Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Schlüsselwerke der Pädagogik: Band 2: Von Fröbel bis Luhmann
Schlüsselwerke der Pädagogik: Band 2: Von Fröbel bis Luhmann
Schlüsselwerke der Pädagogik: Band 2: Von Fröbel bis Luhmann
Ebook350 pages7 hours

Schlüsselwerke der Pädagogik: Band 2: Von Fröbel bis Luhmann

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Pedagogy, as conscious companion to education, is influenced by cultural context, social constellation und biographical fortune. This consciousness has developed in to various types of expression. They reach from examples and tractates, novelist forms and programmatic essays to the systematic works of the older and current theory of education.
The two volumes interpret the great works of pedagogic literature?s contemporary meaning as well as the effects of the key texts for the development of pedagogic thinking.
LanguageDeutsch
Release dateNov 6, 2008
ISBN9783170277083
Schlüsselwerke der Pädagogik: Band 2: Von Fröbel bis Luhmann

Read more from Klaus Prange

Related to Schlüsselwerke der Pädagogik

Related ebooks

Teaching Methods & Materials For You

View More

Related articles

Reviews for Schlüsselwerke der Pädagogik

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Schlüsselwerke der Pädagogik - Klaus Prange

    2. Friedrich Fröbel:

    Die Menschenerziehung

    Nicht alles, was erst später in der Zeitreihe erscheint und auf den Markt gebracht wird, ist deshalb schon modern und auf der Höhe der aktuellen Diskussion. Es gibt wie in Familien Nachkömmlinge auch der intellektuellen Produktivität, die noch einmal Themen und Motive aufnehmen, von denen man schon glaubte, sie seien überholt, und dabei an etwas erinnern, was dann wieder Zukunft gewinnt und sich länger hält als die aktuelle Avantgarde. Ein solcher Fall scheint mir mit der zuerst im Jahre 1826 vorgelegten »Menschenerziehung« von Friedrich Fröbel gegeben, und deshalb steht er hier an erster Stelle. In der Tat bewegt er sich in einem Gedankenkreis, der eigentlich nach Kants Vernunftkritik und Herbarts Entwurf einer »Allgemeinen Pädagogik« als Wissenschaft nicht mehr zu erwarten war. Dennoch gehört seine Pädagogik zu den bedeutenden Zeugnissen des Nachdenkens über Erziehung und die »Menschenerziehung« unzweifelhaft zu den Schlüsselwerken der Pädagogik.

    Allerdings: die Versuchung ist groß, Fröbel ganz und gar historisch-hermeneutisch zu erfassen, das heißt allein im Blick auf sein Leben und seine pädagogische Praxis, um von daher seine Gedanken zu verstehen und zu beurteilen. In der Tat kann man ihn nicht verstehen, ohne auf seine Praxis einzugehen, und das Werk nicht, ohne einige Aufmerksamkeit seiner Lebensgeschichte zu widmen. Aber in der Hauptsache muss es doch um seine Auffassung von Erziehung gehen. Für seinen Grundgedanken hat er einen griffigen, dann oft aufgegriffenen Titel gefunden: das sphärische Gesetz. Das wird zu erklären sein, so gut es geht. Vorgreifend will ich das sphärische Gesetz so kennzeichnen: Alles hängt mit allem in guter Ordnung zusammen; das Menschliche, die Welt als Inbegriff des Äußeren, das uns umgibt, und das Göttliche, das gleichfalls außer uns, aber auch in uns ist. Das mag genügen, den großen Bogen des Erziehungsdenkens Fröbels anzudeuten; er gehört ganz und gar nicht zu den akademischen Pädagogen, zu den Erziehungswissenschaftlern, wie sie im 19. Jahrhundert wirksam werden und wie sie heute da sind: kein simpler Empiriker, der prüft, ob Rechtshänder mit Plattfüßen genauso lernen wie Linkshänder aus zerrütteten Familien. Überhaupt ist er kein Theoretiker und Schreibtischpädagoge, der empirisches Wissen und Spekulation verbindet, sondern eine singuläre Gestalt mit einem pädagogischen Schicksal.

