Wenn Mütter rot sehen: Der tägliche Wahnsinn der "Mommy Wars"
By Jana König
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Kaum hält frau ihr Baby im Arm, gehen die Diskussionen los: Wie soll sie füttern, bespaßen, erziehen? Und wann schläft das Kind endlich durch? Viele, viele Themen – und unzählige Meinungen. In Internetforen und Blogs, auf dem Spielplatz und in der Krabbelgruppe, zwischen Freundinnen und Generationen toben dazu hitzige Gefechte. Es hagelt Kritik und Beleidigungen, denn jeder meint, es besser zu wissen …
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Book preview
Wenn Mütter rot sehen - Jana König
ISBN eBook 978-3-359-50063-6
ISBN Print 978-3-359-01716-5
© 2016 Eulenspiegel Verlag, Berlin
Umschlaggestaltung: Buchgut Berlin
Die Bücher des Eulenspiegel Verlags erscheinen in der Eulenspiegel Verlagsgruppe.
www.eulenspiegel.com
Über das Buch
Wie erziehst du denn dein Kind? Ob Impfen, Stillen, Schlaflernphase oder Beikosteinführung: Konnte frau früher einfach ihre Mutter um Rat bitten, kursieren heute zu jeder Frage hundert Standpunkte.
Nichtsahnend sitzt eine junge Mutter auf der Parkbank unweit des Spielplatzes und kommt ins Gespräch mit anderen Mamas, tauscht sich mit Freundinnen aus oder sucht Auskunft im Internet, dabei auf freundliche und informative Auskunft hoffend – schon ist es passiert: Sie gerät mitten hinein in die »Mommy Wars«, ein Schlachtfeld, auf dem gnadenlos Gefechte ausgetragen werden. Bereits kleine Fragen führen zu Grundsatzdebatten und heftigen verbalen Attacken. Denn jede hat die einzig richtige Antwort parat, verteidigt ihre Position mit Klauen und Zähnen und lässt keine andere Meinung gelten. Stillen, tragen, wickeln – welche Auffassungen gibt es, wie werden sie begründet?
Die Autorin dieses Buches hat eine Schneise durch den Meinungsdschungel geschlagen, denn sie meint: Argumente abwägen, mit dem Bauchgefühl in Übereinstimmung bringen, und dann einfach machen. Dabei greift sie auf Erfahrungen mit dem eigenen Kind zurück, schreibt mit Sachkenntnis und Witz und hat ein Best-of der fiesen Anfeindungen und absurden Ausfälle von den Schlachtfeldern der »Mommy Wars« gesammelt.
Über die Autorin
Jana König wurde 1985 in Cottbus geboren und 2014 in Berlin Mutter. Zwischendurch wuchs sie auf, ging zur Schule, studierte in Halle sowohl Germanistische Literaturwissenschaft als auch Geschichte, übersiedelte von der Saale an die Hauptstadt-Spree und arbeitet heute als Lektorin.
Irgendwo am Wegesrand fand sie den Mann, der der Vater ihrer Tochter werden sollte, und weil in dieser Familie Besserwisserei als Volkssport gilt, war ein Buch über die weitverbreiteten »Mommy Wars« unumgänglich.
Inhalt
Vorwort
Die Grundsatzfrage: Herd oder Karriere?
Fremdbetreut
Raus kommen sie alle
Die Diskretion des Fläschchens
For ever and ever?
1, 2, 3er Milch
Food under one is just for fun
Böser Zucker, mörderisches Salz
Ist Stillen eigentlich vegan?
StoffWindelFrei
Attachment Parenting
Tragen statt Schieben
Schläft sie denn schon durch?
Sind wir nicht alle ein bisschen regulationsgestört?
Wie man sich bettet, so liegt man
Die totale Überwachung
Schnuller vs. Daumen
Nur ein kleiner Pieks
Globuli heilen alles
Alles so schön keimfrei
Freie Fahrt im Gängelwagen
Schicht über Schicht über Schicht über …
Wer erzieht, ist schlecht erzogen
Lob der konsequenten Inkonsequenz
Alle Mann rein in den Helikopter!
