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Institut für Sprach- und Kommunikationswissenschaft der RWTH Aachen

Magisterarbeit im Fach Kommunikationswissenschaften


Prüfer: Prof. Dr. Ludwig Jäger

Analogie und Sprache


Betrachtungen zum Analogie-Begriff

bei Saussure und Wittgenstein

vorgelegt von
Adrian Pohl
Clarenbachstraße 158
50931 Köln
Matrikelnummer: 222486

Köln im Herbst/Winter 2006/07


„Die Sprache ist ein Labyrinth von Wegen.
Du kommst von einer Seite und kennst dich
aus; du kommst von einer andern zur selben
Stelle, und kennst dich nicht mehr aus.“
Ludwig Wittgenstein, PU 203
Inhalt

1 Einleitung ..................................................................................................................... 4

2 Die Zwei-Welten-Ontologie.......................................................................................... 5

2.1 Sprechen besteht wesentlich in der Anwendung von Regeln ...................................... 6

2.2 Die Regeln des Sprechens sind universal und autonom .............................................. 7

3 Saussure...................................................................................................................... 10

3.1 Grundlegende Einsichten ............................................................................................. 10


3.1.1 Die kontinuierliche Transformation der Sprache in der Zeit und im Raum .............................11
3.1.2 Die Sprache: eine eigentümliche Institution.............................................................................15

3.2 Saussures Semiologie .................................................................................................... 21


3.2.1 Das Prinzip der Differenz: Sème = Parasème ..........................................................................21
3.2.2 Das Aposème ...........................................................................................................................27
3.2.3 Der notwendig soziale Charakter der Sprache .........................................................................30

3.3 Analogie ......................................................................................................................... 33


3.3.1 Analogie als „Phänomen der intelligenten Transformation“....................................................35
3.3.2 Iteration, Fluktuanz, Analogie..................................................................................................43

4 Vom Diskurs zum Sprachspiel ................................................................................... 48

5 Wittgenstein ................................................................................................................ 50

5.1 Wittgensteins Gebrauch des Terms ‚Analogie’.......................................................... 50

5.2 Projektion ...................................................................................................................... 54

5.3 Regelbefolgung vs. Projektion ..................................................................................... 59

6 Die Metaphorizität der Analogie................................................................................ 63

6.1 Aufbau eines Symbolsystems ....................................................................................... 65

6.2 Die Metapher................................................................................................................. 66

7 Parasemische Schöpfung, Projektion und Metapher ............................................... 69

7.1 Die Problematik einer Unterscheidung verschiedener Analogieformen.................. 70

7.2 Analogie als „grammatische Bewegung“ .................................................................... 74

8 Schluss ........................................................................................................................ 77

9 Literatur ...................................................................................................................... 80
1 Einleitung
Der zentrale Begriff dieser Arbeit ist jener der Analogie und zwar nicht in einem
ontologischen, erkenntnis- oder wissenschaftstheoretischen sondern in einem
sprachtheoretischen Sinn. Es geht hier also in erster Linie um die analogische Kre-
ativität in der sprachlichen Performanz als Ursache für den Sprachwandel. Zur
Explikation dieses Konzepts der ‚Analogie’ werde ich die Verwendung des Begriffs
in den Schriften Ferdinand de Saussures und Ludwig Wittgensteins beleuchten.
Der Problemhorizont, vor dem unsere Betrachtung des Analogiebegriffs bei Saus-
sure und Wittgenstein stattfindet, ist die von Sybille Krämer so genannte „Zwei-
Welten-Ontologie“ der Sprache, welche der Analogie als Veränderung der Kompe-
tenz durch die Performanz, der langue durch die parole, in ihrer Theorie keinen
Platz einräumt. Dieser Grundgedanke der Zwei-Welten-Ontologie wird im zweiten
Kapitel skizziert.
Anschließend werden in den Kapiteln 3 bis 5 mit Saussure und Wittgenstein und
einer genaueren Betrachtung ihres Gebrauchs des Ausdrucks ‚Analogie’ die Un-
adäquatheit der Zwei-Welten-Ontologie nachgewiesen und die Umrisse eines al-
ternativen Sprachbildes gezeichnet werden. Das Saussure-Kapitel gliedert sich in
eine Darstellung der grundlegenden Einsichten, die eine jede Sprachtheorie zu be-
rücksichtigen hat, um sodann Saussures Semiologie zu entfalten, mit deren Beg-
riffsinstrumentarium ich mich schließlich an die Betrachtung von Saussures Ana-
logie-Begriffs mache. Dabei wird deutlich, dass Saussure die Analogie allein auf
morphologischer Ebene betrachtet.
Nach einer Überleitung zu Wittgenstein in Kapitel 4 wird im fünften Kapitel die
Analogie bei Wittgenstein als Zustand tiefengrammatischer Verhältnisse in der
Sprache gedeutet, welche durch Projektionen entstanden sind. Wir werden sehen,
dass es sich um Projektionen syntaktischer Gefüge wie auch einzelner Wörter han-
deln kann. Am Ende des Kapitels werden wir die Projektion gegen die konventio-
nelle Regelbefolgung abgrenzen.
In Kapitel Sechs führe ich zunächst in Goodmans symboltheoretische Begrifflich-
keit ein, um sodann seinen umfassenden Metaphernbegriff darzustellen und die
Analogie als eine solche Metapher auszuweisen. Auf dieser Basis sowie mit Rekurs
auf eine Betrachtung Saussures werde ich die Problematik einer Unterscheidung
verschiedener Analogie- bzw. Metaphernformen verdeutlichen, um schließlich die
Synthese der verschiedenen Analogietypen im Begriff der ‚grammatischen Bewe-

4
gung’ vorzuschlagen. Zum Abschluss der Arbeit erfolgt die erneute Kritik an der
Zwei-Welten-Ontologie, deren Vertreter für den „Verlust der Analogie“ in der
Sprachtheorie verantwortlich gemacht werden.

2 Die Zwei-Welten-Ontologie
Der Ausdruck „Zwei-Welten-Ontologie“ bzw. „Zwei-Welten-Bild“ oder „Zwei-
Welten-Modell“1 der Sprache ist von Sybille Krämer geprägt. Sie benutzt ihn in ei-
ner „Diagnose“2 von Sprachtheorien des 20. Jahrhunderts, die der klassischen Un-
terscheidung zwischen system- und handlungsorientierten Sprachtheorien zuwi-
derläuft, deren Witz also darin besteht, „einen Darstellungsweg jenseits der ver-
trauten linguistischen und philosophischen Kontroversen zu beschreiben.“3 Dies
hat zur Konsequenz, dass Krämer sowohl die ‚üblichen Verdächtigen’ Chomsky
und – den fiktiven4 – Saussure als Vertreter des Zwei-Welten-Modells einordnet,
zudem aber auch pragmatisch orientierte Sprachtheoretiker wie John R. Searle,
Jürgen Habermas und Karl Otto Apel.
Die zentrale Annahme der Zwei-Welten-Ontologie der Sprache ist die einer „Spra-
che hinter dem Sprechen“, eines „logisch-genealogischen Vorrangs“5 der –virtuell6,
institutionell7, hirnphysiologisch8 existierenden oder auch als eine kontrafaktische

1 Erstmals verwendet sie den Ausdruck ‚Zwei-Welten-Bild’ der Sprache in Krämer (1999), S. 374.
Den noch aussagekräftigeren Ausdruck „Zwei-Welten-Ontologie“ benutzt sie in Krämer (2001),
etwa auf S.95 und in Krämer (2002), S.111.
2 Vgl. Krämer (2001), S.9.
3 Krämer (2001), S.14.
4 Ziel dieser Arbeit ist es unter anderem, den authentischen Saussure als Kritiker eines solchen
Zwei-Welten-Bildes auszuweisen. Zum authentischen vs. den fiktiven Saussure vgl. Jäger (1975)
und Jäger (1976). Krämer selbst betont, dass sie sich auf den „fiktiven Saussure“ und somit auf den
Cours de linguistique générale [Saussure (1972), im Folgenden zitiert als CLG] bezieht, dessen Edi-
tion die ‚sprachphilosophische Substanz’ des authentischen Saussure „verstümmelt und defor-
miert“ [vgl. Jäger (1975), S.2].
5 Krämer 2002, S.98.
6 Dies bezieht Krämer (2001), S.35 auf (den fiktiven) Saussure. Wir werden im Verlauf der Arbeit
ein differenzierteres Bild der Sprachtheorie des ‚authentischen’ Saussure bekommen.
7 John R. Searle unterscheidet Krämer zufolge das institutionelle Regelsystem einer Einzelsprache,
welches wirksam wird, indem es sich in den Dispositionen der Individuen widerspiegelt, von einem
universalen Sprechakt-Regelsystem, das im jeweiligen Regelsystem einer Einzelsprache realisiert
ist. [Vgl. Krämer (2001), S.71f] Somit wäre jeder Sprechakt eine Anwendung a) unmittelbar der
5
„operativ wirksame Fiktion“9 konzipierten – reinen Sprache vor dem jedesmaligen,
raumzeitlich situierten Sprechen.
Als Ausgangspunkt sowie Ziel der späteren Kritik dieser Arbeit soll hier eine
grundlegende Implikation der Zwei-Welten-Ontologie beleuchtet werden: die An-
nahme eines universalen sprachlichen Regelsystems, welches zwar das Sprechen
determiniert, von diesem aber nicht affiziert wird. Ich werde also von einer Hierar-
chisierung von reiner, universaler Sprache und konkretem Sprechakt sprechen.10
Dieser Universalismus independenter Regeln des Zwei-Welten-Modells behauptet
also 1.) dass wir im jedesmaligen Sprechen Regeln folgen, welche dem einzelnen
raumzeitlich bestimmbaren Sprechakt zugrundeliegen und welche die universellen
Eigenschaften von Sprache darstellen, „an denen alles teilhat, was überhaupt
‚Sprache’ bzw. ‚Rede’ genannt werden kann“11 sowie 2.) dass diese Regeln unsere
Sprachhandlungen zwar determinieren, von diesen aber wiederum nicht beein-
flusst werden.

2.1 Sprechen besteht wesentlich in der Anwendung von Regeln

„Unsere Sprachlichkeit zu erklären bedeutet, die Regeln zu beschreiben, denen


wir im Sprechen folgen; seien dies nun Regeln, nach denen wir elementare
sprachliche Einheiten zu grammatisch korrekten Sätzen verknüpfen oder Re-
geln, nach denen wir Sätze als verständigungsorientierte Äußerungen gebrau-
chen. Eine Sprache zu beherrschen, setzt somit die implizite Kenntnis dieser
Regeln voraus“12.

Einzelsprache, die „als Institution ein System konstitutiver Regeln verkörpert“ und b) mittelbar
eines universalen sprechakttheoretischen Regelsystems [ebd.].
8 Mit seinem „first conceptual shift“ von der deskriptiven Betrachtung einer E(xternen)-language
zur explanativen Betrachtung der I(nternen)-language hat Chomsky das Objekt seiner Linguistik
als ein internes, letztlich neuronal instantiiertes Subsystem des menschlichen kognitiven Appara-
tes, als eine kognitive Struktur klassifiziert, welche als grammatische Kompetenz, als ein „knowled-
ge of form and meaning“ bestimmte Aspekte – nämlich die grammatischen – der menschlichen
Rede, d.h. der Performanz regele. [Vgl. Botha (1989), S.68-75]
9 Habermas (1984): Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns.
Frankfurt am Main, S.180 zitiert nach Krämer (1999), S.376.
10 Weitere Implikationen des Zwei-Welten-Bildes der Sprache finden sich in Krämer (2001) auf
S.98-103.
11 Krämer (2001), S.98.
12 Krämer (1999), S.373.
6
Das Zwei-Welten-Bild der Sprache sieht das jedesmalige Sprechen auf der Ebene
der Illokution, wie der Syntax, Wortwahl und Morphologie als einen Fall von re-
gelgeleitetem Handeln an: diese Annahme impliziert, dass die Sprachregeln not-
wendige Bedingung der Sprechhandlung sind, dass sie a priori feststehen und dass
die wesentlichen Eigenschaften der Sprechhandlung durch die Regeln bestimmt
sind.
Diese Auffassung vom Sprechen entspricht – man kann hier sehr passend auf
Wittgenstein vorgreifen – dem Verfahren nach einem Kalkül. Ein Kalkül ist – wie
etwa der Fremdwörterduden erläutert – eine „durch ein System von Regeln festge-
legte Methode“13. Die These von der Benutzung der Sprache als dem Verfahren
nach einem Kalkül birgt mehrere zusammenhängende Annahmen in Bezug auf
den Regelbegriff in sich, die Klaus Puhl wie folgt expliziert:

„1. Für das Lernen, Verstehen, Meinen und Befolgen einer Regel ist die Benut-
zung eines Ausdrucks oder einer mentalen Repräsentation der Regel notwen-
dig und hinreichend.
2. Die Regel, nach der jemand handelt, muß von vorneherein feststehen.
3. Alle Aspekte eines regelfolgenden Verhaltens müssen durch die Regel (d.h.
nach 1. durch ihren Ausdruck) bestimmt sein.“14

Die allgemeine Kritik dieses Regelbegriffs wird hier nicht tiefergehend betrachtet
werden.15 Die Analogie ist eine sprachliche Handlung, die dieser Konzeption ent-
gegengeht, weil sie gerade dadurch definiert ist, dass im Sprechen ein Regelbruch
stattfindet.

2.2 Die Regeln des Sprechens sind universal und autonom


Aus den gerade aufgezählten drei Implikationen eines Kalkül-Begriffs vom Spre-
chen lässt sich auf unseren Hauptkritikpunkt, auf die Autonomie des Regelsys-
tems, seine Unabhängigkeit von der Regelbefolgung, schließen. So die Regel von
vorneherein, a priori feststeht und laut Punkt 3 das Handeln vollständig bestimmt,
bleibt kein Spielraum im Handeln, um über die Regel hinauszugehen und sie da-
durch zu erweitern.

13 Duden. Fremdwörterbuch (1997), S. 395.


14 Puhl (1998), S. 124.
15 Ich werde lediglich im Wittgenstein-Kapitel, in Abschnitt 5.3 kurz darauf zu sprechen kommen.
7
Zwar ist nach Krämer eine Leistung der Zwei-Welten-Ontologie darin zu sehen,
dass sie dem

„repräsentationalen Sprachkonzept die Nachfolge [aufkündigt], insofern


Form, Ordnung, System und Regel durch Sprache nicht bloß zur Darstellung
kommen, sondern jetzt in der Sprache selbst lokalisiert werden und durch sie
auch alleine begründbar sind. Die Sprache wird zur Springquelle von Form,
Systematizität und Regel, und das macht sie autonom; die Sprache stellt
Strukturen nicht dar, sondern wird selbst strukturgebende Instanz.“16

Autonom wird die Sprache aber nicht nur gegenüber der Welt konzipiert, sondern
auch gegenüber ihrer Anwendung, dem jeweiligen Sprechakt. Die Sprache, als Re-
gelsystem oder interne Grammatik stellt damit eine autonome, independente
Kompetenz dar, das jedesmalige Sprechen kann nicht auf sie rückwirken, d.h. das
Abhängigkeitsverhältnis zwischen Kompetenz und Performanz ist als ein einseiti-
ges bestimmt. Die Realisierung des Regelsystems im jedesmaligen Sprechen ist
wesentlich durch das zugrundeliegende Regelsystem bestimmt und eine Rückwir-
kung von der Performanz auf das Regelsystem ist jedoch nicht vorgesehen. In die-
sem Sinne haben wir es also auf der Seite der Kompetenz mit einem universal-
geltenden Regelsystem, einem Kalkül zu tun, welches als reine Sprache die wesent-
liche Struktur der je konkret realisierten Sprechakte determiniert, ohne in seiner
Beschaffenheit durch diese Sprechhandlungen in irgendeiner Weise affiziert zu
werden. Zwar kann die Realisierung unter Umständen in einem gewissen Rahmen
variieren, die Variationsbreite ist aber endlich.17
Die Regeln der Sprache werden im Zwei-Welten-Modell als sprachliche Universa-
lien angesehen, die allgemein und umfassend das konstituieren, was als ‚Sprache’
bezeichnet werden darf:

Es gibt grammatische resp. pragmatische Universalien, an denen alles teilhat,


was überhaupt ‚Sprache’ bzw. ‚Rede’ genannt zu werden verdient. Als Spre-
chen bzw. Kommunizieren zählt nur, was diese universellen Eigenschaften
exemplifiziert. Das, was am Sprechen hinausgeht über den Sachverhalt, Mani-
festation eines universalen Typus zu sein, ist sprachfremden Bedingungen ge-
schuldet und stellt – gemessen am Maßstab der reinen Sprache und Kommu-
nikation – das Außer-Sprachliche dar. Der privilegierte Gegenstand von

16 Krämer (2001), S.97. Vgl. zum ‚repräsentationalen Sprachkonzept’ unten 3.2.1 und 3.2.3.
17 Ich denke hier an Chomskys Universalgrammatik, die als ein im mind/brain lokalisiertes System
von gewissen universalen, fundamentalen Prinzipien und Parametern, den „initial state of the lan-
guage faculty“ oder „the genetically encoded linguistic principles” darstellt, auf dem die ontogeneti-
sche Entwicklung jeder menschlichen Sprache fußt. [Vgl. Botha (1989), S.25-35.]
8
Sprachwissenschaft und Sprachphilosophie sind die syntaktischen, semanti-
schen und pragmatischen Universalien.“18

Die Zwei-Welten-Ontologie impliziert also die Annahme einer Universalität der


Sprachregeln auf der Ebene der Grammatik, Semantik wie der Pragmatik, d.h.
sprachtheoretische Ansätze solchen Typs rekonstruieren das kommunikative
Knowing-how als ein Knowing-that, das als „ein Wissen um die universalen Bedin-
gungen von Kommunikation“ 19 dem Sprechen zugrunde liege. Somit handele es
sich beim Sprechen um die Anwendung der „universalen Sprachmuster“20.
Im Rahmen eines solchen Sprachbildes ist nun „das Sprechen gegenüber der rei-
nen Sprache prinzipiell etwas unvollständiges, mangelhaftes, defizitäres, verzerrtes
[sic]: weniger Form denn Deformation.“21 Entsprechend verfolgen Vertreter dieser
Sichtweise in ihrer Bestimmung der Sprache eine „Purifizierungsstrategie“22, mit-
tels der alles, was im konkreten Sprachgebrauch nicht als Realisierung von univer-
salen Sprachtypen kategorisiert werden kann, einfach zu einem „Epiphänomen“23
degradiert wird und somit nicht zur Sprache gehört, von dem bei einer Darstellung
der Sprache mithin abstrahiert werden könne. Ludwig Jäger nennt diese Strategie
das „Idealisierungs-Konzept der Sprache“24, das den Ausgangspunkt der „kogniti-
vistischen Modellierung des Sprachbegriffs“ bilde. Auch Krämer spricht von einer
„Strategie der Idealisierung“25, welche die Vertreter des Zwei-Welten-Bildes ver-
folgen, um das Postulat einer kognitiven, universalen Regelkompetenz systema-
tisch fassen zu können.
Im Folgenden wird mit der Betrachtung der Sprachtheorie Saussures und Wittgen-
steins die Einseitigkeit eines solchen Sprachbildes herausgestellt werden.

18 Krämer (2001), S.98.


19 Krämer (1999), 375.
20 Krämer (2001), 10.
21 Krämer (2001), S.105.
22 Krämer (2002), S.103.
23 Vgl. Chomsky (1981), S.88: “Die Sprache ist aber ein Epiphänomen.” Durch die Purifizierung
bleibt bei Chomsky nur das grammatische Wissen, die ‚mentale Grammatik’ oder die ‚I-(nterne)
Grammatik’ als reine Sprache und Untersuchungsgegenstand einer Linguistik übrig. Vgl. auch Jä-
ger (1994), S.292-295 für eine knappe Skizze der „kognitivistischen Modellierung des Sprachbeg-
riffs“.
24 Jäger (1994), 292.
25 Krämer (2001), S.99.
9
3 Saussure
Vor dem skizzierten Hintergrund des Zwei-Welten-Bildes der Sprache26 werde ich
mich jetzt bei meinen Reflexionen zu den beiden Autoren Saussure und Wittgen-
stein einer Betrachtung der Sprache zuwenden, welche die Regelanwendung, die
Performanz als wesentlichen Bestandteil der Sprache berücksichtigt und sie gar als
den Ursprung sprachlicher Regeln ausweist, ihr also eine sprachkonstitutive Funk-
tion zuschreibt. Dabei werde ich besonders einen zentralen Begriff einer solchen
Sprachauffassung – den der Analogie – einer genaueren Untersuchung unterzie-
hen.

3.1 Grundlegende Einsichten


Zum Verständnis des Analogie-Begriffs bei Saussure sind zunächst dessen grund-
legenden Einsichten über Sprache zu erläutern, welche der „Definitionsarbeit“27,
also der Sprachtheorie, sowie einer daraus folgenden Wissenschaftstheorie und
Methodologie einer jeden Sprachwissenschaft zugrundeliegen sollten. Diese legt er
in seinen – notes genannten – fragmenthaften Notizen dar, die meist nicht in der
gewohnten linear-stringenten, kohärenten Weise wissenschaftlicher oder philoso-
phischer Texte einen Gedanken entfalten, sondern oft aphoristisch und somit häu-
fig die Richtung des Gedankengangs wechselnd das weite Gebiet der Sprache
durchwandern.28

26 Der Term ‚Sprache’ bezieht sich im Folgenden, wenn nicht anders angemerkt, auf die orale Spra-
che. Saussure und Wittgenstein waren sich des Unterschieds und der Problematik des komplexen
Verhältnisses dieser beiden Medien – von langue und écriture – durchaus bewusst, wenn sie auch
häufig in ihre Beispiele nicht genug differenzieren. Wir werden aber diese mediale Frage hier nicht
weiter thematisieren. Vgl. dazu Stetter (1997), S.117-29.
27 Vgl. Saussure (1997), S.296, N 9.1 „Notizen zu einem Buch über allgemeine Sprachwissenschaft.
Ausgangspunkt“: Die „wesentliche Aufgabe der Theorie der Sprache [‚langage’]“ besteht darin, „zu
entwirren, was es mit unseren ersten Unterscheidungen auf sich hat. Es ist uns nicht möglich, zu-
zugestehen, daß man das Recht habe, eine Theorie aufzustellen, in der man sich dieser Definitions-
arbeit enthält, obwohl diese bequeme Vorgehensweise bisher das sprachwissenschaftliche Publi-
kum zu befriedigen schien.“
28 Hier zeigt sich eine Parallele zum Denken Wittgensteins. Zu Saussures „aphoristischen Den-
kungsart“. Vgl. Jäger (1975), S.285 und Jäger (2oo3), S.44-47, wo auch die Ähnlichkeit zu Wittgen-
stein herausgestellt wird.
10
Ich werde mich hier zunächst auf die in der ersten Hälfte der neunziger Jahre des
19. Jahrhunderts entstandenen notes beziehen29. Bei diesen metatheoretischen,
d.h. einer jeden wissenschaftlichen Betrachtung vorgängigen Erörterungen be-
stimmt Saussure die Gesetze der Sprache, welche eine jede Linguistik berücksich-
tigen muss. Somit bleiben diese Gesetze „für alle späteren Entwürfe Saussures be-
stimmend“30 und dienen der Gegenstandsbestimmung der Sprachwissenschaft, die
ja Saussures erklärtes Ziel ist, als Fundament.
Darauf basierend werde ich Saussures Ansätze zu einer Semiologie in den Notes
Item darstellen, die ein begriffliches Instrumentarium zur abschließenden Be-
leuchtung seines Analogie-Begriffs liefern.