    Ich fange mit dem an, was man so die »Fakten« nennt, das ist das, was man ungeachtet aller Interpretationen als sicher belegt ansehen und vernünftigerweise nicht bestreiten kann. Dazu stütze ich mich auf das »Lebensbild«, das Erika Hoffmann im ersten Band ihrer zusammen mit Helmut Heiland herausgegebenen dreibändigen Fröbelausgabe gegeben hat.

    Fröbel ist Jahrgang 1782 und lebte bis 1852. Seine Jugend und ersten Mannesjahre fallen mit dem großen Umbruch in Deutschland zusammen, mit den napoleonischen Wirren, der preußischen Reformzeit, später dann Restauration, Vormärz, die Revolution oder der Versuch zur Revolution 1848. Es ist auch die Zeit, in der sich die Industrialisierung anbahnt – 1835 fährt die erste Eisenbahn mit der Wahnsinnsgeschwindigkeit von 40 km/h, so dass besonnene und besorgte Fachleute fürchteten, das würde die Menschen ruinieren. Das Maschinenzeitalter zieht herauf, das »Maschinenwesen«, von dem der alte Goethe bemerkt, es ängstige ihn täglich mehr. So viel oder besser so wenig zum zeitgeschichtlichen Horizont. Wichtiger dürfte für Fröbel das Milieu und die familiäre Konstellation gewesen sein: es ist das evangelische Pastorenmilieu, eine Brutstätte, wenn ich so sagen darf, für Genies und große Aspirationen. Unser Friedrich ist das vierte Kind einer Thüringer Pfarrersfamilie, einer Pfarrerssippe, denn auch Onkel und ältere Brüder sind oder werden Pastoren; die Frauen stammen ihrerseits aus Pastorenfamilien.

    So weit, so typisch. Aber das entscheidende Datum dürfte der Tod der Mutter gewesen sein, da ist er noch nicht zwei Jahre alt. Die Interpreten sind sich einig: das ist die produktive Katastrophe seines Lebens. Der Vater heiratet noch einmal, als der Junge vier Jahre alt ist, aber da ist offenbar das Gefühl der Entfremdung, des Allein- und Verlassenseins schon so tief eingewurzelt, dass das Verhältnis zur Stiefmutter förmlich-kalt bleibt, das Verhältnis zum Vater ehrfurchtsvoll distanziert. Fröbel ist das verlassene Kind. Da liegt es nahe, seinen Lebensweg und seine Pädagogik als den Versuch der Kompensation eines elementaren Defizits zu lesen, des Vertrauensdefizits und der unauslöschlichen Erfahrung der Ungeborgenheit. Kein Wunder, so könnte man sagen, dass er sich auf Mütterlichkeit versteht, eben weil er ohne Mutter und anhaltende mütterliche Sorge aufgewachsen ist. Dies ist aber nicht mehr bloß das Faktische, sondern schon Interpretation, erst seine eigene, dann aber auch der Fröbel-Leser, die ihm darin gefolgt sind.

    Der Leitgedanke ist: wir gewinnen unsere Grundeinstellungen, sozusagen das Lebensgefühl sehr früh; je früher desto bestimmender die Eindrücke. Ein Defizit an dieser Stelle hat lebenslange Folgen; wir werden das Kind nicht los, das wir waren, »the inner child of the past«, so der Titel des Buches von W. Missildine; zu deutsch: »In dir lebt das Kind, das du warst« (1963). Das gilt auch und vielleicht sogar in besonderer Weise für diejenigen, die die Erziehung zu ihrer Lebensaufgabe machen. Darauf hat auch Siegfried Bernfeld in seinem einflussreichen Buch: »Sisyphos, oder die Grenzen der Erziehung« von 1925 aufmerksam gemacht. Bernfeld sagt da: »Wer immer über Kindheit und Jugend denkt, steht unter einer psychischen Konstellation, die das reine Denkergebnis affektiv gefährden will. Ein Kind kennt er mit unvermeidlicher Aufdringlichkeit: sich selbst als Kind« (Bernfeld 1973). Ich übersetze das wie folgt: in unser Verständnis von Kindern und ihrer Erziehung spielt immer auch das Kind hinein, das wir gewesen sind, das innere Kind im großen Kind, das wir lebenslang bleiben.

