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J A N UA R 2 010 M I T T E L E U R O PA L I T E R A R I S C H E W E LT 31
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umänien ist das Land der Ge- Der Wahlkampf ging bis hin zu einem um besitzt eine große Sammlung von Do- In dieser Woche stehen wir am Totenbett
gensätze und Widersprüche. Krieg der Wahlplakate. Manche wirkten kumenten und einen eigenen Verlag. All- eines großen Jubilars. Lösungsvorschläge
Das Land der Höhen und Ab- wie politische Poster, die den Opportu- jährlich finden dort Seminare und eine an die Redaktionsadresse oder literatur-
gründe. Das Land aller Mög- nismus der politischen Allianzen lächerlich internationale Sommerschule statt. Am 18. welt@welt.de.
lichkeiten und aller Überra- machten. So ein dem links-konservativen Dezember 2006 hatte der damalige und
schungen. Kaum glaubt man, es entziffert Bündnis der PSD-PC zugeschriebenes Pla- nun wiedergewählte Präsident Traian Ba- Der Leichenbestatter nimmt die Vase mit
zu haben, schon entgleitet es einem. Der kat. Unter dem Motto „gemeinsam siegen“ sescu den Kommunismus im Parlament den Rosen. Nur einmal, während der
Blick von außen lässt seine Bewohner cha- zeigte es ihren Präsidentschaftskandidaten verurteilt. Damit wurde eine juristische junge Mann spricht, verrät der Leichen-
otisch und unberechenbar erscheinen. Mircea Geoana im Vordergrund. Um ihn Basis geschaffen für weitere Schritte. bestatter, dass er gerade etwas Außerge-
„Not only am I perfect.... I’m Romanian, herum andere Politiker der Allianz in lä- Rumänien ist eine Demokratie. Mei- wöhnliches gehört hat. Doch das eine
too“, lese ich auf dem T-Shirt eines jungen cherlicher Pose. Eine Szene wie aus der nungsfreiheit und Reisefreiheit sind garan- Mal, als der junge Mann den Namen des
Mannes in Bukarest. Ich muss lachen und Commedia dell’arte. tiert. Seit dem EU Beitritt sind die Tore der Verstorbenen erwähnt, heben sich die Au-
weinen. Humor und Selbstironie haben Es gibt zwei Rumänien, und jedes von meisten Länder auch für die Rumänen genbrauen des Leichebestatters ein wenig.
dieses Land noch nie verlassen. Denn es ist ihnen besäße viele Gesichter, wird im Land offen. Oft ist der Urlaub im Ausland sogar X. sagen Sie? Nur eine Minute, ich kom-
ein Fluch, rumänisch zu sein. heute behauptet. Bei der Ankunft mit dem billiger. Man trifft immer öfter auf rumä- me gleich.
Während der Diktatur waren Humor Zug in der Grenzstadt von Arad wird der nische Touristen, die sich Sehenswürdig- Haben Sie verstanden, was ich gesagt
und Selbstironie Rettung und Falle zu- Reisende von einem frisch renovierten keiten ansehen oder Shoppingtourismus habe, sagte Olga zu dem jungen Mann.
gleich. Sie wirkten als Ventil, halfen, die Bahnhof mit moderner Einrichtung und betreiben. Im Westen dagegen hält man Lassen Sie die Gläser stehen. Machen Sie
Unterdrückung zu relativieren und die einem bröckelnden Treppengang empfan- sich fast ausschließlich an das Bild des sich um die Gläser keine Gedanken. Ver-
Schwere des Überlebens erträglich zu ma- gen. Im Zentrum glänzt die Weihnachts- rumänischen Wirtschaftsflüchtlings und gessen Sie das, Kristallgläser und alles.