Vorwort
Was passiert, wenn eine Frau Mutter wird? Sie erlebt das Wunder des Lebens, erfährt ein einmaliges Gefühl des Gebrauchtwerdens und eine Liebe von ungeahnter Tiefe. Und sie wird mir nichts, dir nichts in eine Schlacht geworfen, von der sie nichts ahnte: die Mommy Wars! Wer sich als Mutter unter Mütter auf Spielplätze und in Krabbelgruppen, in Elterncafés oder auch in einschlägige Internetforen begibt, wird mit hitzigen Gefechten konfrontiert, die kaum ein Thema der Säuglingspflege und Erziehung unbehandelt lassen. Fast jede hat eine Meinung, die es mit Klauen und Zähnen zu verteidigen gilt.
Als angehende und dann frischgebackene Mutter war ich mittendrin: Mit 29 mitten im Durchschnitt der Erstgebärenden und dank Hormonchaos mitten im »O Gott, ist dieser Strampler zuckersüß, aber was, wenn das Kind beim Anziehen vom Wickeltisch fällt?«-Modus. Glück, aber auch große Verunsicherung trieben mich um. Plötzlich ist man – ob nun allein oder gemeinsam mit dem Partner – hauptverantwortlich für das Wohlergehen eines kleinen Menschen, der noch etliche Jahre nicht für sich selbst wird sorgen können. Mein Mann und ich wollten alles richtig machen, brachten aber keinerlei Babypflegeerfahrung mit. Kleine Geschwister, Cousins, Nichten, Neffen, Patenkinder? Fehlanzeige. Und die Eltern wohnten zu weit weg, um eine echte Hilfe zu sein. Einerseits hat es sein Gutes, auf diese Weise relativ unvoreingenommen an die Elternschaft heranzugehen. Aber so ganz ohne theoretischen Rückhalt fühlten wir zwei elterngewordene Akademiker uns wie Nichtschwimmer über dem Marianengraben. Orientierung musste her!
Damit begann für mich die Suche nach Kompetenz in Sachen Eltern-Know-how. Ich wollte wissen: Wie tickt dieser kleine Mensch, der sich noch nicht in Worten artikulieren kann? Was sind seine Bedürfnisse? Und wie lassen die sich mit unseren elterlichen Ansprüchen und Ressourcen zusammenbringen? Den Anfang machten Elternratgeber, die einen Überblick boten, aber viele Themen, über die ich mehr erfahren wollte, nur anrissen. Ich musste also tiefer in die Materie und wälzte Bücherberge, in denen sich auch etliche Schätze fanden. »Kinder verstehen« von dem Kinderarzt Herbert Renz-Polster, der Kinderverhalten mithilfe der Evolution verständlich macht, war zum Beispiel so ein Schatz. Ich sprach mit Freunden, mit Hebammen, und ich las mich einmal quer durchs Internet. Denn viele Eltern suchen mittlerweile dort Rat und Hilfe oder Gleichgesinnte und Sparringspartner, auf Ratgeberseiten, in Blogs und in Foren.
Ich gewann dabei zwei wesentliche Erkenntnisse. Erstens: Es gibt kein Thema, zu dem nicht verschiedene Meinungen kursieren, die allesamt Argumente für sich haben und einander doch teils heftig widersprechen. Man könnte sich also guten Gewissens so, aber auch anders entscheiden. Zweitens: Dieser Umstand sorgt dafür, dass viele, die ihre Position gefunden haben, weit übers Ziel hinausschießen. Da wird nicht sachlich argumentiert oder gar Raum für abweichende Meinungen und Erfahrungen gelassen, nein, es hagelt Vorwürfe, Beleidigungen, Unterstellungen, und sogar Verschwörungstheorien werden aufgerollt, dass einem die Luft wegbleibt. Da sind sie, die Mommy Wars!
Was ich daraus gelernt habe, ist vor allem: Wir brauchen mehr Gelassenheit. Auch und insbesondere dann, wenn andere Mütter etwas anders handhaben oder anderer Meinung sind. Sollen sie doch! Jede Mutter tickt auf ihre Weise, und jedes Kind ebenfalls. Das ist kein Angriff auf die eigene Kompetenz und erfordert keinen Gegenschlag. Weder totale Verunsicherung noch Hysterie sind der geistigen Gesundheit von Mutter und Kind besonders zuträglich. Also am besten: Argumente abwägen, mit dem Bauchgefühl in Übereinstimmung bringen, und dann einfach machen.