    Wie sicher diese Auffassung ist, lasse ich dahingestellt. Zurück zu unserem Problemkind: Fröbel ist nicht nur das verlassene, sondern auch das zurückgesetzte Kind. Außer dem ältesten, 14 Jahre älteren Bruder kümmert sich keiner richtig um ihn. Mit 10 Jahren wird er zu einem Onkel abgeschoben, und es beginnt die Odyssee seines Lebens. Er kommt nicht zur Ruhe. Studieren soll er nicht, anders als einige der Brüder und Halbbrüder; er scheint nicht gut zu lernen, ist eigensinnig, kein schlechter Junge; aber verschlossen, in sich verschlossen. Die Ausbildung bleibt unregelmäßig, ohne Abschlüsse und Zertifikate als Karrierevoraussetzung. Er soll Feldmesser werden, lernt bei einem Förster, verdingt sich als Hauslehrer, erst bei einer adeligen Familie in Mecklenburg, dann in Frankfurt, mit deren Kindern er nach Ifferten zieht und dort mit Pestalozzi bekannt und vertraut wird. Was den äußeren Lebensgang betrifft, sieht das alles recht zufällig aus; auch zur Pädagogik kommt er per Zufall, aber die innere Entwicklung ist ganz anders: Fröbel ist der Autodidakt par excellence, vorübergehend ist er in Jena Student – das ging damals noch ohne Abitur –, aber auch das Studium ist unregelmäßig, seine Lektüre indes weitreichend, intensiv, ungeregelt. Er liest, was ihn fördert oder was zu ihm passt. Er studiert nicht systematisch, sondern gewissermaßen biographisch. Dabei findet er aber immer wieder Unterstützung und Freunde, auch Geldgeber. Er gründet schließlich eine Erziehungsanstalt, »Keilhau« in Thüringen, da ist er gut zehn Jahre, von 1817/20 bis 1831, dann wieder unterwegs, neue Gründungen folgen; er ist inzwischen bekannt, auch umstritten, gerät in den Geruch des Revoluzzertums, auch durch seinen Neffen Julius Fröbel, einen der später führenden Liberalen nach 1850.

    Ich will nicht den ganzen Roman seines Lebens erzählen, sondern nur die sich wiederholende Figur seines Lebens verdeutlichen: permanente Unstetigkeit und zugleich Konsequenz und Ausprägung seiner Grundidee des »sphärischen Gesetzes«. Wir gewinnen dieses Bild: eine schwierige Kindheit, mit der Folge, dass er zum Selbstversorger in Sachen des Lernens wird, unregelmäßige Ausbildungen, dann pädagogische Einzelversuche, als Hauslehrer und in Privatschulen, schließlich Gründung von Keilhau 1817; Kinderheim, Internat und Schule zusammen, dann neue Gründungen in der Schweiz, schließlich Organisation der pädagogischen Idee unter dem Titel »Kindergarten« und Auswirkung auf Lehrerschaft und erziehungsbewusste Frauen, die ihm immer die treuesten Anhängerinnen geblieben sind. Ungefähr in der Mitte dieses Lebensbogens steht das Hauptwerk »Menschenerziehung«, auf das ich jetzt eingehe.

