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In Mesopotamien, dem Land zwischen den Strömen Euphrat und

Tigris, erblühten vor mehr als 5000 Jahren die ältesten Hochkulturen
der Menschheit. Hier wurden das Rad, die Töpferscheibe und – wichti­
ger als vieles andere – die Schrift erfunden. Dabei handelte es sich um
die sogenannte Keilschrift. Die Keilschrifttafeln, die in gewaltiger, noch
längst nicht vollständig erschlossener Fülle erhalten geblieben sind,
überliefern ein lebendiges und facettenreiches Bild der Geschichte,
Gesellschaft und Kultur des Zweistromlandes.
Dietz Otto Edzard legt auf der Grundlage jahrzehntelanger eigener
Forschung mit diesem Buch eine allgemeinverständliche, informations­
reiche und eindrucksvolle Gesamtdarstellung Mesopotamiens vor. Er
erläutert die Voraussetzungen und Anfänge der dortentstandenen
Hochkulturen und bietet einen Überblick über die Geschichte der
Reiche von Sumer, Akkade, Ur, Elam, Assur, Urartu und Babylon und
ihrer Beziehungen untereinander. Er beschreibt Grundzüge ihrer
Götterwelt und ihrer religiösen Vorstellungen, ihres Rechtswesens
und ihrer Wirtschaftsweise. Schließlich resümiert er den Niedergang
der alten Reiche, den Aufstieg der Perser bis zum Sieg Alexanders des
Großen über Dareios III. und das Verschwinden der Keilschrift im
Hellenismus.

Dietz Otto Edzard (1930–2004) war Vorstand des Assyriologischen


Seminars der Ludwig-Maximilians-Universität, München, und Heraus­
geber des Reallexikons der Assyriologie und Vorderasiatischen Archä­
ologie. Die Geschichte Mesopotamiens sowie die sumerisch-akkadische
Literatur und Sprache bildeten Schwerpunkte seiner Forschung.
Dietz Otto Edzard

GESCHICHTE
MESOPOTAMIENS
Von den Sumerern

bis zu

Alexander dem Großen

VERLAG C.H.BECK
Mit 13 Abbildungen, zwei Karten im Text und

einer farbigen Karte auf den Vorsätzen;

diese Karte wurde gestaltet von Cartomedia, Karlsruhe,

nach Simo Parpola, State Archives of Assyria I (Helsinki 1987)

Die erste Auflage erschien 2004.

2., verbesserte Auflage. 2009

© Verlag C.H.Beck oHG, München 2004

Satz: Fotosatz Janß, Pfungstadt

Druck und Bindung: Kösel, Krugzell

Gedruckt auf alterungsbeständigem, säurefreiem Papier

(hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff)

Printed in Germany

ISBN 978 3 406 51664 1

www.beck.de
Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

I. Die Anfänge 13

1. Die geographischen und klimatischen Voraussetzungen . . . . 13

2. Zur Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

3. Der Beginn der sumerischen Hochkultur . . . . . . . . . . . . . . . 20

4. Schrift, Sprachen und Schreiber um die Wende vom IV. zum


III. Jahrtausend v. Chr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

II. Mesopotamien im III. Jahrtausend v. Chr.

vorm Entstehen des Reiches von Akkade 37

5. Die Sumerische Königsliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

6. Ǧamdat Naṣ r und Tall ῾Uqair . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

7. Ur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

8. Šuruppak und Abu Ṣ alābãh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

˘
9. Lagaš . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

10. Lugal-zage-si . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

11. Das Diyāla-Gebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

12. Mari . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

13. Ebla . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

14. Das Hābūr-Dreieck und das spätere Assyrien . . . . . . . . . . . . 68

˘
15. Elam und «Iran» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

16. Tilmun und der Persische Golf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

17. Die Leistung der Keilschrift an der Schwelle zum Reich

von Akkade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

6 Inhaltsverzeichnis

III. Das Reich von Akkade 76

18. Sargon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

19. Rimus und seine Nachfolger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

20. Das Ende von Akkade – Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

IV. Utu-hegal, Gudea, die III. Dynastie von Ur

und ihre unmittelbaren Nachfolger 96

21. Utu-hegal von Uruk, Gudea von Lagas und seine Dynastie . 97

22. Das Reich der III. Dynastie von Ur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

23. Der Niedergang von Urlll; hin als Nachfolgerin und die

Zersplitterung Babyloniens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

V. «Assyrien», Nordmesopotamien, Nordsyrien

am Anfang des II. Jahrtausends v. Chr. 112

24. Assur und «Assyrien» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

25. Mari und der nordmesopotamisch-nordsyrische Raum . . . . . 116

VI. Babylonien im 19.–17. Jahrhundert:

Politik, Recht, Wirtschaft und soziale Verhältnisse,

Literatur, Religion und Kult, Ausblick 121

26. Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

27. Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

28. Wirtschaft und soziale Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

29. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

30. Religion und Kult . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

31. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

VII. Die mittelbabylonische Zeit 141

32. Babylonien und die Kassiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142

33. Nuzi, Mittani und die Hurriter; die «indoarische»

Komponente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150

34. Assur: «Aufbruch zu einem Reich» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

35. «Amarna» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

36. Die Hethiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

Inhaltsverzeichnis 7

37. Assyrien: Erster Höhepunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

38. Die Aramäer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173

39. Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174

VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen:

Assyrien, Babylonien, die Golfregion, Elam, Urartu,

Kleinasien und der «Westen», Syrien-Palästina, Ägypten 181

40. Assyrien und ein zersplittertes Babylonien . . . . . . . . . . . . . . 181

41. Assurnasirpal II. – ein Sadist auf dem Thron? . . . . . . . . . . . 184

42. Elam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

43. Urartu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192

44. Assyrien von Salmanassar III. bis zu Tiglatpileser III. . . . . . . 195

45. Sargon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

46. Sanherib und Asarhaddon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214

47. Assurbanipal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

48. Die «Bibliothek» Assurbanipals in Ninive . . . . . . . . . . . . . . 229

49. Der Sturz Assyriens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234

IX. Die Weltmacht Babylon. Ihr Fall und

der Aufstieg der Achämeniden in Mesopotamien 237

50. Nabopolassar, Nebukadnezarll. und Nabonid . . . . . . . . . . . . 237

51. Die Perser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

X. Alexander der Große und seine Nachfolger 254

52. Babylonien unter Alexander dem Großen,

den Seleukiden und Arsakiden (Parthern) . . . . . . . . . . . . . . 254

Anhang
Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261

Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277

Für Babó
Vorwort

Mesopotamien steht nicht nur zeitlos da als Kulturgläubigerin eines


großen Teils unserer Welt. Es ist 2003 auch auf traurige Weise aktuell
geworden, als diese Welt eingeladen war, hilflos und machtlos einem
Krieg mit folgender schwerer Ausplünderung zuzusehen. So wie
wenn es bis in unsere jüngste Gegenwart kein Ende damit haben soll-
te, daß sich «Geschichte» immer nur am Aufstieg und Sturz übler
Machthaber, an Kriegen, Zerstörung, Siegen, Empörung orientieren
müßte, bevor sie sich neuem Aufbau und wieder dem Aufstieg zu-
wenden kann – dem fatalerweise schon der abermalige Niedergang
einprogrammiert ist. Wir haben versucht, die Akzente anders zu set-
zen, so gut wir es konnten, und bleibende Leistungen voranzustellen.
Der Band hat für den näher Interessierten einen kapitelweise ange­
ordneten Anmerkungsteil mit Leseempfehlungen und einigen Erläute-
rungen. Auf einen gleichsam zeilenbegleitenden Belegapparat wurde
verzichtet, da diese Geschichte kein Handbuch ist.
Der Verfasser hat viel mehr Zeit auf seinen Band verwendet, als
ihm vertraglich zugestanden war. Er dankt sehr herzlich Herrn Dr.
Stefan von der Lahr vom Beck Verlag für lange Geduld und hervorra­
gende Beratung und Betreuung. Frau Maja Gambasidze MA (Tbilisi/
München) hat vom nicht immer leicht lesbaren Manuskript die
Druckvorlage hergestellt. Ich danke ihr sehr für ihre Mühe. Der Baye­
rischen Akademie der Wissenschaften bin ich für großzügige Unter­
stützung sehr zu Dank verpflichtet.

München, Oktober 2003 Dietz Otto Edzard


Einführung

Mesopotamien, «das (Land) zwischen den Strömen», haben die Grie-


chen ein Gebiet genannt, das von den Zwillingsflüssen Euphrat und
Tigris eingeschlossen ist. Zunächst war nur der Bereich oberhalb vom
«Flaschenhals» (beim heutigen Baghdad) gemeint. Dann wurde der
Begriff auch auf den südöstlichen Teil des Flußsystems ausgedehnt.
Auf die Griechen gehen auch unsere Namen «Assyrien» und «Baby-
lonien» zurück. Assyria im Nordwesten war benannt nach seiner al-
ten Hauptstadt Assur am Tigris, Babylonia im Südosten nach dem
mächtigen Babylon. Aber öfters steht auch einer der beiden Namen
für das Ganze. Der antike Gewährsmann hatte ja noch nicht unsere
Landkarte vor sich aufgeschlagen.
Wenn wir eine «Geschichte Mesopotamiens» vorhaben, so gehen
wir aus von jenem «Zweistromland», das dem heutigen Staate Iraq
und dem heutigen nordöstlichen Syrien entspricht. Soweit halten wir
uns an die Flüsse. Es kann aber nicht ausbleiben, daß wir auch den
Herrschern und Händlern dieses Kerngebietes auf ihren Kriegs- und
Handelszügen folgen. So wird diese Geschichte denn auch von «Rand-
zonen» und weiter entferntem «Ausland» handeln. Indes nur so weit,
wie wir damit die Geschehnisse im Kernbereich besser erklären kön-
nen. Der von uns einmal eingenommene Standpunkt in Mesopota-
mien bringt es mit sich, daß wir vom Kern oder vom «Hier» und von
der Peripherie oder vom «Dort» sprechen. Damit ist kein Werturteil
ausgesprochen. Wer eine Geschichte Israels oder Kleinasiens schreibt,
muß ja notwendigerweise Mesopotamien – oder auch Ägypten – zur
«Peripherie» degradieren.
Soweit zum Raum. Und die Zeit: Wenn – grob gesprochen – der
Unterschied zwischen Geschichte und dem, was «vor der Geschichte»
war, gemessen wird am Vorhandensein oder Fehlen einer für uns aus­
drucksfähigen, «Nachrichten» hinterlassenden Schrift, so können wir
in Mesopotamien den Übergang von der Vorgeschichte in die Ge-
schichte früher ansetzen als fast irgendwo sonst auf der Welt. Es ist,
rund gesagt, die Wende vom IV. zum III. Jahrtausend v. Chr. Hierhin
Einführung 11

datieren wir die ältesten Tontafeln mit einem noch sehr oft bildhaften
Schriftsystem, aus dem sich die «Keilschrift» entwickelt hat. Freilich
bedeutet die Vertrautheit mit diesem archaischen Schriftsystem noch
nicht, daß wir nunmehr «Geschichte» schreiben können im Sinne
einer politischen, Wirtschafts-, Sozial- oder sonst einer Geschichte.
Wir müssen uns schrittweise vortasten, und wir begegnen erst um
2500 v. Chr. dem ersten «historischen» Individuum.
Wir streifen die Ur- und Vorgeschichte nur kurz, konzentrieren
uns auf die «historischen» Perioden und setzen als den Endpunkt der
etwas genaueren Darstellung die Eroberung Babylons durch Alexan-
der den Großen 331 v. Chr. Damit war zwar die altorientalische Ge-
schichte nicht zu Ende. Aber die Geschichte des klassischen Altertums
greift – nach Xenophons Anabasis – nun endgültig über auf das Ge­
biet jener viel älteren Hochkultur, der die Griechen mehr zu verdan­
ken hatten, als in unseren Geschichtsbüchern steht.
I.

Die Anfänge

1. Die geographischen und klimatischen


Voraussetzungen

Mesopotamien ist ein Teil Vorderasiens. Dieser größere Raum ist im


Westen begrenzt durch die Ägäis und das Mittelmeer, im Südwesten
und Süden durch das Rote Meer, den Golf von Aden und das Arabische
Meer als nördlichen Ausläufer des Indischen Ozeans; im Osten bilden
Hindukusch und Sulaimān-Gebirge die Grenze und im Norden das
Schwarze Meer, die europäische Ebene, die Kaspische Senke und das
Tiefland von Tūrān. Innerhalb dieses Gebietes herrschen gewaltige
geographische und klimatische Gegensätze: Flußschwemmlandschaf-
ten, Küstenebenen, Hügelland, Hochgebirge mit Tälern, Hochebenen
und Wüsten; erhebliche Gegensätze in den Temperaturen und der
Menge des jährlichen Regenfalls. Dieses Vorderasien stimmt im großen
ganzen überein mit dem geographischen Horizont, den die Babylonier
in der ersten Hälfte des II. Jahrtausends v. Chr. erlangten, als sie von
Hattuša in Kleinasien, Byblos am Mittelmeer, Magan (῾Omān), Meluh-
˘ ˘
ha (das Indusgebiet) und dem «Lapislazuli-Gebirge» (Badahšān) aus
˘ ˘
den Berichten von Korrespondenten, Gesandten und Kaufleuten oder
vom Hörensagen erfahren hatten.
Mesopotamien selbst ist nur ein kleiner Teil Vorderasiens. Der
Raum, in dem sich unsere Geschichte abspielt, weist nicht unwichtige,
aber doch keine krassen landschaftlichen und klimatischen Gegensät­
ze auf, wenigstens solange wir die Randgebirge im Nordosten des auf
einer nordöstlich-südwestlichen Achse orientierten Flußtals außer
acht lassen. Mesopotamien besteht aus einer Anschwemm-Ebene
südöstlich vom «Flaschenhals» und leicht ansteigendem Land im
Nordwesten, in dem sich einige mittlere Gebirgszüge erheben: der
Ǧabal Ḥ amrãn, Ǧabal Sinǧār, Ǧabal ῾Abdu-l-῾Azãz oder der Ǧabal
Bišrã. Der geologische Begriff Anschwemm- oder Alluvialebene ist
freilich zu stark vereinfacht, wenn wir ihn auf einer horizontalen
14 I. Die Anfänge

Miniskala betrachten. Auch diese «Ebene» hat ihre Erhebungen und


Senken. Es genügte ja, daß das Land nur um zwei Meter anstieg, und
es war schon für die Bewässerung unerreichbar.
Die hier beschriebenen geographischen Konstanten treffen noch
nicht zu im XIV. Jahrtausend v. Chr., als man trockenen Fußes vom heu-
tigen europäischen Festland nach England wandern konnte. Damals
war der Persische Golf ein Flußtal, die Verlängerung des jetzigen Šaṭ ṭ
al-῾Arab. Als die in der letzten Eiszeit erstarrten Wassermassen wieder
zu schmelzen begannen und sich weltweit der Meeresspiegel hob,
füllte sich dieses Tal im Verlauf vieler Jahrtausende, und das Meer er-
reichte bis zum V. Jahrtausend das südliche Babylonien. Was einmal an
den Ufern jenes Urflusses gelegen hat, der sich erst an der Straße von
῾Omān in den Indischen Ozean ergoß, ist für uns wohl auf immer ver­
loren. Aber die Frage, was dort einmal war, muß dennoch gestellt wer-
den. Denn wenn der Forscher noch bis vor zwei Jahrzehnten bei der
Erörterung der Frage, von wo die Sumerer ins Zweistromland gelangt
sind, den Blick nach Innerasien richtete, so mag er sich heute fragen:
haben die Sumerer oder das Volk, aus dem sie hervorgegangen sind,
einmal an jenem Golf-Urstrom gesessen?
Kehren wir aber zurück ins Zweistromland mit seinen uns heute
vertrauten Grenzen. Die Landschaft Babylonien, wie wir sie anachro-
nistisch auch schon in prähistorischer Zeit nennen wollen, ist gestaltet
und in hohem Maße abhängig von Euphrat und Tigris. Da diese vom
«Flaschenhals» an nur noch ein minimales Gefälle haben (vom Eintritt
ins Alluvialland nur 34 m auf einer Strecke von 350 km), ist die Ablage-
rung von Flußsedimenten erheblich, so daß sich das Bett der Flüsse
ständig erhöht. Ein plötzliches überdurchschnittliches Anschwellen der
Wassermassen infolge besonders heftiger Schneeschmelze im klein­
asiatischen Quellgebiet genügte, daß ein Fluß weit über die Ufer stieg
und sich in der flachen Landschaft ein neues Bett oder einen Seitenarm
suchte. So sind die Läufe von Euphrat und Tigris keine Konstanten, und
manche Ruine einer altmesopotamischen Stadt, z. B. Uruk, liegt heute
über 10 km vom Fluß (Euphrat) entfernt, an dessen Ufern sie sich einst
erhob. Auch hat sich der Euphrat, der um einiges träger fließt als der
Tigris und daher erhöhte Wassermengen schwerer verkraftet, immer
wieder in verschiedene Arme aufgespalten.
Babylonien fordert seine Siedler heraus. Zur Seite der Flüsse liegt
sonnengedörrte Lehmsteppe, die sich nur nach dem Regen im Winter
Geographische und klimatische Voraussetzungen 15

und Frühjahr mit Vegetation bedeckt, ausreichend, um Schaf- und


Ziegenherden einige Monate lang zu ernähren. Die jährliche Nieder-
schlagsmenge südlich des 34. Breitengrades ist in Mesopotamien so
gering, daß Feldbau nur möglich ist, wenn der Mensch das Land
künstlich bewässert. Diese besonders vor der Einführung von eiser­
nem Werkzeug besonders mühevolle Aufgabe wird freilich durch
üppige Erträge belohnt. Weiter im Nordwesten, im Hügelvorland der
iranischen Berge, am Häbür, am Mittleren Euphrat und Tigris ist
Regenfeldbau dagegen möglich, wenn auch nicht risikolos. Die Ab­
hängigkeit der babylonischen Landschaft von der künstlichen Bewäs-
serung hat ihre Geschichte stark geprägt. Die Verfügung über das
Wasser erforderte eine wohldurchdachte Organisation. Das Ergebnis
war dann Reichtum und folglich auch Macht. Um ein möglichst fein
verzweigtes und möglichst weitreichendes Kanalnetz anzulegen und
instandzuhalten, benötigte man den massiven Einsatz von öffent-
licher Arbeitskraft. Das ging zweifellos nicht ohne Zwang. Solcherlei
Sorgen waren im Nordwestteil Mesopotamiens unbekannt.
Wenn der Alluvialboden zur Kornkammer wird und insofern
«Schätze» in sich birgt, so fehlen ihm doch die Bodenschätze her­
kömmlicher Art ganz und gar. Man wird vergeblich nach Metall und
wertvollem Gestein suchen. Babylonien war immer angewiesen auf
den Import von Gold und Silber, von Kupfer und Zinn für das Legie-
ren der Bronze (und viel später auf den Import von Eisen), von Kar­
neol und Lapislazuli, um nur die wichtigsten Metalle und Schmuck­
steine zu nennen. Als Exportgut standen Wolle, Leinen, Textilien,
Keramik, aber auch Überschuß aus der Ernte von Feld- und Garten-
früchten zur Verfügung. Der Handel, der weit in die prähistorische
Zeit zurückzuverfolgen ist, hat ganz sicher dazu beigetragen, den
Geist anzuregen und Neugier auf die Welt zu wecken, und gerade das
Wissenwollen dürfen wir als eine der Antriebskräfte beim Schaffen
einer Hochkultur nicht unterschätzen.
Die Erdölquellen von Kirkuk, die Colouste Gulbenkian (den
sagenhaften Mr. Five Percent) und den Iraq reich gemacht haben,
flössen im Altertum ebensowenig wie noch in der jüngsten Neuzeit.
Dagegen wurde Asphalt bei Ḥ ãt am Euphrat gewonnen und als was­
serdichter Mörtel, zum Kalfatern von Schiffen und Verpichen von
Körben verwendet. Gegen Ende des IV. Jahrtausends wurde Kalk­
stein am Wüstenabbruch nahe Samāwa (am Euphrat) gewonnen und
16 I. Die Anfänge

nach Uruk transportiert. Die Steinlager, die man erst in der zweiten
Hälfte unseres Jahrhunderts wieder auszubeuten begonnen hat, sind
damals in Vergessenheit geraten, weil sie von Alluvialschichten
überlagert und von Sand und Erdstaub zugeweht wurden. Sehen wir
daher von Kalksteinbauten in der Frühzeit Uruks ab, so ist Babylo-
nien durch die Jahrtausende immer ein Land gewesen, wo man mit
Schilf und Lehm, luftgetrockneten oder – viel seltener – gebrannten
Ziegeln gebaut hat.

2. Zur Vorgeschichte

Wir können die Entwicklung der technischen Fähigkeiten des Men­


schen anhand seiner noch auffindbaren Hinterlassenschaften verfol-
gen: Reste von Architektur, Artefakte, Tierknochen und Fischgräten.
Diese Fähigkeiten spiegeln einen Teil seiner geistigen Entwicklung
wider. Ihr Umfang wird uns aber in den prähistorischen Perioden im-
mer verschlossen bleiben. Was haben die Menschen gesprochen; auf
welchem Stand der Entwicklung befand sich ihre Sprache – sagen wir
– vor und nach der Erfindung des Tonbrennens? Wie nannte sich das
Individuum? Wie war die Familien-, die Gemeinde- und womöglich
eine noch weiter übergeordnete Struktur des Zusammenlebens be-
schaffen? Wie hießen die über- und nebenmenschlichen Wesen, die
man verehrte – wir wollen noch nicht von Göttern sprechen. Solche
Fragen müssen gestellt werden, auch wenn wir sie nicht beantworten
können – denn alles hat sich über die Jahrtausende entwickelt; nichts
ist durch einen kulturellen «Urknall» zum Leben gekommen.
Viele Ortsnamen Mesopotamiens, manche Götternamen, aber auch
mancherlei Bezeichnungen für Menschen und Sachen können wir
weder sumerisch noch in einer semitischen Sprache erklären. Solche
Namen und Wörter mögen, wenn sie wirklich nicht sumerisch waren,
auf Sprecher von Sprachen untergegangener Völker zurückweisen,
die schon jahrhunderte- oder jahrtausendelang dort lebten, und wir
können Namen und Wörter in Europa vergleichen, die ganz vage vor-
indogermanische Tage heraufrufen. Aber wir gelangen mit solchen
Überlegungen zur Sprachentwicklung doch nur wenig tiefer in die
Vergangenheit. Aufschluß über Geist und Sprache in der Welt vor
fünf, sechs oder mehr Jahrtausenden erhalten wir nicht.
Zur Vorgeschichte 17

Mit die ältesten Spuren menschlicher Siedlung außerhalb der na-


turgeschaffenen Höhle, des transportablen Zeltes oder der im süd-
lichsten Mesopotamien zeitlos gegenwärtigen Schilfhütte finden sich
um die Mitte des XI. Jahrtausends v. Chr. beispielsweise am Fundort
Mureybet am Mittleren Euphrat. Es sind halb in den Boden eingelas­
sene Rundbauten von einem Durchmesser bis zu 6 Metern. Ein Stier-
schädel war in einem der Häuser beigesetzt, Anzeichen für einen
«Kult» – welcher Art auch immer. Mikrolithisches Werkzeug wie
Pfeilspitzen und Schaber läßt auf Jagd und die Verarbeitung von Tier-
fellen schließen. In einer jüngeren Schicht dieses Fundorts, etwa zu
Beginn des X. Jahrtausends, kam eine modellierte Frauenfigurine
zutage, Obsidian in kleinen Mengen und viel Werkzeug aus Tierkno-
chen. Da sich die nächste Obsidianfundstätte im kleinasiatischen Kap­
padokien befindet, dürfen wir auf Fernhandel schließen, in welcher
Form und in wie lang gestreckten Etappen er sich auch immer abge-
spielt haben mag. Es ist keine ganz bedürfnislose Gesellschaft mehr,
mit der wir es zu tun haben: Nichts schneidet schärfer als eine ge-
schickt von der Knolle abgeschlagene Obsidianklinge.
Im knappen Jahrtausendzeitraum von ca. 9500 bis 8700 v. Chr. läßt
sich ein Fortschritt in der Architektur beobachten: nicht mehr nur
runde, sondern auch rechteckige, nicht mehr nur einräumige, sondern
auch unterteilte Hausgrundrisse. Es finden sich Feuersteinklingen
und Hacken aus poliertem Stein. Vor allem aber bezeugen Körnerre-
ste und kleine Räume, die man als Silos deuten kann, daß nun der Ge-
treideanbau – Zeugnis menschlicher Seßhaftigkeit schlechthin – als
Maßnahme der Nahrungsbeschaffung die Jagd, den Fischfang, das
Sammeln von Wildfrüchten und das Melken und Schlachten domesti-
zierter Tiere ergänzt. Noch ein Jahrtausend später, ca. 8700 bis
7700 v. Chr. finden sich in den – nun nicht mehr runden – Häusern
menschliche Schädel, die wohl als Gegenstände eines Ahnenkults ir­
gendeiner Form aufbewahrt wurden und bei denen man sich an die
gipsüberzogenen Totenschädel aus Jericho erinnert fühlt. All dies
spielt sich noch in einem vorkeramischen Neolithikum ab. Erst
im VII. Jahrtausend v. Chr. ist erstmals gebrannter Ton nachweisbar.
Man darf diesen Entwicklungsablauf, der am Beispiel eines einzi­
gen Fundortes sehr grob und in kühnen Jahrtausendschritten skizziert
wurde, wohl als paradigmatisch für Hunderte anderer früher Siedlun-
gen ansehen. «Geschichte» ist mit einer solchen Skizze aber nicht
18 I. Die Anfänge

geschrieben. Welche Art von Herrschaft gab es, und war sie etwa erb-
lich? Welche Rivalitäten bestanden, welche Aggressionen, und wie-
weit waren sie gezähmt und gezügelt durch Verhaltenscodices? Da der
Kampf wie auch das Friedenschließen Gemeingut aller Primaten ist,
wird man auch bei den Bewohnern des Zweistromlands im Vorkera­
mikum keine Ausnahme machen. Der über Land reisende Obsidian­
händler mußte nicht nur gegen wilde Tiere gewappnet sein. Die Reise,
wie weit auch immer die Etappe führte, war nur lohnend, wenn das
Risiko stark eingeschränkt war, daß der Reisende unterwegs erschla­
gen und beraubt wurde. Wir haben auch noch keine Vorstellung da­
von, wie dicht die Siedlungen beieinander lagen, durch die der Fern­
handel verlief.
Die Erfindung des Tonbrennens zur Herstellung dauerhafter Ge­
fäße und die – erst langsam, dann schnell rotierende – Töpferscheibe
stellen einen der wichtigsten Entwicklungsschritte vor der Erfindung
der Schrift dar. Älteste Belege für gebrannte Keramik stammen aus
dem VII. Jahrtausend. Das «präkeramische» wird durch das «kerami­
sche» Neolithikum abgelöst. Das war natürlich kein Vorgang, der sich
in kürzester Zeit abspielte wie die Erfindung der Taschenuhr. Er muß
sich über Generationen, wenn nicht Jahrhunderte hingezogen haben.
Da nun jegliche Art gebrannter Gefäße in der Zusammensetzung des
Scherbens, in Form und Verzierung (z. B. Einkerbung, Bemalung) der
Experimentierfreude und ständig sich wandelnden Mode unterworfen
war, bietet sie dem Forscher das beste «Leitfossil» für die Altersbe­
stimmung einer Ausgrabungsschicht, an Genauigkeit nur noch über-
troffen vom Stempelsiegel, Rollsiegel und der beschrifteten Tontafel.
Ähnlich wie man in Europa etwa von «Schnur-» und «Bandkeramik»
spricht, hat es sich in der Vorderasiatischen Vorgeschichte eingebür­
gert, Perioden nach den Erstfundorten charakteristischer Tonware zu
benennen, z. B. Tall Ḥ alaf (ca. 5000 v. Chr. ff.) nach der Fundstätte Tall
Ḥ alaf im Hābūr-Dreieck oder ῾Obēd (ca. 4000v. Chr. ff.) nach Tall al-
˘
῾Obēd (oder ῾Ubayd) knapp nordwestlich von Ur.
Mit einer bestimmten Keramik in gleicher Schicht gefundene son­
stige Artefakte können einen über Hunderte von Kilometern sich er-
streckenden zeitlichen «Horizont» definieren; sie sprechen dann für
eine gewisse Einheitlichkeit in der Verbreitung und Annahme von Er-
zeugnissen der materiellen Kultur. Man darf freilich nicht darauf ver-
fallen, einen «Horizont» wie den von ῾Obēd mit einem Volk oder gar
Zur Vorgeschichte 19

einem politischen Gebilde gleichzusetzen oder grundsätzlich von


Neuerungen in der Keramik auf einen Bevölkerungswandel, auf Ein­
wanderung oder gar Invasion zu schließen, selbst wenn so etwas in
Ausnahmefällen zutreffen sollte; d. h. wenn nicht ausgeschlossen
werden kann, daß sich mit der Expansion einer Gruppe auch deren
kulturelles Gepräge verbreitete. Für beides lassen sich moderne Ver­
gleiche anstellen. Die Verbreitung des Meißner Porzellans hat nichts
zu tun mit Macht und Ausdehnung des Königreichs Sachsen; aber die
Verbreitung der Cocacola-Flasche in Europa ist aufs engste verknüpft
mit der amerikanischen Invasion im Juni 1944.
Wichtige kontextgebundene Fundstücke sind Grabbeigaben. Zu-
sammen mit der Art der Bestattung des Toten vermögen sie, wenig­
stens minimal, Auskunft zu geben über Vorstellungen der Transzen-
denz. Die Grabbeigabe ist sicherstes Indiz dafür, daß man im Tod nur
einen Übergang, aber kein Ende sah. Der oben kurz angesprochene
Ahnenkult, der sich aus der Aufbewahrung von Menschenschädeln
erschließen läßt, impliziert zwar ein Sich-Erinnern, aber nicht unbe­
dingt eine weiter bestehende Verbindung mit den Vorfahren in der
Form möglicher geistiger Kontaktnahme (durch Gebet oder Beschwö-
rung). Die Bestattung mit Beigabe weist dagegen deutlich darauf hin,
daß sich die verstorbene und bestattete Person auf eine «Reise» bege-
ben hatte in ein anderes, dem Lebenden unerreichbares und verborge­
nes Land, aus dem niemand zurückerwartet wurde; ein Land, das uns
die Phantasie späterer Schriftzeugnisse aber öfters darzustellen ver­
sucht hat. Wir vermögen nicht zu sagen, wie alt Angst vor dem Toten­
geist eines nicht Bestatteten war, der auf der Erde umherirrte und Bö-
ses stiftete. Bemerkenswert ist die Beigabe eines tönernen Segelboots
in einem Grab in Eridu aus der ausgehenden ῾Obēd-Epoche. Dieser
Fund ist für uns das älteste Zeugnis für die Schiffahrt – ob nun auf
dem Fluß, in der Schilflagune, in Küstennähe oder womöglich schon
über See, bleibe dahingestellt.
Holz, Bast und Baumrinde, Schilf, Stein und Ton, Felle, Häute,
Horn, Sehnen, Wolle und Leinen sind die ältesten Mittel, aus denen
Bauten errichtet und Werkzeug, Waffen, Behältnisse und Kleidung
verfertigt wurden. Babylonien war arm an brauchbarem Bauholz. Der
knorrige Stamm der Dattelpalme eignet sich nur als Dachbalken. Pap­
pel, Kornelkirsche, Weide und andere heimische Hölzer vermochten
Stöcke, doch keine Bretter zu liefern. So ist Babylonien seit eh und je
20 I. Die Anfänge

ein Land, wo Bauten aus ungebrannten Lehmziegeln und Stampflehm


die Regel sind. Eine genügend starke Lehmziegelmauer bietet auch den
besten Schutz gegen Hitze und Kälte. Gebrannte Ziegel waren Prunk­
bauten vorbehalten, oder sie dienten der Fundamentierung oder – im
Verband mit Asphalt – zur Herstellung wasserundurchlässiger Flä­
chen wie bei Wehren und Kaimauern. Im schilfreichen tiefen Süden
des Landes haben die heute zu bewundernden riesigen, ganz aus
Schilfstengeln und -blättern bestehenden Empfangsbauten arabischer
Scheichs eine uralte Vergangenheit; denn schon in der Glyptik der
Uruk IV-Periode (Ende des IV. Jahrtausends) sehen wir große Gebäu­
defassaden ganz aus Schilf dargestellt.
Gegenüber all den leicht zu gewinnenden heimischen Rohstoffen
bot sich das Metall dem Menschen nicht unmittelbar an. Zuerst wur-
de das sehr weiche und daher verhältnismäßig leicht aus seinem Erz
ausschmelzbare Kupfer entdeckt, das griechisch chalkos heißt, wes­
halb man vom Chalkolithikum spricht, der «Steinkupferzeit» als der
Übergangsphase von der jüngeren Steinzeit zur älteren Bronzezeit.
Das weiche Kupfer allein war für Werkzeug nur schwer verwendbar.
Aber legiert mit anderem Metall, ganz zuerst Arsen, dann Zinn (im
Verhältnis von ca. 8 Teilen Kupfer zu 1 Teil Zinn), ergibt sich ein
brauchbares, nicht leicht zu verbiegendes oder brüchig werdendes
Metall, die Bronze, die gut zwei Jahrtausende lang das Standardge-
brauchsmetall im Vorderen Orient geblieben und erst seit Beginn des
I. Jahrtausends v. Chr. durch das Eisen abgelöst worden ist. Den Meso­
potamiern kommt zwar kein Verdienst zu bei der Entdeckung und
Gewinnung der Metalle, da die Schürfgebiete allesamt weit außerhalb
ihrer Wohngebiete lagen; wohl aber haben sie es bei der richtigen Le-
gierung und Verarbeitung zur Meisterschaft gebracht, und in einem
sumerischen literarischen Streitgespräch eifern das Silber und das
Kupfer miteinander um den höheren Rang.

3. Der Beginn der sumerischen Hochkultur

Um 4000 v. Chr. – oder auch schon Jahrhunderte davor – hatten das


südliche Mesopotamien und viele benachbarte Gebiete ein Kulturni-
veau erreicht, dem nur noch die Möglichkeit fehlte, geistige Äußerun­
gen nicht allein zu memorieren und auf diese Weise immer parat zu
Der Beginn der sumerischen Hochkultur 21

haben, sondern solche Äußerungen auch sichtbar zu machen, so daß


sie wie Werke der bildenden Kunst ohne die Gedächtnisleistung eines
Einzelnen oder einer Gemeinschaft auf lange Dauer erhalten bleiben
konnten. Es fehlte noch die Schrift.
Dank intensiver, wenn auch zunächst nur auf beschränktem Raum
betriebener Bewässerung blühte in Babylonien der Anbau von Gerste,
Weizen und Emmer. Die Zucht von Rindern, Schafen, Ziegen und
Schweinen, aber wohl auch von Hausgeflügel war seit Jahrtausenden
über ihre Anfangsstadien hinausgediehen. Es ist anzunehmen, daß
schon um 4000 v. Chr. Textilien, Lederwaren und Erzeugnisse der
Töpferei zum Tausch für Importgüter ausgeführt wurden. Manches
Kultzentrum wie Uruk oder Eridu konnte sich vielleicht schon damals
als «altehrwürdig» bezeichnen – aber wir wissen nicht, wie weit da­
mals die Erinnerung der Bevölkerung zurückreichte. Tiefschnitte an
den beiden genannten Grabungsorten ergaben jedenfalls, daß sich
noch in der vorgeschichtlichen Zeit, d. h. vor der Erfindung der
Schrift, Siedlungsschuttschichten bis zu 16 m Höhe angehäuft hatten.
Die ῾Obēd-Stufe der prähistorischen Keramik weist eine Vielzahl
von Gefäßformen (Teller, Tassen, Töpfe, Krüge, Kannen, Flaschen,
Schalen u. a. m.) aus hartgebranntem Ton mit schwarz-brauner Bema­
lung auf. Der Dekor ist überwiegend geometrisch, aber daneben auch
figürlich. Der ῾Obēd-«Horizont» geht weit über Babylonien hinaus; er
umfaßt ganz Mesopotamien und reicht auch nach Iran, in die an Ba-
bylonien angrenzende Susiana hinein. Damit ist aber keineswegs
irgendein Rückschluß auf eine womöglich gleichartige Bevölkerung
statthaft.
Neben den beweglichen Funden kann man die Kulturentwicklung
aber am deutlichsten an der Entfaltung der Architektur ablesen, und
zwar an der Gestaltung und Größe zentraler Bauwerke einer Sied-
lung. Freilich ist das, was sich dem heutigen Betrachter zeitlich gerafft
als ein atemberaubender Aufschwung darstellt, in der Folge vieler
Jahrhunderte entstanden und somit nicht anders zu sehen als die Ent­
wicklung vom Versammlungshaus eines Häuptlings zum Palast oder
vom ersten Kirchlein zur Kathedrale. Bezeichnend ist dennoch, daß
sich diese Entwicklung vollzog. Wir müssen sie im Zusammenhang
sehen mit dem starken Anwachsen bestimmter Siedlungen, genauer
ausgedrückt, im Zusammenhang mit der Herausbildung von Sied-
lungsschwerpunkten. Es kam zu einer starken Verschiebung der Um­
22 I. Die Anfänge

fangsproportionen – hier das Zentrum, dort kleine Siedlungen im


Umland, und es handelt sich um nichts Geringeres als die Entstehung
der Urstätten der uns historisch bekannten Städte: Eridu, Uruk, Ur,
Larsa, Badtibira, Girsu, Lagaš, Umma, Adab, Nippur, Kiš, Sippar und
vieler anderer.
Der Tiefgrabungsbefund von Eridu ist besonders aufschlußreich. Er
veranschaulicht die Entwicklung eines Heiligtums von der Zeit noch
vor «῾Obēd» bis in die historischen Perioden. Ganz am Anfang steht
ein quadratischer einräumiger Bau von 3 × 3 m, den wir nur deshalb
als Kultraum ansprechen, weil das, was in den nächsthöheren Schich­
ten darüberliegt, kultisch bestimmt ist und weil wir grundsätzlich
auch hier mit der weltweit verbreiteten, selbst Religionswechsel über­
dauernden Kontinuität der Kultstätte rechnen. ῾Obēd-zeitlich ist in
Eridu ein viel komplizierteres Gebäude von 24 × 12 m. Es steht auf
einer Lehmterrasse, um gegen Hochwasser geschützt zu sein. Diese
rein praktisch ausgerichtete Anlage, der Tempel auf einer Terrasse, ist
der Ursprung der Zikkurrat, des babylonischen «Tempelturms». Ne­
ben einem großen Mittelraum mit einem Altar und einem Postament
verlaufen zu beiden Seiten Raumtrakte, die verschieden, also nicht
spiegelbildlich gleich gegliedert sind. Zur Zeit der III. Dynastie von Ur
(am Ende des III. Jahrtausends v. Chr.) befand sich an eben derselben
Stelle die Zikkurrat des Stadtgottes Enki. Schon der ῾Obēd-zeitliche
Grundriß läßt auf die Möglichkeit komplexer kultischer Abläufe
schließen – was immer wir uns darunter vorstellen sollen. Denn noch
lange ist uns ja nichts bekannt von der Eigenart der Kultausübenden,
ihrer Sprache (Sumerisch?), der Art der priesterlichen Funktionen
und ihrer Riten und Zeremonien sowie von der Beschaffenheit sonsti-
ger Beteiligter. Der zwischen Altar und (Opfer?-)Postament freie
rechteckige Raum von 5 × 9 m würde immerhin hundert stehenden
Personen Platz gewähren.
Mit ganz anderen Größenverhältnissen wurden die Ausgräber bei
den Gebäuden der Schichten V und IV in Uruk konfrontiert. Hier sind
es 55 × 53 m (2915 m2), 75 × 29 m (2175 m2) und 83 × 53 m (4399 m2 –
der Grundriß ist zwar stark rekonstruiert, doch reicht das Erhaltene,
um die Proportionen zu berechnen). Der Raumgestaltung nach waren
dies alles «Tempel»; aber war der Götterkult die einzige Funktion der
Gebäude? Dies ist nur eine der vielen Fragen, die uns im Babylonien
am Ende des IV. Jahrtausends aufgegeben werden.
Der Beginn der sumerischen Hochkultur 23

1 Frauenkopf (Maske?) aus Uruk. Weißer Marmor, Höhe 20 cm.


Heute Iraq Museum, Baghdad.
24 I. Die Anfänge

Mit dem Aufschwung der Architektur geht ein Aufblühen der


Kunst der Steinbearbeitung einher: Gebäudewände erhalten einen
prunkvollen Dekor durch verschiedenfarbige Steinstifte, die – mit der
runden Oberfläche des Kegels nach außen – zu mosaikartigen Mu­
stern verlegt werden. Steingefäße werden hergestellt, oft in Nachah­
mung tönerner Formen, und ein Meisterwerk der Uruk IV-Periode ist
die Vorderansicht eines Frauenkopfes, dessen Ausdruck noch heute
fasziniert, selbst wenn die Nase beschädigt ist und die bunten Einlage-
steine für die Augen und Augenbrauen nicht mehr vorhanden sind.
Überhaupt hat sich die figürliche Darstellung von den – für unseren
Geschmack – plumpen Vorläufern der ῾Obēd-Zeit frei gemacht.
Eine regelrechte Erfindung ist das steinerne Rollsiegel. Das Stem-
pelsiegel mit seiner runden oder ovalen Bildfläche geht ins V. Jahrtau-
send zurück. Es bietet nur wenig Platz und enthält für gewöhnlich nur
ein Motiv, selten zwei. Beim Rollsiegel hat der Künstler die gesamte
Außenfläche der längs durchbohrten steinernen Rolle zur Verfügung,
und er kann bei genügend großem Durchmesser und genügender
Länge der Rolle ganze Bildszenen darauf komponieren. Solche Bild-
kompositionen sind zusammen mit den Bildszenen der Steingefäße
und Reliefs die ältesten für uns irgendwie «lesbaren» Nachrichten,
selbst wenn uns meistens der tiefere Sinn der «Botschaft» noch ent-
geht. Zwar hatten vermutlich auch schon manche Mal-Bilder der
Ḥ alaf-, ῾Obēd- und anderer prähistorischer Keramik Mitteilungs­
charakter. Doch verstehen wir deren Symbolik – falls es denn eine ge­
wesen ist – nicht. Ein Reigen von Tänzern – oder Tänzerinnen – auf
einem Gefäß aus Susa mag voll mitteilsamer Bedeutung gewesen oder
aber nur der reinen Freude an schöner Verzierung entsprungen sein.
Wir wissen das noch um so weniger, als uns ja überhaupt nichts über
die praktische Nutzung des betreffenden Gefäßes bekannt ist.
Ganz anders verhält es sich nun bei einem Rollsiegel aus der
Schicht Uruk III (ca. 3000 v. Chr.; es ist aus Lapislazuli, 43 mm lang,
35 mm im Durchmesser): Dargestellt ist ein Boot mit hochgezogenem
Bug und Heck. Der Bug ist baumartig verästelt. Ein mit einem Rock
bekleideter «Steuermann» hält eine lange, unten gegabelte Stange.
Hinter dem «Steuermann» ist ein kabinenartiger Aufbau angedeutet.
Dahinter, nach rückwärts gewandt, ein Mann mit gefalteten Händen,
Kopfbedeckung und einem Rock, der deutlicher gezeichnet ist als
beim «Steuermann». Die zentrale Gestalt steht vor einem Stier oder
Der Beginn der sumerischen Hochkultur 25

2 Lapislazuli-Rollsiegel aus Uruk. Höhe 4,3 cm.


Heute Vorderasiatisches Museum, Berlin.

Stierkalb, das einen Aufsatz trägt, und dieser ist von zwei «Schilfring­
bündeln» bekrönt, dem Symbol der Stadtgöttin Inanna. Am Heck
kniet ein Ruderer. Er ist kahlköpfig und möglicherweise nackt. Das
Heck ist hochgezogen und durch eine senkrechte Strebe oder ein Seil
gehalten. Bei dem Fahrzeug handelt es sich entweder um ein läng-
liches Schilfboot; oder aber wir sehen den Querschnitt durch ein
Rundboot, das einer heutigen iraqischen Guffa entspräche.
Dargestellt ist eine Prozession zu Schiff. Die zentrale Gestalt könn-
te der Herrscher selbst oder eine hohe Kultperson sein. Die Schiffs-
mannschaft ist vielleicht nur als pars pro toto angedeutet. Jede weitere
Ausdeutung dieser Rollsiegelszene ist völlig in unser Belieben ge-
stellt. Wir können nichts wirklich beweisen. Wir wissen nicht, was für
eine Prozession es gewesen ist und an welchem Fest sie von wo wohin
gegangen ist. Und dennoch sind wir bei der Deutung viel weiter gera­
ten als bei irgendeinem Vasenbild.
Was nun für uns wie eine Mitteilung aussieht, muß freilich für den
antiken Benutzer des Siegels keine gewesen sein. Die Funktion des
Siegels – des Rollsiegels wie auch schon seines Vorgängers, des Stem­
pelsiegels – war es, eine Person oder ein Amt in einem von Fall zu Fall
zu definierenden Zusammenhang mit der Sache zu assoziieren, wel­
cher das Siegel aufgedrückt wurde. Der gesiegelte tönerne Krugver­
schluß identifizierte den Eigentümer oder Versender des Kruges und
seines Inhalts. Bei einer versiegelten Speichertür war nur derjenige,
der Zugang hatte, befugt, das Siegel zu erbrechen. Viel später, in der
26 I. Die Anfänge

Ur III-, altbabylonischen und altassyrischen Zeit (21.–17. Jahrhun­


dert), bestätigt der Siegelabdruck eines Schuldners auf einer Urkunde,
daß er seine Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger anerkannte. Das
Siegel ist für uns das älteste sichtbare Zeugnis dafür, daß ein Individu-
um (oder ein Amt) einen Zustand markierte oder einen Vorgang
sanktionierte.
Wir wissen aber nicht, ob das Siegelbild in jedem Fall nur und aus-
schließlich den Siegeleigentümer identifizieren sollte oder ob das Bild
auch für den Siegelungsvorgang relevant war. Es wäre ja denkbar, daß
ein Rollsiegelbild kultischen Inhalts wie jenes oben beschriebene auch
nur in einem kultischen Zusammenhang verwendet wurde. Hierüber
läßt sich einstweilen nur spekulieren.

4. Schrift, Sprachen und Schreiber um die Wende


vom IV. zum III. Jahrtausend v. Chr.

Wenn das mit einem Bild, aber auch z. B. mit einem abstrakten Muster
versehene Siegel eine der ältesten Arten «sichtbarer Sprache» ist (für
uns nicht mehr rückgewinnbar sind ja etwaige noch ältere Verfahren,
etwas durch die Gestaltung von vergänglichem Material wie Pflanzen,
Wolle, Leder mitzuteilen), so bekam es doch Konkurrenz in zwei weit
verbreiteten «Systemen»: Das ältere von beiden sind geformte, zum
Teil auch geritzte oder eingekerbte Steinchen oder Tongebilde, deren
Gestalt nicht dem Zufall der Natur zu verdanken, sondern Ergebnis der
Auswahl oder der Formung durch Menschenhand war. Diese im Fach-
jargon als «tokens» bezeichneten Gebilde sind von den Ausgräbern bis
vor dreißig oder vierzig Jahren kaum zur Kenntnis genommen worden,
da man sie nie in einem sinnvollen Zusammenhang auffand und sie in
ihrer Schlichtheit auch kein Aufsehen erregten. Aufschluß wurde erst
gewonnen durch den Fund verschlossener Tonbullen, in deren Innerem
eine Anzahl «tokens» eingeschlossen war und deren Außenfläche die
Eindrücke solcher «tokens» trug. Hier mußte eine Art von primitivem
Zähl- oder gar Buchführungsmechanismus vorliegen. Als sensationell
stellte sich dann die Erkenntnis heraus, daß manche «tokens» so aussa-
hen wie dreidimensionale Vorläufer von zweidimensionalen mesopota­
mischen archaischen Schriftzeichen: Eine flache Scheibe mit eingeritz-
tem Kreuz erinnert uns an das älteste Schriftzeichen für das Schaf (l),
Schrift, Sprachen und Schreiber 27

ein Zeichen, dessen Erklärung als Bild (Ganzbild oder Teilbild eines Tie­
res) immer Schwierigkeiten bereitet hatte. Durch die Forschungen von
P. Amiet und vor allem D. Schmandt-Besserat hat sich die Theorie
herauskristallisiert, daß die «tokens» teils Zählsteine waren, teils aber
bestimmte Lebewesen oder transportable Sachen versinnbildlichen
sollten. Funde von «tokens» erstreckten sich über den ganzen Vorderen
Orient und reichen vielleicht bis ins VIII. Jahrtausend zurück. Man darf
dabei freilich auf keinen Fall mit einem weit über Raum und Zeit gülti-
gen «System» rechnen, und nicht alles, was man im Eifer als Zählsteine
definiert hat, stellte solche auch wirklich dar. Manchmal waren es viel­
leicht nur Spiel- oder Amulettsteine.
Leider ist nichts darüber bekannt und auch kaum noch zu rekon-
struieren, wie häufig und in welcher Dichte «tokens» verwendet wor­
den sind. Erst das zweite neben den Siegelbildern entstandene System
«sichtbarer Sprache» läßt sich voll und ganz entschlüsseln: Es ist die
Schrift, die der Mensch seit ihrer Erfindung am Ende des IV. Jahrtau­
sends bis heute nie wieder aus der Hand gegeben hat.
Es besteht keine einhellige Meinung darüber, ob die Schrift nur
einmal erfunden worden ist und ob sich die Idee als solche über den
Erdball fortgepflanzt hat oder ob wir es mit einer Polygenese, einem
Mehrfach-Entstehen, zu tun haben. Sind Keilschrift und ägyptische
Hieroglyphenschrift mit ihrer voneinander so stark verschiedenen
äußeren wie inneren Form gedankenmäßig jemals aufeinander bezo-
gen gewesen? Wir müssen die Frage auf sich beruhen lassen. Dagegen
darf man getrost sagen, daß die – ebenfalls auf Tontafeln geschriebene
– Schrift, die in dem Mesopotamien benachbarten Elam entstand, die
sog. protoelamische Schrift, sich kaum ohne Kenntnis der «Proto-
Keilschrift» entwickelt haben kann. Die formale Ähnlichkeit springt
auch dem Laien ins Auge.
Bei der ältesten Form der zweidimensionalen, in Ton eingeritzten
mesopotamischen Schrift ist man bis vor drei oder vier Jahrzehnten
nur von dem Gedanken ausgegangen, der «Schreiber» habe zunächst
mit dem Versuch experimentiert, konkrete Dinge als Ganz- oder Teil­
bilder (z. B. Tierköpfe für Tiere) wiederzugeben; man habe darüber
hinaus auch abstrakte Gebilde als für eine Sache stehend deklariert,
z. B. einen Kreis mit eingezeichnetem Kreuz für ein Schaf. Die forma-
le Verwandtschaft mancher dreidimensionaler «tokens» mit zweidi­
mensionalen archaischen Schriftzeichen hat zu einer Revision der Idee
28 I. Die Anfänge

von einer Erfindung ab ovo geführt: vielmehr hätten «token»-Abdrük­


ke am Anfang des «Schreibens» gestanden und erst danach hätte die
eigentliche Erfindung eingesetzt und man sei zunehmend rascher
zum archaischen Schriftsystem mit seinen gut 800 Zeichen gelangt.
Die Rückführung der Idee des «Schreibens» auf das Einstempeln von
«tokens» würde nun aber der Kreativität einer «Erfindung» keinen
Abbruch tun. Vor allem dürfen wir auch hier nicht wieder der Versu-
chung erliegen, aus der großen zeitlichen Distanz eine Entwicklung
nur gedrängt zu sehen, die mehrere – wir können nicht sagen wie viele
– Generationen geistiger Arbeit erfordert hat.
Wie es sich nun mit der Schrifterfindung auch verhalten haben
mag, das archaische System sei hier kurz beschrieben: Ein Grund-
bestand «naturnaher» Zeichen («Fisch», «Schilf», «Pfeil», «Getrei­
de(ähre)», diverse Gefäßformen, Tierköpfe, der Unterschenkel für
«gehen», «stehen», «bringen» u.a.m.), mit denen man Sachen oder
Handlungen als Ganzes oder als Teil (pars pro toto-Prinzip) darstellte,
war rasch erschöpft. Auch das halbsymbolische Kennzeichen: z. B. drei
Bergkuppen für «Berg(land)», «Fremd(land)», zwei Wellenlinien für
«Wasser» ließ sich nur beschränkt anwenden. So hat man vermutlich
manche Zeichen einfach erfunden und ihre Bedeutung «verfügt»
(«token»-Abdrücke fallen letzten Endes nicht stark ins Gewicht, da
die Zahl der durch sie bezeichneten Objekte sehr begrenzt war). Aber
es boten sich der schöpferischen Phantasie noch andere Wege: Ein
Zeichen, das zunächst nur eine bestimmte konkrete Sache darzustel-
len hatte, wurde auf ein Wort von gleichem oder sehr ähnlichem
Klang übertragen: Es wurde z. B. sumerisch gi «Schilf» in einer leicht
abgewandelten Form für gi «zurückkehren», ti «Pfeil» für til «leben»
verwendet. Hier mußte natürlich der Kontext die Bedeutung bestim-
men. Sodann setzte man zwei Zeichen neben- oder ineinander, um
nur einen einzigen Begriff auszudrücken: «Frau» und «Berg(land)»
für «die Fremde», «Sklavin», «Mund» und «Brot» für «essen» usw.
Einen weiteren Schritt tat man, wenn von zwei zusammengefügten
Zeichen das eine seiner konkreten Bedeutung ganz entkleidet war und
nur noch die Aufgabe hatte, etwas Lautliches anzuzeigen: Sumerisch
ama «Mutter» wird dargestellt durch das Zeichen für einen «Ka-
sten» (pisan) mit dem hineingesetzten Zeichen an oder am, und dieses
eingeschriebene Zeichen hatte die Funktion, den Anlaut des Wortes
anzudeuten: amama.
Schrift, Sprachen und Schreiber 29

Wir sind bei den vorangegangenen Beispielen von der Selbstver­


ständlichkeit ausgegangen, daß die Sprache der Schrifterfinder Sume-
risch gewesen sei, obwohl doch eine bildliche, teil-bildliche oder symbo­
lische Zeichensetzung für etwas, das man bezeichnen will, im Prinzip
sprachunabhängig sein sollte – wie z.B. unsere modernen Verkehrs-
schilder von den Sprechern ganz verschiedener Sprachen «gelesen»
werden können. Das entscheidende Argument für die sumerische Iden-
tität der ältesten Schrift in Mesopotamien ist die Lautübertragung (vgl.
das genannte gi «Schilf» für gi «zurückkehren») oder auch die lautliche
Teilmarkierung eines Wortes (amama «Mutter»). So etwas läßt sich be­
greiflicherweise nur in einer ganz bestimmten, nicht in jeder beliebigen
Sprache vollziehen, und zwar eben nur in einer, wo z.B. «Schilf» und
«zurückkehren», «Pfeil» und «leben» sehr ähnlich geklungen haben.
Von den uns bekannten Sprachen des Alten Vorderen Orients erfüllt
nur das Sumerische diese Bedingung. Diese Schlußfolgerung ist von
hoher Bedeutung. Wir können die in Uruk am Ende des IV. Jahrtau-
sends v. Chr. beheimatete, aber weite Teile Babyloniens erfüllende Kul-
tur als sumerisch – oder zumindest in hohem Maße sumerisch geprägt
– bezeichnen. Denn es wäre ja sehr unwahrscheinlich anzunehmen, daß
«spät» ankommende Sumerer sich in die vorgefundene Kultur hinein-
gesetzt und daß sie sich gleichsam «über Nacht» mit ihr bis hinein in
die Schrifterfindung identifiziert hätten.
Wir sind nun bei der «sumerischen Frage» angelangt. Woher
stammt dieses Volk, dem die Welt soviel zu verdanken hat? War es
seit Jahrtausenden bodenständig, ursprünglich womöglich noch im
Flußtal des späteren Persischen Golfs ansässig? Oder sind die Sume­
rer zu einem für uns nicht mehr rekonstruierbaren Zeitpunkt in Ba­
bylonien eingewandert: aus dem unermeßlichen Inneren Asiens –
oder etwa aus Afrika? Wir können die zweitgenannte Möglichkeit
leicht von der Hand weisen: Syrien, Palästina, die Arabische Halbinsel
auf asiatischem Boden und Ägypten, das spätere Somalia, Äthiopien
und der Sudan wie auch Libyen in Afrika sind seit Urgedenken Sied-
lungs- und Wandergebiet von Sprechern aus der sog. afro-asiatischen
Gruppe von Sprachfamilien (sie wurde früher auch «semito-hami-
tisch» genannt), d. h. von Sprechern semitischer Sprachen, des Ägyp-
tischen, der kuschitischen, tschadischen und Berbersprachen. Das Su­
merische hat in diesem gesamten Raum und in den genannten
Sprachgruppen keinerlei Spuren hinterlassen, es sei denn in der Form
30 I. Die Anfänge

sumerischer Lehnwörter, die dann aber ganz eindeutig als Kulturgut


Mesopotamiens vererbt worden sind. Dagegen ist Asien im IV. Jahr-
tausend v. Chr. eine einzige große Unbekannte, was die dort gespro­
chenen Sprachen anbetrifft. Hier hat vieles Platz und zwar – ganz
theoretisch gesagt – auch eine Sprachfamilie, von der sich irgendwann
ein Zweig abgespalten hätte, der das «Protosumerische» darstellte.
Erwägungen dieser Art sind völlig abstrakt und unverbindlich, da
eine derartige hypothetische Sprachfamilie für uns keine Realität hat.
Dabei läge es zwar im Bereich des Möglichen, daß ein später «Nach­
fahre» einer solchen Sprachfamilie, zu der das «Protosumerische» ge-
hört haben könnte, noch heute gesprochen würde. Es wäre uns aber
nicht möglich, dafür den Beweis zu liefern. Sprachen pflegen im Ver-
lauf der Jahrtausende ihre Identität stark zu wandeln: Jahrhundert für
Jahrhundert wird ein bestimmter Prozentsatz des Vokabulars «umge­
setzt», d. h. manches Sprachgut wird obsolet, und zunächst verpönte
Neuerungen rücken zum Standard auf. Auch nehmen Sprachen Voka­
bular von den Nachbarn auf und machen es sich zu eigen. Die gram-
matische Struktur von Sprachen kann sich völlig verändern, wofür
das heutige Englisch eines der lebendigsten Beispiele ist. Mit anderen
Worten, eine Sprache, die sich auf eine hypothetische Familie im V.
oder VI. Jahrtausend v. Chr. zurückbeziehen könnte, wäre in ihrem
Vokabular, in ihrer lautlichen Erscheinungsform und sogar in ihrer
grundlegenden Struktur derart verschieden von ihrer hypothetischen
Urahnin, zu welcher – nehmen wir den Fall an – auch das Sumerische
hinaufblicken würde, daß eine Identifizierung ausgeschlossen ist. Alles
dagegen, was an einzelnen Wörtern in einer heutigen Sprache und im
Sumerischen gleich oder ähnlich klingt, ist allerhöchster Wahrschein­
lichkeit nach das Ergebnis des Zufalls – ein Gleichklang, dessen Sirene
wir nicht folgen dürfen. So gesehen sind alle möglichen Versuche, das
Sumerische mit heute noch lebenden Sprachen in Beziehung zu set­
zen (man hat u.a. das Türkische, Ungarische, die sino-tibetanische
Ursprache als Kandidaten bemüht), von vornherein zum Scheitern
verurteilt gewesen.
Wir können – wenn auch zum Teil nur spekulativ – die «Völkerta-
fel» des Alten Vorderen Orients in Mesopotamien und seinen Rand-
gebieten um die Wende vom IV. zum III. Jahrtausend v. Chr. immerhin
über das Sumerische hinaus erweitern. Östlich von Babylonien, in der
Susiana, mit ihrer späteren Hauptstadt Susa, aber auch im weiteren
Schrift, Sprachen und Schreiber 31

iranischen Hinterland waren wahrscheinlich schon Elamer ansässig.


