Der schweigende Mund: Sophienlust 228 – Familienroman
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Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren.
Das Läuten des Telefons zerriss die Stille der Nacht. Frau Rennert, die Leiterin des Kinderheims Sophienlust, fuhr aus dem Schlaf hoch. Verwirrt starrte sie in die Dunkelheit. Da läutete das Telefon zum zweiten Mal.
Die Heimleiterin knipste die Nachttischlampe an und schwang ihre Beine über den Bettrand. Auf bloßen Füßen ging sie in den neben dem Schlafzimmer liegenden Wohnraum und hob den Hörer des Telefons ab. »Sophienlust«, meldete sie sich und unterdrückte ein Gähnen.
»Bin ich mit dem Kinderheim Sophienlust verbunden?«, fragte eine aufgeregte Stimme am anderen Ende der Leitung.
»Ja!« Frau Rennert setzte sich in den bequemen Sessel, der neben dem Telefontischchen stand.
»Wer ist denn am Apparat?«, fragte die Stimme hastig.
»Frau Rennert, die Heimleiterin. Würden Sie mir bitte auch Ihren Namen sagen?«
»Der ist überhaupt nicht wichtig. Es handelt sich um ein Kind. Um ein Mädchen.«
»Sie möchten das Kind in unserem Heim unterbringen?«, fragte Frau Rennert. Sie war gewohnt, mit schwierigen Leuten zu verhandeln, und verlor nur selten die Geduld.
»Ich muss das Kind in Ihr Heim bringen. Kann ich sofort zu Ihnen kommen?«
»Möchten Sie mir nicht doch Ihren Namen nennen?«, fragte Frau Rennert. »Sehen Sie, wir können nicht so einfach ein Kind bei uns aufnehmen, ohne wenigstens die nötigsten persönlichen Angaben zu erhalten. Handelt es sich um Ihr Kind?«
»Nein, Ellen ist nicht meine Tochter, aber ist dies denn tatsächlich so wichtig? Hören Sie, es handelt sich um einen Notfall. Das Kind ist mir anvertraut worden, aber ich glaube nicht, dass ich es länger beschützen kann. Jede Minute, die ich hier am Telefon vertrödele,
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Sophienlust (ab 351)
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Book preview
Der schweigende Mund - Anne Alexander
Sophienlust –228–
Der schweigende Mund
Die kleine Ellen muss das Lachen erst wieder lernen
Anne Alexander
Das Läuten des Telefons zerriss die Stille der Nacht. Frau Rennert, die Leiterin des Kinderheims Sophienlust, fuhr aus dem Schlaf hoch. Verwirrt starrte sie in die Dunkelheit. Da läutete das Telefon zum zweiten Mal.
Die Heimleiterin knipste die Nachttischlampe an und schwang ihre Beine über den Bettrand. Auf bloßen Füßen ging sie in den neben dem Schlafzimmer liegenden Wohnraum und hob den Hörer des Telefons ab. »Sophienlust«, meldete sie sich und unterdrückte ein Gähnen.
»Bin ich mit dem Kinderheim Sophienlust verbunden?«, fragte eine aufgeregte Stimme am anderen Ende der Leitung.
»Ja!« Frau Rennert setzte sich in den bequemen Sessel, der neben dem Telefontischchen stand.
»Wer ist denn am Apparat?«, fragte die Stimme hastig.
»Frau Rennert, die Heimleiterin. Würden Sie mir bitte auch Ihren Namen sagen?«
»Der ist überhaupt nicht wichtig. Es handelt sich um ein Kind. Um ein Mädchen.«
»Sie möchten das Kind in unserem Heim unterbringen?«, fragte Frau Rennert. Sie war gewohnt, mit schwierigen Leuten zu verhandeln, und verlor nur selten die Geduld.
»Ich muss das Kind in Ihr Heim bringen. Kann ich sofort zu Ihnen kommen?«
»Möchten Sie mir nicht doch Ihren Namen nennen?«, fragte Frau Rennert. »Sehen Sie, wir können nicht so einfach ein Kind bei uns aufnehmen, ohne wenigstens die nötigsten persönlichen Angaben zu erhalten. Handelt es sich um Ihr Kind?«
»Nein, Ellen ist nicht meine Tochter, aber ist dies denn tatsächlich so wichtig? Hören Sie, es handelt sich um einen Notfall. Das Kind ist mir anvertraut worden, aber ich glaube nicht, dass ich es länger beschützen kann. Jede Minute, die ich hier am Telefon vertrödele, kann für das Kind gefährlich werden. Ich habe das kleine Mädchen aber sehr gern. Ich möchte nicht, dass ihm etwas passiert.«
»Gut, bringen Sie uns die Kleine. Wann werden Sie bei uns sein?«
»In etwa einer Stunde. Es kommt darauf an, wie schnell ich fahren kann. Ich werde mich beeilen. Und bitte, Frau Rennert, erzählen Sie keinem Menschen von diesem Anruf.«
»Das ist leider nicht möglich. Wir sind ein Kinderheim, wir haben Personal. Außerdem muss ich zumindest die Besitzerin unseres Heimes verständigen, Frau von Schoenecker.«
»Gut, ich muss dieses Risiko eingehen. Es bleibt mir keine andere Wahl.« Ohne Gruß wurde der Telefonhörer aufgelegt.