    Der volle Titel lautet: »Die Menschenerziehung. Die Erziehungs-, Unterrichts- und Lehrkunst angestrebt in der allgemeinen deutschen Erziehungsanstalt zu Keilhau; dargestellt von dem Stifter, Begründer und Vorsteher der selben«; schließlich noch: »Erster Band: Bis zum begonnenen Knabenalter«. Mehr als dieser erste Band ist nicht erschienen; das Werk ist insofern ein Fragment, die ursprüngliche Konzeption und die Ankündigung reichen weiter. Ähnlich wie Hegels »Phänomenologie« und Heideggers »Sein und Zeit«, da sind auch nur der erste Teil erschienen. Heute aber werden diese Bücher als Ganzes genommen, als ob die Autoren nur das gewollt hätten, was vorliegt. Das heißt in unserem Fall: als ob Fröbel nur etwas über Kindererziehung hätte sagen wollen. Der volle Titel zeigt aber viel mehr: er wollte die ganze Erziehung umfassen. Ausgeführt ist die Kindererziehung, sicher ihr wichtigster Teil, aber dieser Teil gehört zu einem vorgestellten Ganzen, hat einen größeren Rahmen, und der ist bei Fröbel gemäß der Zeittendenz auch die Nationalerziehung. Das hatte Fichte vorbereitet, vor allem in den »Reden an die deutsche Nation«: das eigene Volk ist der epochale Rahmen der Selbstfindung und Selbstbestimmung. Wenn wir das heute hören, haben viele den Nationalsozialismus vor Augen; aber das ist spätere historische Erfahrung. Damals standen »Nation« und »Volk« für politische Selbstbestimmung, gegen die Dynastien und volksfremden Herrschaften. Es gab den Gedanken: wenn jedes Volk sich selbst bestimmt, wird Friede sein unter den Staaten als Organisation ihrer Völker. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker als Grundlage ihrer Verständigung. Deshalb also Keilhau als Nationale Erziehungsanstalt, und damit stand Fröbel in der Zeit eben auch unter Demokratieverdacht.

    Tatsächlich ist diese Gesamtanlage aber in der »Menschenerziehung« nicht zur Ausführung gekommen. Es geht um Kindererziehung, und so ganz Zufall ist es ja nicht, dass dieser Teil ausgeführt und gelungen ist. Am Ende des Buches, wo man in der Regel eine Zusammenfassung und vielleicht noch einen Ausblick gibt, da sagt Fröbel, er habe nun gezeigt, wie das Kind zum Knaben geworden sei, wie er »zur Ahnung seines selbständigen geistigen Wesens und Selbst gekommen ist – er fühlt und kennt sich als ein geistiges Ganzes«. Als Beleg dienen ihm die Kinder und Knaben, die während des Schreibens unter seiner Obhut und Anleitung herangewachsen seien, die ihn »während seinem Schreiben unmittelbar spielend, nie müde werdend, immer neue Befriedigung und Nahrung ihres Tätigkeits- und Lebenstriebes zu fordern, und so ihr Wesen frei aus sich zu gestalten, umgaben« – und »wenn es einer äußeren Bürgschaft bedürfte«, dann sind diese Verhältnisse »auch Bürge, dass er Wahrheit schreiben wird«. Die eigene Praxis als Wahrheitsbeweis und Gewissheit, auch die weiteren Teile der Erziehungslehre wahrheitsgemäß auszuführen. Die Adressaten der Erziehung werden zu Wahrheitszeugen: das ist die Idee der Sache.

    Ich komme zurück zu dem Gesamtplan. Es mag der Eindruck entstanden sein, Fröbel habe seiner Erziehungslehre eine politische Begründung gegeben. Das wäre ein falscher Eindruck. Die Begründung ist vielmehr metaphysisch. Er nennt es nicht so, aber so ist es. Deshalb will ich erklären, was mit dem Ausdruck »metaphysisch« gemeint ist; auch in der Absicht, dem Wort den Anklang des Versponnenen und Abwegigen zu nehmen, der heute weit verbreitet ist. Bis weit ins 18. Jahrhundert war Metaphysik überhaupt der Inbegriff vernünftiger Begründungen, ein Ehren- und Würdetitel, sozusagen der Gipfel der menschlich erreichbaren Einsicht. Man kann vielerlei erkennen, und man kann auch das Erkennen erkennen. Und dann sieht man nicht nur Einzelheiten und so genannte Fakten, sondern erkennt die Bereiche, auf die die menschliche Erfahrung sich bezieht. Diese Bereiche oder Zielpunkte des Erkennens sind erstens Gott, zweitens die Welt und drittens der Mensch. Mit dem ersten befasst sich die Theologie, mit dem zweiten die Physik und die Wissenschaften überhaupt, mit dem dritten die Psychologie oder Anthropologie. Was ist das Wesen Gottes, was das Wesen der Welt, das heißt alles dessen, was wir uns gegenüber haben, und was sind wir selbst, unsere Seele. Zusammen nannte man diese Themen »metaphysica specialis«, spezielle Metaphysik; darüber gab es noch die »metaphysica generalis« oder Ontologie, die Lehre vom Sein überhaupt, egal, ob es das Sein Gottes, der Welt oder der Seele ist.