Sie haben, angeregt durch das Ereignis der Schrifterfindung in Baby-
lonien, eine eigene Schrift entwickelt, die ebenfalls auf Tontafeln ge­
schrieben wurde. Diese frühe Schriftform des Elamischen ist – mit der
Ausnahme von Zahlen und einigen Maßbezeichnungen – leider noch
nicht überzeugend entziffert worden. Fundorte dieser «protoelami-
schen» Schrift reichen im Osten bis nach Tepe Yaḥ yā, ca. 900 km ost­
südöstlich von Susa, eine Strecke, die knapp der Luftlinie von Uruk
nach Damaskus entspricht. Aus der «protoelamischen» Schrift hat
sich in der Akkade-Zeit eine Art von «Strichschrift» entwickelt, eine
Silbenschrift, die ihrerseits weitgehend entziffert ist und eindeutig
elamische Sprache wiedergibt. Es ist also nicht ganz kühn anzuneh-
men, daß auch die anfängliche – noch nicht entzifferte – «protoelami-
sche» Schrift bereits ein Vehikel für das Elamische gewesen ist. Ela­
misch wäre nach einer Hypothese, die besonders D. W. McAlpin mit
Nachdruck vertreten hat, mit Sprachen Indiens verwandt, die sich in
den heutigen Dravidasprachen fortsetzen. Hier müssen freilich diesel-
ben Vorbehalte geltend gemacht werden, die wir zum Sumerischen
und seinen etwaigen Verwandten geäußert haben.
Die dritte Bevölkerungskomponente des Vorderen Orients und
eine, die sich als einzige bis heute gehalten hat, sind die Semiten. Die
Familie der semitischen Sprachen umfaßt u. a. das in Mesopotamien
heimische Akkadische, das Amurritische, Hebräische, Arabische und
Äthiopische (mit einer Vielzahl daraus erwachsener moderner Spra-
chen) und schließlich das antike Sabäische und Minäische (das sog.
Altsüdarabische) mit einigen modernen Nachfahren an der Küste von
Jemen und ῾Omān sowie auf der Insel Soqotra. Manche dieser Spra­
chen wird uns im III., II. und I. Jahrtausend unserer Darstellung noch
begegnen. Die semitischen Sprachen, die sich über zwei Kontinente
erstrecken und die wir schon viereinhalb Jahrtausende lang verfolgen
können, stehen einander näher als die «klassischen» indogermani-
schen Sprachen Lateinisch, Griechisch und Sanskrit. Sie gehören
einem übergeordneten Verband von Sprachfamilien an, den schon er-
wähnten «afro-asiatischen» Sprachen. Schriftlich bezeugt sind älteste
Spuren des Akkadischen (oder eines noch älteren semitischen Stra­
tums in Mesopotamien) erst seit dem 25. Jahrhundert v. Chr. Aber
ebenso wie wir mit einer schon jahrhundertelangen Präsenz der Su-
merer vor der Erfindung der Schrift rechnen, ist es auch billig, schon
32 I. Die Anfänge

um die Wende vom IV. zum III. Jahrtausend eine seßhafte semitische
Bevölkerung zu vermuten. Die Vorstellung vom «Ursemiten» als
einem Nomaden ist antiquiert. Es haben zu allen Zeiten – und noch
heute ist es so – seßhafte und nomadisierende Sprecher semitischer
Sprachen nebeneinander existiert.
Viel ist über eine weitere Bevölkerungsgruppe spekuliert worden,
die in Babylonien neben oder noch vor den Sumerern gelebt hätte.
Man wollte sie erschließen auf Grund von Sprachgut, das auf uns
«unsumerisch» wirkt. Dabei handelt es sich teils um Ausdrücke für
Realien, aber auch um Orts- und Götternamen. Unser Urteil darüber,
was sumerisch und was nicht sumerisch sei, ist freilich äußerst sub-
jektiv. Eine mehr oder weniger genaue Vorstellung von der Ausspra­
che des Sumerischen haben wir erst gegen Ende des III. Jahrtausends
v. Chr., und wir wissen nicht, wie stark sich die Sprache – bei gleich-
bleibender Schreibung – im vorangehenden Jahrtausend gewandelt
haben mag. Erfahrungsgemäß sind gerade Eigennamen besonders
stark für Verschleifungen und Veränderungen anfällig, so daß ein ur-
sprünglicher Klang bis zur Unkenntlichkeit umgestaltet sein kann. Im
übrigen ist unser Klangbild des Sumerischen stark von demjenigen
beeinflußt, das wir vom Akkadischen haben, weil ja fast alle Glossie­
rungen sumerischer Wörter von akkadischen Schreibern stammen. Es
wäre aber auch ganz wirklichkeitsfern, mit einem «reinen» und allein
in dieser einen Sprache wurzelnden Eigennamenbestand zu rechnen.
Wie dem aber auch sei, es läßt sich eine sonstige Bevölkerung vor oder
noch neben den Sumerern nicht beweisen, und wir können uns nur
im Spekulieren verlieren.
Noch viele weitere Sprachen mögen vor Anbruch der historischen
Periode im weiteren Mesopotamien und in seinen Randgebieten ge­
sprochen worden sein. Auch die Hurriter, die gegen Ende des III. Jahr-
tausends in Schriftquellen als ein immer stärker an Bedeutung gewin-
nendes Volk mit eigener Sprache auftreten, haben ja ihre Vorgeschichte
gehabt. Wir wissen aber nicht, wo wir sie ansiedeln sollten und wie früh
sie von der nordöstlichen Gebirgsfront Mesopotamiens in die Hügel­
landschaft und Ebene hinabgestiegen sind. Verwandte der Hurriter, die
Urartäer, sind im 13. bis 6. Jahrhundert v. Chr. in Ostanatolien und im
Gebiet des heutigen Armenien anzutreffen. Man hat versucht, ihre
Sprache mit heutigen Sprachen aus dem Kaukasus in Verbindung zu
bringen.
Schrift, Sprachen und Schreiber 33

Wir werden aber bei der weiträumigen Landschaft Mesopotamien, in


der es keine wirklich verkehrshindernden natürlichen Trennscheiden
gibt, nur mit einer beschränkten Anzahl von Sprachen rechnen dürfen
und nicht mit jener Art von «Sprachenmuseum», wie es der extrem
zerklüftete Kaukasus im Altertum gewesen und noch heute ist.
Die vier bisher genannten Sprachen (bzw. Sprachfamilien): Sume-
risch, Elamisch, Semitisch und Hurritisch sind allesamt voneinander
unabhängig und in keiner Weise – auch nicht entfernt – miteinander
verwandt. Sumerisch ist eine sog. Ergativsprache, die das Subjekt
eines transitiven vom Subjekt eines intransitiven Verbums unter­
scheidet. Das Sumerische kann an eine bedingt veränderbare Wortba­
sis sowohl Präfixe als auch Suffixe anhängen. Es ähnelt – rein struk-
turell – Sprachen wie dem Georgischen, Baskischen oder Buruschaski
im Hindukusch. Doch sagt Strukturähnlichkeit nichts über etwaige
Verwandtschaft aus. Semitische Sprachen sind «flektierende» Spra-
chen wie die indogermanischen. Hurritisch und Elamisch gehören zu
den «agglutinierenden» Sprachen, in denen an eine in der Regel nicht
veränderbare Wortbasis Suffixe angehängt werden (keine Präfixe).
Dabei ist das Hurritische auch eine Ergativsprache.
Woraus ist im Alten Orient das Bedürfnis entsprungen, Sprache –
und zwar zunächst nur das Sumerische – «sichtbar», d. h. vom Ge­
dächtnis unabhängig dauerhaft zu machen? Die einfachste Antwort
auf diese Frage wäre wohl anzunehmen, daß es in einer sich beständig
verkomplizierenden Wirtschaft und Verwaltung soviel zu «behalten»
gab, daß das Gedächtnis einzelner oder vieler überfordert war. Aber
diese Erklärung genügt nicht. Hinzu kommt vermutlich das Mißtrau­
en gegenüber dem Gedächtnis des anderen, besonders wenn es um das
Sich-Merken von Zahlen und Maßen, Besitz und Schuld, Anspruch
und Verpflichtung ging. Der Inhalt der ältesten Schrifttexte aus Uruk
legt es jedenfalls nahe, daß wir die Anfänge der Schrift in der Wirt-
schaft und Verwaltung suchen. Andere Möglichkeiten wie etwa das
Bedürfnis, den Zeitablauf unter Kontrolle zu bringen, Listen von
Herrschern und Beamten anzulegen oder gar die wichtigsten Ereig­
nisse des Jahres zu verewigen, also eine Art von Annalistik, scheiden
aus. Denn solcherlei Texte sind unter den Tausenden erhaltener ar-
chaischer Tontafeln bisher nicht aufgetaucht – durchaus zum Leid-
wesen des modernen Historikers, müssen wir hinzufügen; denn die
Chronologie ist und bleibt ja das Rückgrat der Geschichtsschreibung.
34 I. Die Anfänge

Die Verwaltungsstrukturen, in denen die Schrift zunächst ihren


«Sitz» hatte, sind – wenn wir diese Unterscheidung schon machen
dürfen – «staatlich» und nicht «privat». Am ältesten sind Tafeln, die
nur die Abdrücke von Zahlzeichen und eines Siegels – oder mehrerer
– enthalten. Sie sind vermutlich Nachfolger jener hohlen Tonbullen,
in denen sich Zählsteine («tokens») befanden. Die Nachfolge würde
dabei die Umwandlung des «Buchungs»-Vorgangs von einer losen
drei- in eine unverrückbare zweidimensionale Form betreffen. Was
mit Tontafeln der hier beschriebenen einfachsten Art abgerechnet
wurde, läßt sich nicht mehr rekonstruieren, da das Gezählte zwar
damals als bekannt vorausgesetzt war, uns aber unbekannt bleiben
muß. Nur dem damals Eingeweihten war der «Buchungs»-Vorgang
klar. Tafeln dieses ältesten und einfachsten Typs wurden nicht nur in
Babylonien und in der Susiana gefunden, sondern auch weit von die­
sen Gebieten entfernt, z. B. am Fundort Ḥ abūba Kabãra am Euphrat-
knie. Man hat, zumal auch der begleitende Fundbestand dem von
Uruk ähnlich ist, Verbindungen gezogen und geradezu von Außensta­
tionen der Uruk-Zivilisation gesprochen (Algaze: «The Uruk Expan-
sion»). Das ist allerdings bei der – wie wir nicht genug betonen kön­
nen – ganz zufälligen Fundstreuung gar nicht sicher.
Der nächste Schritt beim Schreiben bestand darin, daß man neben
der Zahl auch das Gezählte oder Gemessene notierte und daß man
dann auch eine Beziehung zu einer Person oder einer Personengruppe
herstellte durch das Schreiben von Zeichen, die für einen Namen oder
Titel standen. Die Schriftentwicklung, deren einzelne Schritte sich
nicht mehr nachvollziehen lassen, war ein Prozeß der Akzeleration.
Sein – vorläufiges – Ende sehen wir im Gestalten großartiger Wort-
und Begriffslisten, die in den Schreiberschulen von Uruk (aber auch
überall sonst, wo man zu schreiben lernte) angelegt wurden.
Es ist der Beginn der die ganze Keilschriftkultur durchziehenden
Wortwissenschaft, und damit hat es Folgendes auf sich: Die Gesamt­
heit dessen, was man nicht nur zu benennen, sondern auch zu schrei­
ben gelernt hatte, war eine Widerspiegelung der Welt, und die wollte
klassifiziert werden, ausgehend vom Sichtbaren hin zum Abstrakten.
So begannen die Schreiber etwa, alle ihnen bekannten Ausdrücke für
Gefäße zu sammeln und in einer Liste niederzulegen. Man fing an mit
dem einfachsten, grundlegenden Ausdruck «Topf» und schritt fort zu
allen möglichen weiteren Bezeichnungen für tönerne Gefäße, aber
Schrift, Sprachen und Schreiber 35

auch solche aus Stein oder Metall (manchmal implizierte der Name
auch schon das Material). Das Anordnungsprinzip ist rein linear, und
die einzelnen «lexikalischen» Einheiten folgen aufeinander nach ganz
verschiedenen Assoziationstypen: Bald ist die Verbindung rein sach­
licher Art, z. B. auf die Form oder Funktion von Gefäßen bezogen, bald
ist sie lautlich, d. h. es wurden ähnlich klingende oder gleich anlauten-
de Wörter hintereinander gereiht; aber ebenso oft ist die Assoziation
auch optisch, d. h. an der Gestalt der Schriftzeichen (oder der Verbin­
dung zweier oder mehrerer Zeichen) orientiert; auch Gegensätze zie­
hen sich gelegentlich an. Die «lexikalischen» Listen sollten nicht nur
vom Schriftbild, sondern auch vom Klang her möglichst gut geeignet
sein für die Grundlage aller vorderorientalischen Wissenschaft: das
Auswendigwissen. Neben Listen über Gefäße gab es Verzeichnisse
von Metallen und Metallgegenständen, von Steinen, Mineralien und
Steingerät; der riesige Bereich der Erzeugnisse aus Schilf und Rohr
wurde «lexikalisch» verarbeitet; weiter Tuche und Textilien, Leder
und Lederwaren, die schon früh ungeheuer verzweigte Vielfalt der
Menschenklassen (Altersstufen, Verwandtschaftsbezeichnungen, Be-
rufe, Ämter) und dann die Welt, die der Mensch bewohnte: Felder und
Wasserläufe, Ortschaften, Städte und Länder sowie schließlich die am
Himmel widergespiegelte andere Welt der Sterne. Das alles ist in nuce
schon fast zu Beginn des sumerischen Schriftwesens angelegt, und es
ist faszinierend zu beobachten, wie oft eine einmal geschaffene Rei-
hung der Begriffe in den Grundzügen durch alle Wirren der Zeit hin­
durch treu tradiert wurde.
Die «lexikalische» Liste, wie sie in der Assyriologie genannt wird,
konnte, wenn von Meisterhand geschrieben, auch ein Werk regelrech-
ter Kalligraphie sein, das uns noch heute ästhetisch anspricht. Es gibt
ja auf der Welt keine Schrift, die neben dem Zweck, praktisch zu sein,
nicht auch Schönheit anstrebte. Eindrucksvoll sind Übungstafeln, auf
deren einer Seite von Meisterhand vorgezeichnet ist, was der Schüler
auf der Rückseite gutwillig, aber noch rührend unbeholfen nach­
schrieb.
Es sei hier noch angeführt, daß wir in der Keilschrifttafel aus Ton
ein so gut wie unvergängliches Schriftzeugnis besitzen, das nur durch
Bodenfeuchte und Versalzung beschädigt und zerstört werden kann.
Feuersbrunst dagegen, die Vernichterin so ungezählter Bibliotheken
aus Papyrus, Pergament und Papier, kann eine ungebrannte Tontafel
36 I. Die Anfänge

nur konservieren helfen! So ist denn der Erforscher der Geschichte


Mesopotamiens verwöhnt durch die unwahrscheinliche Fülle seiner
Schriftquellen, die vom Erhabensten bis zum Alleralltäglichsten rei­
chen.
II.

Mesopotamien im III. Jahrtausend v. Chr.

vorm Entstehen des Reiches von Akkade

Der nun zu behandelnde Zeitraum ist über ein halbes Jahrtausend


lang von Strömungen und Ereignissen erfüllt, die sich nur schwer –
und oft überhaupt nicht – aufeinander beziehen lassen; denn die inne-
re Chronologie dieser Periode ist noch in höchstem Maße ungesichert;
erst mit Ur-Nanse von Lagaš (ca. 2520) fassen wir zeitlich etwas siche-
rer Fuß. So können denn einzelne Erscheinungen meist nur isoliert
dargestellt werden. Für keinen anderen Zeitraum der mesopotami-
schen Geschichte gelten mehr die Worte, mit denen F. R. Kraus 1959
davor gewarnt hat, «die dürftigen und meist zeitlich weit voneinander
entfernten Fakten, welche sich unseren Quellen entnehmen lassen, in
eine zusammenhängende Erzählung einzufügen und diese dann für
die Geschichte jener Zeit zu halten, eine Simplifizierung, welche oft
einer unbewußten Fälschung gleichkommen mag».
Der betreffende Zeitabschnitt folgt auf die Hochblüte Uruks und
geht der Entstehung des Reiches von Akkade voran. Historiker, Ar­
chäologen und Philologen haben verschiedene Bezeichnungen für
dieses runde Halbjahrtausend gebraucht. Mit dem Ausdruck «präsar­
gonisch» hat man dem Reichsgründer Sargon von Akkade viel – zuviel
– Ehre angetan, indem man alles vor ihm gleichsam als ein «Prelude to
Empire» sah, um einen Buchtitel von J. A. Brinkman zu zitieren (der
sich allerdings auf die Zeit vor dem Neubabylonischen Reich bezieht).
H. Nissen hat den Ausdruck «Zeit der rivalisierenden Stadtstaaten»
gebraucht; aber damit ließen sich auch andere Perioden der mesopota­
mischen Geschichte charakterisieren. Am meisten Verbreitung hat
«Frühdynastische (Early Dynastic) Zeit» gefunden, ursprünglich in den
dreißiger Jahren geprägt von den amerikanischen Ausgräbern im
Diyāla-Gebiet, die mit diesem Ausdruck den dort markanten archäo­
logischen Schichten Rechnung tragen wollten (mit «dynastisch» bezog
man sich auf die «Dynastien» der sogleich zu beschreibenden Sumeri­
schen Königsliste). So wurde Early Dynastic I gebraucht für den Zeit­
38 II. Mesopotamien vorm Entstehen des Reiches von Akkade

raum bis zu den archaischen Tafelarchiven von Ur; ED II für die Jahr­
hunderte bis zu den Archiven von Šuruppak (modern Fāra) und ED III
für die Zeit von Šuruppak bis zu Sargon. Die Einteilung mag immer
noch praktisch sein; doch sind die jeweiligen Grenzpunkte willkürlich
gesetzt: Es sind durch den Grabungszufall bekannt gewordene Archive
und keine entscheidenden Einschnitte in der politischen Geschichte.
Wir werden folglich keinerlei Periodisierung im III. Jahrtausend vor der
Entstehung des Reiches von Akkade vornehmen.

5. Die Sumerische Königsliste

Wie in allen Hochkulturen ist auch in Mesopotamien die Erinnerung


an die ‹Entstehungszeit› (wenn wir mit einer solchen Konstruktion
argumentieren wollen) verlorengegangen und einer Legende gewi-
chen. Eine solche Legende hat sich wohl im Laufe mehrerer Jahrhun­
derte mündlich gebildet und hat erst gegen Ende des III. Jahrtausends
(oder gar erst zu Beginn des II.) schriftliche Gestalt angenommen. Die
Legende heißt nam-lugal «Königtum». Es ist das Eingangswort in der
ersten Zeile eines Literaturwerks, das wir heute als die «Sumerische
Königsliste» oder als «die Geschichte des einen Königtums» (J. Kre­
cher) bezeichnen. Im Zweistromland wurden in den sogenannten
Bibliothekskatalogen, d. h. Tontafelverzeichnissen über literarische
Werke, die einzelnen Tafeln nach ihrem Anfang zitiert – nicht anders
als wir es zum Beispiel noch bei unserem Requiem und seinen Teilen
tun. Die jüngste uns vorliegende Redaktion der «Königsliste» stammt
aus dem 18. Jahrhundert v. Chr. Grundlegende Konzeption ist das Be­
mühen, die Vergangenheit des Landes bis hinein in die Gegenwart
(des jeweiligen Schreibers) darzustellen als eine kontinuierliche Ab-
folge von Königtümern – wir sprechen auch von «Dynastien» in einer
nicht ganz scharfen Bedeutung des Begriffs, und zwar ohne zwangs­
läufige Bindung einer Reihe von Königen an ein und dieselbe Familie.
Die Königtümer hatten ihren Sitz in immer wieder anderen, aber
überwiegend babylonischen Städten. «Als das Königtum (nam-lugal)
vom Himmel herabgekommen war», so beginnt die Liste, «war es in
Eridu. In Eridu war Aja-lulim König. Er ‹machte› (d. h. regierte) 28 800
(Variante 67200) Jahre». Aja-lulims Nachfolger regierte 36000 (Va­
riante 72 000) Jahre (zu den Zahlen s. unten S. 41).
Die Sumerische Königsliste 39

Das sumerische Wort lugal bedeutet eigentlich «große Person»


oder «der Große (schlechthin)», und es ist der wichtigste sumerische
Herrschertitel, den wir – welches andere Wort würde sich auch anbie­
ten? – konventionell mit «König» wiedergeben. Von einem Herrscher
regiert zu werden, ihm Untertan zu sein, ist in der gesamten altorien-
talischen Geschichte die einzige jemals gedachte und denkbare Staats­
form gewesen, nam ist ein sumerisches Präfix, das zusammen mit
einem folgenden Nomen das Abstraktum zu diesem bildet; das also
alles umfaßt, was die Qualität des betreffenden Nomens ausmacht:
daher nam-lugal «Königtum». Aber wir könnten auch «Königshand­
werk» sagen, da etwa von dub-sar «Schreiber» das Abstraktum nam­
dub-sar «Schreiberhandwerk, Schreiberwissen» gebildet wurde. Ein
guter König zu sein, war ja der schwerste aller Berufe.
Die Fiktion der Königsliste ist die Einheit des Landes, das stets einer
bestimmten Residenz Untertan gewesen wäre. Dieses Land gehörte
den Sumerern und Akkadern, und wir nennen die Liste «sumerisch»
nicht, weil etwa alle ihre Herrscher Sumerer gewesen wären, sondern
weil diese Liste in sumerischer Sprache abgefaßt war. Jenes Land war
zwar vornehmlich das südöstlich vom «Flaschenhals» gelegene Baby-
lonien; es konnte aber auch das Diyāla-Gebiet und das Land am Mit-
tellauf des Euphrat mit einschließen. Die Vorherrschaft einer be­
stimmten Stadt war der Liste zufolge nicht unbegrenzt. Sie mußte
früher oder später einem anderen Ort weichen. Die Städtereihe zer-
fällt in einen Teil vor und einen nach der «Flut». Der vorsintflutliche
Teil ist sekundär in die Liste einbezogen worden. Er entstammt einer
Tradition früher Städte, die im selbständigen sumerischen Mythos
von der «Flut» enthalten ist. Interessanterweise läßt diese Tradition
das «Königtum» in Eridu beginnen, der am weitesten im Süden gele­
genen Stadt Babyloniens mit ihrer uralten, ins IV., wenn nicht gar ins
V. Jahrtausend v. Chr. zurückreichenden Kulttradition (s. oben S. 22).
In historischer Zeit hat Eridu nie mehr eine selbständige Rolle ge-
spielt.
Der Teil der Liste nach der «Flut» beginnt mit der Stadt Kiš im
nördlichen Babylonien, und erst an zweiter Stelle folgt Uruk. Das
kann nur den überraschen, der auf der von uns so in den Mittelpunkt
gestellten sumerischen Hochkultur insistiert. Nichts macht deutlicher
als eben die Königsliste, daß die historische Tradition nicht so hoch
hinaufreichte und daß man um 2000 v. Chr. andere Akzente setzte, als
40 II. Mesopotamien vorm Entstehen des Reiches von Akkade

wir es in unserer souveränen Überschau zu tun imstande sind. Wir


bieten hier keinen vollständigen Katalog der in der Liste verzeichne­
ten Dynastien-Städte, um so weniger, als wir mit der Sumerischen
Königsliste keine Geschichte schreiben können. Das kann nicht genug
betont werden. Es sei nur gesagt, daß das «Königtum» noch mehrmals
nach Kis und Uruk zurückkehrte, daß es einmal in Mari am Mittellauf
des Euphrat war und daß die Dynastien von Akkade mit ihrem Be­
gründer Sargon, von Ur und von Isin sorgfältig aufgezählt sind.
Das immer nur eine Königtum war historisches Wunschdenken,
vielleicht entsprungen der sehnsüchtigen Erinnerung an die raren Jahr-
zehnte, in denen wirklich einmal ein Herrscher – oder gar zwei oder
drei nacheinander – ganz «Sumer und Akkad» unter sich vereint hatte.
Denn in Wirklichkeit bot sich kein Ort am Euphrat oder Tigris oder an
einem der Flußarme oder großen abgeleiteten Kanäle als eine von ihrer
natürlichen Lage her besonders begünstigte Metropole an. Fast alle
bedeutenden Städte waren Bewässerungsoasen, d. h. städtische Mittel­
punkte mit Außenstädten, Dörfern, mit Ackerland, soweit das Kanal­
netz reichte, und Weideland, das von Natur begrenzt war, weil die Tiere
ja täglich zur Tränke getrieben werden mußten. Die Macht der einzel­
nen Stadt gründete sich zunächst auf ihren wirtschaftlichen Reichtum
und die daraus fließenden Mittel, mit denen man Handel treiben,
Rohstoffe importieren und ein Heer unterhalten konnte. Solche Macht
war leicht zerbrechlich, und daher ist die Geschichte des südlichen
Zweistromlandes fast bis zur Mitte des II. vorchristlichen Jahrtausends
kein Kontinuum der von einem Ort ausgehenden Herrschaft, sondern
ein ständiges Wechseln lokaler Akzente.
Die Königsliste hat das fast immer gegebene Nebeneinander meh­
rerer Lokaldynastien linear in eine einzige chronologische Dimension
umgestaltet. Mit der listenmäßigen Eindimensionalität folgte sie im
Grunde dem wichtigsten Produkt der Schreibergelehrsamkeit, der
lexikalischen Liste, aber auch, wenn man es so sehen will, der unge­
heuren Vielfalt von Listen in der Wirtschaft und Verwaltung (Perso-
nenregister, Aufzählung von Wirtschaftsgütern, nicht zu vergessen
die Zeugenlisten am Ende von Verträgen). Mit der historischen Fik­
tion der Königsliste wäre es auch unvereinbar gewesen darzustellen,
daß es im Verlauf der Geschichte immer wieder zu losen politischen
Zusammenschlüssen, Bündnissen von zwei oder drei Königtümern
gekommen war – kurzfristig und jederzeit von Zerfall bedroht.
Die Sumerische Königsliste 41

Ein anderer Wesenszug der Sumerischen Königsliste ist ihre Unbe­


kümmertheit hinsichtlich der zeitlichen Dimension. Je weiter die Re­
gierungszeit der Könige zurücklag, desto länger setzte man ihre Dau­
er an. Wir haben König Aja-lulim von Eridu mit seinen 28800
(Variante 67200) Jahren genannt. Beide Zahlen sind durchaus «run­
de» Zahlen im sumerischen Sexagesimalsystem mit seinen Zahlen­
schritten 1–10, 10–60, 60–600, 600–3600, 3600–36000 usw.: 28800
= 8 × 3600 und 67200 = (18 × 3600) + (4 × 600). Wir können aller­
dings bisher noch nicht nachvollziehen, durch welche Art von Tradi­
tionen oder Spekulationen diese Zahlen zustande gekommen sind.
Wir erinnern uns an die bisweilen viele Jahrhunderte währende Le­
benszeit biblischer Erzväter – und hier ist der Einfluß eines mesopota­
mischen Motivs nicht von der Hand zu weisen.
Die Liste hilft, wie nochmals betont sei, nur wenig beim Schreiben
mesopotamischer Geschichte aus unserer heutigen Sicht. Aber sie
bleibt ein höchst bedeutendes Dokument für das Geschichtsverständ­
nis in den Jahrhunderten vor und nach der Wende vom III. zum
II. Jahrtausend. Von den in der Liste überlieferten Urherrscher-Na­
men hat sich bisher keiner in einer authentischen Inschrift bestätigen
lassen (vgl. aber S. 42 zu Enmebaragesi von Kiš). Doch viele Namen
sind noch jahrhundertelang tradiert worden, bis zu dem babylonisch­
griechischen Schriftsteller Berossos (3. Jahrhundert v. Chr.), Alexan­
der Polyhistor (um 100 v. Chr.) und dem Kirchenvater Eusebios (260/
61–339/40). Die Wertschätzung der Königsliste in der altbabyloni­
schen Schultradition zeigt sich in ihrer weiten geographischen Ver­
breitung. Exemplare sind nicht allein aus Babylonien selbst bekannt,
sondern auch aus Susa in Elam und aus Tall Leilān in Nordsyrien.
Wie die Herrscher hießen, die in Uruk vor und nach der Wende
vom IV. zum III. Jahrtausend regiert haben, werden wir wahrschein­
lich nie wissen, geschweige denn, daß wir wüßten, wie die großen
Baumeister, bildenden Künstler und Schriftgelehrten jener Epoche
geheißen haben. Erst im Verlauf der Jahrhunderte treten uns histo­
risch, d. h. inschriftlich nachweisbare Herrscher und ihre Familienan-
gehörigen, große Verwalter, Priester, Kaufleute, aber auch private
Individuen einschließlich Sklaven entgegen.
Warum beginnt die Sumerische Königsliste nach der «Flut» mit
einer Dynastie von Kiš, und zwar der mit 23 Königen längsten Dyna­
stie überhaupt? Ausgrabungen in dieser Stadt (nur 15 km östlich von
42 II. Mesopotamien vorm Entstehen des Reiches von Akkade

Babylon) und in ihrer Zwillingsstadt mit dem sumerischen Namen


Hursag-kalama «Gebirge des Landes» haben bislang nur erst sehr un-
˘
zureichende Ergebnisse gebracht. Wir wissen also nicht, ob nicht in
tieferen Schichten auf breiter Fläche noch unerhörte Überraschungen
ihrer Entdeckung harren. Das hohe Prestige der Stadt Kiš äußert sich
seit ca. 2550 v. Chr. darin, daß sich manche Herrscher, deren Her­
kunftsort und Residenzstadt gar nicht Kiš war, dennoch «König von
Kis» genannt haben, zum Beispiel Mesilim (von D¯r, ca. 2550 v. Chr.),
Mes-ane-pada von Ur (ca. 2470) oder E-ana-tum von Lagaš (ca. 2470).
Dieser Herrschertitel wollte wohl kaum andeuten, daß Kis einmal in
der Vorzeit Zentrum eines «Reiches» gewesen war und daß man als
«König von Kiš» gleichsam die Nachfolge dieses «Reiches» angetreten
hätte. Kiš wurde vielmehr als der wichtigste Ort des nördlichen Baby­
lonien betrachtet, und wer sich «König von Kiš» nannte, wollte seinen
politischen Anspruch auf den Norden geltend machen – oder auch tat-
sächlich ausdrücken. Kiš war Vorgängerin von Akkade als Hauptort
des Nordens. All dieses impliziert freilich, daß wir schon längst vor
2600 mit einer bedeutenden Stadt Kiš zu rechnen haben, und die älte­
sten derzeit bekannten Besiedlungsspuren lassen sich auch schon an
den Anfang des III. Jahrtausends datieren.
Aufsehen haben zwei authentische Inschriften auf Scherben von
Steingefäßen (also wohl von Weihgaben) erregt; denn sie lauten
«ME-barage-si, König von Kiš» (das Element ME läßt sich nicht ge-
nau lesen). Dieser König war identisch mit Enme-barage-si (oder
Amme-barage-si), dem vorletzten Herrscher, den die Sumerische
Königsliste für die I. Dynastie von Kiš aufzeichnet. Er war laut Kö-
nigsliste und auch in einem sumerischen Epos der Vater eines Agga,
und dieser war Gegner keines geringeren als des Gilgameš von Uruk.
Über die Auseinandersetzung berichtet das Epos «Gilgameš und
Agga». Wir haben hier die bisher einzige Verbindung zwischen
einem frühen («frühdynastischen») Namen in dem Literaturwerk
Sumerische Königsliste und in der epigraphischen Realität eines Kö-
nigsnamens. Aber können wir damit «Geschichte» schreiben? Ganz
ohne Zweifel nicht! Das Epos «Gilgameš und Agga» ist ebenso viel
oder wenig «Geschichte» wie das Nibelungenlied oder Beowulf. Im
übrigen ist uns eine genauere Datierung der beiden Inschriften des
ME-barage-si gar nicht möglich (27. oder noch 28. Jahrhundert
v. Chr.?).
Ǧamdat Naṣ r und Tall ῾Uqair 43

6. Ǧamdat Naṣ r und Tall ῾Uqair

Wir haben am Ende von Kapitel 4 Uruk auf seinem Höhepunkt verlas­
sen. Es geht im folgenden nicht mehr an, die Geschichte Mesopota-
miens wesentlich aus der Sicht der einen Stadt Uruk zu schildern. Der
inschriftliche und archäologische Befund würde uns das nur in
äußerst eingeschränktem Maße erlauben, und wir würden die Bedeu­
tung vieler anderer Orte unberechtigt herabmindern. Eine etwas jün-
gere Stufe der archaischen Texte von Uruk hat auffällige Parallelen an
anderen Orten Babyloniens. Besonders ergiebig erwies sich der Raum
um die Stadt Kis: der Fundort Ǧamdat Naṣ r ca. 30 km nördlich von
Kiš (und nur etwa 80 km südöstlich vom heutigen Baghdad), dessen
antiker Name noch nicht sicher feststeht; und Tall ῾Uqair ca. 40 km
nordnordwestlich von Kiš – vielleicht war es das antike Urum.
Hier finden sich viele der Typen von Wirtschaftsabrechnung, die
aus Uruk bekannt sind. Gegenüber den ältesten Tafeln hat der Schrei­
ber jetzt einen ‹längeren Atem›. Eine einzelne Tafel kann bis zu fünf
Schriftkolumnen auf der Vorder- und auf der Rückseite haben. Mar-
kant sind auf der großen Mehrzahl der Tafeln nach wie vor Zahlzei­
chen: für Gezähltes in der einfachen Reihe 1 ff. (Menschen, Tiere,
Gegenstände); für landwirtschaftliche Produkte, die im Hohlmaß ge­
messen werden; und für Felderareale, gemessen in einem Flächen­
maß-System, das über tausend Jahre lang Gültigkeit behielt. Die
größte in Ǧamdat Naṣ r gemessene Fläche hat einen Umfang von (5 ×
60) + (3 × 10) + 4/18 = 334/18 Bur, was über 20 km2 entspricht; auch
hier wird das oben (S.41) beschriebene Sexagesimalsystem angewen­
det. Die Tafeln der beiden genannten Fundorte, um deren Verständnis
sich besonders R. K. Englund verdient gemacht hat, sind noch bei wei­
tem nicht voll entziffert und inhaltlich gedeutet. Es scheint aber
unmißverständlich, daß den Abrechnungen komplizierte und umfang­
reiche Verwaltungsstrukturen zugrunde liegen. Man kann einzelne
Verwaltertitel identifizieren wie beispielsweise sanga «Tempelverwal-
ter» (konventionelle Übersetzung), der manchmal durch den Zusatz
gal «groß» näher qualifiziert wird. Es kommt in Ǧamdat Naṣ r ein
ugula é-gal vor, ein «Vorsteher des großen Hauses», und es liegt nahe,
daß wir hier den ältesten Beleg für das sumerische Wort «großes
Haus» im Sinne von «Palast» vor uns haben. Am schwierigsten ist es,
44 II. Mesopotamien vorm Entstehen des Reiches von Akkade

bestimmte Schriftzeichen (oder Kombinationen von zwei oder mehr


Zeichen), die in Verbindung mit einem Verwaltertitel stehen und die
allem Anschein nach Personennamen darstellen, sicher zu lesen und
damit in eine für uns mehr oder weniger deutliche Klangrealität zu
bringen.
Ist die Sprache der Tafeln aus Ǧamdat Naṣ r und Tall ῾Uqair dasselbe
Sumerisch wie in Uruk, oder liegt den Texten eine andere Sprache zu-
grunde? Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten. Die Texte sind
noch völlig rudimentär geschrieben und notieren nur die Zeichen
für Zahlen, Sachwörter und Namen, ohne jegliche «phonetische»
Zusätze. Wenn etwa das Zeichen šúm «geben» geschrieben wird, so
kann damit eine beliebige Form des Verbums «geben» gemeint sein
in einer beliebigen Sprache X. Der Zusammenhang war dem Schrei-
ber und Leser ja vollkommen klar. Sobald aber ein für das Sumeri-
sche – und nur für das Sumerische – charakteristisches Präfix mu­
oder ba- dazugeschrieben wird, ist die Form eindeutig auf diese eine
Sprache, das Sumerische, festgelegt. Für eine Sprache X würde sich
außer dem – am nächsten liegenden – Sumerisch auch das Akkadi-
sche anbieten oder eine dem Akkadischen vorausgehende noch älte-
re semitische Sprache.
Die Sumerische Königsliste hat, wie wir sahen, das «Königtum»
nach der Flut in Kis beginnen lassen, also im Norden Babyloniens,
und von den Königen der «I. Dynastie» von Kis hat die Hälfte akkadi-
sche Namen. Zumindest nach der historischen Tradition Babyloniens
um 2000 v. Chr. war eine sehr frühe Präsenz von Akkadern kein Pro­
blem.
Wie dem aber auch sei, wir können die archaischen Tafeln von Ǧam-
dat Naṣ r und Tall ῾Uqair als Block für sich zur Kenntnis nehmen, mit
ihnen aber noch keine Geschichte schreiben. Vergleichbare Tafelarchive
haben gewiß auch schon in Kiš selbst bestanden; sie sind aber noch
nicht entdeckt worden. Ebenfalls ist es sicher nur durch bisherigen
Fundmangel bedingt, daß noch keine archaischen Tontafelarchive aus
Nippur bekannt sind. Nippur war das Hauptheiligtum von Enlil, dem
Sohn des sumerischen Himmelsgottes An, und Enlil war das Haupt des
sumerischen Pantheons schlechthin. Wir dürfen – von Nippur abgese-
hen – sogar vermuten, daß sich zu Beginn des III. Jahrtausends Schrift
und Schreibertum über ganz Babylonien verbreitet hatten, soweit es
Städte gab. Wie viele Städte oder vergleichbare Örtlichkeiten einem
Ur 45

Schreiber dieser Zeit bekannt waren, erfährt man aus einer Städteliste
aus Uruk, die keinerlei administrativen Zwecken diente, sondern Pro­
dukt der Schreiberschule war (vgl. oben S.35 zu den Anfängen der
Lexikographie). Diese Liste beginnt, wiewohl aus Uruk stammend, mit
Ur; dann folgen Nippur und Larsa, und erst an vierter Stelle erscheint
Uruk selbst. Für die Schreiber dieser – übrigens in mehreren Exempla-
ren überlieferten – Liste war also Uruk nicht (oder nicht mehr) Anfang
und Mittelpunkt. Vielleicht sollte der Historiker überhaupt für die Vor­
stellung offen sein, daß die Idee vom kulturellen Primat Uruks zu rela-
tivieren sei.

7. Ur

Ur am untersten Unterlauf des Euphrat hatte eine handelspolitisch


hervorragende Lage inne. Bis in die ersten vier Jahrhunderte des
II. Jahrtausends hinein war es der wichtigste Importhafen für Güter,
die über den Persischen Golf ins Land kamen. Die Tradition der Sume­
rischen Königsliste läßt – nach Kiš und Uruk – die Dynastie von Ur
mit Mes-ane-pada beginnen, und mit ihm haben wir wieder einen in
zeitgenössischen Inschriften greifbaren Herrscher vor uns (kurz nach
2500). Mes-ane-pada führte ebenso wie sein Vater Mes-kalam-dug
(von dem die Königsliste nichts mehr weiß) den anspruchsvollen Titel
«König von Kiš».
Damit stehen wir aber nicht am Anfang unserer Kenntnis der Ge­
schichte dieser Stadt. Eine schätzungsweise 200 Jahre ältere Sicht (um
oder kurz nach 2700 v. Chr.) stellen in Ur die sogenannten archaischen
Texte dar. Sie sind paläographisch anderthalb bis zwei Jahrhunderte
jünger als die oben beschriebenen Texte von Ǧamdat Naṣ r und Tall
῾Uqair. Auch in Ur handelt es sich um den schriftlichen Niederschlag
wirtschaftlicher Vorgänge (Einnahme, Ausgabe), die Notierung von
Beständen (Inventur) oder um die Übersicht über Felder. Es bleibt
dabei aber meist noch unklar, namens welcher Behörde die Abrech-
nung vorgenommen wurde. Die Unterschrift einer Tafel: «Abrech­
nung, Gerste, König» würde, wenn richtig gedeutet, auf Abrechnung
rür den königlichen Haushalt deuten. Im Gegensatz zu den noch älte­
ren Archiven von Uruk, Ǧamdat Naṣ r und Tall ῾Uqair lassen sich in
Ur nunmehr auch die Namen einer größeren Anzahl von Personen
46 II. Mesopotamien vorm Entstehen des Reiches von Akkade

identifizieren. Teilweise begegnen uns Namen, die auch noch später


geläufig sind, so daß wir mit einem onomastischen Kontinuum rech-
nen können; teils aber sind es auch Namen, die in späteren Jahrhun-
derten außer Gebrauch gekommen sind, und auch das ist ja Merkmal
jeder Kultur: Ihre Namengebung ist Modeströmungen unterworfen.
Viel mehr Aufsehen als die archaischen Tontafelfunde haben je-
doch die etwas jüngeren Königsgräber von Ur erregt. Einmal durch
ihren Aufwand materieller Pracht: Gefäße, Siegel, Mobiliar mit Einle­
gearbeiten, Musikinstrumente, Gespanne, bei deren Fertigung mit
Gold und Silber nicht gegeizt worden war. In der Tat liefern uns die
Königsgräber von Ur für die Kenntnis von Kunst und Kunsthandwerk
im 27. Jahrhundert v. Chr. mit das beste Anschauungsmaterial. Noch
mehr aber verblüffte die dort in Ur aufgedeckte Bestattungssitte:
Herrscher – oder Mitglieder des Herrscherhauses – wurden zusam­
men mit ihrem Anhang beerdigt. In einer der Grabkammern fanden
sich nicht weniger als 80 «Gefolgsleute».
Ein schwacher Abglanz des Phänomens Ur findet sich möglicher-
weise in Kiš, wo mehrere Personen in einem Grab beigesetzt gefun-
den wurden, was vielleicht auf Dienerbestattung schließen läßt.
Aber wir sind weit davon entfernt, aus diesen Befunden weitreichen­
de Schlüsse zu ziehen, etwa der verallgemeinernden Art, es wären
die Herrscher der Frühdynastischen Zeit mitsamt ihrem Gefolge be­
stattet worden. Dem Historiker bieten sich nur zwei Wege der Inter­
pretation: einmal die subjektive Deutung und sonst der Appell an die
Geduld, das einstweilige Offenlassen, das Warten auf weitere, wo­
möglich verdeutlichende Befunde.
Die auf Funden aus den Königsgräbern verewigten Herrscherna-
men sind Mes-kalam-dug und Aja-kalam-dug sowie der Name einer
Königin mit dem semitischen Namen Pū-abi. Der oben (S.42) schon
genannte Mes-ane-pada war laut seiner eigenen Inschrift Sohn des
Mes-kalam-dug, und hier zeigt sich wieder einmal, wie sehr unsere
auf der Beobachtung von Quellen mehrerer Jahrtausende beruhende
Sicht der altmesopotamischen Geschichte der Geschichtsschau des
antiken «Historikers» überlegen ist. Denn Mes-kalam-dug ist der Su­
merischen Königsliste unbekannt. Warum, wissen wir nicht. Nur ein
überschnelles Urteil würde hier erwägen, daß die Tradition der Kö­
nigsliste ganz bewußt den ihr unerhört wirkenden Brauch der Diener­
bestattung unter Mes-kalam-dug habe tabuisieren wollen. Nichts
Ur 47

könnte falscher sein als solch ein Schluß. Wir wissen nicht, warum
Mes-kalam-dug fehlt.
Noch ein weiteres Rätsel harrt der Lösung. In dem sehr reichen Bil­
derrepertoire zu Beginn des III. Jahrtausends erscheinen auch Schriftzei-
chen, die zur Darstellung von Städtenamen gebraucht wurden. Siegel-
abdrücke dieser Art sind bisher hauptsächlich aus Ǧamdat Naṣ r und Ur
bekannt geworden. Die «Städtenamen» kommen teils für sich allein und
in verschiedenen Kombinationen vor, teils auch vermischt mit anderen
Bildmotiven (zum Beispiel mit Tierköpfen oder abstrakten geometri­
schen Mustern). Auffällig ist, daß bei der Reihung verschiedener «Städ­
tenamen» eine weitgehend gleichbleibende Reihenfolge eingehalten
wird, die an die Reihung in den archaischen Städtelisten erinnert (s.
oben S. 35). Hatten die betreffenden Schriftzeichen nur einen rein deko­
rativen Charakter, oder war in ihnen eine Mitteilung enthalten, etwa der
Ausdruck einer Zusammengehörigkeit (gemeinsame handelspolitische
Interessen)? Th. Jacobsen hatte schon 1957 von diesen Siegelabdrücken
aus eine regelrechte «sumerische Liga» erschlossen, und der Gedanke ist
1993 von R. J. Matthews wieder aufgegriffen worden; doch bleibt die Ba-
sis für einen so weitreichenden historischen Schluß sehr schmal.
Vor allem ist, wenn wir von literarischen Reflexen absehen (Sume-
rische Königsliste, «Gilgameš und Agga»), bisher nichts über das Ver­
hältnis der verschiedenen Städte Babyloniens zueinander zu erfahren.
Zwar deutet ein bestimmtes Siegelmotiv in Uruk auf kriegerische
Auseinandersetzungen hin: Dargestellt sind zusammengekrümmt
und gefesselt am Boden liegende Gefangene, die von Wächtern mal­
trätiert werden – ein rauher Kontrast zur friedlichen Welt der Siegel
mit Bildern aus dem Götterkult. Aber dergleichen ist für uns nur ein
schwacher Widerschein historischer Realitäten, die uns wohl auf im-
mer verloren sind. Dafür, daß die Städte sich nicht ungeschützt der
Außenwelt darbieten wollten, spricht das Aufkommen von Stadtmau­
ern. Die von Uruk ist seit ca. 2800 bezeugt, und zwar in der imposan­
ten Länge von über 9 km. Das akkadische Gilgameš-Epos preist diese
Mauer eingangs und ganz am Ende, und die altbabylonische Zeit sah
in ihr «das Werk des Gilgameš».
Eine These älterer Darstellungen der Geschichte Mesopotamiens,
die Hauptgegner der Sumerer zu Beginn des III. Jahrtausends seien
einwandernde Semitenstämme gewesen, deren jahrhundertelanger
Akkulturationsprozeß im Reich von Akkade gegipfelt hätte, läßt sich
48 II. Mesopotamien vorm Entstehen des Reiches von Akkade

in solcher Entschiedenheit nicht mehr vertreten. Veränderung und


Niedergang konnten verschiedene Gründe haben: Schwierigkeiten in
der Wasserversorgung, da der Meeresspiegel im Persischen Golf noch
bis zur Mitte des III. Jahrtausends weiter absank und die Flüsse sich
folglich tiefer eingruben (H. J. Nissen versucht, damit den Rückgang
Uruks nach seiner archaischen Hochblüte zu erklären); verheerende
Epidemien, die im Zweistromland immer wieder aufgetreten sein
dürften, von denen wir aber erst aus Quellen nach der Mitte des
II. Jahrtausends etwas erfahren; und auch – aber eben nur unter ande-
ren Möglichkeiten – Kriegsläufte.

8. Šuruppak und Abu Ṣ alābãh


˘
Wir verlassen den für uns mit allzuviel Spekulation erfüllten älteren
Abschnitt der Jahrhunderte vor Akkade und wenden uns den Archi-
ven von Šuruppak im 26. Jahrhundert zu. Šuruppak (modern al-Fāra)
lag halbwegs zwischen Nippur und Uruk. Es war die letzte der Kö-
nigsstädte, die die Sumerische Königsliste in ihrem Abschnitt «vor
der Flut» aufführt – aus dem leicht ersichtlichen Grund, daß König
Zi-usudra in der sumerischen und akkadischen literarischen Tradition
der Retter der Menschheit war, der in listigem Zusammenspiel mit
dem Weisheitsgott Enki (akkadisch Ea) eine Arche gebaut hatte, um
die Flut zu überstehen – das Vorbild also des biblischen Noah. Aus
Šuruppak stammen knapp 1000 sumerische Tontafeln, die dem Philo-
logen nicht mehr jene extremen Interpretationsschwierigkeiten bie-
ten wie die Tafeln der älteren Archive aus dem archaischen Uruk, aus
Ǧamdat Naṣ r, Tall ῾Uqair und zum Teil auch noch aus Ur. Das paläo­
graphische und orthographische System der Texte aus Šuruppak nä­
hert sich langsam einem Stadium, das dem Keilschriftforscher (der
sich im Verlauf der Forschungsgeschichte immer weiter vom bekann-
ten Jüngeren zum unbekannten Älteren ‹zurückgetastet› hat) seit nun
schon über hundert Jahren vertraut ist.
In Šuruppak sehen wir einen schon relativ breiten Ausschnitt aus
der Palette der uns überhaupt bekannten Typen von Keilschrifttexten.
Wie zu allen Zeiten, in denen Keilschrift geschrieben wurde, nehmen
auch in Šuruppak Texte der Verwaltung den breitesten Raum ein. Doch
reichen sie in ihrem nach wie vor äußerst lakonischen Formular (das
Šuruppak und Abu Ṣ alābãh 49
˘
vieles, weil dem Eingeweihten selbstverständlich, ausspart) noch nicht
aus, genaue Verwaltungsstrukturen erkennen zu lassen. Daneben sind
uns zum ersten Mal Privatverträge auf Tontafeln bezeugt: Kauf von
Häusern, Feldern, Sklaven. Aus der Zeit vor «Šuruppak» sind verein-
zelte Feldkaufverträge erhalten, die auf Stein geschrieben sind. Leider
stammen die meisten von ihnen aus dem Kunsthandel und nicht aus
regulären Ausgrabungen, so daß ihr Herkunftsort unbekannt bleibt. In
den Verträgen aus Šuruppak sind deutlich die Vertragsbestandteile be-
schrieben: Definition des Kaufobjekts, sein Preis, die Parteien, Käufer
und Verkäufer (letztere oft von Familienangehörigen begleitet, die mit
hinzuzuziehen waren, wenn Eigentumsrechte an Immobilien aufgege-
ben werden sollten), Zeugen, Schreiber und andere. Die Verträge aus
Šuruppak stellen den frühesten Markstein dar in der langen und her-
vorragend dokumentierten altorientalischen Rechtsgeschichte.
Aus Šuruppak stammen auch die ältesten sumerischen literari­
schen Texte, in der Hauptsache Beschwörungen. Einige von ihnen ha­
ben Parallelen im nordsyrischen Ebla. Im Bereich der Lexikographie,
die in der babylonischen Schule allgegenwärtig ist (vgl. oben S. 34 f.),
stechen die ältesten uns bislang überlieferten Götterlisten hervor. Sie
sind kein Produkt der lokalen Gelehrsamkeit und beschreiben keinen
beschränkten Götterkreis. Die Anordnung des «Pantheons» in den
Listen aus Šuruppak ist vielmehr gesamtsumerisch orientiert, indem
sie den Himmelsgott An und seinen Sohn Enlil, den Hauptgott von
Nippur, an die Spitze stellen und weitere große Götter folgen lassen:
Inanna (Göttin des Venussterns, Liebes- und Kriegsgöttin), Enki (den
Weisheitsgott, primär mit der Stadt Eridu verbunden), Nanna (den
Mondgott von Ur) und Utu (den Sonnengott von Larsa, aber auch von
Sippar – dort wohl in seiner akkadischen Gestalt Samas verehrt). Die
Götterlisten erweisen sich also als lokale Ableger einer übergeordne­
ten Schultradition. Wie W. G. Lambert beobachtet hat, wetteifern in
diesen und vergleichbaren Listen zwei Systematiken miteinander:
einmal die Darstellung von Hierarchie und Verwandtschaft – im Falle
der Götterlisten der Versuch, Familien und Familienverbände zu be-
schreiben; auf der anderen Seite eine lexikalisch-etymologische Sy­
stematik, und zwar das Zusammenstellen von Wort- oder Namens­
einträgen, die ein gleiches gemeinsames Element enthalten – im Falle
der Götterlisten beispielsweise Namen, die mit dem Element nin
«Herr», «Herrin» beginnen. Eingegliedert in die größte, ca. 460 Gott­
50 II. Mesopotamien vorm Entstehen des Reiches von Akkade

heiten umfassende Liste aus Šuruppak waren auch zwei vergöttlichte


Herrscher von Uruk, Lugalbanda und sein Sohn Gilgameš, die uns
beide aus der sumerischen und akkadischen Epik wohlbekannt sind
(vgl. unten S. 71). Wie immer es mit der historischen Realität dieser
Herrscher bestellt sein mag (wir haben eine ähnliche Frage schon an­
läßlich von ME-barage-si gestellt), wir sehen, daß die Grenze zwi­
schen Gottheit und Heros fließend war.
Über den politischen Status der Stadt Šuruppak läßt sich noch
nichts sagen. War es ein selbständiger Stadtstaat mit eigenem König,
oder war die Stadt in den größeren Verband eines auswärtigen König­
tums eingegliedert? Lokale Bau- oder Weihinschriften von Herr­
schern, die in – oder über – Šuruppak geherrscht haben, sind bisher
nicht gefunden worden. Wir werden am Beispiel von Girsu-Lagaš (s.
Kap. 9) erfahren, wie außerordentlich aussagekräftig die sogenannten
Königsinschriften sein können.
Hart nordwestlich von Nippur liegt der Fundort Abu Ṣ alābãḥ , des­
sen antiker Name noch nicht sicher identifiziert werden konnte. Von
dort stammen 1974 von R. D. Biggs veröffentlichte Tontafeln, die mit
denen der Archive von Šuruppak paläographisch «gleichzeitig» sind
(was eine Toleranzgrenze von plus/minus zwei Generationen durch­
aus einschließt). Es handelt sich in der großen Mehrzahl um lexika­
lische und literarische Texte, und manche Werke der sumerischen Li-
teratur wie der Zyklus von Preisliedern auf sumerische Tempel, die
weisen Ratschläge des Šuruppak oder der Hymnus auf das Heiligtum
von Kesi haben hier ihre ältesten Zeugen. Aus Abu Ṣ alābãḥ stammt
aber auch der älteste bisher bekannte literarische Text in akkadischer
Sprache, und mehrere Namen der in den Tafelunterschriften ver­
merkten Schreiber sind akkadisch. Ganz in der Nähe des zentralbaby­
lonischen Nippur läßt sich also schon im 26. Jahrhundert v. Chr. jene
sumerisch-akkadische Symbiose nachweisen, die die ganze mesopota-
mische Kultur in den folgenden zwei Jahrtausenden prägen sollte. Es
kann in der Tat keine Rede mehr davon sein, daß die semitische Bevöl-
kerung Babyloniens ein kultureller Nachzügler gewesen wäre.
Es zeigen sich aber noch viel weiter reichende Verbindungen. So
wie zu manchen Beschwörungen aus Šuruppak gibt es auch zu einem
großen akkadischen literarischen Text aus Abu Ṣ alābãḥ Paralleltexte
im fernen nordsyrischen Ebla. Diese gerade erst fünfunddreißig Jahre
alte Entdeckung läßt die Vorstellung vom Alter und von der Verbrei­
Lagaš 51

tung sumerischer und akkadischer Literatur in einem völlig neuen


Licht erscheinen. Und all diese einzelnen Funde dürfen wir wohl nur
als die sprichwörtlichen Spitzen von Eisbergen ansehen. Denn was
einem relativ kleinen Fundort wie Abu Ṣ alābãḥ recht ist, muß Städten
wie Nippur, Kiš oder Sippar billig sein. Auch dort sind ähnliche Archi­
ve – oder Bibliotheken – literarischer Texte zu erwarten.
Es fehlt in Abu Ṣ alābãḥ der Bezug zur politischen Realität des Ta-
ges. Auch ist der genaue zeitliche Abstand zur gleich vorzustellenden
I. Dynastie von Lagaš unklar. Hier sei ein kurzes Wort zur Paläogra­
phie eingefügt. Seit dem ersten Auftauchen der Schrift sind die Form
der Schriftzeichen, die Art ihrer Anordnung auf der Tontafel und die
«Orthographie», d. h. die Art, wie der Schreiber die von ihm inten­
dierte schriftliche Mitteilung gestaltete, das deutlichste «Leitfossil»
für die zeitliche Einordnung eines Textes. Aber solange uns keine fest
datierten Herrscherreihen oder sonstigen chronologischen Stützen
vorliegen, können Keilschrifttexte nur in einem relativen Abstand
voneinander datiert werden. Während das «älter» oder «jünger»
meist feststeht, bleibt das «wieviel älter oder jünger» offen. Der paläo-
graphische Schätzwert kann sich in einem Rahmen von zwei (oder gar
drei) Generationen bewegen. Erschwerend kann noch hinzukommen,
daß etwa am Fundort A Inschriften auf Ton, in B dagegen nur solche
auf Stein überliefert sind. In einem solchen Fall wird der paläographi­
sche Vergleich dadurch erschwert, daß Zeichenformen auf Stein Ent­
wicklungen, die sich in der Schreiberhand auf dem geschmeidigeren
Ton vollziehen, nur retardierend nachholen. Das Ergebnis ist, daß eine
Inschrift auf Stein älter aussehen kann, als sie tatsächlich ist. Genau
diesem Dilemma begegnen wir, wenn wir die Toninschriften von
Šuruppak oder Abu Ṣ alābãḥ mit den Steininschriften vom Anfang der
I. Dynastie von Lagaš vergleichen. So bleibt es denn eine der Bestäti­
gung harrende Vermutung, wenn wir Šuruppak an den Anfang, Ur-
Nanše von Lagaš dagegen ans Ende des 26. Jahrhunderts datieren.

9. Lagaš

Mit Ur-Nanše, dem Herrscher über den Staat Lagaš mit seiner Haupt-
stadt Girsu, ist das Stichwort für den Beginn einer chronologisch ge­
nauer orientierten altorientalischen Geschichtsschreibung gefallen.
52 II. Mesopotamien vorm Entstehen des Reiches von Akkade

«Wir sind im Hafen nun, hurra!» könnten wir mit Puschkin im «Eu-
gen Onegin» ausrufen. Zwar sind wir noch genötigt, in Generationen
zu rechnen (20–30 Jahre) statt in genau abgezählten Regierungsjah­
ren. Aber dieser verbleibende Ungenauigkeitsfaktor wiegt wenig,
wenn wir daran denken, wie in den weiter zurückliegenden Jahrhun­
derten mit Zeiträumen gespielt wurde, die Jahrzehnte und Generatio­
nen weit überstiegen.
Der Staat Lagaš-Girsu nahm einen Teil vom Südosten Babyloniens
ein und grenzte an Elam an. Die Tradition der Sumerischen Königs­
liste hat Lagaš keiner Königlichen «Dynastie» für würdig befunden.
Dafür hat sich ein altbabylonischer Schreiber – wohl aus Girsu – ge­
rächt, indem er eine satirisch gefärbte lokale Königsliste verfaßte.
Ur-Nanše nennt sich Sohn eines Gunidu, läßt diesen aber unbeti­
telt; seine Nachfolger nannten sich immer ausdrücklich Söhne eines
«herrschenden» Vorgängers. Ur-Nanše könnte also ein homo novus
gewesen sein. Hier folgt das Familienstemma der von ihm abstam-
menden Dynastie:
Ur-Nanše (ca. 2520)

Aja-kurgal (ca. 2490)

E-ana-tum (ca. 2470) En-ana-tum I. (ca. 2450)

En-metena (ca. 2430)

En-ana-tum II. (ca. 2400)

En-entar-zi (ca. 2380)

Lugal-anda (ca. 2370)

Iri-kagina (ca. 2350)

Von diesen Herrschern ist ein umfangreiches Corpus an «Königsin­


schriften» erhalten, d. h. von Inschriften, die die Herrscher bei Bau­
vorhaben, frommen Stiftungen, zur Verherrlichung eines Sieges oder
Lagaš 53

aus sonstigen Anlässen verfaßten. Die Autoren nennen sich selbst


beim Namen und Titel und ebenso ihren Vater (und Vorgänger); sie
zählen eine längere Reihe von – fast immer kultisch begründeten –
Epitheten auf (zum Beispiel «den die [Muttergöttin] Nin-hursanga
˘
mit guter Milch genährt hat»), und sie geben dann den eigentlichen
Anlaß der Inschrift an. Dieses Grundformular ließ sich nach Belieben
erweitern; es konnten regelrechte historiographische Exkurse einge-
fügt werden (zum berühmtesten von ihnen, dem des En-metena, s.
unten S. 55 f.). Es fragt sich, ob wir ein Inschriftencorpus wie das von
Lagas als paradigmatisch für seine Zeit ansehen und – mutatis mu­
tandis – auf andere Stadtstaaten übertragen dürfen. Das ist zwar nicht
ausgeschlossen. Aber solange wir dergleichen Corpora anderswo nicht
bezeugen können, muß die Sammlung der neun Herrscher aus Lagaš
als etwas Erstes und Neues in der altmesopotamischen Geschichte be-
grüßt werden.
Das «Regierungsprogramm» eines Stadtstaatenherrschers, wie es
teilweise schon aus den ältesten Königsinschriften rekonstruierbar ist,
war vielfältig. Oberste Aufgabe waren die Instandhaltung und Erweite-
rung des Bewässerungssystems, da von ihm die Ernte und somit das
Wohl und Wehe des Staates überhaupt abhingen. Fast von gleicher
Rangstufe war der Götterkult: die Pflege der Tempel, Neubau und Ver­
größerung, Ausschmückung mit Statuen, Stelen und Weihgaben; die
Einsetzung der hohen Priesterschaft und ihre materielle Versorgung.
Da babylonische Tempel zu allen Zeiten mit Ländereien ausgestattet
waren, hatte der «Götterkult» zu einem beträchtlichen Teil einen rein
wirtschaftlichen Charakter. Der Herrscher mußte auch die Palast- und
Befestigungsanlagen instandhalten, und in seinen Bereich fiel die Über­
wachung des – zu einem erheblichen Teil in staatlicher Hand befind­
lichen – Fernhandels. Das ausgesprochen rohstoffarme Babylonien war
ja für seine höheren zivilisatorischen Bedürfnisse ganz auf Import an-
gewiesen. Außenpolitisch ging es um das Verhältnis zu den Nachbar­
staaten – im Falle von Lagaš besonders zum nördlicheren Umma, mit
dem fast eine «Erbfeindschaft» bestand. Die ausdrückliche schriftliche
Bekundung eines Abkommens über «Brüderschaft» der Herrscher, wie
es zwischen En-metena von Lagaš und Lugal-kiniše-dudu von Uruk
zustande gekommen ist, bildet in unseren Quellen die Ausnahme. In
der Regel wird nur von kriegerischen Auseinandersetzungen, Siegen,
der Zerstörung feindlicher Städte oder der Annektierung von fremdem
54 II. Mesopotamien vorm Entstehen des Reiches von Akkade

3 «Geierstele» aus Girsu, Ausschnitt der Rückseite.

Kalkstein, Höhe 188 cm, Breite 130 cm.

Heute Musée du Louvre, Paris.