3.1.1 Die kontinuierliche Transformation der Sprache in der Zeit


und im Raum
Der Aufhänger der Genfer Antrittsvorlesung Saussures von 1891 ist die Frage, ob
die Sprachwissenschaft ihren Platz unter den Naturwissenschaften oder unter den
Geisteswissenschaften hat. Saussures Antwort ist denkbar einfach: Er erklärt diese
Debatte für abgeschlossen31 und behauptet, man habe mittlerweile „die wahre Na-
tur der Tatsachen der Sprache“ „besser begriffen“ und somit sei es „einsichtiger
geworden, daß die Wissenschaft der Sprache [‚langage’] eine historische und nichts
als eine historische Wissenschaft“ 32 sei.
Es ist dieser historische Charakter der Sprache, der die Zugehörigkeit der Sprach-
wissenschaft zu den Geisteswissenschaften bestimmt, den Saussure einer genaue-
ren Analyse unterzieht. Dabei macht er zwei „Hauptpunkte“33, „Merkmale“ oder
„Gesetze“34 aus, welche das Sein der Sprache in der historischen Dimension
bestimmen und den Linguisten „für das Studium einzelner Tatsachen auf einem
ganz bestimmten Terrain [ansiedeln]“35. Es handelt sich also um elementare, vor-

29 Ich weise darauf hin, dass ich bei allen Saussure-Zitaten zum Zweck der besseren Lesbarkeit auf
die Wiedergabe der diakritischen Zeichen verzichte.
30 Stetter (1996), S.425.
31 Vgl. Saussure (1997), S.248, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Erste Stunde“.
32 Ebd.
33 Vgl. Saussure (1997) , S.251, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Erste Stunde“.
34 Vgl. Saussure (1997), S.252, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Erste Stunde“.
35 Saussure (1997), S.251, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Erste Stunde“.
11
wissenschaftliche Prinzipien der Sprache mit „universeller Gültigkeit“36, die jegli-
che wissenschaftliche Betrachtung der Sprache zu berücksichtigen hat:
Erstens das „Prinzip der Kontinutät in der Zeit“37 und im Raum38, welches als ers-
tes „Gesetz der Weitergabe menschlichen Redens“ besagt, dass es keinen „Bruch“39
oder „Sprung“40 in der Geschichte einer Sprache gibt, dass wir es vielmehr mit ei-
ner „unweigerlichen Ununterbrochenheit“41 zu tun haben, denn: „Jedes Indivi-
duum gebraucht am folgenden Tag dasselbe Idiom, das es am Vortag gesprochen
hatte, und dies hat sich schon immer so abgespielt.“42 Dieser Sachverhalt sei – ne-
gativ – durch zwei Irrtümer illustriert, welche Saussure im Zuge der Etablierung
dieses ersten Prinzips – in Anlehnung an Gaston Paris43 – entlarvt:
Den einen Irrtum bezeichne ich als Irrtum der genealogischen Abfolge verschie-
dener Sprachen. Er findet in solchen Formulierungen wie „Das Französische

36 Saussure (1997), S.258, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Zweite Stunde“.
37 Saussure (1997), S.251, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Erste Stunde“. Die Kur-
sivierung findet sich auch im Original. Soweit nicht anders erwähnt, finden sich sämtliche Hervor-
hebungen wie Nicht-Hervorhebungen in Zitaten auch in den Originalen wieder.
38 Ich werde hier eine genaue Erläuterung der Raum-Dimension der beiden Prinzipien unterlassen.
Die Prinzipien der Kontinuität und der Transformation beziehen sich analog zur chronologischen
auch auf die räumliche Distanz [vgl. Saussure (1997), S.271-277, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antritts-
vorlesung 1891. Dritte Stunde“] und räumliche wie zeitliche Dimension der Prinzipien „müssen,
wenn man eine exakte Sicht der Ereignisse haben will, immer auf einmal und nebeneinander be-
trachtet werden“ [Saussure (1997), S.251, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Erste
Stunde“], weil es sich um zwei Phänomene der „Weitergabe der menschlichen Rede“ handelt, die
per se eine räumliche und eine zeitliche Dimension hat. Genaugenommen ist die Veränderung im
Raum eine Konsequenz aus der Veränderung in der Zeit. In Saussures Notizen zum Cours III heißt
es dazu: Der „Veränderung in der Zeit [‚Temps’] [entspricht] immer auch eine Diversifizierung im
Raum.“ [Saussure (1997), S.390, N 23.1 „Notizen zu Cours III. Einteilung der Vorlesung und geo-
graphische Sprachwissenschaft“]. In den Gartenhausnotizen heißt es, es sei „dasselbe, die geogra-
phischen Unterschiede erklären zu wollen oder die Unterschiede zu untersuchen, die die Zeit der
Sprache [langue] beibringt, da es ja an jedem Punkt nur eine Veränderung [modification] in der
Zeit gibt.“ [Saussure (2003), S.178, [7] [Geographische Diskontinuität]] Vgl. auch Fehrs ausführli-
che Darstellung der Transformation der Sprache im Raum in Fehr (1997), S.80-86.
39 Vgl. Saussure (1997), S.252, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Erste Stunde“.
40 Vgl. Saussure (1997), S.259, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Zweite Stunde“.
41 Saussure (1997), S.252, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Erste Stunde“.
42 Ebd.
43 Vgl. Saussure (1997), S.253, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Erste Stunde“.
12
kommt vom Latein“44 oder auch in der Rede von „Mutter-Sprachen“ und „Tochter-
Sprachen“ seinen Ausdruck. Saussure hält dem entgegen:

„Das Französische kommt nicht vom Latein, sondern es ist das Latein, das La-
tein, das man zu einem bestimmten Datum und innerhalb bestimmter geogra-
phischer Grenzen spricht. Chanter kommt nicht von lateinisch cantare, son-
dern es ist das lateinische cantare.“45

Der andere Irrtum ist jener von der Sprache als Organismus, der geboren wird,
lebt und stirbt. Saussure zitiert Hovelacque als Vertreter dieser Auffassung46.
Saussure stellt klar, dass „in Wirklichkeit … die Sprache [‚langue’] nicht ein in der
Zeit definiertes und begrenztes Wesen“ ist, dass sie weder geboren wird noch stirbt
und zwar „aus einer Ursache [‚cause’], welche die innere Organisation dieser Spra-
che betrifft“47. Diese „innere Organisation“ der Sprache ist eine analogische und
wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit herausgearbeitet werden. Damit verbunden
ist die Annahme, dass wir es mit dem Sprachursprung nicht mit einem ursprüngli-
chen Vertrag, einer creatio ex nihilo zu tun haben können, weil jede langue in der
Aufnahme und Veränderung vorgängiger Sprachstrukturen existiert.48
Das zweite universelle Prinzip ist jenes der Transformation der Sprache in der
Zeit und im Raum. Und hiermit bewegen wir uns auf der Domäne des analogi-
schen (und des ihm entgegengesetzten phonetischen) Wandels. Zunächst scheint
dieses Prinzip in einem offensichtlichen Widerspruch zum Gesetz der Kontinuität
zu stehen. Saussure betont aber, dass „der Gesichtspunkt der Bewegung der Spra-
che in der Zeit“ „keinen Moment, denn hier liegt alles, dazu kommt, in Konflikt zu
sein mit der Einheit der Sprache [‚langue’] in der Zeit“49. Vielmehr befinden sich
diese beiden Prinzipien „in einer derart engen und evidenten Wechselbeziehung,
daß, sobald wir versucht sind, die eine zu verkennen, wir der anderen Unrecht
tun“50. Die Transformation ist nämlich niemals „Produktion eines neuen sprachli-

44 Saussure (1997), S.253, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Erste Stunde“.
45 Ebd.
46 Vgl. A. Hovelacque: La linguistique, 4. Auflage, Paris 1888 zitiert nach: Saussure (1997), S.255, N
1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Erste Stunde“: „Die Sprache [‚langue’] kommt zur
Welt, wächst geht unter und stirbt wie jedes organisierte Wesen“.
47 Saussure (1997), S.255 N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Erste Stunde“.
48 Vgl. unten, S.39f.
49 Saussure (1997), S.258, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Zweite Stunde“.
50 Saussure (1997), S.259, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Zweite Stunde“.
13
chen/linguistischen Wesens, das eine unterschiedene Existenz hätte, von dem, was
ihm vorangeht und was ihm folgen wird“51, sie ist niemals ‚Sprung’ oder ‚Bruch’,
sondern basiert immer auf der kreativen Anwendung der bestehenden Relationen,
die das System sprachlicher Zeichen zu einem bestimmten Zeitpunkt konstituie-
ren. So ist in der Transformation ein Moment der Ununterbrochenheit, der Konti-
nuität enthalten. Aus diesem Grund ist diese Transformation auch eine unmerkli-
che, sie ist nur mittels eines Vergleichs zweier voneinander weit entfernter (Zeit-)
Räume beobachtbar. Saussure hat dieses Phänomen sehr anschaulich mit der fol-
genden Anekdote dargestellt:

“Ein Original namens Boguslawski hat kürzlich in einer russischen Stadt die
Eröffnung einer neuen Art von Ausstellung ankündigen lassen: Es waren ganz
einfach 480 photographische Porträts, die alle dieselbe Person darstellen, ihn,
Boguslawski, und identisch, in derselben Pose. Seit zwanzig Jahren, mit einer
bewundernswerten Regelmäßigkeit, begab sich dieser Mann am Ersten und
am Fünfzehnten jedes Monats zu seinem Photographen … Ich brauche Ihnen
nicht zu sagen, daß wenn man in diesem Maße auf der Wand zwei Photogra-
phien nähme, die nahe beieinander liegen, man den gleichen Boguslawski hät-
te, daß aber, wenn man Nummer 480 und Nummer 1 nimmt, man zwei Bogus-
lawski hat.“52

Christian Stetter hat dieses Moment der Transformation in Anlehnung an Dilthey


und Stegmeier das Phänomen der Fluktuanz der Sprache getauft.53 Dieses univer-
sale, das Leben jeder Sprache bestimmende Prinzip der Fluktuanz ist ein schwer-
wiegendes Hindernis für die Konstitution eines Gegenstands der Sprachwissen-
schaft. Insofern wir es mit stetig wandelnden, d.h. in der Zeit nicht identischen
Phänomenen zu tun haben, wird es nahezu unmöglich, linguistische Gegenstände
oder Einheiten zu definieren.
Die begrifflichen Mittel der Saussureschen Semiologie54 werden ein Verständnis
der Hintergründe dieses grundlegenden ‚Gesetzes der Weitergabe menschlichen
Redens’ ermöglichen sowie uns die Begriffe für eine genaue Betrachtung des ana-
logischen Wandels der Sprache liefern. Zunächst widme ich mich aber von einer
anderen Seite dem Problem der vorwissenschaftlichen Konstitution sprachlicher
Einheiten.

51 Saussure (1997), S.258, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Zweite Stunde“.
52 Saussure (1997), S.257f, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Zweite Stunde“.
53 Vgl. Stetter (1997), S.129.
54 Vgl. Abschnitt 3.2.
14
3.1.2 Die Sprache: eine eigentümliche Institution
Die zweite fundamentale Annahme Saussures bezieht sich in direkter Weise auf
das grundlegende Problem der Konstitution des Gegenstands der Sprachwissen-
schaft, d.h. auf die Frage: Wie definiere ich Einheiten, Identitäten, die im Folgen-
den einer wissenschaftlichen Untersuchung unterzogen werden? Saussure war sich
– entgegen der sprachwissenschaftlichen Tradition – bewusst, dass die Beantwor-
tung dieser Frage die primäre Aufgabe ist, der sich die Sprachwissenschaft vor der
Entwicklung einer Wissenschaftstheorie und Methodologie und vor der konkreten
sprachwissenschaftlichen Forschung zu widmen habe. Im Unterschied zum jung-
grammatischen Paradigma der sprachwissenschaftlichen Forschung und dem vor-
herrschenden wissenschaftstheoretischen Konventionalismus55 war es dieser „er-
kenntniskritische Grundzug“56, der das Saussuresche Denken Zeit seines Lebens
prägte.
Die Notwendigkeit einer vorgängigen Bestimmung des Gegenstands der Sprach-
wissenschaft drängte sich Saussure deswegen auf, weil er erkannte, dass eine
Übernahme von Forschungsprinzipien aus den Naturwissenschaften nicht in Frage
kommt und zwar aus dem Grund, dass sich der Gegenstand Sprache von den Ge-
genständen der Naturwissenschaften wie auch anderer Geistes- und Sozialwissen-
schaften wesentlich unterscheidet. Diese Auffassung richtet sich gegen die jung-
grammatische Schule, die der Meinung war, dass die Sprachlaute unmittelbar
sinnlich gegeben seien und somit einer naturwissenschaftlichen Untersuchung der
Laute und ihrer Entwicklung nichts im Wege stand. Der Gegenstand Sprache ist
aber ein besonderer, und zwar weil er sich eben nicht auf Naturphänomene zu-
rückführen lässt.
Wiederholt taucht dieser Gedanke zum Beispiel in Saussures Entwurf zu einem Ar-
tikel über den US-amerikanischen Sprachforscher William Dwight Whitney (1827-
1894) auf57. Ausgehend von seiner Suche nach einer Rechtfertigung für die Rede
von der Identität eines Zeichens, also für eine Etablierung des Zeichens als einer
Entität, als eines identischen Gegenstands kommt Saussure immer wieder auf die-

55 Vgl. hierzu Jäger (1976), S.214-216.


56 Ein „erkenntniskritischer Grundzug“ macht das Denken schon des jungen Ferdinand de Saussu-
res aus. Es lässt sich anhand seiner Notizen eine ‚ausgeprägte Kontinuität’ dieses erkenntniskriti-
schen Denkens bis zu seinem Tode feststellen. Vgl. Jäger (2003), S.12 und 20 und Jäger (1975),
S.202ff.
57 N 10 „Notizen für einen Artikel über Whitney“: Saussure (1997), S.303-328.
15
sen besonderen Charakter der Sprache zurück: Im Anschluss an Whitney nennt er
die langage eine „menschliche Institution“58, was sie für die naturwissenschaftli-
che Betrachtung disqualifiziert. Außerdem sei diese Institution Sprache „ohne
Analogie“59 zu anderen Institutionen und unterscheide sich somit auch von ande-
ren Gegenständen der Geistes- und Sozialwissenschaften. So ist die Sprache „eine
menschliche Institution, aber von solcher Natur, daß alle andern menschlichen In-
stitutionen … uns nur täuschen können über ihre wahre Natur, wenn wir ihrer
Analogie trauen.“60
Auf welcher Eigenschaft beruht dieser außerordentliche Charakter der Sprache?
Saussure begründet den Sonderstatus der Institution des sprachlichen Zeichens
dadurch, dass die Verbindung von sprachlichen Zeichenformen und einer Vorstel-
lung61 nicht „auf NATÜRLICHE Bezüge … , auf eine Übereinstimmung zwischen den
Dingen als finales Prinzip“62 gegründet sei, sondern auf „die Unvernunft selbst“ 63:
Sprachliche Zeichen sind unabhängig von dem durch sie Bezeichneten, es gibt kei-
ne feste Beziehung zwischen signifiant und signifié64. Außerdem sind sowohl
signifiant als auch signifié in keinster Weise durch irgendein Prinzip fixiert oder
gar vorherbestimmt, denn: Zum einen ist der sprachliche Signifikant nicht selbst-
bedeutsam zum anderen gibt es auch keine transzendentalen Signifikate, keine au-
ßersprachliche Bedeutung.65
Im Vergleich zu anderen menschlichen Institutionen – Saussure nennt z.B. die
Mode, das Recht oder das Geld – lässt sich diese Besonderheit so darstellen:

58 Saussure (1997), S.314, N 10 „Notizen für einen Artikel über Whitney“.


59 Ebd.
60 Ebd.
61 Ich benutze hier die Termini einer mentalistischen Zeichentheorie der doppelten Repräsentation,
welche – knapp formuliert – besagt, dass ein Zeichen auf eine Vorstellung, einen Begriff verweist,
der wiederum auf ein außersprachliches Ding bezug nimmt.
62 Saussure (1997), S.314, N 10 „Notizen für einen Artikel über Whitney“.
63 Saussure (1997), S.318, N 10 „Notizen für einen Artikel über Whitney“.
64 Ich verwende hier und in diesem gesamten Abschnitt die Saussuresche Terminologie, wie sie
auch aus dem Cours bekannt ist. Diese Begrifflichkeit wird zwar mit einer traditionell-
repräsentationalen Zeichentheorie assoziiert [vgl. Anm. 61], allerdings geht Saussure in der Whit-
ney-note auch von einer solchen Abbildtheorie der Sprache aus, um schließlich die Notwendigkeit
ihrer Überwindung aufzuweisen.
65 Vgl. zu dem Begriff des transzendentalen Signifikats Derrida (1986), S.56 und unten Abschnitt
3.3.2.
16
Wir bedienen uns der Zeichen, dieser ‚besonderen Vereinigung’66 von signifiant
und signifié, zum Zwecke der Verständigung. Letztlich gibt es aber – aufgrund der
fehlenden Selbstbedeutsamkeit des Signifikanten – keine Notwendigkeit zum Zwe-
cke der Bezeichnung eines bestimmten Begriffs, wie z.B. dem Begriff ‚Kuh’ ein be-
stimmtes Zeichen zu verwenden:

„Die Institution irgendeines Zeichens, zum Beispiel σ oder s oder von cow oder
vacca, um die Vorstellung von Kuh [‚vache’] zu bezeichnen, ist auf die Unver-
nunft selbst gegründet; das heißt, daß es keine in der Natur der Dinge und in
ihrer Übereinstimmung [‚convenance’] begründete Vernunft/Ursache [‚rai-
son’] gibt, die in irgendeinem Moment eingreifen würde“.67

Dieser Einsicht kann jede Person folgen. Dazu muss sie sich allein die Existenz
verschiedener Sprachen vergegenwärtigen. Eine Institution wie die Mode hingegen
muss sich immer nach der natürlichen, physischen Beschaffenheit des menschli-
chen Körpers richten68, so dass wir für eine wissenschaftliche Betrachtung solcher
Institutionen eine feste Grundlage, ein „finales“ oder ‚erstes’ Prinzip69, haben, auf
der wir unsere Untersuchungen aufbauen können.
Wie schon erwähnt ist Saussure in seiner note über Whitney noch sehr einer rep-
räsentationstheoretischen Terminologie verhaftet, obwohl er dabei ist, dieses zei-
chentheoretische Paradigma zu sprengen. Gemäß einer mentalistischen repräsen-
tationalen Theorie der Sprache70 ließe sich – in Ermangelung eines ‚vernünftigen’
signifiants als ‚natürlicher’ Grundlage einer Sprachwissenschaft –, das Signifikat,
d.h. die ‚Vorstellung’, seinerseits als signifiant denken, welcher wiederum die Ge-
genstände repräsentiert, die letztenendes als fester ontologischer Grund für eine

66 Vgl. Saussure (1997), S.357 [N 15 „Item“] oder Saussure (2003), S.78, [2c] NATUR DES GE-
GENSTANDES IN DER SPRACHWISSENSCHAFT, wo es heißt, die sprachliche Tatsache sei „das
Ergebnis einer höchst besonderen Art von Vereinigung: insofern als es zwischen einem Zeichen
und dem, was es bedeutet, keine Gemeinsamkeit im Wesen gibt.“
67 Saussure (1997), S.318, N 10 „Notizen für einen Artikel über Whitney“.
68 Vgl. Saussure (1997), S.314, N 10 „Notizen für einen Artikel über Whitney“.
69Ebd.

70 Man kann von einer mentalistischen Abbildtheorie der Sprache sprechen, wenn das Zeichen in
ein Modell der doppelten Repräsentation dadurch definiert ist, auf eine Vorstellung bezug zu neh-
men, die sich wiederum auf einen Gegenstand oder Sachverhalt beziehen kann. Diesen Sprachbeg-
riff finden wir schon bei Aristoteles. Von einer realistischen Repräsentationstheorie der Sprache
spricht man, wenn die Zeichen so konzipiert sind, dass sie sich unmittelbar auf Gegenstände oder
Sachverhalte in der Welt beziehen.
17
Sprachwissenschaft bzw. zumindest für eine Semantik dienen könnten. Diesen
Weg geht Saussure aber nicht, er folgert vielmehr aus den bisherigen Überlegun-
gen das „gänzlich letzte Gesetz der Sprache“71. Es besagt, „daß es nichts gibt, was
dauernd in einem Term residieren kann (dies als direkte Folge des Umstands, daß
die sprachlichen/linguistischen Symbole keine feste Beziehung zu dem haben, was
sie bezeichnen sollen)“72. Das heißt, weil die Verbindung von signifiant und signi-
fié eine irrationale ist, eine ‚radikal arbiträre’73, gibt es demgemäß keinen fixen Be-
zugspunkt, oder – mit Saussures Worten – kein „finales Prinzip“, welcher das Kri-
terium für Identität eines Zeichens ist.74 Vielmehr haben wir zuallererst nur ver-
schiedene Gesichtspunkte und „sonst [ ] … ist es schlicht unmöglich, eine sprachli-
che Tatsache zu erfassen“75. In den „Notizen zu einem Buch über allgemeine
Sprachwissenschaft“ heißt es:

„Anderswo gibt es Dinge, gegebene Gegenstände, bei denen es einem freisteht,


sie hinterher unter verschiedenen Gesichtspunkten zu betrachten. Hier gibt es
zunächst Gesichtspunkte, richtige oder falsche [Hervorhebung von mir, A.P.],
aber einzig Gesichtspunkte, mit Hilfe deren man sekundär Dinge SCHAFFT.
Diesen Schöpfungen entsprechen Realitäten, wenn der Ausgangspunkt richtig
ist, oder sie entsprechen ihnen nicht im gegenteiligen Fall: Aber in beiden Fäl-
len ist kein Ding, kein Gegenstand auch nur einen Moment in sich selbst gege-
ben. Auch dann nicht, wenn es um die allermateriellste Tatsache geht, die am

71 Saussure (1997), S.323, N 10 „Notizen für einen Artikel über Whitney“.


72 Saussure (1997), S.323f, N 10 „Notizen für einen Artikel über Whitney“.
73 Nichts anderes besagt ja das Prinzip der Arbitrarität, als dass die Verbindung eines signifiant mit
einem signifié im Zeichen vollkommen frei von jeder vorgängigen Determination ist. Vgl. EC, S.152
III C 280 1123 (Das Kürzel ‚EC’ bezieht sich hier wie im restlichen Text auf die Édition Critique des
Cours [Saussure (1989).] Es werden bei dessen Zitation jeweils das Original in der Fußnote ange-
geben, wobei zuerst die Seitenzahl der Édition Critique, dann die Abschnittangabe des Vorle-
sungsmanuskripts und schließlich jene zum entsprechenden Abschnitt des Cours genannt wer-
den.): „Le signe linguistique est arbitraire. Le lien qui relie une image acoustique donnée avec un
concept déterminé … est un lien radicalement arbitraire.” Somit ist es also das Arbitraritätsprinzip,
welches den eigentümlichen Charakter der Sprache als ‘Institution ohne Analogie’ begründet.
74 Saussure betont übrigens selbst eine Verbindung, die zwischen dem Prinzip der kontinuierlichen
Transformation der Sprache und dem Charakter der Sprache als ‚Institution ohne Analogie’ be-
steht, wenn er sagt „daß vom Moment an, in dem ein System von Symbolen unabhängig ist von
den bezeichneten Objekten, es seinerseits unterworfen war, von der Tatsache der Zeit her, für den
Logiker unberechenbare Verschiebungen zu erleiden“ [Saussure (1997), S.311, N 10 „Notizen für
einen Artikel über Whitney“].
75 Saussure (2003), S.77, [2b] (Stellung der Identitäten).
18
offensichtlichsten in sich selbst definiert zu sein scheint wie zum Beispiel eine
Folge von stimmlichen Lauten.“76

Was ist nun der ‚richtige Gesichtspunkt’, von dem ausgehend man linguistische
‚Realitäten’ erschafft? Was ergibt sich unter diesen Bedingungen für die anfänglich
gestellte Frage nach der Bestimmung von identischen Gegenständen, von Entitä-
ten, die man einer sprachwissenschaftlichen Untersuchung zuführen kann? An-
hand welchen Kriteriums bestimmen wir sprachliche bzw. linguistische Einheiten,
wenn sowohl signifiant als auch signifié nicht als naturgegebene, unveränderbare
Basis fungieren können? Saussures Antwort findet sich in seiner note über Mor-
phologie unter der deutlichen Überschrift „Großes Prinzip“:

„Was in einem gegebenen Sprachzustand real ist, das ist das, dessen sich die
sprechenden Subjekte bewußt sind, es ist alles das, dessen sie sich bewußt
sind, und nichts als das, dessen sie sich bewußt sein können.“77

Weder von der Seite des signifiant noch von der Seite des signifiés aus kann Spra-
che also als auf Naturphänomenen basierend begriffen werden „weil in jedem Au-
genblick ihrer [der ‚langue’, A.P.] Existenz sprachlich nur das EXISTIERT, was
vom Bewußtsein wahrgenommen wird, d.h. was Zeichen ist oder wird.“78 Die Exis-
tenz der sprachlichen Einheiten ist eine psychologische. Linguistische Entitäten
lassen sich somit nur mit Rekurs auf das Bewusstsein der Sprachbenutzer bestim-
men, d.h. nur mit Rekurs auf das Zeichen als Synthese aus Laut und Bedeutung.
Denn: „Die Sprache [‚langue’] ist sich des Lautes nur als Zeichen bewußt“79. Es ist
also ein wesentlicher Gedanke Saussures, dass die Sprachbenutzer sich nur des
Zeichen als Ganzem bewusst sind, sie Bewusstsein nur von ‚Sinn-Formen’80, vom
Zeichenganzen haben. Saussure spricht auch von einer „Unklarheit und Vergeb-
lichkeit der Vorstellung eines Gegensatzes zwischen Laut und Vorstellung, der
Form und dem Sinn, dem Zeichen und der Bedeutung.“81 Dementsprechend
schließt er auf die Unmöglichkeit einer reinen Untersuchung der Sprachformen

76 Saussure (1997), S.300f, N 9.2 „Notizen zu einem Buch über allgemeine Sprachwissenschaft. Ge-
sichtspunkt“.
77 Saussure (1997), S.294, N 7 „Morphologie“.
78 Saussure (2003), S.106, [8] [Semiologie].
79 Saussure (1997), S.288, N 7 „Morphologie“.
80 Vgl. Saussure (2003), S.75, [1] Vorwort.
81 Saussure (1997), S.332, N12 „Zustand und Ereignis“.
19
und konstatiert: „Der wahre Name der Morphologie wäre: Theorie der Zeichen –
und nicht der Formen.“82
Christian Stetter spricht in diesem Zusammenhang vom „logisch-hermeneutischen
Gesichtspunkt“ den Saussure zur Geltung bringe, der besagt, „daß ein fait lingu-
istique nur existiere, sofern es als Zeichen von einem Sprecherbewußtsein artiku-
liert und verstanden wird, als Tatsache also, daß der Ausdruck x das und das be-
deutet.“83 Aus diesem Grund bezeichnet Stetter die Existenzweise der Sprache
auch als eine noumenale, d.h. im Gegensatz zu einer realistischen Seinsweise exis-
tiert Sprache nur im Verstand der sprechenden und verstehenden Subjekte, ist
„durch und durch idealer Natur“.84
Ich habe somit zwei grundlegende Erkenntnisse Saussures dargestellt – die konti-
nuierliche Transformation der Sprache in der Zeit und den noumenalen Charakter
des sprachlichen Zeichens – und damit den Horizont für alle weiteren Überlegun-
gen Saussures aufgespannt. Allerdings handelt es sich –wie oben schon angedeutet
– um denkbar ungünstige Ausgangsbedingungen für eine Grundlegung der Lingu-
istik: Eine Bestimmung diskreter, zeitlich abgegrenzter Entitäten ist durch die
kontinuierliche Transformation der Sprache einerseits wie durch ihren noumena-
len Charakter großen Schwierigkeiten ausgesetzt.
Am Ende seiner note über Whitney zieht Saussure aus dieser Problemlage Schluss-
folgerungen, welche den Ausgangspunkt für seine weiteren Überlegungen zur me-
tatheoretischen Grundlegung der Sprachwissenschaft darstellen:
1.) „Sprache [‚langage’] ist nichts mehr als ein besonderer Fall der Theorie der
Zeichen“, d.h. der Semiologie.
2.) Ein Zeichen ist „von seiner Natur her bestimmt …, übermit-
telt/weitergegeben [‚transmis’] zu werden“, d.h. es ist allein aufgrund sei-
ner Transmission existent.85

In den folgenden beiden Teilen der Arbeit werde ich Saussures Auseinanderset-
zung mit diesen beiden Schlussfolgerungen und die Ergebnisse seiner Überlegun-

82 Saussure (1997), S.288, N 7 „Morphologie“. Vgl. auch den Abschnitt 3.2.1, wo der Begriff des
sème eingeführt wird, der folgerichtig das Zeichen als synthetische Einheit von Form und Inhalt
bezeichnet.
83 Stetter (1997), S.206.
84 Vgl. Stetter (1997), S. 124 und S.221 und Stetter (1996), S.430.
85 Vgl. Saussure (1997), S.325, N 10 „Notizen für einen Artikel über Whitney“.
20
gen behandeln. In 3.1 wird Saussures Semiologie – wie er sie in den Notes Item
entwirft – dargestellt, im darauffolgenden Abschnitt werde ich mich schließlich
mit dem Phänomen der Analogie befassen, wobei der transmissive Charakter der
Sprachzeichen ebenso wie das Verhältnis von langue und parole konkretisiert
werden.86

3.2 Saussures Semiologie


Die folgenden Darstellungen der Saussureschen Semiologie werden vornehmlich
aus den Notes Item gespeist, welche das „semiologische Hauptstück“87 der Notizen
Saussures darstellen. In ihnen entwirft Saussure, aufbauend auf seinen grundle-
genden Einsichten zur Sprache, „das Projekt einer Semiologie als Begründungsba-
sis linguistischer Kategorien“88, um die entstandene Problematik des Gegenstands
der Linguistik in den Griff zu bekommen.