    Das sieht im Schema so aus:

    Allgemeine Metaphysik/Ontologie

    Spezielle Metaphysik: Gott – Mensch – Welt

    Der Stand der theoretischen Diskussion war nach 1800: die Frage nach dem Wesen Gottes, des Menschen, der Welt war als metaphysische Frage erledigt. Das hatte Kant besorgt; deswegen war er der Alleszermalmer genannt worden. Es gibt keine Gottesbeweise, es gibt kein absolutes Wissen vom Menschen, es gibt kein absolutes, letztes Wissen von der Welt im Ganzen, sondern empirische Fragen nach dem Menschen und nach der Welt. Aber das ist nicht der Standpunkt des Autodidakten Fröbel. Er bewegt sich in der alten Metaphysik und benutzt sie wie selbstverständlich. Zwischen Gott und die Welt ist der Mensch gestellt. Als physisches Wesen gehört er zur Welt, aber zuinnerst gehört er und stammt er aus Gott. Aber auch die Welt, als Inbegriff dessen, was außer uns ist, ist aus Gott, so dass alles, was uns begegnet, auf Gott zurückweist, so wie wir im Innersten eine Gottesgewissheit in uns tragen als seine Geschöpfe. Fröbel sagt: »Alles ist hervorgegangen aus dem Göttlichen, aus Gott, und durch das Göttliche, durch Gott einzig bedingt; in Gott ist der einzige Grund aller Dinge. (…) Das in jedem Dinge wirkende Göttliche ist das Wesen jedes Dinges.«

    Man pflegt diese Auffassung »pantheistisch« zu nennen, und weil nach der Aufklärung und nach Kant diese Auffassung nach rückwärts auf ältere Weltdeutungen verweist, nennt man das auch »romantisch«. Diese Titel sagen für sich nicht viel; nur dies, dass Fröbel noch aus und in einer Tradition denkt, die sonst oder für die meisten vergangen ist. Er denkt und er bewegt sich in der alten Metaphysik, die Gott, Mensch und Welt als Ganzheit und geordnete Einheit auffasst. In der geschaffenen Welt, in Pflanze, Tier und im Menschen, soweit er physisch ist, spiegelt sich der Schöpfer; so wie er, der Schöpfer, sich im denkenden Menschen und für den denkenden Menschen offenbart. Daraus ergibt sich unmittelbar, wie die Erziehung zu verstehen und zu handhaben ist: »Das Anregen, die Behandlung des Menschen als eines sich bewusst werdenden, denkenden vernehmenden Wesens zur reinen unverletzten Darstellung des innern Gesetzes, des Göttlichen mit Bewusstsein und Selbstbestimmung, und die Vorführung von Weg und Mittel dazu ist Erziehung des Menschen.« Das innere Gesetz, von dem hier die Rede ist, ist das vorher erwähnte sphärische Gesetz, wie Fröbel andernorts sagt. Sphären sind Bereiche, die von einander unterschieden sind, aber hier so, dass jede Sphäre, nämlich die des Göttlichen, des Menschlichen, des Physischen, jeweils auf die beiden anderen verweist. Man könnte sagen, alles ist mit allem verbunden und verwandt, ist Einheit in der Vielfalt. Aus diesem Einheitsgedanken ergibt sich die Erziehungskunst, die Form, wie man erzieht oder besser: erziehen sollte. »Lebenseinigung« ist Fröbels Wort dafür: sie ist nicht einfach gegeben und wird auch nicht irgendwie von außen bewirkt, sondern sie ist Aufhellung und Freigabe dessen, was innen schon angelegt ist. Das ist nun die moderne, neuzeitliche Pointe dieses inneren Gesetzes: es wirkt nicht blind, sondern durch die Menschen. Fröbel sagt: »Die freitätige Anwendung des Gesetzes dieser Erkenntnis und Einsicht, dieses Wissens für unmittelbare Entwickelung und Ausbildung vernünftiger Wesen zur Erreichung ihrer Bestimmung ist Erziehungskunst.«