Gebiet berichtet, wobei es ein Charakterzug altorientalischer Historio-


graphie (aber beileibe nicht nur dieser!) ist, grundsätzlich die eigene Sa­
che positiv und überlegen, die des Gegner abwertend zu schildern.
Königsinschriften kommen auf sehr verschiedenen Objekten vor:
auf gebrannten Ziegeln, Steinplatten, Türangelsteinen, Bildstelen, Sta­
tuen, Gefäßen, Tonkegeln oder -nägeln, die im Mauerwerk eingelassen
waren, Siegeln und anderem. Eines der Prunkstücke ist die – wenn auch
nur als Bruchstück erhaltene – «Geierstele» des E-ana-tum, die einen
Sieg über Umma verherrlicht. Die eine Seite der Stele zeigt eine Pha-
lanx von Kriegern, den König auf seinem Streitwagen und erschlagene
Feinde, auf die sich Geier stürzen (daher unsere moderne Bezeichnung
«Geierstele»); auf der anderen Seite finden wir den Stadtgott von Girsu,
Ningirsu, der ein riesiges Netz mit darin zappelnden Feinden hält. Die
lange Inschrift berichtet von der Vorgeschichte des Streits mit Umma
und von E-ana-tums Sieg. Kernstück ist ein dem Gegner diktierter
Lagaš 55

Grenzvertrag, dessen Einhaltung dieser bei sechs Gottheiten beschwört:


bei Enlil von Nippur, Nin-hursanga von Keši, Enki von Eridu, Suen von
˘
Ur, Utu von Larsa und bei Ninki von [...] (der Stadtname ist nicht er-
halten). Es ist dies der älteste uns bezeugte «Staatsvertrag», wenn wir
unter diese Bezeichnung auch rein einseitige Formulare einbeziehen
wollen.
Die Aufreihung der Schwurgötter und besonders der Beginn mit En-
lil von Nippur zeigen, daß sich E-ana-tum «gemein-sumerisch» – oder
man könnte auch sagen: «gemein-babylonisch» – gebärdete, wie weit
sich seine politische Macht auch de facto erstreckt haben mag. Seinen
Inschriften zufolge hat er militärisch weit ausgegriffen und Siege er­
rungen über die unmittelbaren Nachbarn Umma und Elam, aber auch
über Uruk, Ur, Larsa, sogar Akšak in Nordbabylonien und einmal über
eine aus Kiš, Akšak und Mari bestehende Koalition. E-ana-tum hat sich,
wie wir schon sahen (S.42), den Titel «König von Kiš» zugelegt. Es sind
von ihm auch Inschriften aus Uruk und Ur überliefert; aber es ist einst­
weilen nicht zu beweisen – und eher zu bezweifeln –, daß er ein regel-
rechtes «Reich» errichtet habe.
Das hier besprochene Inschriftencorpus von Lagaš ist auch für den
Literaturhistoriker und Stilkritiker wichtig und interessant; denn es
führt uns vor Augen, wie sich die Fähigkeit sumerischen schriftlichen
Ausdrucks in den vier Generationen von E-ana-tums Großvater Ur-
Nanše bis zu seinem Neffen En-metena von der einfachen Aufzäh-
lung kurzer markanter Sätze zu komplizierten Reihungen und Ver­
schachtelungen, eleganter Wortwahl und Ansätzen politischer Rheto-
rik aufgeschwungen hat. An den Schreiberschulen des Staates Lagaš
müssen hoch begabte Sprachkünstler tätig gewesen sein.
Nach dem lückenhaften Text der Geierstele ist von En-metena der
erste vollständige Bericht überliefert, der die Bezeichnung «Ge-
schichtsschreibung» verdient. Daher ist, auch wenn eine Geschichte
ganz Mesopotamiens zur Knappheit nötigt, etwas ausführlichere Be-
handlung angebracht. In der Ausgangssituation, wonach der Gott
Enlil von Nippur selbst den Stadtgöttern Ningirsu von Girsu und Sara
von Umma die Grenze gezogen hatte, ist ein unbezweifelbar gültiger
Zustand geschaffen. Daß das Geschehen in die göttliche Sphäre verla-
gert wird und daß die Stadtgottheiten als Repräsentanten der Stadt­
staaten selbst (oder ihrer Herrscher) stehen, entspricht der zeitgenös­
sischen Vorstellung, wonach der Bereich des Staates das «Feld des
56 II. Mesopotamien vorm Entstehen des Reiches von Akkade

Stadtgottes NN» war. Mesilim «von Kiš», so fährt der Text fort, hatte
danach das Areal vermessen und eine Grenzstele in den Boden setzen
lassen. Hier ist auf einen Herrscher Bezug genommen, der als Ober­
herr oder zumindest als Schiedsrichter anerkannt war. Mesilim han-
delte übrigens seinerseits auf Geheiß seines eigenen Gottes Ištaran,
der in Dēr jenseits des Tigris beheimatet war.
Soweit das Exposé; dann beginnt der Konflikt: Uš, ein Herrscher
von Umma, veränderte die Grenze zu seinen Gunsten, indem er Mesi-
lims Stele ausreißen ließ. Ningirsu griff ein und bewirkte einen Sieg
über Umma. E-ana-tum von Lagaš traf mit En-akale von Umma eine
neuerliche Grenzvereinbarung, ließ neue Stelen einsetzen und Mesi-
lims Stele an ihren Ursprungsort zurückbringen. Höchstwahrschein­
lich bezieht sich der Text der Geierstele auf dieses Ereignis. Jedenfalls
stimmt En-metenas Formulierung, «Ningirsu habe das große Fang­
netz auf Umma geworfen», hervorragend mit dem Bild der Geierstele
überein, das den Gott mit einem überdimensionalen Netz in der Hand
zeigt.
Grund für den generationenlangen Grenzkonflikt war nichts ande­
res als der Streit um die Nutzung von Wasserrechten. Das stromauf­
wärts gelegene Umma saß «am längeren Hebel» und konnte dem wei­
ter unten liegenden Gegner die Wasserzufuhr schmälern, indem es
vom Fluß große Kanäle abzweigen ließ. Praktisch ging es um die Nut­
zung einer optimalen Fläche von Ackerland.
Ein neuer Konfliktgrund trat ein, als Umma der Verpflichtung
nicht nachkam, die Gebühren für von Lagaš gepachtetes Land zu zah­
len. En-metenas Vater und dann er selbst sind Gegner eines Ur-Lum-
ma von Umma. Schlacht und Verfolgung des Feindes werden genau
beschrieben. En-metena hatte schließlich auch mit einem den Thron
in Umma usurpierenden Nachfolger des Ur-Lumma zu tun, und hier
ist sogar – man ist an epische Breite erinnert – die Rede eines Boten
wiedergegeben. En-metena hat daraufhin durch eigene wasserbau­
technische Maßnahmen erreicht, daß er sich der Bedrohung durch
Umma in Zukunft entziehen konnte.
En-metenas Text führt uns auf einen Höhepunkt der historischen
Überschau, der in einem so langen Atem auf Jahrhunderte nicht wie­
der erreicht worden ist.
Vom letzten Herrscher der Dynastie von Lagaš, Iri-kagina (früher
wurde sein Name auch Uru-kagina oder Uru-inimgina gelesen),
Lagaš 57

stammen weitere bedeutende historisch-literarische Zeugnisse: die


sogenannten Reformtexte und ein Klagelied über die Zerstörung der
Städte und Tempel des Staates Lagaš durch Lugal-zage-si von Umma.
Iri-kaginas Herkunft ist unbekannt. Er hing wohl nicht mit seinen
beiden Vorgängern zusammen, zu denen er sich in deutlichen Gegen­
satz stellt. Die «Reformtexte» sind formal in den Rahmen von Bauin-
schriften eingefügt; doch der Exkurs über die Reformen sprengt den
Rahmen, so daß die Mitteilung über ihre Durchführung zum Selbst-
zweck der Texte wird.
Iri-kagina rügt Mißstände der unmittelbaren Vergangenheit, die
darin bestanden hätten, daß sich das Herrscherhaus und sein Verwal­
tungsapparat, zumal in Gestalt von maškim «Kommissar» genannten
Kontrollinstanzen, Rechte und Eigentum angemaßt hatten, die den
Tempeln der Götter zustanden. Wir sind also mit einem – der Weltge-
schichte nicht unbekannten – Konflikt zwischen weltlicher Macht und
dem Klerus konfrontiert. Iri-kagina läßt aufs Deutlichste durchblik­
ken, auf welcher Seite er gesehen sein wollte. Frühere Herrscher hat­
ten Tempelland für den «Palast» beansprucht und Tempelpersonal im
Bereich des «Palastes» (damit war gemeint die Herrscherresidenz mit­
samt zugehörigen Wirtschafts- und Verwaltungstrakten sowie auch
Feldern) beschäftigt. «(Iri-kagina) setzte im Hause und auf den Fel­
dern des Stadtfürsten (den Stadtgott Ningirsu) wieder als ihren Ei­
gentümer ein. Im Hause und auf den Feldern der Herrschergemahlin
setzte er (Ningirsus Gemahlin) Ba᾿u wieder als deren Herrin ein. Im
Hause und auf den Feldern des Kronprinzen setzte er Šul-šagana (den
Sohn des Stadtgötterpaares) wieder als deren Eigentümer ein». Es
wird also die Stadtgötterfamilie als eigentliche Eigentümerin der ge-
samten herrscherlichen Domäne präsentiert. Den hier zitierten Sät­
zen mit ihrer nicht zu unterschätzenden Wucht der Aussage ist in der
modernen Geschichtsschreibung sehr viel Gewicht beigemessen wor­
den. Einige Jahrzehnte lang hat man aus Iri-kaginas Reformtexten
und dem Befund der fast zeitgleich zu datierenden Archive des Ba᾿u-
Tempels von Girsu das Modell einer – zumindest in der Theorie – rein
theokratischen «Tempelstadt» abgeleitet, wo Feld und Flur gänzlich
zum Machtbereich der Tempel gehört hätten. Doch ist mittlerweile
klar, daß sich ein solches Modell nicht mit der Existenz eines privat­
bürgerlichen Sektors verträgt, den wir unter anderem in den Feld­
kaufverträgen kennenlernen.
58 II. Mesopotamien vorm Entstehen des Reiches von Akkade

Damit ist aber die historische Bedeutsamkeit von Iri-kaginas «Re­


formtexten» nicht geschmälert. Deren Aussagen beschränken sich
nicht auf – tatsächliche oder vorgebliche – Prärogativen von Iri-kagi-
nas Vorgängern und seiner Beamtenschaft. Neben den zum Teil eher
restauratorisch anmutenden Verfügungen stehen andere, in denen
wir die ältesten uns bisher bekannten Maßnahmen sozialer Gerech-
tigkeit sehen dürfen. Es wurde untersagt, daß ein Vorgesetzter oder
ein auf Besitzerweiterung erpichter Hauseigentümer den Untergebe­
nen bzw. Nachbarn zu einem unvorteilhaften Verkauf nötigte. Ganz
allgemein drückt Iri-kagina eine beim Stadtgott eingegangene Ver-
pflichtung aus, den Schwachen vor dem Starken und besonders die
Witwen und Waisen zu schützen. Schließlich werden auch Maßnah­
men zur Erleichterung von übermäßigem Zinsdruck erwähnt. Es sind
hier Pflichten ausgesprochen, zu denen sich auch Herrscher späterer
Jahrhunderte und anderer Orte immer wieder bekannt haben, bis hin
zum Epilog des Codex Hammurāpi – und zwar durchaus nicht nur in
literarischer Form und Phrase. Die altbabylonische Privatkorrespon­
denz liefert genügend Beispiele dafür, daß sich der – im wesentlichen
wirtschaftlich – in Not Geratene um Hilfe an hohe Beamte oder gar
den König selbst wandte.
Die erwähnten Archive des Ba᾿u-Tempels sind in die Regierungs­
zeit von Lugal-anda (und dessen Frau Bara-namtara) sowie von Iri­
kagina (und dessen Frau Sasa) datiert, und zwar nur in zwei knappe
Jahrzehnte. Die Tafeln, die sich zwischen Einzelnotizen von nur
wenigen Zeilen und Riesentafeln mit je zehn Schriftkolumnen auf
der Vorder- und Rückseite bewegen, behandeln die Verwaltung in
ihren verschiedenen Sparten: Felder und Bewässerung, Getreideaus­
saat und -ernte, Gemüseanbau, Gehölze und Gärten, die Viehhal­
tung und Produkte der Viehzucht, Fischerei, die Entlohnung von
Personal, den Fernhandel und anderes mehr. «Verwaltung» bedeutet
hier, daß jeder Vorgang, jegliche Veränderung des Status von Men­
schen, Tieren oder Sachen schriftlich registriert, datiert und mit
einem Zuständigkeitsvermerk versehen wurde. All diese wirtschaft-
lich-verwaltungsmäßigen Einzelnotizen und Zusammenfassungen
sind nur aus dem Blickwinkel eines bestimmten – wenn auch zwei-
fellos eines der größten – Tempels von Girsu gesehen. Die Frage ist
berechtigt, ob es gestattet ist, von diesem einzigartigen, durch Fund­
zufall bekannt gewordenen Archiv «Hochrechnungen» vorzuneh­
Lagaš 59

men auf andere Tempelkomplexe in Girsu sowie auf die Tempel der
zahlreichen anderen Städte in Babylonien; oder ob wir es mit einem
zeitlich wie lokal beschränkten, dem heutigen Historiker freilich
höchst willkommenen Auswuchs einer Bürokratie zu tun haben.
Auf jeden Fall werden sanga «Tempelverwalter» des Staates Lagaš in
Iri-kaginas Reformtexten im Plural genannt, so daß mit einer Viel-
zahl paralleler Organisationen zu rechnen ist.
Das Personal war streng hierarchisch gegliedert. Zwar sind auch
«Priester» im engeren, rein kultischen Sinne bezeugt. Aber das aus-
schließlich Kultische tritt in den Texten der Ba᾿u-Archive hinter dem
Praktischen weit zurück. Die große Menge der Arbeitenden ist, soweit
nicht beruflich-handwerklich spezialisiert, als eren bezeichnet. Das
Wort meint die zu öffentlichem Dienst Verpflichteten und zwar, je
nach der Art des Einsatzes, Arbeiter oder Soldaten. Ziemlich häufig
kommen Sklavinnen vor (geme), die vorzugsweise beim Getreide­
mahlen und in der Weberei angestellt waren. Männliche Sklaven sind
außerhalb der Privatsphäre, wo wir sie in Kaufverträgen kennenler­
nen, selten bezeugt.
Ein Tempelkomplex wie derjenige der Göttin Ba᾿u verhalf einem
beträchtlichen Teil der Bevölkerung zu Arbeit und auf dem Wege der
«Redistribution» zu Brot. Entlohnt wurde in Viktualien, im wesent-
lichen Gerste, und durch Landzuweisung oder Pacht konnte Familien
die Existenzgrundlage gewährt werden. Alles Nähere aber, etwa die
Frage, welcher und ein wie hoher Teil der Bevölkerung wie lange im
Jahr zu öffentlichen Arbeiten (oder zum Kriegsdienst) herangezogen
werden konnte, welche Rechte diese Personen hatten und wie groß
der «private Sektor» war, d. h. von der Bindung an einen Tempel oder
an den Palast unabhängige Personen, ist noch nicht bekannt, und wir
werden wohl auch nie über die für solche Erkenntnisse nötigen Stati­
stiken verfügen.
Neben Verwaltungsbeamten, Priestern, Richtern, Künstlern und
Kunsthandwerkern (im Altertum werden sie nicht unterschieden)
und den «ungelernten» Arbeitern (zum Beispiel eingesetzt zur Bewe-
gung von Erde, zum Streichen von Ziegeln oder zum Wasserschöpfen)
ist die berufliche Spezialisierung weit fortgeschritten. Es gibt eine fein
gegliederte Terminologie für das Handwerk und für seine Zulieferer.
So bezog, um nur ein Beispiel zu nennen, der Rohrmattenflechter sein
Material nicht durch eigenen Gang in die Schilfsümpfe, sondern über
60 II. Mesopotamien vorm Entstehen des Reiches von Akkade

einen Rohrhändler. Die verwaltungsmäßige und handwerkliche Spe-


zialisierung ist zeitlich schon viele Jahrhunderte zurückzudatieren.
Denn schon im archaischen Uruk, d. h. um die Wende vom IV. zum
III. Jahrtausend, finden sich unter den lexikalischen Texten auch Li­
sten mit – für uns allerdings noch schwer deutbaren – Bezeichnungen
für Beamte und Verwaltungspersonal.
Im generationenlangen Konflikt zwischen Lagaš und Umma ist
Lagaš gegen Ende der Regierung Iri-kaginas endgültig unterlegen und
mußte schwerste Zerstörungen und Plünderungen hinnehmen. Wohl
nur der Umstand, daß nichts mehr zu beschönigen war, hat Iri-kagina
veranlaßt, in einem stark literarisch gefärbten Text alle Schrecknisse
penibel beim Namen zu nennen. Urheber war Lugal-zage-si, nachma-
liger König von Uruk. «Eine Verfehlung des Iri-kagina, Königs von
Lagaš», so endet das Klagelied, «besteht nicht. Aber den Lugal-zage-si,
Stadtfürsten von Umma, möge seine Göttin Nisaba diese Verfehlun­
gen auf dem Nacken tragen lassen».
Lugal-zage-si sollte in der Tat ein böses Ende nehmen. Denn Sar-
gon von Akkade hat ihn – so seine Inschrift – besiegt und, in eine Nak-
kengabel gezwängt, gefangen zum Tempel des Enlil geführt. Doch
damit sind wir schon vorausgeeilt.

10. Lugal-zage-si

Der aus Umma stammende Lugal-zage-si ist für uns der erste Herr­
scher, der sich in seinen Titeln nicht mehr nur – oder primär – auf eine
lokale Residenzstadt bezieht, sondern der ein «gemein-sumerisches»
politisches Konzept vorführt. Lugal-zage-sis erster Titel ist «König
von Uruk, König des Landes», und er gebraucht hier das sumerische
Wort kalam, das das gesamte Gebiet von Sumer einschließt. Er nennt
als seine Untertanen «alle Throninhaber von Sumer» (bara-bara-
kiengi), und er führt in einem längeren Katalog die von ihm be-
herrschten Städte auf (Uruk, Ur, Larsa, Umma, Nippur und andere). In
seiner Phraseologie ist vieles von Akkade vorweggenommen: «Als
Enlil, der Herr aller Länder, dem Lugal-zage-si das Königtum (nam-
lugal) über das Land (kalam) gegeben, als er den Blick des Landes auf
ihn gerichtet, ihm alle Fremdländer unter die Füße gezwungen und
sie ihm von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang unterworfen hatte,
Lugal-zage-si 61

da hat er ihm vom Unteren Meer, den Tigris und Euphrat entlang, bis
zum Oberen Meer den Weg geebnet. Von Sonnenaufgang bis Son­
nenuntergang ließ Enlil ihn keinen Widerpart haben ...». Manche
Wendungen lesen wir hier zum ersten Mal, und vielleicht waren sie
tatsächlich erstmalig in der Geschichte. Nur sei nicht vergessen, daß
wir immer nur von einer durch den Fundzufall bestimmten Quellen-
lage ausgehen. Das oben (S. 37) zitierte Diktum von F. R. Kraus gilt
nach wie vor.
Das «Untere Meer» ist der Persische Golf, das «Obere Meer» das
Mittelmeer. Aber davon, daß Lugal-zage-si wirklich einen Zug von
«unten» nach «oben» unternommen hätte, steht in seinem Text nichts.
Die Wendung kann sich durchaus auch auf erfolgreiche Handelsverbin­
dungen beziehen. Der geographische Horizont war in der Tat, wie uns
die Schrifttradition in Ebla lehrt, längst weit nach Nordwesten, bis nach
Syrien, ausgedehnt.
Lugal-zage-sis Regierung hätte der Sumerischen Königsliste zu­
folge 25 Jahre gedauert, und diese Zahl liest sich plausibel. Am Ende
unterlag er Sargon von Akkade. Wie es dazu gekommen ist, daß er
sich von Umma aus zum König von Uruk aufschwang, liegt noch
gänzlich im Dunkel. Einer seiner Vorgänger dort, Lugal-kiniše-
dudu, hatte Uruk und Ur beherrscht und sich gar «König von Kiš»
genannt. All dies nur Einzelheiten, die uns symptomatisch erschei­
nen für den raschen Wechsel politischer Konstellationen in Babylo­
nien.
Merkwürdigerweise stellt sich der Norden Babyloniens in den
Jahrhunderten von Akkade mehr im Spiegel der Inschriften südliche-
rer Städte denn als historische Wirklichkeit mit eigenen lokalen Quel­
len vor. Aber das beruht auf dem vielberufenen wie auch viel ge­
schmähten Zufall der Funde. Der traditionsträchtige Herrschertitel
«König von Kiš» ist überwiegend bei Herrschern aus Südbabylonien
bekannt, und selbst bei dessen ältestem Träger, Mesilim, ist gar nicht
sicher, ob er ein in Kiš selbst oder vielmehr in Dēr residierender Fürst
war. Auf der anderen Seite hatten wir genug Grund, auf die Promi­
nenz von Kiš hinzuweisen, die sich ja unter anderem darin äußert, daß
die Sumerische Königsliste den Dynastienreigen nach der «Flut» mit
Kiš eröffnet. Aber auch Sippar, das die Königsliste sogar einer Dyna­
stie «vor der Flut» würdigt, ist bisher erst durch drei kümmerliche In­
schriftenfragmente vertreten.
62 II. Mesopotamien vorm Entstehen des Reiches von Akkade

11. Das Diyāla-Gebiet

Es wäre nun reine Willkür, wenn wir uns den geographischen Begriff
«Babylonien» als etwas in sich Abgeschlossenes vorstellten. Wir müs­
sen die Nachbarlandschaften einbeziehen: das Diyāla-Gebiet, die An-
rainer des Euphrats oberhalb vom «Flaschenhals», das spätere Assy-
rien und ganz im Südosten auch Elam. Danach müssen auch noch die
Region am Euphratnebenfluß Hābūr und Syrien westlich vom Ober­
˘
lauf des Euphrat zu Wort kommen.
Nur 25 bis 60 km nördlich von Kiš liegen drei Städte, östlich vom
Tigrisnebenfluß Diyāla und im Winkel zwischen diesem und dem Ti-
gris: Akšak, Tutub und Išnun, die alle schon in der Zeit vor Akkade das
Interesse auf sich lenken, wo bisher aber nur ein Minimum an In­
schriften gefunden wurde.
Akšak hat höchstwahrscheinlich einen späten Fortsetzer in der
hellenistischen Stadt Opis. Es gehörte um die Mitte des III. Jahrtau-
sends v. Chr. zu den Städten oder Stadtstaaten, mit denen E-ana-tum
von Lagas im Streit lag und die er besiegte. Man könnte meinen, daß
eben dieser Sieg E-ana-tum bewogen habe, den Titel «König von
Kiš» anzunehmen; denn Akšak lag noch weiter im Norden als Kiš.
Leider kann man über die womöglich hochbedeutende Stadt bisher
nichts Deutlicheres sagen. Die Sumerische Königsliste kennt eine
«Dynastie» von Akšak mit sechs Königen, von denen die Hälfte ak­
kadische Namen hat. Eine gewisse Mystifizierung Akšaks zu Beginn
des II. Jahrtausends zeigt sich darin, daß der Stadtname als ein
gleichsam theophores (einen Götternamen darstellendes) Element in
Personennamen vorkommt: etwa Akšak-semi «Aksak (er)hört», wie
wenn hier auf die Stadt als Heiligtum hingewiesen wäre, dem man
sich zuwenden und von dem man «Erhörung» einer Bitte erwarten
konnte.
Tutub (meist wird es unter dem modernen Ruinennamen Hafāǧi
˘
zitiert) sticht hervor mit einer dort freigelegten riesigen Kultanlage:
Innerhalb einer ovalförmigen Einfriedigung lag ein Tempel auf einer
Terrasse, eine auch in Babylonien nicht unbekannte Architektur­
form.
Historisch-diachronisch am besten bezeugt ist Išnun (oder
Išnuna). Die Stadt hieß unter der III. Dynastie von Ur Ašnuna, und
Das Diyāla-Gebiet 63

in der altbabylonischen Zeit wurde der Stadtname künstlich sume­


risiert zu Eš-nuna «Heiligtum des Fürsten». Aus Išnun stammt ein
Hortfund von Statuen und Statuetten, Personen, die in Gebets-
oder Opferhaltung dargestellt sind. Durch ihre betonte Rechteckig-
keit: Schultern, angewinkelte Arme, zum Gebet geschlossene Hän-
de, unten zwischen Knie und Fuß abgespreizte Röcke – kann diese
Rundplastik einem ganz anderen künstlerischen Kanon zugewiesen
werden als die Statuen Südbabyloniens, die viel stärker zum Run-
den tendieren. Man ist versucht, aus dem Gegensatz des künstleri­
schen Ausdrucks auch einen ethnischen Gegensatz herauszulesen:
hier im Norden Akkader, im babylonischen Süden Sumerer. Doch
haben wir oben betont (vgl. S. 18 f.), daß wir uns bei der Gleichset­
zung künstlerischer Form mit einer ethnischen Identität der Träger
zurückhalten wollen. Dennoch haben wir genug Grund anzuneh-
men, daß Nordbabylonien und das Diyāla-Gebiet nicht mehr zum
«Land Sumer» gehört haben, sondern seit Jahrhunderten von einer
ganz oder überwiegend semitischen Bevölkerung besiedelt waren.
Hierfür spricht vor allem das Onomastikon. Zwar haben sich sume-
rische Personennamen auch über den Kreis der sumerisch sprechen­
den Bevölkerung hinaus verbreitet, entsprechend dem hohen Pre­
stige der sumerischen Kultur, besonders der Religion. Viel weniger
ist dagegen von einer gegenläufigen Tendenz zu spüren. Wenn wir
also auf Träger akkadischer Personennamen stoßen, dürfen wir die-
se mit großer Wahrscheinlichkeit auch als Akkader ansprechen. Be-
reits der Name des – von uns konventionell so gelesenen – Mesilim
«von Kiš» ist sehr wahrscheinlich semitisch (in manchen Ge­
schichtsdarstellungen findet sich «Mesalim» – aber auch das ist nur
ein Annäherungswert der nicht mehr genau zu rekonstruierenden
Aussprache).
Von Bedeutung war das Diyāla-Gebiet als Kontaktzone zum irani­
schen Hochland ganz allgemein und besonders als Durchgangsstraße
des Handels, aber womöglich auch schon früh als Vermittlerin geisti-
ger Güter. Im weiter diyālaaufwärts gelegenen Meturan (Tall Ḥ addād)
wurden sumerische literarische Texte der altbabylonischen Zeit
(18. Jahrhundert v. Chr.) gefunden, und vielleicht reichte die babyloni-
sche Schultradition auch schon Jahrhunderte früher so weit nach
Norden.
Leider ist noch nichts Sicheres über die Rolle der Stadt Dēr (bei der
64 II. Mesopotamien vorm Entstehen des Reiches von Akkade

heutigen iraqisch-iranischen Grenzstadt Badra) bekannt. Sie interes­


siert uns, weil sich Mesilim bei der Grenzziehung zwischen Lagaš und
Umma (vgl. oben S. 56) auf seinen Gott Ištaran berufen hatte, und
dessen Kult war in Der beheimatet.

12. Mari

In der Sumerischen Königsliste, auf die wir immer wieder zurück­


kommen, obwohl wir sie nicht als Leitfaden für die altmesopotami­
sche Geschichte benutzen dürfen, gibt es auch eine «Dynastie» von
Mari mit sechs Herrschern. Die Luftlinie von Kiš in Babylonien nach
Mari beträgt ca. 420 km, was ungefähr der Luftlinie von Kiš zur heuti-
gen Küste des Persischen Golfs entspricht. Mari erscheint als Koa­
litionspartner von Kiš und Akšak im Kampf gegen E-ana-tum von
Lagaš. In Mari wurde auch eine Lapislazuliperle mit Weihinschrift des
Mes-ane-pada von Ur gefunden. Mari war also keineswegs «peri-
pher»; es war voll in das historische Geschehen in Babylonien einge­
bunden, und das blieb auch knapp ein weiteres Jahrtausend so. Mari
war ein Zentrum eigener Ordnung mit Beziehungen nördlich ins Hā­
˘
būr-Gebiet und westlich nach Syrien. Über Mari wurde alles sume-
risch-babylonische, in Schrift gefaßte Kulturgut weiter nach Westen
vermittelt, nicht zuletzt nach Ebla.
In Mari wurden bis zu 40 Weihinschriften von Herrschern und
Hofbeamten gefunden (meist Statuetten), alle auf Akkadisch ge-
schrieben. Sie sind in ihrer Formelhaftigkeit aber wenig ergiebig
(sie nennen den Weihgabenempfänger, den Stifter mit Titel und
einen Weihvermerk), und leider fehlt bisher jeglicher Synchronis-
mus zu einem Herrscher in Babylonien. Die Inschriften lassen sich
nur auf Grund paläographischer Kriterien in die beiden Jahrhun­
derte vor Sargon datieren (ca. 2500–2350 v. Chr.). Ebenso fehlt
noch ein über alle Zweifel erhabener Synchronismus zu den Archi-
ven von Ebla. Kurze akkadische Texte der zeitgenössischen Palast-
verwaltung ähneln stark denen von Ebla und von Nabada (Tall Bai­
dar) im Hābūr-Dreieck.
˘
Ebla 65

13. Ebla

Als 1974–1976 in Ebla (Tall Mardãh), 65 km südlich von Aleppo, «vor-


˘
sargonische» Tontafeln in ungeahnter Menge entdeckt wurden (die
Texte und Fragmente belaufen sich auf an die 18000 Inventarnum-
mern), war es eine Sensation für die Wissenschaft vom Alten Orient.
Denn bis dahin hatte als sicher gegolten, daß die Keilschrift erst zur
Zeit der III. Dynastie von Ur vom Euphratknie weiter nach Westen ge­
langt sei. Hier, nicht in Mari, befinden wir uns nun an der «Peripherie»,
wenn wir den Blick von Mesopotamien aus in die Runde gehen lassen.
Und doch war auch Ebla wiederum ein «Zentrum», freilich mit anderen
Bezugspunkten. In einem als Palast identifizierten Gebäude der Schicht
II B 1 kamen fast intakte Archive zutage mit Tontafeln von teilweise
ungewöhnlichen Maßen (bis zu 25 × 25 cm), die senkrecht auf Holzre­
galen gestanden hatten. Wie fast überall, wo Keilschrift geschrieben
wurde, sind Verwaltungsakten in der großen Mehrzahl. Daneben fan­
den sich zahlreiche und sehr umfangreiche Texte der mesopotamischen
lexikalischen Tradition, darunter die ältesten zweisprachigen, d. h. un-
tereinander die sumerische und die akkadische Form eines Wortes no­
tierenden Vokabulare; ferner sumerische und akkadische Beschwörun­
gen und andere literarische Texte sowie Briefe, ein «Staatsvertrag» (s.
unten S. 67) und noch andere Textgattungen.
Mangels Synchronismus zu Mesopotamien ist es bis heute schwer,
die Texte aus Ebla auf mehr als ein Jahrhundert genau zu datieren. Die
«innere Chronologie», d. h. die Zahl der geschätzten Generationen,
läßt einen Zeitraum von etwa 60 Jahren erschließen. Paläographisch
sind die Ebla-Texte etwas jünger als die von Abu Ṣ alābãḥ (s. oben
S. 48 ff.) und älter als die Texte der Dynastie von Akkade. In grober
Schätzung kann man 2400/2350 erwägen. Während Kiš oft genannt
wird, fehlt jegliche Erwähnung von Akkade. Es ist also mehr als wahr-
scheinlich, daß die Blütezeit von Ebla in die Zeit vor der Entstehung
des Reiches von Akkade fiel.
Die Sprache der Texte aus Ebla ist dieselbe Variante des Altakkadi­
schen, die sich auch in den vorsargonischen Tafeln aus Mari abzeichnet.
Manche Forscher wollen zwar im «Eblaitischen» eine eigene semitische
Sprache sehen. Denn viele Wörter haben keine unmittelbaren Paralle­
len im uns vertrauten Akkadischen, wohl aber im sogenannten kanaa­
66 II. Mesopotamien vorm Entstehen des Reiches von Akkade

näischen Zweig der semitischen Sprachen (zu welchem auch das He­
bräische gehört). Dagegen ist aber einzuwenden, daß einerseits um die
Mitte des III. Jahrtausends v. Chr. wohl noch die meisten semitischen
Sprachen einander relativ nahe standen; vor allem aber, daß der Wort­
schatz in Ebla urtümlicher ist als der des mesopotamischen Akkadisch,
weil die Akkader im Zweistromland viele der ihnen ursprünglich eige-
nen Wörter gegen Lehnwörter aus dem Sumerischen eingetauscht hat­
ten. Nur ein Beispiel: kinnārum «Leier» (oder «Harfe»), bezeugt in
Mari und Ebla, klingt unmittelbar an hebräisch kinnōr an. Im Akkadi­
schen von Babylonien heißt die Leier dagegen balangum oder balag­
gum, und dieses Wort ist vom sumerischen balag abgeleitet.
Die Palastverwaltung befaßte sich auf der Einnahmeseite vor allem
mit Ernteerträgen, der Schafschur und dem Eingang von Wolle sowie
der Einnahme von Steuern und «Geschenken» (die Grenze läßt sich
für uns nicht immer scharf ziehen); auf der Ausgabenseite mit dem
Konsum, Zahlungen an Individuen, der Verteilung von Rationen und
besonders häufig von Textilien, für die eine reichhaltige Terminologie
entwickelt ist. Die in der Summe einzelner Tafeln genannten Quanti­
täten übertreffen alles bisher aus Texten Babyloniens Gewohnte: zum
Beispiel 36100 Schafe, 150 Minen Silber oder 20 Minen Gold (das
Zähl- und Maßsystem ist im Gegensatz zu Babylonien dezimal). Der
Palast war also Zentrum eines sehr großen Einzugsbereiches. In der
Tat sind durch die Ebla-Texte Hunderte neuer Ortsnamen bekannt ge­
worden (die meisten nicht lokalisierbar; meist waren es wohl Dörfer).
Nordsyrien muß damals sehr dicht besiedelt gewesen sein. Nur so
läßt sich der Reichtum erklären, von dem die Texte Zeugnis ablegen.
Eine Wirtschaftsgeschichte von Ebla unter Auswertung aller Quellen
ist allerdings noch eine Aufgabe der Zukunft.
Der Herrschaftsbereich von Ebla läßt sich zwar noch nicht genau
abstecken. Er schloß aber im Süden Hamath am Orontes ein (das heu­
tige Ḥ amā), im Nordosten Karkemiš am Oberlauf des Euphrat (an der
heutigen türkisch-syrischen Grenze), im Nordwesten die Ebene von
Antiochia und mit diesen drei Eckpunkten zweifellos auch Ḥ alab
(Aleppo). Der Staat durchmaß also auf einer Achse von Südwesten
nach Nordosten wenigstens 270 km. Zwischen diesem Territorium
und dem von Mari lag ein anderer unabhängiger Staat mit dem Zen­
trum in Emar am Euphratknie (aus Emar sind bislang erst Texte des
15. Jahrhunderts v. Chr. bekannt geworden – Grabungszufall!). Nord­
Ebla 67

syrien war also keineswegs politisch geeint, aber auch nicht in dem
Maße zersplittert wie so häufig Babylonien.
Einer der Nachbarstaaten im Nordosten und wohl östlich vom
Euphrat unweit Karkemiš war Abār-sal. Im Palastarchiv von Ebla ist
eine – als kalligraphisches Meisterwerk zu bezeichnende – Tafel ent-
halten, die einen von Ebla diktierten Vertrag zum Gegenstand hat.
Auf eine Beschreibung des Verlaufs der gemeinsamen Grenze (man-
che der genannten Orte sind aus den Verwaltungstexten bekannt, aber
noch nicht lokalisierbar) folgen knapp 50 Einzelbestimmungen, von
denen einige durch das akkadische šumma «wenn» eingeleitet sind –
ganz so wie viele Jahrhunderte später in den altbabylonischen Rechts­
«Codices». Behandelt werden in diesen «Paragraphen» unter anderem
(längst nicht alle sind schon voll für das Verständnis erschlossen) die
Angelegenheiten und die Sicherheit von Boten und Kaufleuten; Ver­
letzung der Gastfreundschaft durch vom Gast verübten Diebstahl; die
Verpflichtung Abār-sals, Ebla über jegliche «unguten Angelegenhei-
ten» (d. h. wohl Pläne zum Aufruhr oder Umsturz) zu informieren;
das Verbot, entlaufene Sklaven (der Gegenseite) zu verbergen; den
Fall, daß ein Ermordeter über die Grenze geschafft wird, um die Ge­
genseite zu beschuldigen; Raufhändel mit Todesfolge anläßlich eines
Festes. Statt Abār-sal haben einige Forscher vorgeschlagen, «Assur»
zu lesen. Es hat sich jedoch gezeigt, daß eine solche Lesung paläogra­
phisch nicht begründet werden kann, von der Unmöglichkeit, eine
gemeinsame Grenze zwischen Ebla und Assur anzunehmen, ganz ab-
gesehen.
Die Herrscher von Ebla wurden in der Schrift mit dem «Sumero-
gramm» EN bezeichnet, dessen akkadische Lesung noch nicht sicher
ermittelt ist. Die Häupter abhängiger Territorien hießen, ebenfalls in
sumerographischer Notierung, LUGAL, und auch hier ist die Umset­
zung ins Akkadische noch nicht klar: šarrum «König» (wie man es in
Babylonien erwarten würde) oder rubā᾿um «Großer» (so hieß der
Herrscher von Assur in der ersten Hälfte des II. Jahrtausends v. Chr. –
auch lugal heißt ja «große Person»)? Für die Frau des Herrschers wur-
de eine zu *malikum gehörige weibliche Form maliktum «Königin»
verwendet.
Der Staat von Ebla ist in der Forschung und in allgemeineren Dar­
stellungen öfters als ein «Reich» (impero) bezeichnet worden, und
man hat damit einen Ausdruck vorweggenommen, der sonst dem
68 II. Mesopotamien vorm Entstehen des Reiches von Akkade

Staatswesen der Könige von Akkade vorbehalten war. Da es in der alt-


orientalischen Geschichtsforschung keine klare Definition des Begrif­
fes «Reich» gibt, ist die Verwendung prinzipiell ins Belieben des ein­
zelnen gestellt. In unserer Darstellung mag sich Ebla aber bei aller
Größe mit einem «Staat» begnügen.
Die Schrift und die mit ihr verbundene Schultradition sind euphrat­
aufwärts über Mari und vielleicht noch weitere Zwischenstationen
nach Ebla gelangt, und sie haben auf diesem Wege kaum Veränderun-
gen erfahren. So erklärt es sich, daß in Ebla regelrechte Duplikate zu le­
xikalischen und literarischen Kompositionen gefunden wurden, die uns
vorher schon aus Šuruppak und Abu Ṣ alābãḥ bekannt waren. «Mutter­
stadt» war in dieser Hinsicht höchstwahrscheinlich Kiš. Die Verwal-
tungstexte aus Ebla erwähnen häufig Personen, die sich auf den Weg
nach Kiš begaben oder von dort angekommen waren. Ein kurzer
«mathematischer» Text mit den Zahlen 600, 3600, 36000, 360000,
2160000, unendlich (wörtlich: «kann nicht gezählt werden») ist mit
dem Namen eines Išma᾿a, des «Schreibers von Kiš» unterschrieben –
was immer mit dieser Bezeichnung gemeint war. Übrigens werden
keine anderen Städte Babyloniens erwähnt.
Wenn Ebla mit einer großen Zahl von Städten der engeren und
weiteren Umgebung im Schriftverkehr stand, so ist daraus der Schluß
zu ziehen, daß Nordsyrien wohl noch Dutzende von Fundstätten be­
herbergt, in denen Archive ähnlich denen von Ebla (wenn auch nicht
notwendigerweise von vergleichbarer Größe) der Entdeckung harren.
Tall Baidar (= Nabada) im Hābūr-Dreieck steht nur am Anfang.
˘
Ebla war für uns das völlig Unerwartete in der Geschichte des Alten
Orients. Deren großer Reiz, aber auch deren großes Risiko besteht
darin, daß uns solches Unerwartete immer wieder zum Ändern und
Umschreiben nötigen kann.

14. Das Hābūr-Dreieck und das spätere Assyrien


˘
Der Hābūr, der 50 km nördlich von Mari in den Euphrat mündet, ent­
˘
springt im Norden gleichsam einem umgekehrten Delta, das von
mehreren kleinen Flüssen gebildet wird. Dieses Hābūr-Dreieck südlich
˘
der heutigen türkischen Grenze nahe Mardin ist eine sehr alte Kul­
turlandschaft. Hier liegen die seit prähistorischer Zeit besiedelten
Elam und «Iran» 69

Fundplätze Tall Ḥ alaf, Čāġ ir Bāzār und Tall Brāk und auch der schon
erwähnte Tall Baidar, wo Tontafeln entdeckt wurden, die zeitlich in
den Zusammenhang mit den vorsargonischen Tafeln von Mari und
Ebla gehören.
100 km weiter östlich stoßen wir an den mittleren Lauf des Tigris
mit Ninive und Assur. Aber diese Landschaft, die später als Assyrien
Weltruhm erlangte, ist zwar reich an prähistorischen Altertümern;
doch ist sie in der Zeit vor der Dynastie von Akkade noch stumm, was
schriftliche Quellen betrifft. Gut möglich, daß dieser negative Befund
nur dem vielbeschriebenen Grabungszufall anzulasten ist. Es mag
aber auch sein, daß die ganz andere Verkehrslage, das Fehlen einer na­
turgegebenen leicht zu bewältigenden Verbindung zu Babylonien, mit
im Spiel war. Der Weg tigrisaufwärts ist viel weniger verkehrs- und
daher auch weniger handelsfreundlich als die Euphratstrecke. Der
schneller fließende Tigris eignet sich schlecht für die Schiffahrt oder
das Treideln stromaufwärts. Südlich von Assur ist auf dem Landweg
der Gebirgszug Ǧabal Ḥ amrãn zu überqueren.
Diese geographischen Verhältnisse haben sich auch sprachlich nie­
dergeschlagen. Während zu Beginn des II. Jahrtausends von Babylonien
euphrataufwärts bis nach Mari ein kaum differenzierter «babyloni­
scher» Dialekt des Akkadischen (das Altbabylonische) geschrieben
wurde, haben Babylonien und Assyrien im II. und I. Jahrtausend v. Chr.
grundverschiedene Dialekte gesprochen, und – erstaunlicherweise oder
gerade auch nicht – genau diese Dialektverteilung spiegelt sich auch
beim Arabischen des heutigen Iraq und der syrischen Euphratanrainer
nahe der iraqischen Grenze wider. Wir müssen aus all diesen Gründen
«Assyrien» im hier behandelten Zeitraum noch außer acht lassen.
Wir beenden den Rundblick, indem wir nach Südosten zurückkeh­
ren – nach Elam und zu den Landstrichen am Persischen Golf.

15. Elam und «Iran»

Elam im engeren Sinne, die Susiana der Griechen, entspricht etwa der
heutigen persischen Landschaft Hūzistān, durch die die Flüsse Diz,
˘
Kārūn und Karha fließen. Im weiteren Sinne schließt Elam auch einen
˘
Teil vom späteren Medien sowie die Landschaft Fārs (die griechische
Persis) ein. Dieses größere «Elam» war wie Mesopotamien kaum je
70 II. Mesopotamien vorm Entstehen des Reiches von Akkade

geeint. Es bestand aus einem Staatenverbund, über dessen Beziehun­


gen zueinander nur selten etwas zu erfahren ist. Denn eine «Ge­
schichte Elams» läßt sich noch gar nicht schreiben, da (mit den Wor­
ten von M. W. Stolper) «die Quellenlage ganz unzureichend ist. Die
bis heute bekannten Texte sind unregelmäßig über Raum und Zeit
verstreut und vermögen kein historisches Gerüst im herkömmlichen
Sinne zu liefern. Wir haben es mit einer Reihe von mehr oder weniger
gut dokumentierten, isolierten Zeitabschnitten zu tun».
Es wurde oben (S. 31) schon die «proto-elamische Schrift» er­
wähnt, deren Fundorte sich von Susa aus weit nach Osten erstrek-
ken. Dieses wohl durch die sumerische Schrift angeregte System ist
– von Zahlen und einigen Maßangaben abgesehen – bisher unentzif­
fert, und die Chance, die Texte einmal zu verstehen, ist gering, da das
System in Elam – anders als in Babylonien – nicht jahrtausendelang
weiterentwickelt und in eine uns verständliche Form eingemündet
ist. Vielmehr wurde es spätestens in der Akkade-Zeit aufgegeben.
Elam übernahm damals die babylonische Keilschrift. Da die proto-
elamischen Texte zu einem guten Teil auch Zahlen und Maßangaben
enthalten, ist es sehr wahrscheinlich, daß sie den gleichen oder sehr
ähnlichen Verwendungszwecken dienten wie die archaischen Texte
aus Uruk.
In Mesopotamien und «Iran» (wir gebrauchen den Begriff anachro­
nistisch) haben durch die Jahrtausende verschiedene Kulturkreise be­
standen und Bevölkerungen mit ganz verschiedenen Sprachen gelebt.
Diesen geradezu zeitlosen Gegensatz kann man nur zum Teil als
einen von Hochland und Tiefebene erklären. Denn es gibt ja viele Kul-
turen, die beide geographischen Formen in ihrem Raum vereinigen.
Überdies ist Hūzistān geologisch nur eine Fortsetzung der mesopota­
˘
mischen Tiefebene. Von stärkerem Gewicht war im Gebiet nahe dem
Golf möglicherweise die Orientierung an verschiedenen Flußsyste­
men: dem von Euphrat und Tigris in Mesopotamien und dem von Kā-
rūn, Diz und Karha in der Susiana. Zeitlos ist auch die Erscheinung,
˘
daß von Mesopotamien aus in langen Zeitabständen kulturelle Impul-
se nach «Iran» übergegangen sind, die dort verarbeitet und im Laufe
der Jahrhunderte verselbständigt wurden. Dies trifft besonders auf die
Schrift zu. Denn nicht nur um die Wende vom IV. zum III. Jahr-
tausend ist in «Iran» Schrift in Anlehnung an ein mesopotamisches
System entstanden. In der Akkade-Zeit wurde die damals gängige
Elam und «Iran» 71

Variante der Keilschrift übernommen und auch für die elamische


Sprache nutzbar gemacht. Die Keilschrift nahm in Elam im Verlauf
der Zeit eine eigene charakteristische Form an. Im Großreich der
achämenidischen Perser wurde das Aramäische zur lingua franca (das
sogenannte «Reichsaramäisch»), und damit drang die aramäische
Buchstabenschrift nach Iran ein, die sich dann im Mittelpersischen
zur Pehlevi-Schrift verselbständigte. Ein viertes Mal wurde Schrift
aus «Mesopotamien», die arabische Schrift, im Gefolge der Islamisie-
rung übernommen, und auch diese Schrift hat sich bald zu einer un-
verwechselbar eigenen iranischen Form entwickelt.
Auch auf anderen Gebieten ist es immer wieder zu einer anfäng-
lichen kulturellen Abhängigkeit «Irans» von Mesopotamien gekom­
men; aber es hat sich nie eine Symbiose zwischen beiden herausgebil-
det wie die von Sumerern und Akkadern.
Das politische Verhältnis zwischen beiden Regionen war oft ge­
spannt, doch wäre es übertrieben, von einer durchgehenden «Erb-
feindschaft» zu sprechen. Dafür waren beide Seiten viel zu stark am
Handelsaustausch interessiert. In den Inschriften der Könige Baby­
loniens vor Sargon werden manchmal Siege über Elam erwähnt,
etwa bei E-ana-tum von Lagas. Andererseits finden wir Hinweise
auf den Handel mit Elam in den Verwaltungstexten aus Girsu (vgl.
oben S. 58 f.). Dieser Handel verlief vermutlich über Gu-aba, die
Hafenstadt von Lagaš, die Küste des Persischen Golfs und den Kārūn
aufwärts.
Nicht mehr eigentlich «historische» Quellen und dennoch literari­
scher Abglanz frühhistorischer Beziehungen zwischen dem südlichen
Babylonien und «Iran» sind die sumerischen Epen, die sich um die sa­
genhaften Könige von Uruk, Enmerkar und seinen Sohn Lugalbanda
ranken (Lugalbanda galt als der Vater des Gilgameš). Diese sehr langen
Kompositionen («Enmerkar und der Herr von Aratta» hat über 640
Zeilen) kennen wir in ihrer schriftlichen Gestalt erst aus dem 18. und
17. Jahrhundert v. Chr.; aber die schriftliche und erst recht die münd­
liche Überlieferung dürften viel älter sein. Die Grenze zwischen Epos
und Märchen ist überall fließend. Der ferne und geographisch nicht lo-
kalisierbare Bezugspunkt von Uruk, hinter – wie könnte es anders sein!
– sieben Gebirgszügen, ist eine Stadt Aratta, deren Herrscher genau
wie der von Uruk den Titel en «Herr» führt, einen sumerischen Namen
hat und die Göttin Inanna, Stadtgöttin von Uruk, verehrt. Die Welt von
72 II. Mesopotamien vorm Entstehen des Reiches von Akkade

Uruk ist also in weite Ferne gespiegelt. Es geht um einen Rangstreit:


Wer von den beiden soll die höhere Gunst Inannas genießen und damit
die Oberhoheit über seinen Rivalen ausüben können? Der Streit, bei
dem zwar auch von einer Belagerung Arattas durch Uruk die Rede ist,
wird doch nicht blutig-kriegerisch ausgefochten. Der altorientalische
Held hat viel mehr mit Odysseus als mit Jung-Siegfried gemeinsam.
Die Mittel sind ein Rätselwettkampf («Enmerkar und der Herr von
Aratta») oder Zauberei («Enmerkar und En-suhkesda-ana») und Magie
(die beiden Teile des «Lugalbanda-Epos» – alle Titel sind modern, von
uns gegeben), wobei auch ein Mythenwesen eingreift: Der Sturmvogel
Anzu verleiht dem Lugalbanda die Fähigkeit, übermenschlich schnell
zu laufen (das Motiv der «Siebenmeilenstiefel»). Es ist nicht mehr
nachzuvollziehen, wieweit sich in diesen Texten, in denen auch bemer-
kenswerte Schilderungen der Gebirgslandschaft vorkommen, etwa Er­
zählungen reisender Kaufleute niedergeschlagen haben. Auf jeden Fall
sind sie ein indirektes Zeugnis für frühe Beziehungen zwischen Meso-
potamien und «Iran».

16. Tilmun und der Persische Golf

Der geographische Name Tilmun, der im griechischen Thylos fort-


lebt, bezeichnet die Insel Baḥ rain im Persischen Golf westlich der
Halbinsel Qatar. Vielleicht war in dem Namen auch die ringsum lie­
gende Küste Arabiens einbezogen. Frühneuzeitliche Landkarten no­
tieren «Bahrain» oder «Bahraim» (portugiesische Orthographie) auf
der Küstenseite. Die Luftlinie von der Insel bis nach Ur beträgt
700 km. Tilmun hat gewiß schon längst vor der Mitte des III. Jahrtau­
sends und bis in die mittelbabylonische Zeit hinein (1000 Jahre später)
eine zentrale Rolle als Handelsplatz gespielt. Hier wurden Waren aus
Magan (῾Omān), später auch aus Meluhha (Indusgebiet) angelandet.
˘˘
Schiffe des Zweistromlandes haben sich, soweit wir wissen, nie ins of­
fene Arabische Meer hinausgewagt, während die hochseetüchtigen
Schiffe der Industalkultur mit den Monsunwinden bis in den Persi-
schen Golf segelten, in der Akkade-Zeit gelegentlich sogar den
Euphrat aufwärts nach Babylonien hinein.
Schon Ur-Nanše von Lagaš bezieht sich mit der Wendung «Schiffe
von Tilmun haben sich vom Fremdland her ‹Holz› auf den Nacken ge­
Die Keilschrift an der Schwelle zum Reich von Akkade 73

laden» auf den Fernhandel durch den Golf. Das bedeutet, daß die Til­
muniten, gewiß nicht ohne gehörigen Gewinn, den Weitertransport
besorgten.
Vom hohen Alter der Besiedlung Tilmuns und seines Küstenhin-
terlandes sprechen die zahlreichen Funde von Scherben der Keramik
des ῾Obēd-Horizonts (seit ca. 4000 v. Chr., s. oben S. 10), die auf
Baḥ rain, in Qatar und längs der weiter nordwestlich verlaufenden
Golfküste gemacht wurden. Magan selbst, das als Kupferlieferant
berühmte ῾Omān, kommt in den Texten vor der Akkade-Zeit noch
nicht vor – vielleicht wieder nur durch den Fundzufall bedingt.
Zu welchem Volk die hier genannten Golfanrainer gehörten und
welche Sprache sie gesprochen haben (eine semitische?), ist bisher un­
bekannt.

17. Die Leistung der Keilschrift an der Schwelle


zum Reich von Akkade

Wir haben bisher die schriftlichen Quellen und ihren Informations­


wert als etwas Selbstverständliches behandelt, haben allerdings öfters
betont, daß bestimmte sehr frühe Texte (die archaischen Texte von
Uruk, die Texte von Ǧamdat Naṣ r oder Tall ῾Uqair) noch nicht durch­
weg sicher gelesen und interpretiert werden können. Der Leser hat
ein Recht darauf zu erfahren, wie zuverlässig denn die Lese- und In-
terpretationsarbeit des Philologen und Historikers ist. Im folgenden
Kapitel sei dem Leser Rede und Antwort gestanden. Wir schließen da-
bei an Kapitel 4 an (vgl. oben S.26 ff.).
Der wichtigste Schritt bei der Weiterentwicklung des Schriftsy­
stems war die Erfindung des abstrakten Lautwertes. Damit ist gemeint,
daß man die Lesung eines Zeichens, das eine nominale oder verbale
Bedeutung hatte (zum Beispiel da «Seite» oder ba «zuteilen»), seiner
Bedeutung entkleidete und nur noch als reinen Laut verwendete. Man
schrieb ba «zuteilen» auch dann, wenn man das verbale Präfix ba- no-
tieren wollte, etwa ba-šúm «(jemand) hat (etwas) weg-gegeben» (šúm
bedeutet «geben»). Eine Vorstufe dieses Abstrahierungsprozesses ha-
ben wir schon oben kennengelernt: Das Zeichen für «Schilfrohr», gi,
wurde in einer leicht variierten Form auch für das Verbum «zurück­
kehren, zurückbringen», gi, verwendet. Hier handelt es sich allerdings
74 II. Mesopotamien vorm Entstehen des Reiches von Akkade

erst um eine Lautübertragung von X auf Y und noch nicht um die


vollständige Abstrahierung eines Lautes.
Der Prozeß, lautlich abstrahierte Silbenzeichen zu bilden (wir
sprechen auch von «Syllabogrammen»), schritt fort und führte zur
Entstehung eines regelrechten «Syllabars», d. h. einer Sammlung von
Zeichen des Typs ba, bi, bu, ab, ib, ub, da, di, du usw. Damit war der
Schreiber imstande, Eigennamen zu schreiben, für die es keine Wort-
zeichen gab, aber vor allem auch fremde – nichtsumerische – Spra-
chen, vornehmlich das Akkadische. Es ließ sich z. B. ein Personenname
Danunu durch die Kombination der Silbenzeichen da (ursprünglich
sumerisch «Seite») und zweimal nu (sumerisch «nicht») schreiben:
da-nu-nu. Es wurde allerdings noch längst nicht alles Gesprochene
von Anfang an auch schriftlich notiert. Ein sumerischer Personenna­
me dingir-da-nu-me-a «mit Gott nicht seiend» = «(wer) ist ohne
Gott?» erscheint in den archaischen Texten aus Ur nur in der rudi­
mentären Schreibung dingir-nu-me, «Gott nicht sein»; d. h. -da «mit»
und die Partizipialendung -a müssen hinzugedacht werden.
Die Keilschrift hat nie eine strenge Trennung zwischen Zeichen, die
nur Wörter, und solchen, die Silben bezeichnen, durchgeführt (wie es
etwa in der japanischen Schrift geschehen ist, wo die japanisch zu
lesenden «Sinogramme» klar von den syllabischen kana-Zeichen ge­
trennt sind). Vielmehr sind sehr viele Keilschriftzeichen mehrdeutig,
und oft ergibt erst der Zusammenhang des Geschriebenen, ob ein Zei­
chen als Wort oder als abstrakte Silbe zu lesen sei.
Nun haben die Schreiber allerdings, als sie versuchten, auch akkadi-
sche Sprache «zu Ton» zu bringen, nicht sofort ausschließlich von Sil­
benzeichen Gebrauch gemacht. Sie haben anfangs sumerische Wort­
zeichen geschrieben, denen sie eine akkadische Lesung unterlegten.
Wir sprechen hier von «Sumerogrammen». Der heutige Forscher sieht
in solchen Fällen zunächst nur an der ungewöhnlichen – unsumerisch
anmutenden – Wortstellung, daß nicht Sumerisch gemeint war, son­
dern eine andere Sprache.
Die «Sumerographie» beschränkt sich nicht auf einzelne Zeichen.
Es konnte zum Beispiel auch eine mit mehreren Zeichen geschriebene
Verbalform, šu ba-ti «(jemand) hat (etwas) empfangen», sumerisch
notiert, aber akkadisch zu lesen sein. Für die Mehrzahl wurden im
Anfangsstadium der akkadischen Keilschrift-«Orthographie» die Su­
merogramme doppelt (redupliziert) geschrieben, etwa guruš guruš
Die Keilschrift an der Schwelle zum Reich von Akkade 75

«Männer» für akkadisch *aṭ lūtum. Mit der Zeit hat sich das Akkadi­
sche von diesen unbeholfenen Anfängen freigemacht und ist weitge­
hend zur Schreibung mit Silbenzeichen übergegangen. Gänzlich hat
man die Sumerogramme aber nie aufgegeben. Denn auf der einen
Seite waren sie, mit Maßen verwendet, nicht unpraktisch. Man
schrieb schneller und erzielte manchmal auch einen optisch klareren
Eindruck. Was das Verständnis betraf, so war ja die Leseerwartung
beim antiken Schriftkundigen eine andere als bei uns heute. Die mei­
sten wußten im voraus, um was es sich im Text handelte. Auf der an-
deren Seite gehört es aber zur Selbstgefälligkeit der Schreiberkasten
aller Zeiten, konservativ zu sein und dem Komplizierten nicht aus
dem Weg zu gehen.
Dies sind nur die gröbsten Umrisse. Für alles, was bei der Keil-
schrift weiter ins einzelne geht, müssen Fachbücher zu Rate gezogen
werden.
Man kann zusammenfassend sagen, daß die Keilschrift an der
Schwelle zum Reich von Akkade ein voll entwickeltes Medium war,
fähig zur eindeutigen Mitteilung, geeignet auch zum Ausdruck kom-
plizierter, satzmäßig verschachtelter Gedankengänge (wir haben das
anläßlich der Königsinschriften von En-metena und Iri-kagina be-
tont) und – das sei nicht vergessen – imstande, neben nüchternen All­
tagsnachrichten auch Literatur in erlesenem Stil und schöner Sprache
wiederzugeben.
III.

Das Reich von Akkade

Das «Reich» ist, was die altorientalische Geschichte angeht, eine mo-
derne Bezeichnung, die keinen antiken Gegenbegriff hat, wenigstens
nicht im Sinne von «Reich von ...». Die Könige der «Dynastie von
Akkade» – wir haben «Dynastie» anläßlich der schon oft erwähnten
Sumerischen Königsliste definiert – haben sich seit ihrem ersten Ver-
treter, Sargon, «Könige der Gesamtheit» genannt (šar kiššatim), und
dieser Titel macht von einem eleganten Wortspiel Gebrauch, dem An­
klang des Stadtnamens Kiš und des Wortes kiššatum «All, Gänze».
«König von Kiš» ist ja ein altehrwürdiger Herrschertitel gewesen, der
einen weit über den Stadthorizont von Kiš hinausreichenden Herr­
schaftsanspruch anmelden sollte. Die altmesopotamischen Schreiber
sind allerorts und zu allen Zeiten zu lautlichen oder graphischen, d. h.
mit den Bedeutungen der Keilschriftzeichen operierenden Spielereien
aufgelegt gewesen, und sie haben dabei auch nicht vor der höchsten
Herrschertitulatur Halt gemacht.
Das «Reich von Akkade» ist der Nachwelt in wehmütiger Erinne-
rung geblieben als Verkörperung der immer wieder vermißten Ein­
heit der von Sumerern und Akkadern besiedelten Landstriche. Daß
aber die gut anderthalb Jahrhunderte währende Gegenwart von den
Untertanen der fünf großen Könige von Akkade tatsächlich als eine
«Reichszeit» empfunden worden wäre, muß man bezweifeln. Denn
diese Zeit hat sich in ihrem politischen Ablauf kaum von der Vergan­
genheit und von dem, was folgte, unterschieden. So sehr war sie er­
füllt von Versuchen der Erhebung und von Zersplitterungstendenzen.
Dennoch sollte unser Urteil weniger zurückhaltend sein. Denn eine
Konstante läßt sich in dieser Zeit nicht leugnen, und sie muß den
Zeitgenossen von vier oder fünf Generationen bewußt gewesen sein:
Bezugspunkt war der Anspruch, ganz «Sumer und Akkad» zu beherr­
schen und zu regieren.
Die fünf Herrscher sind genealogisch, wie folgt, anzuordnen (Re-
gierungsjahre nach der Sumerischen Königsliste):
Sargon 77

Sargon (56, Variante 55 Jahre)

Rãmuš (9, Variante 15 Jahre)


Man-ištušū (15, Variante 7 Jahre)

Narām-Suen (56, Variante

37 Jahre)

Šar-kali-šarrã (25, Variante

24 Jahre)

Die Regierungsjahre sind durch keine andere Quelle bestätigt, und die
Varianten bei Rãmuš und Man-ištušū sowie die Zahlengleichheit bei
Sargon und seinem Enkel Narām-Suen mahnen zur Skepsis. Auch für
die Generationenfolge können wir uns nur auf die Königsliste bezie­
hen, die noch die bemerkenswerte Tatsache überliefert, Man-ištušū
sei der ältere Bruder seines Vorgängers Rãmuš gewesen.
Das Haupthindernis, in der zweiten Hälfte des III. Jahrtausends
v. Chr. ein mehr oder weniger zuverlässiges chronologisches System
zu errichten, ist die ungelöste Frage, wieweit sich die beeindruckend
lange Regierungszeit Sargons mit der des von ihm besiegten Lugal-
zage-si von Uruk überschnitten hat. Denn daß Sargon, wie es die Su­
merische Königsliste mit ihrer Konstruktion der glatten Herrschafts­
abfolgen glauben machen will, nach seinem Sieg über Lugal-zage-si,
den Herrscher von Uruk, überhaupt erst sein erstes «akkadisches» Re­
gierungsjahr angetreten hätte, ist ganz unwahrscheinlich.

18. Sargon

Sargons Herkunft ist dunkel, und sie war schon früh sagenumwoben.
Die akkadische Geburtslegende ist eine «Aussetzungsgeschichte». Ihr
zufolge wurde Sargon von einem Gärtner als Ziehsohn angenommen.
Später hätte die Göttin Ištar an dem jungen Sargon Gefallen gefunden
und ihm den Weg in eine große Zukunft gebahnt. Eine in sumerischer
78 III. Das Reich von Akkade

Sprache überlieferte Legende vom jungen Sargon enthält das Motiv


des Urias-Briefes (vgl. 2. Sam. 11:14–17). Daß Sargon schließlich vor
der Thronergreifung Mundschenk bei Ur-Zababa, dem König von Kiš,
gewesen sei, überliefert auch ein anekdotenhafter Zusatz in der Kö-
nigsliste.
Sargon ist die biblische Namensform, gemünzt auf den assyrischen
König Šarru-kãn (721–705). Von dort haben die modernen Historiker
«Sargon» auch auf den König von Akkade übertragen, der ebenfalls
den akkadischen Namen Šarru-kãn trug. Dieser bedeutet «der König
ist legitim», was aber keinesfalls, wie oft vermutet, ein Thronname
war, sondern ein im Volk gängiger Name, mit dem die namengeben-
den Eltern den zur Geburtszeit ihres Kindes regierenden lokalen Kö­
nig ehren wollten.
Hauptquelle für die Grundzüge der politischen Geschichte Meso­
potamiens unter Sargon und seinen Nachfolgern sind die Inschriften
dieser Könige. Es sind nur zum Teil Originale, hauptsächlich aber, was
den Umfang betrifft, Abschriften, die Schreiber der altbabylonischen
Zeit in Nippur und Ur angefertigt haben. Es handelt sich bei den
Originalen oft um Bilddenkmäler, auf denen Sieger und Besiegte ab­
gebildet waren. Das geht aus Schreibervermerken hervor wie z. B.
«Inschrift auf dem Sockel; sie steht gegenüber (der Abbildung des)
Lugal-zage-si» oder «Hišip-rasini, König von Elam». Allein die Tatsa-
˘
che, daß sich Schreiber einem gut drei Jahrhunderte älteren Denkmä-
ler- und Inschriftencorpus gewidmet haben, kennzeichnet das Prestige
der Dynastie und ihrer Hinterlassenschaften.
Die Inschriften sind nüchterne Aufzählungen, weitgehend ohne je­
nen Zug zum höheren Literarischen, den wir im Inschriftencorpus der
vorsargonischen Herrscher von Girsu beobachten konnten (vgl. oben
S. 55). Doch sind sie in ihrer wuchtig-knappen Form, vor allem aber
mit ihren Aussagen, nicht minder beeindruckend. Leider fehlen chro-
nologische Anhaltspunkte darin noch ganz.
Sargons erste Tat war die Ausschaltung des mächtigsten sumeri-
schen Rivalen, des Lugal-zage-si von Uruk (vormals Herrscher von
Umma und Zerstörer von Girsu unter Iri-kagina). Zum ersten Mal
wird geschildert, wie dem Gegner eine demütigende Behandlung zu-
teil wurde: Sargon will Lugal-zage-si in einer Nackengabel gefangen
nach Nippur gebracht und im «Tor des Enlil» (des Hauptgottes im su-
merischen Pantheon) zur Schau gestellt haben.
Sargon 79

Sargon besiegte auch Ur und weitere sumerische Stadtstaaten so-


wie Mari am Mittleren Euphrat. Bei der Eroberung von Tuttul (an der
Einmündung des Balãh in den Euphrat) huldigte er dem nordmesopo-
˘
tamisch-syrischen Gott Dagān, der ihm den Weg weiter nach Westen
bahnte – bis nach Ebla, zum «Zedergebirge» und dem – nicht sicher
lokalisierbaren – «Silberberg». Die Rückversicherung bei einer Gott-
heit ist zeitloses Motiv der mesopotamischen Historiographie. Ebenso
zitiert Sargon einen von Enlil zu seinen Gunsten gefällten «Richt-
spruch» (also wohl ein Leberomen), oder er betont den besonderen
Schutz, den ihm sein persönlicher Gott Il-aba angedeihen ließ.
Ein Teil der Eroberungen – oder Kriegszüge – betraf auch den
Osten: Elam und seine Nachbarlandschaft Parahšum (wohl nördlich
˘
und nordwestlich der heutigen Landschaft Hūzistān). Originell – und
˘
hier nun doch einmal mit bildhaft-literarischem Anflug – ist die Rede
vom «Waschen der Waffen im Meer», während die wiederholt be­
nützte Wendung vom Durchmessen der Strecke zwischen dem «Un-
teren» und dem «Oberen Meer» (Persischer Golf und Mittelmeer)
schon von Lugal-zage-si vorweggenommen worden war.
Sicher schon aus der Rückschau auf viele Jahre stammt der Ver­
merk, Sargon habe «34 Schlachten» geschlagen, und auch die Formu-
lierung, er habe «50 Stadtfürsten» (ensis) besiegt.
Nur knapp sind nichtmilitärische Aspekte angedeutet: Sargon be­
setzte die (gemeint sind sumerischen) Stadtfürstentümer mit «Söh-
nen von Akkade», also ein Akt der Hausmachtpolitik. Schiffe aus Til-
mun, Magan und Meluhha (Indusgebiet) legten an der Reede von
˘˘
Akkade an, womit Sargon seine Handelsbeziehungen preist, die bis in
den entfernten indischen Subkontinent reichten. Er hielt großzügig
Hof; denn «Tag für Tag speisten bei ihm 5400 Mann».
Mit dieser Aufzählung einzelner Nachrichten schreiben wir keine
Geschichte – das müssen wir immer wieder betonen. Es sind Infor­
mationsfetzen, die Sargons chronologisch nicht geordneten – oder
doch für uns nur schwer in Zeitabfolge zu bringenden – Inschriften-
sammlungen entnommen sind. Wir dürfen den imponierenden Be­
richten denn auch nicht entnehmen, Sargon habe ein dauerhaftes
Riesenreich errichtet. Wenn es nämlich einmal heißt, daß er Ur
«zum dritten Mal» besiegte, dann besagt das ja nichts weniger, als
daß eine endgültige Bezwingung dieser – besonders unter handels­
strategischen Gesichtspunkten – so bedeutenden Stadt nicht gelun­
80 III. Das Reich von Akkade

gen war. Erhebungen und feindliche Koalitionen waren auch unter


Sargons Nachfolgern die Regel.
Eines der eindrücklichsten Zeugnisse dafür, daß mit dem Aufbau
des Reiches von Akkade bei weitem nicht in allen Regionen der Herr­
schaftsanspruch gleichermaßen durchgesetzt werden konnte, bietet
eine sumerische Dichtung, ein Lied auf die Göttin Inanna, verfaßt
von einer Tochter Sargons. Der König hatte sie als Priesterin des
Mondgottes in der bedeutenden Stadt Ur einsetzen lassen, und sie
hatte den Priesternamen En-hedu-Ana angenommen. Es kam zu
einem Autoritätskonflikt: War die Priesterin namens des Stadtgottes
Nanna, aber indirekt auch namens ihres Vaters, befugt, den Stadtherr-
scher, einen Lugal-Ane, in seinem Amt zu bestätigen? Oder vermoch-
te dieser, im Rückblick auf eine lange Reihe berühmter Könige von Ur,
in eigener Machtvollkommenheit die Herrschaft zu beanspruchen?
Der hochliterarische Tenor des Liedes läßt überall nur «zwischen den
Zeilen» erkennen, daß der Priesterin En-hedu-Ana starke Kränkung
widerfahren und daß Lugal-Ane ein reichsfeindlicher Usurpator war.
Der Rechtsstreit ist in diesem Lied zudem noch «in höhere Ränge»
transzendiert, heißt es doch darin, daß es zu einer – vorübergehenden
– Entzweiung der Götter über den Interessenkonflikt gekommen sei,
der sich zwischen Nanna als dem Stadtgott von Ur und Inanna als der
Göttin von Kiš und Akkade (als die «Istar von Akkade») und somit als
Göttin Sargons entwickelt habe. Der En-hedu-Ana ist am Ende Recht
widerfahren, wie man dem Lied entnehmen kann. Wie das in der Pra-
xis geschehen war, bleibt indes unklar. Lugal-Ane ist später erneut als
Aufrührer aufgetreten.
Man wird diesen Konflikt zwischen Akkade und Ur zwar auf der
einen Seite als einen sumerisch-akkadischen Gegensatz sehen können.
Doch würde grundsätzlich eine solche Schwarz-Weiß-Malerei in der
Ursachenanalyse weder den politischen noch den theologischen oder
ganz allgemein den kulturellen Gegebenheiten der Zeit entsprechen.
Ohne Zweifel hatten die Sumerer und die ältesten semitischen Be-
wohner Mesopotamiens von Hause aus unterschiedliche Mentalitä-
ten, verschiedene Auffassungen von der Beziehung zwischen Mensch
und Gott, Untertan und Herrscher, eine unterschiedliche Familien-
struktur und möglicherweise auch verschiedene Ansichten in der Fra­
ge des Privateigentums von Ackerland, ganz abgesehen davon, daß sie
typologisch völlig verschiedene Sprachen redeten. Aber das meiste da­
Sargon 81

von – außer den Sprachen – ist nur noch in Resten greifbar; unsere
Quellen vermitteln freilich den Eindruck eines allmählich immer stär-
keren Zusammenwachsens. Zunächst erscheint die sumerische Kultur
als der überwiegend gebende Teil, bis sich gegen Ende des III. Jahrtau­
sends die Einflußrichtung umkehrte.
Frühestes Zeugnis für das «Geben» der Sumerer ist die Übernahme
eines Großteils der Götter des sumerischen Pantheons durch die Ak­
kader. Bemerkenswert ist darüber hinaus, daß bis ins I. Jahrtausend
v. Chr. so gut wie alle mesopotamischen Tempel sumerische Namen
haben. Die Durchsetzung der akkadischen Sprache mit sumerischen
Lehnwörtern kann man, ohne zu übertreiben, vergleichen mit der Be-
reicherung des Deutschen durch lateinische Lehn- und Fremdwörter.
Ur-Zababa von Kiš, Sargons ehemaliger Oberherr, hatte einen
«hybrid» gebildeten Namen, der sich zusammensetzte aus dem sume­
rischen Element ur «Mann», «zugehörig zu» und dem nichtsumeri-
schen Götternamen Zababa. Dabei war der König von Kiš zweifellos
Akkader und kein Sumerer. Für En-hedu-Ana war es eine Selbstver-
ständlichkeit, daß sie ihren in Liedform gekleideten, an die Göttin
Inanna (oder, wenn man will: Ištar) gerichteten Protest in einem Su­
merisch von höchster Eleganz formulierte.
Wenn Sargon betont, er habe in die Stadtfürstenämter «Söhne von
Akkade» eingesetzt, so hatte er damit keine «Akkadisierung» ethni-
scher oder sprachlicher Art im Sinn – eine solche Annahme wäre ganz
anachronistisch. Wie auch immer wir uns diese Maßnahme genau
vorzustellen haben, sie zielte darauf ab, eroberte Städte (und das wa­
ren ja keineswegs nur sumerische) mit Personen zu besetzen, die den
Herrscherfamilien clanmäßig verbunden oder sonst loyal ergeben
waren.
Wir können zu dem in der Altorientalistik oft und kontrovers disku­
tierten Thema des «sumerisch-akkadischen Gegensatzes» resümierend
feststellen, daß sich in der unverkennbaren Symbiose von Sumerern
und Semiten beide Teile viel öfter aufeinander zubewegt haben, als daß
sie auf Distanz gegangen wären. Im Konflikt von Ur und Akkade war
Ur der ungewünschte Andere, aber nicht der Feind par excellence, wie
dies bereits im vorsargonischen Konflikt der sumerischen Stadtstaaten
von Girsu-Lagaš und Umma der Fall gewesen war.
Wir sprechen von «Akkade», ohne daß wir diese in den zeitgenössi-
schen Quellen aufs reichlichste bezeugte Stadt bisher genau lokalisie­
82 III. Das Reich von Akkade

ren, d. h. mit einer bestimmten, noch heute sichtbaren Ruinenstätte


identifizieren könnten. Das «Land von Akkade» heißt auf Sumerisch
«Land von Uri». Uri ist die Umsetzung der akkadischen Landschaftsbe-
zeichnung Waru᾿um (im Genitiv Waru᾿im) ins Sumerische. Waru᾿um
bezeichnete zu Beginn des II. Jahrtausends v. Chr. das Gebiet am Unter-
lauf des Tigrisnebenflusses Diyāla einschließlich eines – für uns nicht
genauer definierbaren – Gebietes jenseits der Einmündung der Diyāla.
Akkade lag also nach größter Wahrscheinlichkeit im Bereich des von
Euphrat und Tigris gebildeten «Flaschenhalses» und nahe der Diyāla-
mündung. Akkade dürfte mit anderen Worten nicht weit von der heu­
tigen iraqischen Hauptstadt Baghdad zu suchen sein.
Sargon hat sich also nach Ausschaltung des Ur-Zababa von Kiš
nicht in dessen altehrwürdiger Stadt festsetzen wollen, sondern er hat
seine – wenn nicht neu gegründete, so doch durch ihn erst zu großer
Bedeutung gebrachte – Metropole weiter nach Norden oder Nordwe­
sten verlegt. Der «Flaschenhals» war auf jeden Fall ein strategisch und
handelspolitisch unschätzbares Gebiet. Hier laufen die Handels- und
Heerstraßen von Euphrat, Tigris und Diyāla zusammen. Andererseits
befand man sich in Akkade in der Nähe der schon vorsargonisch be-
deutenden Kulturlandschaft des Unterlaufs der Diyāla, wo Städte
lagen, die uns teils aus Schriftquellen, teils wegen ihrer archäologi-
schen Hinterlassenschaften wohlvertraut sind: Ešnuna (sargonisch:
Išnun), Tutub und Akšak (vgl. Kap. 11).
Das Prestige der neuen Hauptstadt war von einer bei ihrer Grün­
dung kaum vorauszuahnenden Wirkungsmacht: Bald wurde eine gan-
ze Sprache nach ihr genannt, lišānum akkadãtum, «die akkadische
Zunge». Diese Bezeichnung hat sich nach der Entzifferung der Keil-
schrift und der Wiederentdeckung der altmesopotamischen Kultur
nach und nach auch in unseren modernen Sprachen durchgesetzt: wir
nennen die Sprache das «Akkadische».
Wir nehmen die Existenz von «Reichen» auf Grund der Aussagen
antiker Quellen allzu leicht zur Kenntnis, ohne uns zu fragen, wie
denn solche «Reiche» praktisch realisiert worden sind. Wenn Sargon –
wenigstens zeitweilig – das Gebiet vom Euphratknie in Syrien bis
zum Persischen Golf unter seiner Herrschaft vereinigt hatte (von
möglichen – noch weiteren – Dimensionen wollen wir hier absehen),
also ein Gebiet, das vom Nordwesten zum Südosten eine Strecke von
1700 km durchmaß, so drängt sich die Frage auf, wie sich ein solches
Rãmuš und seine Nachfolger 83

Imperium hat verwirklichen, d. h. praktisch organisieren lassen. Wie


war ein «Reich» von solchen Ausmaßen logistisch zu beherrschen?
Nachrichten wurden am schnellsten durch laufende Eilboten ver­
mittelt. Die sich in Etappen ablösenden Läufer übertrafen bei weitem
die Reisegeschwindigkeit einer Karawane oder einer Heereskolonne,
deren Vorwärtskommen durch das Schrittempo eines Packesels be­
stimmt war. Schneller schon war der Flußverkehr stromabwärts oder
das Segelboot auf einem Kanal, während stromaufwärts wieder der
Schritt der Treidelmannschaft die Geschwindigkeit bestimmte. Von
Anhöhe zu Anhöhe vermittels Feuerzeichen weitergegebene Nach-
richten sind für Mari in der altbabylonischen Zeit bezeugt. Im ebenen
Südmesopotamien war eine solche Nachrichtentechnik unbrauchbar,
es sei denn bei sehr naher Nachbarschaft von Tempelturm zu Tempel-
turm. Die Verkehrsverhältnisse sind auf Jahrhunderte hinaus unver­
ändert geblieben. Erst mit der Einführung des Pferdes (in größerem
Umfang erst in der mittelbabylonischen Zeit um die Mitte des II. Jahr-
tausends v. Chr.) und der Herstellung solider, geländegängiger Wagen
mit Speichenrädern anstelle der primitiven Scheibenräder wurde
schnelleres Reisen möglich.
Es liegt auf der Hand, daß ein «Reich» von den unter Sargon er­
reichten Dimensionen früher oder später zum Scheitern verurteilt
war, weil Kontrolle und Befehlsübermittlung nicht schnell genug
funktionieren konnten. Solange also kein von allen Bewohnern getra­
genes vitales Interesse an einem Zusammenhalt bestand, gewann im-
mer wieder die Tendenz zur Loslösung und Verselbständigung einzel-
ner Regionen die Oberhand. Die laut der Sumerischen Königsliste
eineinhalb Jahrhunderte währende akkadische Geschichte unter den
ersten fünf Königen der Dynastie war, wie schon betont wurde, durch
einen beständigen Wechsel von Machtdemonstration und Machtver­
fall gekennzeichnet. Um so mehr beeindruckt uns, daß dieses «Reich»
so lange Bestand hatte.