chen, ermöglichten das Weiterleben. dekoration. An der Peripherie lauern die an das eines Landes, das Minderheiten Lasen Sie das Zimmer so, wie es ist. Alles
Gleichzeitig verharmlosten sie das Böse. Schlaglöcher. Es gibt das ländliche und das unterdrückt. Aber dieses Bild stimmt nicht ist jetzt bereit. Wir sind bereit. Gehen Sie
Humor und Selbstironie gepaart mit einer urbane Rumänien. Selbst das urbane be- mehr. Wem Schulen, Theater, Zeitungen jetzt? Aber in diesem Moment dachte der
fatalistischen Haltung schienen jeden Wi- steht aus zwei Welten. Neben den moder- und Verlage in der Sprache der Minderhei- junge Mann an den Korken, der noch
derstand sinnlos zu machen. Unmöglich. nen, renovierten Zentren gibt es die pri- ten nicht überzeugend genug sind, wird dicht vor seiner Schuhspitze auf dem
Als das rumänische Volk vor zwanzig mitiven Peripherien. Von ihren Wurzeln sein Bild spätestens nach den Wahlen im Fußboden lag. Um ihn aufzuheben, wür-
Jahren aufbegehrte und sich befreite, wun- abgeschnitten, von der Gesellschaft miss- Dezember 2009 korrigieren müssen. Ne- de er sich, die Vase noch immer fest in der
derte es sich über den eigenen Mut. Bis achtet, leben dort die Außenseiter, die ihr ben Marko Bela, dem Stellvertretenden Hand, danach bücken müssen. Ja, das
dahin hat man sich getröstet mit dem Dorf verlassen haben, ohne jemals in der Regierungschef, gehören drei weitere Mi- würde er tun. Er beugte sich vor. Ohne
Spruch „Die Polenta explodiert niemals“. Großstadt angekommen zu sein. Sie leben nister im rumänischen Kabinett der unga- hinzublicken, streckte er den Arm aus
Im Laufe der Nachkriegsjahre war die Dik- in einer Art kulturellem Niemandsland rischen Minderheit an. und umschloss mit der Hand den Korken.
tatur allgegenwärtig geworden. Ihre Über- voller Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit, Ar- Zwanzig Jahre nach der Revolution,
macht hatte das kollektive Gedächtnis ver- mut und Promiskuität, die in den herben sechs Jahre nach Beginn der Nato-Mit- In der vergangenen Woche suchten wir
schleiert und in die Depression getrieben. Manele ihren musikalischen Ausdruck fin- gliedschaft und zwei Jahre nach dem EU- Johann Peter Hebels „Schatzkästlein für
Man hatte seine jüngste Geschichte, den det. Zwischen Zentrum und diesen Außen- Beitritt wäre es an der Zeit, einen differen- den rheinischen Hausfreund“. Die Gewin-
bitteren Kampf um Freiheit und Würde, bezirken liegt zeitlich eine jahrhundertealte zierten Blick auf dieses Land zu werfen. nerin ist Ingrid Heilmann aus Bremen.
den Widerstand der Partisanen in den Kluft, die immer breiter wird. Am besten, einfach dahin zu fahren.
Bergen Rumäniens vergessen. Er hatte bis Ein altes und ein junges Rumänien ste-
in die Sechzigerjahre gedauert und die hen sich gegenüber. In den letzten Jahren Carmen-Francesca Banciu, 1955 in Rumä-
Securitate über mehr als ein Jahrzehnt des Kommunismus hatten die Alten das nien geboren, ist Schriftstellerin und lebt DIE LITERARISCHE WELT
herausgefordert. Der bewaffnete Wider- Sagen, die Jungen behandelte man wie seit 1990 in Berlin. Zuletzt erschien ihr Eine Beilage der WELT
stand, wie er heute genannt wird, hatte potenzielle Verbrecher. Das wurde ver- Roman „Vaterflucht“. Herausgeberin: Dr. Rachel Salamander
viele Leben gekostet. Nicht nur die der stärkt durch die Tradition der rumäni- Verantwortlich: Elmar Krekeler
Partisanen. Auch die der Dorfbewohner, schen Gesellschaft, die jugendfeindlich Bisher in unserer Reihe erschienen: Redaktion: Dr. Tilman Krause,