    Ich erläutere das noch einmal in anderer Sprache. Man könnte ja denken, wenn alles sich in allem anderen wiederholt, dann kann man darauf vertrauen und annehmen, dass auch die Entwicklung des Menschen sich von allein fügt. Wozu also eingreifen und Kinder erziehen? Das meint Fröbel nicht: man kann es falsch machen, und es wird vielleicht auch schlecht oder falsch gemacht; es gibt Herausfallen aus der wunderbaren Ordnung, Verstöße gegen das innere Gesetz, das hatte Fröbel ja selber zur Genüge erlebt; es gibt, so sagt er das in dem Idiom der Romantiker, »tote« Menschen, die von Gott und der göttlich geschaffenen Welt nichts wissen, die sich verloren und verhärtet haben, später wird es heißen: die sich ihrer wahren Bestimmung entfremdet haben, und die werden auch ihren Kindern nichts geben und sie zum Bewusstsein der göttlichen Einrichtung der Welt führen können, sondern ihre eigene Selbstentfremdung weiterreichen. Also bedarf es der Erinnerung und Erziehung aus dem Geist der Lebenseinigung, in der Hoffnung, dass die richtige Erziehung der Kinder nicht nur für die Zukunft segensreich ist, sondern zur Selbsterziehung der Erzieher wird. »Sich selbst und andere erziehen, ist mit Bewußtsein, Freiheit und Selbstbestimmung erziehen, ist Doppeltat der Weisheit.« Sie begründet die »Doppelendigkeit der Erziehung«: Wer erzieht, wird erzogen, erzieht zugleich auch sich selbst. Das Erziehen ist »gebend und nehmend, vorschreibend und nachgehend, handelnd und duldend, bestimmend und freigebend, fest und beweglich, und eben so muß der Schüler, Zögling, gesetzt werden«.

    Das findet sich auf den ersten Seiten der »Menschenerziehung«, die mit großen Buchstaben gesetzt sind; an späterer Stelle kehrt dieser Gedanke wieder, wo es mehr um Einzelheiten geht, die in etwas kleinerer Schrift gesetzt sind. Da werden die Väter und Eltern direkt angesprochen: »Väter, Eltern! Was uns mangelt, auf, lasst es uns unsern Kindern geben, verschaffen; was wir nicht mehr besitzen, die alles belebende, alles gestaltende Kraft des Kinderlebens, lassen wir sie von ihnen wieder in unser Leben übergehen! Laßt uns von unsern Kindern lernen; lasst uns den leisen Mahnungen ihres Lebens, den stillen Forderungen ihres Gemüts Gehör geben! Laßt uns unsern Kindern leben: so wird uns unserer Kinder Leben Friede und Freude bringen, so werden wir anfangen, weise zu werden, weise zu sein!«

    Lasst uns unsern Kindern leben! Das ist zu einem wiederkehrenden Motto für Fröbel geworden; es ist auch der Leitspruch für die von ihm ins Leben gerufene Frauen- und Mutterbewegung des Kindergartens geworden. Das Kind lehrt uns wahre Menschlichkeit. Indem wir es erziehen, erinnern wir uns der in uns verschütteten Kindheit: Fremderziehung und Selbsterziehung gehen zusammen. Im Hintergrund steht ein alter Topos aus dem NT: »Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht ins Himmelreich eingehen« (Matth. 18,3). Kindlichkeit als eigener Wert und Spiegel unserer Gotteskindschaft: so scheint das gemeint zu sein. Etwas abstrakter und neutraler gesprochen: Was Fröbel in Angriff nimmt, hatte schon Rousseau ins Auge gefasst; aber hier ist die Begründung nicht psychologisch oder ethisch, sondern eben metaphysisch. Das Kind ist noch ganz bei sich, ganz Innerlichkeit, und dieser Innerlichkeit können wir Winke und Hinweise entnehmen, wie wir es mit der Welt bekannt machen. Mit dieser Doppelformel operiert Fröbel. Das Innere nach außen, das Äußere nach innen. Indem wir als Erziehende diese Doppelbewegung mitvollziehen, verjüngen und erneuern wir zugleich uns selbst.