19. Rãmuš und seine Nachfolger

Gewiß ist es Sargons Sohn Rãmuš (er regierte neun, Variante: fünf-
zehn Jahre) nicht in den Schoß gefallen. Er mußte es sich erst wieder
«erwerben, um es zu besitzen». Andernfalls würden seine – ebenfalls
84 III. Das Reich von Akkade

in Abschriften aus Nippur überlieferten – Inschriften nicht von sieg-


reichen Kämpfen gegen die südlich von Nippur gelegenen Städte
Adab und Zabalam und gegen Kazallu (auf der Strecke zwischen Nip­
pur und Kiš) sprechen. Neu ist in diesem Zusammenhang bei Rãmuš
die Angabe konkreter Zahlen, wie etwa von 12052 Erschlagenen und
5862 Gefangenen nach Niederwerfung des Aufstandes in Kazallu.
Rãmuš versuchte ferner, die von seinem Vater im iranischen Küsten-
gebiet und Hochland eroberten Gebiete zu halten. Wir hören von sei-
nem Sieg über Abalgamaš, einen König von Parahšum.
˘
Auf der Höhe seiner wiedererlangten Macht behauptet Rãmuš denn
aber – ganz im Stil seines Vaters und Vorgängers –, daß er «für Enlil
das Obere und das Untere Meer und die ‹Berge› insgesamt fest in der
Hand gehalten habe»: Realität oder Propaganda, wir können es nicht
mehr entscheiden.
Man-ištušū, der ältere Bruder des Rãmuš (wenn wir einer Glosse
der Sumerischen Königsliste vertrauen sollen), regierte fünfzehn
(bzw. sieben) Jahre; die Varianten der Königsliste für Rãmuš und Man­
ištušū sind so verteilt, daß die Summe jeweils 24 bzw. 22 Regierungs­
jahre ergibt, so daß an einer Stelle mit einem Schreiberirrtum zu
rechnen ist. Dies nur eines der Beispiele für chronologische Unsicher­
heiten, mit denen unsere Geschichtsdarstellung des III. Jahrtausends
v. Chr. belastet ist.
Man-ištušū berichtet von einer Schiffsexpedition über das «Untere
Meer» (d. h. den Persischen Golf), verbunden mit dem Sieg über eine
Koalition von 32 Städten. Ziel des Unternehmens war die Beschaffung
wichtiger Rohstoffe: «helles Metall» aus Magan (dem heutigen ῾Omān)
und einen dem Diorit ähnlichen «schwarzen Stein», Olivin Gabbro
(so die heutige Identifizierung der Geologen), aus dem ῾Omān ge-
genüberliegenden Küstengebiet. Dieser Stein war ein beliebtes Mate-
rial für die Skulpteure von Kultstatuen und ähnlichen Prunkgegen­
ständen. Unmittelbarer Anlaß für die Erwähnung von Man-ištušūs
Unternehmen im Golf war denn auch, das Herkunftsgebiet des Mate-
rials zu beschreiben, aus dem die von ihm dem Gotte Enlil gewidmete
Statue hergestellt war. Herrscher im rohstoffarmen Mesopotamien
haben in der Tat oft – und man könnte es fast als ein literarisches
Motiv bezeichnen – einen Teil ihrer Inschriften darauf verwendet zu
sagen, wie und woher sie ihre Materialien bezogen.
Das bedeutendste uns erhaltene Monument Man-ištušūs ist sein
Rãmuš und seine Nachfolger 85

4 Obelisk des Man-ištušū von Akkade, aus Susa


(sekundäre Fundlage, Beutestück der Elamer).
Diorit, Höhe 140 cm. Heute Musée du Louvre, Paris.
86 III. Das Reich von Akkade

«Obelisk», ein sich nach oben verjüngender 1,40 m hoher Dioritpfeiler,


der auf allen vier Seiten mit einem Vertragstext beschriftet ist: Man­
ištušū kaufte acht riesige Feldareale von jeweils in Großfamilien
zusammenhängenden Verkäufergruppen, insgesamt eine Fläche von
9723 Iku (ca. = 3430 ha) zum Preis von 31/3 Schekel Silber je Iku. Die
Ländereien befanden sich alle in Nordbabylonien. Unter den Zeugen
befanden sich bedeutende Persönlichkeiten, z.B. ein Iri-kagina, Sohn
des Stadtfürsten En-gilsa von Lagaš (also womöglich ein Enkel des
gleichnamigen Autors der «Reformtexte»; s. oben S. 56 f.). Es ist nicht
sicher, ob diese von weit hergeholt waren oder ob sie sich nicht viel-
mehr als Geiseln am Königshof von Akkade befanden. Es mag durchaus
sein, daß der Man-ištušū-Obelisk nur ein – uns zufällig erhaltenes –
Exemplar aus einer größeren Anzahl vergleichbarer Vertragsmonu­
mente ist. Der König konsolidierte seine Hausmacht, indem er sein pri­
vates Eigentum an Land vergrößerte, das er dann vermutlich verdien­
ten oder sich verdient zu machenden Bürgern zur Pacht oder zum
Nießbrauch überließ. Der Kaufpreis, in unserem Fall nicht weniger als
rund 450 Minen oder siebeneinhalb Talent Silber, wurde zweifellos aus
der Kriegsbeute des Königs bestritten.
Man-ištušūs Machtbereich schloß Elam ein und erstreckte sich we-
nigstens bis nach Assur. Der König nahm schließlich ein gewaltsames
Ende, wenn wir der späteren, altbabylonischen Tradition folgen dür­
fen; das gleiche Schicksal hatte auch schon seinen Bruder und Vorgän­
ger Rãmuš ereilt.
Man-ištušūs Sohn Narām-Suen, Herrscher in der dritten Genera­
tion, ist für uns heute die am schwierigsten zu fassende Gestalt unter
den Königen von Akkade. Ob er für seine Zeit und Umwelt auch die
faszinierendste Gestalt aus Sargons Familie gewesen ist, können wir
nicht mehr ermessen. Uns weht aus den Quellen ein Hauch des Un­
heimlichen an. So wirkt makaber, daß neben der kriegerischen Ištar
auch der Totengott Nergal von der Stadt Kutha zu den ihm besonders
vertrauten Göttern zählte.
Narām-Suen regierte 56 Jahre, wenn wir, wie gewohnt, der Sumeri­
schen Königsliste folgen. Die Zahl ist angezweifelt worden, da sie ge-
nau der für den Großvater Sargon überlieferten Zahl entspricht. Aber
die auf dem Wege komplizierter Interpolation errechnete Zahl von
37 Jahren findet in Quellen nirgends Bestätigung. Auf jeden Fall ist
Narām-Suen aber weit über drei Jahrzehnte an der Regierung gewe­
Rãmuš und seine Nachfolger 87

sen. Die aus der Zeit seiner Herrschaft in besonders großer Fülle über-
lieferten Ereignisse können wir bisher nur sehr grob in ein zeitliches
Raster einfügen.
Das bedeutendste – und das Reich in seinem Kern bedrohende – Er­
eignis war «der große Aufstand»: In Uruk und in Kiš wurden zwei
Könige eingesetzt, die die Unabhängigkeit voneinander und von Ak­
kade beanspruchten. Narām-Suen besiegte und zerstörte Kiš, eine
Stadt mit hochberühmter Vergangenheit, und war auch erfolgreich
im Kampf gegen Uruk und dessen neue Verbündete. Wie Rãmuš brü­
stet sich der König mit Zahlen der Erschlagenen und Gefangenen: 13
«Statthalter», 23 «Stadtoberhäupter», 1210 «Große» und 118140
sonstige Personen – was auch immer man von der Glaubwürdigkeit
solcher Zahlen halten mag. Narām-Suen stilisierte die Summe seiner
Gegner als die «vier (Welt-)Ufer», d. h. die Gesamtheit der Erde, die
man sich wohl als ein riesiges wasserumgebenes Feld vorstellte. Er
selbst nahm dann den Titel «König der vier (Welt-)Ufer» an, der sich
in den folgenden Jahrhunderten fest in der mesopotamischen Herr-
schertitulatur verankerte.
Von noch größerer Tragweite jedoch war die Vergöttlichung des
Königs. Einer Statueninschrift zufolge war sie ihm von acht bedeuten-
den Reichsstädten einschließlich der Hauptstadt Akkade selbst als
Dankesgestus im Namen der jeweiligen Stadtgottheiten angetragen
worden. Diese Vergöttlichung manifestierte sich im Bau eines eigenen
Tempels für den König und – graphisch sichtbar – darin, daß man dem
Namen des Königs, wie es bei einer Gottheit üblich war, das sog. Got­
tesdeterminativ voransetzte: So wie man z. B. für den Sonnengott Utu
DINGIR (= Gott) Utu zu schreiben pflegte, schrieb man nun auch
DINGIR (= Gott) Narām-Suen.
Sollen wir das Hybris nennen? Nicht jeder Mitspieler der Weltge­
schichte darf für seinen ersten kühnen Griff moralisch gerügt werden.
Die Vergöttlichung des mesopotamischen Herrschers erscheint
durchaus nachvollziehbar als die logische Fortführung der Idee, der
zufolge der Herrscher «nur» der von der Stadtgottheit eingesetzte
Verwalter sei, der für das Wohl und Wehe seiner Untertanen zustän­
dig und verantwortlich ist. Insofern ist der Herrscher in seiner Funk­
tion schon immer ein Schutzgott oder «persönlicher Gott» (d. h. ein
für ein Individuum oder eine Körperschaft zuständiger Gott) gewe-
sen. Wenn sich also Narām-Suen oder sein Nachfolger Šar-kali-šarrã
88 III. Das Reich von Akkade

«Gott von Akkade» nennen, so läßt sich das als «Schutzgottheit von
Akkade» auffassen. Ein Jahrhundert später wird der «Stadtfürst»
(ensi) Gudea von Lagaš (s. Kap. 21), der seinen Namen nicht mit dem
vorangestellten «Gottesdeterminativ» schreiben ließ, dennoch als der
«ensi, der Gott seiner Stadt» bezeichnet. Gudea hatte allerdings kei-
nen eigenen Tempel.
Wie dem auch sei, unter Narām-Suen entstand die Idee des zur
Gottheit erklärten Königs. Sie sollte ihre Wiedergeburt in der III. Dy-
nastie von Ur erleben und setzte sich dann, erst noch kräftig und
überzeugend und schließlich immer mehr verblassend, in verschiede­
nen Dynastien der altbabylonischen Zeit fort.
Eines der eindrucksvollsten Denkmäler der akkadischen Kunst des
III. Jahrtausends v. Chr. ist die Narām-Suen-Stele. Sie ist aus rotem
Sandstein gefertigt und ca. 2 m hoch. Sie zeigt den mit Pfeil und Bo­
gen bewaffneten König, der wie ein Gott die «Hörnerkappe» trägt
(d. h. eine mit Hörnern besetzte Kopfbedeckung), im Gefolge seines
Heeres triumphierend in einer Gebirgslandschaft. Die Szene ist voller
Bewegung: bergan steigende oder nach oben grüßende Krieger, hin­
sinkende, sich krümmende, abstürzende oder bittflehende Feinde, eine
schroffe Bergspitze und darüber zwei Gestirne (ein drittes befand sich
wohl auf dem weggebrochenen Teil links oben). Es ist dies eine Kom­
position, die in einem scharfen Kontrast steht zu der meist ruhigen,
wenig Bewegung verratenden sumerischen Kunst der vorsargoni­
schen Zeit. Die Narām-Suen-Stele verewigt einen Sieg im Gebirge,
und sie evoziert ikonographisch zum ersten Male jene «Bergvölker»
östlich vom Tigris, die immer zugleich gefürchtete Gegner, aber auch
Tributbringer und damit Rohstofflieferanten waren. Da Narām-Suen
in einer seiner Inschriften Kämpfe «in den Bergen von Lullubum» er­
wähnt, ist es durchaus möglich, wenn auch nicht sicher, daß die Geg­
ner auf der Stele die Lullubäer im Gebiet der heutigen iraqischen
Stadt Sulaimānãya (100 km östlich von Kirkuk) waren.
Hybris oder nicht? – haben wir gefragt. Narām-Suen nannte einen
seiner Söhne, der auch sein Nachfolger wurde, Šar-kali-šarrã, was auf
Akkadisch «König aller Könige» bedeutet (die sumerischen und akka-
dischen Personennamen waren – ganz anders als Namen in unseren
heutigen Sprachen – der lebendigen zeitgenössischen Umgangsspra-
che immer voll verständlich). Mit dem Namen Šar-kali-šarrã war
nicht etwa der Namensträger selbst gemeint, und es war auch kein
Rãmuš und seine Nachfolger 89

5 Naram-Suen-Stele aus Susa (sekundäre Fundlage, Beutestück

der Elamer). Sandstein, Höhe 200 cm. Heute Musée du Louvre, Paris.

90 III. Das Reich von Akkade

Thronname (ein Element, das für Mesopotamien übrigens auch fast


gar nicht bezeugt ist), sondern es war eine Aussage zur Verherr-
lichung des zur Zeit der Geburt des Kindes regierenden Königs, in die-
sem Fall also des Vaters Narām-Suen (vgl. oben S. 78 zum Namen
Šarru-kãn).
Und doch wird Narām-Suen in einer sumerischen Dichtung – de­
ren Verfasser der Erfahrung des Sturzes von Akkade bereits gewärtig
war – als ein in seiner Handlungsweise zerrissener und tragischer
Charakter geschildert. Es ist die Dichtung mit dem (in der heutigen
Forschung so genannten) Titel «Fluch über Akkade». Das ist ein ganz
und gar anti-akkadisches, besser sollten wir sagen: anti-akkade᾿isches
Literaturwerk. Es drückt die folgende unterschwellig vorherrschende
zeitgenössische Meinung aus, für die es – nach damaligen Möglichkei-
ten – keine andere Publikationsform als die Dichtung gab: Nachdem,
so der Beginn, der Gott Enlil Sargon die Königsherrschaft verliehen
hatte, brach eine Segenszeit mit reichen Handelseinkünften in einem
weltweiten Frieden an. Eine plötzliche Wende wurde dadurch herbei­
geführt, daß Inanna (Ištar) in Akkade mit ihren Opfereinnahmen un­
zufrieden war und ihr Haus verließ. Andere Götter folgten ihr. Na­
rām-Suen verfiel nach einem ahnungsvollen Traum über das heran­
nahende Ende Akkades in siebenjährige Depression und Lethargie.
Dann wollte er Enlils Heiligtum Ekur in Nippur restaurieren, erhielt
dafür aber nicht das unumgänglich nötige günstige Omen. In einer
Trotzreaktion überfiel Narām-Suen Nippur und plünderte das Ekur
unter Verletzung heiligster Tabus. Damit war Akkade seines «Ver­
standes beraubt». Enlil ließ zum Strafgericht die Gutäer aus den
Bergen nach Mesopotamien herabkommen, und es begann eine
Schreckenszeit, die ebenso farbig ausgemalt wird wie eingangs die Se-
gensperiode. Die großen Götter erwirkten bei Enlil schließlich Einhalt
im Zerstörungswerk, und sie legten nahe, daß nur Akkade, der eigent-
lich Schuldige, bestraft werde. So wurde diese Stadt vernichtet und
verflucht.
Wir haben mit dieser Paraphrase den Versuch, die Geschichte von
Akkade zu beschreiben, unterbrochen. «Fluch über Akkade» erzählt
nicht «Geschichte», hat aber einen historischen Kern. Hinter der
Plünderung des Ekur durch Narām-Suen könnte sich die Tatsache
verbergen, daß der König möglicherweise auf den Tempelschatz zu­
rückgegriffen hat, um die zweifellos immensen Kosten seiner Kriege
Rãmuš und seine Nachfolger 91

zu bestreiten. Aber das ist nur eine der denkbaren Erklärungen und
Interpretationen.
Narām-Suen hat, sicher schon betagt, auch seinerseits das Reich
noch einmal an einen Sohn vererben können, Šar-kali-šarrã, der ein
Vierteljahrhundert lang regierte. Šar-kali-šarrã restaurierte das große
Enlil-Heiligtum Ekur in Nippur und bewies damit wohl eine glück­
lichere Hand als sein Vater. Er zog bis an die Quellen von Euphrat und
Tigris. Wir hören von Kämpfen gegen die Gutäer, die sehr bald nach
Babylonien eindringen sollten, und zum ersten Mal wird während
seiner Herrschaft auch von einem Gegner Mesopotamiens berichtet,
der in den kommenden Jahrhunderten Furore machte: Šar-kali-šarrã
kämpfte im Gebirge Basar gegen die Amurriter. Das waren Sprecher
einer dem Akkadischen verwandten semitischen Sprache. In der Zeit,
wo uns die Amurriter erstmals in den Quellen begegnen, waren sie
Nomaden. Aber sie haben sich im Verlauf der Generationen und Jahr­
hunderte immer stärker an die mesopotamische Kultur assimiliert, bis
sie ganz in ihr aufgingen. Das Gebirge Basar, wo Šar-kali-šarrã die
Amurriter schlug, liegt an der nordwestlichen Flanke des Reiches von
Akkade, westlich vom Euphrat auf der Höhe des heutigen Dēr al-Zōr,
und sein Name (neuassyrisch hieß es Bisuru) lebt noch im heutigen
arabischen Ǧabal Bišrã fort.
Manche der im Zusammenhang mit der Dynastie von Akkade be­
richteten Ereignisse entstammen nicht nur den Königsinschriften,
sondern einer anderen Quellengattung, die sich uns allerdings erst ge­
gen Ende der Dynastie von Akkade erschließt – den Jahresnamen. Es
sind dies kurze, zur Urkundendatierung benutzte Formeln vom Typ
«Jahr: König NN hat das und das unternommen» oder – ohne Nen-
nung eines Herrschernamens – «Jahr: das und das ist geschehen». So
heißt es etwa «Jahr: Šar-kali-šarrã hat die Amurru besiegt» oder «Jahr:
die Gutäer wurden geschlagen». Man verwendete also ein für das zu
dokumentierende Jahr besonders bedeutendes Ereignis als Erinne-
rungsmerkmal. Dabei wurden keineswegs nur militärische Erfolge be-
richtet. Datierenswert waren auch abgeschlossene Bauvorhaben, die
Ernennung hoher Priester oder Priesterinnen, bedeutende religiöse
Stiftungen, die Anlage eines neuen Kanals und vieles andere. Jedes
einzelne Regierungsjahr erhielt einen entsprechenden Namen. Der
brauch der Jahresbenennung ist möglicherweise noch älter als das
Keich von Akkade; man trifft ihn jedenfalls auch schon in altsume­
92 III. Das Reich von Akkade

rischen Texten aus Nippur und in Ebla an (s. oben Kap. 13). Chronolo-
gische Relevanz hatte ein Jahresname zweifellos für den mit dem Ge­
schehen vertrauten Zeitgenossen. Für uns ist er heute dagegen nur
von relativem Wert, solange wir das berichtete Geschehen nicht aufs
Jahr genau festlegen können. Aber auch das Gedächtnis der antiken
Schreiber war wohl überfordert, und daher wurden – spätestens in der
Zeit der III. Dynastie von Ur – regelrechte Datenlisten angelegt, in
denen man die Jahresnamen einer Anzahl von Herrschern in ihrer
genauen Abfolge ablesen konnte. Unnötig zu betonen, daß solche
Datenlisten für den modernen Historiker in der chronologischen Dis­
kussion an oberster Stelle rangieren.
Die Datierung mit Jahresnamen ist bald nach dem Ende der altba­
bylonischen Zeit außer Gebrauch gekommen. Danach datierte man in
Babylonien auf eine sehr viele praktischere Weise nach den Regie-
rungsjahren der einzelnen Herrscher, zum Beispiel «Kurigalzu Jahr
2». In Assyrien ist das System der Jahresnamen nie heimisch gewor­
den. Dort wurden die Jahre nach markanten Persönlichkeiten be­
nannt, sogenannten Eponymen (griech. «Benannte»); zwecks besserer
chronologischer Übersicht wurden Eponymenlisten geführt.

20. Das Ende von Akkade – Rückblick

Es ist bisher unbekannt und aus den vorhandenen Quellen auch nicht
zu rekonstruieren, unter welchen genauen Umständen es spätestens
nach dem gewaltsamen Tod Šar-kali-šarrã zur Auflösung des Reichs
von Akkade gekommen ist. Die Sumerische Königsliste hat hier die
einzigartige Formulierung gefunden: «Wer war König, wer war nicht
König?», will sagen «Wer war denn dann eigentlich König?». Wir
kennen zwar noch Königslistenvermerke und die kurzen Inschriften
zweier Epigonen, die sich «König von Akkade» nannten; aber über de­
ren Verhältnis zu den großen Vorgängern ist uns nichts bekannt.
Schon öfters haben wir betont, daß das Reich von Akkade bei aller
Größe doch ein sehr zerbrechliches Gebilde gewesen ist. Allem voran
fehlte eine, wie wir heute sagen würden, «staatstragende Idee», ein
allen gemeinsames Interesse an dem «Reich» – zweifellos ein anachro-
nistisches Verlangen. Nicht zu unterschätzen ist der beträchtliche Blut­
zoll, den die beständigen Kämpfe der Akkade-Könige verlangt haben
Das Ende von Akkade – Rückblick 93

müssen. Wir lesen in den Königsinschriften traditionell nur von den


Verlusten der Feinde und nicht von den eigenen. Eine sich steigernde
Erschöpfung, vielleicht auch Demoralisierung ist nicht auszuschließen,
zumal im sumerischen Süden der Landschaft Babylonien. Wenn Be-
wohner von Ur oder Uruk wieder einmal zu einem – natürlich immer
«ehrenvollen» – Kriegszug aufgerufen wurden, so mag es ihnen von
Herzen gleichgültig gewesen sein, ob sie ihr Leben für einen ruhmrei­
chen Sieg oder für eine Niederlage der Könige von Akkade aufs Spiel
setzen mußten – «Akkade» war für sie ein Fremdkörper.
Der Ansturm amurritischer Nomaden und der Einbruch des «Berg­
volkes» der Gutäer waren denn wohl eher die Folge einer im letzten
Jahrzehnt Šar-kali-šarrãs eingetretenen Schwäche von Akkade und
nicht deren Ursache. Über die Gutäer ist sehr wenig bekannt, und über
ihre sprachliche Identität herrscht völlige Unkenntnis. Das vermutlich
von ihnen verursachte «Interregnum» wird auf 40 Jahre geschätzt; aber
die genaue zeitliche Distanz zwischen dem Ende von Šar-kali-šarrã und
dem Herrschaftsantritt des Ur-Namma von Ur (s. Kapiteln) ist noch
nicht ermittelt, und so ist die Chronologie Mesopotamiens am Ende des
III. Jahrtausends v. Chr. mit mehr als einem Unsicherheitsfaktor belastet
(auch das Zeitverhältnis zwischen Lugal-zage-si von Uruk und Sargon
von Akkade ist ja nur sehr vage bestimmbar – s. oben S. 78). In den Be-
richten der mesopotamischen Nachwelt stehen die Gutäer in üblem
Ruf; aber den teilen sie mit fast allen sonstigen Nichtsumerern und
Nichtakkadern oder – so läßt es sich auch formulieren – mit den Be­
wohnern der beiden Landschaftsformen, die dem «zivilisierten Zwei-
stromländer» ungewohnt und unheimlich waren: jenen der Berge und
der Steppe. Einer der gutäischen Herrscher, Erridupizir, hat dem Gott
Enlil in Nippur Statuen geweiht. In seinen akkadisch formulierten In-
schriften nennt er sich «König von Gutium und der vier (Welt-)Ufer»;
er hat also bewußt Anschluß an die einheimische mesopotamische Tra-
dition gesucht.
Wenn nach dem Sturz des Reiches von Akkade das Territorium
wieder die politische Zersplitterung der vorsargonischen Zeit erfuhr,
so war damit gleichwohl das Rad der Geschichte doch nicht zurückge-
dreht. Die altorientalische Welt hatte sich von Grund auf verändert.
Die akkadische Sprache hatte ein literarisches Prestige erlangt, mit
dem sie völlig gleichberechtigt neben das Sumerische getreten war.
Akkadische Sprache (als Fremdsprache) und Schrift wurden – viel­
94 III. Das Reich von Akkade

leicht ausgehend von akkadischen Garnisonen und Verwaltungszen-


tren in Susa – nach Elam «exportiert», wo die einheimische elamische
Schrift (vgl. oben S. 70 f.) außer Gebrauch kam. In den akkadischen
Kanzleien wurde eine ästhetisch höchst ansprechende Keilschriftform
entwickelt, die noch jahrhundertelang als Monumentalschrift offiziel-
ler Denkmäler verwendet wurde. So benutzt noch der Stein-Schreiber
des berühmten Codex Hammurāpi aus dem 18. Jahrhundert v. Chr. alt­
akkadische Zeichenformen. Ebenso erlangten die bildende Kunst, be­
sonders die Rundskulptur, Reliefbildnerei und das Rollsiegel, einen
Reifegrad von später nur selten wieder erreichter Perfektion.
Wenn in der Akkade-Zeit separatistische Kräfte die Einheit von
einer Generation zur nächsten immer wieder bedroht und aufs Spiel
gesetzt haben, so waren solche Tendenzen bestimmt durch das Den­
ken in den Kategorien der alten Stadtstaaten, ohne daß es besonders
darauf angekommen wäre, ob nun ein Aufrührer Sumerer oder Akka­
der war, Sumerisch oder Akkadisch zur Muttersprache hatte. Bestes
Beispiel ist die Tatsache, daß das akkadische Kiš ebenso wie das sume-
rische Ur sich von Akkade zu lösen bestrebt war. Sumerer und Akka-
der waren in fast allen Kulturäußerungen zu einer nicht mehr trenn­
baren Symbiose zusammengewachsen. Die Götterwelt der Akkader
war zu einem großen Teil identisch mit der sumerischen. Neuerungen
geistiger wie technischer Art setzten sich bei Sumerern und Akkadern
mehr oder weniger gleichzeitig durch, wie beispielsweise die Praxis
der Jahresnamen zeigt. Die Urkundenformulare waren in den beiden
Sprachen mühelos wechselweise übersetzbar. Sumerisch und Akka­
disch begannen, obwohl diese beiden Sprachen doch von ganz ver-
schiedenen Eigenarten und Strukturen gekennzeichnet waren (vgl.
oben S. 29 ff.), einander in vieler Beziehung ähnlicher zu werden und
gemeinsame Züge zu erwerben: Wortstellung, Satzbau, Vokabular,
Redensarten; es entstand ein sogenannter «Sprachbund».
Das Reich von Akkade hat die Idee der «vier (Welt-)Ufer» hervor-
gebracht; der Ausdruck wurde – nicht wörtlich, aber sinngemäß – als
die «vier Himmelsecken» ins Sumerische übertragen. Offenbar hat
die über lange Zeit erreichte Einheit die Nachwelt viel mehr beein­
druckt als die Zeitgenossen. In der altbabylonischen Zeit, als Babylo­
nien (zumal im 19. und 18. Jahrhundert) in kleine und kleinste Stadt­
staaten aufgesplittert war, hat man sich der Hoffnung hingegeben, ein
«Herrscher der Gesamtheit» werde wiedererstehen. Aber schon bald
Das Ende von Akkade – Rückblick 95

nach dem Sturz der Dynastie von Akkade entstand eine breitgefächer­
te Literatur, die sich um die Herrscher Sargon und Narām-Suen rank­
te; die Geburtslegende Sargons haben wir bereits erwähnt (oben
S. 77). Das Werk «der König der Schlacht» handelt von einem Feldzug
Sargons gegen die kleinasiatische Stadt Purušhanda, wo akkadische
˘
Kaufleute in Bedrängnis geraten waren – wir würden das heute als
einen Vorläufer des Abenteuerromans bezeichnen. Der «König der
Schlacht» ist lange tradiert und nach der Mitte des II. Jahrtausends
auch ins Hethitische übertragen worden. Ein langer episch ausgestal­
teter Text hat den «großen Aufstand» Babyloniens gegen Narām-
Suen zum Gegenstand. Erst aus dem I. Jahrhundert ist ein Text auf
uns gekommen, der das Reich Sargons in seiner riesigen Ausdehnung
zu beschreiben versucht – vielleicht, wie A. K. Grayson vermutet hat,
das Elaborat eines neuassyrischen Schreibers, der seinem Herrn, Sar­
gon II. von Assyrien (721–705), schmeicheln oder imponieren wollte.
Dieser Text beschreibt das Reichsterritorium, indem er beispielsweise
den Durchmesser einer Landschaft in «Doppelstunden» (insgesamt
etwa 108 000 m) angibt: «90 Doppelstunden, das ‹Geviert› des Landes
Elam». Anachronistisch erscheint die Einbeziehung von Kaptara (bi­
blisch Kaphthor), d. h. Kreta. Der Autor hat die ihm vorschwebenden
Ideen des I. Jahrtausends v. Chr. (die wiederum nicht mit unserem
Landkartenbild gleichgesetzt werden dürfen!) auf Sargon von Akkade
übertragen.
IV.

Utu-hegal, Gudea, die III. Dynastie von Ur

˘ ihre unmittelbaren Nachfolger


und

Die zwei oder drei Generationen zwischen dem Ende des Šar-kali-šarrã
von Akkade und dem 1. Jahr Ur-Nammas von Ur werden zwar in Ge-
schichtsdarstellungen oft als die «Gutäer-Zeit» bezeichnet; es ist in-
dessen nicht klar, wie stark und in welchem Ausmaß jenes «Bergvolk»
seinen Einfluß geltend machen konnte. Ein Privatbrief aus Girsu, noch
aus der Zeit des Šar-kali-šarrã, deutet an, daß Anwesenheit von Gutä-
ern zeitweise die Felderbestellung unmöglich gemacht habe und daß
Vieh geraubt worden sei. Solche unsicheren Verhältnisse werden in
der Siegesinschrift des Utu-hegal von Uruk literarisch überhöht dar­
˘
gestellt: «die Gutäer, Gebirgsdrachen, Revolte gegen die Götter, die
das Königtum von Sumer ins Bergland davongebracht, die Sumer mit
Unheil erfüllt, dem Ehemann die Frau, den Eltern die Kinder entführt,
die Unheil und Gewalt ins Land gebracht hatten». Auf der anderen
Seite hat sich einer der Gutäer-Könige, Erridupizir, um das Enlil-Hei­
ligtum Ekur in Nippur bemüht (vgl. S. 93). Eine Verwaltungsurkunde
aus Adab (undatiert) verbucht die Ausgabe eines Quantums Bier an
den «Gutäer-Dolmetscher»; leider fehlt sein Name, so daß man nicht
weiß, ob es ein Einheimischer oder ein Gutäer war.
Ohne Zweifel hat es, wenn Mesopotamien durch eine Fremdherr-
schaft stark in Mitleidenschaft gezogen wurde, doch auch Nischen ge­
geben, wo sich das Leben im Rahmen traditioneller Stadtstaatenver­
hältnisse ungestört abspielen konnte. Ob die Gutäer überhaupt eine
Stadt Südmesopotamiens zu ihrer Hauptstadt erhoben haben, läßt
sich bisher nicht nachweisen.
IV. Utu-hegal, Gudea von Lagaš 97
˘

21. Utu-hegal von Uruk, Gudea von Lagaš und seine Dynastie
˘
Utu-hegal aus einer Herrscherfamilie von Uruk gilt nach eigenem
˘
Zeugnis als der endgültige Überwinder der Gutäer-Fremdherrschaft.
Er besiegte einen gewissen Tirigan, König der Gutäer, samt zwei Statt-
haltern (oder Generälen – der Titel šagina läßt beiderlei Deutung zu)
mit Namen Ur-Ninazu und Nabi-Enlil. Die beiden hatten einen sume-
rischen (Ur-Ninazu) bzw. akkadischen (Nabi-Enlil) Namen, und wenn
es keine Gutäer waren, die sich bereits mesopotamisch benannten,
würde die Tatsache Bände sprechen für das opportunistische Verhal­
ten Einheimischer.
Utu-hegal nennt sich in seinen Inschriften regelmäßig «König der
˘
vier Himmelsecken», hatte also die sumerische Version des in Akkade
entstandenen Titels «König der vier (Welt)-Ufer» übernommen. Das
läßt hohe Ansprüche erkennen. Er hatte offenbar Ansehen genug, in
einem Grenzstreit zwischen Ur und dem Staat Lagaš zu vermitteln.
Lagaš mit seiner Hafenstadt Gu-aba war für Ur – wenn kein gefähr-
licher, so doch ein ärgerlicher – Handelsrivale. Womöglich weit­
reichende Ambitionen zu verwirklichen, blieb Utu-hegal keine Zeit.
˘
Er war der Bruder von Ur-Namma, zunächst Statthalter und dann Kö­
nig von Ur, und Ur-Namma begründete ein Reich, das spätestens un­
ter seinem Sohn Šulgi zurückfand zu den Dimensionen von Akkade.
Ob die Thronfolge von Utu-hegal auf Ur-Namma legal und in allem
˘
Frieden vor sich gegangen ist, wissen wir nicht.
Wir haben den Staat von Lagaš in der vorsargonischen Zeit be-
trachtet (s. Kapitel 9). Unter Akkade war er Reichsprovinz. Die Archi­
ve der Stadt Girsu zeigen besonders deutlich, wie Akkadisch als Ver­
waltungssprache das Sumerische überlagerte – ohne es freilich zu
verdrängen. Unabhängigkeitsbestrebungen des sumerischen Südens
hat Lagaš wohl nur halbherzig mitgemacht. Nach den generationen­
langen und zweifellos im höchsten Grade belastenden Kämpfen mit
dem Nachbarstaat Umma entwickelte sich, wie es scheint, die Einsicht,
daß es besser sei, «andere die Kriege führen zu lassen», um selber zu
prosperieren. Lagaš verfügte mit Gu-aba «Meeresrand» über einen
Seehafen – oder zumindest einen Hafen an einer Lagune, die mit dem
offenen Meer verbunden war – und damit über die Möglichkeit, mü-
helos Fernhandel zu betreiben. Die Herrscher von Lagaš haben sich
98 IV. Utu-hegal, Gudea, die III. Dynastie von Ur
˘
seit Iri-kagina stets – und vielleicht nicht ohne diplomatische Klugheit
– mit dem Titel ensi «Stadtfürst» begnügt, der rang- und prestigemä-
ßig unter dem eines lugal «Königs» lag. Von Weltherrschaftsansprü-
chen findet sich in der Titulatur ihrer zahlreichen Bau- und Weihin­
schriften keine Spur. Wir erinnern uns auch daran (s. oben S. 52), daß
die Kompilatoren der Sumerischen Königsliste Lagaš ganz beiseite ge­
lassen haben.
Aus der Reihe der Stadtfürsten unter und im halben Jahrhundert
nach Akkade ragt Gudea heraus, wahrscheinlich bereits ein Zeitge­
nosse des Ur-Namma von Ur. Das von ihm überlieferte sumerische In-
schriftenwerk ist das umfangreichste eines Herrschers im ganzen
III. Jahrtausend, das uns bisher bekannt geworden ist. Prunkstücke sind
zwei je ca. 60 cm hohe Tonzylinder mit 30 bzw. 24 Schriftkolumnen
und insgesamt 1363 Zeilen. Sie enthalten die hymnische Schilderung,
wie Gudea den Tempelturm Eninnû des Ningirsu, des Stadtgottes von
Girsu, restaurierte. Umfangsmäßig übertreffen die «Gudea-Zylinder»
fast alles, was sonst an sumerischen Literaturwerken überliefert ist.
So wie der Codex Hammurāpi (18. Jahrhundert v. Chr.) unser Bild von
Aufbau und Eigenart der akkadischen Sprache gleichsam normierend
geprägt hat, so verhält es sich sumerischerseits mit dem Tempelbau­
hymnus Gudeas. Stilistisch schließt Gudeas Sprache an die Sprache
der vorsargonischen Schriftdenkmäler aus Girsu/Lagaš an; aber
inhaltlich trägt es unverkennbar den Stempel der Erfahrungen der
Akkade-Zeit. Die Länder, aus denen Gudea die Rohstoffe für sein Bau­
vorhaben bezog, spiegeln den geographischen Horizont des Reiches
von Akkade wider: So fehlen Magan (῾Omān) und Meluhha (Indusge-
˘˘
biet) ebensowenig wie etwa das «Zederngebirge» Amanus (der heuti-
ge Gāvur Dağ an der Grenze von Nordwestsyrien und der Türkei).
Keine einzige Urkunde der staatlichen Wirtschaftsverwaltung ist
bisher auf uns gekommen, aus der hervorginge, auf welchem Wege
Gudea die immensen Kosten des Riesenbaus bezahlt hätte. Tributlei-
stungen müssen nach Lage der politischen Verhältnisse ausscheiden.
Der Bau ließ sich jedenfalls nur ausführen mit einer in langen Frie-
denszeiten wohlgefüllten Staatskasse.
Dem aufstrebenden Ur hat sich Lagas nicht widersetzen können. Un-
ter einem der Nachfolger Gudeas wurde es wieder eine abhängige Pro­
vinz, und seitdem hat der Staat, über den einst E-ana-tum, Iri-kagina
und auch Gudea geherrscht hatten, nie wieder Selbständigkeit erlangt.
Das Reich der III. Dynastie von Ur 99

22. Das Reich der III. Dynastie von Ur

Die «III.» Dynastie von Ur nennt man heute so, weil sie zufolge der
Sumerischen Königsliste die dritte Herrscherreihe dieser Stadt war.
Unter ihren fünf Königen Ur-Namma (auch Ur-Nammu gelesen),
Šulgi, Amar-Suena, Šū-Suen und Ibbi-Suen dauerte sie 108 Jahre (ca.
2112–2004 nach der hier zugrunde gelegten «Mittleren Chronolo­
gie»). Das große Reich von «Ur III» tritt uns in den zeitgenössischen
Quellen erst um die Mitte der 48jährigen Regierung von Ur-Nammas
Sohn Šulgi in voller Machtentfaltung gegenüber. Wie Ur-Namma
vom Statthalter von Ur unter seinem Bruder Utu-hegal (s. oben
S. 97) zum König aufgestiegen ist, wissen wir nicht, und es ist auch
chronologisch noch unklar, wie er (oder erst sein Nachfolger Šulgi?)
Lagaš als selbständigen Staat und Handelsrivalen ausgeschaltet hat.
Ur-Namma hat allerdings als erster den neuen Herrschertitel «König
von Sumer und Akkad» geführt und damit weitreichende Ansprüche
angemeldet.
Unter der – modernen – Bezeichnung «Codex Ur-Namma» ist ein
Werk in die altmesopotamische Rechts- und Literaturgeschichte ein-
gegangen, das den ältesten uns bisher bekannten Vertreter der Gat­
tung «Gesetzessammlungen» darstellt. Jünger bezeugt sind der sume-
rische Codex Lipit-Ištar (etwa 1920 v. Chr.), auf Akkadisch der Codex
von Ešnunna sowie der Codex Hammurāpi (19./18. Jahrhundert) und
aus dem 14. Jahrhundert noch die Mittelassyrischen Gesetze. Diese
Reihe ließe sich gewiß verlängern, hätten wir einen vollständigen
Überblick, was jemals in Keilschrift geschrieben worden ist. Wir sind
aber ja wie immer bei unserer Denkmälerkenntnis auf das angewie­
sen, was uns der Zufall der Ausgrabungsergebnisse und des Antiken­
handels beschert.
Die Rechtspflege durch den Monarchen im Alten Orient ist im
Prinzip schon sehr viel früher bezeugt (vgl. oben S. 56 f. zu den «Re­
formen» des Iri-kagina von Lagaš); aber der Versuch einer systemati­
schen Darstellung von Rechtsverhältnissen ist vor Ur-Namma noch
nicht bekannt. Der Codex Ur-Namma ist eine von einem Prolog und
einem Epilog eingerahmte Sammlung von Sätzen, die dem Schema
«Wenn A, dann (ergibt sich) die Rechtsfolge B» folgen. Rein formal
sind es also Bedingungssätze. Der Codex Ur-Namma ist zwar bisher
100 IV. Utu-hegal, Gudea, die III. Dynastie von Ur
˘
nur aus Tontafel-Kopien der altbabylonischen Zeit bekannt; doch dür­
fen wir als Original eine Statue oder Stele voraussetzen, wie wir sie
vom Codex Hammurāpi kennen. Unter dem Ausdruck «Codex» soll
nun keinesfalls ein irgendwie «kodifiziertes» Recht (etwa im Sinne
des Codex Iustinianus) verstanden werden. Über die tatsächliche
Funktion der altorientalischen «Codices» wird noch immer ein ge-
lehrter Streit ausgefochten: Verfügten sie ein für den Richter verbind­
liches Recht; waren es Rechtsempfehlungen als Entscheidungshilfe;
waren es Sammlungen von Präzedenzfällen mit der angeschlossenen
Ausarbeitung analoger Fälle ...? Der Codex Ur-Namma umfaßt u. a.
Rechtsgebiete wie das Strafrecht (Mord, Raub, Körperverletzung,
Vergewaltigung, falsche Anschuldigung), Ehe- und Familienrecht (bei
Freien und Sklaven; auch Scheidung, Erbe), und Rechtsfragen, die z. B.
Sklavenflucht, Zeugnis vor Gericht, Felderbewirtschaftung betreffen,
und schließlich auch Lohnsätze. Manche der hier erstmals erscheinen­
den Rechtssätze begegnen uns im Codex Lipit-Ištar und im Codex
Hammurāpi wieder, so daß wir durchaus von einer jahrhundertelan­
gen Rechtstradition sprechen können, auch wenn wir anläßlich des
Codex Hammurāpi zugleich auf Änderungen und Neuerungen ein-
gehen müssen.
Im Prolog seines «Codex» verfügt Ur-Namma regelmäßige Opfer­
gaben für seine, des Herrschers, Statue. Ur-Namma beschreibt das
Ende seines Herrschaftsbereichs im Südosten als «die Grenze der
Magan-Schiffe». Das ist recht verschwommen formuliert; gemeint
war ein Hafen, bis zu welchem Schiffe aus Magan (῾Omān) segelten,
und wir denken hier an die Insel und Handelsstation Tilmun (heute
Baḥ rain; vgl. oben Kapitel 16). Der Seehandel war in der Tat für eine
Stadt wie Ur lebenswichtig. Was den Nordwesten betrifft, so will Ur-
Namma, wie er im Prolog des «Codex» sagt, die Städte Akšak, Marada
und Kazallu vom «Sklavendienst für Anšan» befreit haben. Anšan lag
südlich von Elam; der Name konnte aber auch summarisch für die
gesamte Region am Nord- und Nordostufer des Persischen Golfes
gebraucht werden. Hier spielt Ur-Namma an auf uns sonst nicht be­
kannte Einzelheiten der wechselhaften Beziehungen zwischen Baby-
lonien und seinem östlichen Nachbarn.
Es sind dies alles wieder Einzelnachrichten, zum Teil nicht einmal
aus authentischer zeitgenössischer Quelle, sondern aus Inschriften-
kopien späterer Jahrhunderte. Wir getrauen uns, wie wir immer be­
Das Reich der III. Dynastie von Ur 101

tonen, mit solchen Nachrichten zwar nicht, «Geschichte» zu schrei­


ben. Doch sollen sie auch nicht verschwiegen werden, da sie dem Leser
immerhin Einblick in die Vielfalt des damaligen Geschehens geben
können.
Vor seinem katastrophalen Ende unter Ibbi-Suen ist der Staat von
Ur III – anders als das Reich von Akkade – wohl nicht immer wieder
und existentiell in seinem Bestand bedroht gewesen. Jedenfalls fehlen
uns Hinweise auf innere Unruhen. Wir wissen zwar – zufolge unbe­
friedigender Quellenlage – noch erst wenig über die 18 Regierungs-
jahre Ur-Nammas und über die ersten 20 Jahre Šulgis, der – wenig­
stens der Sumerischen Königsliste zufolge – Ur-Namma unmittelbar
auf dem Thron gefolgt ist. Aber danach zieht an uns, wenn wir die
Quellen weiter nicht in Frage stellen wollen, ein halbes Jahrhundert
Frieden vorüber. Die Jahresnamen (vgl. oben S. 91) berichten zwar ab
und an von Feldzügen in Regionen tigrisaufwärts und östlich vom
Tigris; aber das waren im wesentlichen Versuche, den Handel «mit
anderen Mitteln» fortzusetzen, d. h. Rohstoffe, wenn möglich, auf
dem Weg auferzwungener Tributleistungen zu importieren. Viel
eher waren die Herrscher von Ur III bemüht, durch diplomatische
Mission oder durch die Anbahnung familiärer Verbindungen – z. B.
auf dem Wege der Vermählung von Königstöchtern mit Repräsen­
tanten ausländischer Höfe – gute Beziehungen nach außen aufrecht­
zuerhalten.
Šulgi nannte sich wieder «König der vier Himmelsecken» und ließ
sich göttliche Ehren entgegenbringen. Der unter Narām-Suen von
Akkade aufgekommene Brauch, den lebenden König als Gott anzu-
sehen, hat also das Reich von Akkade durchaus überlebt. Auch Šulgis
Thron wurde in die Vergöttlichung einbezogen, und sein Name er-
scheint als ein gleichsam göttliches Element in den Namen vieler Be-
amter. So wie es einen sumerischen Personennamen Utu-hegal gab –
˘
d. h. «der Sonnengott (bedeutet) Überfluß» –, so lesen wir nun auch
entsprechende Namen wie Šulgi-hegal «der (göttliche) Šulgi (bedeu-
˘
tet) Überfluß». Dieser Usus ist keineswegs aufs Sumerische be­
schränkt. Eine von Šulgis Ehefrauen nannte sich (auf Akkadisch)
Šulgi-simtã «der (göttliche) Šulgi ist meine Zierde».
Von der Organisation und Verwaltung des Staates von Ur läßt sich
ein sehr viel deutlicheres Bild zeichnen, als dies noch bei der Beschrei­
bung von Akkade möglich war. Oberster Beamter war der sukkalmah
˘
102 IV. Utu-hegal, Gudea, die III. Dynastie von Ur
˘
(akkadisch als Lehnwort sukkalmahhum), wörtlich «oberster Bote»
˘˘
(oder: «Läufer»), praktisch ein Staatskanzler. Wie bei den Ämterbe­
zeichnungen in vielen Kulturen gibt die wörtliche Übersetzung und
ursprüngliche Bedeutung eines Ausdrucks (seine Etymologie) auch in
Ur nicht mehr immer auch die tatsächliche Funktion des Amtsträgers
wieder. Das Reich war in etwa 40 Provinzen unterteilt, die jeweils von
einem ensi verwaltet wurden. Der alte Herrschertitel ensi war öfters
schon in Akkade abgewertet worden; er hat allerdings unter Gudea
von Lagaš und seiner Dynastie durchaus sein altes Prestige bewahrt.
Im Reich von Ur III hatten die Provinz-ensis zwar weitgehende
Machtbefugnisse (Verwaltung, Finanzaufkommen, Rechtsprechung,
Feiern der Feste gemäß dem lokalen Festkalender); aber sie unterstan­
den der Aufsicht des Königs, der sie ins Amt einsetzte und anderswo­
hin versetzen konnte. Das Amt konnte zwar noch vererbt werden;
aber dies bedurfte der Bestätigung höheren Orts. Eigenständig Bünd-
nisse zu schließen oder Krieg zu führen, d. h. jegliches außenpolitische
Engagement war dem ensi von Ur III versagt und wäre gleichbedeu­
tend mit Aufruhr gewesen.
Jede der Provinzen – zumindest der südlichen – war verpflichtet,
bestimmte Abgaben zu erbringen, um die öffentlichen Ausgaben der
Zentralmacht zu bestreiten: den Unterhalt von Palast, Hof, Heer und
ein wohlorganisiertes Botensystem; die Opfergaben in den zahllosen
Heiligtümern sowie die Ausstattung der in einen regelrechten kulti­
schen Kalender eingebetteten Feste sowie den Unterhalt und die Er­
weiterung des lebensnotwendigen Netzes von Bewässerungskanälen.
Die Provinzen waren geographisch genau gegeneinander abgegrenzt.
Wir können das zumindest behaupten, wenn wir eine «Hochrech-
nung» vornehmen, ausgehend vom sogenannten «Katastertext» des
Königs Ur-Namma. Hier sind die Grenzverläufe dreier Provinzen
nach den vier Himmelsrichtungen von Punkt A nach B, B nach C usw.
definiert, und als Endvermerk zu jeder Provinz liest man «König Ur-
Namma hat das Feld des Gottes NN dem Gotte NN bestätigt». Man
hielt also durchaus an der altüberkommenen Vorstellung fest, daß das
Herrschaftsterritorium Eigentum der lokalen Stadtgottheit war. In
einigen Provinzen, zumal in Uruk, Dēr (beim heutigen Badra) oder
Mari, lag die Verwaltung statt bei einem ensi in der Hand eines «Ge­
nerals» oder «Statthalters» (šagina, akkadisch šakkanakku).
Die modernen Geschichten Mesopotamiens stimmen darin überein,
Das Reich der III. Dynastie von Ur 103

daß sie im Staat von Ur III ein stark zentralisiertes politisches Gebilde
sehen, mit einem absoluten Herrscher an der Spitze. Bei dieser Rekon­
struktion sollten aber zwei Punkte nicht unterschätzt werden. Zum
einen war der König genötigt, höchst taktvoll und diplomatisch mit sei­
nen Provinzverwaltern umzugehen, um zentrumsfeindlichen Bündnis­
sen unter ihnen sowie Abfall und Rebellion vorzubeugen. Zum ande­
ren mag diese Interpretation auch nur das Resultat einer problematisch
einseitigen Abhängigkeit der Forschung von der staatlichen Textdoku­
mentation einiger wichtiger Städte im zentralen und südlichen Babylo­
nien sein: Nippur, Puzriš-Dagān, Umma, Girsu und Ur selbst. Die Zahl
der Tontafeln, die regulär ausgegraben oder aber – und das viel häufiger
– durch Raubgrabung in den Handel und in die Museen und Privat­
sammlungen gebracht worden sind, beläuft sich auf weit über 30 000.
Nur ein Teil davon ist bisher zufriedenstellend ausgewertet worden.
Besonders eindrucksvoll sind die staatlichen Archive von Puzriš-Dagān,
einem vor den Toren von Nippur gelegenen gigantischen Viehhof, des-
sen primäre Funktion die Belieferung der Tempel von Nippur mit
Schlachtopfern war, der aber natürlich auch die Voraussetzungen für
eine florierende Leder- und Wollindustrie bot. Die Textdokumentation
reicht von der Verbuchung einzelner, genau nach Monat, Tag und Jahr
datierter Empfangsquittungen, Ausgabevermerken oder Berichten über
verendete Tiere bis zu komplizierten Monats- oder sogar Jahresresü-
mees. Eine andere schier unübersehbare Textgruppe stellen Listen über
die Ausgabe von Rationen an solche Personen dar, die vom Tempel oder
Palast abhängig waren. Solche Ausgaben oder – aus der Sicht der Emp­
fänger – Einnahmen bewegen sich, je nach der Rangstelle der Empfän­
gerinnen), zwischen Minimallöhnen und Einkünften, die die persön-
lichen Bedürfnisse einer Familie weit überstiegen und folglich als
«Anlagevermögen» genutzt werden mochten. Die Ausgaben bestanden
in Korn (Gerste), Öl, Wolle und möglicherweise auch schon verarbeite­
ten Textilien. Es fand keine «abstrakte» Zahlung in Wertmetall (Silber)
statt; aber die empfangenen Naturalien waren stets zum Tageskurs in
Silber konvertierbar. Die unter Šulgi eingeführte Relation zwischen
Korn und Wertmetall war – idealiter – 1 Kor (= 300 Liter) Korn = 1
Schekel (= ca. 8,4 g) Silber.
Gegenüber diesem «embarras de richesse» der offiziellen Verwal-
tungstexte der III. Dynastie von Ur ist der sogenannte private Sektor
stark unterrepräsentiert. Wir verstehen darunter jene Bürgerschicht,
104 IV. Utu-hegal, Gudea, die III. Dynastie von Ur
˘
die eigenes Land besaß und von staatlichen Zuwendungen, d. h. Zutei-
lungen durch den Palast oder durch einen Tempel, unabhängig war.
Wir kennen diesen privaten Sektor zwar aus Verträgen (Darlehen,
Sklavenkauf, Felderverpachtung), haben aber bisher keine Vorstellung
davon, wie sich die vom Palast und von den Tempeln völlig unabhän­
gige Schicht zahlenmäßig zur restlichen Bevölkerung verhielt.
Daß unser Bild vom stark zentralisierten Staat von Ur III einseitig
und verzerrt ist, beruht möglicherweise auch darauf, daß uns eine lo­
kale schriftliche Dokumentation aus dem Norden Babyloniens sowie
aus der weiteren Peripherie noch gänzlich fehlt – einmal abgesehen
von einigen Texten aus dem Diyāla-Gebiet. Es wäre also übereilt,
wenn wir Verwaltungstypen und -strategien aus Mittelbabylonien
und aus dem durch Ur geprägten Süden weiter auf das restliche Ge-
biet des Reiches übertragen würden.
In ethnischer Hinsicht war Mesopotamien zur Zeit von Ur III in
gleicher Weise heterogen wie in den zurückliegenden Jahrhunderten.
Das akkadische Bevölkerungselement überwog zwar, und das zahlen­
mäßige Verhältnis zwischen Sprechern des Sumerischen und Akkadi­
schen änderte sich von einer Generation zur nächsten zugunsten des
Akkadischen. Doch machen sich in Ur III Vertreter zweier weiterer
Ethnien bemerkbar, die beide eine große Zukunft in der Geschichte
haben sollten: die Amurriter und die Hurriter. Semitische Amurriter
haben wir als reichsbedrohende Gegner zuerst unter Šar-kali-šarrã ge-
sehen (vgl. oben S. 91). In Ur III treffen wir Amurriter gelegentlich
schon als Inhaber hoher Ämter an; aber die Mehrzahl von ihnen lebte
noch nomadisch und war nach Stämmen organisiert. Šulgis zweiter
Nachfolger, Šū-Suen, sah sich genötigt, Babylonien mit einer Mauer
oder einer Reihe von Kastellen (das sumerische Wort bad kann beides
bedeuten) zu durchziehen, die er «Mauer, die (den Stamm) Tidanum
fernhalten soll» benannte. Der militärische Druck der Amurriter war
also nicht zu unterschätzen. Das vierte Bevölkerungselement nach
Sumerern, Akkadern und Amurritern waren die Hurriter, die sich
vornehmlich im nördlichen Mesopotamien und im osttigridischen
Gebiet ansiedelten. Wir haben sie schon einmal kurz erwähnt
(s. S. 32). Die Bewohner Elams sind dagegen nie in ein mesopotami-
sches Reich integriert worden. Sie haben bis in die Achämenidenzeit
ihre Eigenständigkeit bewahrt, und wenn man auch nicht von «Erb­
feindschaft» sprechen will, so könnte der Ausdruck dem Verhältnis
Das Reich der III. Dynastie von Ur 105

zwischen Mesopotamien und dem auf dem Boden des heutigen Iran
gelegenen Elam doch nahekommen.
Der geographische Horizont des Reiches von Ur III hat den des Rei­
ches von Akkade nicht überragt. Es mutet merkwürdig an, daß sich in
den Texten nicht der geringste Hinweis auf Beziehungen zu Ägypten
finden läßt. Dieser negative Befund setzt sich auch noch in die altbaby-
lonische Zeit fort. Erst nach der Mitte des II. Jahrtausends v. Chr. rückt
Ägypten in das Blickfeld der Keilschriftdenkmäler (s. Kapitel 35).
Bei aller ethnischen Vielfalt war das Geistesleben noch weitgehend
sumerisch geprägt. Sumerisch war nicht nur die Verwaltungssprache
in Mittel- und Südbabylonien. Sumerisch waren auch die Bau- und
Weihinschriften der Könige (akkadisch formulierte Inschriften sind
eher die Ausnahme) und ein kaum überschaubarer Bestand an Perso-
nennamen dieser Sprache. Sumerisch waren schließlich auch die
Hymnen auf Ur-Namma und Šulgi. Der Königshymnus als literari­
sche Gattung ist eine Errungenschaft der Ur III-Zeit. Er richtet sich an
den Herrscher als vergöttlichten König und ist insofern eine Spielart
der Götterhymnen. Wie in den letzteren kann der Gefeierte in der
3. Person gepriesen werden oder auch sich selbst in der 1. Person ver­
herrlichen.
Neben den Hymnen ist auch ein Teil der Korrespondenz der Köni-
ge mit ihren hohen Beamten in die sumerische Literatur eingegangen.
Diese Briefe sind zweifellos von den Schreibern sprachlich verfeinert
und literarisch ausgestaltet worden; dennoch bilden sie für uns eine –
wenn auch nicht primäre – historische Quelle.
Alles in allem stellt sich uns der Staat von Ur III als ein politisches
Gebilde dar, das zweisprachig – sumerisch und akkadisch – geprägt
war und wo das Sumerische noch als eine lebendige Sprache gespro­
chen wurde. Die von manchen Forschern vorgetragene Meinung, Su­
merisch sei in Ur III als Umgangssprache schon ausgestorben gewe­
sen, läßt sich mit dem Quellenbefund schwer vereinbaren. Auf der
anderen Seite dürfen wir uns aber auch nicht das öfters gebrauchte
Schlagwort einer «sumerischen Renaissance» zu eigen machen, dem
die Vorstellung zugrunde liegt, daß ein in Akkade unterdrücktes Su­
merertum mit Gudea von Lagaš und in Ur III politisch wieder erstarkt
sei. Beide Elemente, Sumerer und Akkader, haben seit der vorsargoni-
schen Zeit nebeneinander bestanden, und erst nach etwa 1800 v. Chr.
et die sumerische Sprache zur Bildungssprache – einer Art Latein des
106 IV. Utu-hegal, Gudea, die III. Dynastie von Ur
˘
Alten Orients – geworden, ohne daß man sie noch länger gesprochen
hätte.
Wir sahen (oben Kapitel 20), daß das Reich von Akkade die Erinne-
rung und Phantasie der Nachwelt bis hinein ins I. Jahrtausend v. Chr.
aufs lebhafteste beschäftigt und daß man sich heimlich nach der – wir
können aus unserer heutigen Sicht nur sagen: vermeintlichen – Ein­
heit Akkades gesehnt hat. Das Reich von Ur III ist dagegen in der hi-
storischen Tradition Mesopotamiens viel schneller verblaßt. Hier
könnte denn doch die Sprache eine Rolle gespielt haben. Die Akka­
disch sprechenden Babylonier und Assyrer des II. Jahrtausends
konnten sich mit Akkade leichter identifizieren als mit dem primär
sumerisch geprägten Staatsgebilde von Ur III.
Ein Vermächtnis gänzlich unpolitischer und unemotionaler Natur,
das die Nachwelt über Ur III letzthin von Akkade übernommen hat,
ist das System der Gewichts- und Hohlmaße, der Längen- und Flä-
chenmaße sowie eine sehr glückliche Verschwisterung dezimaler und
sexagesimaler Zählweise, die bis zum Ende der Keilschriftkultur be­
standen hat. Was in Akkade als Reform begonnen worden war – näm­
lich der Versuch, viele lokale Maßsysteme miteinander zu vereini-
gen –, wurde in Ur III konsequent zu Ende geführt. Will man großräu-
mige Verwaltungs- und Kommunikationsstrukturen errichten, sind
lokal divergierende Systeme hinderlich. Nicht ohne Grund sind in den
letzten zweihundert Jahren unserer neuesten Zeit Maße, Währungen
und Längengrade großflächig oder gar global vereinheitlicht worden.