3.2.1 Das Prinzip der Differenz: Sème = Parasème


Saussure verortet – mit den Worten Chrisitan Stetter – den „systematischen
Grund“89 der ungünstigen Ausgangsstellung für eine Grundlegung der Linguistik
„in einem Begriff des sprachlichen Zeichens, welcher einem isolierten Ausdruck
eine ebenso isolierte Bedeutung zuordnet.“90 Bei diesem „semiotischen Mythos der
Repräsentation“91 handelt es sich um die einschlägige Zeichentheorie der philoso-
phischen Tradition, die von einer sprachvorgängigen Existenz von Lautformen so-
wie Bedeutungen als „transzendentales Signifikat“92 ausgeht– welches in der Regel
die Vorstellungen, die Gedanken sind, die auf die Welt der Gegenstände verweisen

86 Ich verwende diesen Gegensatz zwischen Sprachsystem und jedesmaligem Sprechen, analog zur
Verendung durch Saussure in seinen Genfer Vorlesungen. Vgl. Jäger (1976), S.232-236 und unten
S.25f.
87 Jäger (1986), S.7; Die folgenden Darstellungen zur Saussureschen Semiologie lehnen sich an die
Einsichten Ludwig Jägers an und nehmen dessen hermeneutische Weiterentwicklung der Saussu-
reschen Semiologie auf. Vgl. auch Jäger (1976), Jäger (1986), Jäger (2001).
88 Stetter (1997), S.210.
89 Stetter (1996), S.426.
90 Ebd.
91 Jäger (1986), S.22.
92 Vgl. Anm. 65.
21
–, die in der Kommunikation einer Sprachgemeinschaft konventionell verknüpft
werden, um als Mittel der nachträglichen Übertragung sprachvorgängiger Bedeu-
tungen zu dienen.93 Das Sprachzeichen ist hier lediglich Mittel der Nomenklatur
vorher erkannter Entitäten und Sachverhalte zum Zweck des interindividuellen
‚Transports’ der Bedeutungen und trägt zur Konstitution der Erkenntnisgegens-
tände nichts bei.
Saussure verabschiedet sich – an sein „Großes Prinzip“ anschließend – mit seiner
Semiologie vom dualen Zeichenbegriff und damit von einer instrumentalistisch-
repräsentationalen Zeichenidee, welche er zu den „grundlegenden Irrtümern“94
zählt, um diesen – wie Christian Stetter bemerkt – „durch ein Konzept differentiel-
ler Wertbestimmung zu ersetzen.“95 Die klassische Annahme von der Sprache als
einer Onymik96, einer „Nomenklatur von Objekten“, „von vorgängig gegebenen
Objekten“97 nennt er – ähnlich wie später Wittgenstein – das Resultat einer Ver-
allgemeinerung eines ‚falschen Beispiels’ - und zwar ‚des Plumpsten, was es in der
Semiologie gibt’98 – auf die Struktur der Sprache schlechthin. 99 Saussures Semio-
logie impliziert nun eine erkenntniskonstitutive Funktion der Sprache: Erst die
Sprache ermöglicht die Erkenntnis unterschiedener Gegenstände und Begriffe,
d.h. es gibt weder eine „dem Prozeß der Verständigung logisch (nicht zeitlich!)
vorausliegende Welt bestimmter Gegenstände und Sachverhalte“100 noch einen
„dem Prozeß der Verständigung logisch vorausliegenden, gleichsam transzenden-
ten Bedeutungsgrund bestimmter Begriffe oder Denkinhalte, den es in der Ver-
ständigung lediglich noch zu repräsentieren gälte.“101
Begriffe und Denkinhalte werden – wie die Lautformen auf der anderen Seite –
erst mit ihrer Vereinigung im Zeichen als differente, identische Formen und Beg-
riffe gebildet: „[I]n Wirklichkeit ist in der Sprache [langue] weder der Begriff noch

93 Vgl. hierzu auch Jäger (1986), S.22f.


94 Saussure (1997), S.361, N 15 „Item“.
95 Stetter (1997), S.212.
96 Vgl. Saussure (1997), S.360, N 15 „Item“.
97 Saussure (1997), S.338, N 12 „Zustand und Ereignis“.
98 Vgl. Saussure (1997), S.360, N 15 „Item“.
99 Saussure (1997), S.338, N 12 „Zustand und Ereignis“. Bei Wittgenstein heißt es in den Philoso-
phischen Untersuchungen (PU 593): „Eine Hauptursache philosophischer Krankheiten – einseitige
Diät: man nährt sein Denken mit nur einer Art von Beispielen.“
100 Jäger (1986), S.10.
101 Ebd.
22
die Form bestimmt; es gibt keine andere Bestimmung als die des Begriffs durch die
Form und die der Form durch den Begriff“.102 Paradoxerweise schafft also eine
synthetische Einheit des Zeichens, die dem Sprecher nur als Ganzes verständlich
ist, die er nur als Ganzes gebraucht, die Möglichkeit der – nachträglichen – Unter-
scheidung von Laut und Begriff, welche allerdings die Zerstörung des Zeichens
voraussetzt. Ich rekurriere hier auf eine Formulierung im Cours103, die Saussures
Auffassung sehr passend wiedergibt:

„Es ist nicht die charakteristische Rolle der Sprache gegenüber dem Denken,
ein lautliches materielles Mittel für den Ausdruck der Gedanken zu schaffen,
sondern als Vermittlerin zwischen dem Denken und dem Laut zu dienen, der-
gestalt, dass deren Vereinigung notwendig zu wechselseitigen Abgrenzungen
von Einheiten führt. Das Denken, von seiner Natur her chaotisch, wird ge-
zwungen, sich in seiner Zergliederung zu präzisieren. Es gibt also weder eine
Materialisation von Gedanken noch eine Vergeistigung von Lauten, sondern es
handelt sich um diese auf irgendeine Weise mysteriöse Tatsache, dass der ‚Ge-
danken-Laut’ Gliederungen mit sich bringt und dass die Sprache diese Einhei-
ten bildet, indem sie sich zwischen zwei amorphen Massen konstituiert.“104

Was Saussure im Cours den ‚Gedanken-Laut’ nennt, bezeichnet er in den Notes


Item als sème. An das ‚Große Prinzip’ anschließend, dass den Sprechern ein Zei-
chen nur als Ganzes, als bedeutsames Lautbild, bewusst ist105, geht er von der syn-
thetischen Einheit des Zeichens, einer „Vereinigung von besonderer Art“106 aus,
welche er sème tauft:

102 Saussure (2003), S.100, [6e] [Form – lautliche Figur].


103 Der Ausdruck Cours nimmt entweder auf CLG oder auf die tatsächlichen drei Vorlesungen be-
zug, wie sie in der Édition Critique wiedergegeben sind.
104 CLG, S.156 (Ich verwende das Kürzel ‚CLG’ mit Bezug auf den von Charles Bally und Albert Se-
chehaye herausgegebenen Cours de linguistique générale, der hier in der kritischen Ausgabe von
Tullio de Mauro zitiert wird [Saussure 1972].): “Le rôle caractéristique de la langue vis-à-vis de la
pensée n’est pas de créer un moyen phonique matériel pour l’expression des idées, mais de servir
d’intermédiaire entre la pensée et le son, dans des conditions telles que leur union aboutit nécessai-
rement à des délimitations réciproques d’unités. La pensée, chaotique de sa nature, est forcée de se
préciser en se décomposant. Il n’y a donc ni materialisation des pensées, ni spiritualisation des
sons, mais il s’agit de ce fait en quelque sorte mystérieux, que la ‘pensée-son’ implique des divisions
et que la langue élabore ses unites en se constituent entre deux masses amorphes.” [Übersetzung
von mir, A.P. Die folgenden Übersetzungen der Édition Critique des Cours sind auch alle von A.P.]
105 Vgl. oben Abschnitt 3.1.2.
106 Saussure (1997), S.357, N 15 “Item”.
23
„Item. Unter anderem beseitigt oder möchte das Wort sème beseitigen jede
Vorherrschaft und jede anfängliche Trennung zwischen der stimmlichen Seite
und der ideologischen Seite des Zeichens. Es stellt das Ganze des Zeichens dar,
das heißt Zeichen und Bedeutung in einer Art Persönlichkeit vereint.“107

Allerdings, betont Saussure, „wäre es falsch zu sagen, daß wir aus sème statt Zei-
chen eine sehr wesentliche Frage machen. – Die Wahrheit ist, daß parasème und
aposème wesentliche Begriffe sind.“108 Was hat es nun mit diesem Begriff des pa-
rasème auf sich?
Der Begriff des parasème folgt aus Saussures Kritik an den klassischen Repräsen-
tationstheorien, gegen die er nämlich das ‚Prinzip der Differenz’ formuliert. Saus-
sure redet schon in der Whitney-Note von sprachlichen Zeichen als Termen, die
„ihren Wert allein in ihrer gegenseitigen Differenz“ haben und keiner habe „nicht
einmal in einem seiner Teilchen (…), seine Bedeutung anderswo als in diesem Ge-
flecht [‚plexus’] ewig negativer Differenzen.“109 Und weiter:

„Es ist von absoluter, sogar apriorischer Evidenz, daß es niemals ein einzel-
nes/einziges Sprachfragment [‚fragment de langue’] geben wird, das auf etwas
anderes gegründet sein kann, im Sinne eines letzten Prinzips, als auf sein
Nichtzusammenfallen oder auf den Grad seines Nichtzusammenfallens mit
dem Rest“.110

Das parasème ist nun das sème in der Perspektive des Geflechts negativer Diffe-
renzen, welches die langue ist. Es ist ein durch sein ‚Nichtzusammenfallen’ mit
anderen parasèmes bestimmtes Zeichen, ein Wert, der durch die Opposition zu
anderen Werten, also durch Negativität bestimmt ist:111

„Item. Die parasèmes


Für irgendein Wort, das Teil der Sprache [‚langue’] ist, ist ein zweites Wort,
das mit dem ersten keinerlei ‚Verwandtschaft’ hat, ein parasème. Die einzige
und einfache Eigenschaft des parasème ist es, zu einem selben psychologi-
schen Zeichensystem zu gehören“112.

107 Saussure (1997), S.358f, N 15 “Item”.


108 Saussure (1997), S.359, N 15 “Item”.
109 Saussure (1997), S.324, N 10 „Notizen für einen Artikel über Whitney“.
110 Ebd.
111 Valeur/‚Wert’ ist der in den Genfer Vorlesungen benutzte Ausdruck für die Bezeichnung eines
Zeichens aus der Perspektive eines Systems von Differenzen.
112 Saussure (1997), S.361, N 15 “Item”.
24
Der Term ‚parasème’ steht also für das Zeichen als Element eines Zeichensystems.
Außerdem macht Saussure hier deutlich, dass es sich bei den parasèmes um Wör-
ter handelt und nicht um Sätze oder gar kleinere Einheiten als Wörter.113 In den
Notes Item lesen wir auch:

„Item. Während es eine Analyse braucht, um die Elemente des Worts festzule-
gen, resultiert das Wort nicht aus der Analyse des Satzes. Denn der Satz exis-
tiert nur in der Rede [‚parole’], in der diskursiven Sprache [‚langue discursi-
ve’], während das Wort eine Einheit ist, die außerhalb jedes Diskurses im men-
talen Schatz lebt.“114

Letztendlich handelt es sich also bei dem ‚Großen Prinzip’ und dem Differenzprin-
zip um zwei Seiten derselben Medaille. So schreibt Saussure: „Das sème existiert
nicht nur durch Phonismus und Bedeutung, sondern auch durch seinen Zusam-
menhang mit anderen sèmes.“115 Und an anderer Stelle wird die wesentliche Ver-
bindung der beiden Prinzipien noch deutlicher, wenn Saussure schreibt: Die
sprachlichen Identitäten zu einem bestimmten Zeitpunkt „sind durch das Verhält-
nis von Bedeutung und Zeichen oder durch das Verhältnis der Zeichen unterein-
ander festgelegt, was keinen Unterschied macht.“116 Folglich setzt Saussure also
sème mit parasème gleich, d.h jedes Zeichen als synthetische Einheit von signifi-
ant und signifié, jedes sème, existiert als solches nur als Teil eines Systems, d.h. in
Differenz zu anderen Zeichen. Es konstituiert sich als negative Größe in Oppositi-
on zu den anderen sème desselben Systems.
Wenn das sème qua parasème Bedeutung nur als Teil eines Systems hat, in Diffe-
renz zu den anderen Zeichen, drängt sich hier die Frage auf, wie wir uns dieses
System vorzustellen haben. Handelt es sich dabei um die langue des klassischen
Strukturalismus, der sich ja auf Saussure als seinen Gründer beruft, also um ein
fixes System von Zeichen, das allen Sprechern einer Sprache gemein ist und deren
Sprechhandlungen, die jeweilige parole, determiniert?117 Ich betrachte hier ja
Saussure als Kritiker der Zwei-Welten-Ontologie. Dementsprechend handelt es

113 Diese Bestimmung des parasème als Wort ist allerdings durchaus kritikwürdig und ließe sich
mit Saussures eigener Behauptung der Problematik traditioneller grammatischer Kategorien – wie
wir sie in Abschnitt 7.1 erläutern – ins Wanken bringen.
114 Saussure (1997), S.374, N 15 “Item”.
115 Saussure (1997), S.359, N 15 “Item”.
116 Saussure (2003), S.80, [2e] [Vier Gesichtspunkte].
117 Im CLG findet sich diese Bestimmung der Sprache als langue und der langue als ein „abstraktes,
überindividuelles System von Zeichen“ [Buss (2004), S.211].
25
sich bei der langue nicht um eine einseitig deterministische, hierarchische Auffas-
sung von Sprachsystem und Sprachgebrauch.
Entgegen einer solchen „unilateral-deterministische[n] Interpretation“118 des Ver-
hältnisses von langue und parole haben wir es vielmehr mit einem „Wechselspiel“
dieser beiden Aspekte von Sprache zu tun, mit einer Interdependenz von Parase-
mie und Diskurs. Dabei ist festzuhalten, dass wir es bei den parasèmes mit Einhei-
ten der individuellen Ebene zu tun haben, denn sie sind Teil eines „psychologi-
schen Zeichensystem[s]“119, eben der individuellen langue. Das Zeichen als para-
sème existiert nur im Subjekt, in der individuellen Psyche. Dem gegenüber befin-
det sich die soziale, überindividuelle langue, die langue als soziale Tatsache.120 In
ihrer sozialen Dimension ist die langue nun eben die Institution Sprache, das kon-
ventionelle System sprachlicher Gewohnheiten einer Sprachgemeinschaft, welches
intersubjektiv zugänglich ist.121. Sie lässt sich als mehr oder weniger große Über-
einstimmung der individuellen Parasemien verstehen, als die Tatsache, dass der
Gebrauch der sèmes mit einer gewissen Regelmäßigkeit, eben mit Kontinuität ver-
bunden ist.
Die langue qua Parasemie ist aber nicht ein für jeden Sprecher einer Sprache iden-
tisches Zeichengeflecht, ein fixes System, sie unterliegt vielmehr dem Phänomen
der kontinuierlichen Transformation, und ist nicht einmal an aufeinanderfolgen-
den Zeitpunkten für den jeweiligen Sprecher identisch.122 Saussure hält das Zei-
chen also für eine mentale Entität, aber eine solche – wie ich im folgenden Ab-
schnitt herausarbeiten werde –, „deren Genese fortwährend von den Bedingungen

118 Zur „unilateral-deterministische[n] Interpretation des Langue-Parole-Theorems“ vgl. Jäger


(1976), S.232f.
119 Vgl. Saussure (1997), S.361, N 15 “Item” und siehe oben S.24.
120 Es ist dies die langue als ein überindividuelles Zeichensystem wie sie einseitig im Cours zum
genuinen Objekt der Sprachwissenschaft, unter Ausschluss der parole, gemacht wurde und wie sie
darauf in der strukturalistischen Linguistik konzipiert wurde.
121 Entsprechend der Aufteilung der langue in eine individuelle und soziale, findet sich diese Auftei-
lung auch auf Seiten der parole, wobei die individuelle parole sich auf die individuelle Realisierung
eines Syntagmas auf der Basis einer Parasemie bezieht. Vgl. hierzu Jäger (1976), S.232-236 und
dort insbesondere das Kreuzklassifikationsschema auf S. 235.
122 Wie Mareike Buss bemerkt gelten die Prinzipien der Kontinuität und der ständigen Transforma-
tion „auch auf der ebene individueller Parasemien“ [vgl. Buss (2005), S.222]. Vgl. auch Jäger
(2001), S.22.
26
seiner interaktiven Prozessierung im Diskurs abhängen.“123 Das heißt, konstitutiv
für die Existenz des sème als parasème ist der interindividuelle Disurs, die parole.
Diese beiden grundlegenden Annahmen Saussures sollen noch näher beleuchtet
werden. Zu diesem Zweck muss zunächst der Begriff des aposème eingeführt und
sodann die Funktion des Diskurses, des intersubjektiven Gebrauchs für die Zei-
chenkonstitution behandelt werden.
Ich habe also die individuelle, psychische Existenz des Zeichens qua parasème
verdeutlicht. Saussure schreibt dazu: „Es gibt einen ersten – psychischen, inneren
– Bereich, in dem das Zeichen ebenso wie die Bedeutung existieren, das eine un-
trennbar mit dem anderen verbunden“. Allerdings, unmittelbar daran anschlie-
ßend heißt es: „es gibt einen zweiten, äußeren [Bereich, A.P.], wo nur noch das
‚Zeichen’ existiert, aber dann verdient das Zeichen, das auf eine Abfolge von
Schallwellen reduziert ist, für uns nur noch die Bezeichnung lautliche Figur.“124
Bei dieser ‚lautlichen Figur’, die im äußeren – im wahrsten Sinne des Wortes – in-
terindividuellen Bereich existiert, handelt es sich um das Aposème, dem wir uns
im folgenden Abschnitt widmen werden.

3.2.2 Das Aposème


Wir haben uns bisher mit dem Teil der Saussureschen Semiologie befasst, der sich
auf seine Ablehnung einer repräsentationalen Zeichentheorie und auf das „Große
Prinzip“ gründet und wurden so zum Prinzip der Differenz und dem Begriff des
sème/parasème geführt. Nun gilt es, die grundlegende Einsicht Saussures in den
Fluktuanzcharakter der Sprache zu berücksichtigen125, der Sprache als ‚werdende
Substanz’126 bestimmt. Wir müssen das ‚soziohistorische Phänomen’, die ‚unauf-
hörliche soziale Wirkung’, die den „Wirbel der Zeichen in der vertikalen Kolonne“
verursacht in Augenschein nehmen, um nicht irrtümlich die langue für ein fixes

123 Jäger (2005), S.8.


124 Saussure (2003), S.79, [2d] [Prinzip des Dualismus].
125 Vgl. Abschnitt 3.1.1. Würden wir an diesem Punkt stehen bleiben, die langue als ein soziales
Phänomen definieren, als ein gegebenes, überindividuelles System von Formen, das in der parole
seine Anwendung findet, ohne durch den Sprechakt beeinflusst zu werden, so haben wir in etwa die
Argumentation des Cours, der das Primat der Synchronie vor der Diachronie und der langue vor
der parole postuliert.
126 Vgl. Stetter (1997), S.129.
27
System zu halten.127 Der Begriff des aposème spielt eine wichtige Rolle bei dieser
Betrachtung. Ich werde hier kurz seine wichtigsten Charakteristika erläutern und
im folgenden Abschnitt die sprachkonstitutive Rolle des Diskurses, des Gebrauchs
und damit des aposème als einer diskursiven, sozialen Größe betrachten.
Während es sich beim parasème um das sème, das Zeichenganze, als Teil eines in-
dividuellen psychischen Zeichensystems handelt, also um eine psychische ‚Entität’,
bezieht sich der Begriff aposème auf die real erscheinende Zeichengestalt, im Falle
der oralen Sprache also auf die lautliche Erscheinung des Zeichens. Bei dem Aus-
druck ‚aposème’ handelt es sich somit gleichsam um einen medientheoretischen,
weil er sich auf die „Hülle des Zeichens“128 in ihrer medialen Erscheinungswirk-
lichkeit bezieht. Saussure entwickelt den Begriff gegen den des signifiant, welcher
ja noch einer repräsentationalen Zeichenidee verhaftet ist. Entgegen der Annahme
einer je autonomen Existenz der beiden Seiten des Zeichens signifiant und signi-
fié, liegt dem Begriff des Aposème keine Zerstörung des Zeichens zugrunde, denn
es ist die Hülle des synthetischen Zeichens und „nicht die Hülle einer Bedeu-
tung.“129 Es ist ein „von einem Zeichen abgeleitetes und abstrahiertes Ding oder
ein Ding, das seiner Bedeutung oder von Bedeutung entledigt ist“130, das also nicht
selbstbedeutsam ist. Im Gegensatz zur klassischen Opposition ‚Laut’ gegen ‚Bedeu-
tung’ setzt Saussure also sème und aposème in Opposition und unterscheidet da-
mit den ‚materiellen Laut’ gegen „die Gruppe Laut-Vorstellung“131 oder „lautliche
Figur“ gegen die „Sinn-Form“132 oder den ‚Gedanken-Laut’133. Ludwig Jäger redet
in diesem Zusammenhang von „zwei Aggregatzuständen“ der Lautseite des Zei-

127 Vgl. Saussure (1997), S.355f, N 15 “Item”. Dort wirft Saussure den Psychologen vor, Sprache als
fixe Form zu definieren, weil sie sich ausschließlich in dem, was Saussure „die horizontale Tranche
der Sprache [‚langue’]“ nennt, bewegen.
128 Saussure (1997), S.359, N 15 “Item”.
129 Ebd.
130 Ebd.
131 Vgl. Saussure (1997), S.302, N 9.2 „Notizen zu einem Buch über allgemeine Sprachwissenschaft.
Gesichtspunkt“: „Was dem materiellen Laut entgegengesetzt werden kann, ist die Gruppe Laut-
Vorstellung, aber nicht die Vorstellung.“
132 Vgl. Saussure (2003), S.75, [1] Vorwort: Es ist richtig, „lautliche Figur einerseits und Sinn-Form
[forme-sens] andererseits einander entgegenzusetzen.“
133 Vgl. oben S.23 und Anm. 104.
28
chens, zum einen als Element des psychischen sème und zum anderen als physi-
sche Erscheinung, als aposème.134
Der Witz des Aposème ist nun, dass es als materielle Erscheinung die Bedingung
der Möglichkeit interindividueller, sozialer Kommunikation ist, welche wiederum
der Ort der Konstitution der Zeichen qua parasème im Individuum ist. Damit ver-
körpert es die grundlegende Bedeutung der Sozialität, des Diskurses, der interin-
dividuellen parole für die Existenz der langue. Während also das sème qua para-
sème eine individuelle psychologische Größe ist kann man – so Saussure – „im
Diskursiven von aposèmes (von lautlichen Figuren [‚figure vocales’]) reden“135,
wobei zu berücksichtigen ist, dass eine wechselseitige Abhängigkeit zwischen bei-
den Seiten besteht: Das parasème konstituiert sich im interindividuellen Gebrauch
der aposème, die wiederum ‚Zeichenhüllen’ nur vor dem Hintergrund je individu-
eller Parasemien sind. Ohne diesen parasemischen Hintergrund, den individuellen
„trésor de la langue“ der Kommunizierenden wären sie allein Geräusch und Kom-
munikation käme nicht zustande.136 Aposèmes sind die in der parole, im diskursi-
ven Vollzug erscheinenden präsenten Lautgestalten, während die parasèmes ge-
gen die das verwendete aposème mit seiner Integration in eine Parasemie – sozu-
sagen mit seiner ‚Parasemierung’ – seine Bedeutung gewinnt, in Opposition zu de-
nen es semantisiert wird, virtuell in einer depräsenten, absenten Struktur existie-
ren, weil sie gerade nicht verwendet werden.137
Den sprachkonstitutiven Charakter des Diskurses, der parole, des sozialen Aspekts
der Sprache gilt es im nächsten Abschnitt genauer zu beleuchten.

134 Vgl. Jäger (2005), S.9 und Jäger (2001), S.21.


135 Vgl. Saussure (1997), S.359, N 15 “Item”.
136 EC S.376/383 R 2.23 2522=2560: “S’il est vrai que l’on a toujours besoin du trésor de la langue
pour parler, réciproquement, tout ce qui entre dans la langue a d’abord été essayé dans la parole un
nombre de fois suffisant pour qu’il en résulte une impression durable; la langue n’est que la
consécration de ce qui avait été évoqué par la parole.” Vgl. Buss (2005), S.221: „Kommunikation
wird also dadurch ermöglicht, daß die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft immer schon über
Netzwerke von Parasèmen verfügen, vor deren Folie sie die aktuellen Verwendungen von Aposè-
men im Diskurs verstehen bzw. interpretieren.“
137 Vgl. Jäger (2001), S.21
29
3.2.3 Der notwendig soziale Charakter der Sprache
Im Gegensatz zu einer zwei-Welten-ontologischen Konzeption der Sprache, welche
die langue als „die notwendige Bedingung für die Sprache [langage] darstellt“, und
somit diese als die „Anwendung“138 jener sieht, behauptet Saussure, man sehe

„daß eine durchgängige notwendige Reziprozität besteht und daß die Sprache
[langue] im Akt des Sprechens [act de langage] gleichzeitig ihre Anwendung
sowie ihre einzige und stete Quelle findet [] daß die Sprache [langage] gleich-
zeitig Anwendung und ständige Hervorbringung der Sprache [langue] ist,
nicht nur die Reproduktion und die Produktion“139.

Der Akt des Sprechens, mit anderen Worten der Diskurs oder die parole140 ist –
Saussure macht das hier ganz deutlich – nicht nur Anwendung, sondern „stete
Quelle“, Ort der „Hervorbringung“ und der „Produktion“ der Sprache, d.h. sowohl
der individuellen Parasemien als auch der überindividuellen langue.
Das aposème spielt bei dieser immerwährend im Diskurs stattfindenden Erschaf-
fung der langue eine grundlegende Rolle, weil es als lautliche Erscheinung den
materialen Mittler zwischen den Individuen spielt. Es bietet als bedeutungsloser,
nicht semantisierter Laut den kommunizierenden Individuen materiale „Anlässe
für mögliche Semantisierungen, d.h. kommunikative Deutungsangebote“141. Ihm
wird – durch die Intention des Sprechenden oder im Verstehen des Hörenden –
erst in der Integration in einen subjektiven parasemischen Sinnzusammenhang
Bedeutung gegeben. Jäger schreibt dazu:

„[K]onstitutiv für das Zustandekommen von Verständigung ist … das Aposème


insofern, als es die, sowohl vom Verständigungssubjekt gedeutete, als auch
vom Verständigungspartner zu deutende, in sich bedeutungslose ‚Hülle des
Sème’ darstellt, wobei die Rede vom ‚in sich bedeutungslosen’ Aposème her-
ausstellen soll, daß Bedeutung nichts ist was in irgend einer ominösen Weise
der physikalisch erscheinenden (‚ertönenden’) Lautgestalt anhaftet, sondern
ein Effekt, der sich bei der Deutung von Lautgestalten im Lichte subjektiver
Sinnhorizonte allererst einstellt.“142

Wir haben uns also den Kommunikationsvorgang wie folgt vorzustellen:

138 Vgl. Saussure (2003), S.164, [1] [Sprache [langage] – Sprache [langue] – Rede [parole]].
139 Saussure (2003), S.164 [1] [Sprache [langage] – Sprache [langue] – Rede [parole]].
140 Zur synonymen Verwendung der Ausdrücke ‚discours’ und ‚parole’ bei Saussure vgl. Bouquet
(2004), S.210-214.
141 Buss (2005), S.221.
142 Jäger (1986), S.18.
30
In der Intention des Sprechers wie im Verstehensvorgang des Hörers hängt sich
unser Geist an „Terme, die in sich null und nichtig sind“143, an aposèmes, und ver-
leiht ihnen, mit dieser Integration in ein Netz, ein System von Zeichen, Bedeutung.
Dabei können sich die Kommunikationspartner im übrigen niemals über den Grad
des Gelingens der Kommunikation sicher sein, dieser schwankt – im Falle „trans-
parenter“ Kommunikation – zwischen den Polen völligen Missverstehens, welches
ja immer noch ein Verstehen ist – und Verstehen.144 So die Kommunikationspart-
ner allerdings in einer Phase sind, in der sie das Zustandekommen eines Verste-
hens bezweifeln und die Kommunikation selbst thematisieren, um durch „seman-
tisches Mäandern“145 wieder einen gemeinsamen Ausgangspunkt der weiteren
Kommunikation zu finden, spricht man bei dieser Metakommunikation von einer
Störungt.146 Jede Verständigungshandlung wird so „zu einem kommunikativen
Ort, an dem die Interaktionspartner in einer spezifischen Weise an der Konstituti-
on des kommunizierten Sinns beteiligt sind“147, indem sie den ‚in sich null und
nichtigen Termen’, den aposèmes Bedeutung verleihen.
Saussure selbst hat eine solche Kommunikationstheorie nicht konkret ausgearbei-
tet, sondern mit seiner Semiologie den Anstoß dazu gegeben. Gleichwohl impliziert
diese Semiologie die Annahme der parole, des Diskurses als Ursprungsort der lan-
gue und Saussure hat diesen Gedanken an verschiedenen Stellen eindeutig zum
Ausdruck gebracht. So schreibt er:

143 Vgl. Saussure (1997), S.365, N 15 „Item“.


144 Es muss hier unterstrichen werden, dass, im Gegensatz zu vielen Kommunikationstheorien in
Bezug auf natürliche Sprachen, die sich an dem – technischen – Kommunikationsmodell von
Shannon und Weaver [vgl. Shannon (1949)] orientieren, von einem „Transport“ identischer Bedeu-
tung von A nach B nie gesprochen werden kann, weil sich zwei Parasemien – sowohl verschiedener
Personen als auch einer Person zu zwei Zeitpunkten – niemals gleichen.
145 Jäger (2001), S.23. Im Original kursiviert.
146 Bei der Störungt handelt es sich um „Unterbrechungen“ oder „Time-out-Phasen“, die der Klä-
rung der Redeintention dienen. Vgl. zu dieser Kommunikationstheorie, die – an Saussure anknüp-
fend –diese Störungt einerseits sowie die Transparenz andererseits als „die beiden Aggregatzustän-
de, die alle Prozesse medialer Sinn-Inszenierung durchlaufen“ [Jäger (2004), S.59] ansieht Jäger
(2004).
147 Jäger (2001), S.24.