    Im letzten Teil wird dieser Weg näher beschrieben. Das ist die Didaktik Fröbels, die ihn berühmt gemacht und seinen Namen bis heute bewahrt hat. Dieser Teil ist ganz klein geschrieben, nicht mehr groß wie der Anfang und mittelgroß in der Mitte. Das ist eine Merkwürdigkeit des Buches, das sonst keine Gliederung, keine Abschnitte und Artikel mit Zwischenüberschriften kennt. Die Paragraphen, die sich in den heutigen Ausgaben befinden, sind von späteren Herausgebern eingefügt worden. Fröbel selber hat gewissermaßen einen Fließtext vorgelegt, wo eines in das andere übergeht, stetig, ohne scharfe Grenzen, so wie Gott, Mensch und Welt ineinander spielen. Auch da sieht man, wie für ihn das Äußere und Innere ineinander greifen. Didaktik ist etwas Äußeres; ein Verfahren zur Vermittlung von Kenntnissen, Fertigkeiten und Einstellungen; aber sie betrifft Inneres, das Lernen, das Gemüt des Kindes. Wie kann das zusammenkommen? Zum Beispiel im Spielzeug, wie wir heute sagen, in der »Spielgabe«, wie Fröbel sagt. Kinder sind, das zeigt sich uns, von Bällen angetan; sie umgreifen sie, sie halten sie und sie werfen sich Bälle zu; das sagen wir ihnen nicht, das sehen wir und das können wir dann mitvollziehen. Der Ball ist ein Bild des Kosmos, der uns umfängt und insofern umfangen wir das Umfangende, wenn wir den Ball in Händen halten; wohlgemerkt in den Händen und nicht mit den Füßen, um ihn zu treten und zu stoßen. An diesem Beispiel kann man sehen, wie Fröbel die Doppelendigkeit der Erziehung versteht und was er daraus macht: die Formen des Erziehens finden wir in dem Verhalten des Kindes vorgebildet, in der Bewegung, im Ergreifen und Gehen, im Spiel und bei der freien Tätigkeit.

    Auch hier nimmt Fröbel altes Gedankengut auf: Der Kreis in der Ebene und die Kugel im Raum sind seit eh und je als Symbole des Vollkommenen gedeutet und benutzt worden; und Symbol heißt hier nicht: willkürliches Zeichen für etwas, was man auch anders sagen könnte, sondern Darstellung der großen Welt im Kleinen; eine aktuelle Wirklichkeit und zugleich Hinweis auf mehr als diese Wirklichkeit. Die Struktur des Ganzen ist zirkulär, rund, geschlossen: die Erziehung der Kinder ist Selbsterziehung der Erzieher. Sie kommen auf ihre Kindheit zurück, auf das Innere, das noch unentfaltet war, und dieses Innere ist der göttliche Funke, der mit jedem Kind geboren wird. Wenn dann gelernt und die Welt erschlossen wird, zeigt sich die Welt, das, was uns begegnet, wieder als Ordnung, die wir in uns tragen. Dass das so ist, muss nicht bewiesen werden, sondern es zeigt sich, wenn man hinsieht und das Kind ansieht, das uns ansieht.

    Betrachtet man diese zirkuläre Struktur der Fröbelpädagogik von außen und von heute her, dann versteht man, warum es bei einer Pädagogik der Kindheit geblieben ist, bis zum Schulanfang, aber der große, das ganze Leben umspannende Wurf, den Fröbel wollte, daraus ist nichts geworden, die »Menschenerziehung« ist Fragment geblieben. Auch in anderen Hinsichten zeigt sich diese Rückbindung der Erziehung an die Selbsterziehung der Erzieher. Zuerst hat Fröbel in Keilhau mit den Kindern seiner älteren Brüder zusammengelebt, dann denen der Freunde und Bekannten: sozusagen eine erweiterte, große Familie. So ist auch seine Vorstellung von den richtigen Sozialverhältnissen: er wünscht sich einfache, überschaubare und durchsichtige Sozialverhältnisse, in denen man lernt, was man sieht, und genug sieht und mitmacht, um zu lernen. Das ist nicht die wirkliche moderne Welt, bestenfalls die geordnet-bürgerliche Familie und dann eben ein Internat wie Keilhau. Das ist aber nicht nur die richtige, umschlossene Umgebung für die Kinder, sondern auch für die Erzieher und für Fröbel, eine Welt des Zutrauens, der Freitätigkeit und der Mäßigung.