Weil das mit dem Abwägen so mühselig ist, wenn man sich aus allen Ecken und Enden die Argumente zusammensuchen muss, habe ich versucht, eine kleine Abkürzung durch den Meinungsdschungel zu schaffen. Stillen, tragen, wickeln – welche Auffassungen gibt es, wie werden sie begründet? Und da ein Buch über Mommy Wars unvollständig wäre, wenn die Arena nur sachlich ausgeschritten würde, darf ein Best-of der fiesen Anfeindungen, absurden verbalen Aussetzer und unfreiwillig komischen Sentenzen nicht fehlen. Denn Lachen hilft bekanntlich beim Entspannen ungemein.
Die Grundsatzfrage: Herd oder Karriere?
Wieso gibt es Mommy Wars? Es liegt in der Natur des Menschen, sich mit anderen zu vergleichen, um in Abgrenzung vom Fremden sein eigenes Sein zu bestätigen. Beispiele dafür findet man quer durch die gesamte Zivilisationsgeschichte. Aber die spezifische Verbissenheit der Mommy Wars scheint mir ein Phänomen der Moderne zu sein. Wir leben nicht mehr in Großfamilien, mehrere Generationen unter einem Dach, wo einfach das richtig ist, was schon bei der Mutter und der Großmutter funktioniert hat und man selbst bei jüngeren Familienmitgliedern ausprobieren konnte. Stattdessen grassiert große Verunsicherung. Die eigenen Eltern scheinen in einer anderen Zeit großgeworden zu sein und werden damit nur noch sehr eingeschränkt als helfende Autoritäten wahrgenommen, zumal die meisten Erstlingsmütter sich heute altersbedingt schon sehr viel weiter von ihren Eltern emanzipiert haben als die Generationen vor ihnen. Das Durchschnittsalter deutscher Erstgebärender liegt mittlerweile bei dreißig Jahren. Doch was ist dann überhaupt noch verlässlich?
Es gibt wissenschaftliche Experten und Forschung, aber die kommen längst nicht alle zu denselben Ergebnissen – und spätestens da geht es los. Nimmt sich die eine den Erziehungsguru Jesper Juul zum Vorbild, der andere aber den »rettenden Engel aller schlaflosen Mütter« Annette Kast-Zahn (siehe das Kapitel »Schläft sie denn schon durch?«), ist schwer auf einen Nenner zu kommen. Weil Lebensentwürfe heute so vielfältig sind, sind es auch die Wege, mit dem eigenen Nachwuchs umzugehen. Das ist eigentlich nicht neu: Rund um den Globus gelten ganz unterschiedliche Standards und Traditionen in der Kinderpflege und Erziehung. Aber heute begegnen wir den verschiedenen Varianten auf engstem Raum. Das fremde Modell, das das eigene Vorgehen infrage stellt, wird nicht mehr in weiter Ferne praktiziert, sondern man begegnet ihm spätestens in der Krabbelgruppe oder beim Babymassagekurs.
Die Mutter aller Mommy Wars, der Konflikt aller Konflikte ist der zwischen der Working-Mom und der Stay-at-Home-Mom. Von der klaren Rollenverteilung zwischen Jäger und Sammlerin – Mann in der Welt und Frau im Haus – hatte man sich mit der Industrialisierung und den Engpässen infolge der Weltkriege im 20. Jahrhundert schon ziemlich weit entfernt. Aber nicht weit genug! Das zeigte sich nicht nur in der Wirtschaftswunder-Bundesrepublik, wo es nun normal wurde, dass eine für das Berufsleben bestens gerüstete Mutter wenigstens die ersten drei Lebensjahre ihrer Sprösslinge zu Hause verbringt, während ihr Mann sich als Alleinverdiener profiliert. Das sollte es nun gewesen sein? In einer Zeit, in der das Prinzip gleicher Rechte für alle Bürger an vielen Fronten durchgefochten wurden, kam dieses Verharren in tradierten Mustern vehement auf den Prüfstand.
Der erste Mommy War brachte, noch bevor das Internet seinen Siegeszug als Tummelplatz der Meinungen antrat, eine Flut von Veröffentlichungen zum Thema hervor, hauptsächlich in den achtziger Jahren, aber bis heute fortgesetzt. Kürzlich erregte Anne-Marie Slaughters »Was noch zu tun ist« (Originaltitel: »Unfinished Business«) die Gemüter. Slaughter hatte Hillary Clintons politischen Planungsstab im Außenministerium geleitet –