31
„Welchen Gesichtspunkt man auch immer einnimmt, ein Wort existiert tat-
sächlich nur durch die Anerkennung [sanction], die ihm immer wieder durch
diejenigen zuteil wird, die es verwenden.“148

Ein jedes Wort, jedes sème existiert also nur durch die Anerkennung der Sprach-
benutzer, d.h. durch die wiederholte Verwendung des Zeichens.149 Andernorts in
Bezug auf das Zeichensystem, die langue, schreibt Saussure: „Implizites Element
[élement tacite], das alles andere hervorbringt; daß die Sprache [langue] unter den
Menschen zirkuliert, daß sie sozial ist.“150 Das individuelle Zeichen, das sème qua
parasème, wie das Zeichensystem als Ganzes sind also notwendig mit der Institu-
tion Sprache, mit dem – in Anlehnung an Wittgenstein – Gebrauch der Zeichen in
Sprachspielen einer Lebensform verbunden: „Nur das Zeichensystem, das etwas
Kollektives geworden ist, verdient den Namen eines Zeichensystems, ist ein Zei-
chensystem“151.
Mit Christian Stetter lassen sich nun zusammenfassend zwei „Grundtatbestände“
für Saussures „Konzeption der ‚langue’“ festhalten:

„S1: Jede sprachliche Einheit (‚terme’) ist Element (‚parasème) eines Systems
von Zeichen (‚langue’).“
„S2: Die Etablierung einer parasemischen Relation geschieht in der paro-
le.“152

Die parole ist die ‚korrelative Instanz der langue’, sie ist „der Ort der sozialen Ar-
beit am ‚jedesmaligen’ System“153. Das aposème bildet dabei gewissermaßen die
Gelenkstelle von parole und Parasemie, ist Zentrum des immerwährenden Wech-
selspiels von langue und parole. Wie sich Saussure die stetige Genese der Sprache
in der parole vorstellt und wie dabei die Freiheit der Sprachbenutzer, ihre Kreati-
vität mittels Analogiebildungen, den Fluktuanzcharakter der Sprache ausmacht,
werden wir im nächsten Unterkapitel betrachten, wo die ‚soziale Arbeit am jedes-

148 Saussure (2003), S.151, [29b] [Differenz und Entitäten].


149 Gleichzeitig verunmöglicht diese Wiederholung, qua Iteration, die Identität eines Zeichens. Vgl.
Abschnitt 3.3.2.
150 Saussure (2003), S.159, [3] [Grundlegende Elemente – Laut als solcher – Satz/Ritus – sprachli-
che Einheit (Zeichen-Laut-Bedeutung)].
151 Saussure (2003), S.173, [5] [Zeichensystem – Gemeinschaft].
152 Stetter (1997), S.212.
153 Stetter (1996), S.429.
32
maligen System’ in Form der analogischen Transformation in den Blick genom-
men wird.

3.3 Analogie
Auf der Basis der dargelegten semiologischen Grundeinsichten Saussures lassen
sich die Gründe des zu Anfang eingeführten Phänomens der kontinuierlichen
Transformation der Sprache nun folgendermaßen fassen: Da das sème/parasème
sich allein durch Negativität, durch sein Nichtzusammenfallen mit anderen Ter-
men des Systems bestimmt, weil das Zeichen „auf die Unvernunft selbst gegrün-
det“154, d.h. arbiträr ist, gibt es keinen positiven Fixpunkt des sème, es hat seine
Identität allein im Bewusstsein der Sprachbenutzer, im wiederholenden Gebrauch
der aposèmes. In der sozialen Zirkulation ändert sich – wie wir unten sehen wer-
den – das aposème eines sème notwendigerweise phonetisch, und die langue als
Ganzes analogisch155, weil es keinen Fixpunkt der Zeichen – weder als ein präe-
xistentes Bezugnahmeobjekt noch als Selbstbedeutsamkeit der Lautformen – gibt.
Also wird jede Parasemie und damit auch die Sprache als Institution vielmehr im
sozialen Gebrauch, in ihrer Anwendung notwendig verändert.
So erklärt sich nun auch die Kontinuität: Um die Sprache zur Verständigung nut-
zen zu können müssen die Sprachbenutzer von der Kontinuität identischer Zei-
chen ausgehen, das ist Bedingung der Möglichkeit von Kommunikation. Dieses
Bewusstsein der Identität eines Zeichens schafft nun wiederum das Zeichen als
Identisches, bedingt aber auch seine Veränderbarkeit.
In der Analogie finden wir die Wechselbeziehung zwischen langue und parole,
zwischen Parasemie und Sprechakt, zwischen Transformation und Kontinuität
expliziert als bewusste Kreation neuer Zeichen durch den Sprachbenutzer. Die
analogische Veränderung nennt Saussure entsprechend das „principe général des
creations de la langue”156 und er schreibt:

154 Saussure (1997), S.318 , N 10 „Notizen für einen Artikel über Whitney“.
155 Die analogische Transformation ist ein Wandel der langue und kein Wandel eines aposèmes
(=phonetischer Wandel) oder sèmes. Vielmehr handelt es sich um eine Kreation von sèmes wie wir
weiter unten sehen werden.
156 Vgl. EC, S.374 I R 2.19 2510. Ich werde im Folgenden verstärkt auf den Cours zurückgreifen,
denn in den Genfer Vorlesungen hat Saussure sich sehr ausführlich mit der Analogie befasst.
33
„[I]rgendeine langue zu irgendeinem Zeitpunkt ist nichts anderes als eine
weitreichende Verflechtung von Analogiebildungen, die einen absolut frisch,
die andern so weit zurückgehend, daß man sie nur erraten kann.“157

Jede existierende Sprache ist also jeweils das Ergebnis vergangener analogischer
Kreationen.
Saussure unterscheidet den analogischen schon in seiner Genfer Antrittsvorlesung
vom phonetischen Wandel. Dieser ist ein nicht-intendierter Wandel der das sème
allein von der Perspektive des aposème, der Lautseite betrifft, d.h. die physiologi-
sche und physische Seite des Zeichens – oder wie Saussure es auch nennt: den
„Kadaver des Wortes“158 – verändert. Er ist somit unbewusst, wird – im Gegensatz
zum analogischen Wandel – nicht bewusst zur Innovation in der langue einge-
setzt, mit anderen Worten: er passiert schlicht und einfach. Saussure bezeichnet
ihn deshalb auch als „rein mechanische Operation“ 159, die nicht von Sinn geleitet
ist, weil sie ja auch nur die bedeutungslose ‚Hülle des Zeichens’ betrifft.
In den Notes Item heißt es dazu:

„Item. Die sprechenden Subjekte haben nicht das geringste Bewußtsein von
den aposèmes, die sie aussprechen, nicht mehr als von der reinen Vorstellung
auf der anderen Seite. Sie sind sich nur des sème bewußt. Das ist es, was die
vollständig mechanische Veränderung des aposème durch die Jahrhunderte
sicherstellt.“160

Der phonetische Wandel war zu Saussures Zeit zentraler Gegenstand der Sprach-
wissenschaft. Die junggrammatische Schule versuchte vornehmlich, Gesetze für
den Wandel der Laute, für den mechanischen Ablauf der Lautverschiebungen auf-
zustellen.161 Denn der Lautwandel „schlägt blindlings alle Formen der langue, in
welchen sich der fragliche Laut vorfindet, und bietet folglich das Merkmal der ma-

157 Saussure (1997), S.263, N 1.2 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Zweite Stunde“.
158 Vgl. EC, S.375 I R 2.21 2514, wo Saussure über den phonetischen Wandel sagt: „On n’a pas le
concours d’une autre forme ou du sens du mot; je ne dois invoquer ni l’un ni l’autre; C’est purement
le cadavre du mot qui passe de φιλοτερος à φιλτερος.“
159 Vgl. Saussure (1997), S.261, N 1.2 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Zweite Stunde“.
160 Saussure (1997), S.364, N 15 „Item“.
161 Vgl. Putschke (1984).

34
thematischen Regelmäßigkeit“162, was ihn zu einer ‚naturwissenschaftlichen’ Un-
tersuchung prädestiniert.163
Gegenüber dem hier kurz skizzierten phonetischen Wandel gilt es nun die analogi-
sche Transformation der Sprache zu betrachten. Eine nähere Betrachtung des
phonetischen Wandels ist hier nicht nötig, weil die beiden Arten der sprachlichen
Transformation voneinander unabhängig stattfinden. So schreibt Saussure, dass
„die eine [die Sprache transformierende Operation] … in vollkommen unabhängi-
ger Weise von der anderen wirkt, ausgenommen in ein paar sehr speziellen Fällen,
die zwar sehr viel Beachtung fanden, aber wirklich ungewöhnlich sind.“164

3.3.1 Analogie als „Phänomen der intelligenten Transformation“


Saussure führt die Analogie im Cours als eine Art Reaktion der langue auf den
phonetischen Wandel ein. Da der phonetische Wandel als rein mechanische Ver-
änderung ‚blindlings’ alle Formen der Sprache, die den betreffenden Laut enthal-
ten, „ohne Rücksicht auf ihre Funktion im jeweiligen System betrifft, zerstört er
dessen Ökonomie“165. Denn durch ihn wird „die Summe der existierenden Formen
in der langue … vergrößert“166. Die analogischen Veränderungen sind dagegen „ei-
nigend und arbeiten gegen die phonetischen Veränderungen“167, indem sie –wie
wir sehen werden – in der langue Symmetrien wiederherstellen.168

162 Saussure (1997), S.265, N 1.2 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Zweite Stunde“.
163 Dass es sich dabei um eine pseudonaturwissenschaftliche Untersuchung handelt, hat Saussure
stets betont. Denn die Einheiten der Untersuchung, d.h. die Laute sind als identische nicht natürli-
cherweise gegeben, sondern werden stets durch einen gewählten Gesichtspunkt „erschaffen“, sind
„das Ergebnis einer verborgenen Operation des Geistes“, nämlich eben das Ergebnis des Verste-
hens des Zeichenganzen durch das Sprecherbewusstsein. Vgl. oben Abschnitt 3.1.2 und Saussure
(2003), S.81f, [3a] [Sich dem Gegenstand nähern] und Saussure (1997), S.296f, N 9.1 „Notizen zu
einem Buch über allgemeine Sprachwissenschaft. Ausgangspunkt“.
164 Saussure (1997), S.269, N 1.2 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Dritte Stunde“.
165 Stetter (1992), S.516.
166 Vgl. EC, S.365 I R 2.5 2457: “Le résultat le plus général du changement phonétique est une
action différenciatrice. La somme des formes existant dans la langue est augmentée.”
167 EC, S.365 I R 2.5 2458: “[L]es changements analogiques sont unificateurs et travaillent à
l’encontre des changements phonetiques.”
168 Dies nur in dem Fall, dass die analogisch neu gebildete Form eine alte ersetzt. Wie wir unten
sehen werden dient die Analogie aber auch der Neubildung von Formen, welche zwar in Symmetrie
zu bestehenden kreiert werden aber auch die Summe der Worte in der langue vergrößern.
35
Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal zwischen phonetischen und analogi-
schen Wandel ist, dass es sich entgegen dem ‚mechanischen’ phonetischen Wandel
beim analogischen um eine kreative, intelligente Operation handelt, eine bewusste
Handlung, die der Intentionalität der Sprecher geschuldet ist. Mit anderen Wor-
ten: Während der phonetische Wandel allein ein Wandel des aposèmes, des
‚Wortkadavers’ ist, handelt es sich beim analogischen Wandel um einen Wandel
des sèmes, bzw. – wie wir sehen werden – um die Schöpfung, die Kreation eines
neuen sèmes/parasèmes und damit um ein grammatisches Phänomen169:

„Item. Sehr darauf achten, daß es im analogischen Wandel keinen Wandel des
aposème gibt. Das Paradox löst sich bereits auf, wenn man statt ‚Wandel des
aposème’ ‚Wandel des aposème eines Worts’ oder ‚des aposème eines sème’
sagt. Man schafft ein anderes sème, ein parasème (zu dem natürlich ein apo-
sème gehört). Es gibt keinen Wandel eines Teils des ersten sème. Der Wandel
ist vollständig im Bereich des sèmes. Er wird ganz vom Sinn geleitet.“170

Beim „Wandel des aposème eines sème“ handelt es sich um den phonetischen
Wandel, der mechanisch und sinnlos ist. Die Kreation eines neuen
sèmes/parasèmes, die analogische Kreation, ist dagegen ‚vom Sinn geleitet’, die
Sprecher gehen bewusst und intentional vor. Ihr intentionaler Charakter, die Tat-
sache, dass sie dem Bewusstsein eines intelligenten Sprechers geschuldet ist, legt
auch den Ort der Betrachtung der Analogie fest: Dies ist die parole, der interindi-
viduelle Diskurs, in dem freie intelligente Individuen kommunizieren. Um die „un-
aufhörliche, alltägliche Kreation in der langue“171, welche die Analogie ist, verste-
hen zu können, müssen wir uns also notwendigerweise auf die Ebene der parole,
den Ort der ‚Hervorbringung’, der ‚Produktion’ der langue begeben172, denn: „Alle

169 Vgl. SM 57 II,18 R2. 19-25 [‚SM’ steht hier und im Folgenden für die Sources Manuscrites du
Cours de linguistique générale, Godel (1957)]: “Pour distinguer le phénomène analogique du
phénomène phonétique, il ne suffit pas d’en reconnaître la nature psychologique: il faut voir que la
création analogique est d’ordre grammatical, c’est-à-dire qu’elle s’exerce sur des formes associées
aux idées quèlles expriment“. Zum ‚grammatischen’ Charakter der Analogie vgl. Kapitel 7.
170 Saussure (1997), S.363, N 15 „Item“.
171 Vgl. EC, S.369 II R 148 2481: „Une autre erreur proprement linguistique, une autre grosse lacune
qui devait plus tard se combler, c’est qu’elle, la première linguistique, a fait extrêmement peu atten-
tion à tout l’ordre de phénomènes qui constituent la création incessante, journalière dans la langue:
je veux parler d’analogie.”
172 Vgl. EC, S.376 I R 2.23 2520: „Il faut … ce mettre en face de l’acte de la parole pour comprendre
une création analogique.” Und vgl. oben S.29f.
36
Veränderungen [modifications], seien es phonetische oder grammatische (analogi-
sche), entstehen einzig und allein in der Rede [dans le discursif].“ 173
Wie haben wir uns die analogische Kreation nun genauer vorzustellen?
Betrachten wir zunächst eine Definition Saussures:

„Eine analogische Form ist eine nach dem Bild einer anderen kreierte Form.
Analogischer Wandel findet statt, wenn für eine bestehende traditionelle Form
eine andere durch Assoziation gebildete eingesetzt wird.“174

Wie findet dieser Wandel nun statt und was heißt es, dass das neue sème durch
Assoziation’ gebildet wird?
Im ‚Drama’ der analogischen Innovation spielen drei Personen mit:
1. „der bis dahin weitergegebene, vererbte, legitime Typ.
2. der Konkurrent
3. eine Kollektivperson: die Formen, die den Konkurrenten hervorbrin-
gen.“175
Wir haben z.B. den Typ honor, der im Laufe der Zeit honos als Nominativ Singular
des entsprechenden Substantivparadigmas (honos/honor, honoris…) ersetzte.176
Saussure beschreibt dieses Phänomen, das mit Lautwandelgesetzen nicht erklärt
werden kann, mithilfe der genannten ‚drei handelnden Personen’, die in diesem
Fall wären: 1.) der traditionelle Typ honos, 2.) der Konkurrent honor und 3.) das
mit honor assoziierte Paradigma – im wahrsten Sinne des Wortes177 – orator, ora-
toris. Als Darstellungsweise des analogischen Wandels wählt Saussure für gewöhn-

173 Saussure (2003), S.160, [4] [Die Rede, Ort der Veränderungen – Unterteilungen dieses Buches].
Zur hier von Saussure vollzogenen – wie sich herausstellen wird paradoxen – Gleichsetzung von
‚grammatischer’ und ‚analogischer’ Veränderung vgl. Abschnitt 7.
174 EC, S.365 I R 2.13 2460: “Une forme analogique est une forme créée à l’image d’une autre. Il y a
fait [sic], changement analogique, quand à une forme traditionnelle existante on en substitue une
autre créée par association.” Vgl. auch SM 57 I,17 R2.5-19.
175 Vgl. EC, S.370 I R 2.13 2489:
“C’est un drame à trois personnages:
1. le type transmis jusqu’alors, héréditaire, légitime.
2. le concurrent
3. un personnage collectif: les formes qui ont engendré le concurrent.”
176 Vgl. zu diesem Beispiel Vgl. EC, S.365 I R 2.7 2462-2463.oder EC, S.370 I R 2.13 2490-2492.
177 ‚Paradigma’ kommt von griechisch παράδειγµα, was mit Beispiel, Vorbild übersetzt wird.
37
lich die „Formel der vierten Proportionalen“178: orator : oratoris = x : honoris. Die
gesuchte Form x, welche sich bei einer Analogiebildung am Beispiel von orator,
oratoris ergibt, ist folglich honor.
Bei genauerem Hinsehen wird nun deutlich, dass das überlieferte Wort keine Rolle
bei der Kreation des neuen Worts spielt. Obwohl Saussure dies in seinen Genfer
Vorlesungen durch die Verwendung entsprechender Beispiele nahelegt, ist es kein
wesentliches Merkmal der analogischen Kreation, dass das neu erschaffene Wort
in Konkurrenz zu einem bestehenden, traditionellen Typ tritt. Allein die Schaffung
eines Wortes aufgrund des Vorbildes eines anderen macht das Phänomen der Ana-
logie aus. Eine zu ersetzende Form ist weder für eine analogische Bildung notwen-
dig – weshalb Saussure im übrigen auch den Terminus der analogischen Trans-
formation, des analogischen Wandels ablehnt und ihm die Ausdrücke ‚Kreation’
und ‚Innovation’ vorzieht179 – noch findet sie sich bei allen analogischen Bildun-
gen. Im Gegenteil kann man davon ausgehen, das die Kreation neuer Wörter, die

178 Vgl. EC, S.366 I R 2.6 2464: „Pour trouver la nouvelle forme créée par analogie avec d’autres oun
pour exprimer cette analogie, on se sert de la formule de la quatrième proportionnelle“. Schon in
seiner Genfer Antrittsvorlesung wählt Saussure diese Darstellungsweise. [Vgl. Saussure (1997),
S.262 & 265, N 1.2 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Zweite Stunde“.] Mit dieser Erläu-
terung der sprachlichen Analogie durch eine geometrische Formel kehrt das Etikett ‚Analogie’ wie-
der in seine Heimat zurück. Denn ‚Analogie’ war „ursprünglich ein Begriff der Mathematik, der in
der pythagoreischen Schule entwickelt wurde“ und so sprach man bei der „Gleichheit von Verhält-
nissen“ von einer ‚geometrischen Analogie’. [Vgl. Schwarz (1971), Sp.214.] Bei der ‚Vierten Propor-
tionalen’ handelt es sich nun um eine geometrische Formel zur Bestimmung der Länge einer Stre-
cke mithilfe der Strahlensätze, also auf der Basis einer ‚Gleichheit von Verhältnissen’. Sie hat die
Form: a : b = c : x.
179 Vgl. hierzu EC, S.371 I R 2.13 2491: “La forme héréditaire est la seule qui ne participe pas à la
formation du nouveau type. On ne peut parler de transformation puisque la prémière forme est
absente dans la conscience au moment où s’opère cette soi-disant transformation.” Vgl. auch EC.
S.374 I R 2.16 2508: „[C]ette conception [des changements analogique, A.P.] est incorrecte: les
formations que nous qualifions de changements reposent sur le même principe que la création.”
Vgl. EC, S.374 I R 2.16 2508. Vom analogischen Wandel lässt sich nur in Hinblick auf die langue
als Ganzes sprechen. Vgl. Saussure (2003), S.154, [29g] [Analogischer Wandel]: „Der ‚analogische
Wandel’, den man insofern mit dem Lautwandel vergleicht, als er der zweite Faktor der Transfor-
mation der langue in der Zeit sein soll, kann damit nicht verglichen werden und ist kein Wandel
[changement]. Er ist dann sehr wohl für die langue ein Wandel [changement], wenn man sie als
eine einzige Masse auffaßt, oder für das allgemeine Verhältnis von Gedanke und Ausdruck, wenn
man uns beweist, daß dieses Verhältnis der zentrale Gegenstand ist, dessen Spur der Sprachwissen-
schaftler versucht im zeitlichen Verlauf zu folgen“.
38
nicht alte Typen ersetzen, häufiger stattfindet als der von Saussure zumeist bei-
spielhaft genannte Fall der Konkurrenz eines alten und neuen Worts.180 Saussure
gebraucht diese Beispiele im Cours, weil er die Analogie in Anschluss an und im
Vergleich zum phonetischen Wandel betrachtet. Dass die Konkurrenz zweier For-
men für die Analogiebildung nicht notwendig ist, war Saussure aber durchaus be-
wusst:

“Es ist die Verdrängung der traditionellen Form, welche die Illusion eines
Wandels erweckt; nun ist aber das Schicksal dieser Form, sein Verschwinden
oder seine Erhaltung eine von der Tatsache der Analogie unabhängige Tatsa-
che. Es ist gleichgültig, ob die neue Form in Konkurrenz zu einer existierenden
Form tritt oder ob sie nichts zu ersetzen hat …: In beiden Fällen gibt es eine
Kreation, oder besser: Innovation, neue Kreation, ausgehend von bereits ge-
gebenen Elementen“.181

An anderer Stelle nennt Saussure die Analogiebildung eine „Dekomposition“ der


Einheiten der langue, der parasèmes, auf welche eine „Rekomposition“, die Er-
schaffung neuer Wörter anhand der gewonnenen Elemente folgt. So schreibt er in
seiner note zur Morphologie:

„Wenn neue Formen auftauchen, spielt sich alles, wir haben es gesehen, über
die Dekomposition der existierenden Formen ab und über Rekomposition an-
derer Formen mittels Materialien, welche von den ersteren [den dekomponier-
ten existierenden Formen, A.P.] geliefert werden. (…)
Aber niemals ist es der Sprache [‚langue’] möglich, eine Form so mir nichts,
dir nichts und durch einen wirklich schöpferischen Akt zu erschaffen. Immer
stammen die Elemente der neuen Form aus dem bestehenden Fonds. Weil
sich nun dieser Fonds aus Worten zusammensetzt und nicht aus Suffixen,
Wurzeln etc., braucht es immer, um neues zusammenzusetzen, eine vorgängi-
ge und geheime Dekompositionsarbeit.“182

180 Vgl. hierzu Schneider (1992), S.343: „Darüber hinaus ist nach dieser Auffassung der konstitutive
Fall, d.h. derjenige, in dem der neue Gebrauch durch schon vorhandene ‚wörtliche’ Formulierungen
nicht ersetzbar ist, für natürliche Sprachen sowohl charakteristisch als auch quantitativ gesehen
der durchaus überwiegende und in diesem Sinne der ‚normale’ Fall.“ Vgl. hierzu auch unten Ab-
schnitt 5.2.
181 SM 57 I,17 R2.5-19: “C’est l’éviction de la forme traditionnelle qui donne l’illusion d’un change-
ment; or le sort de cette forme, sa disparition ou sa conservation, est un fait indépendant du fait de
l’analogie. Il est indifférent que la forme nouvelle entre en concurrence avec une forme existante ou
n’ait rien à remplacer …: dans les deux cas, il y a création, ou mieux: innovation, création à nou-
veau, à partir d’éléments déjà donnés. C’est seulement si l’on envisage l’ensemble de la langue
qu’on peut parler de changement.” Vgl. auch EC, S.372f I R 2.16 2500-2509.
182 Saussure (1997), S.292, N 7 „Morphologie“. Hier erwähnt Saussure auch, „daß sich die Formen,
die als Ausgangspunkt für Neubildungen dienten, ihrerseits nicht anders als mittels anderer For-
39
Sehr schön wird diese analogische Kreation mit dem Terminus „parasemische
Schöpfung“ veranschaulicht.183 Der ‚bestehende Fonds’, aus dem die Sprecher die
Formen zu Zwecken der sprachlichen Innovation schöpfen, ist ja die langue, bzw.
das jeweilige im sozialen Diskurs entwickelte parasemische Netzwerk eines Spre-
chers. Das neu kreierte Wort wird durch die bestehenden parasèmes zur Welt ge-
bracht.
Parasèmes sind nach Saussure Worte und nicht kleinere Einheiten wie Suffixe,
Wurzeln etc. aber auch keine Sätze.184 Die Elemente des Wortes erschließen die
Sprecher in der analogischen Kreation durch Analyse, sie zerlegen die Wörter auf-
grund ihrer Relationen untereinander, indem sie z.B. ein Flexionsparadigma mit
einem anderen vergleichen. „Wir gehen immer mittels Proportionen vor … Es ist
demnach immer das gemachte Wort, das unsere grundlegende Einheit ist.“185 Aus
den gemachten, d.h. verwendeten und verstandenen Wörtern lösen die Sprecher
sämtliche Elemente heraus, die sie zur Bildung eines neuen Zeichens benötigen.
D.h. es wird im eigentlichen Sinne nichts Neues kreiert, denn alle Elemente sind
bereit Teil der langue, wir haben es vielmehr allein mit einer neuartigen Kombina-
tion bestehender Elemente zu tun:

„Es wird also nie eine Schöpfung ex nihilo geben, sondern jede Erneuerung
wird nur die neue Anwendung von Elementen sein, die vom vorangehenden
Sprachzustand [‚état de langage’] geliefert werden. So kommt es, daß die ana-
logische Erneuerung, die in gewisser Weise sehr destruktiv ist, dennoch nie-

men, welche die Sprache [‚langue’] analysiert hatte, bilden konnten.“ Somit ist das Problem des
Sprachursprungs nicht von dem des Sprachwandels zu unterscheiden.
183 Vgl. Saussure (1997), S.363, N 15 „Item“. Hier setzt Saussure auch die „parasemische Schöpfung“
vom „parasemischen Einfluß“ ab, arbeitet diesen Unterschied allerdings nicht weiter aus und hat
arge Zweifel, ob ein solcher überhaupt gerechtfertigt ist. Hinter dem parasemischen Einfluss steckt
der Gedanke, dass ein sème sich durchaus ändern kann, ohne dass seine Hülle, das aposème, dieses
erkennen lässt. Das sème wird ein anderes, „ohne daß wir erkennen würden, daß es ein anderes
sème ist“. Diese ‚vollständige Veränderung’ des Sinns eines sème kann z.B. Effekt des metaphori-
schen Gebrauchs eines parasème sein. Wir werden auf diese Problematik am Ende dieser Arbeit
zurückkommen. Vgl. Abschnitt 7.1.
184 Die Einheiten der langue sind – nach Saussure – Wörter, während wir es nur im Diskurs, in der
parole mit Sätzen zu tun haben. Vgl. Saussure (1997), S.374f, N 15 „Item“ und oben S.25.
185 Saussure (1997), S.294, N 7 „Morphologie“.