    Doch was soll aus den Kindern werden? Am besten wieder Erzieher; und tatsächlich sind die Keilhauer Kinder dann vielfach auch wieder Keilhauer Erzieher geworden; der geschlossene Kreis bleibt erhalten. Man kann das oft bei so total angelegten Erziehungskonzepten und überhaupt in der Erziehung beobachten: sie tendiert zur Selbstbestätigung, beweist sich zirkulär und argumentiert mit hoher Selbstreferenz, so dass diese Erziehung zur Erziehung erzieht. Ob das ein Einwand ist, lasse ich dahingestellt. Auf jeden Fall bedarf die Erziehung auch ihrer Aufhebung und der Herausführung aus der Kindheit. Es ist wohl unvermeidbar, dass man dann zu ganz anderen Auffassungen und Modellen kommt; vor allem: dann kommt man zur Schule, in der sich der Anspruch einer Gesellschaft meldet, die mit Kindlichkeit und Kindern allein nichts anzufangen weiß.

    Lit.: F. Fröbel: Die Menschenerziehung (1826). In: Ausgewählte Schriften, Bd. 2, hrsg. v. E. Hoffmann, Stuttgart 1982. – E Hoffmann: Lebensbild. In: Ausgewählte Schriften, Bd. 1, a. a. O., S. 147ff.; H. Heiland: Friedrich Fröbel in Selbstzeugnissen und Dokumenten, Reinbek 1999 (3. Aufl.); W. H. Missildine: In dir lebt das Kind, das du warst (zuerst engl.: Your inner Child of the Past, 1963). Stuttgart 1990; S. Bernfeld: Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung (zuerst 1925). Frankfurt 1973

    3. Johann Friedrich Herbart: Allgemeine Pädagogik aus dem Zweck der Erziehung abgeleitet

    Es scheint mir nicht übertrieben zu behaupten: mit Herbart beginnt die Epoche der wissenschaftlichen Pädagogik. Nicht zufällig ist er einer der ersten, wenn nicht überhaupt der erste, der den Ausdruck »allgemein-pädagogisch« verwendet, und zwar zur Kennzeichnung der Frühschrift über die »ästhetische Darstellung der Welt als das Hauptgeschäft der Erziehung« (1804). Sein Thema ist nicht diese und jene Erziehung, sondern Erziehung überhaupt. Das mag heute selbstverständlich erscheinen, aber der darin enthaltene Theorieanspruch musste erst eigens herausgearbeitet und formuliert werden. Das ist Herbarts Verdienst. Dadurch ist er zum Gründervater der Erziehungswissenschaft geworden, nicht durch diesen oder jenen Gedanken allein, diesen und jenen Vorschlag, sondern darin, dass er die Aufgabe gesehen und aufgenommen hat, das Erziehungsdenken und die Erziehungserfahrung zu systematisieren. Darauf will ich besonders abheben, weil wir da immer noch zu unserem Vorteil etwas von ihm lernen. Wir finden dieses Theorieprogramm in der Schrift mit dem anspruchsvollen Titel »Allgemeine Pädagogik aus dem Zweck der Erziehung abgeleitet« aus dem Jahre 1806. Eigentlich noch eine Jugendschrift; Herbart war gerade 30 Jahre alt und Dozent für Philosophie in Göttingen, der neben Jena fortschrittlichsten Universität der Zeit.

    Diese »Allgemeine Pädagogik«, früh in der wissenschaftlichen Laufbahn entstanden, ist die Grundschrift für die Pädagogik Herbarts, und sie ist eine Grundschrift für die Pädagogik überhaupt. Man sieht es heute dem Titel nicht mehr an, dass er neuartig war und einen Gedanken enthält, der in dieser Weise noch nicht ausgesprochen und durchgeführt war. In der Flut der pädagogischen Literatur, die

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1