigung heutiger Faschismen Denkmal würden sich dann „Jungnazis“ mit Hakenkreuzfahnen
Den Kräften einer unseligen Vergangenheit muß von uns heute versammeln und der staunenden Umgebung den Hitlergruß zei-
Lebenden eine deutliche Absage erteilt werden. gen. Unvorstellbar!
Wer die Rechte des eigenen Volkes einfordert, muß die Rechte In Bozen und in einer Reihe weiterer Orte in Südtirol ist dies aber
anderer Völker achten. Nur so kann eine gerechte Ordnung ent- der Alltag. Wir alle haben uns schon viel zu sehr daran gewöhnt.
stehen. Wir rütteln unsere und die Weltöffentlichkeit nicht auf. Die Süd-
Wir fordern auch, daß die immer noch bestehenden äußeren Zei- tiroler Landesregierung nimmt es widerspruchslos hin, wenn ein
chen des faschistischen Unrechts endlich beseitigt werden. Landeskonservator öffentlich für das Weiterbestehen dieser poli-
Mitten in Bozen steht das vom Faschismus errichtete und mit tischen und kulturellen Ungeheuerlichkeiten eintritt.
faschistischen Emblemen geschmückte riesige „Siegesdenkmal“, Kein Finanzbeamter und kein Steuerpflichtiger weigert sich, das
auf welchem geschrieben steht, daß man von hier aus den Südti- Finanzgebäude in Bozen durch den Vordereingang zu betreten,
rolern die Sprache, die Kultur und die Gesetze gebracht hätte. über welchem Mussolini nach wie vor hoch zu Roß reitet.
Noch schlimmer kann man das deutsche und ladinische Kultur- Diese Untertänigkeitsgesinnung ist nicht nur in Südtirol zur Nor-
volk Südtirols nicht verhöhnen. malität geworden, sondern auch in Nordtirol, wo es ebenfalls an
Vor diesem Denkmal finden alljährlich neofaschistische Kundge- öffentlichem Protest mangelt.
bungen statt, auf denen gegen die Südtirolautonomie demonstriert So werden wir ein neues Europa der Gleichberechtigung und Frei-
und die Rückkehr zu den alten Zeiten der Unterdrückung gefor- heit der Völker und Volksgruppen nicht bauen können.
dert wird.
Ebenfalls in Bozen befindet sich sogar ein richtiges Mussolini- Setzen wir jedoch einen neuen Anfang! Schweigen wir nicht
Relief, auf welchem der „Duce“ hoch zu Roß in den Abessinien- länger und fordern wir bei jeder Gelegenheit die politischen
feldzug reitet. Damals haben italienische Kolonialtruppen einen Selbstverständlichkeiten auch für Südtirol ein!
grausamen Völkermord begangen und hunderttausende von Men-
schen nur aufgrund ihrer Rassenzugehörigkeit ermordet und in Verlieren wir dabei auch nie das Ziel der Landeseinheit
Konzentrationslagern verhungern lassen. Mitten in Bozen wird aus den Augen!
heute noch solchen Verbrechen gehuldigt.
In Bruneck verherrlicht ein Denkmal jene Truppen, die in Äthio- Für die ehemaligen Südtiroler Freiheitskämpfer:
pien Völkermord begangen haben.
Welche Auffassung man im Faschismus von Justiz und Gerech- Dr. Günther Andergassen Sepp Mitterhofer Dr. Erhard Hartung
tigkeit hatte, verkündet heute noch eine riesige Inschrift an dem
Bozner Justizpalast: Mit Zähnen und Klauen für das italische Impressum
Imperium! In diesem Geist wurden in diesem Gebäude auch nach
1945 noch schandhafte Prozesse abgehalten. Tiroler – Dokumentation 54/2008 ISBN 3-921916-04 6
Arbeitsgemeinschaft zur Herausgabe des „Tiroler“ – Für den Inhalt verant-
wortlich: Peter Kienesberger
Die faschistischen Denkmäler Postanschrift: PF 8, A-6170 Zirl Tirol (Nord)
verkünden unsere Versäumnisse info@gesamttirol.de oder Landeseinheit@gtmx.net
Man denke sich nur, in Innsbruck würde ein Denkmal des Sieges Zustimmungserklärungen, die veröffentlicht werden dürfen, für eine Neu-
über die Feinde Hitlers stehen, mit Hakenkreuzen versehen und auflage erwünscht!

8 Tiroler – Dokumentation 54/2008

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