40
mals etwas anderes macht, als die Kette der seit dem Ursprung der langues
überlieferten Elemente fortzusetzen, ohne sie je zerreißen zu können.“186

In der analogischen Kreativität als grundlegendem Prinzip des sprachlichen Wan-


dels spiegelt sich auf diese Weise die ‚enge und evidente Wechselbeziehung’ zwi-
schen Transformation und Kontinuität wieder, das der Sprache wesentliche Zu-
sammenspiel der Destruktion einer bestehenden langue mit ihrer Fortsetzung, ih-
rer Erhaltung.187
Morphologische Einheiten existieren also immer nur als Elemente des ‚gemachten
Wortes’ d.h. als Elemente verwendeter, verstandener Spracherscheinungen. Dem
Linguisten ist es nur möglich, die morphologischen Einheiten ex post, aus der
nachträglichen Analyse von Neubildungen und Analogien zu erhalten. So antwor-
tet Saussure folgerichtig auf die Frage, wie man die Existenz einer morphologi-
schen Einheit einer Sprache beweist: „Wie in allen solchen Fällen sind es die Neo-
logismen, das heißt Formen, in welchen sich die Aktivität der Sprache [‚langue’] in
einem einwandfreien Dokument zeigt“188.
Und er kommt zu dem Schluss:

„Die morphologische Analyse des Grammatikers wird in dem Maße nicht als
Abstraktion gelten können, als sie sich mit der Analyse der Sprache [‚langue’]
im Einklang befindet, die in den Neologismen und Analogiebildungen belegt
sind.“189

Allerdings handelt es sich bei der langue nicht um einen fixen Fundus von Ele-
menten, aus dem stetig neue Wörter komponiert werden, sondern der Fluktuanz-
charakter der Sprache bringt eine „kapitale Tatsache“ mit sich, die es zu berück-
sichtigen gilt: „daß nämlich die Analysen, welche die Analyse der langue selbst zu
einem bestimmten Moment wiedergeben, nicht notwendig den Analysen entspre-
chen, welche diese in einem vorhergehenden Zustand vorgenommen hatte.“190 Ne-
ben anderen Ursachen nennt Saussure hier den phonetischen Wandel. So gliederte
sich z.B. früher cantor in can-tor, wohingegen chanteur sich heute chant-eur glie-

186 Saussure (1997), S.262 N 1.2 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Zweite Stunde“.
187 Vgl. oben S.14.
188 Saussure (1997), S.290, N 7 „Morphologie“.
189 Ebd.
190 Saussure (1997), S.295, N 7 „Morphologie“.
41
dert.191 Daraus folgt für die Analyse der langue, d.h. für die Analyse die sich im
Sprachgebrauch der Sprecher, in ihren kreativen Neubildungen zeigt, nach der
sich wiederum der Linguist zu richten hat: „Alles hängt folglich von der reziproken
Situation der verwandten Formen zu einer gegebenen Epoche ab. Die Analyse ist
nur für eine bestimmte Zeit wahr.“192
Die Sprecher schöpfen also zum Zwecke der Neubildung von Zeichen, „aus den be-
reits gemachten Worten193“, gewinnen aus der Analyse dieser Worte Elemente, aus
denen sie neue Wörter bilden. In diesem Akt kreieren sie – mittels einer Rekom-
position bereits existierender Elemente – neue parasèmes und transformieren so
die langue als Ganzes. Aus welchem Grund aber, unter welchen Umständen, kreie-
ren Sprecher neue Wörter? Die Sprecher improvisieren das neue Wort in der paro-
le, weil im kommunikativen Kontext der Bedarf besteht, etwas auszudrücken, für
das es entweder kein vorhandenes sème gibt oder aber der Sprecher dasselbe nicht
kennt. So nennt Saussure die neu gebildete Form eine „von der parole, von der Not
hervorgerufene Form“.194 Aus dem Grund zeigt sich die analogische Kreativität re-
gelmäßig bei kleinen Kindern, die, weil sie viele Formen noch nicht gehört oder
benutzt haben und ihr Gedächtnis auch nicht in der Lage wäre, alle zu behalten,
gezwungen sind, „Zeichen fortwährend selbst herzustellen“195. Will das Kind z.B.
mitteilen, jemand habe gerufen, ohne die stark flektierte Vergangenheitsform von
‚rufen’ vorher gehört bzw. gelernt zu haben, so bildet es diese selbst analogisch
nach dem Muster er sagt : er sagte = er ruft : x. So wird es also etwa sagen: „Papa
rufte.“
Diese analogische Kreation ist von Sinn geleitet, vom Bedürfnis des Sprechers, z.B.
des Kindes, etwas zu kommunizieren, was es bisher konkret noch nicht gelernt hat.
Oder auch: Er möchte etwas ausdrücken, für das es keine standardisierte Form
gibt.

„Jede Neuerung entsteht durch Improvisation im Sprechen (und geht von dort
entweder in den inneren Schatz [trésor intime] des Hörers oder in den des

191 Vgl. ebd.


192 Saussure (1997), S.295, N 7 „Morphologie“.
193 Saussure (1997), S.292, N 7 „Morphologie“.
194 Vgl. EC, S.384 I R 1.22 2562: “On pourrait appeler la nouvelle forme: forme évoquée, suscitée
réellement par la parole, par le besoin”.
195 Saussure (1997), S.263, N 1.2 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Zweite Stunde“.
42
Sprechers ein, sie entsteht aber somit im Zusammenhang der gesprochenen
Sprache [langage discursif].“196

Die Feststellung einer wichtigen Beschränkung des Saussureschen Analogiebeg-


riffs – dem aufmerksamen Leser dürfte es diese längst aufgefallen sein – ist nach
der ausführlichen Darstellung der Analogie angebracht: Die analogische Kreation
operiert bei Saussure allein auf der Ebene der Morphologie, nur die Kreation neuer
Wörter durch die innovative Kombination bestehender Morpheme gilt als Analo-
gie. Ich werde in Kapitel 7 darauf zurückkommen.

3.3.2 Iteration, Fluktuanz, Analogie


In diesem Unterkapitel machen wir einen kleinen Exkurs zu Jacques Derrida,
um darauf hinzuweisen, dass das Konzept der Différance bzw. der Iterabilität,
das dieser ja u.a. aus einer dekonstruktivistischen Lektüre des Cours ge-
winnt197, beim authentischen Saussure schon enthalten ist, dass – wie es Lud-
wig Jäger ausdrückt – Saussure nicht der Begründer, sondern vielmehr einer
der „grundlegendsten Kritiker“ der „modernen, strukturellen Linguistik“ ist198
oder – mit Johannes Fehr gesprochen – „dass Saussure den Poststrukturalis-
mus schon antizipiert hat, noch ehe er zum Vater des Strukturalismus ausgeru-
fen werden konnte.“199
Derridas Projekt ist das einer Dekonstruktion der klassischen abendländischen
Philosophie, der „Präsenzmetaphysik“ oder des „Logozentrismus“. Er führt den

196 Saussure (2003), S.160, [4] [Die Rede, Ort der Veränderungen – Unterteilungen dieses Bu-
ches].
197 Wir werden uns hier vornehmlich auf den Begriff der Iterierbarkeit beziehen, der mit dem diffé-
rance-Konzept stark verwandt ist, wenn diese Begriffe nicht sogar synonym sind. Vgl. zur différan-
ce Derrida (2004), besonders S.121-130 und zu Derridas Saussure-Lektüre auch Derrida (1974),
Kapitel 2: Linguistik und Grammatologie, S.49-129. Derrida unterzieht mit seiner „Saussure-
Lektüre“ allerdings nur die dogmatisierte Saussure-Interpretation des Strukturalismus einer aus-
giebigen Kritik, setzt sich aber z.B. mit den Notes Item gar nicht auseinander, weswegen es sich
auch um eine Cours- und um keine Saussure-Lektüre handelt. [Vgl. Lagemann, Jörg (1998): Dem
Zeichen auf der Spur. Derrida – Eine Einführung, hg. von Klaus Gloy, Aachen, S.96ff.]
198 Vgl. Jäger (1976), S.213: Es sei „geboten, sich bei Saussure aufzuhalten. Nicht bei Saussure als
dem ‚großartigen Anstoß der modernen, strukturellen Linguistik’, sondern bei dem authentischen
Saussure als gleichsam einem ihrer grundlegendsten Kritiker.“
199 Fehr (1992), S.54.
43
Charakter dieser Philosophie auf den ihr inhärenten Zeichenbegriff, auf das signe
(signum) als Einheit von signifiant (signans) und signifié (signatum) zurück:

Durch das Beibehalten der im wesentlichen und im rechtlichen Sinn strengen


Trennung zwischen signans und signatum sowie der Gleichstellung von
signatum und Begriff bleibt von Rechts wegen die Möglichkeit offen, einen
Begriff zu denken, der in sich selbst Signifikat ist, und zwar aufgrund seiner
einfachen gedanklichen Präsenz und seiner Unabhängigkeit gegenüber der
Sprache, das heißt gegenüber einem Signifikantensystem. (…) Er erfüllt die
klassische Forderung nach einem, wie ich es genannt habe, „transzendentalen
Signifikat“, das von seinem Wesen her nicht auf einen Signifikanten verweist,
sondern über die Signifikantenkette hinausgeht, und das von einem bestimm-
ten Zeitpunkt an nicht mehr die Funktion eines Signifikanten hat.200

Die Annahme eines transzendentalen, präsenten, fixen Signifikats, eines Signifi-


kats, mittels dessen sich die Identität eines Zeichens positiv bestimmen lässt, ist
also eng mit dem Logozentrismus verknüpft. Derrida versucht nun – wie Fehr
schreibt – „aufzuzeigen, dass Saussures Theorie im Verhältnis zu dieser Tradition
eine komplexe, wenn nicht eine paradoxe Stellung einnimmt“201. So ist Derrida der
Meinung, dass Saussure „sich an einer Grenze befindet: in der Metaphysik, die es
zu dekonstruieren gilt, und zugleich jenseits des Zeichenbegriffs (Signifi-
kat/Signifikant), dessen er sich noch bedient.“202 Saussure habe mit seiner Abkehr
von einem absoluten, präsenten Signifikat hin zum Differenzprinzip den richtigen
Weg eingeschlagen, indem er „den differentiellen und formellen Charakter der
semiologischen Funktionsweise hervorgehoben“203 und die Identität eines Zei-
chens als eine negative, als eine durch Opposition zu anderen Zeichen konstituier-
te, herausgestellt hat.
Deshalb schließt Derrida einerseits mit dem Konzept der différance an das Prinzip
der Differenz an, kritisiert aber andererseits Saussures Verhaftetbleiben am dualen
Zeichenbegriff, welcher ja per se die Möglichkeit eines transzendentalen Signifi-
kats bedingt.204 Aus diesem dualen Zeichenbegriff folge nun ein Kommunikations-
begriff, „der in der Tat eine Transmission impliziert; eine Transmission, die darin

200 Derrida (1986), S.55f.


201 Fehr (1992), S.40.
202 Derrida (1974), S.128, Anm.38.
203 Derrida (1986), S.54.
204 Derrida hätte nur die Notes Item lesen müssen, um zu sehen, dass Saussure die Problematik des
dualen Zeichenbegriffs bewusst war und er versuchte, sie mit einer neuen Terminologie zu über-
winden.
44
besteht, daß die Identität eines bezeichneten Objekts, eines Sinns oder eines Beg-
riffs, die von Rechts wegen vom Übergangs- und Bezeichnungsvorgang selbst ab-
getrennt werden können, von einem Subjekt zum anderen weitergeleitet werden
soll.“205
Die Derridasche Kritik des dualen Zeichenbegriffs verläuft also analog zur oben
geschilderten Kritik des authentischen Saussures an der Nomenklatur-Auffassung
der Sprache.206 Dennoch nimmt Derrida für sich in Anspruch, über Saussure hi-
nauszugehen und eine Radikalisierung des Prinzips der Differenz, bzw. seine ‚ko-
härente Anwendung’207 zu betreiben, indem er behauptet, „daß wir jeden Bezeich-
nungsvorgang als ein formales Spiel von Differenzen anzusehen haben. Dabei
handelt es sich um Spuren.“208 Mit anderen Worten: Die Identität eines Zeichens
beruht nicht allein auf der Relation zu den anderen Zeichen desselben Systems, auf
der Differenz, sondern auch auf seiner Funktion als Spur, mit der die Verwendung
eines Zeichens einerseits durch vorherige Verwendungsweisen bestimmt ist und
andererseits nachherige Verwendungsweisen bestimmt. Die Spur des zitierten Zei-
chens, die Spur vorheriger Kontexte der Zeichenverwendung ist notwendige Be-
dingung der Identität eines Zeichens. Es ist somit die Historizität des Zeichens,
sein sozialer Charakter, der sich in der Weitergabe des Zeichens zwischen Perso-
nen zeigt, seine wiederholte Verwendung, die das Zeichen allererst konstituiert.
Eine jede wiederholende Verwendung eines Zeichens trägt dabei die Spur vorher-
gehender Verwendungsweisen in sich, wiederholt das Zeichen in gewissem Maße,
wobei es jedoch notwendig verändert wird und gilt als Regel für die zukünftige
Verwendung.
Bei Derrida klingt das so:

„Die différance bewirkt, daß die Bewegung des Bedeutens nur möglich ist,
wenn jedes sogenannte ‚gegenwärtige’ Element, das auf der Szene der Anwe-
senheit erscheint, sich auf etwas anderes als sich selbst bezieht, während es
das Merkmal [marque] des vergangenen Elementes an sich behält und sich
bereits durch das Merkmal seiner Beziehung zu einem zukünftigen Element
aushöhlen läßt, wobei die Spur sich weniger auf die sogenannte Zukunft be-
zieht als auf die sogenannte Vergangenheit und die sogenannte Gegenwart
durch eben diese Beziehung zu dem, was es nicht ist“.209

205 Derrida (1986), S.62.


206 Vgl. oben Abschnitt 3.2.1.
207 Vgl. Derrida (1986), S.66.
208 Derrida (1986), S.66.
209 Derrida (2004), S.125.
45
Derridas Terminus der Iterabilität beschreibt dieses grundlegende Prinzip der Zei-
chenkonstitution sehr treffend: Iterierbarkeit ist die Verknüpfung der Wiederhol-
barkeit mit gleichzeitiger Veränderung: „[I]ter, nochmals, kommt von itara, an-
ders im Sanskrit“ und Derrida benutzt den Term zur „Ausbeutung dieser Logik …,
die die Wiederholung mit der Andersheit verknüpft“210.
Bedingung der Möglichkeit der Selbstidentität eines Zeichens ist nach Derrida wi-
dersprüchlicherweise die Iterabilität, die zugleich die Selbstidentität des Zeichens
verunmöglicht, weil sie ja Andersheit impliziert. Iterabilität – d.h. variierte Wie-
derholung – konstituiert die „Einheit der signifikanten Form“211, den type, der
wiederum als Regel für seine Iterabilität gilt. „Weil nämlich [die] Einheit der signi-
fikanten Form nur durch ihre Iterabilität konstituiert wird“212 und „jede Wiederho-
lung zugleich mit einer Andersheit verbunden“213 ist, ist das zeichenkonstituieren-
de Prinzip gleichzeitig das, was ihre Identität unmöglich macht. Zeichen werden
also allererst durch ihre Sozialität, durch ihre Weitergabe oder Zitation konstitu-
iert und dadurch wiederum notwendig verändert.
Derridas Gegenentwurf zum zweistelligen hierarchischen Zeichenbegriff kann als
„Modell des unendlichen Verweises“214 oder „Modell der Signifikantenkette“215 be-
zeichnet werde. Jeder Signifikant verweist in seiner Iteration auf vorherige Ver-
wendungen wie auch auf die anderen Elemente im Zeichensystem, so dass „sich
jedes ‚Element’ … aufgrund der in ihm vorhandenen Spur der anderen Elemente
der Kette oder des Systems konstituiert.“216 Deshalb ist der Ausdruck ‚Signifikan-
tenkette’ irreführend und sollte besser durch ‚Gewebe’ oder ‚Text’ ersetzt werden,
wie auch Derrida es vorschlägt.217

„Kein Element kann je die Funktion eines Zeichens haben, ohne auf ein ande-
res Element, das selbst nicht einfach präsent ist, zu verweisen, sei es auf dem
Gebiet der gesprochenen oder auf dem Gebiet der geschriebenen Sprache. Aus
dieser Verkettung folgt, daß sich jedes ‚Element’ … aufgrund der in ihm vor-

210 Derrida (2001), S.24.


211 Derrida (2001), S.29.
212 Ebd.
213 Krämer (2001), S.226.
214 Vgl. Lagemann (1998), S.122.
215 Vgl. ebd., S.124.
216 Derrida (1986), S.67.
217 Vgl. ebd.
46
handenen Spur der anderen Elemente der Kette oder des Systems konstituiert.
Diese Verkettung, dieses Gewebe ist der Text, welcher nur aus der Transfor-
mation eines anderen Textes hervorgeht. Es gibt nichts, weder in den Elemen-
ten noch im System, das irgendwann oder irgendwo einfach anwesend oder
abwesend wäre.“218

Wie ich oben herausgearbeitet habe, finden sich diese wesentlichen Merkmale
der Zeichenkonstitution sowie das damit verbundene Problem, die Identität ei-
nes Zeichens zu bestimmen, schon bei Saussure: die Ablehnung des dualen Zei-
chenbegriffs, der notwendig soziale Charakter des Zeichens in der Weitergabe
und damit verbunden die Historizität der Sprache, die eine Kontinuität der
langue – auf sozialer wie individueller Ebene – in ‚evidenter Wechselbezie-
hung’ mit ihrer Transformation impliziert.
Das folgende Zitat Saussures zur kontinuierlichen Transformation der Sprache in
der Zeit z.B. könnte sich auch als eine Charakterisierung der Iterabilität in Derri-
das Texten finden: „Die Kontinuität schließt die Tatsache der Veränderung, die ei-
ne Verschiebung von Werten ist, mit ein.“219
Mareike Buss hat nun das Konzept der Spur – zweifellos in Anlehnung an Derrida
– auch auf Saussure übertragen, indem sie auf der Basis der wechselseitigen Kon-
stitution von parole und langue diese als ein „System von Gebrauchsspuren“ cha-
rakterisiert hat. Ich folge hier dieser Argumentation:
„In den individuellen parasemischen Strukturen des ‚inneren Schatzes’ eines
Sprechers oder Hörers sind die Spuren vormaliger Zeichenverwendungen ver-
zeichnet – Gebrauchsspuren.“220 Auf diesen Gebrauchsspuren wandelnd orien-
tieren sich die Sprecher an den bisherigen Zeichenverwendungen, wobei sie in
der jeweiligen Anwendung die Spur mehr oder weniger verändern. In der paro-
le findet die Konstitution wie Erneuerung der Spur statt, die gleichzeitig Vor-
aussetzung der Sprech- oder Verstehenshandlung ist:

„Die langue ist als System von Gebrauchsspuren der sich stets verändernde
Hintergrund, vor dem die kommunikativen Akte der Sprechergemeinschaft
ablaufen. (…) Die durch den Sprachgebrauch sanktionierten Sprachverwen-
dungen wirken auf das parasemische Netzwerk zurück, indem sie übliche Zei-

218 Derrida (1986), S.66f.


219 Saussure (1997), S.402, N 23.6 “Notizen zu Cours III. Notwendigkeit der Veränderung der Zei-
chen: Synchronie und Diachronie”.
220 Buss (2005), S.222.
47
chenverwendungen sedimentieren und verstärken, während das System durch
neue, unübliche Verwendungen verändert wird.“221

Die Analogie lässt sich auch vor diesem Hintergrund als ein grundlegendes Prinzip
der sprachlichen Fluktuanz, der Iterabilität des Sprachzeichens ausmachen. Mit
der analogischen Kreation bewegen sich die Sprecher auf den Spuren der je vor-
gängigen langue, indem sie aus einer Analyse ihrer je individuellen Parasemien
schöpfen, um im gleichen Zug die soziale wie individuelle langue im selben Zug zu
verändern.
Mit dem Gedanken der Konstitution, der Genese der langue im Diskurs, welcher
wiederum als Anwendung derselben gilt, kurz: mit der Konzeption der notwendi-
gen Iterierbarkeit des Zeichens und der langue als ein System von Gebrauchsspu-
ren lässt sich – wie Mareike Buss anmerkt – die Hierarchisierung von Regel und
Anwendung im Zwei-Welten-Modell ins Wanken bringen:

„Die traditionelle dichotomische Hierarchie von langue und parole, also das
Grundaxiom des ‚Zwei-Welten-Modells’ gerät damit ins Wanken, denn nicht
das System hat Vorrang vor den einzelnen Sprechakten, sondern es besteht ei-
ne Wechselwirkung zwischen den beiden Instanzen“.222

4 Vom Diskurs zum Sprachspiel


Ich habe oben ausführlich die Saussuresche Semiologie als Gegenkonzeption zur
Zwei-Welten-Ontologie herausgearbeitet. Dabei habe ich mich auf die analogische
Kreation neuer Spracheinheiten als Ort der Veränderung der langue durch die pa-
role konzentriert, als den Ort, an dem mittels des aposème als Gelenkstelle zwi-
schen parole und Parasemie die langue von ihrer individuellen wie von ihrer so-
zialen Seite verändert wird. Damit habe ich die Unzulänglichkeit einer Hierarchi-
sierung von Kompetenz und Performanz erwiesen, die Auffassung vom jedesmali-
gen Sprechen als Deformation der reinen Sprache als verfälschend herausgestellt.
Vielmehr ist es ja die Deformation, die eine Form erst konstituiert.
Im Folgenden werden wir uns Wittgenstein widmen, vor allem seinen Philosophi-
schen Untersuchungen. Eine deutliche Parallele im Denken Saussures und Witt-
gensteins ist die Kritik des dualen Zeichenbegriffs. Christian Stetter sieht auch eine
klare Parallele Wittgensteins zu Derrida, der – wie gerade gezeigt – in seinen An-

221 Buss (2005), S.223.


222 Ebd.
48
sichten zum sprachlichen Zeichen stark Saussure ähnelt, wenn er behauptet, „daß
die Sprachkritik Wittgensteins in den Philosophischen Untersuchungen dadurch
eine neue Qualität erhält, daß sie zur Metaphysikkritik wird in Form der Destruk-
tion des repräsentativen Zeichenbegriffs. Die erste Bedingung dafür, daß sie so ‚zu
sich selbst’ kommt, ist die endgültige Überwindung der Abbildtheorie.“223
Wie in Abschnitt 3.2.3 herausgearbeitet ist jede Sprache notwendig sozial. Der
Grund liegt in der „innere[n] Nichtigkeit [‚nullité’] der Zeichen“224, im Arbitrari-
tätsprinzip des Zeichens, welches – mit Stetter gesprochen – „zur transzendenta-
len Bedingung des Gebrauchsprinzips der Bedeutung“225 wird. Entsprechend heißt
es bei Wittgenstein: „Jedes Zeichen scheint allein tot … Im Gebrauch lebt es.“226
Saussure hat uns nun nicht nur mit dem Differenzprinzip und dem parasème das
begriffliche Werkzeug für ein psychologisches Verständnis der Sprachbenutzer ge-
liefert, sondern auch den engen Zusammenhang der Bedeutung eines Wortes mit
seinem Gebrauch, seiner Funktion gesehen:

„Wir setzen keinen ernsthaften Unterschied zwischen den Termini Wert, Sinn,
Funktion oder Gebrauchsweise einer Form an, nicht einmal zwischen diesen
und dem ‚Begriff’ als Inhalt einer Form; diese Termini sind synonym.“227

Es ist aber Wittgenstein, der mit der Beschreibung verschiedener „Sprachspiele“


diese Synonymie von Bedeutung und Gebrauch eines Wortes, d.h. eben dieses
Gebrauchsprinzip der Bedeutung tiefergehend betrachtet. Es ist Wittgenstein, der
mit seiner ausgiebigen Betrachtung und Beschreibung von Sprachspielen die tat-
sächliche Konstitution der Sprache verständlich zu machen sucht, der das „Arbei-
ten der Sprache“228 beschreibt.
Während die analogische Kreation bei Saussure auf der morphologischen Ebene
stattfindet und eine Neukombination bestehender morphologischer Elemente der
langue bedeutet, werden wir bei einer Betrachtung von Wittgensteins Analogie-
Begriff, den wir mit Hans J. Schneiders Projektionsbegriff erklären, den Fall vor-

223 Stetter (1974), S.33.


224 Saussure (1997), S.365, N 15 „Item“.
225 Stetter (1996), S.428.
226 PU 432.
227 Saussure (2003), S.87f, [3f] [Wert, Sinn, Bedeutung …].
228 Vgl. Wittgenstein (1999), Abschnitt 109 und 132 [PU 109 & 132]. Im Folgenden werden wie
meist üblich die Abschnitte des ersten Teils der Philosophischen Untersuchungen abkürzend mit
PU x zitiert, wobei an die Stelle des x die Nummer des jeweiligen Abschnitts tritt.
49
finden, dass ein bestehendes sème wie auch ein syntaktisches Gefüge durch die
Kreativität der Sprecher in unkonventioneller Weise gebraucht wird, wodurch sich
das sème und mit ihm die gesamte Parasemie wandelt.

5 Wittgenstein
Ich werde in diesem Kapitel zunächst einen Aspekt des wittgensteinschen
Gebrauchs des Ausdrucks ‚Analogie’ skizzieren, den Aspekt von Analogien als
Sprachzuständen. Anschließend werde ich mit Hans Julius Schneiders Interpreta-
tion des Wittgensteinschen Begriffs der Projektion in der Philosophischen Gram-
matik die Genesis von Analogien erläutern. Zum Abschluss des Kapitels erfolgt ei-
ne knappe Erläuterung des Regelbegriffs der Philosophischen Untersuchungen in
Abgrenzungen zur Projektion als kreativem Regelbruch.