23. Der Niedergang von Ur III; Isin als Nachfolgerin


und die Zersplitterung Babyloniens

Wir müßten den Zusammenbruch des Reiches von Ur unter seinem


fünften König Ibbi-Suen ebenso summarisch beschreiben wie so viele
andere folgenträchtige Ereignisse in der Geschichte Mesopotamiens,
dürften wir uns nicht einer exzeptionell günstigen Quellenlage er­
freuen: Es handelt sich dabei im einzelnen um die oben erwähnte Kö­
nigskorrespondenz, zwei Klagelieder über die Zerstörung von Ur und
ein Tontafelarchiv aus der Stadt Isin, ca. 30 km südlich von Nippur, das
uns enthüllt, wie ein gewisser Išbi-Erra als König von Isin seinen ehe-
maligen Oberherrn Ibbi-Suen innerhalb weniger Jahre ausgeschaltet
Der Niedergang von Ur III; Isin als Nachfolgerin 107

hat. Ibbi-Suen führte in den frühen Jahren seiner Regierung Krieg ge-
gen Elam, als ihm in der Person des Išbi-Erra von Mari, eines Statthal-
ters oder sonstigen hochrangigen Beamten, ein ehrgeiziger Rivale er­
wuchs. Išbi-Erra schilderte in seinen Briefen die von den Amurritern
drohende Gefahr in düstersten Farben und drängte den König, ihm
zwecks Abhilfe den Schutz der eng benachbarten zentralbabyloni-
schen Städte Isin und Nippur anzuvertrauen. Das war praktisch Er-
pressung. Išbi-Erras Briefe zeigen, daß er höchst diplomatisch sowohl
mit den Amurritern als auch mit verschiedenen ensis zu verhandeln
und sie aufzuwiegeln wußte, so daß sich einige ensis auf seine Seite
schlugen. Išbi-Erra scheint andererseits Nutzen daraus gezogen zu
haben, daß Ibbi-Suen von Ur zutiefst deprimiert war, weil, wie er in
einem Brief sagt, «der Gott Enlil ihn haßte». Diese Aussage erfolgt
vermutlich vor dem Hintergrund eines ungünstigen Leberomen-Be­
scheids – zu welchem Ende auch immer Ibbi-Suen eine Omenanfrage
gestellt haben mag.
Išbi-Erra baute Isin zu seiner eigenen Festung aus, und vom 10. Re-
gierungsjahr Ibbi-Suens an benutzte er seine eigenen Jahresdaten an-
stelle der Zählung nach Ibbi-Suen – ein Zeichen dafür, daß er seinem
Herrn die Treue aufgekündigt hatte. Im übrigen wähnte sich Išbi-Erra
selbst in der Gunst Enlils, des Gottes von Nippur und obersten Gottes
im sumerischen Pantheon. Nicht lange danach beanspruchte Išbi-Erra
die Oberherrschaft über Ur selbst, d. h. er wollte, wiewohl Dynast in
einer anderen Stadt, doch die Herrschaftsnachfolge antreten.
Ibbi-Suen regierte noch 14 Jahre über einen Rumpfstaat von Ur, bis
ihn eine regelrechte Unglücksserie vollends zu Fall brachte: Während
einer Hungersnot war Ur gezwungen, Tempelgut an Isin zu veräu-
ßern, um Getreidelieferungen zu bezahlen, was einem Sakrileg nahe­
kam. Eine Invasion der Elamer und benachbarter iranischer Völker
führte zur Belagerung von Ur, wobei die Stadt schließlich erobert und
zerstört wurde. Ibbi-Suen wurde gefangen nach Anšan weggeführt.
Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt. Die «Klage über die
Zerstörung von Ur» schildert in einem Sumerisch von höchster litera­
rischer Qualität all die Schrecken und Greuel, die die Eroberung und
Vernichtung einer Stadt mit sich brachte – letzten Endes verursacht
durch den «Zorn Enlils».
So wie Akkade war auch Ur allem äußeren Glanz zum Trotz ein
labiles Gebilde gewesen, ganz und gar abhängig von der zentralen
108 IV. Utu-hegal, Gudea, die III. Dynastie von Ur
˘
Hausmacht des Königs, der Loyalität seiner Provinzgouverneure,
einer soliden wirtschaftlichen Lage und der – zumindest unmittelba-
ren – Beherrschung der wirtschaftlich sehr wichtigen osttigridischen
Gebiete und der nördlichen Randzonen. Eine Schwachstelle im Ge­
samtgefüge konnte schnell eine verhängnisvolle Kettenreaktion aus-
lösen. Es mag sein, daß Ur III schon mit dem Tode Šulgis nach dessen
48jähriger Regierungszeit seinen Höhepunkt überschritten hatte. In
diesem Zusammenhang fällt z. B. auf, daß uns im Vergleich zu den
über fünfzehn an Šulgi gerichteten Königshymnen kein einziger an
einen seiner drei Nachfolger überliefert ist.
Neben den uns am besten bekannten Faktoren, die den Verlauf der
Geschichte beeinflußt haben, wie Herrschermacht, straff gehaltene,
wohlorganisierte und weitblickende Verwaltung, Kriege und Siege gibt
es andere, die uns verborgen bleiben oder nur sehr selten einer schrift-
lichen Quelle zu entnehmen sind: So wissen wir fast nichts über mög­
liche Seuchen, Naturkatastrophen wie gehäuft auftretende Deichbrü-
che, Überschwemmungen und das damit verbundene Sich-Verlagern
von Flußbetten, über Mißernten und Hungersnöte, die nicht nur für
viele den Tod bedeuteten, sondern auch die Versklavung plötzlich ver-
armter Schichten zur Folge hatten: Der Verkauf von Familienangehöri­
gen oder sogar der Selbstverkauf eines Familienoberhaupts waren keine
außergewöhnlichen Maßnahmen, wenn es galt, das nackte Überleben
zu retten. So ist es ein reiner Zufall, daß wir von jener Hungersnot er­
fahren, die mit zum Sturz der III. Dynastie von Ur beigetragen hat.
Išbi-Erras neue «Dynastie von Isin» hielt sich von 2017 bis 1794
und übertraf zeitlich die von Ur III um mehr als das Doppelte. Išbi-
Erra fand bald Nachahmer in Städten wie Dēr, Ešnunna, Sippar, Kiš
und Larsa, und zweifellos noch weitere ensis des Ur III-Staates kün-
digten ihre Abhängigkeit auf und etablierten sich als lokale Könige.
So entstand nach und nach jene Palette kleiner und kleinster Stadt­
staaten, die typisch ist für die Jahrhunderte bis zu Hammurāpi und
Samsu-iluna von Babylon (1792–1750, 1749–1712). Es war ein Rück-
fall in die politischen Verhältnisse der vorsargonischen Zeit oder auch
der Jahre zwischen Akkade und Ur III. Vielleicht sollten wir aber sogar
sagen, daß sich die politische Landkarte Babyloniens wieder «normali-
siert» hatte; denn in der Rückschau auf die Jahrhunderte erscheinen
die Reiche von Akkade und Ur – mit Blick auf ihre Dauerhaftigkeit –
eher als die Ausnahme.
Der Niedergang von Ur III; Isin als Nachfolgerin 109

Isin hat das Verwaltungssystem von Ur so gut wie unverändert


übernommen. Išbi-Erra und seine Nachfolger ließen sich vergött­
lichen. Nach einem Sieg über Elam wurde Ur eingenommen, und da-
mit waren die Handelsverbindungen in den Persischen Golf wiederge­
wonnen. Erneut wurden Königshymnen verfaßt, und Išme-Dagān
von Isin (1953–1935) hat sich bewußt als einen neuen Šulgi (von
Ur III) darzustellen versucht.
Wenn manche modernen Geschichtsdarstellungen mit Išbi-Erra
von Isin die «Altbabylonische Zeit» beginnen lassen, so scheint eine
solche Periodisierung ganz willkürlich getroffen. Wir können das
Jahrhundert bis zur Regierung des Išme-Dagān oder Lipit-Ištar von
Isin (1934–1924) durchaus noch als eine Fortsetzung der Ur III-Zeit
betrachten. Die eigentlichen Veränderungen größeren Stils setzten
erst ein, als die Staaten von Isin und Larsa begannen, miteinander zu
rivalisieren, und als sich in immer mehr Städten Herrscher und Dy­
nastien einnisteten, die zwar ethnisch Amurriter waren (sie haben
fast ausnahmslos amurritische Namen), die aber in jeder Hinsicht um
die Assimilation an die vorgefundene Kultur sumerisch-akkadischer
Prägung bemüht waren. Wir haben eine vergleichbare Prestigewir­
kung auch schon bei den Gutäern festgestellt (vgl. oben S. 96). Gun­
gunum, der fünfte König einer Dynastie von Larsa (1932–1906), er-
oberte Ur und schnitt Isin dadurch vom Überseehandel ab.
Beginnend mit der Regierungszeit des Lipit-Ištar von Isin
(1934–1924) stellen wir auch eine Art von «Bruch» in der Tradierung
der sumerischen Sprache fest. Das nun offenbar nur noch von Spre­
chern mit akkadischer Muttersprache gebrauchte Sumerisch weist im­
mer häufiger Formen und Wendungen auf, die den Anschein erwecken,
als habe der jeweilige Schreiber sein gesprochenes Akkadisch ganz
künstlich-mechanisch ins Sumerische umgesetzt. Dieser «Bruch» be-
trifft aber im wesentlichen das frei und neu komponierte Sumerisch,
wie es in den Bau- und Weihinschriften oder den Königshymnen vor­
kam. Die literarische Tradition, d. h. die durch Abschreiben von Genera-
tion zu Generation weitergegebenen sumerischen Dichtungen älterer
Jahrhunderte waren von einer solchen «Entsumerisierung» zunächst
noch kaum betroffen.
Neben der sumerischen Literatur blühte auch die akkadische. Vom
Heroen Gilgameš, um nur ein Beispiel zu nennen, sind uns aus dem
19. und 18.Jahrhundert v. Chr. Meisterwerke in sumerischer und ak­
110 IV. Utu-hegal, Gudea, die III. Dynastie von Ur
˘
kadischer Sprache überliefert. Die dritte Sprache im Lande, das semiti-
sche Amurritisch, ist dagegen nie Schriftsprache geworden. Das Pre­
stige des eng verwandten Akkadisch war so groß, daß es sich dem
Amurritischen als etwas Selbstverständliches aufdrängte. Einflüsse
der amurritischen Sprache zeigen sich im Akkadischen nur in der Ge-
stalt von allerhand Lehnwörtern.
Es ist nicht möglich, den komplizierten Verlauf der Geschichte in
den etwa 120 Jahren nach dem Rückgang der Macht Isins und bis zur
Regierung Hammurāpis von Babylon im einzelnen zu beschreiben.
Charakteristisch ist die Vielfalt der Staatsgebilde mit Herrschern, die
sich allesamt «König» nannten, sich teilweise vergöttlichen und die
auch eigene Jahresdatenformeln prägen ließen. Für uns heute ist die
Datenformel, mit der eine Urkunde versehen ist, sogar das primäre
Erkennungsmerkmal dafür, zu welchem «Staat» die Herkunftsstadt
der Urkunde gehörte. Dies ist besonders im Falle Nippurs interessant.
Datierte Urkunden zeigen, daß der Besitz dieser zentralbabylonischen
Stadt zwischen 1840 und 1800 wenigstens viermal zwischen Larsa
und Isin wechselte.
Statt weiter Einzeldaten anzuhäufen, verlohnt es, für die Geschich­
te der Jahrhunderte vor Hammurāpi eine für den Historiker ganz un-
erwartete Quelle heranzuziehen. Es sind bestimmte Aussagen der
Omentexte, die dem folgenden Muster entsprechen: «Wenn der Vor­
zeichenbefund (überwiegend auf der Leber eines frisch geschlachteten
Schafes) A ist, dann ist die Folge für den Omensteller (den Herrscher,
hohe Persönlichkeiten, aber auch das private Individuum) B». Die
Struktur dieser Omensätze gleicht im Prinzip genau der Satzfolge
eines «Gesetzes»: «Wenn Tatbestand A, dann Rechtsfolge B». Solche
Omen-Folgesätze können z. B. lauten: «Der König wird seine Würden-
träger töten lassen und deren Eigentum an die Gotteshäuser vertei­
len» (vorbeugende Maßnahme gegen einen übermächtig werdenden
Beamtenklüngel), oder «das Land, das sich gegen seinen ‹Hirten› er­
hoben hat, wird dennoch weiter von seinem ‹Hirten› regiert werden»
(es war kein erfolgreicher Aufstand zu befürchten), oder «man wird
das Stadttor verriegeln, und Unheil wird die Stadt befallen» (drohen­
de Belagerung), oder «der aus der Steppe wird zu mir hereinkommen
und denjenigen, der in der Stadt wohnt, hinaustreiben» (das Schrek-
kensbild vom Überfall durch nomadisierende Amurriter), oder «der
Feind wird Gerste auf ein Schiff laden und als Beute davonführen»
Der Niedergang von Ur III; Isin als Nachfolgerin 111

(Kleinkrieg zweier Nachbarterritorien), oder gar «eine Königstochter


wird Prostituierte werden» (chronique scandaleuse). Manchmal ent­
steht der Eindruck, es handele sich um ein vaticinium ex eventu, d. h.
um die Voraussage auf Grund von etwas schon Geschehenem. Noch
viele weitere Themen kommen in den Omina zur Sprache: Spionage,
Prozeßaussichten, Krankheit und Genesungschance, Ernte und Miß-
ernte, Naturkatastrophen ...
Eine für die extreme Zerspaltenheit nicht nur Babyloniens, sondern
auch des gesamten nördlichen Mesopotamien und Nordsyriens typi-
sche Aussage bietet jenes Stück politischer Philosophie, das ein Ge­
sandter des Königs Zimrã-Lãm von Mari seinem Herrn in einem Brief
vorträgt: «Einen König, der für sich allein mächtig wäre, gibt es nicht.
Hammurāpi von Babylon hat 10, 15 Könige im Gefolge, bei Rãm-Sin
von Larsa, Ibal-pi-El von Ešnunna (im Diyāla-Gebiet) oder Amut-pi-
El von Qatanum (Nordmesopotamien) sind es ebenso viele, und bei
Jarām-Lām von Jamhad (Königreich mit der Hauptstadt Aleppo) sind
˘
es sogar 20 Könige». Jeder war also auf eine größere Allianz angewie-
sen. Nichts könnte besser den Unterschied zu den großen Staatsgebil­
den der Vergangenheit wie Akkade oder Ur III deutlich machen.
V.

«Assyrien», Nordmesopotamien, Nordsyrien

am Anfang des II. Jahrtausends v. Chr.

Unsere Geschichtsdarstellung war bisher stark «babylozentrisch» an­


gelegt. In den Kapiteln 12 bis 14 wurden sehr kurz Mari (am Mittel­
lauf des Euphrat gelegen), Ebla (in Nordsyrien südlich von Aleppo),
das Hābūr-Dreieck und Assur erwähnt, aber doch eher als Gebiete, die
˘
wir aus dem Blickwinkel von Sumer, Babylonien, sahen. Wir müssen
uns von einer solchen historisch nicht berechtigten Sichtweise frei­
machen.

24. Assur und «Assyrien»

Genau genommen ist «Assyrien», wenn wir den von viel jüngeren
griechischen Vorstellungen geprägten Begriff Assyria auf die Zeit vor
1500 v. Chr. anwenden, ein Anachronismus. Denn anders als die
«Stadt Assur» ist ein «Land Assur», also ein wahrhaftiges «Assyrien»,
als politische Größe vor der Jahrtausendwende schwer greifbar. Aller­
dings hat die historische Tradition der Assyrer – gewiß unter dem
Eindruck der Sumerischen Königsliste (vgl. Kapitel 5) – eine «Assyri­
sche Königsliste» geschaffen, um eine seit alters ununterbrochene
Herrschaftsdauer zu dokumentieren. In ihrem zweiten Teil, der die
Zeit vom 15. Jahrhundert v. Chr. an umfaßt, ist die Assyrische Königs-
liste das Rückgrat der altorientalischen Chronologie geworden. Diese
Liste beginnt mit einer Reihe von «Königen, die in Zelten wohnten».
Dies sollte ihre nomadische Abkunft dokumentieren. Man war also
auch in Assur vom Andrang der Amurriter beeindruckt.
Was das spätere «Assyrien» oder das «Land Assur» geographisch
genau umfaßte, läßt sich viel schwerer definieren als der geographi-
sche Raum Babylonien. Assyrien lag nördlich vom Durchbruch des
Tigris durch den Gebirgszug Ǧabal Ḥ amrãn, und es endete, wenn wir
tigrisaufwärts wandern, nördlich von Ninive. Es umfaßte das Land
Assur und «Assyrien» 113

beiderseits der Tigrisnebenflüsse Oberer und Unterer Zāb und hat –


zeitweise – auch die Gegend um Nuzi (unweit vom heutigen Kirkūk)
eingeschlossen. Die Westgrenze jenseits des Tigris war offen gegen
die Steppe der (heute so genannten) Ǧazãra. Aber anders als in Baby-
lonien haben assyrische Könige nach der Jahrtausendmitte immer
betont, daß sie Assyrien «erweitert» hätten. Assyrien hat sich im Ver-
lauf seiner Geschichte weit – schließlich in wahrhaft imperialen Di­
mensionen – ausgedehnt. Es ist also, wie z. B. Preußen, keine geogra­
phisch-territoriale Konstante gewesen. Zu den ältesten Städten des
assyrischen Raumes zählen außer Assur selbst Ninive tigrisaufwärts
(gegenüber dem heutigen Mosul) und Urbilum oder Arbilum (so in
Quellen der III. Dynastie von Ur, assyrisch später Arba᾿il und danach
Arbela, heute das iraqische Irbãl). Es liegt auf halbem Weg zwischen
Oberem und Unterem Zāb.
Inschriften aus Assur sind von Anfang an akkadisch geschrieben,
und zwar in dem von uns heute «Assyrisch» genannten akkadischen
Dialekt. In Ur III war Assur Provinzhauptstadt; doch wissen wir nicht,
wie eng es tatsächlich in das Reich eingebunden war. Das nicht ferne
Urbilum war öfters Angriffsziel der Könige von Ur. Assur lag also
wohl ebenfalls in einer Krisenzone. Bis hinein ins 19. Jahrhundert
v. Chr. befassen sich die Inschriften fast nur mit Baumaßnahmen der
lokalen Herrscher, die sich «Großer» nannten (rubā᾿um – was fast
wörtlich dem sumerischen lugal «große Person, Großer» entspricht).
Noch nichts ließ damals die imperialen Ansprüche ahnen, die die As-
syrerkönige einige Jahrhunderte später anmeldeten. Wir hören noch
nichts von ausgedehnten Kriegsberichten, voll von Siegen und reich
an Greueltaten.
Assur war also zu Beginn des II. Jahrtausends v. Chr. aller Wahr-
scheinlichkeit nach nur ein Stadtstaat und auf keinen Fall ein überra­
gendes politisches Gebilde. Die Stadt lag auf einem den Tigris überra-
genden Hügel, was sie strategisch interessant machte. Aber Assur hat,
wie es scheint, alles ihm Verfügbare nur in den Handel investiert. Es
hat sich – ohne daß diese Analogie überstrapaziert werden darf –
gleichsam als eine uralte Vorgängerin dieser oder jener spätmittelal-
terlichen Hansestadt geriert, wo Handelsreichtum mehr bedeutete als
die Herrschaft über weite Territorien und deren Ausbeutung.
Dieser besondere Status einer altorientalischen Stadt geht nun
nicht etwa aus lokalen Quellen hervor, sondern aus Tontafelarchiven
114 «Assyrien», Nordmesopotamien, Nordsyrien

aus dem Inneren Anatoliens: aus Kaniš nahe dem heutigen Kayseri,
aus der späteren Hethiterhauptstadt Hattuša und aus einigen weite-
ren Fundplätzen. Hier wurden die Archive assyrischer Kaufleute ge­
funden, die in einer Entfernung von 800 bis 1000 Kilometern Luft-
linie von ihrer Mutterstadt einen höchst lebhaften und einträglichen
Handel trieben. Die Handelsstationen hießen kārum; das ist das akka-
dische Wort für «Hafen», «Hafen als Handelsplatz», das man in seiner
sekundären Bedeutung ins trockene Hochland übertrug. Gehandelt
wurde, wenn man es auf eine sehr vereinfachte Formel bringen darf,
mit Textilien und Metall: Import von Zinn nach Anatolien, Export
von Kupfer (aus beiden Metallen wurde ja die vor der Eisenzeit herr­
schende Bronze legiert). Die assyrischen Kaufleute lebten in den
kleinasiatischen «Kolonien» in eigenen Wohngebieten, die dem loka­
len Herrscher unterstanden, wo ihnen aber eine eigene – assyrische –
Gerichtsbarkeit zugestanden war – Handel ohne Rechtsstreit als Be-
gleiterscheinung ist ja undenkbar. Die Assyrer waren im Prinzip will-
kommene Fremde, und sie konnten sich auch auf ihren Karawanen­
routen großer Sicherheit erfreuen. Ein öfters auftretender Konfliktfall
war die – entdeckte! – Zollhinterziehung, wenn Waren auf dem
Schleichweg ins Land gebracht wurden. Die Kaufleute betrieben ihren
Handel privat und auf eigenes Risiko, ohne durch irgendeinen «Pa-
last» gedeckt zu sein.
Für den Transport auf beiden Wegen über die viele Hunderte von
Kilometern langen Routen wurden jeweils eigene Verträge mit Kara­
wanenführern abgeschlossen, und so sind wir auch über viele einzelne
Kontingente genau orientiert. Abgesehen vom Import-Export-Ge-
schäft haben die Assyrer aber auch – z. B. im Kreditgeschäft – mit
Mitgliedern der einheimischen Bevölkerung Kontakt aufgenommen.
Dabei blieb es, wie nicht anders zu erwarten, nicht aus, daß sie auch
Ehen mit Frauen aus den Gaststädten ihrer «Kolonien» eingingen. Ein
uns noch heute rührendes Zeugnis ist der Brief eines Kaufmanns aus
Kaniš nach Assur an seine Braut: Wenn sie sich nun nicht endlich ent-
schließen könne, sich zu ihm auf die Reise zu begeben – und zwar mit
dem zurückkehrenden Boten – werde er eine junge Einheimische zur
Frau nehmen.
Diese etwa ein Jahrhundert währenden Handelsaktivitäten in Ana­
tolien – die Archive bezeugen drei Generationen – brachen Ende des
19. Jahrhunderts v. Chr. ab. Es läßt sich vermuten, doch nicht bewei­
Assur und «Assyrien» 115

sen, daß das immer stärkere Vordringen der Hethiter zu politischen


Störungen geführt hat, die einer weiteren assyrischen Geschäftstätig­
keit den Reiz raubte. Von den Ausgräbern beobachtete Brandschich-
ten in Kaniš und andernorts in Anatolien könnten sogar dafür spre-
chen, daß der assyrische Handel ein gewaltsames Ende gefunden hat.
Damals hat offenbar auch der geistig-kulturelle Einfluß, den «Assy­
rien» auf das Innere Kleinasiens ausgeübt hat, eine Zäsur erlitten.
Solange die Assyrer anwesend waren, hatten sie ihre Schrift und auch
ihre Sprache verbreitet, nicht zuletzt durch Einrichtung einer Schrei­
berschule in Kaniš (und vielleicht auch anderswo). Die «Einheimi-
schen», deren ethnische und sprachliche Identität wir noch nicht be-
stimmen können, haben damals die Keilschrift übernommen: In den
Archiven sind auch Kontrakte überliefert, die «Einheimische» unter-
einander abgeschlossen hatten (in ihrem Akkadisch wird oft Masku-
linum und Femininum verwechselt, was darauf schließen läßt, daß
ihre Sprache diese Genusunterscheidung nicht kannte).
Als zwei Jahrhunderte später die Hethiter ihre Macht in Anatolien
gefestigt hatten und sie begannen, ihre indogermanische Sprache in
Keilschrift zu schreiben, haben sie sich nicht der seinerzeit von den
Assyrern importierten Schriftform (d. h. der Formen und Bedeutun-
gen der einzelnen Zeichen) bedient, sondern sie haben eine andere
Form dieser Schrift übernommen, die aus Syrien stammte und die
vielleicht schon länger in Südostanatolien, nahe der Mittelmeerküste,
in Gebrauch gewesen war. Wie so oft sind wir hier aber auf Mutma-
ßungen angewiesen.
Man könnte fragen, ob das besondere Verhältnis zwischen einer
Mutterstadt wie Assur und weit entfernten Handelsniederlassungen
etwas ganz Vereinzeltes gewesen ist oder ob wir mit guten Gründen
Rückschlüsse auf ähnliche Modelle ziehen dürfen. So könnte man
etwa an ein Netz von Handelsstationen im Hinterland von Elam den­
ken. Tatsächlich ist es wohl öfters vorgekommen, daß eine mesopo-
tamische Stadt von einiger Bedeutung in gewisser Entfernung einen
kārum, also einen «Hafen»-Ort hatte. Das ist z. B. bezeugt für die
babylonische Stadt Sippar, die im 18. Jahrhundert eine Handelsvertre-
tung in Mari besaß (also ca. 350 km euphrataufwärts von Sippar).
Aber der Befund der Tausenden von Handelsbriefen, Transportverträ­
gen, Warenverzeichnissen, Krediturkunden und Gerichtsunterlagen,
der im kleinasiatischen Kanis zutage getreten ist, sucht bisher seines­
116 «Assyrien», Nordmesopotamien, Nordsyrien

gleichen, und wir können zunächst nur seine Einzigartigkeit in der


altorientalischen Handelsgeschichte unterstreichen.

25. Mari und der nordmesopotamisch-nordsyrische Raum

Es ist schwerer, eine zusammenhängende Geschichte von Nordmeso-


potamien und Nordsyrien in dem halben Jahrtausend vom Aufstieg
Akkades bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts v. Chr. zu schreiben als
eine Geschichte Babyloniens während desselben Zeitraums; denn
für den Norden fehlen uns für die wichtigeren Zentren die chronolo­
gischen «Schienen», d. h. die Abfolgen von Herrschern mit möglichst
genau bekannten Regierungszeiten in einer Dynastie oder in mehre­
ren solchen Herrscherreihen. Nun mag es zwar höchst altmodisch er­
scheinen, wenn wir, um eine Geschichte zu schreiben, auf den Herr­
schaftsdaten von Regierenden insistieren. Aber sobald uns das exakte
chronologische Gerüst fehlt, werden wir mit Schrecken gewahr, daß
die aus verstreuten Quellen zu entnehmenden Ereignisse oder die aus
ihnen zu erschließenden sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse –
so sehr sie uns auch interessieren – nur vage im Zeitraum von Jahr-
zehnten schweben.
Mari gehört zu den sehr alten Kult- und Kulturzentren Vorder-
asiens. Seine Anfänge kennen wir nicht. In der vorsargonischen Zeit
ist es den großen Städten Babyloniens ebenbürtig (vgl. Kapitel 12).
Ein Blick auf die Landkarte läßt die Bedeutung von Mari leicht erken­
nen: Es lag wenig südlich der Einmündung des Hābūr in den Euphrat
˘
und kontrollierte die Handelsschiffahrt euphratabwärts, bevor sie Ba-
bylonien erreichte. Mari war bis zu seiner Zerstörung durch Hammu­
rāpi von Babylon selbständig mit Ausnahme eines Jahrzehnts unter
Šamšã-Adad von Ekallātum (und Assur, s. unten S. 118). Es hat einen
so bedeutenden Mann wie Išbi-Erra hervorgebracht, der die Dynastie
von Isin begründete und Ibbi-Suen von Ur III entmachtete. Das Wort
«Mari» scheint übrigens auch in einem – für uns leider nicht näher
definierbaren – Musikinstrument wieder auf, dessen Bezeichnung mi­
rãtum von dem Stadtnamen abgeleitet ist. Die Verbindung von Musik
und Geographie (Polonaise, Ecossaise usw.) ist also uralt.
Während sich die Schriftquellen aus Mari bis ins 20. Jahrhundert
v. Chr. auf meist kurze Königsinschriften und dürre Verwaltungsakten
Mari 117

beschränken (alles akkadisch abgefaßt), haben die Funde im Palast des


19. und 18. Jahrhunderts unser Wissen nicht nur über Mari selbst,
sondern über große, weitreichende Zusammenhänge bis nach Aleppo,
an die Mittelmeerküste, nach Assur, Babylonien, ins Diyāla-Gebiet
und bis nach Elam schlagartig vergrößert.
Der Grund für eine solch unregelmäßige Verteilung unserer Schrift-
funde beruht zwar zu einem guten Teil auf dem Zufall und auf dem
Glück des Ausgräbers, doch nicht ausschließlich. Wenn ein Palast, Hei­
ligtum, Privathaus oder auch eine ganze Siedlung viele Generationen
lang ungestört, d. h. ohne Feindeinwirkung, Brand oder Überschwem­
mung, in Benutzung war, so wurde das angestaute Schriftmaterial der
täglichen Routine (Verwaltungsurkunden, Privatverträge, Gerichts­
urkunden, Briefe: eingehende Korrespondenz sowie die Kopien abge­
sandter Briefe) nicht «ewig aufbewahrt», sondern nach einem gewissen
Zeitraum beseitigt: vergraben, zerschlagen oder im Wasser aufgeweicht
(der fein geschlämmte Ton ließ sich neu verwenden). So kommt es vor,
daß an einem gegebenen Grabungsort eine bestimmte Zeit nur schein­
bar schriftlos geblieben ist. Große Archivzusammenhänge wie die von
Kaniš oder Mari stellen sich in der Forschung am ehesten dann ein,
wenn der Ausgräber auf eine Zerstörungsschicht trifft, die einst einfach
überbaut worden war; wenn also ein Archivbestand am Tage X erstarrt
und durch günstige Bodenverhältnisse (Trockenheit, keine oder nur ge-
ringfügige Beschädigung der Tafeloberflächen durch Bodensalz) bis
heute konserviert blieb.
Die Palastarchive von Mari beleuchten besonders zwei Aspekte der
mesopotamischen Geschichte im ersten Viertel des II. Jahrtausends
v. Chr.: das Verhältnis der seßhaften Macht zu den nomadisierenden
oder auf dem Wege zur Seßhaftigkeit befindlichen Amurritern und
das für seine Zeit perfektionierte Nachrichten- und Spionagesystem,
das uns die diplomatischen Beziehungen und Informationskanäle von
Mari nach Nordwestsyrien, Assyrien, Babylonien, ins Diyāla-Gebiet
und bis nach Elam erschließt. Wir erfahren die Namen amurritischer
Stämme und Unterstämme, hören von Raubzügen, aber auch von
Versuchen, sich mit der – militärisch gewöhnlich überlegenen – seß-
haften Herrschaft durch Friedensschluß-Zeremonien zu arrangieren.
Nomaden können ja zu keiner Zeit unabhängig von den Märkten der
Seßhaften leben, wo sie Gerät, Schmuck und vor allem Grundnah-
rungsmittel wie Mehl erwarben (in Babylonien kamen noch die Dat­
118 «Assyrien», Nordmesopotamien, Nordsyrien

teln hinzu). Die Seßhaften waren bemüht, befriedeten und befreunde-


ten Stämmen Felder zur Verfügung zu stellen und sie – zumindest
saisonweise – an die Scholle zu binden. Die vom Palast abhängigen
Personen zählten, wie aus Namenverzeichnissen hervorgeht, viele
Tausende, und es sind ca. 6000 männliche und weibliche amurritische
Personennamen bekannt. Unsere Kenntnis der Sprache der Amurriter
beruht fast nur auf dem Namenbestand; es gibt zwar einige Dutzend
amurritischer Lehnwörter im Akkadischen; aber das Amurritische ist
nie Schrift- und Literatursprache geworden.
Freilich war im Mari des 19. Jahrhunderts die herrschende Dyna-
stie ebenfalls amurritischer Herkunft, wie uns die Namen der Herr-
scher zeigen: Jahdun-Lãm, Sumu-jamam, Zimrã-Lãm. Doch fühlten
˘
sie sich als Akkader und ganz der sumerisch-akkadischen Tradition
verbunden. Wie häufig auf der Welt haben die Familien bei völliger
kultureller Assimilation noch generationenlang den Namenschatz
des Herkunftsmilieus gepflegt.
Das trifft auch auf einen berühmten Gegenspieler jener Mari-Dy­
nastie zu, Šamšã-Adad (auf Akkadisch) oder Samsã-Hadad (auf Amurri-
tisch), einen Zeitgenossen von Hammurāpi von Babylon. Er stammte
aus der euphrataufwärts von Mari gelegenen Stadt Terqa, war aber ver­
trieben worden und hatte nach seinem Exil in Babylonien in Ekallātum
am Tigris (oberhalb von Assur) Fuß gefaßt. Von dort aus dehnte er sei­
ne Herrschaft auf Assur, das Hābūr-Gebiet und schließlich auch auf
˘
Mari aus, wo er zwischen Sumu-jamam und Zimrã-Lãm ein Interreg­
num schuf. Šamšã-Adad, der sich von Babylonien zum Titel «König des
Alls» hatte inspirieren lassen, hat sich in seinen Inschriften intensiv auf
die Handelsmetropole Assur bezogen und seine Sorge für den dortigen
Kult betont. Die spätere, in der Assyrischen Königsliste verkörperte
historische Tradition der Assyrer hat ihn zu einem der ihren gemacht,
so daß er in vielen unserer heutigen Geschichtsdarstellungen als
«Šamšã-Adad I. von Assyrien» erscheint. Im Gegensatz zu den lokal an­
sässigen Herrschern von Assur hat sich Šamšã-Adad aber immer des
babylonischen, nicht des assyrischen Dialekts des Akkadischen bedient.
Von Šamšã-Adads beiden uns bekannten Söhnen war Išme-Dagān (sein
Nachfolger laut der Assyrischen Königsliste) in jeder Weise als Strate-
ge begabt, während der zum Vizekönig von Mari ernannte Sohn Jas­
mah-Adad sich als Playboy erwies, der sich die anhaltende, oft sarka­
˘
stisch geäußerte Kritik seines Vaters gefallen lassen mußte. Nur selten
Mari 119

erlaubt die keilschriftliche Briefliteratur derart persönliche Einblicke in


das Verhältnis zwischen väterlicher Autorität und jugendlicher Unzu­
länglichkeit.
Wie Hammurāpi von Babylon – aber zweifellos auch viele andere
Herrscher der Zeit – hat sich Šamšã-Adad nicht allein der Diplomatie,
Strategie, dem Bauen und dem Kult gewidmet, sondern er hat sich mit
großer Aufmerksamkeit für Fragen der Landwirtschaft und unzählige
Einzelheiten der Verwaltung, schließlich auch für den gerechten Um­
gang mit den Untergebenen eingesetzt. Ein «assyrischer» Zug seiner
Herrschaft über Mari war, daß er die Jahre nach Eponymen datieren
ließ: Jedes Jahr wurde nach einem bestimmten hohen Beamten be­
nannt. Vor und nach Šamšã-Adads Herrschaft wurden wie in Baby-
lonien Jahresnamen verwendet (vgl. oben S. 91). Es versteht sich, daß
für den heutigen Historiker das Eponymat (das in Assyrien bis ans
Ende des Neuassyrischen Reiches beibehalten wurde) weniger interes-
sant ist als der inhaltlich fast immer vielsagende Jahresname.
Zimrã-Lãm hat den Vizekönig Jasmah-Adad schließlich vertrieben
˘
und Mari noch eine Generation lang als einen der Hauptakteure im
gesamtmesopotamischen Konzert der mittleren und größeren Mächte
wirken lassen. Der von ihm monumental ausgebaute Palast mit herr­
lichen Wandmalereien genoß bis an die Mittelmeerküste die höchste
Bewunderung der Zeitgenossen. Maris große Zeit endete, als es von
Hammurāpi in dessen 33. und 34. Regierungsjahr erobert und zer­
stört wurde (1760–1759).
Die hier nur in äußerster Verkürzung angedeuteten Informationen,
die uns die Palastarchive von Mari beschert haben, lassen überall dort
ein Echo erwarten, wohin Briefe versandt oder woher Briefe einge­
troffen waren. Wir können die Anzahl korrespondenzfähiger, also mit
Schreibern und Schreiberschulen besetzter Städte des Vorderen
Orients im 19. und 18. Jahrhundert v. Chr. kaum hoch genug veran­
schlagen. Nur einige der wichtigsten im nordmesopotamisch-nordsy-
rischen Raum seien hier genannt: Assur, Ekallātum, Šubat-Enlil im
Hābūr-Gebiet, Imar (oder Emar) am «Euphratknie», Tuttul an der
˘
Einmündung des Balãh in den Euphrat, Karkemiš am Oberlauf dieses
˘
Flusses, Halab (das ist Aleppo – der antike Name lebt noch im arabi­
˘
schen Ḥ alab fort), Ugarit am Mittelmeer. Es erscheint aber auch schon
die Oasenstadt Tadmir (heute Tadmur, Palmyra), und die am weite­
ren nach Südwesten gelegene Stadt, die in den Mari-Archiven vor­
120 «Assyrien», Nordmesopotamien, Nordsyrien

kommt, ist Haṣ ura, das alttestamentliche Ḥ āṣ ōr im Hügelland von
˘
Juda.
Akkadisch, und zwar seine babylonische Variante, war die Sprache
des internationalen Verkehrs im 19. und 18. Jahrhundert. Wieweit es
tigris- und euphrataufwärts tatsächlich auch noch Umgangssprache
war, ist schwer festzustellen. Einige nordsyrische Korrespondenten
(bzw. deren Schreiber), die wir aus Mari kennen, verraten durch Un-
geschick, wenn nicht gar Fehlerhaftigkeit beim Gebrauch des Akkadi­
schen, daß sie es nur als zweite Sprache handhabten.
Sicher greifbar sind die Hurriter, deren Sprache möglicherweise
noch heute im Kaukasus Nachfahren hat (vgl. oben S. 32). Personen
mit – meist leicht als solche erkennbaren – hurritischen Namen sind
weit über hundert in den Archiven von Mari anzutreffen (oft in Ar­
beiterlisten, wo sie zusammen mit Amurritern erscheinen). Aber das
Hurritische war auch literaturfähig geworden (und dies im Gegensatz
zum Amurritischen); denn aus Mari sind einige Beschwörungen in
hurritischer Sprache bekannt. In Texten des 18. Jahrhunderts aus Ala-
lah am Orontes, 30 km von der Mittelmeerküste entfernt, kommen
˘
ebenfalls hurritische Personennamen vor. Wenn man sich also an der
Streuung der Namen orientiert, kann man sagen, daß sich die Hurri­
ter im ersten Viertel des II. Jahrtausends v. Chr. von ihren älteren
Siedlungsgebieten östlich vom Tigris stetig nach Westen vorgescho­
ben haben. Ihre große Zeit mit dem Reich von Mittani nach
1500 v. Chr. und mit ihren literarischen Hinterlassenschaften in der
Hethiterhauptstadt Hattuša stand damals aber noch bevor.
Mari 121

VI.

Babylonien im 19.–17. Jahrhundert:

Politik, Recht, Wirtschaft und soziale Verhältnisse,

Literatur, Religion und Kult, Ausblick

Die von uns so genannte I. Dynastie von Babylon hat von ihrem
Gründer Sumu-abum bis zum letzten Vertreter Samsu-ditāna
300 Jahre gewährt (1894–1594). Zu ihrer Zeit war ohne Zweifel Ham­
murāpi (1792–1750) eine der eindrucksvollsten und bis heute auch
wohl am besten bekannten Gestalten des Alten Orients (anstelle von
«Hammurāpi» erscheint in den gängigen Geschichtsdarstellungen
auch «Hammurabi»). Er verdankt seinen Nachruhm der großen Stele
mit seinem «Codex» (s. unten S. 123 ff.). Hammurāpis Dynastie hat
den Namen Babylon für alle Zeiten berühmt gemacht. Ganz ähnlich
wie Akkade seinen Namen auf seine Sprache übertragen hat, wurde
Babylon zur Verkörperung einer ganzen Landschaft, eben jenes grie­
chischen «Babylonia». Die Stadt hieß ursprünglich Babilla; aber dieser
Name war schon zur Zeit von Ur III auf dem Wege der in Mesopota­
mien allzeit beliebten etymologischen Spekulation umgedeutet wor-
den zu Bāb-ili(m) «Tor des Gottes», «Gottestor».

26. Politik

Die I. Dynastie von Babylon hat bescheiden begonnen. Als 1894 ein
Mann amurritischer Herkunft namens Sumu-abum König wurde,
hatte er zunächst noch nicht einmal das nur 22 km entfernte Kiš unter
sich. Aber Kiš war selbst kein bedrohlicher Nachbar mehr, und seine
Größe in der vorsargonischen Zeit lag fast ein halbes Jahrtausend zu-
rück. Erst Hammurāpis Vater Sin-muballiṭ und dann Hammurāpi
selbst vermochten durch geschicktes Spiel auf dem Instrument der
Koalitionspolitik zu größerer Macht zu gelangen. In seinem 30. Jahr
eroberte Hammurāpi Larsa und bereitete der dortigen Dynastie ein
122 VI. Babylonien im 19.–17. Jahrhundert

Ende. Sein Gegner, Rãm-Sin, war ein Greis, der auf eine sagenhaft lan-
ge Regierungszeit von 60 Jahren zurückblickte. Hammurāpi installier-
te seine Verwaltung und war bemüht, so wenig wie möglich an den
bestehenden Verhältnissen zu ändern. Wir wissen das aus seiner Kor­
respondenz, die er mit dem Gouverneur von Larsa führte. In der Da-
tumsangabe seines 30. Regierungsjahres feierte Hammurāpi den Sieg
mit der gewichtig-altertümlichen Formel, daß er «die Grundlagen von
Sumer und Akkad gefestigt» habe.
Drei Jahre danach eroberte Hammurāpi Mari, wo er zerstörte, statt
zu integrieren. Wir wissen nicht, was sich wirklich abgespielt hat. Im
Prolog seines «Codex» führt Hammurāpi uns in langem Bogen, be­
gleitet von kunstvoll gewählten Herrscherepitheten, 24 Städte auf, die
ihm Untertan waren oder denen er zumindest seine Gunst und die
Verehrung der lokalen Gottheiten habe angedeihen lassen: Von Süd­
osten nach Nordwesten waren das Eridu am Persischen Golf, Ur, Lagaš
und Girsu, Zabalam, Larsa, Uruk, Adab, Isin, Nippur, Keši, Dilbat, Bor­
sippa, Babylon selbst, Kiš, Malgium, Maškan-šapir, Kutha, die Stadt
des Totengottes Nergal (vgl. oben S. 86), Sippar, Ešnunna im Diyāla-
Gebiet, Mari, Tuttul am Balãh, Assur und sogar noch Ninive. Hier tre­
˘
ten uns – und sei auch die Hälfte nur Rhetorik und nicht Realität –
geographische Proportionen entgegen, die an die Größe von Akkade
gemahnen.
Schon unter Hammurāpis Sohn Samsu-iluna (1749–1712) ist das
Reich wieder geschrumpft. Nicht nur revoltierte in jahrhundertealter
Tradition der «Süden» – und wenn er längst nicht mehr sumerisch
war, so ist doch die geistige Distanz des «Südens» zum «Norden» er-
halten geblieben; es treten vielmehr unter Samsu-iluna zum ersten
Mal auch Vertreter eines Volkes in den Gesichtskreis der Geschichte,
die – ähnlich wie die Hurriter – eine große Zukunft hatten: die Kassi-
ten. Sie waren keine ephemeren Störenfriede wie einstmals die Gutä-
er gegen Ende des Reiches von Akkade. Anfangs wohl gefürchtete
Feinde, gegen die Samsu-iluna im Diyāla-Gebiet eine Festung «Sam­
su-iluna-Burg» erbauen ließ, haben sich die Kassiten dann mit den
Babyloniern arrangiert, bis sie ganz und gar dem Sog und der Faszina-
tion der mesopotamischen Kultur erlegen waren.
Recht 123

27. Recht

Der Text des Codex Hammurāpi befindet sich auf einer 225 cm hohen
Stele aus Basalt, bekrönt von einer Bildszene: Der König steht in Ge­
betshaltung vor dem sitzenden Sonnengott Šamaš von Sippar, dem
Gott des Rechts. Die Stele ist ein Kunstwerk, und als solches wurde
das Denkmal während eines Krieges nach Susa in Elam verschleppt
(vgl. oben S. 88 zur Stele des Narām-Suen von Akkade), wo es 1890
bei französischen Ausgrabungen entdeckt wurde. Der den Mittel- und
Unterteil bedeckende, in einer regelmäßigen und ästhetisch ungemein
ansprechenden Schriftform eingemeißelte Keilschrifttext enthält 280
Entscheidungen oder «Paragraphen» (die Zählung, z. B. § 10, ist mo­
dern). Dieser eigentliche Gesetzesteil ist umrahmt von einem Prolog
und Epilog. Die Sprache ist altbabylonisches Akkadisch in einer ma-
kellos fehlerfreien Form. Die erste gelehrte Publikation 1902 hatte ge­
wichtige Folgen: Es wurde ein besonderer Zweig der antiken Rechts-
geschichte begründet, die «Keilschriftrechte»; und die damals noch
junge Wissenschaft der Assyriologie wurde mit einem Mal gewahr,
daß es so etwas wie eine «klassische» Sprache gegeben hatte, von
mustergültiger Klarheit und Regelmäßigkeit und einer ganz uner-
warteten Prägnanz der Aussage. Damit gelangte die akkadische Philo­
logie auf eine solide Grundlage.
Die juristische Thematik des Codex Hammurāpi betrifft, wenn man
es gerafft darstellt, die folgenden Gegenstände: falsche Anschuldigung,
korrupte Rechtsprechung. – Diebstahl, Hehlerei, Raub, Plünderung,
Einbruch. – Mord, Totschlag und Körperverletzung, Entführung. – Die
Rechte und Pflichten palastabhängiger und für öffentliche Dienste (ein­
schließlich Kriegszug) verfügbarer Landpächter. – Haftung bei Schäden
durch unsachgemäße Bewässerung, Flurschaden durch Weidevieh,
Baumfrevel in Dattelgärten. – Rechtsfälle bei Handelsunternehmen
und insbesondere das Verhältnis zwischen Kapitalgeber und dem über
Land reisenden Kaufmann; Veruntreuung von Waren. – Hinterlegung,
Zins bei Darlehensgeschäften, die Rechtsstellung der (auch als Kredit­
geberin tätigen) Schankwirtin. – Sklavenrecht: Lösegeld, Schuldsklave­
rei, Flucht, Kauf und Freilassung, Anfechtung der Sklaveneigenschaft.
– Personen-, Tier- und Schiffsmiete mitsamt Tarifempfehlungen, Ver­
stöße von Lohnarbeitern, Haftung bei Stößigkeit eines Stieres. – Fami­
124 VI. Babylonien im 19.–17. Jahrhundert

6 Stele mit dem «Codex Hammurāpi» (Oberteil). Der König vor dem

thronenden, eine «Hörnerkrone» tragenden Richtergott,

aus Susa (sekundäre Fundlage, Beutestück der Elamer).

Basalt, Gesamthöhe 225 cm. Heute Musée du Louvre, Paris.

Recht 125

lienrecht: Brautpreis, Mitgift, Eigentum der verheirateten Frau, Stel­


lung von Haupt- und Nebenfrau und von deren Kindern, Scheidung,
Adoption, Ammenvertrag, Erbrecht.
Ein ähnliches, eine Generation älteres, aber viel kürzeres Kompen-
dium von Rechtssätzen stammt aus Ešnunna im Diyāla-Gebiet. Ham­
murāpi, der sein Werk «Rechtssprüche der gerechten Ordnung» (dã-
nāt mãšarim) nannte, betont im Epilog ausdrücklich, daß die Samm-
lung für Personen gedacht war, die der Rechtshilfe bedurften. Ob sei­
ne «Gesetze» bindende Kraft im Sinne moderner Rechtserlasse hatten,
ist nach wie vor in der Forschung umstritten, aber im ganzen nicht
sehr wahrscheinlich. Der Codex Hammurāpi war im übrigen keine
völlig eigenständige Neuschöpfung; er stand in einer langen, minde-
stens auf den Codex Ur-Namma (s. oben S. 99 f.) zurückreichenden
Tradition. Doch stellt er die bei weitem umfangreichste Sammlung
von Rechtssätzen dar, die aufeinander in einem sinnvoll angeordneten
System folgen. Ein Rechtssatz fordert nicht selten – stillschweigend –
zur analogen Anwendung auf eine nicht genannte Rechtsmaterie auf,
so daß der gelegentlich gegen den Codex Hammurāpi erhobene Vor­
wurf, er sei unvollständig, ganz unberechtigt ist. Ein besonderer Zug
dieses Codex ist die gegenüber seinen Vorgängern zu konstatierende
außerordentliche Härte des Strafmaßes und das oft angewendete
Prinzip der Vergeltung von Gleichem mit Gleichem (ius talionis).
Das Recht und die Rechtspraxis sind allerdings – wie auch in den
vorausgehenden und den folgenden Perioden – umfangsmäßig in
noch viel höherem Maße durch Privatverträge und Gerichtsurkunden
bezeugt. Die wichtigsten Zweige sind das Darlehenswesen (Kreditauf-
nahme bei einem Gläubiger), Kauf (hauptsächlich von Immobilien
oder Sklaven), Feldpacht und Adoption samt den daraus resultieren­
den Streitigkeiten, die in genau geregelter Prozedur vor Gericht aus­
getragen wurden. Wichtig war die genaue Identifizierung der Parteien
(durch den Namen des Vaters, Angabe des Berufs oder beides), die Be-
urkundung vor Zeugen und die Datierung nach Monat, Tag und Jahr.
Nichterfüllung oder unberechtigte Anfechtungen eines Vertrages
konnten schwere Strafen nach sich ziehen (z. B. Versklavung bei Zah­
lungsunfähigkeit). Die Partei, die laut Vertrag eine Verpflichtung ein-
ging oder ein Recht aufgab, rollte im weichen Ton ihr Siegel ab. Als
Siegelersatz konnte der Abdruck des Gewandsaumes oder bei den Är-
meren der Eindruck des Fingernagels gelten. Für die endgültige Ent­
126 VI. Babylonien im 19.–17. Jahrhundert

scheidung eines Rechtsfalles wurden die Parteien vor einem Götter-


symbol vereidigt, und es ist öfters bezeugt, daß eine Partei aus Furcht
vor den – psychisch verheerenden – Folgen eines Meineids eine Klage
zurückzog und ein beanspruchtes Recht aufgab. Auch viele Privat­
briefe reflektieren Rechtsangelegenheiten – von kläglichen Hilferufen
aus der Schuldhaft bis zum selbstsicheren Verkünden der Prozeßbe-
reitschaft.
Der Weg von relativem Wohlstand ins Elend war schnell beschrit­
ten: Krankheit und Tod, Überschwemmung, Dürre und Mißernte
zwangen zur Aufnahme von Darlehen in Silber oder Korn mit den
Jahreszinssätzen von 20 % bei Silber und 331/3 % bei Korn. Um einer
massiven Verelendung der Bevölkerung vorzubeugen, verfügten Kö­
nige der altbabylonischen Zeit immer wieder Schuldenerlasse. Nur
einer von diesen ist im weitgehend vollen Wortlaut erhalten; er
stammt von Hammurāpis viertem Nachfolger Ammi-ṣ aduqa (1646–
1626 v. Chr.). Diesem Edikt zufolge wurden annulliert: aus Privatdar-
lehen erwachsene Schulden in Silber und Korn; Steuerrückstände, die
bestimmte Beamte dem Palast schuldeten und die diese Beamten ihrer-
seits bei der Bevölkerung eintrieben; Bier und Korn, das die Schank­
wirtin verborgt hatte (sie selbst wurde zum Ausgleich von Abgaben
an den Palast befreit); ehemals freie Schuldsklaven (nicht Sklaven, die
ihren Status von Geburt an innehatten) wurden freigelassen. Wir
zählen die weiteren Bestimmungen nicht lückenlos auf. Viele der ein-
zelnen Anordnungen wurden mit dem Satz «weil der König für das
Land gerechte Ordnung erlassen hat» begründet. Im Gegensatz zu
den Rechtscodices, bei denen wir die Frage nach ihrer innewohnenden
bindenden Kraft nicht mehr sicher beantworten können, dürfen wir
Erlasse wie den des Ammi-ṣ aduqa für rechtskräftig ansehen; denn es
wird in zahlreichen Vertragsurkunden der altbabylonischen Zeit aus­
drücklich auf derlei königliche Erlasse hingewiesen.

28. Wirtschaft und soziale Verhältnisse

Nichts könnte das Wesen der altmesopotamischen Wirtschaft auf dem


Boden Babyloniens besser illustrieren und resümieren als eine be-
stimmte Art von Ur III-zeitlichen und altbabylonischen literarischen
Texten: In ihnen wird davon berichtet, daß eine Stadtgottheit (im Fall
Wirtschaft und soziale Verhältnisse 127

von Ur der Mondgott Nanna) kurz vor Jahresbeginn nach Nippur


reist, um sich für das kommende Jahr vom Hauptgott Enlil die Seg-
nungen und festen Zusagen für den Herrscher und sein Land zu ho-
len. Das von Enlil gegebene «feste Versprechen» (der Ausdruck – su-
merisch nam-tar – wird auch als «Schicksalsentscheidung» übersetzt)
hat zum Inhalt die Sorge um die Kontinuität der Thronfolge, um
Kriegsmacht und Tributeingang; reiche Opfergaben; um das pünkt-
liche Eintreffen des Frühjahrshochwassers als Voraussetzung für die
lebensnotwendige Bewässerung; das Instandhalten von Deichen und
Kanälen, so daß es «Wasser im Überfluß» gibt; reichen Fischfang; üp­
piges Wachstum auf den Feldern, in den Palm- und Gemüsegärten;
eine ersprießliche Viehwirtschaft (Rinder, Schafe, Ziegen – Schweine
spielten nur eine untergeordnete Rolle; Geflügel ist bezeugt, wird hier
aber nicht erwähnt) mit reichem Nachwuchs und üppigen Molkerei-
erzeugnissen. Hier ist alles aufgeführt, was um 2000 v. Chr. als lebens-
notwendig erachtet wurde – lebensnotwendig für den Herrscher und
seine Umgebung wie auch für jeden in der breiten Masse der Unterta­
nen.
Das aus der Literatur bezeugte Bild spiegelt sehr genau die kon-
kreten Verhältnisse wider, und dies nicht allein in der hier angespro-
chenen altbabylonischen Periode, sondern zu fast allen Zeiten der
altmesopotamischen Geschichte. Die Kontinuität des Herrscherhau-
ses war von höchstem Interesse, weil sie im Prinzip Sicherheit, vor
allem wirtschaftliche Sicherheit garantierte. Diese Kontinuität ist in
der Sumerischen Königsliste zum Ideal erhoben worden (vgl. oben
Kapitel 5). Jegliche gewaltsame Störung in der Herrschernachfolge,
ob nun durch familieninternen Königsmord oder durch Usurpation
oder Entthronung durch eine auswärtige Macht, brachte den steten
Fluß landwirtschaftlicher Tätigkeiten, der Handelsunternehmen oder
des Kultkalenders (auch er mit seinen Festen in ausgeprägtem Maße
wirtschaftsbezogen) in Unordnung – und das mit Folgen, unter
denen, wie üblich, die Schwächsten am meisten zu leiden hatten.
Was den Tributeingang betrifft, so war das notorisch rohstoffarme
südliche Mesopotamien für Metalle jeder Art, wertvolle Steine und
Nutzholz ganz auf Import angewiesen, und die billigste Form des
«Imports» war der durch militärische Überlegenheit erzwungene
regelmäßige Tribut. Fast alle Vorstöße mesopotamischer Herrscher,
die über die Ebene hinausführten, waren Handelskriege.
128 VI. Babylonien im 19.–17. Jahrhundert

Das Opferwesen, d. h. – wie sehr es auch damals schon als Fiktion


bewußt gewesen sein mag – Kleidung, Speisung, Tränkung und
Schmückung der Götter(statuen), kann in seiner Bedeutung gar nicht
hoch genug angesetzt werden. Es ging ja nicht um symbolisches An­
deuten der Götterpflege, sondern es waren täglich handfeste Quanti­
täten im Spiel – formal für die Götter, letzthin aber für den Klerus
und seinen Anhang und anläßlich von Festen zweifellos auch für
einen weiteren Konsumentenkreis bestimmt. Wo viel Vieh geschlachtet
und geopfert wurde, schloß sich notwendigerweise eine verarbeitende
«Industrie» an: das Häuten, Gerben, die Herstellung von Lederwaren,
Fellen, Decken, Taschen usw. Der riesige Viehhof von Puzriš-Dagān
bei Nippur (vgl. oben S. 103) war zwar primär Opferlieferant für die
Heiligtümer von Sumers zentraler Kultstätte, doch zugleich auch ein
komplizierter, aber vorzüglich funktionierender Wirtschaftsbetrieb.
Die Landwirtschaft war in Babylonien, wie schon oft betont wurde,
gänzlich von der künstlichen Bewässerung abhängig. Das Bewässern
erforderte hohes technisches Geschick: richtige Dosierung des zuge­
führten Wassers, Frequenz je nach Wetterlage, gleichzeitige Drainage
des Bodens, um der stets drohenden Bodenversalzung durch vom Was­
ser mitgeführte Sedimente vorzubeugen, Überwachung und Instand-
haltung der Kanäle, Gräben, Schleusen und Deiche. Nicht umsonst war
«Kanalinspizient» (sumerisch gú-gal, akkadisch – als Lehnwort – gu­
gallum) auch ein Epithet von Wetter- und Bewässerungsgöttern.
Grundprodukt des Ackerbaus war die Gerste für den täglichen Be­
darf an Brot und Bier; andere Getreidesorten – Emmer, Weizen – tra-
ten demgegenüber stark zurück. Gerste war somit auch der grundle-
gende Wertmesser in der Verrechnung. Zwar bestand ein dem
monatlichen Kurs unterworfenes Verhältnis zum Silber: das Ideal
war 1 Schekel Silber (ca. 8,4 g) = 1 Kor (= 300 Liter) Gerste. In der
Praxis, zumal im alltäglichen Inlandsverkehr, war jedoch der «Um­
lauf» des – noch ungemünzten! – Silbers gegenüber dem des Getrei­
des gering. Silber kam in Ringform auf den Markt, wurde nach Be­
darf vom Ring abgebrochen, nachgewogen und endete – in kleinsten
Mengen – als «Hacksilber», als welches es wieder zu größeren For-
maten umgeschmolzen werden konnte.
Wirtschaftlich zerfiel Babylonien nach wie vor in drei Bereiche: Pa-
last (mitsamt seinen Domänen), die Tempel (mitsamt ihren Domä­
nen) und den privaten Sektor. Die ersten beiden Bereiche waren je
Wirtschaft und soziale Verhältnisse 129

nach Gestaltung der Staatsverhältnisse mehr oder weniger eng mit-


einander verflochten, während sich der private Sektor stärker absetz­
te. Aber auch der sakrale Bereich – die Tempel – war nicht mehr gänz-
lich gegen den privaten Sektor abgeschirmt. Ein bemerkenswerter
Zug des 18. Jahrhunderts ist eine Tendenz zur Säkularisierung, ja Pri-
vatisierung göttlicher, d. h. tempeleigener Bereiche. Es beginnt ein
lebhaftes Pfründenwesen aufzublühen. Tempeleinnahmen wurden in
verstärktem Maße von privater Hand gepachtet, und wenn zwar auch
der Pächter zuvor eine namhafte Summe einzulegen hatte, die dem
Tempel zufloß, so kam er doch in der Folgezeit reichlich auf seine Ko-
sten, und das eingelegte Kapital amortisierte sich schnell.
Verglichen mit den Urkunden der Zeit der III. Dynastie von Ur (und
älterer Zeiten) ist die Dokumentation für privates Eigentum an Feld
und Flur in der altbabylonischen Zeit überwältigend. Vor allem ist
dieses private Grundeigentum, wie uns die Kaufverträge lehren, nun-
mehr individualisiert und herausgelöst aus älteren Strukturen, wo der
Familienverband, die Großfamilie, ungeteilter Grundeigentümer war.
Aber auch die Grenze zwischen Palast und privatem Sektor ver­
wischt sich gelegentlich, wenn wir die Entwicklung einer ilkum ge-
nannten, vom Palast gegen Dienstpflicht vergebenen Kleinsteinheit
von Haus, Acker und Dattelpalmgarten betrachten. Obwohl theoretisch
nicht von der Krone lösbar und privat nicht vererbbar, konnte der Sta­
tus eines ilkum doch in der Praxis, wenn es mehrere Generationen lang
in derselben Familie blieb, dem Privateigentum nahekommen. Für den
Palast war es einfacher, ein gut eingespieltes Dienst-Pacht-Verhältnis
auf den Sohn zu übertragen als auf dem Wege komplizierten (Papier-)
«Tonkrieges» einen neuen Dienstpächter ausfindig zu machen und
überdies den verflossenen oder dessen Erben neu zu versorgen. Leider
ist die Urkundendokumentation viel zu dünn, als daß wir eine so wich-
tige Erscheinung wie die Privatisierung von Palasteigentum anhand
von zahlreichen Textzeugnissen demonstrieren könnten.
Jeder Untertan des Herrschers war im Prinzip dessen «Sklave»,
wenn wir die Selbstbezeichnung der Untertanen (z. B. in Briefen, die
an den König gerichtet waren) wörtlich nehmen. Dies ist aber gleich­
wohl möglich, wenn wir bedenken, wie schnell das Recht des einzel-
nen seine Grenze vor der Herrscherwillkür erreichte. Auf der anderen
Seite war der Herrscher gut beraten, wenn er dem Untertanen nicht
allzu unbesonnen jeglichen Freiraum nahm; denn der Konsens der
130 VI. Babylonien im 19.–17. Jahrhundert

Untertanen, was ihren natur-, d. h. damals gottgegebenen Status an-


betraf, durfte nicht überstrapaziert werden, sollte er nicht in Revolte
umschlagen. Wie dem aber auch sei, die Herrschaft eines Königs über
seine Untertanen war das einzig verfügbare Denkmodell für die Exi­
stenzberechtigung des Menschen. Wir würden uns, wenn wir irgend­
welche Zweifel an diesem Modell auch nur erwägen würden, eines
schlimmen Anachronismus schuldig machen.
Neben diesem Herrscher-Sklave-Verhältnis zwischen dem König
und seinen Untergebenen gab es seit eh und je die grausam-reale Skla­
verei, d. h. das Verschwinden jeglicher frei entfaltbarer Individualität
unter einer schwer lastenden, alles Freie erdrückenden Knechtschaft.
Der Sklave war im Prinzip eine Sache, mit welcher der Herr oder die
Herrin nach Belieben – und fast ohne Gebundensein an irgendwelche
höhere Gewalt – schalten und walten konnte. Im Prinzip war Sklaverei
allerdings zweigeteilt: Es gab den auf dem Markt erworbenen fremd­
ländischen, oft kriegsgefangenen Sklaven, der unablösbares Eigentum
seines Inhabers wurde; dem stand der Schuldsklave gegenüber, jemand,
der mangels Zahlungsfähigkeit einem Gläubiger in die Hände gefallen
war oder der sich sogar selbst – im schriftlichen Formular eines regel-
rechten Kaufvertrages – verkauft hatte (an seine Statt konnte auch ein
Familienmitglied treten – so war Kindsverkauf aus Not ebenso traurige
wie häufige Realität). Diese zweite Kategorie von Sklaven konnte jeder-
zeit freigekauft oder auch durch königlichen Erlaß wieder aus dem
Sklavenstand herausgehoben werden.
Wie in den meisten antiken und modernen Gesellschaften gab es
neben den gewöhnlichen Bürgern eine Oberschicht, der man mit De­
finitionsversuchen schwer beikommt. Im Codex Hammurāpi wird bei
vielen Bestimmungen unterschieden, ob ein awãlum, ein muškēnum
oder ein wardum «Sklave» betroffen war. Awãlum ist zwar im Prinzip
«jemand» ohne irgendwelche Statusbestimmung; aber das Wort läßt
sich in bestimmten Zusammenhängen auch in der eingeengten Be-
deutung als «jemand von Familie» wiedergeben. Muškēnum ist in
seiner Bedeutung nach wie vor umstritten; auf jeden Fall gehörte er
der freien Bevölkerung an, und der Vorschlag von F. R. Kraus, in ihm
den normalen Bürger überhaupt zu sehen, hat viel für sich. Das akka­
dische Wort hat freilich auch eine Bedeutungsabwertung erfahren in
Richtung «unvermögend, kümmerlich», und über das Aramäische
und dann das arabische miskãn «arm» ist es schließlich als mesquino,
Literatur 131

mesquin «armselig» ins Italienische und Französische gelangt. Wer


nun awãlum im engeren Sinne war und wer nicht, ist zweifellos jedem
Zeitgenossen in seiner Stadt bekannt gewesen; wir können es dagegen
heute nicht mehr aus den Quellen herauslesen. War etwa ein bedeu-
tendes Vermögen an Grundbesitz, Geld und Handelsware ausschlag­
gebend oder auch geistige Leistung oder hohe Rangstellung? Wir wis­
sen nicht, ob ein Schreiber, der Träger eines hohen Amtes oder einer
gehobenen priesterlichen Funktion awãlum waren.

