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Die Frage nach der wahren Begründung und nach dem rechten
Verhältnis von Autorität und Freiheit ist dem Menschen auf allen
Gebieten des Lebens und Denkens gestellt. Weder im vorwissen-
schaftlichen noch im wissenschaftlichen Stadium seiner Erkenntnis-
bemühung hat er sich ihr als einer Grundfrage seines Daseins in der
Welt je entziehen können und er hat sie, ganz allgemein gesagt,
immer derart beantwortet, daß ihm in den mit den Worten Autori-
tät und Freiheit gemeinten Sachverhalten zwei U r g e g e b e n -
h e i t e η seines Lebens entgegentreten, die er zwar dialektisch ver-
binden und ins Verhältnis setzen, aber nicht letztlich ausgleichen
kann. Auch dort, wo ihm angesichts seiner natürlichen Bestimmt-
heit, in Geschlecht und Charakter, in Schuld und Schicksal etwa,
nichts an Freiheit gelassen zu sein scheint, nimmt er seine Zuflucht
zur inneren Freiheit seiner selbst als des erkennenden, wollenden,
fühlenden Subjekts. „Si fractus illabatur orbis, impavidum ferient
ruinae." „Der Mensch ist frei, und wär er in Ketten geboren."
Nur in der Distanz der Abstraktion oder in nachträglicher
Konstruktion kann es freilich so aussehen, als sei das Verhältnis
von Autorität und Freiheit für den Mens dien immerhin in solcher
Dialektik ausreichend zur Darstellung zu bringen. In der Geschichte
des menschlichen Lebens zeigt sich vielmehr ein ständiger Kampf
um die Freiheit g e g e n die vorgegebene, den Menschen fesselnde
Autorität. Dieser Kampf betrifft, wenn audi nicht immer in gleicher
Stärke, alle Gebiete der Wirklichkeit und spielt sich also ab als
Kampf um die geistige, um die politische, um die wirtschaftliche
Freiheit — um nur diese wichtigsten Kapitel aus der Geschichte
der menschlichen Freiheitsbemühungen zu nennen. Dieser Kampf
um die Freiheit bedient sich aller Mittel und aller Bundesgenossen,
in der neueren Zeit ganz besonders auch der wissenschaftlichen
Erkenntnisbemühimg; ja, diese wird in dem Kampf um die Freiheit
zur stärksten Waffe. Im Zeichen des Strebens nach Freiheit des
menschlichen Geistes gelangt Wissenschaft ganz eigentlich zu ihrem
heutigen Ansehen.
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