5.1 Wittgensteins Gebrauch des Terms ‚Analogie’


Die Betrachtung des Ausdrucks ‚Analogie’ in den Schriften Wittgensteins führt uns
direkt ins Zentrum seines Philosophierens. Denn einerseits bestimmt Wittgenstein
Analogien unserer Sprache als hauptsächliche Gründe für die Verirrungen der tra-
ditionellen Philosophie, der Metaphysik, die Wittgenstein ja destruieren will. An-
dererseits ist Wittgensteins Methode zu philosophieren grundlegend geprägt vom
analogischen Denken. Er therapiert uns von den durch unerkannte Analogien ent-
standenen philosophischen Fragen, oftmals indem er uns mittels von ihm selbst
kreierter Analogien eine Sache in neuem Licht sehen lässt.
Ich werde mich hier vor allem dem ersten Punkt widmen, der den Grund für Witt-
gensteins Philosophieren abgibt.229 So schreibt er schon im Big Typescript:

„Wenn ich einen philosophischen Fehler rektifiziere und sage, man hat sich
das immer so vorgestellt, aber so ist es nicht, so muß ich immer eine Analogie
aufzeigen, nach der man gedacht hat, die man aber nicht als Analogie erkannt
hat.“230

229 Zum zweiten Punkt, zu ‚Wittgensteins analogischem Denken’ und Philosophieren vgl. Arroyo
(2006).
230 Wittgenstein (2000), S.408f. Ich zitiere hier und im Folgenden nach der Seitenzählung des Ty-
poskripts. Im Typoskript finden sich hier folgende Varianten: „…, so zeige ich immer auf eine Ana-
logie/so muß ich immer ..... zeigen/, nach der man sich gerichtet hat, und, daß diese Analogie nicht
50
In diesem Typoskript, das Wittgenstein wahrscheinlich im Laufe des Jahres 1933
verfasste231, bestimmt Wittgenstein sein Ziel also als eine Berichtigung philosophi-
scher Fehler, welche mittels des Aufzeigens nicht erkannter Analogien stattfinden
soll. Demgemäß spricht er auch noch in den Philosophischen Untersuchungen da-
von, Klarheit zu schaffen durch das Wegräumen von Missverständnissen, „die den
Gebrauch von Worten betreffen; hervorgerufen, unter anderem, durch gewisse
Analogien zwischen den Ausdrucksformen in verschiedenen Gebieten unserer
Sprache.“232
Um ein besseres Verständnis von der Irreführung durch Analogien zu erlangen,
bietet sich als begriffliche Basis eine Erläuterung der wittgensteinschen Unter-
scheidung von Oberflächen- und Tiefengrammatik an. Gleichwohl Wittgenstein
diese Termini nur in einem Abschnitt der Philosophischen Untersuchungen er-
wähnt, sind diese Begriffe zum Verständnis vieler Gedanken Wittgensteins – wie
z.B. seines Begriffs der Analogie – von äußerstem Nutzen. In PU 664 heißt es:
„Man könnte im Gebrauch eines Wortes eine ‚Oberflächengrammatik’ von ei-
ner ‚Tiefengrammatik’ unterscheiden. Das, was sich uns am Gebrauch eines
Worts unmittelbar einprägt, ist seine Verwendungsweise im Satzbau, der Teil
seines Gebrauchs – könnte man sagen – den man mit dem Ohr erfassen kann.
– Und nun vergleiche die Tiefengrammatik, des Wortes ‚meinen’ etwa, mit
dem, was seine Oberflächengrammatik uns würde vermuten lassen. Kein
Wunder, wenn man es schwer findet, sich auszukennen.“233

Bei der Oberflächengrammatik handelt es sich um die Verwendungsweise der


Wörter im Satzbau, das heißt um die Ordnung der Wörter im Syntagma. Somit
entspricht der Term ‚Oberflächengrammatik’ in etwa der klassischen Auffassung
von Grammatik. Eine solche klassische Grammatik leistet die Einteilung der Wör-
ter in Subjekt, Prädikat, Objekt etc., also in Wortklassen, deren Elemente dadurch
bestimmt sind, dass sie an ihren jeweiligen Stellen im Satzbau austauschbar sind,
ohne die Wohlgeformtheit des Satzes zu beeinträchtigen.
Das, was Wittgenstein ‚Tiefengrammatik’ oder oftmals auch nur ‚Grammatik’
nennt ist ein zentraler Begriff der wittgensteinschen Spätphilosophie und bezieht

stimmt.“ Die Schrägstriche ‚/’ markieren Varianten des Typoskript-Textes. Den serifenlos wiederge-
gebenen Wörtern entspricht eine gewellte Unterstreichung im Typoskript.
231 Vgl. zur zeitlichen Einordnung die Einleitung in Wittgenstein (2000) von Michael Nedo, S.VII.
232 PU 90.
233 PU 664.
51
sich auf den Gebrauch eines Wortes in Sprachspielen, d.h. den Gebrauch von
Sprache in sozialen Handlungszusammenhängen, die mit Sprechhandlungen ver-
bunden sind. Wenn er im oben schon zitierten Abschnitt 90 der Philosophischen
Untersuchungen die klarifizierende Betrachtung eine „grammatische“ nennt, be-
zieht er sich explizit darauf, Licht in philosophische Probleme zu bringen, indem er
„Mißverständnisse, die den Gebrauch von Worten betreffen“234, den Gebrauch von
Worten „in verschiedenen Gebieten unserer Sprache“, aufklären will. Das tut er
mittels des Aufzeigens von irreführenden Analogien, welches uns vor Irrwegen
bewahren und dabei helfen soll, „sich auszukennen“235.
Im Blauen Buch schildert Wittgenstein die Gefahr, analoge Oberflächengrammati-
ken von Wörtern als gleichfalls analoge Tiefengrammatiken zu deuten, folgender-
maßen: „Wenn Wörter in unserer Umgangssprache prima facie analoge Gramma-
tiken haben, sind wir geneigt zu versuchen, sie analog zu deuten; d.h. wir versu-
chen, die Analogie durchweg bestehen zu lassen.“236
Wir nehmen also die augenscheinliche Gleichförmigkeit der oberflächengrammati-
schen Verwendungsweise zweier Wörter – wie z.B. ‚sagen’ und ‚meinen’ – wahr
und schließen auf eine tiefengrammatische Gemeinsamkeit, in dem betrachteten
Beispiel also auf die Bezugnahme des Wortes auf eine Handlung nicht nur beim
Wort ‚sagen’, sondern auch mit dem Wort ‚meinen’, welches sich dann auf eine
geistige Handlung bezieht.
Die gleichförmige Strukturiertheit der Oberflächengrammatik ist also die Quelle
philosophischer Irrtümer oder wie Wittgenstein auch sagt: „Es ist eine Hauptquel-
le unseres Unverständnisses, daß wir den Gebrauch unserer Wörter nicht überse-
hen. – Unserer Grammatik fehlt es an Übersichtlichkeit.“237
Nun hat Wittgenstein es sich zur Aufgabe gemacht eine „übersichtliche Darstel-
lung“238 unserer Grammatik zu liefern. Gleichwohl handelt es sich dabei nicht um
eine umfassende Darstellung, denn „es wird nun an Beispielen eine Methode ge-
zeigt, und die Reihe dieser Beispiele kann man abbrechen. – Es werden Probleme

234 PU 90.
235 Vgl. PU 664 und unten, wo noch weitere Beispiele dieser wittgensteinschen Orientierungsmeta-
phorik genannt werden.
236 Wittgenstein (1984), S.23.
237 PU 122.
238 Ebd.
52
gelöst (Schwierigkeiten beseitigt), nicht ein Problem.“239 Wittgenstein zufolge hat
ein philosophisches Problem, das ja immer daraus resultiert, dass uns die „Ein-
sicht in das Arbeiten der Sprache“240 fehlt, dass wir also „den Gebrauch unserer
Wörter nicht übersehen“ die Form: „’Ich kenne mich nicht aus.’“241 Anstatt also
unreflektiert die „unverstandene Verwendung“ eines Wortes wie z.B. ‚verstehen’
„als Ausdruck eines seltsamen Vorgangs zu deuten“242 und darauf aufbauend eine
Reihe philosophischer Probleme zu konstruieren, sieht Wittgenstein seine gram-
matische Orientierungslosigkeit ein und versucht mit einer „Menge von Land-
schaftsskizzen“243, die ja per se rein beschreibend sind, den Grund der Probleme in
einer Missachtung oder einem Missverstehen der tiefengrammatischen Beziehun-
gen unserer Sprache freizulegen und damit die Probleme selbst aus der Welt zu
schaffen. Dass diese Aufgabe durch Beschreibung von bereits Bestehendem und
nicht durch Erklärung geleistet wird, zeigt sich sehr schön in PU 109:

„[W]ir dürfen keinerlei Theorie aufstellen. Es darf nichts Hypothetisches in


unsern Betrachtungen sein. Alle Erklärung muß fort, und nur Beschreibung
an ihre Stelle treten. Und diese Beschreibung empfängt ihr Licht, d.i. ihren
Zweck, von den philosophischen Problemen. Diese sind freilich keine empiri-
schen, sondern sie werden durch eine Einsicht in das Arbeiten unserer Spra-
che gelöst, und zwar so, daß dieses erkannt wird: entgegen dem Trieb, es miß-
zuverstehen. Diese Probleme werden gelöst, nicht durch Beibringen neuer Er-
fahrung, sondern durch Zusammenstellung des längst Bekannten. Die Philo-
sophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unsres Verstandes durch die Mittel
unserer Sprache.“244

Ich werde mich nach dieser Skizze der wittgensteinschen Charakterisierung eines
philosophischen Problems und nach unserem kurzen Blick auf seine Methode an
diesem Ort aber nicht mit weiteren Konsequenzen von Wittgensteins grundlegen-
den Einsichten für die Methode seiner Philosophie oder für eine Philosophie des
Geistes befassen.
Die vorhergehende Betrachtung macht deutlich, das Wittgenstein den Ausdruck
‚Analogie’ überwiegend benutzt, um auf bestehende grammatische Verhältnisse
hinzuweisen, auf oberflächengrammatische Ähnlichkeiten von Formen unserer

239 PU 133.
240 PU 109.
241 PU 123.
242 Vgl. PU 196.
243 PU, Vorwort S.231.
244 PU 109.
53
Sprache, die sich nicht mit Ähnlichkeiten in der Tiefengrammatik , d.h. in ihren
Gebrauchsweisen, decken und denen wir deswegen unsere philosophischen Prob-
leme verdanken. Ich werde im nächsten Schritt das Zustandekommen von Analo-
gien in der Sprechhandlung und damit die analogische Verfasstheit der Sprache
mit der Interpretation von Wittgensteins Begriff der Projektion durch Hans Julius
Schneider erläutern. Wir deuten also Analogien im Sinne bestehender grammati-
scher Verhältnisse als überkommene Produkte kreativer Handlungen, nämlich der
Projektionen. Wir vereinfachen insofern Wittgensteins Analogiebegriff zum Zweck
eines besseren Verständnisses, indem wir sagen: Der Terminus ‚Analogie’ bezieht
sich auf einen Sprachzustand, auf grammatische Verhältnisse unserer Sprache,
welche aber je Ergebnis kreativer Sprechhandlungen, nämlich von Projektionen,
sind.

5.2 Projektion
Die Grundlage dieses Abschnitts bildet ein Gedankengang aus Hans Julius Schnei-
ders Buch Phantasie und Kalkül. Über die Polarität von Handlung und Struktur
in der Sprache.245 Schneider beginnt seine Argumentation mit einem Vergleich
Wittgensteins aus der Philosophischen Grammatik, wo dieser unsere gewöhnliche
Subjekt-Prädikat-Objekt-Struktur, also das, was er später Oberflächengrammatik
nennen wird, einer Projektion gegenüberstellt.246 Zunächst geht Wittgenstein von
der Annahme einer Ebene I aus, welche die Wirklichkeit bzw. logische Formen
darstellt, die in eine Ebene II, die Sprache, projiziert wird.247
Die Stelle in der Philosophischen Grammatik, auf die sich Schneiders Interpretati-
on bezieht, lautet wie folgt:

„Es wäre unsere Aufgabe, Figuren verschiedener Gestalt, die sich in einer Ebe-
ne I befänden, in eine Ebene II zu projizieren. Wir könnten dann eine Projek-
tionsmethode bestimmen (etwa die der orthogonalen Projektion) und nach ihr
die Abbildung führen. Wir könnten dann auch leicht von den Bildern auf der
Ebene II auf die Figuren in I Schlüsse ziehen. Wir können aber auch diesen
Weg einschlagen: Wir bestimmen etwa (vielleicht weil uns diese Darstellung
am bequemsten ist) daß die Bilder in der zweiten Ebene sämtlich Kreise sein

245 Vgl. Schneider (1992), Teil IV, Unterkapitel 6 & 7, S.319-345.


246 Vgl. Wittgenstein (1984b), S.204f.
247 Ganz ähnlich zu Saussure und Derrida nehmen Wittgensteins Überlegungen hier wie an anderen
Orten auch von einer Repräsentationstheorie der Sprache ihren Ausgang, um – wie wir sehen wer-
den – die Inadäquatheit einer solchen Theorie nachzuweisen.
54
sollen, – was immer die abgebildeten Figuren in der ersten Ebene sein mögen.
Das heißt, verschiedene Figuren der ersten Ebene werden durch verschiedene
Projektionsmethoden in die zweite abgebildet. Um dann die Kreise in II als
Bilder der Figuren in I zu deuten, werde ich zu jedem Kreis die Projektionsme-
thode angeben müssen; die bloße Tatsache aber, daß sich eine Figur in I als ein
Kreis in II darstellt, sagt nun allein noch nichts über die Gestalt der abgebilde-
ten Figur. Daß das Bild in II ein Kreis ist, ist ja die festgesetzte Norm unserer
Abbildung. – Dasselbe geschieht nun, wenn wir die Wirklichkeit nach der Sub-
jekt-Prädikat Norm in unsere Sprache abbilden. Das Subjekt-Prädikat Schema
dient als Projektion unzähliger verschiedener logischer Formen.“248

Die ‚festgesetzte Norm der Abbildung’ ist im Beispiel also nicht eine bestimmte
Projektionsmethode, wie z.B. die orthogonale, sondern eine Festlegung der auf der
Ebene II erscheinenden Formen, die kreisförmig sein bzw. Subjekt-Prädikat-Form
haben sollen. Wir haben also traditionell unser Subjekt-Prädikat-Schema, welches
als einförmige Projektion verschiedener „logischer Formen“ bzw. verschiedener
Sachverhalte dient. Das Abgebildete selbst scheint mithin bei Wittgenstein nicht
einfach als Wirklichkeit gefasst zu sein, denn er nennt ja auch ‚logische Formen’ als
Ausgang des Projektionsprozesses. Wir wollen hier jedoch der Auseinandersetzung
Wittgensteins mit seinen Lehrern Frege und Russell nicht weiter folgen, weil eine
solche logische Betrachtung unseren Rahmen sprengen würde und werden uns
deswegen auf die Darstellung der Probleme beschränken, welche eine Konzeption
der Projektion von Wirklichkeit mit sich bringt.249
Tatsache ist: Damit die Projektionen verschiedener Dinge jeweils die normierte
Struktur aufweisen, muss sich von Projektion zu Projektion die Projektionsmetho-
de unterscheiden. Da diese aber nicht angegeben wird, lässt sich schließen: So wir
nur die Projektionen nicht aber die jeweilige Projektionsmethode kennen, ist es
unmöglich eine Aussage über die Struktur des Projizierten, d.h. der Wirklichkeit
oder der ‚logischen Formen’, zu machen. Somit wird die Oberflächengrammatik
nicht dem Abgebildeten gerecht, d.h. sie ist inadäquat, weil sie eben nicht immer
„orthogonal“ oder mit einer anderen regelmäßigen Projektionsmethode abbildet:
„Sie ist verfälschend, weil sie relevante Unterschiede verwischt oder ganz ver-
schwinden läßt.“250 Dementsprechend vermutet Schneider: Wittgensteins „primä-

248 Wittgenstein (1984a), S.204f. In ähnlicher Form finden wir diesen Vergleich auch in den Philo-
sophischen Bemerkungen Wittgensteins, vgl. Wittgenstein (1964), S.118f.
249 Zu Wittgensteins Auseinandersetzung mit Frege und Russell an dieser Stelle der Philosophi-
schen Grammatik vgl. Schneider (1992), S.324-331.
250 Schneider (1992), S.320.
55
res Ziel ist offenbar, auf Differenzierungen in den Gebrauchsmöglichkeiten eines
Ausdrucks oder einer Ausdrucksweise hinzuweisen.“251
Als Beispiel einer solchen Differenzierung betrachtet Wittgenstein Namen und be-
hauptet: Wir haben verschiedene Arten von Namen, „da verschiedene grammati-
sche Regeln von ihnen gelten“252. Handelt es sich z.B. um Namen für räumliche
Gegenstände, „so beruht unsere Verwendung dieser Namen auf einem Kriterium
der Identität, das die Kontinuität der Bewegung der Körper und ihre Undurch-
dringlichkeit zur Voraussetzung hat.“253 Dieser Gebrauch von Namen ist nun nicht
möglich, wenn wir es mit sich gegenseitig durchdringenden Dingen zu tun haben,
z.B. mit zwei zusammenfließenden Flüssen. Wittgenstein spricht hier von der
Möglichkeit, „daß ich nun ein ganz neues Kriterium der Identität einführe“254, was
Schneider als einen ‚aktiven Schritt’ bezeichnet, „der frei gewählt wird“255. So kön-
nen wir den vereinten Fluss nach einem der beiden zusammenfließenden Flüsse
benennen, etwa nach dem, der in die gleiche Richtung fließt, wie Wittgenstein vor-
schlägt, oder nach dem Fluss, der die größere Wassermenge führt oder aber wir
geben dem Fluss nach der Vereinigung einen ganz neuen Namen. Der ausschlag-
gebende Punkt hier ist:

„Die Regeln, die die verschiedenen Arten von Namen konstituieren (Perso-
nennamen, Flußnamen etc.), sind … nicht durch ‚die Wirklichkeit’ festgelegt;
es hätte hier keinen Sinn zu sagen, diejenige Unterscheidung von Wortarten
sei eine logische, deren Regeln sich (im Sinne einer orthogonalen Projektion)
an der Wirklichkeit orientieren. (…) Vielmehr müssen wir selbst, wenn wir
Flüssen auf eine ähnliche [d.h. analoge, A.P.] Art, wie wir es bei Personen tun,
Namen geben wollen, wenn unsere gewohnten Identitätskriterien dabei aber
nicht brauchbar sind, in einem voranschreitenden projektiven Schritt neue
Kriterien festlegen.“256

Hier zeichnet sich schon ab, wie Schneider das wittgensteinsche Bild von der Pro-
jektion interpretiert, wie er bei Wittgenstein eine Drehung dieses Bildes ausmacht.
So haben wir es in unserem Namenbeispiel mit der Erschließung einer neuen
Gebrauchsmöglichkeit von Namen, einer Anwendung von Namen „in einem neuen

251 Schneider (1992), S.325.


252 Wittgenstein (1964), S.118.
253 Wittgenstein (1984b), S.203f.
254 Wittgenstein (1984b), S.203.
255 Schneider (1992), S.330.
256 Schneider (1992), S.330f.
56
Anwendungskontext“257 zu tun, wenn wir beginnen, sich gegenseitig durchdrin-
genden Gebilden wie Flüssen Namen zu geben und im selben Zuge für die benann-
ten Dinge Identitätskriterien zu entwickeln gezwungen sind, die aber wohlgemerkt
nicht von der Realität vorgegeben sind.
An das Fluss-Beispiel anschließend folgert Schneider für die sprachlichen Projek-
tionen:

„Der Ausgangspunkt einer Projektion in diesem Sinne ist also nicht eine in
sich schon strukturierte und nun sprachlich zu artikulierende Wirklichkeit; die
Gleichförmigkeit der grammatischen Formen ist nicht das Resultat einer Re-
duktion einer für sich existierenden, verfügbaren Vielfalt auf wenige sprachli-
che Formen. Vielmehr ist der Ausgangspunkt der Projektion die für einen be-
stimmten, notwendigerweise zunächst spezifischen sprachlichen Handlungs-
bereich schon entwickelte Form, die dann in einem freien, aus den jeweils bis
dahin verfügbaren Handlungsmöglichkeiten (‚Regeln’) der Sprache nicht vor-
hersehbaren Schritt der Spontaneität, der Phantasie, auf andere Bereiche des
Handelns übertragen wird, wobei ein äußerer oder innerer Handlungsdruck
durchaus eine Rolle spielen kann.258

In der Not bzw. unter ‚äußerem oder innerem Handlungsdruck’ stehend, weil es
etwas Neues auszudrücken gilt, d.h. ein Sprachspiel zu spielen ist, dessen Regeln
noch nicht konventional festgelegt sind, sind die Sprachbenutzer gezwungen, be-
stehende sprachliche Formen in einem ‚freien Schritt der Spontaneität, der Phan-
tasie’, auf neue Handlungsbereiche zu übertragen, womit sie das Fundament für
mögliche neue Sprachspiele legen, die sich mit der regelmäßigen Wiederholung
der Projektion konstituieren. Schneider präsentiert schließlich die Pointe von
Wittgensteins Projektionsvergleich:

Die Projektionsstrahlen haben ihre Richtung um einhundertachtzig Grad ge-


dreht: sie gehen nicht mehr von ‚der Wirklichkeit’ zur Sprache (deren Struktur
im orthogonalen Fall der Struktur dieser ‚Wirklichkeit’ entspricht), sondern
von der Sprache (von einem spezifischen Sprachspiel) zu bisher nicht zur
Sprache gekommenen Bereichen der ‚Wirklichkeit’.“259

Mithin behauptet auch Wittgenstein einen erkenntniskonstitutiven Charakter der


Sprache. Entsprechend konstatiert auch Kurt Wuchterl mit Bezug auf das Verhält-
nis von Sprache und Welt bei Wittgenstein: „[N]icht die Welt, deren Struktur sich
in der Sprache zeigt, schreibt der Sprache ihr Wesen vor, sondern die Sprache ist

257 Schneider (1992), S.332.


258 Ebd.
259 Schneider (1992), S.332f.
57
als Ausdruck einer originären Lebensform das Urgegebene, von der aus die Welt
anvisiert werden kann.“260 Damit „zeichnet [die Sprache] nicht einfach die ontolo-
gischen Strukturen nach, sondern stellt ein Konstitutionssystem der Welt dar. (…)
Die Sprache ist an der Gegenstandskonstitution beteiligt.“261
In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass Schneider im weiteren Verlauf
seines Gedankengangs auf eine Stelle im Braunen Buch verweist, wo Wittgenstein
die Projektion einer räumlichen Zustandsbeschreibung auf die Fähigkeit eines
Menschen, etwas zu tun, die sich in Ausdrücken wie ‚er ist in der Lage oder im-
stande … zu tun’ niederschlägt, als Metapher bezeichnet. Letztendlich handelt es
sich bei einer Projektion – wir werden diesen Umstand im sechsten Kapitel mit
Nelson Goodman genauer betrachten – um eine Metapher, eine Übertragung, ei-
nen Transfer, denn: „Eine verfügbare Ausdrucksweise wird auf eine neue Art von
Fällen übertragen; ein neues Problem sehen und lösen wir im Licht und mit Hilfe
einer alten sprachlichen Form.“262 Wittgenstein hat also schon die Projektion als
Metapher begriffen, Analogien konstituieren sich somit in linguistischen Übertra-
gungshandlungen. Schneider bezeichnet die Projektion dementsprechend auch als
Metapher, er unterscheidet aber die – von ihm vornehmlich betrachtete – ‚syntak-
tische Metapher’, in deren Vollzug ja ‚Komplexbildungsweisen’ oder „Fügungswei-
sen“263, d.h. syntaktische Strukturen, wie etwa die Subjekt-Prädikat-Struktur, auf
verschiedene Bereiche menschlichen Handelns projiziert werden von der traditio-
nellen (‚lexikalischen’) Metapher, bei der „ein ‚lexikalisches’ Wort so verwendet
wird, wie es der bis dahin üblichen Sprachpraxis nicht entspricht.“264 Wir werden
in Kapitel 7 auf die Problematik der Unterscheidung von Metaphern auf verschie-
denen sprachlichen Ebenen zurückkommen.
Nun ist dieser metaphorischen Projektion, ob ‚syntaktisch’ oder ‚lexikalisch’, ähn-
lich wie Saussures analogischer Kreation, ja ein ‚konstitutiver Charakter’ inhä-
rent.265 Dabei handelt es sich um die Tatsache, dass die Übertragung einer Form
von einer konventionellen Weise des Gebrauchs auf einen ‚neuen Bereich der

260 Wuchterl (1969), S.110.


261 Wuchterl (1969), S.113. Vgl. zur erkenntniskonstitutiven Funktion der Sprache bei Saussure
oben S.22f.
262 Schneider (1992), S.333.
263 Vgl. Schneider (1992), S.410f
264 Schneider (1992), S.410.
265 Vgl. Schneider (1992), S.339.
58
Wirklichkeit’ sich nicht durch einen ‚eigentlichen’ Sprachgebrauch ersetzen lässt.
Das ist auch der Grund warum Wittgenstein Analogien zwar oft als ‚irreführend’,
ausdrücklich aber nicht als ‚falsch’ bezeichnet.266 Sie haben eben ihre erkenntnis-
konstitutive Funktion und ermöglichen uns die Erschließung neuer Bereiche der
Wirklichkeit. Folglich sind sie in den jeweiligen Sprachspielen unersetzlich, denn
sie ‚tun ihre Schuldigkeit’. 267

5.3 Regelbefolgung vs. Projektion


Wir wollen nun die Unterschiede und Gemeinsamkeiten sowie das Zusammenspiel
von Regelbefolgung und Projektion, von gewöhnlichem Sprachgebrauch und Ana-
logie, betrachten. Schneider spricht hier von ‚entgegengesetzten Seiten des Konti-
nuums’ sprachlicher „’Operationen’ der Phantasie“268, die er als „Operationen in
einem Kalkül“ auf der einen und die bereits erläuterten „Projektionsschritte“ auf
der anderen Seite bestimmt. Da sich beide Handlungen in unterschiedlichem Ma-
ße der Phantasie bedienen, muss wohl auch die Regelbefolgung einen kreativen
Kern enthalten, was im Folgenden gezeigt werden soll.
Die folgende kurze Erläuterung des Regelbegriffs in den Philosophischen Untersu-
chungen liefert die allgemeine Kritik am Regelbegriff der Zwei-Welten-Ontologie
wie wir ihn in 2.1 skizziert haben. Wir orientieren uns in unserer Betrachtung der
wittgensteinschen Auffassung vom Regelbefolgen an Christian Stetters Aufzählung
von drei Aspekten des Befolgens einer Regel, die Wittgenstein hervorhebt: 1. den
praktischen Aspekt, 2. den normativen Aspekt und 3. den sozialen Aspekt.269
Der praktische Aspekt bezieht sich auf den kreativen Akt in jeder Regelbefolgung,
welcher uns hier am meisten interessiert. Entgegen der Annahme, das Einer-
Regel-folgen bestehe in einem hermeneutischen Akt, in einem Akt der Deutung,
stellt Wittgenstein fest, dass eine Regel deuten lediglich heißt: „einen Ausdruck der
Regel durch einen anderen ersetzen“.270 Zudem arbeitet er an verschiedenen Stel-