29. Literatur

Das Jahrhundert Hammurāpis und zwei oder drei seiner Nachfolger


ist in der altmesopotamischen Geschichte ein besonders geeigneter
Zeitpunkt, die sumerische und akkadische Literatur zur Sprache zu
bringen. Denn der Fundzufall will es, daß uns ein Großteil der Werke
der sumerischen Literatur und auch viele akkadische Werke aus Ton­
tafelexemplaren eben dieser Periode bekannt sind. Das heißt nicht,
daß sich das betreffende Jahrhundert durch eine besonders hohe lite-
rarische Kreativität ausgezeichnet hätte. Die uns erhaltenen Litera-
turwerke sind zu einem guten Teil Abschriften älterer Tafeln, also Be­
standteil eines schon langen Überlieferungsstromes. In Einzelfällen
ist uns ein Literaturwerk bereits aus Textexemplaren (oder Fragmen-
ten) der vorsargonischen, der Ur III- und dann aus der altbabyloni­
schen Zeit bekannt. Sehr bemerkenswert ist, daß Werke, die aus ganz
verschiedenen Herkunftsorten auf uns gekommen sind (z. B. aus Nip­
pur, Kiš, Ur und sogar aus Susa in Elam), im Wortlaut meist nur ge-
ringfügig voneinander abweichen. Das war nur möglich, wenn es
einen von den politischen Zeitläuften unabhängigen Konsens der weit
verstreuten Schreiberschulen gegeben hat.
Typenmäßig ist die sumerische und akkadische schöne Literatur weit
gefächert. Es ist zwar ein fragwürdiges Unterfangen, unsere heutigen,
zu einem großen Teil aus der griechisch-römischen Antike bezogenen
Gattungsbezeichnungen (z. B. Epos, Hymnus) auf eine viel ältere Peri­
ode zu übertragen; doch können wir nicht umhin, weitgehend von die-
ser unserer rezenteren Terminologie Gebrauch zu machen. Die Epik,
Erzählungen über Menschen, Helden als die Haupthandelnden, kreist
zu einem guten Teil um frühe legendäre Könige von Uruk, Gilgameš
132 VI. Babylonien im 19.–17. Jahrhundert

und seine Vorgänger Enmerkar und Lugalbanda. Die Gestalt des


Gilgameš ist auch von den Akkadern rezipiert worden. Während die
sumerische Literatur einzelne und noch eigenständige Gilgameš-Dich­
tungen kennt, sehen wir beim akkadischen «Gilgameš» deutliche An­
sätze zur Eingliederung der Teile in ein ganzes zusammenhängendes
Werk, den Vorläufer des klassischen Zwölf-Tafel-Epos. Die sumerische
und akkadische Epik ist stark mit märchenhaften Zügen ausgestattet, so
daß die Trennung zwischen «Epos» und «Märchen» manchmal schwer­
fällt. Ebenso stark wie das Heldenepos ist die mythologische Epik ver­
treten, d. h. Erzählungen von Göttern als den Haupthandelnden. Es sind
dort grundsätzliche den Menschen bewegende Fragen angeschnitten
und vielleicht auch – für den damaligen Zuhörer – befriedigend beant-
wortet: die Entstehung der Welt und die Erschaffung des Menschen,
die Unausweichlichkeit des Todes, das Aufblühen und Vergehen der
Vegetation.
Bei weitem am häufigsten unter den sumerischen Literaturwerken
ist das Preislied, das im wesentlichen in drei Typen kommt: der an
eine Gottheit gerichtete Götterhymnus, der den regierenden Herr­
scher preisende Könighymnus (vgl. oben S. 105); eine Sammlung sehr
kurzer, nur jeweils wenige Zeilen umfassender Tempel-Preislieder ist
schon in der vorsargonischen Zeit nachweisbar. Von König Šulgi
(III. Dynastie von Ur) sind wenigstens 26 verschiedene Hymnen
überliefert, von Išme-Dagān von Isin fast 30. Eine andere Gattung
sind die Klagelieder, unter denen besonders bemerkenswert solche
Klagen sind, die an ein historisches Ereignis anknüpfen wie die «Klage
um die Zerstörung von Ur» am Ende der III. Dynastie (vgl. oben
S. 107). Eng mit dem Kult der Inanna/Ištar verbunden waren Klagen
um das Verschwinden einer Gottheit, vornehmlich von Dumuzi, dem
Hirtengott und Geliebten der Inanna; sie konnten zugleich das Ver-
dorren der Frühjahrsvegetation in der Dürre des Sommers symbo­
lisieren.
Erzeugnis des intellektuellen Milieus der Schulen sind Schulsatiren
und die ältesten Rangstreitdichtungen der Weltliteratur mit Kontra­
henten wie «Sommer und Winter», «Mutterschaf und Getreide»,
«Dattelpalme und Tamariske», «Hacke und Pflug», «Silber und Kup­
fer» und anderen. Zur «Weisheitsliteratur» zählen Fabeln, Rätsel und
große Sammlungen von Sprichwörtern, zur «Magischen Literatur»
Beschwörungen und Liebeszauber. Damit ist nur ein Teil des reichen
Literatur 133

Bestands an sumerischer und akkadischer schöner Literatur – und


auch nur in allerknappster Form – vorgeführt.
Sumerischer oder akkadischer literarischer Text läßt sich unschwer
von «Prosa» unterscheiden, wie sie in Briefen, Edikten, Gerichtsur­
kunden, in den Vorder- und Nachsätzen der «Gesetze» oder Omen­
texte, in Rezepten, mathematischen Aufgabentexten oder im Formu-
lar der verschiedenen Vertragstypen vorkommt. Die Literatursprache
ist geprägt durch erlesene Wortwahl, Parallelgliederung von Satztei­
len, kunstvolle Wiederholung und auch Steigerung, von Klangbil-
dern, die sich selbst uns noch durch unsere in Lateinschrift gefertigten
Umschriften der Keilschriftoriginale offenbaren; aber auch durch un­
verkennbare Rhythmik, die freilich noch keine veritablen Versmaße
im klassischen griechisch-lateinischen Sinn darstellt.
Zur «Literatur» im weiteren Sinne gehört ein großer weiterer Be-
reich: zunächst die sogenannten «Königsinschriften», zumeist In-
schriften, die anläßlich eines vollendeten Baus oder beim Dedizieren
einer Weihgabe verfaßt wurden (und die neben dem eigentlichen In­
schriftenzweck auch lange historische Exkurse enthalten können). Sie
sind oft in einer Art von Kunstprosa abgefaßt und stehen zwischen
schöner Literatur und Alltagsprosa. Zwei große Gebiete müssen je-
doch ganz besonders nachdrücklich hervorgehoben werden: die
Omenkunde (vgl. schon oben S. 110 f.) und die Lexikographie. Omen­
texte sind – Zufall oder nicht – bisher ausschließlich auf Akkadisch
bezeugt, obwohl das Omenstellen, z. B. anhand der Leber eines frisch
geschlachteten Schafes, durchaus auch sumerisches Kulturgut gewe­
sen ist. Im Verlauf vieler Jahrhunderte und zweifellos im unerschüt-
terlichen Glauben daran, daß die Götter «Zeichen» gesetzt haben, aus
denen man die Zukunft bestimmen konnte, haben Opferpriester,
Fleischbeschauer, Vogelflugbeobachter, Traumdeuter, später auch
Sternbeobachter ganz bestimmte Befunde mit einer allgemeinen – po-
sitiven oder negativen – Aussage verbunden, die für diejenigen, die
ein Orakel anstellten, von verbindlicher Aussagekraft war. Es gab
noch kein überlegenes «Augurenlächeln» – wenn uns nicht alles
täuscht. In den Omina sind höchst raffinierte Bezugs- und Entspre-
chungssysteme konstruiert worden, in denen man heute – vielleicht
übereifrig – Vorläufer philosophischer Systeme sehen möchte. Indes
sind Omensammlungen durchaus kleine gedankliche Kunstwerke in
sich, und es ist antiken Omenkompilatoren zu bescheinigen, daß sie
134 VI. Babylonien im 19.–17. Jahrhundert

sehr viel von Analogie und Abstraktion, also denn doch von vor-phi-
losophischen Verfahrensweisen, Gebrauch gemacht haben.
Die lexikalische «Literatur», wenn wir sie so nennen dürfen, ist ein
nicht minder weit gespanntes Gebiet. Alles ist hier in der Form von
Schriftkolumnen oder Listen angeordnet, weshalb man auch von me­
sopotamischer «Listenliteratur» spricht. Die Schreiber haben fast von
den Zeiten der Schrifterfindung an – um die Wende vom IV. zum
III. Jahrtausend v. Chr. – versucht, die Welt dadurch zu erfassen und
geistig zu beherrschen, daß sie – so viele wie möglich – Begriffe be-
stimmter Kategorien zusammenstellten: Bezeichnungen für Berufe,
Ämter und Funktionen, Ortsnamen, Tierarten, Metalle und Metallge-
genstände und vieles andere. Alles dies wurde anfangs in einer sume-
rischen Schriftkolumne aufgereiht. Die enge Symbiose der Sumerer
und Akkader hat dann dazu geführt, daß man in einer zweiten Ko­
lumne die akkadischen Entsprechungen der sumerischen Begriffe an-
fügte. So entstanden die ältesten regelrechten lexikalischen Werke,
Vokabulare. In der altbabylonischen Zeit ist allerdings erst ein kleine-
rer Teil dieser «Listenliteratur» zweispaltig und zweisprachig ange-
legt.
Das Bestreben, die Welt begrifflich zu erfassen und «lexikalisch» zu
ordnen, hat in der altbabylonischen Zeit auch dazu geführt, daß sich
die Schreiber bemühten, das ungeheuer komplizierte sumerische Ver-
bum zu analysieren und akkadisch zu verstehen. Es entstanden, eben-
falls in zweispaltiger Listenform, lange Reihen sumerischer Verbal-
formen mitsamt ihren akkadischen Übersetzungen. Man kann die
intellektuelle Glanzleistung jener Schreiber und Gelehrter, deren Na-
men wir nie kennen werden, nicht hoch genug einschätzen.
Zweisprachigkeit hat sich auch in manchen Literaturgattungen
ausgedrückt. Königsinschriften waren schon in der Akkade-Zeit
manchmal in beiden Sprachen ausgefertigt worden. In der altbabylo­
nischen Zeit wurden – ausgehend von der akkadischen Glossierung
einzelner sumerischer Wörter – ganze sumerische literarische Texte
übersetzt. Nach der altbabylonischen Zeit entwickelte sich die soge­
nannte «Interlinearbilingue», wo auf eine sumerische Textzeile je-
weils eine – meist eingerückte – akkadische Übersetzungszeile folgt.
Hier ist interessant zu beobachten, daß sich im Verlauf der jahrhun­
dertelangen literarischen Überlieferung vielerlei Verderbnisse im su-
merischen Text und Fehler oder Mißverständnisse im Übersetzungs­
Religion und Kult 135

akkadisch einschlichen. Diese wiegen jedoch gering in dem großen


Komplex der sumerisch-akkadischen kulturellen Zweisprachigkeit,
die im Zweistromland entstanden ist und die Zeit eines lebendig ge­
sprochenen Sumerisch lange überdauert hat.

30. Religion und Kult

«Religion» gehört zu den zahlreichen Begriffen, die unserer klassisch­


antiken und christlich-jüdischen Ideenwelt entstammen und die wir
auf die älteren Jahrhunderte und Jahrtausende der mesopotamischen
Kultur übertragen, ohne daß es für den Begriff bereits im Sumeri­
schen oder Akkadischen einen eigenen Ausdruck gegeben hätte. Wir
finden in Mesopotamien kein wohldurchdachtes und womöglich in
Lehrsätzen zusammengefaßtes «System» aufeinander bezogener
Glaubensvorstellungen, sondern eine Summe einzelner Vorstellun-
gen: verschiedene Ansichten über die Entstehung der Welt und die
Erschaffung des Menschen, über Krankheit, Tod und Jenseits, auf je­
den Fall über die völlige Abhängigkeit des Menschen von höheren
göttlichen – und dämonischen – Mächten. Bemerkenswert ist das gänz-
liche Fehlen einer «Eschatologie», also einer Vorstellung von einem
Ende der Welt (ob nun von einem Neuanfang gefolgt oder nicht).
Fast alle diese Vorstellungen treten uns in Werken der schönen Li­
teratur entgegen – Jenseitsvorstellungen zum Beispiel in «Inannas
Gang zur Unterwelt» oder im «Gilgameš-Epos»; wir wissen nicht,
wieweit sie auch in den Volksglauben eingegangen sind. Quellen für
persönliche Frömmigkeit sind unter anderem Eigennamen mit «theo-
logischen» Aussagen; wir können manche von ihnen geradezu als
Götterhymnen in Miniaturform bezeichnen: «Ich-habe-die-Füße­
meines-Gottes-ergriffen», «Die-Herrin-löst-die-Sünde», «Wer-ist-
wie-mein-Gott?» (ein früher Vorläufer des hebräischen Mã-ka-el
«Wer-(ist-)wie-Gott», unseres Michael); im Namen «Die-Herrin­
liebt-Geschenke» wird an die Nützlichkeit frommer Stiftung erinnert
(die hier zitierten Namen stammen aus der Ur III-Zeit; analoge Na-
mengruppen aus anderen Perioden lassen sich leicht zusammenstel­
len).
Es gibt im sumerisch-akkadischen Pantheon eine fast unüberschau-
bare Zahl von Gottheiten; doch sollte besser gesagt werden: Götterna­
136 VI. Babylonien im 19.–17. Jahrhundert

men; denn es ist von Fall zu Fall herauszufinden (oft ist es auch längst
bekannt), ob ein Name einer ganz bestimmten individuellen Gottheit
entspricht oder ob er Beiname ist, vielleicht auch eine lokale «Erschei-
nungsform» einer anderswo – und dort unter anderem Namen – ver­
ehrten Gottheit. Die Schreiber haben die Götterwelt ebenso wie die
Welt der Begriffe in «lexikalischen» Listen zusammengefaßt; die äl-
testen solchen uns bekannten Listen gehen hinauf ins 25. Jahrhundert
v. Chr. Das Pantheon ist nie erstarrt und konserviert weitergegeben
worden. Es blieb stets im Fluß. Gottheiten konnten obsolet werden;
lokal unbedeutende konnten dagegen zur Weltmacht aufsteigen wie
Marduk in Babylon nach Hammurāpi und Assur in seinem gleichna­
migen Ausgangskultort wenige Jahrhunderte später.
Der Staatskult – der staatserhaltende Kult – grenzte sich scharf ab
von den Gefühlen, die der einzelne der Götterwelt entgegenbrachte.
Wir sehen beim Herrscher den Zwang, seiner Verantwortung für die
Bevölkerung seines Herrschaftsbereiches nachzukommen. Diese Ver-
antwortung bedingte das Einverständnis der Götter mit dem Herr-
scher und somit sein Bemühen um ihr Wohlwollen (vgl. oben S. 126 f.
zu den Götterreisen nach Nippur). Ein solches Bemühen realisierte
sich in so vielen Arten der offiziellen Kultäußerungen – regelmäßige
Opfer, Pflege der Götterbilder, Gebet und Hymnengesang, das Feiern
von Festen, Abhalten von Prozessionen –, daß es dem einzelnen Herr­
scher unmöglich war, allem nachzukommen. Ihm stand seit eh und je
ein verzweigtes und hierarchisch gegliedertes Kultpersonal zur Seite
(und zu Zeiten auch entgegen!), das wir «Priesterschaft» nennen, ob­
wohl es neben den vielen Einzelbezeichnungen für Kultpersonen den
Begriff des «Priesters» oder der «Priesterin» weder auf Sumerisch
noch auf Akkadisch gegeben hat. Der altbabylonisch erst selten zu
findende Ausdruck «Hausbetreter» (d. h. Tempelbetreter) mag dem
von uns vermißten allgemeinen Ausdruck am nächsten kommen.
Wie sehr sich der Herrscher mit seiner «Hirten»-Rolle wirklich
identifizierte, können wir nicht nachvollziehen. Wir müssen immer
damit rechnen, daß es neben echtem Engagement auch Fälle gab, wo
Gottergebenheit und die Sorge für die Schwachen, Witwen und Wai­
sen nur literarische Phrase der Inschriften waren.
Offizielle Kultstätte war das «Haus» der Gottheit; es gab kein
eigentliches Wort für den Tempel. Die Namen der «Häuser» haben bis
ans Ende der Keilschriftkultur gleichsam ein Monopol auf sumerische
Ausblick 137

Benennung gehabt; akkadische Namen liegen hier weit unter 1 %. So


trägt, um nur ein Beispiel zu nennen, ein Teil des Tempelkomplexes
Esarra des Gottes Assur in der Stadt Assur den bombastischen Namen
É-hur-sag-gal-kur-kur-ra «Haus, große Gebirgsfront aller Länder».
˘
Das «Haus» konnte ein zu ebener Erde gebautes Heiligtum sein oder
auch der monumentale Stufenturm, die Zikkurrat.
Bezeichnend für die «Häuser» der altmesopotamischen Gottheiten
ist ihr Domänencharakter, ihre Ausstattung mit Ländereien, Palm­
gärten und Herden neben dem Tempelschatz (oft der Kriegsbeute ent-
nommen) und flüssigen Finanzmitteln – letztere für Mildtätigkeit
und bei vielen altbabylonischen Tempeln für ein florierendes Darle-
hensgeschäft (es gab den «Zins des Sonnengottes») verwendet.
Offizielle und private religiöse Vorstellungen trafen im Rechtswe-
sen zusammen: Der Eid der Parteien und Zeugen bei Vertragsab­
schluß oder vor Gericht wurde bei einer Gottheit (gewöhnlich der
Stadtgottheit) und zusätzlich oft auch beim regierenden König ge-
schworen. Das Auffahren eines Göttersymbols, zum Beispiel der
«Säge» des Sonnengottes, verstärkte dabei den Respekt und den
Schauder vor einem Meineid. Wenn allerdings psychologische Gege­
benheiten vorlagen, die die Hemmschwelle vor dem Meineid zu besei-
tigen imstande waren – etwa beim Vorwurf des Ehebruchs oder der
Zauberei –, dann verfügte das weltliche Gericht den Gang zum Got-
tesgericht in Gestalt des Flußordals, also des Gottesurteils in einem
Fluß.

31. Ausblick

Schnittpunkte, die der Historiker zwischen zwei Perioden setzt, haben


immer viel Willkürliches an sich; denn einerseits hat sich ja das Jün-
gere, nach dem «Schnittpunkt» Liegende längst angekündigt, und auf
der anderen Seite wirkt das Ältere, das vor dem «Schnittpunkt» liegt,
noch lange nach. So erscheint denn auch die in Geschichtsdarstellun-
gen übliche Trennung der «altbabylonischen» von der «mittelbaby-
lonischen» Zeit genau in dem Jahr, in dem die I. Dynastie von Babylon
zu Ende ging, nur als ein eher praktisches und weniger auf die histori­
schen Gegebenheiten gegründetes Verfahren, die altorientalische
Chronologie grob einzuteilen. Es wird übrigens auch – und mit eben­
138 VI. Babylonien im 19.–17. Jahrhundert

so viel oder wenig Grund – in der Geschichte des Akkadischen jenes


letzte Jahr des Ammi-ditāna von Babylon als die Schnittstelle zwi­
schen der «altbabylonischen» und «mittelbabylonischen» Ausprä-
gung dieser Sprachvarianten angenommen.
Mit nicht weniger Berechtigung ließe sich das Ende der Regierung
Hammurāpis von Babylon als das Ende einer Ära bezeichnen. In der
Tat könnte man die Altorientalisten – ob nun Linguisten, Historiker,
Religions- oder Wirtschaftswissenschaftler oder Rechtshistoriker – je
nachdem, ob sie sich auf die älteren oder auf die rezenteren Perioden
konzentrieren, einteilen in solche, die sagen «dies kommt noch bei
Hammurāpi vor», und andere, die sagen «es kommt schon bei Ham­
murāpi vor».
Hammurāpi hat als letzter den in den Aussagen der altbabyloni­
schen Omina (vgl. S. 110f.) beschworenen Traum von der Wiederkehr
des «Reiches der Gesamtheit» erfüllt, indem er – und wäre es nur für
kurze Zeit gewesen – einen Gebietsumfang beherrschte (oder zumin­
dest als sein eigen vorgab), den einstmals Sargon von Akkade einge­
nommen haben will. Es sollte nach Hammurāpi gute tausend Jahre
dauern, bis Babylonien und Assyrien wieder unter einer Krone verei­
nigt waren. Spätestens unter Hammurāpi ist das Sumerische in den
wenigen noch verbliebenen Sprachinseln als lebendig gesprochene
Sprache ausgestorben; aber auch eine souveräne schriftliche Handha-
bung dieser alten Kultursprache war nun an ihre Grenzen gestoßen.
Frei und neu formuliertes, also nicht aus älteren Manuskripten ko­
piertes Sumerisch nahm immer mehr den Charakter einer Kunstspra­
che an, eines aus dem Akkadischen rückübersetzenden «Transplan­
tats». Die Idee des vergöttlichten Königs, der seinen Namen mit dem
Gottesdeterminativ schreiben ließ, kam nun im allgemeinen außer
Gebrauch.
Unter Hammurāpis Nachfolger Samsu-iluna reduzierte sich der
Staat von Babylon nach und nach wieder auf das mittlere und nörd-
liche Babylonien. Die Jahresdatenformeln – mit die sichersten Anzeiger
politischer Realitäten (vgl. oben S. 91) – melden unter Samsu-iluna
für die Jahre 10 und 11 Kämpfe mit Isin und Uruk sowie die Zerstö-
rung der Stadtmauern von Ur und Uruk. Das kann nur bedeuten, daß
sich die unter Hammurāpi erreichte Vereinigung von ganz Babylo­
nien in der Mentalität der herrschenden Klassen mitnichten als etwas
selbstverständlich Erstrebenswertes durchgesetzt hatte. Der Hang
Ausblick 139

zum Partikularismus blühte fort. Aus Larsa sind Nachrichten von


einem Rãm-Sin II. erhalten, wohl einem Nachfahren des großen Rãm-
Sin, der Hammurāpi unterlegen war. Auch das Diyāla-Gebiet ist wie-
der selbständig. Im «tiefen Süden», dem riesigen von Marschen und
Schilflagunen durchzogenen Küstenvorland, kommt eine – für uns
allerdings bisher nur schwer greifbare – «Dynastie des Meerlandes»
ans Ruder. Wir wissen von ihr bisher fast nur aus Königslisten und
Chroniken späterer Zeit. Ihre Herrscher, so wie sie in den Listen über­
liefert sind, haben teils akkadische Namen, zum Beispiel Ilãma-Il oder
Damqi-ilišu, teils – künstlich-epigonal wirkende – sumerische Namen
wie Melam-kurkura oder Aja-dara-kalama, teils auch Namen aus
einer uns unbekannten Sprache wie Iškibal oder Gulkišar, es sei denn,
diese Namen wären durch längere Schreiberüberlieferung entstellt
und verballhornt worden.
Autoren wie O. G. Meder oder R. Pientka haben für den Vorderen
Orient insgesamt während des 18.–16. Jahrhunderts ein ökologisches
Schreckensgemälde entworfen – nicht kontrollierbare Überschwem-
mungen durch die Flußbettverlagerung des Euphrat: Bei seinem trä-
gen Gefälle genügte ein ungewöhnlich starkes Frühjahrshochwasser,
daß der Fluß in einem seiner Arme über die Ufer trat und sich ein
neues Bett suchte. Das konnte zur Folge haben, daß Städte am Fluß
plötzlich der Wasserversorgung (für Haus, Garten und Felder) be-
raubt waren. Schon Hammurāpi sagt im Prolog seines «Codex», er
habe die «verstreute Bevölkerung Isins wieder fest angesiedelt», was
sich nur darauf beziehen kann, daß sich die Bewohner von Isin infolge
einer Naturkatastrophe nach neuen Wohnplätzen hatten umsehen
müssen. In vielen Landstrichen war der Boden durch landwirtschaft­
liche Überbeanspruchung und mangelnde Drainage der sedimentrei­
chen Bewässerungszufuhr so stark versalzen, daß Feldbau nicht mehr
möglich war. Ein anschauliches Bild für einen solchen Naturvorgang
lieferten Bodenflächen im Iraq der 50er und 60er Jahre des 20. Jahr-
hunderts, wo man auf den ersten Blick den Eindruck von dichtem
Rauhreif erhielt, was sich jedoch als die Folge den Boden bedeckender
Salzausblühungen erwies. Ein Rückgang der landwirtschaftlichen
Produktion mußte bei dem sonst gewohnten Exportüberschuß an Ge-
treide Folgen auch für benachbarte Regionen haben. Die aus der
Mari-Korrespondenz (s. oben S. 117 f.) zu ermittelnde Bereitschaft
amurritischer Nomadenstämme, ihre angestammte Lebensweise auf­
140 VI. Babylonien im 19.–17. Jahrhundert

zugeben und sich von der lokalen Palastverwaltung flußnahe Felder


zuweisen zu lassen, kann man möglicherweise als Symptom für eine
lange anhaltende Trockenperiode in den weiter vom Fluß abgelegenen
Steppengebieten deuten. Es ist indes nicht leicht zu entscheiden, ob
ein solches Negativbild tatsächlich mit einem Versiegen der Schrift­
quellen in Städten wie Isin, Uruk, Larsa oder Ur zusammenhängt oder
ob der Informationsmangel nur auf dem vielberufenen Fundzufall be­
ruht. Immerhin ist es auffällig, daß die spätere historische Tradition
außer der genannten «Meerland»-Dynastie keine anderen südbaby-
lonischen Herrscherreihen überliefert – oder der Überlieferung für
wert befunden hat.
Aber die eigentliche interne Gefahr für das reduzierte Königtum
von Babylon unter Samsu-iluna und seinen vier Nachfolgern erwuchs
durch die Kassiten. Von ihnen soll im folgenden Kapitel die Rede sein.
Ausblick 141

VII.

Die mittelbabylonische Zeit

Der Hethiterkönig Mursili (um 1600 v. Chr.) soll im 32. und letzten Jahr
des babylonischen Königs Samsu-ditāna Babylon erobert und damit die
gut dreihundertjährige von uns so genannte I. Dynastie von Babylon
beendet haben. Lägen uns hierüber nicht Nachrichten aus gut 50 Jahre
jüngeren hethitischen Quellen und aus einer babylonischen Chronik
des 7. Jahrhunderts v. Chr. vor: «Zur Zeit des Samsu-ditāna zog der He-
thiter gegen ‹Akkad›», so wüßten wir nichts von jenem Ereignis, das
unsere Geschichtsdarstellungen nachträglich ins Monumentale und
historisch Wegweisende hochstilisieren. Denn aus zeitgenössischen
Quellen verlautet uns darüber bisher nichts. Mursili I. hatte Nord­
syrien mit Aleppo erobert, und es ist gut denkbar, daß er auch einen
euphratabwärts führenden Vorstoß bis nach Babylonien unternommen
hat; daß er kurzfristig mit den Kassiten verbündet war, die seit der Zeit
Samsu-ilunas in Babylonien zu siedeln begonnen hatten; daß er den
Kassiten – direkt oder indirekt – zur Herrschaft in Babylonien verhol­
fen hat. Aber solche Überlegungen sind voll der Spekulation, von der
wir uns freihalten wollen.
Wie dem aber auch sei, wir sehen uns bei unserer Betrachtung der
altorientalischen Geschichte gegen Ende der I. Dynastie von Babylon
und danach in einer neuen Welt und – immer aus unserer heutigen
Sicht! – in einem neuen Zeitalter. Nicht nur die nach Kleinasien einge­
wanderten Hethiter, Indogermanen ebenso wie die ihnen eng verwand­
ten Luwier, sind in unseren Gesichtskreis getreten. In Babylonien
haben sich die Kassiten schon Generationen vor dem Ende der I. Dy­
nastie von Babylon als ein maßgeblich bestimmender Bevölkerungsteil
etabliert, und dabei hatten sie bald nicht die Rolle eines grimmen Fein-
des inne wie einst die Gutäer (vgl. oben S. 96). Sie sind vielmehr gute
Nachbarn geworden, brachten das Pferd und die Pferdezucht nach Ba-
bylonien, lebten anfangs in geschlossenen Siedlungen (Häusern – bãtā-
tu), und wenn sie nach dem Thron strebten, dann nicht als Unterjocher
einer älteren Bevölkerung, sondern als einheimisch Gewordene.
142 VII. Die mittelbabylonische Zeit

Weite Gebiete östlich vom Tigris und im nördlichen Mesopotamien


sind von den Hurritern besiedelt und beherrscht, von denen schon
mehrfach die Rede gewesen ist (s. oben S. 32, 120). Im 14. Jahrhundert
erscheint – kaum zu glauben, daß es so spät geschieht – Ägypten zum
ersten Mal in Keilschriftquellen.
Assur, das wir bisher fast nur als Handelsmacht kennengelernt ha­
ben (s. oben S. 112 ff.), entwickelt sich in Mesopotamien zum Gegen­
spieler Babylons, seinem Rivalen und zeitweise schließlich sogar zu
seinem Oberherrn.
Eher aus Konvention als aus einer den gesamten Vorderen Orient
betreffenden Berechtigung sprechen wir noch – babylozentrisch – von
der «mittelbabylonischen Zeit», während sich längst auch der Begriff
«mittelassyrisch» etabliert hat. Es werden indes beide Begriffe, «mit-
telbabylonisch» und «mittelassyrisch», chronologisch weitgehend
parallel angewendet – eingeschaltet zwischen «altbabylonisch», «alt-
assyrisch» und «neubabylonisch», «neuassyrisch» auf einer sehr
großzügig gestalteten Skala der altvorderasiatischen Zeitdarstellung.
So mag denn «mittelbabylonisch» als Zeit-Etikett seine Berechtigung
behalten.

32. Babylonien und die Kassiten

Die Kassiten stammen aus jenem schwer abgrenzbaren Bereich nörd-


lich und östlich von Mesopotamien, der sich vom Kaukasus bis nach
Afghanistan hinzieht. Anders als die Hurriter, die wir ebenfalls in die-
sen Raum zurückverfolgen (es gibt Versuche, das Hurritische mit
heutigen ostkaukasischen Sprachen in Beziehung zu setzen, z. B. dem
Lezgischen oder dem Lakkischen), haben die Kassiten nie versucht,
ihre eigene Sprache in Keilschrift zu schreiben. Vielmehr sind sie –
ganz wie die Amurriter – dem kulturellen Sog der Sumerer und Ak­
kader erlegen, und sie haben sich zu gelehrigen Schülern der mesopo­
tamischen Zivilisation und zu deren selbstbewußten Vertretern ent-
wickelt. Ob die Kassiten (auf Akkadisch Kaššū) in den Kossaioi des
persischen Luristan fortlebten (bezeugt seit Strabo – ca. 64 bis
23 v. Chr. – und Arrian – 2. Jahrhundert n. Chr.), läßt sich nicht bewei­
sen. Der Anklang der Namen mag dafür sprechen; aber er kann auch
täuschen.
Babylonien und die Kassiten 143

Der Negativbefund für die Sprache der Kassiten gilt aber nicht voll-
ständig. Es gibt Zeugnisse für ihre Sprache, wie spröde sie auch sein
mögen: Götter-, Personen- und Pferdenamen sowie allerhand Lehn­
wörter im Akkadischen, etwa für Gebrauchsgegenstände oder für
Farbbezeichnungen der Pferde. Außerdem hat ein aufgeweckter
Schreiber in Nippur eine Art von Vokabular hinterlassen, in welchem
kassitische Götter- und Menschennamen sowie einige ausgewählte
Wörter ins Akkadische übersetzt sind. Leider können wir aus diesen
«lexikalischen» Gleichungen doch nichts darüber erfahren, wie die
Sprache der Kassiten einzuordnen und linguistisch zu klassifizieren
ist, d. h. wo wir sie auf dem Sprachatlas um die Mitte des II. Jahrtau­
sends v. Chr. im Vorderen Orient anzusiedeln haben.
Die «Kassitenzeit» Babyloniens – als ein Teil oder sogar als der
Großteil der mittelbabylonischen Zeit – ist benannt nach einer
Herrscherreihe zwischen dem 16. und dem 12. Jahrhundert v. Chr.
Damals hatten Herrscher den Thron von Babylon inne mit Namen
wie Kaštiliaš (I., II., III., IV.), Abirattaš, Burna-Buriaš (I., II.),
Ulamburiaš, Kadašman-Harbe (I., II.), Karaindaš, Kurigalzu (I., II.),
˘
Nazimaruttaš, Kadašman-Enlil (I., II.), Karahardaš, Nazibugaš,
˘
Kadašman-Turgu, Šagarakti-Šuriaš, Melišipak, mit wenigen rein ak­
kadischnamigen Herrschern darunter. Die Präsenz von Personen mit
kassitischen Namen äußert sich auch in Rechts- und Verwaltungs­
texten des 15. bis 12. Jahrhunderts in Babylonien (vor allem in Nip-
pur), wo so benannte Personen als Gläubiger, Schuldner, Belehnte
erscheinen wie auch in anderen Rechts- und Verwaltungszusam­
menhängen. Man darf also wohl eine Zeit – beschränkt auf einen
Raum wie Babylonien (unter Ausklammerung von allem außen Be­
findlichen) – als «Kassitenzeit» benennen, wenn in ihr außerordent­
lich gehäuft Personen(namen) erscheinen, die wir als «kassitisch»
bezeichnen. Dabei ist die Identifizierung einer Person als Kassite nur
auf Grund des Namens manchmal eher auf dem Wege des linguisti­
schen Ausschlusses zustande gekommen: Ein bestimmter Name ist
weder sumerisch noch akkadisch (oder sonst semitisch) noch hurri-
tisch noch elamisch.
Die «Kassitenzeit» Babyloniens mutet dem Historiker bis heute ein
Problem der Chronologie zu: Es handelt sich um die Einbindung die-
ser «Kassitenzeit» in die gesamte Zeitrechnung des Alten Vorderen
Orients.
144 VII. Die mittelbabylonische Zeit

Solange die Geschichte Mesopotamiens in einem Rahmen relativer,


letzthin unverbindlicher Zählung der Jahre – und zu Anfang gar nur
der Jahrhunderte – verlief, brauchte der sie beschreibende Historiker
nicht «Farbe zu bekennen»; er konnte sich einen Kompromiß in der
Chronologie zu eigen machen und Daten z. B. «ca. 2530 v. Chr.» be­
nennen. Nachdem sich nun aber in der mittelbabylonischen Zeit zum
ersten Mal unmittelbare Berührungen mit Ägypten ergeben, hat der
Mesopotamienhistoriker seine «Zeiten-Unschuld» verloren.
Wir haben, einem der gängigen (aber darum keineswegs zwingend
richtigen) Chronologiesysteme folgend, 1594 v. Chr. als das letzte Jahr
von Samsu-ditāna, dem letzten König der I. Dynastie von Babylon,
angesetzt. Die Kassiten waren, wie wir sahen, um diese Zeit längst
nach Babylonien eingedrungen. Wann aber hat der erste Kassitenkö-
nig nach Samsu-ditāna regiert, und wer war es?
Bei dem Versuch, die «Geschichte Mesopotamiens» in der zweiten
Hälfte des II. Jahrtausends v. Chr. zu beschreiben – und das ist beileibe
ein Zeitraum wie von Martin Luther bis auf unsere Tage – läuft der
Historiker mehr denn je Gefahr, den von F. R. Kraus verpönten Weg
einzuschlagen (s. oben S. 37) und «die dürftigen und meist zeitlich weit
voneinander entfernten Fakten, welche sich unseren Quellen entneh-
men lassen, in eine zusammenhängende Erzählung einzufügen und
diese dann für die Geschichte jener Zeit zu halten». Zwar bietet sich als
ein scheinbar bestechendes chronologisches Skelett ein Teil der «Assyri­
schen Königsliste» an. Diese ist jedoch mit so vielen Unsicherheiten
belastet und dazu zeitlich nicht sicher mit Namen außerhalb der Liste
verklammert, daß man sie in ihrem ersten Drittel ebensowenig als
chronologische Richtschnur benutzen kann wie im III. und im frühen
II. Jahrtausend die «Sumerische Königsliste» (s. oben Kapitel 5), mag sie
als Dokument für sich auch immer noch von unschätzbarem Wert sein.
Es ist angebracht, die «Assyrische Königsliste» in aller Kürze zu be-
schreiben, um so mehr, als ein vergleichbares monumentales Werk für
Babylonien fehlt.
Diese «Liste» (ihre Bezeichnung ist modern) führt hinab bis in die
Regierungszeit von Salmanassar V. (726–722), dem Vorgänger des
großen assyrischen Sargon. Salmanassar V. ist der 109. in einer – in
ihren Anfängen fiktiven – ununterbrochenen Reihe von Herrschern
über Assur. Erst der 26. (ein gewisser Aminu) läßt sich anhand histo­
rischer Dokumente verifizieren. Ausführlichere Inschriften liegen
Babylonien und die Kassiten 145

aber erst seit Puzur-Aššur I. (Nr. 30) vor. Ilušuma (Nr. 32) war Zeitge­
nosse des Sumu-abum von Babylon (ca. 1894–1881). Šamšã-Adad I.
(Nr. 39, 1813–1781) war – grob gesprochen – ein naher Vorgänger von
Hammurāpi von Babylon (1792–1750). Am Anfang der «Assyrischen
Königsliste» stehen 17 Könige, die «in Zelten gewohnt» haben sollen
und von denen viele amurritische Namen haben (s. schon oben S. 112).
Eine solche sich noch im Namengut spiegelnde Beschreibung noma-
discher Vergangenheit hat deutliche Parallelen unter den amurritisch­
namigen Herrschern altbabylonischer Dynastien wie der von Larsa,
Ešnunna oder Babylon.
Aber von höherem chronologischen Wert wird die «Assyrische Kö­
nigsliste» für uns erst mit dem 48. Herrscher (einem Bēlu-bāni). Denn
fortan notiert die Liste so gut wie lückenlos die Zahl der jeweiligen
Regierungsjahre. Damit ist nun von Herrscher zu Herrscher eine rela­
tive chronologische Genauigkeit gewonnen, jedoch noch keine abso­
lute, d. h. eine auf die Zeitenwende unserer Ära beziehbare Jahres-
rechnung. Denn wenn auch die verschiedenen «Manuskripte» (d. h.
die uns überlieferten Keilschrifttafeln) der «Liste» erstaunlich wenige
Zahlenvarianten aufweisen, so bleiben doch noch kleinere Unsicher-
heiten. Sie bewegen sich indes nur noch innerhalb einer Zehnerein­
heit und nicht mehr in Generationen, wie wir es von der Chronologie
des III. und des frühen II. Jahrtausends gewohnt sind.
Aus der «Amarna-Korrespondenz» (s. unten Kapitel 35) erhalten
wir die folgenden – groben – «Synchronismen», d. h. Datumsüberein­
stimmungen: Aššur-uballiṭ I. von Assyrien (1353–1318) // Burna­
Buriaš II. von Babylonien (1359–1333) // Amenophis IV. von Ägyp-
ten (XVIII. Dynastie, 1364–1347, Var. 1352–1336). Ungesichert ist
eine genauere Chronologie aber bisher in den vorausgehenden beiden
Jahrhunderten bis hinauf zum Ende der I. Dynastie von Babylon, wes-
halb man auch von einem «Dunklen Zeitalter» («Dark Age») in Meso­
potamien gesprochen hat.
Das Ende des Königs Samsu-ditāna von Babylon ist nun in keiner
Weise eine «Stunde Null» gewesen. Vieles aus der altbabylonischen
Tradition hat sich – wie könnte es anders sein – noch jahrhunderte­
lang unter den Kassitenherrschern fortgepflanzt. So wurde zunächst
noch die ältere Datierungsweise nach markanten Ereignissen (Jahres-
raten, s. oben S. 91) weitergeführt, und zwar durchaus auch in altan­
gestammter sumerischer Sprache, noch unter König Burna-Buriaš II.
146 VII. Die mittelbabylonische Zeit

(1359–1333). Im 14. Jahrhundert setzte sich dann aber die für die
Verwaltung ungleich praktischere Datierung nach Regierungsjahren
des Königs durch, z. B. «König NN Jahr 16». Assyrien hat in zähem
Festhalten an einem schon altassyrisch belegten Brauch bis ans Ende
des Assyrerreiches die Eponymen-Datierung beibehalten (der König
selbst und dann hohe Beamte liehen ihren Namen, um ein Jahr X zu
identifizieren – vgl. schon S. 119).
In der Stadt Nippur hat sich – z. B. in Sklavenkaufverträgen – auch
noch weit über das Ende der I. Dynastie von Babylon hinaus das
sumerische Urkundenformular erhalten. Daß damals allerdings Su-
merisch wirklich noch gesprochen worden wäre, ist im höchsten Gra­
de unwahrscheinlich. Allzu sehr sind die Versuche zeitgenössischer –
also mittelbabylonischer – Schreiber, Inschriften auf Sumerisch zu
verfassen, derart stark von sprachlichen «Akkadismen» durchdrun­
gen, daß man dies nicht mehr – wie noch in der altbabylonischen Zeit
– auf das «Konto» einer sumerisch-akkadischen linguistischen Ge-
meinschaft, eines «Sprachbundes», buchen könnte.
Das mittelbabylonische Akkadisch, wie es auch die Kassiten als eine
selbstverständlich vorhandene Gegebenheit für sich übernommen ha­
ben, ist linguistisch ganz die normal anmutende Fortsetzung des alt­
babylonischen Akkadisch. Es gibt beträchtliche Neuerungen in der
Morphologie der Sprache; der Wortschatz ändert sich – wie es seit
Jahrhunderten üblich ist – durch das Ausscheiden (oder wenigstens
Ausdrängen) von Altem und den Erwerb von Neuem: Neuerung nicht
nur durch den Zuerwerb von Wörtern aus fremden Sprachen (hier
vornehmlich aus dem Kassitischen), sondern auch dadurch, daß die
Wörter der eigenen akkadischen Sprache neue Bedeutungen erlangen.
Entwicklungen solcher Art sind uns aus dem Deutschen und aus vie­
len europäischen Nachbarsprachen aufs beste bekannt. Die Varianten
Altbabylonisch und Mittelbabylonisch des Gesamt-Akkadischen er-
scheinen uns aus unserer heutigen Jahrtausendperspektive als bei
weitem nicht so gravierend wie die Übergänge vom Alt- zum Mittel-
hochdeutschen oder vom Alt- zum Mittelenglischen.
Das Mittelbabylonische hat sich um die Mitte der zweiten Hälfte
des II. Jahrtausends v. Chr. im gesamten «Fruchtbaren Halbmond»,
aber auch darüber hinaus bis nach Kleinasien, Zypern, Syrien-Palästi­
na und schließlich auch Ägypten als eine allgemein akzeptierte Ver­
kehrssprache herausgebildet. Die assyrische Variante des Akkadischen
Babylonien und die Kassiten 147

ist hier ganz beiseite geblieben. Es ist noch nicht klar, was genau dem
mittelbabylonischen Akkadisch zu seinem so viele Jahrhunderte über-
dauernden Prestige verholfen hat. Am ehesten sind bei dieser Frage
Schreiberschulen und ihre Rolle beim Übernehmen, Beibehalten und
Weiterverbreiten von kostbarem Schriftwissen aufzuführen. Hier
darf der von Babylonien her euphrataufwärts führende Strang nicht
unterschätzt werden, der sich uns – aus der Rückschau – als eine Art
Konstante erweist, wohl weil die Tal- und Bergfahrt auf dem Euphrat
ganz hindernisfrei verläuft; es gibt keine von Natur gegebenen Sper­
ren. Noch heute reicht die im südlichen Iraq gesprochene Variante des
Arabischen euphrataufwärts bis ans Euphratknie. Schon für Ebla im
24. Jahrhundert v. Chr. haben wir den Euphrat als Beförderungsweg
von «babylonischem» Geistesgut betont (s. Kapitel 13).
Ganz anders die geographische Lage am Tigris zwischen dem «Fla-
schenhals» auf der Höhe des heutigen Baghdad und der Stadt Assur.
Hier durchbricht der Fluß das Gebirge Ǧabal Ḥ amrãn ca. 40 km nörd-
lich von Tikrãt, und dieser Gebirgszug hat seit Jahrtausenden Nörd­
liches und Südliches getrennt, wie es sich auch wieder in der heutigen
Sprachenlandschaft des Iraq dartut: im Norden Turkomanisch als Ein­
sprengsel eines türkischen Dialekts und dann der vom Südiraqischen
grundverschiedene arabische Dialekt von Mosul und Umgebung
(s. schon oben S. 69).
«Dunkles Zeitalter» – es fehlt uns für Babylonien jene Säule der
Chronologie, die wir altbabylonisch besitzen in Gestalt von Jahresda-
ten-Listen und einer oft lückenlos von Herrscher zu Herrscher fort­
schreitenden Reihe von Bau- und Weihinschriften. Wenn der mittel-
babylonische – kassitische – König Burna-Buriaš in einer Quelle
auftaucht, so ist oft nicht einmal sicher, ob es der I. dieses Namens ist
oder aber der II. (1359–1333). Sind wir folglich noch nicht imstande,
das Kapitel «Babylonien und die Kassiten» von Anbeginn an zeitlich
sinnvoll zu beschreiben, so belassen wir es bei einigen Schlaglichtern.
(Die Insistenz auf der Chronologie kann nur den merkwürdig anmu­
ten, der daran gewohnt ist, daß man ihm die «Geschichte» eines Zeit­
abschnitts unter vollkommen selbstverständlicher Voraussetzung der
chronologischen Grundlagen darlegt.)
So gut wie untrennbar ist mit den Kassiten der Begriff des «Kudur­
ru» verbunden. Dieses Wort bezeichnet sowohl die «Grenze» als auch
ein die Grenze markierendes Steinmonument (es stand allerdings
148 VII. Die mittelbabylonische Zeit

nicht im Freien, sondern war, da von hohem Wert, an sicherer Stelle


verwahrt). Der Kudurru (Durchschnittshöhe 50–60cm, maximal
91 cm) trug eine Inschrift und war – gewöhnlich auf der Oberseite –
mit Götteremblemen versehen, die weitestgehend den im Text ange­
rufenen Gottheiten entsprachen. Der Text weist einer dem Herrscher
nahestehenden Person hohen Ranges Land zu, oft verbunden mit
Siedlungen und Personal. Das von Abgaben befreite Land ging in den
Besitz, aber nicht ins Eigentum des «Belehnten» über. Gelegentlich
sind in dem Kudurru-Text Einzelheiten aus vorangehenden Prozessen
aufgeführt, die sich auf das Land und die mit ihm verbundenen Rechte
beziehen. Aus Zitaten direkter Rede wird ersichtlich, daß sich die mit
dem Land ausgestatteten Personen in einem durchaus vertraulichen –
und nicht unterwürfigen – Ton gegenüber ihrem Herrscher äußern.
Das ist eine – leider nur hier bemerkbare – Einzelheit, die womöglich
die Umgangsform zwischen Kassitenherrscher und seinen Untertanen
in einem ganz anderen Licht erscheinen läßt, als wir es von Ur III-
zeitlichen und altbabylonischen Herrschern gewohnt sind, denen ge­
genüber sich jeder Untertan – wenigstens formal – stets als «Sklave»
bezeichnete.
Kudurrus sind von König Kurigalzu (I. oder II.) an bezeugt (beide
14. Jahrhundert v. Chr.); doch mögen sie schon in ältere Zeit zurück-
reichen. Es findet ein gelehrter Streit darüber statt, ob das aus den Ku­
durrus ersehbare System der Zuweisung von Ländereien, mittels des-
sen sich der Herrscher zweifellos die Loyalität unentbehrlicher
Persönlichkeiten sichern wollte, als «Feudalismus» zu betrachten sei
oder ob die Verwendung dieses Begriffes einen Anachronismus dar­
stellt. Zu bedenken ist dabei, daß die kassitische «Institution» flächen­
deckend – sowohl geographisch als auch chronologisch – viel zu selten
bezeugt ist, als daß man eine «Hochrechnung» vornehmen dürfte.
Die Wirtschaft muß unter den Kassiten zeitweilig stark floriert ha-
ben. Aus Kaufurkunden des 14. Jahrhunderts v. Chr. geht hervor, daß
anstelle des gängigen Silbers Gold als Warenverrechnungswert ver­
wendet wurde. Briefe aus der Amarna-Korrespondenz (s. Kapitel 35),
die den Goldhandel mit Ägypten zum Gegenstand haben, beleuchten
diese für die Wirtschaftsgeschichte Mesopotamiens ganz einzigartige
Situation.
Für die genaue Kenntnis eines Staatswesens ist es unumgänglich zu
wissen, wie weit es sich territorial erstreckte. Auch hier besteht bei
Babylonien und die Kassiten 149

den Kassitenkönigen noch ein beklagenswerter Mangel an Informa-


tion. Weitgehend im dunkeln liegen die Beziehungen zur Bevölke-
rung im südöstlichsten, golfnächsten Teil Babyloniens, einem Gebiet,
das seit dem Ende der altbabylonischen Zeit «Meerland» heißt. Es
wurde so genannt wegen seiner unmittelbaren Nähe zum «Meer»,
dem Persischen Golf in seinem damaligen Küstenverlauf, aber viel-
leicht auch, weil es im Binnenland von ausgedehnten Wasserflächen
bedeckt war, jenen Schilflagunen, die heute Hōr genannt werden.
Diese schwer zugängliche und bis in jüngste Vergangenheit immer
wieder als Rückzugs- und Zufluchtsgebiet dienende Landschaft hat im
Altertum öfters politischen Separatismus gefördert. Eine viel jüngere
historische Tradition Mesopotamiens, deren konkreter Bezug zur da­
maligen Gegenwart nicht mehr nachgeprüft werden kann, berichtet
von einer «Meerland-Dynastie», bestehend aus 11 Herrschern mit
einer Regierungszeit von zusammen 366 Jahren (vgl. oben S. 139).
Diese «Dynastie» ist – wiederum in der späteren historischen Tradi­
tion – als unmittelbare Nachfolgerin der Könige der altbabylonischen
Dynastie von Babylon aufgeführt. Damit ist freilich wenig Erkenntnis
gewonnen, da wir wissen, daß die antiken «Historiographen» – dem
Darstellungszwang einer vertikalen Liste folgend – sehr oft etwas
nacheinander darstellten, das tatsächlich zeitlich nebeneinander statt­
gefunden hat.
Am höchsten sind wohl – wenn wir bleibende Leistungen der «Kas-
siten» in Babylonien zusammenfassen sollen – zwei Tatsachen zu ver-
anschlagen: «Babylon» hat sich endgültig herausgebildet als ein Be-
griff, der für eine ganze Landschaft steht und für alles mit ihr
Verbundene: die Landschaft, die wir – anachronistisch – schon lange
vorher als «Babylonien» bezeichnet haben und die in einen ein volles
Jahrtausend währenden Gegensatz zu «Assyrien» tritt. Als zweites
muß dann genannt werden die Festigung der babylonischen Variante
des Akkadischen (der übergreifenden semitischen Sprache ganz Me-
sopotamiens) als Vehikel internationaler Korrespondenz und als Spra­
che der Literatur und der Wissenschaft: «Babylonisch» – und nicht
«Assyrisch» – ist die Sprache so gut wie aller Denkmäler der schönen
Literatur geblieben: die Sprache der Omenliteratur und der lexika-
lischen Literatur (alle einem sumerischen Eintrag gegenübergestellten
akkadischen Listeneinträge sind babylonisch): Babylonisches Akka­
disch ist als ein ältestes Beispiel für eine «lingua franca» bis ins zen­
150 VII. Die mittelbabylonische Zeit

trale Kleinasien und bis nach Ägypten gedrungen. (Es tut nichts zur
Sache, daß es bei der Anwendung des Babylonischen durch lokale
Schreiber zu mancherlei «Barbarismen» gekommen ist – sie halten
sich immer noch innerhalb einer babylonischen – und nicht assyri-
schen – Richtlinie.)
Aber selbst die assyrischen Königsinschriften sind doch eher über­
wiegend babylonisch abgefaßt, wobei «Assyriasmen» – d. h. das gele­
gentliche Ausgleiten des Schreibers in seine «assyrische» Mutterspra­
che, gleichsam ein «Assyriakeln» – eher als peinliche Entgleisungen
wirken.
Auf jeden Fall hat das Babylonische bei der Mitteilung akkadischer
Verlautbarungen bis ans Ende der Keilschrift-Kultur unbestritten die
Oberhand behalten – und das völlig unabhängig von den politischen,
stärker assyrischen oder babylonischen, Machtverhältnissen.

33. Nuzi, Mittani und die Hurriter;


die «indoarische» Komponente

Die Kapitelüberschrift sollte – vom Übergeordneten zum Einzelnen


fortschreitend – eher «Die Hurriter, Mittani und Nuzi» lauten. Aber
der Fundort Nuzi, 16 km südwestlich vom heutigen Kirkuk (damals Ar-
rapha), hat uns mit Palast- und Privatarchiven von über 5000 Tonta-
feln, die drei Generationen umfassen, eine Welt und Umwelt erschlos-
sen, wie sie in einer solchen Dichte in der Keilschriftarchiv-Literatur
nicht leicht ihresgleichen findet. Der Dokumentationszeitraum der
Archive reicht von ca. 1440 bis 1340 v. Chr., also noch ein Jahrhundert
vor jenem oben zitierten Synchronismus zwischen Aššur-uballiṭ I. von
Assyrien // Burna-Buriaš II. von Babylonien // Amenophis IV. von
Ägypten. Die Stadt Nuzi – mitsamt einer Burg – war von einem hazan­
˘
nu «Bürgermeister» regiert und unterstand dem König von Arrapha
(Kirkuk). Dieser war wiederum eingegliedert in ein loses Verhältnis
zum «Reich» von Mittani oder Hanigalbat.
˘
Mittani ist bisher als historische Realität schwer greifbar, da so gut
wie alle Hinweise sekundärer Natur sind: Titulatur in Königssiegeln,
eine ägyptische Grabinschrift, der «Amarna»-Brief von König Tušratta
(s. Kapitel 35) u. a. Zentrum war wohl das Hābūr-Dreieck; die Haupt­
˘
stadt Waššukkanni, in der bedeutende zentrale Archive zu erhoffen
Nuzi, Mittani und die Hurriter 151

sind, ist bisher noch nicht wiederentdeckt. Daß dieses Zentrum hurri­
tisch war, zeigt der (gerade zitierte) – in der Hurriterforschung be-
rühmt gewordene – hurritische Brief Tušrattas, das bislang überhaupt
längste Zeugnis für die Sprache der Hurriter.
Hurritisch, mit ins III. Jahrtausend v. Chr. hinaufreichenden Origi-
nalquellen, gehört neben dem Sumerischen, Akkadischen, Elamischen
und Hethitischen zu den altorientalischen Sprachen, die – bis hin zu
regelrechter Literatur – verschriftet worden sind und weite Verbrei-
tung gefunden haben.
Mit den Kassiten teilten die Hurriter in der zweiten Hälfte des
II. Jahrtausends v. Chr. ein starkes Engagement in der Pferdezucht und
der Führung des Streitwagens. Man sollte diese Erscheinung aber eher
vorderorientalisch-«global» sehen und nicht primär als Eigenheit
eines bestimmten Volkes (zum möglichen indoarischen Beitrag s.
unten S. 152 f.).
Hurriter sind – abgesehen vom Gebrauch ihrer eigenen Sprache –
unschwer an ihren Namen erkennbar, wenn man es denn als Regel
anerkennen will, daß eine Person mit einem eindeutig der Sprache X
zugehörigen Namen auch selbst Angehöriger der Sprechergemein­
schaft des X-ischen war. Wir haben das im Prinzip für das Kassitische
und das Amurritische angenommen, aber auch darauf hingewiesen,
daß eine jahrhundertelange Symbiose von Sprechern der Sprachen A
und B (z. B. Sumerisch und Akkadisch) dazu führen kann, daß die
Sprache eines Personennamens und die tatsächliche ethnische Zuge-
hörigkeit neutralisiert werden.
In Nuzi haben die in den Archiven genannten Personen zum aller­
größten Teil hurritische Namen; akkadische oder kassitische Namen
befinden sich demgegenüber in einer wenig relevanten Minderheit.
Die Sprache der Nuzi-Archive ist allerdings durchweg mittelbabylo-
nisches Akkadisch; diese ist jedoch wieder dermaßen von Hurritismen
durchsetzt, daß wir leicht erkennen, daß die dem Urkundenschreiber
eigene Sprache nicht das intendierte Akkadisch war. Mittelassyrischer
sprachlicher Einfluß ist dagegen ganz selten.
Für das Urkundenwesen von Nuzi ist typisch die «Verkaufsadop-
tion». Da es offenbar unüblich oder sogar untersagt war, Landeigentum
außerhalb der Familie zu veräußern, wurde der Käufer vom Verkäufer
in den Status eines «Sohnes», eines «Bruders» oder – bei einer Käufe­
rin – einer «Schwester» überführt. Auf diese Weise sind Landaufkäu­
152 VII. Die mittelbabylonische Zeit

fer großen Stils vielfach «Adoptivsöhne» geworden. Die in Nuzi


nachzuweisenden vielfältigen Urkundentypen sind auch in Kurru­
hanni, 45 km südwestlich von Kirkuk, vertreten. Es darf also wohl ein
˘
weiteres Einzugsgebiet typisch hurritischer Rechts- und Verwal­
tungsstruktur angenommen werden.
Seit Bekanntwerden des hethitischen «Pferdetrainingstextes», der
einem mittanischen «Autor» namens Kikkuli zugeschrieben wird, dis­
kutiert die altorientalische Forschung die Rolle einer «indoarischen»
Bevölkerungskomponente im Reich von Mittani. In den 30er und frü­
hen 40er Jahren wurde diese Rolle in der deutschen Geschichtsschrei­
bung stark hoch-, danach wieder über Gebühr heruntergespielt – die
Betrachtungsweise blieb von NS-ideologischer Verquickung und deren
radikaler Zurückweisung nicht frei. Nach dem Abwägen vieler Für- und
Gegendarstellungen ist eine ganz neutrale Betrachtung möglich gewor­
den. Der in der Hethiterhauptstadt Hattuša gefundene Text mit Anwei-
sung über die Abrichtung von Wagen-, d. h. primär Streitwagenpferden,
enthält eine Reihe von nichthethitischen Wendungen wie z. B. aika-
wartana, panzawartana, šattawartana «Einer-, Fünfer-, Siebenwen­
dung», bezogen auf – strategisch relevante – «Wendungen» des Streit-
gefährts beim Gefecht. Die termini technici lassen sich völlig eindeutig
«indoarisch» deuten, d. h. einem Sprachzweig des Indogermanischen
zugehörig, der durch das Sanskrit (und die heutigen Nachfolgesprachen
in Indien und Pakistan) vertreten ist. Ein solcher Textbefund war ver­
ständlicherweise unmöglich ohne die Anwesenheit von Sprechern der
betreffenden «indoarischen» Sprache.
«Indoarische» Sprachreste lassen sich nun im Alten Orient auch
anderswo mühelos auftun: In Nuzi sind Adjektive bezeugt, die die
Farbe von Pferden beschreiben, z.B. babrunnu «(rot)braun» oder pir­
karannu «goldgelb, falb»; hier wurde Sanskrit babhru- und piñjara-
verglichen. Die Namen der uns bisher bekannten Herrscher von Mit­
tani sind überwiegend nicht hurritisch, sondern sie können wiederum
«indoarisch» gedeutet werden: Kirta, Šuttarna, Barsatatar, Sauštatar,
Parrattarna, Tu(i)šratta. Ein Vertrag, der ca. 1330 v. Chr. zwischen dem
Hethiterkönig Šuppiluliuma I. und Šattiwaza von Mittani geschlossen
wurde, nennt neben traditionell-altvorderasiatischen Gottheiten als
Eidesgaranten auch Mitra, Uruwana (Variante Aruna), Indara,
Našattija. In diesen Namen entdeckt man leicht «indoarische» Götter:
Mitrá, Váruṇ a, Indra und die Götterzwillinge Nāsatyā.
Assur: «Aufbruch zu einem Reich» 153

Angehörige einer über den Streitwagen verfügenden Oberschicht in


Mittani, aber auch weiter westlich in Syrien bis an die Mittelmeerküste,
wurden als marijannu bezeichnet. Seit dem ersten Bekanntwerden die-
ses Terminus wurde ein Zusammenhang mit altindisch márya- «junger
Mann» vermutet, jedoch – begleitet von einer zum Teil äußerst vehe­
menten Diskussion – nie restlos bewiesen. Wie es mit den in knappen
Auszügen vorgeführten «indoarischen» Sprachresten auch bestellt ge-
wesen sein mag, nichts spricht bisher für ein eigenständiges, womöglich
«staatstragendes» Element von «Indoariern» im 15. und 14. Jahrhun­
dert v. Chr. im Vorderen Orient. Man wird den Befund am ehesten so
rekonstruieren, daß eine – wie immer zahlenmäßig gestaltete – Gruppe
(wandernder) früher Indogermanen mit den alteingesessenen Hurri­
tern in so enge Berührung kam, daß sprachliche Hinterlassenschaften
zurückblieben. Man könnte – mutatis mutandis – die Verhältnisse in
Norditalien zur Zeit der Völkerwanderung und danach vergleichen:
Langobarden und andere sind sehr schnell dem kulturellen Sog der
alten Bevölkerung erlegen. Doch haben sie sprachliche Spuren hinter-
lassen – so etwa in der Länderbenennung («Lombardei»), in der Ger­
manisierung von einem Teil des romanischen Vornamenschatzes und
in der Übermittlung von Lehnwörtern, z. B. bei Bezeichnungen von
Farben und Himmelsrichtungen.
Literatursprache ist irgendein «Indoarisch» aber nie geworden. Der
nach Ägypten gesandte Brief des Königs Tušratta ist in einem so «lu­
penreinen» Hurritisch abgefaßt, daß dieses Dokument (der «Mittani-
Brief») noch immer als das Rückgrat der grammatischen Erforschung
des Hurritischen dient.

34. Assur: «Aufbruch zu einem Reich»

John A. Brinkman hat 1984 in seinem Buch «Prelude to Empire. Baby­


lonian Society and Politics 747–626 B. C.» die Vorgeschichte des Neu-
babylonischen Großreichs dargestellt, das unter der sogenannten
Chaldäer-Dynastie von Nabopolassar 625 über Nebukadnezar II. bis
zu Nabonid (bis 539) reichte. Bei solcherlei «Aufbrüchen», «Vorge­
schichten» ist der heutige Historiker gleichsam Souverän über die
ihm Untertanen Jahrtausende. Es erscheint aber nicht unberechtigt,
die Jahrhunderte, in denen assyrische Königsnamen auftreten wie
154 VII. Die mittelbabylonische Zeit

Aššur-uballiṭ I., Salmanassar I., Tukulti-Ninurta I. oder Tiglatpileser I.