Minutenlang saß Frau Rennert fast bewegungslos in ihrem Sessel und ließ sich das Telefongespräch noch einmal Wort für Wort durch den Kopf gehen. Dass es sich bei dem Anrufer um eine Frau gehandelt hatte, war deutlich aus der Stimme herauszuhören gewesen. Ob man sich einen Scherz mit ihr erlaubt hatte? Nein. Wer sollte so etwas tun? Außerdem hatte in der Stimme der Frau echte Besorgnis gelegen.
Frau Rennert nahm erneut den Telefonhörer auf und rief Denise von Schoenecker an.
»Es tut mir leid, dass ich Sie wecken musste, Herr von Schoenecker!«, entschuldigte sich die Heimleiterin, als sich Denises Mann meldete. Dann erzählte sie von dem geheimnisvollen Anruf.
»Sie haben mich nicht geweckt, Frau Rennert. Dies hat Henrik bereits getan«, erwiderte der Gutsbesitzer. »Er kam in unser Schlafzimmer und klagte über Kopfschmerzen. Meine Frau bringt ihn gerade zu Bett. Er hat etwas Fieber. Vermutlich hat er sich gestern beim Baden verkühlt.« Alexander von Schoenecker überlegte kurz, bevor er fortfuhr: »Ich bin der Meinung, dass wir kein Risiko eingehen dürfen. Wer weiß, um was für ein Kind es sich handelt.«
»Es kam mir vor, als sei der Anruferin der Name des Kindes unabsichtlich über die Lippen geschlüpft«, warf Frau Rennert ein.
»Ich werde meine Frau nach Sophienlust begleiten. Machen Sie sich keine Sorgen, Frau Rennert. In spätestens zwanzig Minuten sind wir bei Ihnen.«
»Danke, Herr von Schoenecker. Soll ich meinen Sohn wecken?«
»Nein, das wird nicht nötig sein, Frau Rennert. Ich glaube, dass ich als männlicher Schutz ausreiche.« Lachend legte Alexander von Schoenecker den Hörer auf die Gabel. Als Denise ins Zimmer trat, war er bereits angezogen.
»Henrik schläft wieder«, sagte Denise und öffnete ihren Morgenmantel. »Ich habe ihm die Brust eingerieben und etwas gegen die Kopfschmerzen gegeben.« Sie stutzte und sah auf. »Warum bist du angezogen, Alexander? Ist etwas passiert?«
In wenigen Worten berichtete Alexander seiner Frau, was er von Frau Rennert gerade gehört hatte. »Ich dachte, es sei besser, wenn ich dich nach Sophienlust begleite. Man kann nie wissen.«
»Das ist lieb von dir, Alexander.« Denise gab ihrem Mann einen zarten Kuss. »Trotzdem wäre es mir lieber, wenn du hierbleiben würdest. Du musst morgen früh wieder zeitig an die Arbeit.«
»Nein, Isi, das kommt überhaupt nicht infrage. Außerdem könnte ich nicht schlafen, während du allen möglichen Gefahren ausgesetzt bist.«
Denise wusste, dass jeder Versuch, ihren Mann umzustimmen, zwecklos sein würde. Rasch zog sie sich an. Gemeinsam verließen die beiden wenig später das Gutshaus.
»Je länger ich über diese Geschichte nachdenke, umso seltsamer erscheint sie mir«, meinte Denise, als sie mit ihrem Mann auf dem Weg nach Sophienlust war.
»Vielleicht handelt es sich um eine Verrückte.« Alexander bog bereits in die Straße ein, die zum Kinderheim führte. Kurz darauf parkte er den Wagen am Straßenrand neben der Einfahrt zu dem Park, der das Heim umgab. Denise reichte ihm die Schlüssel für das Tor. Alexander stieg aus und schloss das Tor auf.