266 Vgl. zu Wittgensteins Verteidigung der Richtigkeit des normalen Gebrauchs von Analogien, die
uns beim Philosophieren in die Irre führen können: PU 402, PU 305, PU 306.
267 PU 402. Vgl. zu dieser zunächst paradox klingenden Haltung Wittgensteins, die Analogien zwar
als irreführend nicht aber als falsch zu bezeichnen Schneider (1992), S.336-339.
268 Schneider (1992), S.342.
269 Vgl. Stetter (1998), S.571-575.
270 PU 201.
59
len heraus, dass ein Regelausdruck genauso wie seine Deutung, die ja den Re-
gelausdruck nur durch einen anderen ersetzt, nicht a priori ihre Befolgung un-
missverständlich festlegen kann. „Jede Deutung hängt, mitsamt dem Gedeuteten
in der Luft; sie kann ihm nicht als Stütze dienen. Die Deutungen allein bestimmen
die Bedeutung nicht.“271
Jede Regel stellt vielmehr in ihrer Form als eine allgemeine Anweisung den
Regelanwender vor die Frage, ob und wie er die Regel im je speziellen Fall anwen-
den soll. Die Anwendung der Regel selbst kann nicht geregelt sein, weil diese Rege-
lung der Regel auch missverständlich wäre und wiederum einer Regel bedürfte
etc., so dass wir zu folgendem Schluss kommen: „Das Befolgen einer Regel kann
letztlich nicht selbst geregelt sein; andernfalls geriete man in einen infiniten Re-
gress.“272 Somit muss man „die Anwendung der Regel im besonderen Fall“ eben
„ohne Führung machen.“273 Es gibt nämlich keinen Regelausdruck, der „keinen
Zweifel eindringen“274 lässt, das ‚Spiel’, welches wir mit den Wörtern unserer Spra-
che spielen „ist nicht überall von Regeln begrenzt“275. Am Ende ist der Gebrauch
der Sprache ein Handeln, wir vollziehen den Sprechakt spontan, eben ‚ohne Füh-
rung’.276 Der Regel folgen’ ist eine Praxis.277 und zwar eine kreative Praxis, denn
„auch die erprobteste Regelanwendung fordert immer wieder einen Schritt der
Phantasie.“278 Auch die abgedroschensten Sprechhandlungen bergen in sich einen
kreativen Kern. Die Bedeutung einer Regel zeigt sich nun mit Wittgenstein in die-
sem Akt ihrer Befolgung, in der praktischen Anwendung.
Die Projektionen finden wir wie gesagt am anderen Pol kreativer sprachlicher
Handlungen, da sie weitaus größeres kreatives Potential voraussetzen. Schneider
setzt die beiden Grenzfälle phantasievoller Handlungen auch als „Kalkül und

271 PU 198.
272 Stetter (1997), S.577.
273 PU 292.
274 Vgl. PU 84.
275 PU 68.
276 Dieser kreative Aspekt jeder Regelbefolgung steht nicht im Widerspruch zu ihrem normativen
Aspekt. Vielmehr zeigt sich an diesem Punkt bei Wittgenstein das Wechselspiel von Kontinuität
und Transformation der Sprache in der Regelbefolgung und Regelveränderung. Vgl. oben Abschnitt
3.1.1 und 3.3.
277 Vgl. PU 202.
278 Schneider (1992), S.342, Anm. 69.
60
Phantasie“279 gegeneinander und bezeichnet die „Ineinanderschachtelung von Re-
chen- und Projektionsschritten“ mit Wittgenstein „als ein charakteristisches
Merkmal natürlicher Sprachen“280:

„Das Einverständnis, das Gelingen im Handeln, erfordert in jedem Einzel-


schritt Übertragungsfähigkeit, ‚Phantasie’; es ermöglicht dann aber den Auf-
bau komplexer Handlungen, deren Muster auf neue Fälle schematisch ange-
wendet werden können; es werden nach Regeln Strukturen erzeugt (‚Kalkül’).
Sind sie vorhanden und beherrscht, laden sie zu Übertragungen, Projektionen,
‚Mißbräuchen’ ein, d.h. zu neuen, nicht schematisch erreichbaren Schritten.“281

Dies besagt, dass jede Analogie letztenendes aus einem durch den regelmäßigen
Gebrauch seiner Elemente konstituierten Zeichensystem hervorgeht. Oder wie wir
im Abschnitt 3.3.1 mehrmals in Bezug auf die Analogie bei Saussure betonten, wird
jede innovative Form aus der bestehenden langue heraus gebildet, ist somit keine
creatio ex nihilo, sondern hat ihre Grundlage im überkommenen Zeichensystem.
Diesen systematischen, konventionellen Aspekt der Regelbefolgung, der als Vor-
aussetzung von Regelbrüchen, Projektionen, analogischen Handlungen notwendig
ist, finden wir in den beiden anderen Seiten – der normativen und sozialen Seite –
der Regelbefolgung aufgehoben, die ich nun kurz erläutere. Dies geschieht ohne
eine weitere Unterscheidung der beiden Aspekte, die für unsere Zwecke nicht nötig
ist, weil die normative und soziale Seite eng miteinander verknüpft sind.
Der normative Zwang ergibt sich daraus, dass ein Verstoß gegen eine Regel von
anderen Mitgliedern der Sprach- und Lebensgemeinschaft sanktioniert wird. Witt-
genstein schreibt: „Einer Regel folgen, das ist analog dem: einen Befehl befolgen.
Man wird dazu abgerichtet und man reagiert auf ihn in bestimmter Weise.“282
Durch Abrichtung und die Sanktionierung unerwünschten Verhaltens wird die Re-
gelmäßigkeit der Regelbefolgung durch den Einzelnen sichergestellt. Schon das
Hineinwachsen in eine Gemeinschaft ist wesentlich mit der Abrichtung, mit dem
Erlernen ihrer Regeln, der Gepflogenheiten, verbunden, die man sodann „blind“
befolgt.283

279 Vgl. Schneider (1992), S.343. Der Haupttitel seines Buches ist ja auch „Phantasie und Kalkül“.
280 Vgl. Schneider (1992), S.342f.
281 Schneider (1992), S.343.
282 PU 206.
283 Vgl. PU 219: „Wenn ich der Regel folge, wähle ich nicht. Ich folge der Regel blind.“
61
Hier sind wir auch schon beim sozialen Zug des wittgensteinschen Regelbegriffs
angelangt. In PU 199 macht Wittgenstein deutlich, die „Grammatik“ des Wortes
„Regel“ lasse es nicht zu, dass „ein einziges Mal nur ein Mensch einer Regel ge-
folgt“284 sei. Demnach ist es ein notwendiges Charakteristikum der Regel, dass sie
in einer Gemeinschaft existiert und befolgt wird: „Einer Regel folgen, eine Mittei-
lung machen, einen Befehl geben, eine Schachpartie spielen sind Gepflogenhei-
ten“285. Hier wird auch der historische Charakter der Rede, ihre Konstitution
durch wiederholte Anwendung in einer Gruppe deutlich.
Damit von einer Regel gesprochen werden kann – Wittgenstein argumentiert da-
für aufwändig in seiner Widerlegung der Möglichkeit einer privaten Sprache – ist
Öffentlichkeit zur Kontrolle der richtigen Regelbefolgung eine notwendige Bedin-
gung: So ist es nicht ausreichend, dass jemand glaubt, einer Regel zu folgen, damit
wir auf die tatsächliche korrekte Regelbefolgung schließen können. In einer priva-
ten Sprache, deren Wörter allein für einen einzelnen Sprachbenutzer gelten sollen,
sind aber der Glauben, die Regel zu befolgen und die korrekte Regelbefolgung
nicht voneinander zu trennen. Die Privatsprachenproblematik soll hier aber nicht
näher betrachtet werden.286
Die Existenz einer Regel, eine Gepflogenheit setzt also eine Gemeinschaft voraus,
eine Lebensform, deren Mitglieder sich in Sprachspielen, im sprachlichen wie
nichtsprachlichen Handeln, wechselseitig auf regelmäßige Verhaltensweisen ab-
richten und Fehlverhalten sanktionieren. Somit können wir auch das Gebrauchs-
prinzip der Bedeutung konkretisieren. Man kann zwar sagen: „Alle Bedeutungen
der Wörter konkretisieren sich in ihrem Gebrauch innerhalb eines Sprach-
spiels.“287 Allerdings reicht der Gebrauch alleine nicht aus. Wir können z.B. an Pla-
tons Hermogenes denken, dessen radikaler sprachlicher Konventionalismus
Kommunikation verunmöglichen würde.288 „Doch die bloße Verwendung von

284 PU199
285 Ebd.
286 Vgl. PU 243-315 und Stetter (1997), S.579-587.
287 Wuchterl, (1969), S.131.
288 Vgl. Platon, Kratylos 384c-385e. In 385d spricht Hermogenes: „Ich wenigstens, Sokrates, weiß
von keiner anderen Richtigkeit der Benennungen als von dieser, daß ich jedes Ding mit einem an-
dern Namen benennen kann, den ich ihm beigelegt habe, und du wieder mit einem andern, den
du.“ Zitiert nach: Platon (1994): Sämtliche Werke Band 3. Übersetzt von Friedrich Schleiermacher
und Hieronymus und Friedrich Müller (Briefe). Reinbek.
62
Wörtern bildet noch keine Sprache. Erst die Regelhaftigkeit im Gebrauch ermög-
licht das Sprachspiel.“289 Diese Regelhaftigkeit findet sich aber nur in einem sozia-
len Zusammenhang, einer Gemeinschaft. Das Gebrauchsprinzip bezieht sich nicht
nur auf die produktive Seite der Bedeutungskonstitution, sondern beinhaltet auch
ihren sozialen und historischen Aspekt, nämlich die regelmäßige Handlungsweise
der Mitglieder der Gemeinschaft in der Zeit, ihr kontinuierliches Spiel mehr oder
weniger bestimmter Sprachspiele.
Nach dieser kurzen Untersuchung des Verhältnisses von Regelfolgen und Re-
gelmissbrauch oder kreativem Regelbruch, d.h. der Projektion, werden wir uns
im folgenden Kapitel der Metaphorizität der Analogie widmen. Dies tun wir mit
einer kurzen Einführung des Goodmanschen Metaphern- oder Transferbeg-
riffs, der uns eine systematische Begrifflichkeit auf der Grundlage eines exten-
sionalen Zeichenbegriffs liefert, die uns in unserer abschließenden Synthese
des saussureschen Analogie- und des wittgensteinschen Projektionsbegriff als
eine unabhängige Terminologie von großem Nutzen sein wird.290

6 Die Metaphorizität der Analogie


Um ein Verständnis des goodmanschen Metaphernbegriffs zu gewährleisten, wird
hier zunächst die nötigste Terminologie seiner allgemeinen Symboltheorie erläu-
tert. Nelson Goodman hat einen sehr weiten Symbolbegriff.291 Die Sprache ist nur
ein Symbolsystem neben anderen wie Kunst, Wissenschaft und sogar der Wahr-
nehmung. Von Goodmans Philosophie kann man sagen, dass sie den Ansatz der
sprachanalytischen Philosophie weiterentwickelt, weil sie alle symbolischen Pro-
zesse als erkenntnisschaffend ansieht, um daraus folgend eine allgemeine Symbol-
theorie zu entwickeln. Goodman könnte demnach als ein Vertreter des medial

289 Wuchterl (1969), S.131.


290 Schneider verweist selbst auf die Ähnlichkeit von Projektion und Metapher, wobei er auch auf
Goodmans Metaphernbegriff verweist. Vgl. Schneider (1992), S.366 und dort auch Anm. 5.
291 Vgl. Goodman (1997), S.9. Dort schreibt Goodman, ‚Symbol’ werde in seinen Werken „als ein
sehr allgemeiner und farbloser Ausdruck gebraucht. Er umfasst Buchstaben, Wörter, Texte, Bilder,
Diagramme, Karten, Modelle und mehr, aber er hat nichts Gewundenes oder Geheimnisvolles an
sich.“
63
turns verstanden werden292. Er selbst sieht sich in der Tradition Kants und des
linguistic turns. So schreibt er in der Einleitung seines Buches „Weisen der Welt-
erzeugung“, dieses gehöre

„zur Hauptströmung der modernen Philosophie …, die damit begann, daß


Kant die Struktur der Welt durch die Struktur des Geistes ersetzte, in deren
Fortführung C.I. Lewis die Struktur der Begriffe an die Stelle der Struktur des
Geistes treten ließ, und die nun schließlich dahin gekommen ist, die Struktur
der Begriffe durch die Strukturen der verschiedenen Symbolsysteme der Wis-
senschaften, der Philosophie, der Künste, der Wahrnehmung und der alltägli-
chen Rede zu ersetzen.“293

Diese verschiedenen Symbolsysteme liefern uns ‚Beschreibungsweisen’, mittels de-


rer wir Weltversionen für die verschiedensten Zwecke kreieren: „Wir sind bei al-
lem, was beschrieben wird, auf Beschreibungsweisen beschränkt. Unser Univer-
sum besteht sozusagen aus diesen Weisen und nicht aus einer Welt oder aus Wel-
ten.“294 Symbolsysteme ermöglichen also Welterkenntnis, indem wir in ihnen
Weltversion erschaffen. Neue Weltversionen entstehen immer aus alten Weltversi-
onen anhand verschiedener Arten der Welterzeugung.295 Was Goodman glaubt
finden oder vielmehr erschaffen zu können ist eine „sie alle umfassende[] Organi-
sation“296. Er geht dabei den Weg „einer analytischen Erforschung von Typen und
Funktionen von Symbolen und Symbolsystemen.“297 Denn Weltversionen sind uns
in Symbolsystemen gegeben.

292 Vgl. zum „medial turn“ Margreiter (1999), der sich mit der Entstehung des medial turn und den
Aufgaben einer Medienphilosophie auseinandersetzt.
293 Goodman (1990), S.10.
294 Goodman (1990), S.15. Goodman betont, dass die Erschaffung von Weltversionen keine beliebi-
ge ist. Vielmehr unterliegt die Kreation von Weltversionen Kriterien wie „Triftigkeit, Bündigkeit,
Reichweite, Informationsgehalt und organisierende Kraft des gesamten Systems“. [Vgl. Goodman
(1990), S.34.]
295 Vgl. Goodman (1990), S.20-30. Als „Weisen der Welterzeugung“ aus bereits bestehenden Wel-
ten nennt Goodman: Komposition und Dekomposition, Gewichtung, Ordnen, Tilgung und Ergän-
zung sowie Deformation. Die Metapher zählt er hier nicht auf, allerdings bedeutet ihre Verwendung
– wie wir unten sehen werden – eine Neuordnung und kann auch die anderen Weisen der Welter-
zeugung mit einschließen.
296 Goodman (1990), S.18.
297 Ebd.
64
6.1 Aufbau eines Symbolsystems
Wie erwähnt haben wir es bei Goodmans Zeichenbegriff mit einem extensionalen
zu tun, d.h. es findet eine klare Trennung zwischen der formalen, syntaktischen
Seite eines Zeichensystems, dem Symbolschema und der Anwendung eines sol-
chen, dem Schema im Gebrauch, statt, welches erst ein Symbolsystem genannt
wird.298
Wenn wir auf einen Gegenstand oder eine Eigenschaft bezugnehmen, wenden wir
dafür ein Etikett an. Ein Etikett gehört zu einer ‚Familie von Alternativen’299, ei-
nem Schema, und funktioniert nur in, nicht isoliert von einem solchen. Denn: „Wir
kategorisieren durch Mengen von Alternativen.“300 Hier klingt das saussuresche
Prinzip der Differenz an. Ein Etikett, das der Einordnung eines Gegenstands in ei-
ne Kategorie dient, hängt in seiner Bedeutung und seiner Extension von den ande-
ren im jeweiligen Kontext anwendbaren Etiketten ab. „Was als rot gilt, variiert et-
was, und zwar abhängig davon, ob Gegenstände als rot oder nicht rot oder als rot
oder orange oder gelb oder grün oder blau oder violett klassifiziert werden.“301
Welches Schema wir anwenden, ob eines mit starkem „Auflösungsgrad“302, d.h.
einer großen Menge von unterscheidenden Etiketten, oder ein grobkörniges, hängt
von Gewohnheit und Kontext ab, von dem jeweiligen Sprachspiel, das wir spielen.
So verwenden wir ein gröberes Farbschema, wenn wir auf einen Menschen in einer
Menge hinweisen wollen als wenn ein Modedesigner eine neue Oberbekleidungs-
Kollektion entwirft. In dem einen Fall z.B. wenden wir auf eine Jacke das Etikett
blau’ an, während der Modedesigner vielleicht auf dieselbe Jacke das Etikett ‚indi-
go’ anwendete.
Der Ausdruck Symbolschema ist eine rein syntaktische Kategorie. Er bezieht sich
bei Goodman allein auf eine Familie von Etiketten als einer rein formalen Menge

298 Gleichwohl ist sich Goodman bewusst, dass diese Trennung aus einer theoretischen Analyse ex
post resultiert, da es uns unmöglich ist eine Zeichengestalt, eine Form unabhängig von ihrer sym-
bolischen Funktion wahrzunehmen: „Nichts wird entblößt gesehen oder bloß gesehen“, „das un-
schuldige Auge gibt es nicht“ [Goodman (1997), S.19], vielmehr sehen wir immer etwas als etwas.
299 Vgl. Goodman (1997), S.76.
300 Goodman (1997), S.76.
301 Goodman (1997), S.76.
302 Ich übernehme hier eine – wie mir scheint sehr treffende – Metapher aus dem Bereich der Op-
tik, die Geert Keil in seinem Aufsatz „Über die deskriptive Unerschöpflichkeit der Einzeldinge“ [vgl.
Keil (2006), hier: S.99-104] benutzt.
65
von alternativen Zeichengestalten, abstrahiert von ihrer Anwendung auf eine
Sphäre. Von einer Sphäre sprechen wir, wenn der Gebrauch eines Schemas ins
Spiel kommt, es ist der Bereich von Gegenständen, der durch ein Schema sortiert
wird, auf den die Etiketten bezugnehmen. Das auf eine Sphäre angewendete Sym-
bolschema, das Symbolschema im Gebrauch ist ein Symbolsystem. Der Begriff
‚Symbolsystem’ beinhaltet bei Goodman also immer einen semantischen Aspekt,
eine Bezugnahme auf eine Sphäre. Ein Schema kann auf verschiedene Sphären an-
gewendet werden. Genauso kann eine Sphäre durch verschiedene Schemata sor-
tiert werden.
Das Verhältnis von einer Sphäre und dem sie ordnenden Schema ist aber nicht so
einfach, wie es hier geschildert wurde. Denn Gegenstände, ja die Welt, existieren
für uns ja nur in Symbolsystemen, welche eine erkenntnisschaffende Funktion ha-
ben. Also kann eine Sphäre von Gegenständen nicht vorgängig zu und unabhängig
von ihrer Sortierung durch ein Symbolschema existieren. Die Gegenstände einer
Sphäre werden gleichermaßen mit ihrer Organisation durch ein Symbolschema
geschaffen. Das Erkennen und das Wiedererkennen von Einzeldingen sowie das
Erkennen von Sphären von Gegenständen sind nur unter der Voraussetzung einer
Ordnung mittels eines Symbolschemas möglich. „Identifikation beruht auf der
Einteilung in Entitäten und Arten“303 und „Wiederholung ist ebenso wie Identifi-
kation relativ zu Organisation.“304 Wir haben es somit auch bei Goodman mit einer
erkenntniskonstitutiven Funktion von Symbolen zu tun, allerdings ist diese nicht
auf Sprachzeichen beschränkt.
In der anschließenden Betrachtung der Metapher werden wir sehen, wie ein kon-
ventionell auf eine bestimmte Sphäre angewendetes Symbolschema dazu dienen
kann, auf eine andere Sphäre transferiert, Ordnung in diese zu bringen.

6.2 Die Metapher


Goodman nennt eine Metapher – metaphorisch – den Transfer eines Etiketts und
des mit ihm assoziierten Schemas von seiner „Heimatsphäre“, der Sphäre seiner
„Naturalisierung“305 auf eine andere oder die Verlagerung oder Umkehrung eines

303 Goodman (1990), S.20.


304 Goodman (1990), S.22.
305 Vgl. Goodman (1997), S.80. Goodmans Ausführungen zur Metapher exemplifizieren die Allge-
genwart metaphorischer Wortgebräuche wie auch ihren erkenntniskonstitutiven Charakter. Sein
66
Schemas innerhalb einer Sphäre. Das heißt, wird ein Etikett oder ein gesamtes
Schema von der Sphäre, auf die es lange gewohnheitsmäßig angewendet wurde,
auf eine neue Sphäre übertragen, so spricht Goodman von Metapher.
Die Möglichkeiten des Transfers von Schemata sind unbegrenzt, d.h. wir können
ein beliebiges Schema nahezu auf beliebige Sphären übertragen. Allerdings wird
diese „Neuorientierung eines ganzen Netzwerkes von Etiketten“306 in ihrer An-
wendung auf die neue Sphäre von ihrer vorherigen Benutzung gelenkt, ist also
nicht vollkommen willkürlich. „Selbst dort, wo einer höchst merkwürdigen und
fremdartigen Sphäre ein Schema aufgezwungen wird, dirigiert vorausgegangene
Praxis die Anwendung von Etiketten.“307 So kann ich etwa unser Schema zur Kate-
gorisierung von Temperaturgraden auf „Töne, Schattierungen, Persönlichkeiten
oder auf Näherungsgrade an eine richtige Antwort“ übertragen; „aber welche Ele-
mente in der gewählten Sphäre warm sind oder wärmer als andere, das ist dann in
hohem Maße festgelegt.“308
Goodman unterscheidet analog zu unserer in Abschnitt 5.3 erfolgten Abgrenzung
von Regelbefolgung und Projektion die Metapher von der „routinemäßigen Projek-
tion“309. Beide bedeuten zwar einen innovativen Umgang mit Symbolen, aber nur
die Metapher bricht mit überkommenen Regeln, während die ‚routinemäßige Pro-
jektion’ eine konventionelle, kalkülhafte Symbolverwendung bedeutet310: „Jedes
Zutreffen eines Prädikats auf ein neues Ereignis oder einen neu gefundenen Ge-
genstand ist neu; aber eine derartige routinemäßige Projektion begründet noch
keine Metapher.“311 Um von einer Metapher zu reden, muss vielmehr die Routine,
die konventionelle Regelbefolgung aufgekündigt werden, der metaphorische
Gebrauch handelt der Regel zuwider, er bricht mit der Gepflogenheit. Während die
routinemäßige Projektion das „bloße[s] Anwenden eines vertrauten Etiketts auf

Text über die Metapher ist von Metaphern durchzogen. So taucht z.B. die Metapher eines ‚Symbol-
schemas auf Reisen’ immer wieder auf. Vgl. Goodman (1997), S.76-88.
306 Goodman (1997), S.76f.
307 Goodman (1997), S.78.
308 Vgl. Goodman (1997), S.78.
309 Goodman (1997), S.74.
310 Der Projektionsbegriff bei Wittgenstein/Schneider und Goodman wird also für entgegengesetzte
Zeichenhandlungen benutzt, die einen nutzen ihn zur Bezeichnung eines freien „nicht vorhersehba-
ren Schritt der Spontaneität“ (vgl. oben S.56), der andere benutzt ihn gerade für vorhersehbare,
routinierte Zeichenhandlungen.
311 Goodman (1997), S.74.
67
neue Dinge“ ist, wenden wir es bei der Metapher „auf neuartige Weise“312 an. Als
„kalkulierte Kategorienverwechslung“313 bewirkt die Metapher eine Spannung zwi-
schen Regelbruch und Konvention:

„[E]ine Metapher ist eine Affäre zwischen einem Prädikat mit Vergangenheit
und einem Gegenstand, der sich unter Protest hingibt. Bei der routinemäßigen
Projektion wendet die Gewohnheit ein Etikett auf einen noch nicht entschie-
denen Fall an. Eine willkürliche Anwendung eines neugeprägten Ausdrucks
wird ebenfalls nicht durch eine frühere Entscheidung gestört. Aber die meta-
phorische Anwendung eines Etiketts auf einen Gegenstand setzt sich über eine
explizite oder stillschweigende frühere Ablehnung dieses Etiketts für diesen
Gegenstand hinweg. Wo es Metaphern gibt, gibt es Konflikte“.“314

Der Konflikt entbrennt durch die doppelte Verwendungsweise des metaphori-


schen Ausdrucks. „Bei der Metapher … wird ein Ausdruck mit einer durch Ge-
wohnheit etablierten Extension anderswo unter dem Einfluß dieser Gewohn-
heit angewandt; hier liegt sowohl Abweichen von als auch Achtung vor dem
Vorhergehenden vor.“315
Goodman unterscheidet verschiedene „Modi der Metapher“316, die er in zwei
Klassen unterteilt: zum einen können wir es bei einer Metapher mit einem
„Transfer eines Schemas zwischen disjunkten Sphären“317 zu tun haben zum
anderen mit dem Transfer eines Schemas innerhalb einer Sphäre oder zwi-
schen sich überschneidenden Sphären. Auf der einen Seite finden sich Personi-
fikation, Synekdoche und Antonomasie, auf der anderen Hyperbel, Untertrei-
bung, Ironie etc.
Symbolsysteme sind nun – auch für Goodman – von Metaphern durchzogen,
„Metaphern durchdringen jeden normalen oder speziellen Diskurs“318. Den
Grund für die Metaphorizität eines Symbolsystems sieht Goodman im „Bedürf-
nis nach Ökonomie“, in der unser Gedächtnis entlastenden Wirkung von Meta-
phern:

312 Ebd.
313 Goodman (1997), S.77.
314 Goodman (1997), S.74.
315 Goodman (1997), S.75.
316 Goodman (1997), S.84-88.
317 Goodman (1997), S.84.
318 Goodman (1997), S.83.
68
Der „unablässige Gebrauch von Metaphern entspringt nicht nur der Liebe zur
literarischen Farbigkeit, sondern auch dem dringenden Bedürfnis nach Öko-
nomie. Wären wir nicht in der Lage, Schemata ohne weiteres zu übertragen,
um neue Sortierungen und Ordnungen hervorzubringen, dann müßten wir uns
mit unhandlich vielen verschiedenen Schemata belasten, und zwar entweder
durch Übernahme eines ungeheuer großen Vokabulars elementarer oder
durch Erarbeitung außerordentlich vieler zusammengesetzter Ausdrücke.“319

Diese Argumentation erinnert an Saussures Begründung für die analogische


Verfasstheit der (zumindest morphologischen Ebene der) Sprache, die er auf
die Beschränktheit des menschlichen Gedächtnisses sowie das Bedürfnis nach
Ökonomie in der langue zurückführt, auf das Bedürfnis nach Symmetrie.320
Allerdings ist hier nochmals auf die ordnende Funktion des Transfers eines
Schemas zurückzukommen. Sei es die neue Ordnung einer schon bekannten
und bereits auf andere Weise geordneten Sphäre oder die Erschließung einer
neuen Sphäre mittels des Transfers eines Schemas; immer haben wir es mit der
Kreation einer neuen Weltversion, mit der Konstitution von Welt, von Er-
kenntnis zu tun. Die Metapher lässt sich somit als umfassende ‚Weise der Welt-
erzeugung’ verstehen, die der Tilgung, Ergänzung, wie (Neu-)Ordnung, Kom-
position und Dekomposition etc. von Weltversionen fähig ist.

7 Parasemische Schöpfung, Projektion und Metapher


Wir haben nun ausführlich die analogische Verfasstheit der Sprache wie auch an-
derer Symbolsysteme betrachtet, die sich auf den erkenntnisschaffenden und öko-
nomischen Charakter der Analogie gründet. Im Laufe dieser Arbeit sind uns aber
drei unterschiedliche Analogie- oder Metaphernbegriffe begegnet: die morphologi-
sche Metapher bei Saussure, die syntaktische Metapher oder Projektion und die
‚lexikalische’ Metapher bei Wittgenstein und Schneider. Soeben haben wir Good-
mans umfassenden, sich auch auf andere Symbolsysteme außer der Sprache bezie-
henden, Metaphernbegriff erläutert.
In diesem Kapitel geht es zuerst darum, die Problematik einer Unterscheidung
zwischen verschiedenen Phänomenen der Metapher oder Analogie darzustellen,
um darauf aufbauend die bisher betrachteten Analogietypen unter einem Prinzip
zu vereinen.