(1353–1076), als Vorspiel zu betrachten zu einer Epoche assyrischer
Großmacht, als die Herrscher Assurnasirpal I., Tiglatpileser II., Tukul­
ti-Ninurta II., Salmanassar III., Tiglatpileser III. und danach Sargon
(II.), Sanherib, Asarhaddon und Assurbanipal hießen (1050–630).
Es sei dabei zugestanden, daß eine Unterscheidung zwischen
«Macht» und «Großmacht» nicht patent gelöst werden kann, und
zwar schon deshalb nicht, weil der Entwicklungsfluß sich nicht – wie
in der Natur – stetig verbreiterte, sondern immer wieder sozusagen
Sperren, Einengungen, Dürrestrecken und Überflutungen zu bewälti­
gen hatte. Im großen ganzen mag aber das Bild vom Vorspiel und den
Akten des Dramas dennoch gelten – wenigstens aus unserer heutigen
Sicht!
Beim Vergleich von «Assyrien» und «Babylonien», die in der weiter
verfolgten Geschichte Mesopotamiens immer mehr zu den bestim-
menden Begriffen werden, stellen sich Grundverschiedenheit wie
auch funktionale Ähnlichkeit heraus. «Assyrien» ist gegenüber «Ba­
bylonien» geographisch immer der weniger scharfe Begriff gewesen –
das bestätigt ein Blick auf die Landkarte. «Babylonien» lag einge-
grenzt zwischen «Flaschenhals» von Euphrat und Tigris und dem
Südosten, wo immer damals die Küste des Persischen Golfs verlaufen
sein mag. «Assyrien» erstreckte sich demgegenüber offen nach allen
Himmelsrichtungen, sich überall – je nach Kriegsglück, Handelsvor-
teil oder Ansiedlung – bald ausdehnend, bald schrumpfend. Die (an­
fängliche) Metropole Assur überragte militär- und handelsstrategisch
den Tigris. Babylon lag flach und eben und war doch in seiner Form
nicht ganz vom historischen Zufall bestimmt. Das längst in die Ver­
gangenheit entrückte Kiš, dann Babylon, schließlich auch noch das
heutige Baghdad – sie alle lagen, liegen, nicht weit vom «Flaschen-
hals», wo sich die Zwillingsflüsse am nächsten kommen, bevor sie das
Meer erreichen. Babylon war ein handelspolitisch höchst interessan-
ter Kreuzungspunkt (vgl. oben S. 82); aber Assur war nicht minder
bedeutend, hatte diese Stadt es doch verstanden, ihre Handelsnetze bis
ins Innere Kleinasiens auszuwerfen. Die Politik «Assyriens» ist auch
in den kommenden Jahrhunderten immer zuvörderst von wirtschaft­
lichen Interessen bestimmt gewesen, wie sehr sie sich in den Königs­
inschriften auch martialisch gestalten mochte.
Assur war um die Zeit Hammurāpis von Babylon ein knappes Jahr­
«Amarna» 155

hundert lang in der Hand von Nichtassyrern: Šamšã-Adad (I.), sein


Sohn Išme-Dagān haben auch über Mari geherrscht (s. Kapitel 25). Die
Verfasser der «Assyrischen Königsliste» haben dieses Interregnum
ignoriert und in die assyrische Herrschertradition integriert. Jedoch hat
einer der Nachfolger (ein Puzur-Sin, dessen Regierungszeit nicht ge­
nauer datierbar ist) sich schmähend über Untaten Šamšã-Adads und
seiner Familie, die «nicht Fleisch der Stadt Assur» war, geäußert.
Die aus Assur stammenden Inschriften beziehen sich vor Aššur­
uballiṭ (1353–1318) auf lokale Baumaßnahmen und Weihungen, und
als erster assyrischer Herrscher scheint erst Assur-uballit internationa-
les Parkett betreten zu haben, da dieser Herrscher mit dem Pharaonen-
hof korrespondierte. Aššur-uballiṭ bezieht sich zwar auf einen von sei-
nem Vorvorgänger Aššur-nādin-ahhē (1390–1381) nach Ägypten
˘˘
abgesandten Brief; doch ein solcher ist uns nicht im Original erhalten.
In ihrer Titulatur bezeichnen sich die Herrscher von Assur traditionel­
lerweise als «Statthalter des Gottes Assur»; erst seit Aššur-uballiṭ s En-
kel Arik-dãn-ili (1307–1296) erscheint der Titel «(mächtiger) König des
Landes Assur». Unter dessen Nachfolger Aššur-nārāri I. (1295–1263)
beginnt das fast unübersehbare bis ans Ende des 7. Jahrhunderts v. Chr.
reichende Corpus assyrischer Kriegs- und Siegesinschriften großen
Stils.
Aššur-nārāri erklärt sich als Sieger über «Kassiten» (Randgebiete
Babyloniens?), «Gutäer» und «Lullumu» (= Lullubäer – beides sind
historische Namen für Feinde Mesopotamiens, vgl. Kapitel 20, 21),
und er nennt unter den eroberten Städten auch Waššukkanni, also die
ehemalige Hauptstadt von Mittani; im Westen erreichte er den
Euphrat. Er machte sich einen König Šattuara von Hanigalbat (= Mit­
˘
tani) nach dessen Rebellion wieder gefügig und tributpflichtig. Bei
solcherlei Siegesmeldungen ist für uns einstweilen ganz unklar, wo­
rauf sich das nötige militärische Potential gründete. Wir gehen der
Frage in Kapitel 37 weiter nach.

35. «Amarna»

Mit «Amarna» (genau Tall al-῾Amār(i)na) werden im allgemeinen das


kurzfristig als Hauptstadt erscheinende Achetaton in Oberägypten
und der Name Amenophis IV. (Echnaton, XVIII. Dynastie) assoziiert,
156 VII. Die mittelbabylonische Zeit

die radikale Fixierung des Kults auf den Gott Aton sowie ein bisherige
Normen hinter sich lassender Kunststil. Der Altorientalist verbindet
mit «Amarna» dagegen einen Überraschungsfund – ein dort entdeck­
tes Archiv von über 300 Tontafeln aus der Mitte des 14. Jahrhunderts:
weit überwiegend Briefe, aber daneben auch Texte der akkadischen
schönen Literatur sowie Schreiberübungen, die auf die Existenz einer
regelrechten Schule für die Korrespondenz in mittelbabylonischer
Keilschrift schließen lassen. Achetaton war Empfangs- und Absende­
ort für einen den gesamten Vorderen Orient umspannenden Briefver-
kehr. Da sich ein Teil der Briefe an Amenophis III. wendet, fragt es
sich, ob das Archiv anfangs noch in Theben aufbewahrt worden war.
Ägypten am nächsten gelegen waren Korrespondenten aus der Le-
vante: Gubla = Byblos, Ursalim = Jerusalem, Magidda = Megiddo,
Asqaluna = Askalon, Ugarit, Bērūtu = Beirut, Ṣ urri = Tyros und ande-
re. Dann sind vertreten Karduniaš – Babylon(ien), Assur, Mittani,
Hatti und Alašia = Zypern. Abgesehen von Assur, wo der Absender
˘
Aššur-uballiṭ I. Mittelassyrisch schreibt, von Mittani mit dem Hurri-
tischen und von Arzawa in Südwestkleinasien, wo man sich des He-
thitischen bediente, ist die gesamte sonstige Korrespondenz im Prinzip
Mittelbabylonisch formuliert. Allerdings lassen die Briefschreiber der
Levante Ausdrücke und grammatische Formen ihrer «kanaanäisch-
semitischen» Muttersprache in einem solchen Ausmaß einfließen,
daß man von einer künstlichen Mischsprache reden könnte. Dem
Sprachhistoriker sind diese «Kanaanismen» von höchstem Wert; denn
sie sind praktisch das älteste Zeugnis für den «kanaanäischen» Zweig
der semitischen Sprachen, zu welchem u. a. das Hebräische und das
Phönizisch-Punische gehören (falls die Sprache der Amurriter eben-
falls schon dem «Kanaanäischen» zuzurechnen ist, wofür vieles
spricht, ist doch zu betonen, daß uns das Amurritische nur in Gestalt
von Personennamen und wenigen Lehnwörtern im altbabylonischen
Akkadisch vorliegt – vgl. oben S. 104).
Gegenstand der Briefe aus der Levante ist fast immer Lokalpolitik,
Bitte um Hilfe, Beschwerde über Nachbarfrevel u. a. m., also Dinge,
die geographisch-verwaltungsmäßig noch in die Kompetenz Ägyp-
tens fielen. Um so erstaunlicher ist, daß sich die Absender des Akkadi­
schen bedienten und nicht Ägyptisch schrieben. In den Briefen aus
Babylonien, Assyrien, Mittani, Hatti und Alašia sind dagegen zwei
˘
ganz andere Themen tonangebend: Handel und Heiratspolitik. Über
Die Hethiter 157

alles begehrt war ägyptisches Gold, für das der Lapislazuli ein wichti­
ges Tauschobjekt war. Die oft blumige, fast ins Bitten und Betteln
spielende Redeweise in Gold-Angelegenheiten darf nicht darüber hin-
wegtäuschen, daß hart abgerechnet wurde und daß «der Ägypter»
keinen Schekel Gold verschenkte.
«Politische» Heiraten sind ein zeitloser Faktor der Geschichte; so
waren sie auch in «Amarna» stets an der Tagesordnung – ein beliebt­
sicheres Mittel, Frieden und Machtäquivalenz zwischen mehr oder
weniger ebenbürtigen Staaten aufrechtzuerhalten. Bestes Zeugnis für
den Handelscharakter eines großen Teils der außerlevantinischen
«Amarna»-Briefe sind die höchst penibel ausgeführten «Geschenk­
listen», die wir letztlich als nichts anderes interpretieren können denn
als «Warenbegleitscheine».
Die «Amarna»-Korrespondenz ist auch eine interessante Quelle
für das von Hof zu Hof gepflegte «Protokoll»: Wie redete man den
Adressaten an, und wie bezeichnete man sich selbst? Die levantini-
schen Fürsten konnten sich nicht genug tun in zeremoniell verlang­
ter Selbsterniedrigung: «sich sieben mal sieben Mal auf den Bauch
(und auf den Rücken) werfen». Dagegen stehen die übrigen Absen-
der dem Pharao frei gegenüber. Ihre Glück- und Begrüßungswün­
sche richten sich an den Empfänger, dessen Harem, aber auch – wa-
ren sie nicht Bestandteil der Familie? – an Pferde und Wagen (und
das meint: Streitwagen).
Die «Amarna»-Korrespondenz, die wir hier extrem verkürzt zu be-
schreiben versuchen, darf nicht den Eindruck erwecken, als habe –
und sei es nur kurzfristig – eine pax orientalis geherrscht. Die Über-
landstrecken waren unsicher (von Babylon bis Achetaton war der
Bote mehrere Monate unterwegs); es gab Überfälle, Raub und Mord.
Der Korrespondenzton ist bisweilen höflich-gereizt. Aber daß man
empfangene Handelsware mit Mängeln rügte, mag zum zeitlosen
Spiel des Bazarfeilschens gehören.

36. Die Hethiter

Wir können diesen bedeutenden kulturellen Faktor der altorientali­


schen Geschichte in einer «Geschichte Mesopotamiens» nur sehr kurz
berühren, auch wenn sich sein Auftreten und Handeln in der zweiten
158 VII. Die mittelbabylonische Zeit
Die Hethiter 159

Hälfte des II. Jahrtausends v. Chr. immer wieder im Geben und Neh­
men, Leiden Schaffen und selbst Leiden äußert.
Es erscheint müßig, darüber zu streiten, ob die indogermanische
Völkerschaft der Hethiter (samt ihren sprachlich nahen Anverwandten,
den Luwiern und Palaern) vom Westen her über den Bosporus oder
aber aus dem Osten – also am wahrscheinlichsten über den Kaukasus
– nach Anatolien eingewandert ist. Sie hatten dabei auf keinen Fall,
wie Ferdinand Sommer es parodierend ausgedrückt hat, die Frage auf
den Lippen: Wie gelangen wir am schnellsten nach Hattuša? Älteste
sprachliche Zeugnisse, die einen Rückschluß auf die Anwesenheit von
Hethitern erlauben, stammen schon aus den Texten der altassyrischen
Händler in Kaniš (hethitisch Neša, s. oben Kapitel 24). Diese «Einhei­
mischen», d. h. das nichtassyrische Gastvolk, werden von den Assy-
rern nuwā᾿ū genannt, die «Nu᾿ischen». Dieser Ausdruck, vielleicht
ein Spitzname, ist noch nicht sicher erklärt. Waren es womöglich Leu­
te, die – wie die Hethiter – ihre Sätze mit Vorliebe mit der Partikel nu-
begannen?
Lokale Fürsten der altassyrischen Periode – was immer ihre Spra­
che gewesen sein mag – bedienten sich bei gelegentlicher Korrespon­
denz des altassyrischen Akkadisch. Hethitisch war damals jedenfalls
noch nicht «Schriftsprache» geworden.
Daß die Hethiter schließlich – und wann? – die längst als altassyri­
scher Handelspunkt bestehende Stadt Hattuša zu ihrer Hauptstadt er-
koren und monumental ausbauten, mag wieder wegen strategischer
Lagevorteile erfolgt sein.
Die hethitische Sprache – dokumentiert in auf über vier Jahrhun-
derte verteilten Keilschrifttexten – ist uns heute nur so gut und so weit
erkennbar, wie wir sie «durch die Brille» der akkadischen Silbenschrift
lesen, die für die Darstellung von Konsonantenhäufungen (wie z. B.
sta-, stra-, -astra-, -ast, -arst) ungeeignet war. Man muß also wohl
mit einer nicht unbeträchtlichen Distanz rechnen zwischen unserer
Lateinschrift-Transliteration des Keilschrift-Hethitischen und der
dahinterstehenden realen Sprache. Von einiger Hilfe ist aber beim Ver-
such, eine wenigstens annähernde Vorstellung vom Klang des Hethi­
tischen zu erlangen, der nachgewiesen indogermanische Charakter
dieser Sprache.
Wenn wir die ethnische und sprachliche Umwelt der Hethiter von
Hattusa aus betrachten, so können wir die Landkarte nur teilweise be­
160 VII. Die mittelbabylonische Zeit

schriften. Die wichtigste vorhethitische Kulturschicht bildete die der


Hattier. Deren Sprache – besser: Sprachreste – ist überliefert in Texten
von durchweg kultischem Inhalt und außerdem in Götter- und Perso­
nennamen. Bei manchen historischen Persönlichkeiten, die uns die
hethitische Historiographie aus alter Vergangenheit überliefert (bis
hinauf in die Zeit der assyrischen Präsenz reichend), ist aber auch un-
klar, ob hattische, hethitische Namen vorliegen oder womöglich Na-
men einer sonstigen, uns nicht mehr erreichbaren Sprache. Als sich
der Begriff «Hatti» am Ende des II. Jahrtausends v. Chr. weiter nach
˘
Südosten – Nordsyrien – verlagerte, wurde er auch hebräisch rezi-
piert, und von den «Ḥ ittãm» des Alten Testaments stammt unser
«hethitisch», «Hittite» usw.
Im küstennahen Bereich des (heutigen) Kızıl Irmak wohnte das mit
den Hethitern meist verfeindete Volk der Kaškäer. In Südwestanato-
lien sind die Arzawa-Länder zu lokalisieren. Ein Herrscher von Arza­
wa schrieb in einer Heiratsangelegenheit bezeichnenderweise auf
Hethitisch an Amenophis III. Die exakte geographische Kenntnis en-
dete wohl, soweit sich bisher ersehen läßt, im Bereich der ionischen
Küste mit Millawanda (höchstwahrscheinlich = Milet), mit der Stadt
Wiluša – wobei es (aller linguistischen Wahrscheinlichkeit zum Trotz)
unklar bleibt, ob es sich dabei um Ilion (*Wilion), also Troja handelt.
Nach wie vor heiß umstritten sind die Lokalisierung, der Umfang und
die Identität des Landes- und Völkerbegriffs Ahhijawa. Es waren wohl
˘˘
– trotz immer noch manchmal vorgebrachter Zweifel – die Achaier.
Aber waren es nur solche auf dem anatolischen Festland oder auch die
Bewohner der Ägäis und sogar der griechischen Halbinsel? Wir ver­
lassen freilich mit solcherlei Fragen endgültig den Bereich der Nach-
barn Mesopotamiens.
Im südöstlichen Anatolien lag Kizzuwatna, das im großen ganzen
dem späteren Kilikien entspricht. Nachbarn im Osten/Südosten wa­
ren die Hurriter – ob nun innerhalb oder außerhalb des Reiches von
Mittani. Hurritisch bildete neben dem Akkadischen im Hethiterreich
den wichtigsten kulturellen Sprachfaktor. Hurritisch gehört zu jenen
acht Sprachen, die aus den Tontafelarchiven von Hattuša auf uns ge-
kommen sind: Hethitisch, Luwisch, Palaisch, «Hieroglyphen-Hethi­
tisch»; Hattisch; Hurritisch; Sumerisch und Akkadisch.
Die Hethiter haben nicht, wie man hätte glauben können, die von
den Assyrern nach Kleinasien importierte Keilschrift (mitsamt dem
Die Hethiter 161

für das Altassyrische charakteristischen Schriftduktus und Silbenzei­


chen-Inventar) übernommen. Zwischen dem Ende der assyrischen
Handelskolonien und den assyrischen wie auch nichtassyrischen Be­
nutzern der altassyrischen Sprache und Schrift und dann dem Beginn
genuin-hethitischer Schreibkunst herrscht für uns ein Vakuum, das
wir chronologisch noch nicht ausfüllen können. Die uns heute zu-
gängliche älteste hethitische Schriftart läßt sich annähernd als «spät­
altbabylonisch» oder «früh-mittelbabylonisch» beschreiben. In der
Orthographie ist ein Einschlag des Hurritischen unverkennbar. Wie
nun auch letztendlich die Keilschrift zu den Hethitern gekommen
sein mag, so wird man den Hurritern eine bedeutende Vermittlerrolle
nicht absprechen dürfen.
Die Anfänge der hethitischen Herrschaft sind weitgehend aus der
Rückschau gewonnen, aus Texten jüngerer Abschrift oder Abfassung,
vor allem aus dem Erlaß von König Telipinu (ca. 1500 v. Chr.). Die bei-
den großen Gestalten des sogenannten Althethitischen Reiches waren
Hattušili I. und dessen Nachfolger (Enkel) Muršili I. Muršili wird eine
˘
Eroberung Babylons zugeschrieben; sicher ist, daß er Halab (= Alep-
˘
po) eingenommen hat, was ein Vordringen bis nahe ans Euphratknie
impliziert. Ein gespanntes Verhältnis bestand oft zu Kizzuwatna, zeit-
weilig Bestandteil des Hethiterreiches, dann auch wieder selbständig
oder kürzer sogar ins Mittani-Reich eingegliedert. Großer Rivale im
Südosten war Mittani selbst (s. Kapitel 34). Nach einer langen, poli-
tisch komplizierten Phase wechselnden Übergewichts wurde Mittani
von Šuppiluliuma I. (ca. 1350 v. Chr.) ausgeschaltet. Die Hethiter als
Oberherren des nordsyrischen Gebietes stießen mit ihrer Inter-
essensphäre nun unmittelbar an die levantinische Einflußzone
Ägyptens. Spätestens unter Šuppiluliuma I. beginnen Brief- und
Botenkontakte mit dem Pharaonenhof. So fand unter Ramses II.
(1290–1224) – zum Teil mit dem Pharao selbst als Teilnehmer – eine
angeregte Korrespondenz zwischen dem hethitischen und ägypti-
schen Hofe in medizinischen Angelegenheiten statt. Auch weilten für
ihre Kunst berühmte ägyptische Ärzte selbst in Hattuša.
˘
Von Gewicht für das Hethiterreich war die Kontrolle über den
Euphratlauf als Handelsstraße und über die Mittelmeerküstenstädte,
u. a. Ugarit und Byblos, beide nominell unabhängige Königtümer. Aus
Ugarit (Höhepunkt ca. 1330–1180) ist eine reiche Keilschriftliteratur
auf uns gekommen, teils auf Akkadisch, teils – sowohl für Briefe als
162 VII. Die mittelbabylonische Zeit

auch für mythische und epische Texte – in der semitischen Sprache


von Ugarit verfaßt, für die eine eigene Alphabetschrift erfunden wor-
den war (sie wurde ebenfalls auf Ton geschrieben und ist – rein äußer-
lich – auch eine «Keil»-Schrift).
Nach Šuppiluliuma I. eskalierte die hethitisch-ägyptische Rivalität
bis hin zur Schlacht von Qadeš am Orontes, wo sich im Jahr 1285 v. Chr.
Muwatalli II. und Ramses II. gegenüberstanden mitsamt reichem Vasal­
lenaufgebot. Obwohl in der ägyptischen Bild- und Schrifttradition als
Sieg gefeiert, ist die Schlacht wohl unentschieden ausgegangen, da sie
keine gravierenden Folgen für die Hethiter nach sich zog.
So wie das hethitische Reich – öfters auch «Großreich» zu nennen
– in einem für uns noch unklaren Dunkel begonnen hat, ist es auch
wieder erloschen. Wenn auch neuere Ausgrabungen eine völlige Zer­
störung Hattušas um 1200 v. Chr. nicht bestätigt haben, ist doch die
˘
historische Überlieferung mit Šuppiluliuma II. für uns abgebrochen.
Nach wie vor ein Handicap bei der Darstellung der älteren hethiti­
schen Geschichte ist – so hat es H. Klengel jüngst wieder betont – die
Tatsache, daß vor Šuppiluliuma I. (Mitte des 14. Jahrhunderts v. Chr.)
die Chronologie unklar und daß gelegentlich sogar noch die Abfolge
bestimmter Herrscher nicht eindeutig gesichert ist.
Sehen wir ab von politischer Macht und von den Staatenrivalitäten,
die die Geschichte des Alten Orients zuverlässig begleiten, so müssen
als bleibendes Vermächtnis Beiträge zur geistigen Kultur herausgeho­
ben werden. Einen Teil der hethitischen Literatur kann man durchaus
in den Rahmen der Weltliteratur einordnen.
Die Hethiter haben beachtlich präzise Formulare für Staatsverträge
entwickelt, mit denen sie teils gleichwertige Partnerschaft besiegelten,
teils auch einen Vasallenstatus des anderen Vertragspartners definier­
ten. Als eigenständig sticht besonders die Annalistik hervor. Die im
Jahresrhythmus fortschreitende «Geschichtsschreibung» wird zwar
schon für Hattušili I. angenommen, vollends ausgebildet ist sie aber
˘
erst bei Muršili II. (ca. 1300 v. Chr.). Eine Verbindung zur späteren
assyrischen Annalistik ist möglich, und zwar zu verstehen als nach
Osten gerichteter literarischer Einfluß und nicht etwa als Übernahme
von dort. Zwar wurde auch erwogen, man solle die Anfänge altorien-
talischer Annalistik in den sumerischen, altbabylonischen und teil­
weise noch mittelbabylonischen «Jahresnamen» (Bezeichnung von
Jahren nach erinnernswerten Ereignissen – s. oben S. 91) suchen; und
Assyrien: Erster Höhepunkt 163

dies um so mehr, als die «Jahresnamen» auch listenmäßig zusammen-


gefaßt worden sind. Aber wenn es hier eine Verbindung gegeben hät­
te, dann würde man Annalistik gerade im babylonischen Raum er-
warten – und dort ist sie, soweit wir sehen, nie heimisch geworden.
Über die Annalistik hinaus sind die Hethiter aber geradezu «Väter»
einer Geschichtsschreibung geworden, die – wie es Albrecht Goetze
schon 1936 betont hat – «Ereignisse unter einheitlichen Gesichts­
punkten rückschauend zusammenfaßt», wo der «König niemals die
Verdienste anderer für sich in Anspruch nimmt, vielmehr auch Miß-
erfolge berichtet».
Die Aufzeichnung hethitischer mythologischer Erzählungen mag
gelegentlich mesopotamisch beeinflußt sein; die Erzählungen selbst
wirken jedoch in der hethitischen Literatur vollkommen eigenständig.
Ein solches Urteil gilt – mutatis mutandis – auch für die «Hethiti-
schen Gesetze». Mögen sie auch als Gattung unvorstellbar sein ohne
ältere mesopotamische Vorbilder (die «Codices», vgl. z. B. Kapitel 27),
so zeugen sie doch von einer geistig unabhängigen Gestaltung. Hethi­
tische Fragmente einer Übersetzung – oder doch eher Nachdichtung –
des Gilgameš-Epos bezeugen die Teilnahme an einer Literatur, die
längst nicht mehr eng auf Babylonien beschränkt war.
Neben einer «hethitischen Literatur» findet sich auch ein umfang-
reiches Corpus von Textgattungen echt babylonischer Tradition:
Omentexte, d. h. Voraussagen, die hauptsächlich durch Beschau der
Schafsleber gemacht wurden; Fragmente «medizinischer» Texte (Dar­
stellung von Krankheitsbefunden und Vorschläge für die medikamen­
töse oder auch magische Behandlung); besonders auch lexikalische
Texte: Bei diesen ist der sumerischen und akkadischen Spalte gewöhn-
lich noch eine dritte, hethitische, hinzugefügt.
Es gibt kaum ein schöneres Beispiel zu zeigen, wie alle Zeiten hin-
durch eine geistige Tradition imstande gewesen ist, Politik und
Kriegsläufe zu unterlaufen und dadurch zu überleben.

37. Assyrien: Erster Höhepunkt

Das aufsteigend-erstarkende Assyrien (vgl. Kapitel 34) hat – ganz im


Gegensatz zu Babylonien – so gut wie nie mit Identitätsfragen, inne-
ren Aufsplitterungstendenzen, Bürgerkrieg und Zerfall zu kämpfen
164 VII. Die mittelbabylonische Zeit

gehabt. Wieweit das – fast schon «national» zu nennende – Selbstbe­


wußtsein des «Landes Assur» tatsächlich auch von seiner Bevölke­
rung getragen oder doch nur Darstellung der offiziellen Inschriften-
Verlautbarungen war, läßt sich kaum mehr rekonstruieren. Es muß
indes einen tieferen Grund dafür gegeben haben, daß Assur – Assy-
rien – vor Aššur-uballiṭ I. (1353–1318) nicht nur sieben Jahrhunderte
lang bis zum Dynastieende unter Aššur-uballiṭ II. (611–609 v. Chr.)
Bestand hatte, sondern daß dieses Assur – Assyrien – zumindest nach
seiner Königslisten-Tradition (vgl. S. 144 f.) um jene Epochengrenze
von 1353–1318 auch schon auf eine so gut wie tausendjährige Herr­
schertradition zurückblicken wollte. In der Tat gab es in Assyrien –
wie immer wir seinen jeweiligen geographischen Umfang auch abstek­
ken wollen – weder eine Vergangenheit mit ständigem Wechsel von
Vielstaaterei und vorübergehender Einheit, wie er in Babylonien die
Regel war; noch haben eindringende Völker das Land bedrängt – räu­
berisch-unterdrückend wie die Gutäer, beunruhigend wie die Amurri­
ter oder Ansiedlung suchend und fast in allem zur letztlichen Assimi­
lierung bereit wie die Kassiten. Die Hurriter – nachweisbar seit dem
Ende des III. Jahrtausends – waren seit eh und je Nachbarn und keine
Eindringlinge. Die Aramäer (s. Kapitel 38) sind nicht bis ins Kernland
Assyriens vorgestoßen.
Unter solchen eher stabil zu nennenden Bevölkerungsverhältnis­
sen konnte schon ein Territorium von beschränktem Umfang auf ein
sicheres Ernte- und Steuereinkommen und auf mäßige – wenn nicht
gar beträchtliche – Außenhandelseinkünfte rechnen und auf solcher
Grundlage auch ein zuverlässig funktionierendes Heer aufbauen. So
läßt sich vielleicht die am Ende von Kapitel 34 gestellte Frage beant­
worten: Worauf basierte Assyriens Expansionskraft? Doch nicht, wie
schon ins Feld geführt worden ist, auf einer gegenüber den Baby-
loniern größeren «Härte» und letzlich auch nicht auf einer besonders
innigen Assurgläubigkeit und einem – wie sehr das auch die Könige
selbst behaupten mögen – göttlichen Auftrag.
Zum assyrischen «Kernland» gehörten an bedeutenden Städten
u. a. Arba᾿il und tigrisaufwärts das berühmte Ninive. Beide sind schon
in Ur III bezeugt. Arba᾿il zählt zu den wenigen Städten der Welt, de­
ren Name über 4000 Jahre gleich geblieben ist: Urbilum oder Arbilum
in Ur III, Arba᾿il in Assyrien – wo man den Namen volksetymologisch
als eine Zusammensetzung aus arba «vier» und il «Gott» verstand,
Assyrien: Erster Höhepunkt 165

Arbela in syrischen Texten und schließlich Irbãl, die heute überwie­


gend von Kurden bewohnte Stadt, in deren Mitte sich ein imposanter,
Schichten ungezählter Generationen bergender Teil befindet.
Wenn wir versuchen, den wachsenden Umfang des assyrischen
«Reiches» anhand der offiziellen «Königsinschriften» zu verfolgen, so
ist letztlich auf diese Quellen nicht sehr viel Verlaß, weil sich darin
Realität und propagandistische Aussage selten scharf trennen lassen.
So hat – horribile dictu – Salmanassar I. (1262–1234) Feldzugsberichte
von seinem Vater und Vorgänger Adad-nārāri I. streckenweise verba­
tim übernommen. Zahlen Besiegter und Gefangener mögen imponie-
ren, wenn wir – in unserem Dezimalsystem – 14400 oder 28 800
lesen. Aber sie entpuppen sich doch schlichtweg als Vier- oder Acht-
faches von 3600, der Großzahl im sumerisch ererbten Sexagesimal­
system (vgl. oben S. 41). Eroberte Städte werden, so heißt es, eingeeb-
net, in Ackerfläche verwandelt und mit Kardamom besät; und es
finden sich viele weitere derartige rhetorische Elemente, die wieder-
kehren und abgewandelt werden. Am ehesten wird man den Angaben
von Personen und Ortsnamen vertrauen dürfen. Sicherste Quelle des
Historikers sind aber Briefe und alltägliche Verwaltungsdokumente,
deren Aussagen frei von irgendwelchen propagandistischen Intentio­
nen formuliert wurden.
So erhellen die mittelassyrischen Briefe aus der Stadt Dūr-Katlim­
mu am Euphratnebenfluß Hābūr (ca. 220 km westlich von Assur)
˘
schlaglichtartig die Regierungszeiten von Salmanassar I. und Tukul­
ti-Ninurta I. Als Sitz eines «Großwesirs» war Dūr-Katlimmu fest ins
assyrische Reich eingebunden (der Ortsname geht zurück auf Dūr­
Jaggid-Lãm, so ursprünglich benannt nach dem Großvater des Zimrã-
Lãm von Mari – das Verständnis für den Namen ging im Laufe der
Zeit verloren).
Ein Brief handelt vom Besuch des assyrischen Hofes mitsamt
einem Gefolge kassitischer Damen sowie des Kassitenkönigs in
höchsteigener Person. Es ist kein Name genannt, aber vieles deutet
auf Kaštiliaš IV. von Babylonien, den Tukulti-Ninurta I. besiegt und
unterworfen hatte. Der offizielle Wortlaut der auf den Sieg bezüg­
lichen Inschrift des Assyrerkönigs besagt freilich: «Mit Hilfe der Götter
Assur, Enlil, Šamaš ... und der Ištar wandte ich mich gegen Kaštiliaš,
den König von Karduniaš (= die damalige Bezeichnung Babyloniens).
Ich vernichtete sein Heer ... und bemächtigte mich des Kaštiliaš, Kö­
166 VII. Die mittelbabylonische Zeit

nigs der Kassiten. Ich trat auf seinen Herrschernacken wie auf einen
Fußschemel. Gefangen und gebunden brachte ich ihn vor meinen
Herrn Assur. So wurde ich Herr über ganz Sumer und Akkad ... und
setzte das ‹Untere Meer› vom Sonnenaufgang (= Persischer Golf) als
die Grenze meines Landes fest». Die Identität der beiden Könige vor­
ausgesetzt, wird man sagen, daß sich kein größerer Kontrast denken
läßt als die Siegesfanfare der Königsinschrift auf der einen und die
nüchtern-praktische Briefnotiz auf der anderen Seite, die auf einen
höchst würdigen «Gefangenen»-Status des Besiegten schließen läßt.
Man wird möglicherweise auch viele ähnliche Nachrichten aus den
Königsinschriften, die von der Gefangennahme und Verschleppung
feindlicher Herrscher handeln, in anderem Licht sehen. Wie es sich
bei Tukulti-Ninurta I. mit der Inbesitznahme von «Sumer und Akkad»
und dem Persischen Golf als Grenze des Assyrerreiches in Wirklich­
keit verhalten hat, muß offen bleiben. Tukulti-Ninurta hätte – späte­
rer Chronik zufolge – in Babylonien eigene Statthalter eingesetzt. In
der Titulatur mancher seiner Inschriften bezeichnet er sich als «König
von Assyrien und Karduniaš (= Babylonien), des Landes Sumer und
Akkad, König der Stadt Sippar und der Stadt Babylon, König von Til­
mun (= Baḥ rain) und Meluhha (= ein Gebiet jenseits vom Ausgang
˘˘
des Persischen Golfes, manchmal = Indusgebiet), ...». Dergleichen
kann nur ein Schreiber höchstbeflissener Art oder einer mit selbst für
die damalige Zeit nur extrem vagen geographischen Vorstellungen
verfaßt haben. Was ja dem Ruhm des König prinzipiell keinen Ab­
bruch tun soll.
Wie dem aber auch sei, es hat sich ein tiefgreifender Antagonismus
zwischen Assyrien und Babylonien herausgebildet, der sich wie ein
roter Faden durch die Geschichte Mesopotamiens zieht bis zum Ende
des assyrischen Reiches. Es mag unter Aššur-uballiṭ I. (1353–1318)
noch eine «politische» Heirat stattgefunden haben zwischen dem ba-
bylonischen König Burna-Buriaš II. und einer assyrischen Prinzessin.
Doch innerbabylonische Intrigen gaben dem assyrischen König Anlaß
einzuschreiten. Sonst war aber auch Grenzzwist, jene zeitlose Kon-
stante der Weltgeschichte, Grund für viele weitere Auseinanderset­
zungen.
Tukulti-Ninurta I. hat nur drei Kilometer tigrisaufwärts eine neue
Residenz gründen lassen samt den Kultstätten aller großen Götter. Er
nannte sie Kār-Tukulti-Ninurta «Tukulti-Ninurta-Hafen». Die Grün­
Assyrien: Erster Höhepunkt 167

de für die Schaffung eines «Versailles» vor den Toren von Assur sind
unklar, und Spekulation (Beengung, Unsicherheit in Assur selbst, die
zeitlose Bausucht des Potentaten) hilft als Erklärung nicht weiter. Die
enormen Kosten eines solchen Unternehmens kann der König nicht
aus dem lokalen Steueraufkommen bestritten haben. Hier wurden
ohne Zweifel in hohem Maße Tribut und Kriegsbeute investiert. Ver­
waltungstexte nennen als Bauarbeiter Hurriter, Kassiten und Bewoh­
ner der Nairi-Länder (s. unten), also wohl insgesamt Deportierte.
Nairi-Länder ist ein Sammelbegriff für kleine Gebirgsfürstentümer
auf dem armenischen Hochland, nördlich vom Kašiaru-Gebirge (dem
heutigen Ṭ ūr ῾Abdãn) – «40» sollen es laut Tukulti-Ninurta I. gewesen
sein. Es ist noch unklar, ob die Bewohner dieser Nairi-Länder ver­
wandt (oder gar identisch) waren mit den Uruaṭ ri, den Urarṭ äern der
neuassyrischen Zeit (s. Kapitel 43), und zudem auch den Hurritern
sprachlich nahe verwandt. Auf jeden Fall ist Assyrien nach dem Ver­
schwinden des Mittani-Reiches Erbe nördlicher Nachbarn geworden,
die bedrohlich auftraten, aber oft besiegt und damit tributpflichtig ge­
macht wurden. Kriege waren sehr oft Handelskriege, und Siege wirk-
ten sich höchst positiv auf den assyrischen Staatshaushalt aus.
Wichtiger aber als die Aufreihung oft nicht einmal genau datierba­
rer Differenzen zwischen Assyrien und seinen Nachbarn sind Strö­
mungen der Geistesgeschichte, die sich im Strudel des politischen Hin
und Her noch stets als bestandskräftig erwiesen haben. Was oben (Ka­
pitel 36 Ende) zum literarischen Verpflichtetsein des Hethiterreiches
gegenüber Babylonien angedeutet werden konnte, gilt – mutatis mu­
tandis – auch für Assur und das ihm viel näher gelegene Babylonien.
Assur und später Ninive mit seiner Bibliothek Assurbanipals (s. Kapi-
tel 48) sind als Zentren der Schöpfung und Überlieferung schöner ak-
kadischer (aber auch noch sumerischer) Literatur unvorstellbar ohne
ein gebendes Babylonien. Doch darf man deshalb der assyrischen Sei­
te nicht jegliche Eigenheit und Eigenbetätigung absprechen. Ganz un­
abhängig stehen ja – neben vielem anderen – die mittelassyrischen
Königsinschriften da, die sich – vom dürren Grundformular abgese­
hen – nicht selten zu einem Höhenflug gepflegtester Sprache auf­
schwingen.
Dabei fällt freilich auf, daß sich die Schreiber Assyriens, wenn sie
literarische Texte abfassen oder für ihre Herren aufsetzen mußten, so
gut wie immer der babylonischen – und nicht der beträchtlich anders­
168 VII. Die mittelbabylonische Zeit

artigen assyrischen – Variante der akkadischen Sprache bedienten.


Über die Ursache dieses sehr auffälligen Sachverhalts ist viel speku-
liert worden. «Kultureller Primat» Babyloniens oder auch «kulturell­
religiöse Überlegenheit» überzeugen in diesem Zusammenhang als
Schlagwörter kaum noch; sie würden durchblicken lassen, die Assyrer
hätten sich auf einer den Babyloniern gegenüber niedrigeren Kultur-
und Bildungsstufe befunden. Verfallen wir hier aber mit solcher Zu­
rückweisung bereits in eine Art von «political correctness»? Das Mit­
telassyrische kommt in der Tat literarisch vor, doch selten, wenn wir
das uns vorliegende Gesamtcorpus betrachten. Zwar lassen die Schrei-
ber dann und wann im Babylonischen einen «Assyriasmus» durch,
also eine assyrisch und nicht babylonisch formulierte Wortwendung
(sie «assyriakeln»), doch das bleibt die Ausnahme.
Das babylonische Akkadisch – so muß betont werden – war die
Sprache altüberlieferter Götterhymnen und Gebete, die laut vorzutra­
gen waren. Babylonisch war auch die Sprache der in den Schreiber-
schulen gepflegten Literatur: Mythen, Epen, Beschwörungen, Omen­
texte, aber auch sumerisch-akkadische Bilinguen, nicht zu vergessen
der reiche Schatz der lexikalischen (wiederum sumerisch-akkadi­
schen) Listen. All diese Gattungen sind für die mittelassyrische Zeit
gut bezeugt. Hätte man denn wohl Texte einer altüberlieferten baby­
lonischen Tradition eigens assyrisch «übersetzen» sollen? Doch fehlt
es nicht an Ausnahmen, so ein mittelassyrisches Fragment der baby-
lonischen mythologisch-märchenhaften Erzählung vom gescheiterten
Himmelsstürmer «Etana». Mittelassyrisch sind auch in Assur selbst
entstandene – oder jedenfalls nicht aus Babylonien übernommene –
Texte: die sogenannten Mittelassyrischen Gesetze, die Hof- und Ha­
remserlasse, die Rezepte für die Herstellung wohlduftender Essenzen
und die Leitlinien für das Trainieren von Wagenpferden.
Die «Mittelassyrischen Gesetze» stehen zwar, aus unserer heutigen
Sicht, in der Tradition sumerischer und akkadischer Sammlungen von
Rechtssprüchen (vgl. Kapitel 27 zum «Codex Hammurāpi»), doch ist
nicht mehr nachzuvollziehen, ob sich die «Verfasser» denn wohl einer
solchen Tradition noch bewußt gewesen sind. Die «Mittelassyrischen
Gesetze» sind auf verschiedenen Tontafeln überliefert. Hinweise auf
eine «Gesetzstele» entsprechend jener, die den «Codex Hammurāpi»
trägt, gibt es sicher nicht. Da das mittelassyrische Werk noch ein Tor­
so ist, kann man seine Systematik noch nicht vollständig rekonstruie­
Assyrien: Erster Höhepunkt 169

ren: Es steht nicht einmal die Reihenfolge der auf verschiedenen Ta­
feln überlieferten Abschnitte sicher fest.
Breiten Raum nimmt das Recht (oder besser: Minderrecht) der
Frauen ein, formuliert aus einer extrem patriarchalischen Sicht: Gü­
terverhältnisse, Mitgift, Verfahren gegenüber beiden Parteien beim –
provozierten oder forcierten – Ehebruch. Drakonische Strafen sind die
Regel, z. B. Kastration, Zwangsarbeit, eine womöglich lebensgefähr­
lich hohe Zahl von Stockschlägen. Die Sparten Grundbesitz- und Erb­
recht sind weniger vollständig erhalten.
Die «Hof- und Haremserlasse» mit ihren über alle Maßen peinlich
genauen Vorschriften für das Verhalten der Hofdamen und der sie «be-
treuenden» Eunuchen mag genuin assyrisch sein; aber man fühlt sich –
babylozentrisch – in einer fremden Welt und möchte eher an einen Im­
port von auswärts denken: an die hethitischen Ritualvorschriften und
manchmal Schritt für Schritt rekonstruierbaren Zeremonielle. Ein un-
mittelbarer Einfluß ist wohl auszuschließen; doch denkt man an die
vielberufene, wiewohl noch nicht konkret dokumentierte Nachbar­
schaft von Mittani (vgl. Kapitel33) als Übermittlerin.
Eine epische Dichtung (babylonisch abgefaßt, nur sehr bruchstück-
haft bekannt, im Gesamtaufbau kaum schon sicher rekonstruierbar)
beschreibt die Kriegstaten Tukulti-Ninurtas I. im sich anbahnenden
Kampf gegen den Vertragsbrüchigen – so die stereotype Rechtferti­
gung – Kaštiliaš IV. von Babylonien (vgl. oben S. 165 f.). Daß das Werk
jahrhundertelang in den Schreiberschulen tradiert wurde, zeugt vom
Nachruhm des Königs. Auch von Tukulti-Ninurtas Vater Adad-nārā-
ri I. ist ein Epentorso überliefert, so daß wir womöglich mit der Schaf­
fung einer neuen literarischen Gattung rechnen können.
Wenn wir babylonisch-assyrischer Historiographie folgen, die am
besten in den sogenannten «Chroniken» erhalten ist, so müssen wir
Tukulti-Ninurta I. zu den zahlreichen Herrschern des Alten Orients
rechnen, die ein gewaltsames Ende fanden. Der König wäre demzufol­
ge während eines Aufruhrs in seiner Residenz Kār-Tukulti-Ninurta
eingeschlossen und dann getötet worden. Eben diese Historiographie
– aber keine zeitgenössische Quelle – berichtet von einer Plünderung
des Marduk-Tempels in Babylon und der Entführung des Kultbildes
nach Assur. Die Glaubwürdigkeit der Jahrhunderte später entstande-
nen – oder wenigstens für uns erst dann bezeugten – «Chroniken» ist
bisher kaum mit zwingender Beweisführung untersucht worden.
170 VII. Die mittelbabylonische Zeit

Ein Jahrhundert nach Tukulti-Ninurta I. befindet sich das assyri-


sche Reich unter Tiglatpileser I. (1115–1077) auf einem bis dahin un­
erreichten Höhepunkt. In seiner Genealogie und Vorgängerreihe
nennt Tiglatpileser vier Herrscher (Ninurta-apil-ekur, Aššur-dān,
Muttakkil-Nuska und Aššur-rēša-iši), doch spart er die anderthalb
Jahrzehnte bis zum Tod Tukulti-Ninurtas I. aus. Tukulti-Ninurta wird
allerdings an anderer Stelle durchaus als Vorfahr genannt.
Wichtigstes offizielles Dokument aus Tiglatpilesers Regierungszeit
sind die Exemplare eines achtseitigen Tonprismas mit zusammen 805
enggeschriebenen Zeilen. Neben einleitender hymnischer Götteran-
rufung (in einem literarisch äußerst gepflegten Stil) und der bomba-
stischen Herrschertitulatur («mächtiger König, König des Alls ohne
Rivalen, König der vier (Welt-)Ufer, König über alle Fürsten, Herr der
Herren, ...») bilden das Rückgrat dieses Riesenwerks Berichte über
die Kriegszüge des Königs, daneben aber auch über Bautätigkeit und
Darstellungen der Hofjagd in der Steppe – die Zahlen der erlegten
Elefanten (120) und Löwen (800) sind wohl die ältesten Belege für
«Jägerlatein». Da Kriege als Mittel der Beute- und Tributgewinnung
einen unentbehrlichen Wirtschaftsfaktor darstellten und da überdies
ein einmal «stehender» Militärapparat betätigt werden mußte, war
ein jährlicher Feldzug die Regel. Die sorgsame Registrierung erbeute­
ter Mengen an Kupfergerät, aber auch an Rindvieh und Pferden sind
beredte Zeugen dieser – einseitigen! – «Handelstätigkeit». So bildet
denn auch neben angeblichem Vertragsbruch die Weigerung eines
Tributpflichtigen, seinen Leistungen nachzukommen, sehr oft die
vordergründige Rechtfertigung für eine militärische Expedition.
Da die Märsche in Richtung Norden und Nordwesten zwangsläufig
ins Gebirge und Nachgebirge führten, gewinnt als spannungserhö-
hendes literarisches Motiv die Beschreibung an Bedeutung, wie sich
das Heer durch unwegsames Gebirge auf früher nie begangenen Pfa-
den seinen Weg bahnen mußte; wie man den Transport der Streitwa­
gen durch imposante Pionierleistungen ermöglichte, verbunden mit
der Darstellung einer heroisch-aggressiven Gebirgslandschaft. Der
ausweichende Gegner wird bis in höchste Adlerhorste verfolgt. Die
Besiegten werden gelegentlich samt Anhang gefangen weggeführt
und in Assur nach Versprechen eines künftig besseren Verhaltens be-
gnadigt. Häufiger ist jedoch das abschreckende Strafgericht: Massen-
hinrichtungen, Aufspießen von Gegnerköpfen auf Pfählen rings um
Assyrien: Erster Höhepunkt 171

die eingenommene Stadt, Zerstörung, Einebnung. Wieweit all dies in


allen Einzelfällen der Wirklichkeit entsprochen hat, kann man nicht
mehr nachprüfen. Wer vom Besiegten reichlichen Tribut einzutreiben
gedenkt, tut stets gut daran, dessen «Infrastruktur» intakt zu lassen.
Wie immer ist also die höchste Skepsis gegenüber den Kriegsberich­
ten geboten. Was wir am ehesten für bare Münze nehmen dürfen,
sind die Namen: von Ländern, Bergen, Flüssen, Personen.
Die meisten dieser literarischen Gegebenheiten in den Königsin­
schriften sind den Herrschern der mittel- und neuassyrischen Zeit ge­
mein; sie wiederholen sich von Jahrhundert zu Jahrhundert – wenn
auch nicht ohne stilistische Weiterentwicklung; wir brauchen auf sie
nicht jedesmal neu einzugehen.
Was waren die geographisch entferntesten Punkte bei Tiglatpile-
sers Feldzügen? Im Norden ist es zumindest der Vansee, genannt «das
Obere Meer von Nairi» (das «Untere Meer» war nach alter Tradition
der Persische Golf). Das Kaspische Meer ist, soweit wir sehen, nicht in
den Blickwinkel der Assyrer gerückt. Die Nairi-Länder mit ihrer eth­
nisch noch nicht genau beschreibbaren Bevölkerung haben wir schon
früher erwähnt (s. S. 167). Im Nordwesten war es das Gebiet von Kat­
muhu am Oberlauf des Tigris, westlich und nordwestlich vom heuti­
˘
gen Cizre. Dort wurden die Muški besiegt, eine nicht sicher identifi­
zierbare Völkerschaft (daß es, wie bisweilen vorgeschlagen, Phryger
gewesen seien, ist unbeweisbar). Im Westen war der entfernteste
Punkt «das Obere Meer von Amurru», das Mittelmeer. Tiglatpileser I.
erwähnt den Libanon und die Stadtstaaten Byblos, Sidon und das auf
einer Insel gelegene Arwad. Mit dem Libanon ist das «Zedernfällen»
assoziiert, ein (konkrete Handelsinteressen widerspiegelndes) literari-
sches Motiv, das wir bereits im sumerischen Epos von «Gilgameš und
Huwawa» antreffen. Von Arwad aus will der König bei einer Schiffs-
fahrt ein «Pferd des Meeres» (vielleicht einen Schwertwal) erlegt
haben.
Genannt ist die Oasenstadt Tadmar (das klassische Palmyra) in der
syrischen Wüste 150 km südlich vom Euphratknie. Karduniaš (Baby-
lonien im weiteren Sinne) war mehrmals das Ziel von Feldzügen. Es
wurden, so die Texte, Dūr-Kurigalzu, Sippar, Opis und Babylon einge­
nommen und die Paläste in Babylon verwüstet. Von irgendwelchem
Kultfrevel ist aber nicht die Rede.
Ganz neu ist unter Tiglatpileser I. die Erwähnung der aramäischen
172 VII. Die mittelbabylonische Zeit

Ahlamū als Gegner. Ihre Zähigkeit und – nomadischer Lebensweise


˘
entsprechende – Flüchtigkeit kann man leicht daraus erschließen, daß
der König den Euphrat nicht weniger als 28mal überschritten haben
will, um sie unter seine Gewalt zu bringen, was aber offenbar nicht
gelang (vgl. Kapitel 38). Daß die Aramäer zur Zeit Tiglatpilesers I. al-
lerdings schon das Kamel (Dromedar oder Trampeltier) benutzt hät­
ten, läßt sich nicht nachweisen.
Die Grenzen eines altorientalischen Reiches wie Tiglatpilesers sind
nicht daran abzumessen, wie weit Feldzüge geführt haben und wie
viele und welche Gebiete tributpflichtig geworden sind. Relevant ist
das Gebiet, das in die assyrische Verwaltung einbezogen war: Wo gab
es regionale Verwalter, «Paläste» mit ihrer eigenen Buchführung und
– vor allem – wo wurde die Urkundendatierung nach dem von der
Hauptstadt verfügten Eponymensystem praktiziert?
Tiglatpileser I. ist der erste assyrische Herrscher, unter dem sich
ein System der Verwaltungsbezirke oder «Provinzen» rekonstruie-
ren läßt. Es sind wenigstens 27, doch entspricht deren maximale
Ausdehnung nach den vier Himmelsrichtungen keineswegs den
Extrempunkten der Feldzugsberichte. Nördlichster Bezirk war Kat­
muhu (s. oben S. 171), also keineswegs schon eine Region im Hoch-
gebirge. Das Hābūr-Dreieck war einbezogen, aber nicht noch weiter
˘
westlich der Euphratnebenfluß Balãh oder gar der Nordwestlauf
˘
des Euphrat selbst. Östlich bildet die Grenze der – für uns vage –
«Untere Bezirk» am Tigris, der vielleicht nur unweit vom Durch­
bruch durch den Ǧabal Ḥ amrãn lag. Am mittleren Euphrat war die
uralte Asphaltquellen-Stadt Idu (das heutige Ḥ ãt) einbezogen. So
erkennt man leicht den Unterschied zwischen den literarisch-pro­
pagandistischen Ansprüchen der offiziellen Inschriften und der
nüchternen Realität der Verwaltung, aus deren Einzugsgebiet re­
gelmäßige Abgaben, Lieferungen, auch die Gestellung von Arbeits­
kräften zu erwarten waren, aber keine Tributleistungen. Das Tri­
buteingangssystem ist sehr viel schwieriger zu rekonstruieren,
weil die hauptsächlichen Hinweise den – als Quellen nur bedingt
zuverlässig zu betrachtenden – offiziellen Königsinschriften ent­
stammen.
Die «Provinzen» sind bis zum Ende des assyrischen Reiches der bei
weitem zuverlässigste Gradmesser, wenn man die tatsächliche Aus­
dehnung des Reiches beurteilen will. Erst als unter Sargon II.
Die Aramäer 173

(721–705) in Babylonien assyrische «Provinzen» eingerichtet wur­


den, kann man von einer regelrechten Unterwerfung des südlichen
Zweistromlandes durch Assyrien sprechen.

38. Die Aramäer

Sie waren entweder schon immer da am Rande des Fruchtbaren Halb-


monds, seßhaft oder halbseßhaft und noch unbemerkt – oder wenig-
stens unbenannt – vom historischen Protokoll der schriftführenden
Nationen; oder aber, so die eher veraltete Hypothese, sie stammten
aus einem imaginären, unerschöpflichen Nomadenreservoir der Ara­
bischen Halbinsel, wo genau sich dieses auch immer auf dem nur flek-
kenweise bewohnbaren Subkontinent befunden haben mag. Die The­
se von den semitischen Wanderwellen: Akkader, Amurriter, Aramäer,
Araber, die – hagere Wüstengestalten – in periodischen Jahrhundert­
abständen aufgebrochen und ins Gebiet des Fruchtbaren Halbmonds
eingebrochen seien, um wohlgenährte Städter und Feldbauern in
Existenzangst zu versetzen, diese langgepflegte These läßt sich nur
noch mit Mühe aufrechterhalten. Der vielzitierte altbabylonische
Omen-Nachsatz «Der aus der Steppe wird zu mir hereinkommen und
den Stadtbewohner hinaustreiben» (s. S. 110) bezieht sich auf die un-
mittelbare Nachbarschaft nicht – oder nicht völlig – Seßhafter. Aber
wo wäre – rein geographisch-klimatisch gesehen – jenes «Semitenre-
servoir» gewesen, das von Zeit zu Zeit übergequollen sein sollte?
Wie dem auch sei: Tiglatpileser I. sieht sich schrecklich plötzlich –
oder doch gänzlich unvorbereitet – mit einem Ansturm konfrontiert,
gegen den er sich mühsam stemmen, den er aber nicht mehr abweh-
ren kann. Die Aramäer bilden kleine Fürstentümer (oder: Königtü-
mer), die sich «Haus des So-und-so» (Bãt NN) nennen. Sie ordnen
sich nach vorgefundenen sozialpolitischen Strukturen, übernehmen
die Keilschrift und die akkadische Sprache (aber später haben sie auch
Tintengraffiti in ihrer eigenen Schrift und Sprache auf Ton aufgetra­
gen); sie gewannen, verloren, noch nicht wissend, daß sie am Beginn
eines Prozesses standen, der sie im folgenden Jahrtausend immer
höher aufsteigen lassen sollte. Die Aramäer sind im Fruchtbaren
Halbmond (und außerhalb noch weniger) nicht untergegangen wie
die ihnen vorangegangenen amurritischen Eindringlinge.
174 VII. Die mittelbabylonische Zeit

Die Sprache der Aramäer ist – bei aller vollkommen klaren Ver-
wandtschaft – grundverschieden vom Akkadischen, vom Amurriti-
schen und Kanaanäischen sowie auch vom Arabischen innerhalb der
semitischen Sprachfamilie. Ihre Sprache trat einen Siegeszug durch den
gesamten Vorderen Orient an. Sie hat bis zum Ende des I. Jahrtausends
v. Chr. das Akkadische völlig verdrängt. Sie hat sich auch in Syrien-Pa­
lästina durchgesetzt und das «kanaanäische» Phönizisch wie ebenso das
«kanaanäische» Hebräisch zum Aussterben gebracht oder zu einer nur
noch im Kult und Gebet benutzten Sprache gemacht. Die Kommentare
zu den hebräischen heiligen Schriften sind im sogenannten Biblisch-
Aramäischen abgefaßt. Längst vorher, im Achämenidenreich, war das
«Reichsaramäisch» lingua franca geworden. Durch manichäische Mis­
sion in Zentralasien wurde syrisch-aramäische Schrift den Uiguren und
Mongolen für ihre Sprachen übermittelt (nur daß man nun, chinesi­
schem Vorbild folgend, von oben nach unten schrieb). Neuaramäische
Sprachen leben noch weiter im Libanon, in Syrien, im Iraq, in der Ost­
türkei, im südlichen Kaukasus, und sie haben sich durch die sich «Assy­
rer» nennenden neuaramäischen Christen auch nach Europa und Ame­
rika verpflanzt. Man findet nicht leicht einen anderen solchen die
Jahrtausende durchziehenden Überlieferungsstrang.
Zurück zu den Anfängen: Die transeuphratischen Kämpfe Tiglatpi­
lesers I. gegen die Aramäer lassen sich nicht einfach vergleichen mit
den ein Jahrtausend älteren Bemühungen der Sumerer und Akkader,
dem plötzlich einsetzenden Ansturm der Amurriter zu begegnen. Da­
mals wurde – defensiv – eine Mauer (oder eine Reihe von Kastellen)
errichtet, aber man ging nicht in die Offensive über, soweit wir in die­
ser Hinsicht wenigstens ein Schweigen der Quellen deuten dürfen. Es
mögen hier wieder geographische Gegebenheiten eine Rolle spielen:
Der «Flaschenhals» im Norden Babyloniens ließ sich unschwer sper-
ren; aber das nördliche Mesopotamien, offen nach allen Himmelsrich­
tungen, erlaubte keine vergleichbaren Defensivmaßnahmen.

39. Rückblick

Eine Rückschau auf den sehr großzügig «mittelbabylonische Zeit»


genannten Abschnitt führt noch einmal das Unbehagen vor Augen,
mit dem der Historiker das knappe halbe Jahrtausend nach dem Ende
Rückblick 175

der I. Dynastie von Babylon zu beschreiben versucht. Das Rückgrat


einer durchgängig gesicherten Chronologie fehlt noch immer; eine
Unmenge historischer Daten, von denen wir nur einen Bruchteil mit­
geteilt haben, «schwimmen» – oft fast beziehungslos – in den Jahr-
zehnten. Schilt man den Chronologen einen Pedanten, so vergißt
man, was man als historische Selbstverständlichkeit schätzen muß:
das Vermögen, Namen, Ereignisse und Zeitspannen (Regierungen)
auf das Jahr genau aufeinander zu beziehen. Daher haben wir – um
nur ein Beispiel zu nennen – Idrimi ausgespart, den König von Alalah
˘
im Lande Mukiš am Unterlauf des Orontes, der uns in der Inschrift
eines (wenig gekonnt ausgeführten, nachgerade häßlichen) Sitzbildes
seine höchst abenteuerliche «Autobiographie» mitteilt. Idrimi war
Zeitgenosse und geduldeter Vertragspartner des Parattarna von Mit­
tani. Dieses sehr bedeutende, weitgehend hurritisch bevölkerte und
von einer «arischen» Schicht (oder doch nur noch von Personen mit
arischen Namen) regierte Reich von Mittani mit seiner noch unent­
deckten Hauptstadt Waššukkanni (wohl im Hābūr-Dreieck, vgl. oben
˘
Kapitel 33) läßt sich noch überhaupt nicht in genauer Chronologie be-
schreiben, da uns präzise Daten fehlen.
Wenn aber vielleicht in einer «Geschichte Mesopotamiens» die
Nachbarn gebührende Berücksichtigung heischen, das Hauptgewicht
jedoch auf der Geschichte Babyloniens und Assyriens und den Bezie-
hungen beider liegen sollte, dann irritieren uns wiederum die meist
fehlenden aufs Jahr (oder mindestens Jahrzehnt) exakten Zeitbezüge
– ganz abgesehen davon, daß manche vielbeschriebenen Ereignisse
überhaupt nur Jahrhunderte späteren «Chroniken» entnommen sind,
nicht zu vergessen die Plünderung des Marduk-Tempels in Babylon
durch Tukulti-Ninurta I. und die Entführung der Kultstatue des Mar­
duk nach Assur.
Ebensowenig genau zu beantworten ist – chronologisch gesehen –
die Frage nach der Tradierung der sumerischen und akkadischen Lite­
ratur. Nach den für uns noch wahrnehmbaren Höhepunkten unter
den letzten fünf Königen der I. Dynastie von Babylon entsteht für uns
ein Hiat von wenigstens zwei Jahrhunderten, bis wir wieder in der
Chronologie Tritt fassen mit nur grob datierbaren Texten aus Emar
(am Südende des Euphratknies gelegen) aus dem 13. oder dem Anfang
des 12. Jahrhunderts v. Chr. und vor allem aus dem Assur des 12. Jahr­
hunderts. Hier bietet sich das Bild völlig verändert dar. Die sumerische
176 VII. Die mittelbabylonische Zeit

Literaturtradition in ihrer Eigenständigkeit ist abgebrochen. Sume­


risch ist auch in den kleinsten Rückzugsinseln als gesprochene Spra-
che endgültig ausgestorben. Einige sumerische Werke werden in der
Form von «Interlinearbilinguen» weitergegeben (d. h. der sumeri-
schen Textzeile ist jeweils eine – meist deutlich eingerückte – Zeile
mit der akkadischen Übersetzung beigefügt). Das Corpus dieser Inter­
linearbilinguen ist – auch wenn wir Texte aus dem I. Jahrtausend
v. Chr. hinzunehmen – verschwindend klein gegenüber dem höchst
imposanten einsprachig-sumerischen Corpus der altbabylonischen
Zeit. Aus Emar ist unter vielen anderen eine nur akkadische Fassung
des Streitgedichts von «Dattelpalme und Tamariske» bekannt. Frag-
mente des akkadischen Gilgameš-Epos sind uns aus Megiddo in Palä-
stina und aus Hattuša in Kleinasien überliefert – Beispiele für die un­
˘
gestüme Sendungskraft der Schreiberschulen. Das alles sind aber nur
Spitzen eines veritablen «Eisgebirges».
Man hat die Frage gestellt, ob in gelehrter Schultradition eine Aus­
wahl stattgefunden habe und ob diese Auswahl «kanonisiert» worden
sei. Eine solche These muß schrecklich vereinfacht erscheinen, solan-
ge sich unsere Quellenlage in einem so tristen Zustand befindet. Sind
erst einmal – durch weitere Forschungen und neue Grabungen – von
Jahrhundert zu Jahrhundert, wo nicht gar von Generation zu Genera-
tion fortschreitende Textcorpora rekonstruiert, dann – und erst dann –
wird sich die Frage nach der Weiterüberlieferung der sumerischen
und akkadischen Literatur nach dem Fall von Babylon genauer beant­
worten lassen.
In der Religionsgeschichte, wo wir mit ganz analogen Datierungs­
schwierigkeiten konfrontiert sind, ragt der Aufstieg Marduks zur ober-
sten babylonischen Gottheit heraus. Das ist möglicherweise endgültig
unter König Nebukadnezar I. von Babylon (ca. 1124–1103 v. Chr., s. Ka-
pitel 4o) geschehen. Die «Erhöhung» Marduks hat ihren literarischen
Ausdruck im babylonischen Lehrgedicht von der «Weltschöpfung» ge-
funden, dem Enūma eliš «Als oben», wie es schon in Mesopotamien
nach den beiden Eingangsworten zitiert wurde. Die Entstehungszeit
dieses Gedichts ist noch immer umstritten: schon im II. Jahrtausend,
oder doch erst im I.? Marduk ist auch ins assyrische Pantheon aufge­
nommen worden, und der Grad seiner Rezeption erhellt aus einer so
banal wirkenden Tatsache, daß im 12. Jahrhundert v. Chr. fast 10 % der
in mittelassyrischen Quellen genannten Personen einen Namen haben,
Rückblick 177

jn welchem Marduk als «theophores – den Gottesnamen tragendes –


Element vorkommt». Doch sei konzediert, daß es keine assyrischen Kö-
nige gibt, in deren Namen Marduk erscheint.
Noch manche weitere Frage ist zu stellen, am praktischsten viel-
leicht in der Manier eines Joyce’schen Katechismus:
Wurden die Grenzen der – bekannten – Welt weiter hinausgescho­
ben? – Ja und nein. Die assyrischen Könige erschlossen bis dahin un­
betretene Bergregionen nördlich und nordwestlich von Assur; aber sie
erreichten nach allem, was wir wissen, noch nicht das Kaspische Meer.
Der über den Persischen Golf geführte Handel mit dem Indus-Gebiet
(vgl. oben S. 72 f.) versiegte. Das «Untere Meer» war nach wie vor der
Persische Golf, und die Existenz des Indischen Ozeans wurde – we-
nigstens in den uns bekannten Quellen – nicht realisiert. In hethiti-
schen Quellen Kleinasiens mag mit «Ahhijawa» auch festlandeuro-
˘˘
päisches Griechenland einbezogen sein. «Laspa» ist zweifellos die
Insel Lesbos. Aber irgendwelche konkreten Nachrichten über «Euro-
pa»-Kontakte fehlen. Dagegen war Kreta (Kaptaru) schon in der alt­
babylonischen Zeit bekannt. Die überhaupt wichtigste Erweiterung
des geographischen Horizonts war, daß Ägypten in den Gesichtskreis
Mesopotamiens getreten ist.
Gab es einen Unterschied zwischen einer babylonischen und einer
assyrischen «Mentalität»? – Zugestanden, «Mentalitätengeschichte»
hat in der Forschung vom Alten Vorderen Orient noch kaum Fuß ge­
faßt. Doch haben in der Vergangenheit Geschichtsschreiber gelegent­
lich Gegensätze sehen wollen zwischen «babylonischen Händlern und
assyrischen Kriegern»: «Babylon wünscht Gold, Assur Kriegsruhm
und Macht» lautete eine Kapitelüberschrift, und es wurde den Assy­
rern auch ein «viel härterer Volkscharakter» bescheinigt. Derlei Pau-
schalurteile kommen zwar der Realität im allgemeinen wenig nahe.
Doch fällt immerhin ein starker Kontrast auf zwischen assyrischer
und babylonischer Titulatur: nicht enden wollende martialische Tira-
den bei den Assyrern und viel stärker religiöse Hinwendung am Be­
ginn der babylonischen Inschriften. Eher darf man in unserem Zu­
sammenhang schon die folgende Frage stellen:
Gab es einen Fortschritt im Bereich der sozialen Gerechtigkeit oder
bemerkenswerte Neuerungen bei der Einstufung von Teilen der Unter­
tanen (Frauen, Sklaven)? – Nein. Man ist angesichts der abscheulich ri­
giden Bestimmungen über die Rolle und die «Rechte» der Frau in den
178 VII. Die mittelbabylonische Zeit

7 Kultsockel Tukulti-Ninurtas I. von Assur, aus Assur.

Gipsstein, Höhe 57,5 cm. Heute Vorderasiatisches Museum, Berlin.