Auch Frau Rennert hatte sich inzwischen angezogen. Sie empfing Denise und Alexander von Schoenecker in der geräumigen Halle des Kinderheims. »Es tut mir leid, dass ich mitten in der Nacht anrufen musste«, entschuldigte sie sich nochmals.
»Aber warum denn, Frau Rennert?«, fragte Denise. »Sie sind doch auch mitten in der Nacht gestört worden.«
»Guten Abend, oder muss man schon guten Morgen sagen?«, fragte Schwester Regine. Sie kam gerade die Treppe herab. »Wie es aussieht, scheint es eine turbulente Nacht zu werden.« Die junge Schwester reichte zuerst Denise, dann Alexander die Hand. »Wie geht es Henrik? Frau Rennert sagte mir, er sei krank.«
»Er ist etwas erkältet«, erklärte Denise. »Wenn das Fieber nicht wäre, würde ich denken, er flunkert. Er hat mir nämlich gestanden, dass morgen in der Schule eine Rechenarbeit geschrieben wird.«
Schwester Regine lachte. »Kinder …«, begann sie, sprach aber nicht weiter, denn sie hört deutlich, dass langsam ein Wagen näher kam. »Jetzt werden wir wohl erfahren, was hinter diesem geheimnisvollen Anruf steckt«, flüsterte sie.
Alexander von Schoenecker durchquerte mit wenigen Schritten die Halle und öffnete das Portal. Im Schein der Außenbeleuchtung sah er einen blauen Wagen neben seinem Wagen stehen. Eine ältere Frau stieg aus. Sie trug einen dunklen Mantel und ein Kopftuch. Jetzt blickte sie zum Haus. Alexander bemerkte, dass sie zusammenzuckte. Vermutlich hatte sie nicht erwartet, einen Mann in der Tür stehen zu sehen.
Eilig lief der Gutsherr die Stufen hinab. Für einen Moment sah es aus, als wollte die Fremde wieder in den Wagen einsteigen, doch dann schien sie sich zu besinnen und blieb stehen.
»Guten Abend«, sagte Alexander.
»Ich wollte zu Frau Rennert«, antwortete die Fremde mit unsicherer Stimme, ohne seinen Gruß zu erwidern. »Ich habe mit ihr telefoniert.«
»Frau Rennert erwartet Sie in der Halle. Ich bin Alexander von Schoenecker. Meine Frau verwaltet das Kinderheim.«
»Würden Sie bitte Frau Rennert holen?«
»Wovor haben Sie Angst?«, fragte Alexander sanft. Er wollte nicht allein ins Haus gehen. Er fürchtete, dass die Frau dann einfach davonfahren würde. Rasch versuchte er, einen Blick durch das Wagenfenster auf den Rücksitz zu tun, aber das gelang ihm nicht.
»Ich spreche nur mit Frau Rennert.«
»Ich bin Frau Rennert.«
Verwundert schaute sich Alexander um. Auf der obersten Stufe der Freitreppe standen seine Frau, Schwester Regine und Frau Rennert.
Die Heimleiterin kam den beiden entgegen und sagte: »Sie haben vor knapp einer Stunde mit mir telefoniert.«
»Ja!« Die Fremde schien erleichtert zu sein. Sie wandte sich an Alexander. »Bitte, entschuldigen Sie mein Misstrauen, aber ich kann nicht vorsichtig genug sein.«
»Haben Sie das Kind mitgebracht?«, fragte Frau Rennert.
Die Fremde gab keine Antwort, sondern öffnete den Wagenschlag auf der Fahrerseite. Sie klappte den Sitz nach vorn und beugte sich über den Rücksitz. »Ellen, Liebling, wir sind da«, sagte sie.
Es erfolgte keine Antwort, aber als sie beiseitetrat, kletterte ein Kind aus dem Wagen. Es mochte etwa vier Jahre alt sein. Verschlafen rieb es sich die Augen, dann streckte es die Arme nach seiner Betreuerin aus, die es hochhob.
»Gut, dann gehen wir ins Haus«, sagte Denise.
»Ja, es wird Zeit, dass Ellen ins Bett kommt«, meinte die Frau. »Es war heute ein langer Tag für das Kind.« Zärtlich wiegte sie die Kleine wie ein Baby in ihren Armen. Ohne ein weiteres Wort stieg sie hinter Denise, Alexander und Frau Rennert die Freitreppe empor. Schwester Regine folgte allen.
»Wir haben für Ellen bereits ein Bett vorbereitet«, sagte Frau Rennert. Sie wandte sich direkt an das Kind. »Ich bin Tante Ma. Alle Kinder