319 Goodman (1997), S.83f.


320 Vgl. oben S.35 & 42.
69
7.1 Die Problematik einer Unterscheidung verschiedener
Analogieformen
Die anschließende Betrachtung der Problematik einer Unterscheidung von mor-
phologischer, lexikalischer und syntaktischer Analogie nimmt eine Frage auf, die
sich im Zuge der Betrachtung der analogischen Kreation bei Saussure und der kre-
ativen Projektion bei Wittgenstein und Schneider immer wieder aufdrängte: Ha-
ben wir es bei diesen metaphorischen Prozessen nicht mit einer Betrachtung un-
terschiedlicher sprachlicher Handlungen auf verschiedenen Ebenen der Sprache
zu tun? Befasst sich nicht Saussure mit der Kreation neuer Wörter auf morpholo-
gischer Ebene, während es sich bei einer Metapher um die Schaffung neuer Wort-
bedeutungen durch einen innovativen Gebrauch von alten Wörtern handelt oder
bei der Projektion eines syntaktischen Gefüges um ein entsprechend syntaktisches
Phänomen?
Saussure hat die Problematik wie folgt formuliert321:

„[E]ine Schwierigkeit wird darin bestehen, die parasemische Schöpfung vom


parasemischen Einfluß abzugrenzen, der den Sinn eines sème vollständig ver-
ändern kann, ohne daß wir erkennen würden, daß es ein anderes sème ist.
Wenn aber die ‚Form’ ändert, sagen wir ausdrücklich, daß es ein anderes sème
ist. Ist dieser Unterschied gerechtfertigt?“322

Der ‚parasemische Einfluss’ resultiert nämlich zum großen Teil aus (‚lexikali-
schen’) Metaphern, wie wir gleich mit Goodman zeigen werden.323 Diese Frage be-
rührt also die Frage nach der Unterscheidung von Morphologie und Lexikologie.

321 Vgl. oben Anm. 183.


322 Saussure (1997), S.363, N 15 „Item“.
323 Zum anderen könnte man auch von parasemischem Einfluss reden, wo der Gebrauch, d.h.
die Bedeutung, der Etiketten eines Schemas sich durch die Verfeinerung des Schemas, durch die
Erhöhung seines Auflösungsgrades ändert, die wir durch Hinzufügung zusätzlicher Etiketten erhal-
ten. Goodman würde in diesem Fall wohl auch von einer Neuordnung einer Sphäre oder einer Er-
gänzung eines bestehenden Symbolsystems sprechen. Saussure schreibt dazu: „Wenn Sie einer
Sprache [‚langue’] ein Zeichen neu hinzufügen, vermindern Sie um ebendies die Bedeutung der an-
deren.“ [Saussure (1997), S.500, „Aus der Mitschrift von A. Riedlinger zum Cours II“]. Ohne den
Terminus zu verwenden beschreibt Saussure auch an anderer Stelle sehr schön diese Art des para-
semischen Einflusses, die hier nicht weiter beleuchtet wird [Saussure (2003), S.157, [29j] [Integra-
tion oder Postmediation-Reflexion]]:
70
Inwiefern können wir es beim parasemischen Einfluss mit dem Produkt des Trans-
fers von Etiketten oder Schemata zu tun haben? Wie oben bereits angedeutet, äh-
nelt sich die Rede Goodmans vom Symbolschema als einer ‚Familie von Alternati-
ven’ sehr dem saussureschen Prinzip der Differenz. „Wir kategorisieren durch
Mengen von Alternativen“, durch Mengen von Etiketten, d.h. durch Symbolsche-
mata. Dabei funktioniert jedes Etikett „nicht isoliert, sondern in seiner Zugehörig-
keit zu einer Familie“324. Jeder Transfer bedeutet eine „Neuorientierung eines gan-
zen Netzwerkes von Etiketten“325, d.h. jeder unkonventionelle Gebrauch eines Eti-
ketts eines Schemas – wie z.B. die Metapher – wirkt sich verändernd auf den
Gebrauch aller Etiketten des Schemas aus. Der Transfer eines Etiketts auf eine an-
dere Sphäre ändert für dieses Sprachspiel die Bedeutung eines gesamten Etiket-
tennetzwerks, erschafft gewissermaßen eine ganze Reihe neuer parasèmes. Dieses
Phänomen lässt sich – neben anderen326 – als parasemischer Einfluss verstehen
und es handelt sich um eine Wirkung der– von uns so kategorisierten – lexikali-
schen Metapher.
Im Anschluss an das ‚große Prinzip’, welches ja zur Identifikation linguistischer
Einheiten den Rekurs auf die ‚Sinn-Formen’ des Sprecherbewusstseins fest-
schreibt, lässt sich an der klaren Unterscheidung zwischen Morphologie und Lexi-
kologie als Unterteilungen der Grammatik zweifeln. So macht Saussure die Igno-
ranz des doppelten Charakters des Zeichens, der Entgegensetzung von sème und
aposème, verantwortlich für fragwürdige Kategorisierungen in der Grammatik:

„Die Sprache [langue] hat eine physische und eine psychische Seite. Der un-
verzeihliche Irrtum aber, der sich auf tausenderlei Weise in jeden Abschnitt
einer Grammatik übertragen wird, besteht darin, zu glauben, daß die psychi-
sche Seite der Begriff, die physische Seite hingegen der Laut, die Form, das
Wort sei. Die Dinge sind ein wenig komplizierter.“ 327

„In jedes existierende Zeichen GEHT also in jedem Augenblick ein bestimm-
ter Wert EIN [s’INTÉGRER], bildet sich später aus [se post-élaborer], nicht
weniger!!!, der immer nur aufgrund der Gesamtheit der Zeichen bestimmt ist,
die zum selben Zeitpunkt vorkommen; und da sich die Anzahl und der rezip-
roke sowie relative Aspekt dieser Zeichen von einem Moment zum anderen auf
unendlich vielfältige Weise ändert, wird sich das Ergebnis dieser Aktivität im
Hinblick auf jedes Zeichen und im Hinblick auf die Gesamtheit ebenfalls von
einem Moment zum anderen auf unberechenbare Weise ändern.“
324 Goodman (1997), S.76.
325 Goodman (1997), S.76f.
326 Vgl. Anm. 323.
327 Saussure (2003), S.128.
71
Wir werden zur Konkretisierung dieser Unklarheiten traditioneller Grammatiken
auf einen Gedankengang Saussures aus seiner zweiten Genfer Vorlesung rekurrie-
ren, in deren Folge er die Unterscheidung zwischen Morphologie und Grammatik,
zwischen Lexikologie und Grammatik als „illusorisch“ bezeichnet.
Saussure geht auch hier von dem Prinzip aus, dass wir eine identische, differen-
zierte Form nur in Hinsicht auf ihre Bedeutung, ihren je bestimmten Gebrauch,
haben und zieht für die klassischen linguistischen Einteilungen die entsprechen-
den Schlüsse: “Die Morphologie… Bezieht sie sich auf einen wesentlich anderen
Begriff als den der Grammatik? Man wird antworten: Die Grammatik befasst sich
mit den Funktionen der Formen, wohingegen die Morphologie ihre Zustände er-
mittelt.“328 So bestimme z.B. die Morphologie die Genitivform eines Wortes, wäh-
rend die Grammatik uns sagt, wann wir sie zu verwenden haben.
Saussure behauptet dagegen:

„Diese Unterscheidung ist illusorisch. Man kann nicht anders als über ihre Be-
deutung Einheiten separieren. Jedesmal, wenn man die verschiedenen For-
men derselben Deklination feststellt, stellt man fest, dass die unterschiedli-
chen Formen eine unterschiedliche Funktion haben.329

Eine Flexionsform existiert nur in Differenz zu den anderen Flexionsformen eines


Paradigmas und „diese Differenz ist nichts anderes als die Differenz der Funktio-
nen.“330 Mit anderen Worten: Unterschiedliche Einheiten unserer Sprache etablie-
ren sich in Differenz zu anderen Einheiten. Diese Differenzen zwischen Einheiten
wiederum sind Produkt des unterschiedlichen Gebrauchs von Zeichen. Saussure
zieht den Schluss: „Das Studium der Formen und der Funktionen“, „Morphologie

328 EC, S.305 II R 86 2133f: „[L]a morphologie … Appelle-t-elle une idée essentiellement dif-
férente de celle de grammaire? On répondra: la grammaire s’occupe des fonctions de ces formes,
tandis que la morphologie en établit les états.”
329 EC, S.305 G 2.25a 2135: “Cette distinction est illusoire. On ne peut séparer autrement les
unités que par la signification. Quand on pose les différentes formes d’une même déclinaison, on
pose que les différentes formes ont une fonction différente.”
330 Vgl. EC, S.305 II R 86 2135: “[O]n veut dire que φύλακος n’a pas la même signification que
φύλακα ou φύλακι. Фύλακος en lui n’est absolument rien, n’existe que par son opposition à φύλακι,
φύλακα. Mais cette différence n’est pas autre que la différence des fonctions.”
72
und Grammatik, das ist dasselbe.“331 Schließlich wirkt das Prinzip der Differenz
auf allen grammatischen Ebenen in derselben Art und Weise.
Darüberhinaus betrachtet Saussure die Unterscheidung von Lexikologie und
Grammatik und fragt entsprechend: „Ist die Lexikologie eine wohl unterschiedene
Unterbteilung [der Grammatik]?“332 Auch diese Unterscheidung sieht Saussure als
illusorisch an und begründet diese Behauptung damit, dass sich dieselben Bedeu-
tungsunterschiede (z.B. Aktiv vs. Passiv, Perfekt vs. Imperfekt) in der einen Spra-
che morphologisch und in der anderen Sprache lexikologisch realisieren.333 Saus-
sures Urteil über die theoretische Begründung der Einteilungen der Grammatik
lautet schließlich, obwohl sie in der linguistischen Praxis von Nutzen sein mögen
und es übertrieben wäre, sich vor ihnen zu hüten334: „Wenn man rational versucht,
zwischen allen diesen in der Praxis angewendeten Unterteilungen Trennlinien zu
ziehen, gelangt man auf keinen soliden Boden.“335
Ich werde hier dem Gedankengang der Genfer Vorlesung nicht weiter folgen. Eine
Betrachtung von Saussures ‚rationaler’ Unterteilung der Grammatik in die ‚assozi-
ative’ oder ‚intuitive’ sowie ‚diskursive’ oder ‚syntagmatische’ Ebene, an deren
Schnittpunkt sich der jeweilige, synchronische Wert einer sprachlichen Einheit be-
stimmt, bleibt hier aus.336 Vielmehr geht es mir hier darum, Saussures Gedanken
der Ununterscheidbarkeit der traditionellen grammatischen Ebenen aufzuneh-
men, einer Ununterscheidbarkeit, die sich darauf gründet, dass wir für die Be-
stimmung unterschiedlicher morphologischer, wie lexikalischer oder syntaktischer
Formen das gleiche Kriterium, nämlich einen Unterschied in ihrer Funktion, in
ihrem Gebrauch, heranziehen müssen.

331 Vgl. EC, S.305 II R 86 2136: “Étude des formes et des fonctions, c’est la même chose.” und
EC, S.305 B 55 2136: „Morphologie et grammaire, C’est la même chose.“
332 Vgl. EC, S.305 G 2.25a 2138: „La lexicologie est-elle un compartiment bien défini?”
333 Vgl. EC, S.305f II R 87 und G 2.25a 2140-2144.
334 Vgl. EC, S.306 II R 107 und II C 77 2194.
335 EC, S.306 II R 88 2147: „Si pour tous ces compartiments, qui ont leur utilité dans la
pratique, on essaie rationnellement de tirer des lignes de démarcation, on n’arrive pas à un terrain
solide.” An anderer Stelle deutet Saussure ein noch größeres Ausmaß des Problems der Unterschei-
dung grammatischer Kategorien an, wenn er die Semiologie wie folgt darstellt: „Semiologie = Mor-
phologie, Grammatik, Syntax, Synonymie, Rhetorik, Stilistik, Lexikologie etc. …, was alles nicht
voneinander getrennt werden kann“. [Saussure (2003), S.106, [8] [Semiologie]]
336 Vgl. EC S.307-309 2151-2164.
73
7.2 Analogie als „grammatische Bewegung“
Die erläuterte Problematik der Unterscheidung verschiedener grammatischer Me-
taphern benutze ich als Anlass für eine Reduzierung unterschiedlicher Metaphern-
typen auf ein Grundprinzip der Metapher/Analogie: Die Analogie oder Metapher
ist der Transfer, die Übertragung einer sprachlichen Form, vom Kontext ihres ge-
wöhnlichen, routinemäßigen Gebrauchs in einen neuen ungewöhnlichen
Gebrauchskontext. Dabei handelt es sich um eine freie, improvisierte, phantasie-
volle Handlung, die im Rahmen des Diskurses, der Interaktion zwischen Individu-
en stattfindet.
Diese Beschreibung ist allgemein genug gehalten, um von der morphologischen bis
zur syntaktischen Metapher alle genannten Formen der Metapher zu umfassen.
Warum Saussure seine ausführliche Untersuchung der Analogie auf die morpholo-
gische Ebene beschränkt, ist unklar. Aus der Behauptung der Ununterscheidbar-
keit der grammatischen Ebenen hätte er eine Erweiterung seines Analogiemodells
folgern müssen. In einer note über „[d]ie Rede, Ort der Veränderungen“ setzt er
die Analogie mit einer grammatischen Veränderung gleich: „Alle Veränderungen
[modifications], seien es phonetische oder grammatische (analogische), entstehen
einzig und allein in der Rede [dans le discursif].“337 Saussure hat also die Analogie
als ‚grammatisches’ Phänomen bezeichnet und hätte sie in letzter Konsequenz
breiter konzeptionieren müssen, indem er auch den Transfer lexikalischer wie syn-
taktischer Einheiten darunter subsumiert.338 Das habe ich nun in dieser Arbeit ge-
tan, indem wir die verschiedenen Konzeptionen auf ein Prinzip zurückgeführt ha-
ben.

337 Saussure (2003), S.160, [4] [Die Rede, Ort der Veränderungen – Unterteilungen dieses
Buches]. Zur nunmehr paradoxen Bezeichnung der Analogie als ‚grammatische Veränderung’ und
dem besondern Status der Analogie vgl. Kapitel 8.
338 Im Übrigen ist es ja - wie wir in Abschnitt 3.3.2 gesehen haben – der Transfer, sowie die
‚routinemäßige Projektion’, d.h. der ‚Kontextwechsel’ [vgl. Derrida (2001)], der die Identität des
Zeichens sowohl konstituiert als auch verunmöglicht. Man könnte – ich kann hier nur in Andeu-
tungen sprechen – zwei Möglichkeiten unterscheiden, Zeicheneinheiten zu bestimmen, die beide
auf der Transkriptivität des Zeichens beruhen: 1.) über die Konstituierung der Zeicheneinheiten im
ungestörten Diskurs, im Modus der Transparenz, in dem wir es mit ‚routinemäßigen Projektionen’
oder auch gelungenen Metaphern zu tun haben und 2.) durch die Betrachtung ‚gestörter Kommu-
nikation’, in denen unverstandene Spracheinheiten aus dem Redefluss herausgetrennt und prob-
lematisiert werden. [Vgl. Jäger (2004)] Phoneme sind wir jedenfalls nur auf der zweiten Ebene zu
unterscheiden in der Lage.
74
Saussure spricht also von der Analogie als ‚grammatischem Wandel’ und auch bei
Wittgenstein hatten wir die Analogie ja als Wirkung von Projektionen interpretiert,
welche wir als die Anwendung einer überkommenen in bestimmten Sprachspielen
routiniert verwendeten sprachlichen Form auf neue Bereiche der Wirklichkeit, des
Handelns explizierten. Dabei werden mit der Projektion oberflächengrammati-
scher Formen von einem Bereich des (sprachlichen) Handelns die neuen Bereiche
erst konstituiert. Schneider selbst hat seine Betrachtung auf die Projektion des
Subjekt-Prädikat-Schemas beschränkt. Allerdings findet sich in den Philosophi-
schen Untersuchungen Wittgensteins eine solche Verwendung traditioneller
grammatischer Unterscheidungen gar nicht mehr. Wittgensteins Grammatikbeg-
riff ist im Spätwerk sehr allgemein und die Grammatik eines Zeichens ist sein
Gebrauch in Sprachspielen, seine Funktion in der Sprache. Ich bin der Meinung,
dass Wittgensteins Grammatikbegriff sich mit dem Grammatikbegriff Saussures
hinreichend deckt, den ich ausgehend von der Problematik der Unterscheidbarkeit
verschiedener grammatischer Ebenen angedeutet habe. Der Frage nach dem
Gebrauch von ‚Grammatik’ bei Saussure und Wittgenstein und inwiefern dieser
übereinstimmt kann hier – so interessant sie auch ist – nicht weiter nachgegangen
werden.339
Schließlich möchte ich vorschlagen, diese sprachlichen Phänomene, auf die im
Verlaufe dieser Arbeit mit den verschiedensten Etiketten – Analogie, Projektion,
(morphologische, lexikalische, semantische) Metapher, Transfer, parasemische
Schöpfung, grammatischer Wandel – Bezug genommen wurde, unter einem weite-
ren – von Wittgenstein geborgten – Etikett zusammenzufassen, das meiner Mei-
nung das Phänomen am treffendsten beschreibt.
Dieses Etikett ist „die grammatische Bewegung“. Wir finden es in den Philosophi-
schen Untersuchungen, wo Wittgenstein es im Rahmen einer erneuten Auseinan-
dersetzung mit dem Solipsismus, in seiner „Neuauflage der Gesichtsfeldmetapher
aus dem Tractatus“340 benutzt, um die „neue Sprachweise“, den „neuen Vergleich“,
die „neue Empfindung“341 eines Vertreters des Solipsismus zu charakterisieren:
„Du deutest die neue Auffassung als das Sehen eines neuen Gegenstands. Du deu-

339 Zu Saussures Grammatikbegriff finden sich noch einige Worte im nächsten Abschnitt, be-
sonders in Anm. 347.
340 Vgl. Birk (2004), S.192-197.
341 Vgl. PU 400.
75
test eine grammatische Bewegung, die du gemacht hast: als quasi-physikalische
Erscheinung, die du beobachtest.“342 Wittgenstein nennt hier also das neue Bild –
das ist im Übrigen das Bild des „visuellen Zimmers“343 –, in das der Solipsist „das
Ich und seine Wahrnehmungs- und Empfindungswelt“344 fasst, also die neue
Sprechweise über einen bereits normalsprachlich strukturierten Bereich der Wirk-
lichkeit, des Handelns, eine ‚grammatische Bewegung’. Es handelt sich bei dieser
gleichsam um eine Metapher, eine Projektion, die eine bestehende Weltversion
durch ein geborgtes Schema neu sortiert.345
Die Bezeichnung ‚grammatische Bewegung’ scheint mir nach unserer Betrachtung
der Problematik einer Unterscheidung verschiedener grammatischer Ebenen aus
folgendem Grund sehr treffend: Dieser besteht in der Doppeldeutigkeit des Aus-
drucks ‚grammatische Bewegung’. Es ist nämlich unklar, ob er sich auf eine Bewe-
gung in der Grammatik, d.h eine Bewegung eines Teils der Grammatik – etwa der
Transfer eines Schemas auf eine neue Sphäre – bezieht oder auf eine Bewegung,
einen Wandel der Grammatik selbst. Und es sind ja gerade diese beiden Bewegun-
gen, die eine Analogie oder Metapher mit sich bringt. Denn die parasemische
Schöpfung, die Geburt einer Analogie aus der bestehenden langue, der Regel-
bruch, der unter der Führung der Regel stattfindet, wirkt immer zugleich auf das
Regelsystem zurück und verändert es.
Eine bestehende Grammatik, ein bestehender Sprachgebrauch, lädt zu seiner
Übertretung ein, evoziert Regelbrüche, Bewegung innerhalb der Grammatik. Im
Nachhinein haben wir es aber auch mit einer veränderten, neuen Grammatik zu
tun.

342 PU 401, Hervorhebung von mir, A.P.


343 Vgl. PU 398-400. Für unsere Zwecke muss diese erkenntnistheoretische Problematik nicht
weiter bestimmt werden, in deren Rahmen von der ‚grammatischen Bewegung’ spricht.
344 Birk (2004), S.196.
345 Birk betont an dieser Stelle [Birk (2004), S.195]: „Ganz entscheidend bei dieser Neufas-
sung des Sprachproblems ist, dass die gewöhnliche Ausdrucksweise nach wie vor als die einzig
sinnvolle gilt, dass sie also nicht durch eine adäquatere Sprache ersetzt werden kann, wie Wittgen-
stein selbst zur Zeit seiner phänomenologischen Überlegungen meinte.“ Die Bedeutung einer
grammatischen Bewegung beim Philosophieren und die Beurteilung ihrer Richtigkeit sind hier aber
nicht das Thema.
76
8 Schluss
Dieser Status der grammatischen Bewegung als durch bestehende Regeln geleitete
Bewegung in der Grammatik wie auch einer Bewegung der Grammatik selbst, wird
sehr deutlich in Saussures Reden von der Analogie als ‚grammatischem’ Phäno-
men, auf die ich hier noch einmal zurückkommen möchte: „Alles, was in der Syn-
chronie einer langue ist, einschließlich der Analogie (= Konsequenz unserer Akti-
vität), lässt sich sehr gut in dem Term ‚Grammatik’ zusammenfassen, in seinem
dem üblichen sehr ähnlichen Sinn.“346 Ich möchte hier nun abschließend die Para-
doxie dieser Ausdrucksweise verdeutlichen, um auf die Analogie als grundlegende
Zerschlagung einer Zwei-Welten-Ontologie hinzuführen. Im obigen Zitat wird –
mit der Etikettierung der Analogie als ‚grammatischem Wandel’ – ein Zwiespalt,
eine Doppelbödigkeit der Analogie deutlich. Saussure setzt das Grammatische
nämlich mit der Menge der Differenzen in der Synchronie gleich, weil wir es nur in
einem Sprachzustand mit durch ihre Bedeutung differenzierten Einheiten zu tun
haben, wie er nicht müde wird zu betonen.347 Deswegen ist es paradox, die Analo-
gie als für den sprachlichen Wandel, die Entfaltung der Diachronie der Sprache,
hauptverantwortliches Phänomen, mit dem Prädikat ‚grammatisch’ zu versehen.
Die Analogie stellt somit nicht nur den Ort der Veränderung der langue durch die
parole dar, mit ihr wird nicht nur die einseitige Abhängigkeit der parole von der
langue und somit eine Hierarchisierung des Verhältnisses der beiden Aspekte von
Sprache erschüttert. In ihr berühren sich auch Synchronie und Diachronie, sowie

346 EC, S.303 II R 106 2127: “Tout ce qui est dans la synchronie d’une langue, y compris
l’analogie (=conséquence de notre activité), se résume très bien dans le terme de grammaire dans
ca conception très voisine de l’ordinaire.” Vgl. auch oben S.73f.
347 Die Gleichsetzung von synchronischer, grammatischer, morphologischer, semiologischer
Betrachtung sowie der Betrachtung des Gebrauchs oder der Funktion sprachlicher Formen in Ab-
grenzung zur diachronischen bzw. phonetischen Betrachtung durchzieht z.B. den gesamten ersten
Teil von Saussure (2003), der den Titel „Über das doppelte Wesen der Sprache“ trägt. Vgl. Saussure
(2003), S.75-157, hier z.B. S.79f, [2e] [Vier Gesichtspunkte]: „Gesichtspunkt des Sprachzustandes
für sich genommen“ = „Gesichtspunkt eines bestimmten Zeitpunkts“, ‚semiologischer Gesichts-
punkt’, ‚morphologischer Gesichtspunkt’, ‚grammatischer Gesichtspunkt’, „Gesichtspunkt der mit-
einander verbundenen Elemente“. Oder S.91, [5a] [Laut und Sinn]: „Die gesamte Untersuchung
einer Sprache [langue] als System, das heißt einer Morphologie, läuft, wenn man so will, auf die
Untersuchung des Gebrauchs der Formen oder auf die der Repräsentation der Begriffe hinaus. Es
ist falsch zu meinen, es gebe irgendwo Formen, (die für sich selbst, außerhalb ihres Gebrauchs exis-
tieren) oder irgendwo Begriffe (die für sich selbst, außerhalb ihrer Repräsentationen existieren)“.
77
die anderen von Saussure zu Begründung der Sprachwissenschaft entwickelten Di-
chotomien. Jäger schreibt dazu:

„Mit der Kategorie der Analogie ist … das Zentrum der Saussureschen Theorie
erreicht. Denn unter diesem Begriff arbeitet Saussure jenen Wesensgrund der
Sprache heraus, in dem die begrifflichen isolierten Wesensmomente Parole –
Langue, Diachronie – Synchronie, syntagmatische – assoziative Zeichenbezie-
hungen, als realiter miteinander vermittelte und ineinander aufgehobene, die
historisch-gesellschaftliche Dynamik der Sprache konstituieren.“348

Wenn man die klassischen Unterscheidungen der Grammatik benutzen will, so


finden die grammatischen Bewegungen auf allen Ebenen statt, d.h es gibt nicht
nur auf der Ebene der Morphologie, der Wortwahl und der Syntax stetig gramma-
tische Bewegung, sondern auch auf der Ebene der Illokutionen. Diese ‚illokutive
Analogie’ wird von Christian Stetter wie auch Hans J. Schneider angedeutet, wenn
dieser von der „Übertragung (Verwendung einer alten Äußerung in einem neuen
illokutiven Sinn; z.B. ‚es zieht’ als Aufforderung)“ 349 und jener von der ‚analogi-
schen Ausdifferenziertheit’ des „’Makrobereichs’ der Illokution“350 spricht. Wir
werden diese hier nicht weiter betrachten, verweisen nur auf die analogische
Strukturiertheit der Illokutionen.351 Allerdings dürfte es große Schwierigkeiten ge-
ben, diese von der ‚syntaktischen’ Analogie abzugrenzen.
Ich bilanziere im Anschluss an Stetter: Die Vertreter der Zwei-Welten-Ontologie
haben zu einem „Verlust der Analogie“ beigetragen, der sich als theoretisches Defi-
zit grundlegend auf die sprachwissenschaftliche Modellbildung auswirkt:

„Was indessen der Verlust der Analogie für die Leitvorstellungen von Sprach-
wissenschaft bedeutet, zeigt in nicht mehr zu überbietender Schärfe die Ent-
wicklung, die Chomskys Mentalismus genommen hat. Mit dem Modularitäts-
konzept der generativen Theorie und mit der damit einhergehenden, die Diffe-
renz von noumenalen und materialen Objekten systematisch nivellierenden
Rede vom ‚mind/brain’ ist die Idee von Sprache als noumenalem Objekt, an

348 Jäger (1976), S.240.


349 Schneider (1992), S.410.
350 Vgl. Stetter (1997), S.170.
351 Ich belasse es hier dabei, zur ‚illokutiven Analogie’ eine kleine Anekdote zu erzählen: Als
der Autor dieser Zeilen im Kindergarten zum ersten Mal mit dem Spiel „Wer hat Angst vorm
schwarzen Mann?“ in Berührung kam, hat es eine ganze Weile gedauert, bis er bemerkte, dass der
normalerweise beschreibende Konditionalsatz ‚Und wenn er kommt, dann laufen wir.’ als eine
Aufforderung zum Loslaufen fungierte. So war er die ersten Male der einzige, der stehen blieb,
während alle davonliefen, bis die soziale Abrichtung ihre Arbeit getan hatte und er es der Menge
gleichtat.
78
der Saussure doch immer entschieden festgehalten hatte, definitiv aufgege-
ben.“352

Wie ich in dieser Arbeit gezeigt habe, handelt es sich aber bei der Analogie um ein
zentrales Prinzip der Sprachkonstitution wie ihres Wandels, welches jede Sprach-
theorie zu berücksichtigen hat.

352 Stetter (1997), S.165f.


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