Mittelassyrischen Gesetzen eher geneigt, einen Rückschritt gegenüber


der rechtlich-sozialen Situation der altbabylonischen Zeit anzuneh-
men. Indessen ist nicht sicher, wieweit die Mittelassyrischen Gesetze
als Spiegel eines Jahrhunderts oder gar mehrerer aufgefaßt werden
dürfen. Was den Sklaven betrifft, so hat es bis ins klassische Altertum
hinein überhaupt keine Bewegung gegeben (und auch nicht geben kön-
nen), da die Auffassung herrschte, daß er selbstverständlicher Teil der
einmal erschaffenen und geordneten Welt war. Königliche Verlautba-
rungen über den Schutz der Armen, Witwen und Waisen und über die
– wenigstens vorübergehende – Reduzierung drückender und eine
Massenverelendung provozierender Abgabelasten sind seit Iri-kagina,
Ur-Namma von Ur III, Lipit-Ištar von Isin, Hammurāpi und Ammi-sa­
duqa von Babylon (s. Kapitel 27) gang und gäbe. Sie kommen aber am
Ende des II. Jahrtausends v. Chr. nicht mehr (programmatisch) vor. Auf
Rückblick 179

einem ganz anderen Blatt stehen die Klagen des «Gerechten Leiden-
den» (das Hiob-Motiv) – zuerst altbabylonisch bezeugt. Bei ihnen geht
es um das Verhältnis des einzelnen nicht zum Herrscher oder zur Ge­
sellschaft, sondern zum pünktlich verehrten Gott, der dennoch seine
Strafen ausmißt.
Gab es eine Entwicklung auf dem Gebiet der bildenden Kunst? – Ja,
ganz entschieden, wie auch kaum anders zu erwarten. Mangels genü-
gender Kompetenz und auch weil hier ja keine altorientalische Kunst-
geschichte geschrieben wird, beschränken wir uns auf drei willkürlich
herausgegriffene Beispiele. Der Tempel, den der Kassitenkönig
Karaindaš (Ende des 15. Jahrhunderts v. Chr.) für die Göttin Inanna in
Uruk erbauen ließ, hat eine nischenartig gegliederte Außenwand, an
welcher gefäßehaltende Götter und Göttinnen, aus Formziegeln ge-
mauert, dargestellt sind. Tukulti-Ninurta I. von Assyrien hat sich auf
einem Kultsockel abbilden lassen, wie er vor einer Gottheit zuerst
ganz links steht und dann in der Mitte der Szene kniet, geradezu
«kinematographisch» dargestellt. Das Denkmal ist solide gearbeitet,
fasziniert durch die Idee seiner Darstellung, bleibt aber künstlerisch
innerhalb des Gewohnten. Die babylonischen Kudurru (s. Kapitel 32)
haben den bildenden Künstler vor eine ganz neue Herausforderung
gestellt: Der Kudurru ist eine unregelmäßig geformte, oben abgerun­
dete Steinstele, auf deren Oberteil Göttersymbole angebracht sind,
während die rechtsverbürgende Inschrift die Seitenflächen des auf­
recht stehenden Steins einnimmt. Bis zu einem gewissen Grade, aber
nie vollständig, entsprechen einander die in der Inschrift genannten
Gottheiten und die oben skulptierten Symbole.
Die Darstellung von Personen in den Bilddenkmälern der «mittel-
babylonischen Zeit» ist aber nach wie vor im Gesicht starr und gänz-
lich unbewegt. Viele Jahrhunderte harren wir noch des «archaischen
Lächelns».
Ist die Beherrschung der Natur, ist die «Technik» fortgeschritten? –
Ja. Die Fortbewegungsgeschwindigkeit ist durch die Benutzung des
Pferdes gewachsen. Der schnell bewegliche Streitwagen (mit Spei-
chenrädern) wurde eingeführt. Noch unklar ist, ob Randgruppen Me­
sopotamiens (die Aramäer?) bereits am Ende des II. Jahrtausends
v. Chr. das Kamel gezüchtet und eingesetzt haben.
Das Eisen (akkadisch parzillu) wird immer häufiger benutzt, nach-
dem es in der altbabylonischen und altassyrischen Zeit nur ganz
180 VII. Die mittelbabylonische Zeit

sporadisch als – sehr kostbares – Meteoreisen erwähnt wurde. Techni­


sches schlägt sich häufig auch in schriftlicher Formulierung nieder.
Wir nannten Pferdetrainingstraktate (s. Kapitel 33). Ein mittelbabylo­
nischer Text mit einem Rezept für die Herstellung von rotem Glas (als
Surrogat für den beliebten Karneol) steht am Anfang einer langen
Tradition von Glasrezepten.
Es versteht sich, im – erweiterten – Rahmen des «Technischen» zu
erwähnen, daß mit der Entwicklung der Sprache (ihrer Grammatik,
ihrer Stilistik, ihres Wortschatzes) auch die Art, die Sprache zu notie-
ren, d. h. die Orthographie, Neuerungen erfährt. Es war zwar schon
seit Beginn der Zeit, als man Akkadisch schrieb, möglich, für ein Wort
anstelle der Schreibung mit Silbenzeichen (z.B. ša-ar-ru-um =
šarrum «König») das sumerische Wort-Zeichen zu notieren, das dann
nicht sumerisch, sondern akkadisch zu lesen war. Die Tendenz, solche
sogenannten «Sumerogramme» zu verwenden, nimmt in der «mittel­
babylonischen Zeit» stark zu und setzt sich ins I. Jahrtausend v. Chr.
fort. Im orthographischen System des Hethitischen waren neben den
«Sumerogrammen» auch noch «Akkadogramme» üblich, d. h. ganze
akkadisch geschriebene Wörter, die hethitisch gelesen werden muß­
ten. Die massive Verwendung von «Sumerogrammen» und «Akkado-
grammen» im Hethitischen hat zwar das Verständnis dieser 1915 ent-
deckten indogermanischen Sprache stark gefördert, dafür aber die
Einsicht, wie Hethitisch wirklich geklungen hat, stark behindert.
Wir lassen die «mittelbabylonische Zeit» hinter uns, können aber
nicht umhin, auch im folgenden Kapitel gelegentlich noch einmal auf
sie zurückzukommen, da doch erste Ereignisse nicht festgeschrieben
sind, sondern immer weiter wirken.
VIII.

Jahrhunderte großer Konstellationen: Assyrien,

Babylonien, die Golfregion, Elam, Urartu, Kleinasien

und der «Westen», Syrien-Palästina, Ägypten

40. Assyrien und ein zersplittertes Babylonien

Mit Aššur-bēl-kala (1074–1057), dem Sohn Tiglatpilesers I., nähern


wir uns einer «Jahrtausendschwelle», doch nur einer solchen, die sich
aus unserer Zeitrechnung «vor/nach Christi Geburt» erklärt. Späte-
stens Beda Venerabilis (672/73–735) hat sie eingeführt, und sie löste
die Seleukidische Ära ab (Ausgangspunkt 312 v. Chr.). Da die christ­
liche oder «gemeinsame» Ära längst globale Geltung gewonnen hat,
bezieht sich jede Geschichtsschreibung auf sie, und es erfordert einige
Anstrengung, sich von ihr freizumachen. Wir erwähnen daher diese
Wende, können aber ebensowenig Folgerungen aus ihr ziehen, wie es
im Jahre «o» oder 1000 A. D. möglich gewesen wäre.
Aššur-bēl-kala hat, wenn wir dem Wortlaut seiner Inschriften fol­
gen, den Stil seines Vaters fortgeführt: Gebirgsfeldzüge bis nach
Uruaṭ ri (das später Urarṭ u genannt wurde), Jagdberichte, Aramäer-
kämpfe. Es werden bei ihm aber zum ersten Mal «Dromedare» (udrā-
tu) als gezähmt und über das Land verteilt erwähnt. Neben der Ein­
führung des Pferdes bedeutete die Domestizierung des Kamels eine
Beschleunigung in der Fortbewegung. Es machten hiervon aber in
erster Linie die Nomaden Gebrauch, während sich die Seßhaften tra-
ditionellerweise der Equiden bedienten (Maultiere, Pferde), wofern
nicht – in unwegsamem Gelände zumal – der altbewährte Läufer als
Bote eingesetzt wurde.
Auf Aššur-bēl-kala folgen (bis Assurnasirpal II., Kapitel 41) elf
Könige, von denen fast alle einen Namen haben, der schon zuvor in
der langen Reihe der assyrischen Herrscher vorgekommen ist:
Šamšã-Adad IV., Salmanassar II., Tiglatpileser II., um nur drei Bei-
spiele zu nennen. Diese Tradierung alter Namen ist ein schönes
Zeugnis für ein bewußt gepflegtes genealogisches Gedächtnis. Be­
182 VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen

merkenswert ist in der Tat in den Bauinschriften assyrischer Herr-


scher, daß sie sich immer wieder auf Vorfahren beziehen, die schon
in vergangenen Jahrhunderten diesen oder jenen Tempel erbaut, er-
neuert oder umgebaut hatten. Bezeichnend für die chronologische
Sorgfalt, mit der man die Vergangenheit wahrnahm, sind die soge­
nannten «Distanzangaben»; das sind Feststellungen, die dem Infor-
mationsprinzip folgen, daß – beispielsweise – seit dem (bauinschrift-
lich bezeugten) König NN bis zum gegenwärtigen König soundso
viele Jahre vergangen seien. So sagt Salmanassar I., daß zwischen der
Erbauung des Assur-Tempels von Assur (E-hursag-kurkura) durch
˘
Erišum (I.) und der Restaurierung durch Šamšã-Adad (I.) 159 Jahre
verstrichen seien und wiederum 580 Jahre seit Šamšã-Adads Bautä-
tigkeit und dem nun regierenden Salmanassar. Die «Distanzanga-
ben» wären eine ideale Stütze der altorientalischen Chronologie,
würden sich nicht beim Vergleich und der Korrelation verschiedener
solcher Angaben Widersprüche ergeben, die den – im Prinzip noch
immer bestehenden – Wert relativieren.
Während des halben Jahrhunderts zwischen Assur-bel-kala und
Adad-nērāri II. (911–891) verliert das assyrische Reich an Boden, teils
in Bergregionen, teils durch das stetige Erstarken der Aramäer und ih­
rer Königtümer. Mit Adad-nērāri II., Tiglatpileser II. (890–884) und
schließlich Assurnasirpal II. (883–859) gewinnt Assyrien seinen alten
Machtbereich zurück, um fortan nach allen Richtungen zu wachsen.
Babylonien ist, anders als das von einem Rückgrat der Einheitlich­
keit durchzogene Assyrien, noch immer teils geeint, teils zersplittert.
Aber die Beleglage an zeitgenössischen historischen Dokumenten ist
– von wenigen Lichtpunkten abgesehen – höchst dürftig. Es erinnert
sich die spätere Historiographie an verschiedene «Dynastien» mit
Herrscherreihen und sogar der Angabe der Regierungsjahre der einzel­
nen Herrscher, ferner an bemerkenswerte Ereignisse während der
Regierung bestimmter Könige, ja auch – in der sogenannten «Syn­
chronistischen» Königsliste und «Synchronistischen» Chronik – an
allerhand Gleichzeitigkeiten. All dies ist in den bisher publizierten
Geschichten Mesopotamiens weidlich ausgeschöpft worden – und
doch kann es uns nicht als primäre Quellensammlung dienen. Wir
denken abermals an die Warnung von F. R. Kraus, Disparates nicht zu
einem scheinbar plausiblen Zusammenhang zu verdichten (s. S. 37).
Die kassitische Dynastie, auf die wir noch einmal zurückkommen
Assyrien und ein zersplittertes Babylonien 183

(s. Kapitel 32), wird mit ihren angeblich 36 Königen nur noch von der
Reihe der assyrischen Herrscher übertroffen. Tatsächlich betreten wir
aber erst mit ihrem 19. König, Burna-Buriaš II. (1359–1333), chrono-
logisch sicheren Grund. Die Dynastie endet 1157 mit einem Enlil-nā-
din-ahi. Mit dieser langen Dynastie war zeitweilig die I. Dynastie des
˘
«Meerlandes» synchron gewesen (vgl. oben Kapitel 32), von der bis-
her kaum mehr als die Herrschernamen bekannt sind – und auch die-
se nur aus der historischen Retroperspektive. In einer anschließenden
«II. Dynastie von Isin» (so benannt wegen der «I. Dynastie», s. Kapi-
tel 23) sticht Nebukadnezar I. (1124–1103) hervor als Herrscher mit
ausgeprägtem Nachruhm. Eine «II. Dynastie des Meerlandes» und
drei weitere wenig bedeutende «Dynastien» mögen das Bild Babylo­
niens in der Zeit von Assurnasirpal II. von Assyrien abrunden, ohne
daß es uns gelingen könnte, eine sinnvoll zusammenhängende Ge­
schichte Babyloniens, einsetzend mit dem 12. Jahrhundert v. Chr., zu
schreiben, geschweige denn für die Zeit davor.
Nebukadnezar I., ein Zeitgenosse der ersten Dekade Tiglatpilesers I.,
hat sich anhaltenden Nachruhm erworben durch seinen erfolgreichen
Kampf gegen den immer drohenden Feind Elam (dazu näher Kapi-
tel 42). So wie schon bei «Sargon» von Akkade hat es sich auch bei
«Nebukadnezar I.» eingebürgert, ihn – strenggenommen anachroni-
stisch – mit jener Namensform zu zitieren, die das Alte Testament
einem viel späteren Herrscher dieses Namens gegeben hat: Nebukad­
nezar II. (verschrieben aus Nebukadrezar) als hebräischer Reflex von
akkadisch Nabû-kudurri-uṣ ur.
In einer Kudurru-Inschrift (vgl. Kapitel 32), der zufolge ein Šitti-
Marduk für militärische Leistungen im Kampf Nebukadnezars I. ge-
gen den Elamiterkönig Hulteludiš-Inšušinak belohnt wurde, lautet
eines der den König preisenden Epitheta «der die Amurriter besiegt,
der den Kassiten Beute abgejagt hat». Amurriter und Kassiten stehen
hier für nomadisierende Völkerschaften auf mesopotamischem und
elamischem Boden. Dabei ist beachtenswert, daß fremd-feindliche
«Kassiten» nicht als Widerspruch zu der Tatsache empfunden wurden,
daß doch seßhaft gewordene Kassiten in Babylonien längst in der me-
sopotamischen Kultur und Tradition aufgegangen waren.
Neben den seit dem 12. Jahrhundert v. Chr. im Fruchtbaren Halb­
mond allgegenwärtigen Aramäern erscheint bei Assurnasirpal II. im
Zusammenhang mit Babylonien erstmals auch der Name einer weite­
184 VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen

ren Gruppe semitischer Nomaden: der Chaldäer, die möglicherweise


Verbindungen in die Golfregion, bis ῾Omän, sogar bis zur Südküste der
Arabischen Halbinsel und bis nach Jemen hatten. Von den Chaldäern
wird noch viel zu hören sein bis hin zur «Chaldäer-Dynastie» Babylo-
niens, deren zweiter und bedeutendster Vertreter Nebukadnezar II.
gewesen ist.

42. Assurnasirpal II. – ein Sadist auf dem Thron?

Das Corpus der Inschriften Assurnasirpals II. (883–859 v. Chr.) hat keine
Parallele in der Aufzählung und Häufung scheußlicher Strafgerichte:
Schinden der Gegner (ihre Haut wird über die Stadtmauer gebreitet);
Abschlagen von Gliedmaßen, Ohren, Nasen; Blenden, Pfählen, Ver-
brennen von Gefangenen, selbst junger Männer und Mädchen. Das
Pfählen und Schinden ist nachdrücklich auch auf neuassyrischen Re­
liefdarstellungen verewigt – zweifellos zur Warnung palastbesuchender
Fremder.
Die Frage ist schwer zu beantworten, wie es zu der so stark konzen-
trierten Beschreibung von Kriegsgreueln gerade bei Assurnasirpal II.
gekommen ist. Es fällt grundsätzlich schwer, durch offizielle Texte, ja
selbst durch persönliche Briefe zum Charakterbild eines Herrschers
vorzudringen. Altorientalische Physiognomie laßt sich im Bild schon
gar nicht wiederfinden (vgl. oben S. 179) – und doch: Das 190 cm hohe
Herrscherbild eines Salmanassar (858–824 v. Chr.) wirkt auf uns so
hochgradig abstoßend, daß er selbst heute noch das Fürchten lehrt.
Die Aufzählung der Beute nimmt immer größere Ausmaße an, z. B.
300 Talent Eisen von Aramäern, die es zu enormem Wohlstand ge­
bracht haben müssen. Tribut und Tributbringer sind ebenfalls in der
Bildkunst dargestellt, besonders auf den assyrischen Obelisken.
Die Inschriften Assurnasirpals II. enthalten mit ihren Hunderten
von Ortsnamen (Städten, Bergen, Ländern) einen unbezahlbaren
Schatz an geographischer Information. M. Liverani hat musterhaft ge-
zeigt, wie es bei peinlich genauer philologischer Analyse der Inschriften
gelingen kann, Feldzugsverläufe in alle Himmelsrichtungen zu karto­
graphieren und Beute und Tribut nach ihrer Herkunft zu klassifizieren:
Gold, Silber, Bronze, Zinn, Eisen, Holz, Elfenbein, Textilien, Wein, Pfer-
de, Maultiere und Gefährte, Kamele, Edel- und Schmucksteine.
Assurnasirpal II. 185

8 Standbild

Salmanassars III.

von Assur, aus Assur.

Basalt,

Höhe ca. 190 cm.

Heute Eski Şark

Müzesi, Istanbul.

186 VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen

Es treten in den Inschriften im übrigen gute Bekannte der Phraseo-


logie auf: die Dramatik des Hochgebirges, das Färben der Täler mit
dem Blut der getöteten Feinde oder das Reinigen der Waffen im Meer.
Uneingeschränkt zu trauen ist den Schreibern zweifellos nicht über­
all, vor allem nicht bei Zahlenangaben. Wenn ein Gebirge notwendi­
gerweise «beschwerlich» zu erklimmen ist und wenn die Berge so
hoch sind, daß selbst die Vögel ihre Spitze nicht erreichen, dann wirkt
es fast erheiternd, wenn das akkadische Adjektiv marṣ u «schwierig,
beschwerlich» sogar auf eine harmlose Flachgebirgsgruppe wie die des
Ǧabal Bišri südwestlich vom Euphrat angewendet wird.
Wie schon früher betont, wurden die assyrischen Kriegszüge in
starkem Maße aus kommerziellen Gründen unternommen. Daher
sind denn auch die in den Texten aufgeführten Hekatomben ermorde­
ter Feinde mit einiger Vorsicht zu beurteilen. Der König hat ohne
Zweifel viel Tribut und Beute gebraucht, um immense und kostspieli­
ge Bauvorhaben in Assur, Ninive, Kalhu und anderswo zu finanzieren.
˘
Vor allem hat er die Hauptstadt von Assur nach Kalhu verlegt – aus
˘
uns nicht mehr rekonstruierbaren Gründen: herrscherlicher Bau­
wahn; sich absetzen wollen von der Elite alteingesessener Familien im
angestammten Assur oder Kār-Tukulti-Ninurta; oder Bevorzugung
einer besseren Verkehrslage? Die Einweihung der neuen Hauptstadt
hat Assurnasirpal II. zehn Tage lang feiern lassen; geladen waren fast
70000 Festteilnehmer, Assyrer und Fremde aus wenigstens zwölf
Städten und Ländern, darunter Sühu am Euphrat, Tyros und Sidon.
Spätestens bei Assurnasirpal II. hat sich in den Inschriften ein an­
nalistisches, d. h. den Jahren folgendes Vorgehen durchgesetzt (zu Be­
ginn der Jahresabschnitte sind regelmäßig die Namen der zuständigen
eponymen Beamten aufgeführt). In seiner Berichterstattung war ein
beliebtes Stilmittel, die Handlung voranzutreiben, die Ankunft von
Boten, die den König mit der Nachricht konfrontieren, So-und-so
habe sich dort-und-dort empört. Das bewegte den König dann zum
sofortigen Aufbruch.
Eine Maßnahme, eine schwer kontrollierbare, unsicher einzuschät­
zende Bevölkerung «in den Griff» zu bekommen, war das «Herausrei­
ßen», also die Deportation. Zwar ist ein solches Vorgehen gelegentlich
schon in altbabylonischer Zeit bezeugt, dann auch in mittelassyri-
scher; doch in großem Stil setzen Deportationen erst bei Assurnasir-
pal II. ein. Sie hatten eine «große Zukunft» bis hin zur «babyloni­
Elam 187

schen Gefangenschaft» der Juden. (Noch in den 80er Jahren des


modernen 20. Jahrhunderts hat der Diktator Saddam Husain Kurden
in den südlichen Iraq umgesiedelt.)
Mit Assurnasirpal II., teilweise auch schon dank seinen beiden Vor-
gängern Adad-nērāri II. (911–891) und Tukulti-Ninurta II. (890–884),
gewann Assyrien den Regierungs- und Verwaltungsumfang wieder,
den es unter Tiglatpileser I. schon einmal innegehabt hatte. Das zeigen
die unter Assurnasirpal II. neu eingerichteten Provinzen des Reichs.

42. Elam

Mit Elam (s. auch schon Kapitel 15) assoziieren wir Persien, Iran, frei-
lich nicht den Staat in seinen heutigen Grenzen, dessen Umfang mehr
als das Dreifache vom modernen Iraq einnimmt. Je weiter wir von
Mesopotamien aus nach «Iran» in nordöstlicher, östlicher oder süd­
östlicher Richtung einzudringen versuchen, desto mehr verblassen
unsere geographischen Vorstellungen vom Land vor der Zeit des
Achämenidenreiches.
Einen Fixpunkt eher am Rande und nicht im Zentrum Elams bil-
det die Metropole Susa, nicht weit vom Fuß des Zagros-Gebirges
und nahe dem Fluß Karha, in der Luftlinie 240 km von Ur und
˘
355 km von Babylon entfernt. Elam ist ein vager Begriff. Im engeren
Sinne entspricht es mehr oder weniger der heutigen Landschaft Fārs;
im weiteren Sinne bezieht es mindestens die Susiana ein, also die
Landschaft um Susa. Ein fast noch bedeutenderes Zentrum war Ende
des III. Jahrtausends Awan, im Nordosten von Susa; es ist aber noch
nicht vollkommen sicher lokalisiert. Von dort stammte eine Dyna-
stie, mit der sich Herrscher der Dynastie von Akkade auseinander-
setzen mußten.
Die bequemste Definition von «Elam» bestünde darin, das Gebiet
zu umreißen, wo man Elamisch sprach (und schrieb). Doch für die tat­
sächliche geographische Streuung des Elamischen wie überhaupt für
die Sprachenlandschaft «Irans» im III., II. und frühen I. Jahrtausend
v. Chr. fehlen uns exakte Belege. Die wahrscheinlich der ältesten me­
sopotamischen Keilschrift nachgeformte «proto-elamische» Schrift
(vgl. oben S. 31) hatte gegen Ende des III. Jahrtausends ein Einzugsge­
biet, das im Osten bis nach Šahr-i Sohte reichte (knapp 1200 km öst­
˘
188 VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen

lich von Susa, schon an der Grenze zu Afghanistan). Ob man sich hier
aber noch auf genuin elamischem Sprachgebiet befand, läßt sich nicht
beweisen. Es ist übrigens versucht worden, einen sprachlichen Zu-
sammenhang herzustellen zwischen dem Elamischen und dem Proto-
Dravidischen (d. h. der Grundsprache der heute in Indien gesproche­
nen Dravida-Sprachen, die womöglich auch in den noch immer un-
entzifferten Siegelinschriften der Induskultur vertreten sind – vgl.
S. 31). Träfe diese These zu, dann könnten wir sozusagen linguistisch
den Bogen spannen von Susa ganz im Westen entlang der Nordküste
des Persischen Golfes bis hin ins riesige Einzugsgebiet des Pandschab
und des in den Indischen Ozean einmündenden Indus.
Die Küstenebene Hūzistāns (heute weitgehend arabisch besiedelt),
˘
durchflossen vom Kārūn, ist kaum etwas anderes als eine östliche
Ausweitung der Alluvialebene der Zwillingsflüsse Euphrat und Ti-
gris, und so waren Babylonien und Elam zu vielen Zeiten – auch wenn
durch «die Mode streng geteilt» – eine gemeinsame Kulturlandschaft:
gemeinsame Schrift seit der altakkadischen Zeit; bürokratische Ver-
waltung; gemeinsame Grundzüge des Pantheons; Errichtung monu-
mentaler Tempeltürme.
Und dennoch gestaltete sich – was aber kein Widerspruch sein muß –
das Verhältnis zwischen Mesopotamien und Elam oft beinahe in der
Art einer «Erbfeindschaft», und sehr bemerkenswerterweise hat sich
die Sprachengrenze durch die Jahrtausende bis heute behauptet. Weder
ist Südmesopotamien zu irgendeiner Zeit «elamisiert» worden noch
überlagerte die akkadische Sprache das Elamische – das geschriebene
sargonische Verwaltungsakkadisch (vgl. oben S. 70 f.) als Sprache einer
verwalteten elamischen Bevölkerung kann darüber ebensowenig hin­
wegtäuschen wie die Tatsache, daß uns aus dem altbabylonischen Susa
Hunderte von akkadischen Rechts- und Verwaltungstexten überkom­
men sind; Akkadisch war nur Mittel der Administration, aber nicht
Spiegel gesprochener Sprache. Interessanterweise ist auch im Akka­
dischen, das jederzeit offen für die Aufnahme von Fremdwörtern war,
der Anteil von Wörtern elamischen Ursprungs ganz auffällig klein (die
heutigen Wörterbücher verbuchen allenfalls 30–40 Beispiele).
Elam soll hier nur ganz knapp und auch nur in seinem unmittelba­
ren Verhältnis zu Mesopotamien behandelt werden. Ein ganz wesent-
licher Teil der uns – weitestgehend unbekannten – Geschichte Elams
ist ins iranische Landesinnere gespiegelt. Doch eine intensive Berüh­
Elam 189

rung der beiden Hochkulturen und ein davon ausgehender litera-


rischer Reflex sind von großer Bedeutung für die allgemeine Ge-
schichte des Alten Vorderen Orients.
Die Sumerische Königsliste (vgl. oben Kapitel 5) berichtet in einer
Glosse zu König Enmebaragesi von Kiš, er habe aus dem Lande Elam
die Waffen «herausgebogen» (d. h. er habe Elam besiegt). In der Kö-
nigsepik, die sich um Enmerkar von Uruk (den vermeintlichen Vor­
vorgänger des Gilgameš) rankt, erscheint das fern-iranische, hinter –
wie sollte es anders sein – sieben Bergketten liegende Aratta als eine
Stadt mit einem «Herrn», der ebenfalls Favorit der Göttin Inanna war.
Die Berge müssen den Flachländer zu allen Zeiten fasziniert haben.
Wir finden in Aratta, das sich bislang nicht sicher hat identifizieren
lassen, gleichsam eine gespiegelte sumerische Welt.
Die erste in zeitgenössischen Quellen nachweisbare Berührung ge-
schieht in der Zeit der Dynastie von Akkade (s. Kapitel 18, 19). Sargon
und Nachfolger haben nach Iran übergegriffen und in Susa eine Gar­
nison installiert. Mag das auch wohl politisch von nicht langer Dauer
gewesen sein, so bedeutete es doch für zwei weitere Jahrtausende eine
Umwälzung in der elamischen Geschichte. Die mesopotamische Keil-
schrift wurde in Elam übernommen; sie löste die einheimische «Strich-
inschrift» ab, deren elamischen Charakter W. Hinz überzeugend nach­
gewiesen hat. Keilschrift blieb bis in die Achämenidenzeit das einzige
Vehikel zum Ausdruck der elamischen Sprache. Importiert wurde
aber neben der Schrift als solcher auch mesopotamisches Schulwissen.
Man pflegte neben dem Elamischen intensiv auch das Akkadische und
sogar das Sumerische. (Einen umgekehrt entsprechenden Effekt, Re­
zeption des Elamischen auf mesopotamischem Boden, hat es dagegen
nie gegeben.)
Aus dem Susa der spätaltbabylonischen Zeit ist ein bedeutendes
Corpus (mehrere hundert Urkunden) von Verträgen, Gerichtsurkunden
und Abrechnungen erhalten. Fast alle uns aus Mesopotamien vertrau­
ten Formulare sind vertreten: Darlehen, Kauf, Teilung, Feld- und Gar­
tenpacht, Schenkung, geschäftliche Partnerschaft, Adoption, Eheschlie-
ßung, Rechtsstreitigkeiten. Die Sprache ist bemerkenswerterweise
Akkadisch. Neben elamischen Personennamen erscheinen in hoher
Zahl auch akkadische Namen. Unter den Göttern, bei denen der Eid ge-
leistet wird, sind sowohl elamische als auch mesopotamische vertreten.
Es ist heute nicht leicht zu beantworten, ob die «Akkadizität» dieses
190 VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen

Rechts- und Verwaltungssektors lediglich Abbild von starkem, seit der


altakkadischen Zeit anhaltendem mesopotamischen Einfluß war oder
ob sie womöglich doch einen nicht zu vernachlässigenden Anteil regulär
babylonischer Bevölkerung in Susa widerspiegelte. Zu einer vollstän-
digen Akkadisierung Elams ist es allerdings nie gekommen. Aber für
ein Prestige der akkadischen Sprache, das von etwaiger Einwohnerprä-
senz unabhängig war, spricht auf jeden Fall die Tatsache, daß elamische
Herrscher seit Puzur-Inšušinak (Akkade-Zeit) mehrere Jahrhunderte
lang ihre Bau- und Weihinschriften akkadisch abgefaßt haben. Was ak-
kadische Personennamen in susianischem Kontext betrifft, so muß ge­
sagt werden, daß die Namengebung weltweit und zu allen Zeiten die
Länder- und Sprachgrenzen überschritten hat.
Die Übernahme der Schrift aus Mesopotamien hat sich im Verlauf
der Geschichte Irans noch zweimal nachvollzogen: Das mittelpersi­
sche Pahlavi (2. Jahrhundert v. Chr. bis 7. Jahrhundert n. Chr.), in wel-
chem u. a. das zoroastrische Avesta aufgezeichnet ist, ging aus der ara-
mäischen Schrift hervor, die – zunächst im Fruchtbaren Halbmond
verbreitet – im Achämenidenreich Schriftträger des sogenannten
«Reichsaramäischen» geworden war. Nach der Missionierung durch
den Islam hat sich Iran dann sehr bewußt eine zwar arabische, aber
doch stark vom arabischen Muster abgesetzte Schreibvariante zu eigen
gemacht, die heute kalligraphische Triumphe feiert.
Es nimmt beim ebenen Landweg zwischen Susa und Ur oder Baby-
lon nicht wunder, daß Südmesopotamien und Elam durch die Jahr-
hunderte in einen nicht enden wollenden Interessenstreit getreten
sind. War Südmesopotamien schwach oder gar hilfsbedürftig, so griff
Elam über, und entsprechend verhielt es sich umgekehrt. Aber obwohl
es in den Quellen nie auch nur angedeutet ist, kann man wohl vermu­
ten, daß der eigentliche, tiefere Grund für den zeitlosen Antagonis­
mus in den zu erzielenden Handelsvorteilen lag: Elam verfügte über
den leichteren Zugang zu Metall- und (Edel-)Steinvorkommen; Me-
sopotamien hatte – in Friedenszeiten – Getreide, Wolle und Spinne­
reiprodukte zu liefern.
Vom Provinzstatus im Reich von Ur III mit intensivem Botenver-
kehr in Verwaltungsangelegenheiten hat sich Elam unter König Ibbi-
Suen von Ur frei gemacht, nachdem das starr auf wirtschaftspoliti­
scher Zuverlässigkeit beruhende System zusammenzubrechen begann.
Bei der Zerstörung der Hauptstadt Ur hatten die Elamiter – wenig­
Elam 191

stens zufolge der Aussage der sumerischen Dichtung «Klage über die
Zerstörung von Ur» – den Hauptanteil. König Ibbi-Suen soll in elami­
sche Gefangenschaft, genauer: nach Anšan (= Tall-i Mālyān nördlich
vom heutigen Šãrāz) weggeführt worden sein, vielleicht in ein äußerst
ziviles Exil – doch wurde in der Folge von ihm nichts mehr vernom-
men. Eine elamische Besatzung hat sich noch mehrere Jahre in Ur
festgesetzt, bis sie von Išbi-Erra von Isin vertrieben wurde.
Neben der ebenen südwestlich führenden Strecke gab es von Susa
aus eine zweite, südlich am Zagros entlangführende Straße nach Dēr
im Osttigrisland, von dort weiter ins Diyāla-Gebiet und dann direkt
zum «Flaschenhals» von Euphrat und Tigris. Diese Route wurde von
Elam immer dann bevorzugt, wenn das dichtbesiedelte Innere Baby­
loniens vermieden und umgangen werden sollte – z. B. in der altbaby-
lonischen Zeit im militärisch-diplomatischen Zusammenspiel mit
Mari oder später im I. Jahrtausend v. Chr. im gegen Assyrien gerichte-
ten Zusammenhang.
Bei Erstürmungen und Eroberungen spielten neben der Beute, die
sich real in vergleichbare Werte umsetzen ließ, stets auch historische
Monumente und Götterkultbilder eine Rolle. Das berühmte Sieges­
denkmal Narām-Suens von Akkade, die Stele mit dem Codex Hammu­
rāpi, aber auch manche mittelbabylonischen Kudurrus (vgl. Kapitel 32)
sind nicht etwa in babylonischem Fundzusammenhang entdeckt wor­
den, sondern in Susa, wohin sie als Beute verschleppt und von wo sie
nie an ihren Ursprungsort zurückgekehrt sind. Geraubte Kultbilder
prägten sich der geschändeten Gemeinde als ein «Immer-daran-den­
ken» ein, und es war heilige Verpflichtung der lokalen Herrscher, das
Kultbild in ein verwaistes Heiligtum zurückzubringen. Kutir-Nahhun-
te von Elam brachte den letzten König der Kassitendynastie, Enlil-nā-
din-ahi (1157–1155) zu Fall, und er raubte das Kultbild Marduks. Eine
˘
Generation später brachte Nebukadnezar I. (1125–1104) es zurück.
Eine plausibel zusammenhängende innerelamische Geschichte zu
schreiben, ist bisher kaum in befriedigender Weise möglich; denn die
Quellen sind geographisch und zeitlich so unterschiedlich gestreut,
daß selbst der Entwurf «großer Züge» fast nicht zu verantworten ist.
Die herkömmliche, sehr grob vollzogene chronologische Einteilung
lautet: Ca. 2350–2150 v. Chr. regierte die Dynastie von Awan, deren
letzter Herrscher laut einer altbabylonisch überlieferten Königsliste
Puzur-Inšušinak war, Zeitgenosse des Šar-kali-šarrã von Akkade; es
192 VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen

folgte ca. 2100–1900 eine Phase parallel zur III. Dynastie von Ur und
den ersten drei Königen der altbabylonischen Dynastie von Isin; eine
Dynastie von Šimaški tritt hervor (die Landschaft Šimaški ist noch
nicht sicher lokalisiert – vielleicht nördlich des heutigen Hurramā-
˘
bād); ein von Ur ausgehender, zeitlich dichter und regelmäßiger Bo-
tenverkehr nach Šimaški ist bezeugt. Die Zeit von ca. 1900–1500 gilt
als die sukkalmah-Periode. Sumerisch sukkal-mah, was etwa «Groß­
˘ ˘
wesir» bedeutet, wurde als Herrschertitel ins Elamische übernommen.
Von ca. 1450–1100 dauerte die Mittelelamische und, nach einem noch
nicht überbrückbaren Intervall, von 750–500 v. Chr. die Neuelamische
Periode.
Die Kontakte zwischen Elam und Mesopotamien haben im Laufe
der Jahrhunderte nicht etwa zu wachsender Annäherung und anstei­
genden Gemeinsamkeiten geführt, sondern sie haben – vielleicht wi-
der Erwarten – jene ewige Feindschaft bewirkt, von der schon so oft
die Rede gewesen ist.
Das hier nur sehr kurz eingeführte Elam wird noch öfter Gegen-
stand in den folgenden Kapiteln sein.

43. Urarṭ u

Eine weitere – und noch weiter entfernte – Landschaft im Umkreis


Mesopotamiens ist Urarṭ u. Die Länder Uruaṭ ri (so der Genitiv) sind
erstmals bei Salmanassar I. (1262–1234) erwähnt. Diese Form des Na-
mens setzt sich in jüngeren Inschriften als Urarṭ u fort (die Eigenbe-
zeichnung der Urarṭ äer war Biainili). Urarṭ u entsprach in seiner Aus-
dehnung etwa dem klassischen Armenien (d. h. der heutigen Republik
und jenem Teil der östlichen Türkei, wo die Massaker von 1915 alles
Armenische ausgelöscht haben). Zwischen Urarṭ u und dem nördlich
an Assyrien angrenzenden (hurritischen) Hanigalbat lagen die Nairi-
˘
Länder (vgl. oben S. 167), die zuerst bei Tukulti-Ninurta I. erwähnt
werden. Es ist unklar, wie sie sich ethnisch zu Urarṭ u verhielten. Tig-
latpileser I. zählt in dem nur ungenau umschreibbaren Gebirgsareal
nicht weniger als 23 Nairi-Länder namentlich auf. Aber weder diese
Namen noch auch die wenigen von Nairi-Leuten überlieferten Perso­
nennamen sind für eine sprachliche Identifizierung von Nairi auf­
schlußreich. Dabei wäre es durchaus plausibel, daß sich von Hani­
˘
Urarṭ u 193

galbat nordwärts bis nach Urarṭ u ein Gebiet von miteinander


verwandten Sprachen erstreckt hätte. Denn bei Urarṭ u ist die sprach-
liche Zuordnung über alles klar: Die Urarṭ äer sprachen – und schrie­
ben – eine dem Hurritischen verwandte Sprache. Wie zu vermuten ist,
waren ohnehin Hurritisch und Urarṭ äisch beide nur Teil eines viel
größeren Sprachenverbandes, dessen Reichweite wir uns heute nicht
mehr vergegenwärtigen können.
Wir wissen nichts über die Vorgeschichte Urarṭ us und das Zusam­
menfinden einzelner Königtümer zu einer Einheit. Leichter zu erklä­
ren ist, daß sich Urarṭ u zu einer im Norden bedrohlichen Macht und
zu einem echten Rivalen Assyriens entwickelt hat. Die assyrische, im­
mer weiter greifende Nord- und Nordwestexpansion, die – es kann
nicht oft genug wiederholt werden – im Kern wirtschaftlich begründet
war, konnte einem Volk und Staat wie dem der Urarṭ äer nur als be-
drückend erscheinen. Assyrien mußte neben dem Metall neuerdings
auch einen stetig steigenden Bedarf an Pferden decken – die klima­
tisch gemäßigten Gebirgszonen waren traditionsreiche Zuchtgebiete.
Urarṭ u konsolidierte sich gegenüber Assyrien durch den gezielten
Bau von Festungen, zumal an seiner südlichen Grenze.
Die Quellen für die wenig länger als zwei Jahrhunderte verfolgbare
urartäische Geschichte (ca. 860 bis 640 v. Chr.) sind neben den neuas-
syrischen Feldzugsberichten eigene Inschriften der Urarṭ äer, teils in
einem adaptierten Neuassyrisch, teils aber auch in der eigenen urar-
täischen Sprache. Wie im assyrischen Königshaus wiederholen sich
auch bei den Urarṭ äern bestimmte Herrschernamen, so daß wir von
Sarduri I. bis IV., Argišti I., II. oder von Rusa I. bis III. sprechen. Urarṭ u
hat, wenn man es auf die allgemeinste Formel bringen darf, im Prinzip
eine der assyrischen sehr ähnliche Politik der Expansion und Tributsi­
cherung verfolgt.
Zentren des Reiches waren Erebuni südwestlich vom Sevan-See, vor
den Toren der heutigen Hauptstadt Jerevan (Eriwan); die eigentliche
Hauptstadt Tušpa am Ostufer des Van-Sees; und wenn auch nicht strikt
zum Staatsgebiet gehörig, so spielte doch Muṣ aṣ ir (urarṭ äisch Ardini)
südlich vom Urmia-See eine bedeutende Rolle als ein offenbar allge­
mein anerkanntes, an Opferspenden reiches Kultzentrum des Gottes
Haldi (Sargon II. von Assyrien hat Muṣ aṣ ir geplündert – s. Kapitel 45).
˘
Militärische Vorstöße Urarṭ us in Richtung Norden führten wohl
nicht entscheidend ins zerklüftete Kaukasien hinein – das vermutlich
194 VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen

damals schon sprachlich so stark aufgefächert war, daß nachmals Pli­


nius der Ältere berichtete, Kaufleute, die an der Ostküste des Schwar­
zen Meeres Handel treiben wollten, hätten wenigstens 150 Dolmet­
scher nötig. Im Osten waren die – auch von Assyrien bekämpften –
Mannäer Ziel urämischer Angriffe (es ist bisher nicht gelungen, die
«iranischen» Mannäer sprachlich einzuordnen). Im Westen wurden
«Hethiter» (eine traditionelle Bezeichnung) und das Land Tabal be-
kämpft. Im Süden ist Sarduri II. (756 – ca. 730 v. Chr.), ein Zeitgenosse
von Assur-nērāri V. und der Anfangsjahre Tiglatpilesers III., einmal
bis in die Gegend von Karkemis vorgestoßen.
Es mutet seltsam an, daß neben den drei «Meeren» (Sevan-, Van-
und Urmia-See) niemals vom Schwarzen oder vom Kaspischen Meer
die Rede ist – es sei denn, wir gehen in unserer Textinterpretation von
«Meer» fehl.
Unter Assurbanipal von Assyrien (669 – 630 (?) v. Chr.) hören Nach-
richten von politischen Aktivitäten Urarṭ us auf. Die Urarṭ äer wurden
weder ausgemordet noch erlagen sie weit grassierenden Epidemien.
Ihr Gebiet wurde von Eroberern überrannt (den Skythen?) oder auch
unter – für uns noch nicht rekonstruierbaren Umständen – ganz neu
aufgegliedert. Ethnisches urämisches Erbe mag fortleben in heutigen
südkaukasischen Völkern und Sprachen, aber auch – und viel wahr­
scheinlicher – in den indogermanischen Armeniern (die sich heute als
Erben Urarṭ us gerieren). Im Norden endet unser altorientalischer Ge-
schichtskreis jedenfalls in Urarṭ u. Die weiter nördlich anzutreffende
Völkervielfalt, geschweige denn – noch weiter im Norden – die Do-
nez-Platte und die Kaspische Senke bleiben außerhalb des Horizonts,
den der Alte Orient zu erreichen vermochte.
Bei einem notwendigerweise überaus oberflächlichen Versuch, we-
sentliche Leistungen der Kultur der Urarṭ äer zusammenzufassen,
bleibt fast nichts «Literarisches», weil urartäische Literatur, soweit wir
bisher sehen, nie der Schrift anvertraut worden ist. Zwei ins «Literari­
sche» hineinspielende Einzelheiten verdienen es dennoch, daß man sie
erwähnt: Im Gegensatz zu den so oft extrem abgerundeten Zahlen in
mesopotamischen Königsinschriften (Gefangene, Beute, eroberte
Städte) fällt in urämischen Kriegsberichten eine geradezu penible
Genauigkeit auf: z. B. 1733 Pferde, 7616 Rinder, 15 320 Schafe als Beu-
te. Hier fällt es viel schwerer, so wie sonst «eine Null abzustreichen».
Urarṭ äische Kriegszugsberichte und andere Inschriften sind immer
Assyrien von Salmanassar III. bis zu Tiglatpileser III. 195

wieder unterbrochen von der Wendung «Es spricht König NN». Hier
fühlen wir uns in die Welt der achämenidischen Königsinschriften
versetzt, die doch aber einige Jahrhunderte jünger sind. War diese be­
sondere Wendung eine Schöpfung der Urarṭ äer, oder haben die Urar-
ṭ äer wie auch viel später die Achämenidenherrscher aus einem
gemeinsamen, «inneriranischen» Formenschatz geschöpft, dessen Ur-
sprung uns heute verschlossen ist?
Die Urarṭ äer befanden sich, was alles Technische betrifft, auf dem
für ihre Zeit und im Vergleich mit anderen Völkern höchsten Stand.
Das bezeugen nicht nur ihre der Felsenformation angepaßten Ge­
birgsfestungen. König Minua (ca. 810–785/80) hat für die Stadt Tušpa
Wasser aus einem Gebirgsquell in einen kunstvoll geführten Kanal
geleitet (einen zeitweise «Semiramiskanal» genannten, noch heute er-
haltenen Wasserlauf), wo der vor der Tür gelegene Van-See selbst we­
gen seines viel zu hohen Salzgehalts als Trinkwasserreservoir aus-
scheiden mußte.
Neben Eigenständigkeit ist aber auch kulturelle Abhängigkeit zu
unterstreichen: So läßt urarṭ äische Wandmalerei leicht eine Ver-
wandtschaft und Abhängigkeit von assyrischen Vorbildern (in Til
Barsip oder Dūr-Šarru-kãn) erkennen.

44. Assyrien von Salmanassar III. bis zu Tiglatpileser III.

Wer die neuassyrische Geschichte nach Assurnasirpal II. zu schreiben


versucht, ist gut beraten, sparsam mit Superlativen umzugehen, damit
er nicht zu früh «sein Pulver verschossen hat»: Ausmaß der Erobe­
rungen, Größe der logistischen Anforderungen, Zahlen und Namen
der Herren und Länder – alles ist im ständigen Anwachsen begriffen.
Und die Zahlen bleiben gewaltig, auch wenn wir sie in methodisch be­
gründeter Skepsis reduzieren.
Assurnasirpals II. Sohn und Nachfolger Salmanassar III. (858–824)
hat gut eine Generation lang (und damit länger als sein Vorgänger)
regiert. Es hat sich eingebürgert, für ihn anstelle seines genuin assyri­
schen Namens Šulmānu-ašarēd die aus dem Alten Testament bezoge-
ne Namensform Salmanassar (englisch Shalmaneser) zu gebrauchen,
so wie wir dies auch schon bei Sargon und Tiglatpileser I. gesehen ha­
ben. Salmanassar hat sich in seiner Bautätigkeit wieder besonders der
196 VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen

ehemaligen Hauptstadt Assur zugewandt, hat aber auch in Kalhu


˘
einen Tempelturm (eine Zikkurrat) für Ninurta errichtet und auch
sonst den Aufbau der neuen Kapitale energisch betrieben. Während
zweier Jahre hat er in babylonische Belange eingegriffen, und mit ihm
setzen auch immer häufigere und engere Kontakte zur Levante bis
hinab nach Palästina ein.
Zum ersten Mal stehen uns für die Geschichte eines assyrischen
Königs annalistische Berichte zur Verfügung, die sich über mehr als
dreißig Jahre erstrecken. Dabei ist interessant, daß die Jahresabschnit-
te in den chronologisch verschieden gestaffelten Inschriften (Jahr
1–16, 1–20, usw.) stets sehr ähnlich, soweit nicht sogar streckenweise
wortgleich formuliert sind (was aber auch nicht verwundern darf,
wenn Schreiber bei der Redaktion der jeweils jüngsten und zeitlich
längsten Reihe von Jahresberichten auf ältere Inschriften zurückge­
griffen haben). Im folgenden seien die Hauptereignisse der Jahre
1–31 in allerknappster Form wiedergegeben – nicht zur Ermüdung
des Lesers, sondern um ein Paradigma zu liefern, aus welchem wir aus
unserer heutigen Überschau die Rhythmik zu erkennen versuchen,
die den Aktivitäten über die Jahre innewohnte.
Jahr 1 (Akzessionsjahr): Kriegszug gegen Hubuškia westlich vom
˘
Urmia-See; Vorstoß nach Karkemiš am Oberen Euphrat, zum Ama-
nusgebirge und bis ans Mittelmeer (alles Zahlenwerk, das etwa er-
oberte und zerstörte Städte, getötete Feinde, Beute, Tribut betrifft, las-
sen wir hier unerwähnt).
Jahr 2: Kriegszug gegen Ahūnu von Bãt-Adãni zwischen Euphrat-
˘
knie und Nebenfluß Balãh und gegen Hatti (nicht mehr das alte He-
˘ ˘
thiterland, sondern ein Länderverband von vager Ausdehnung zwi-
schen Euphrat und Mittelmeer, nach einer Version das Land zwischen
den Quellen von Tigris und Euphrat).
Jahr 3: Kriegszüge gegen Bãt-Adãni, Urarṭ u und Hubuškia.
˘
Jahr 4: Kriegszug gegen Ahūnu von Bãt-Adãni.
˘
Jahr 5: Züge gegen Mazamua (zwischen dem heutigen Sulaimānãya
und dem Oberlauf des Kleinen Zāb) und ins Kašiari-Gebirge (den
heutigen Ṭ ūr ῾Abdãn westlich vom Oberen Tigris zwischen Diyarba­
kir, Mardin und Cizre).
Jahr 6: Zug zum Balãh; Opfer vor dem Wettergott (Hadad) von
˘
Aleppo; Schlacht bei Qarqar (853 v. Chr.) gegen Truppen des Hadad-
ezer von Damaskus, Irhulenu von Hamath, Ahab von Israel, Truppen
˘
Assyrien von Salmanassar III. bis zu Tiglatpileser III. 197

von Byblos, Kameleinheiten des Arabers Gindibu und sogar gegen ein
Kontingent von Ägyptern. Die Summe der angeblich Beteiligten er-
reichte rund 50000, die der Erschlagenen 14000. Der Ort der Schlacht
lag nicht allzuweit von Qadeš, wo über 400 Jahre früher Hethiter und
Ägypter einander gegenüber standen (vgl. oben Kapitel 36). Bei Qar-
qar ging es der antiassyrischen Koalition darum, den gefährlichen und
freiheitsbedrohenden Expansionsdrang Assurs aufzuhalten.
Jahr 7: Tribut der Nairi-Länder. Keine Erwähnung der Levante, also
wohl kein entscheidender Sieg bei Qarqar.
Jahr 8 und 9: Intervention in Babylonien. Der König von Karduniaš,
wie Babylonien aus assyrischer Sicht noch immer genannt wurde,
Marduk-zākir-šumi, bat Salmanassar um Beistand gegen seinen auf-
rührerischen Bruder. Salmanassar siegte und huldigte dem Marduk in
Babylon. Tributempfang von den südbabylonischen, chaldäischen,
Königtümern Bãt-Dakkūri und Bãt-Amukkāni; Vorstoß bis zum Persi­
schen Golf.
Jahre 10 und 11: Zug nach Karkemiš und erneute Auseinanderset­
zung mit Hadad-ezer von Damaskus, Irhuleni von Hamath und deren
˘
Verbündeten.
Jahr 12: Zug gegen eine Stadt Paqarahubuna.
˘
Jahr 13: Zug gegen Matiāte (heute = Midyat) im östlichen Ṭ ūr ῾Ab-
dãn.
Jahr 14: Hadad-ezer und Irhuleni in die Flucht geschlagen.
˘
Jahr 15: Kriegszug nach den Nairi-Ländern.
Jahr 16: Zug nach Mazamua und Namri (vielleicht beim heutigen
Hāniqãn östlich des Flusses Diyāla). Der Herrscher dort hat einen ak­
˘
kadischen Namen, Marduk-mudammiq; vor seiner Flucht plündert er
noch nach altbewährter – und oft wiederholter – Manier seinen Palast
aus, d. h., er nimmt die «Staatskasse» mit.
Jahr 17: Tribut von Hatti, Zedernfällen im Amanus-Gebirge, Jagd-
˘
bericht.
Jahr 18: Zug in die Levante, endgültiger Sieg über Hadad-ezer von
Damaskus.
Jahr 19: Tribut von Hatti, Zedernfällen im Amanus, Jagdbericht
˘
(Wiederholung von Jahr 17!).
Jahr 20: «Musterung» der Könige von Hatti, die jetzt wohl als sichere
˘
Untertanen des Reiches betrachtet werden. Vorstoß westwärts bis zum
kleinasiatischen Qu᾿e (nördlich von Tarsis und südlich von Tabal).
198 VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen

Das mit dem Jahr 20 endende Exemplar der Annalen summiert die
Beute der Jahre 1–20: 110610 Gefangene, 82600 Erschlagene, 9920
Pferde und Maultiere u. a. m. Wenn Salmanassar III. auch – anders als
sein Vater Assurnasirpal II. – weitgehend auf die Schilderung grausa­
mer Strafgerichte verzichtet, so steht er seinem Vorgänger doch in der
stolzen Reihung der Gefallenen- und Gefangenenzahlen in nichts
nach.
Jahr 21: Kriegszug gegen Haza᾿el von Damaskus.
Jahr 22: Vorstoß nach Tabal, südlich vom heutigen Kayseri.
Jahr 23: Tribut von Tabal.
Jahr 24: Vorstoß nach Namri (vgl. Jahr 16); Tribut von 27 Königen
von Parsu(a), östlich vom Oberlauf der Diyāla; Erwähnung der Meder.
Die später zur Weltmacht aufsteigenden Perser erscheinen vage am
Horizont.
Jahr 25: Vorstoß nach Qu᾿e; Einnahme einer Festung des Aramu
von Bãt-Agūsi (= das Land Jahan zwischen Karkemiš, Patin am Mittel­
˘
meer und Hamath). Der Zugang zum Mittelmeer ist also doch noch
nicht völlig freigekämpft.
Jahr 26: Vorstoß nach Qu᾿e, Tarsis; Zedernfällen im Amanus.
Jahr 27: Kriegszug gegen Urarṭ u und Zusammenstoß mit Sēduru =
Sarduri I.
Jahr 28: Aufruhr in Patin niedergeschlagen.
Jahr 30: Kriegszug gegen Hubuškia, Mannäer, Parsua.
˘
Jahr 31: Kriegszug gegen Muṣ aṣ ir, Urarṭ u und Namri. Salmanassar
schreibt seine Siege dem überwältigenden «Strahlenglanz» des Gottes
Assur, aber auch des Marduk zu.
Nimmt man diese Jahresberichte für bare Münze, so drängt sich
einem etwa eine solche Folgerung auf: Assyrien ist in ständiger Of­
fensive und im beständigen Versuch, sich auszudehnen, begriffen.
Wenn Rückschläge vorkommen, so werden sie traditionellerweise
sehr sorgsam verschwiegen. Manche Ziele (Bãt-Adãni, Jahre 2, 3, 4),
Hubuškia (1, 3, 30), Mazamua (5,16, das dann endgültig zu einer as-
˘
syrischen Provinz wurde), Namri (16, 24), Nairi (7, 15, 24, 31) keh­
ren in kürzeren oder längeren Jahresabständen wieder. Die levanti­
nische Koalition unter Damaskus kommt eher geballt in den Jahren
6, 10–11, 14, 18, 21 vor, ohne daß ein endgültiger Erfolg zu sehen
wäre: d. h. die Verwandlung der Feindesgebiete in Provinzen oder
zumindest Tributbringer.
Assyrien von Salmanassar III. bis zu Tiglatpileser III. 199

Von großer Bedeutung ist das Arrangement mit Babylonien und


die bewußte, dann später von Tiglatpileser III. fortgesetzte Einbezie-
hung Marduks in den Staatskult.
Die Annalen sind voll hochinteressanter Einzelbemerkungen, die
hier nur ganz eklektisch dargelegt werden können. Der auf dem
Kriegszug befindliche Herrscher versäumt es kaum einmal, daran zu
erinnern, daß schon ein Vorgänger von ihm ein Denkmal – für ge­
wöhnlich eine Felsinschrift – hinterlassen hat, neben dem er sich
selbst verewigt. Flüsse, zumal der nach Westen immer wieder zu
überquerende Euphrat, waren – nicht für den Einzelreisenden, aber
für eine Armee von Tausenden – ein nicht gering einzuschätzendes
Hindernis. So wird immer wieder berichtet, daß man mit der Hilfe
aufgeblasener Ziegenbälge übersetzte, den Vorläufern unserer
Schlauchboote. Der Abtransport Tausender von Gefangenen liest
sich einfach, stellte aber doch in der Realität die Erobererarmee vor
schwer zu bewältigende Probleme der «Logistik». Wie sollte so
schnell und auf der Stelle die allernötigste Verpflegung besorgt wer-
den? Man wagt nicht, sich auszudenken, wie viele Gefangenentrans-
porte in «Todesmärsche» ausarten mußten.
Viele der immer wieder genannten Orte würden im Prinzip eine
eigene – monographische – Behandlung verdienen; nennen wir als
eines von vielen Beispielen nur Hubuškia. Doch was wissen wir über
˘
seinen genaueren historischen Werdegang, seine Religion, geistige
Verfassung: Sprache, Literatur (und sei sie nur mündlich überliefert),
das Rechtswesen, die Sitten und Gebräuche und vieles andere? Sei die
heimische Sprache nun Hurritisch gewesen, Urarṭ äisch oder eine drit­
te andere, Hubuškia war definitiv Urarṭ u zugeneigt und nicht Meso­
˘
potamien und insofern für Assyrien ein «unsicherer Kantonist». Fra­
gen wie die hier im Zusammenhang mit der Erwähnung eines
einzigen Ortsnamens gestellten ließen sich viele dutzendmal wieder­
holen.
Unter Salmanassars III. Sohn Šamšã-Adad V. (823–811) wird von
einem Aufruhr berichtet: 27 Städte, unter ihnen so bedeutende wie
Ninive, Arba᾿il und sogar Assur selbst, sollen sich unter einem ande­
ren Sohn Salmanassars, Aššur-da᾿in-apli, gegen den designierten
Nachfolger erhoben haben. Wo sich viel Macht angehäuft hat, geht
der Übergang zum nachfolgenden Machthaber selten problemlos
vor sich (nur daß unsere altorientalischen Quellen uns dies allzuoft
200 VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen

verschweigen). Wir wissen nicht, auf welche Weise Šamšã-Adad V.


den Aufstand beendigt hat (er soll späterer Historiographie zufolge
sechs Jahre lang gedauert haben): War es ein Sieg des Militärs, oder
gelang es mittels Intrigen, Mord, Gift? In seinen Inschriften geht
Šamšã-Adad V. nach der kurzen Bemerkung, daß er sich behauptet
habe, zur «Tagesordnung» der annalistischen Berichterstattung
über.
An einer bedeutenden Tatsache dürfen wir nicht vorübergehen:
Die Frau Šamšã-Adads V. war keine Geringere als Sammuramât (eine
Babylonierin), von der zwar in den zeitgenössischen Quellen nur
wenig zu hören ist, die aber später unter dem gräzisierten Namen
Semiramis Furore gemacht hat. Sammuramât-Semiramis hat nach
dem Tode Šamšã-Adads, der ja nur 12 Jahre regierte, zunächst noch
die Koregentschaft mit ihrem Sohn Adad-nērāri III. innegehabt. Ihr
unglaublicher Nachruhm (vgl. auch unten Kapitel 46) läßt sich wohl
nur damit begründen, daß sie als eine in jeder Hinsicht überdurch­
schnittliche, hochbegabte Frau auch sehr aktiv ins Regierungsge-
schehen eingegriffen hat. Adad-nērāri III. berichtet einmal, daß sei-
ne Mutter Sammuramât mit ihm zusammen «den Euphrat
überschritten» habe – was die Standardversion war, einen Feldzugs-
bericht über einen Vorstoß in Richtung Westen einzuleiten. Es
scheint daher – wie sehr wir uns auch gegen jegliches historisches
«Spekulieren» wappnen wollen – nicht ganz fernliegend zu vermu­
ten, daß Sammuramât auch bei der Niederschlagung des gegen ihren
Ehemann gerichteten großen Aufstands eine bedeutende Rolle als
Retterin des Reiches gespielt hat.
Der aus der Ehe von Šamšã-Adad V. und Sammuramât hervorge-
gangene Sohn Adad-nērāri III. (810–783) war nach der nur zwölfjäh­
rigen Regierung seines Vaters bei der Thronbesteigung zweifellos
noch nicht volljährig – daher die Vermutung einer anfänglichen Kore-
gentschaft des Sohnes mit seiner Mutter. Unter Adad-nērāri III. (wie
auch unter seinem Sohn und Nachfolger Salmanassar IV., 782–773)
beginnen hochgestellte Beamte des Reiches, Inschriften unter ihrem
eigenen Namen in der Form veritabler Königsinschriften zu verfassen
und zu veröffentlichen. So hat der tartānu (turtānu) Šamši-ilu, der
oberste Heeresanführer (gelegentlich als «Feldmarschall» übersetzt –
das Wort ist hurritischen Ursprungs), fünf verschiedene monumenta­
le Inschriften in Auftrag gegeben. Er berichtet über einen Sieg über
Assyrien von Salmanassar III. bis zu Tiglatpileser III. 201

den urämischen König Argišti (I.), indem er sich selbst in aller Form
als den – von den Göttern begünstigten – Sieger ausgibt. Solcherlei
«Siege» mögen sicher auch frühere Heerführer namens ihrer könig-
lichen Auftraggeber errungen haben; es bedurfte aber wohl einer sich
immer weiter aufbauenden Stärke eines höchsten Amtes (und einer
damit einhergehenden relativen Schwächung der königlichen Posi-
tion), daß es möglich wurde, die strategische Realität objektiv darzu­
legen. Šamši-ilu schmückt sich auch mit herrscherlichen Epitheten,
z. B. «der die Länder Muski und Urarṭ u niedergeworfen hat», erweckt
also ganz den Anschein, daß er dem herrschenden König kaum in etwas
nachsteht.
Ein «Statthalter» von Kalhu (und von vier weiteren Örtlichkei­
˘
ten), Bēl-tarṣ i-ilumma, weihte dem Gott Nabû zwei mannshohe
Standbilder mit einer Inschrift, in der eine Bitte für Adad-nērāri und
Sammuramât eingeschlossen ist. Die für seine Zeit höchst bemer­
kenswerte Endzeile der Inschrift lautet: «Wer immer du später auch
seiest (= der hypothetische Leser), vertraue auf Nabû, auf einen an­
deren Gott vertraue nicht!» Ist hier «laut nachgedacht» worden?
War es angebracht, einem ganzen Pantheon Gebet und Opfer darzu­
bringen, oder durfte man nur einem einzigen Gott folgen? Man mag
es als Monolatrie bezeichnen (als ausschließliche Verehrung nur
einer einzigen Gottheit), noch aber ist es doch von einem regelrech-
ten Monotheismus weit entfernt. Bēl-tarṣ i-ilumma konnte übrigens
bei aller lokalen Machtentfaltung seinem König dynastisch nicht ge-
fährlich werden, da er – wie so viele hohe Würdenträger – ein Eu-
nuch war.
Auf Adad-nērāri III. folgten drei Könige, Salmanassar IV. (782–773),
Aššur-dān III. (772–755) und Aššur-nērāri V. (754–745), unter denen
die assyrische Expansion wohl nicht nur stagnierte, sondern zuneh-
mend der Rivalität von Urarṭ u und seitens levantinischer Staaten
(voran Damaskus) ausgesetzt war. Außerdem wütete 765 und 759 die
Pest. Daß die Thronfolge unregelmäßig war, mag man dem folgenden
Stemma entnehmen:
202 VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen

(1) Šamšã-Adad V. (823–811) ∞ Sammuramât (Semiramis)

(2) Adad-nērāri III. (810–783)

(3) Salmanassar IV.


(782–773)

(?)

(4) Aššur-dān III. (772–755)

(5) Tiglatpileser III. (744–727)

Die Regierung Tiglatpilesers III. hat H. Tadmor als eine «Wasser-


scheide» («watershed») in der Geschichte des Neuassyrischen Rei-
ches bezeichnet. Die Herkunft dieses Königs ist nicht unumstritten.
Nur in einer einzigen Inschrift nennt er sich «Erbsohn des Adad-nē-
rāri», während er sonst im Gegensatz zum üblichen Brauch niemals
den Vatersnamen erwähnt. Er ist (seinem Bruder?) Salmanassar IV.
nicht unmittelbar gefolgt, vielmehr hatte ein Onkel (?), Assur-
dan III., zunächst 17 Jahre lang den Thron inne. Innerdynastische
Machtkämpfe scheinen nicht ausgeschlossen. Doch ob nun Enkel der
Sammuramât-Semiramis oder nicht, es hatte ein hervorragender
Repräsentant der kaum zählbaren assyrischen Herrscherreihe sein
Amt (und Erbe?) angetreten. Was im Norden, Westen und Südosten
immer wieder umkämpft, erobert und wieder verloren war, wurde
unter Tiglatpileser III. einem gefestigten Reich eingefügt. Urarṭ u
war gleich zu Beginn seiner Regierung besiegt worden. Der assyri-
sche König richtete bei der Hauptstadt der Urarṭ äer, Tušpa oder
Turušpa am Van-See, eine Stele auf. Der Zugang zum Mittelmeer
war nicht mehr durch «Hatti-Könige» bedroht. Damaskus und seine
˘
Verbündeten waren als ständig drohende politische Faktoren ausge-
schaltet; die phönizische Küste und Samaria (Israel) waren zu tribut-
pflichtigen Vasallen geworden.
Tiglatpileser ließ sich auch «König von Sumer und Akkad» betiteln,
Assyrien von Salmanassar III. bis zu Tiglatpileser III. 203

und seine letzten beiden Jahre (728–727) war er offiziell anerkannter


König von Babylon. Er «ergriff» beim alljährlichen Neujahrsfest «die
Hände Marduks», wie es das babylonische Zeremoniell erforderte. In
der jüngeren Historiographie sowie auch im Alten Testament (2. Kö-
nige 15:19) und bei den Historikern Berossos (4./3. Jh. v. Chr.) und Jo-
sephus (37/38 – 100+) erscheint Tiglatpileser unter dem Namen Pulu
oder Pul; die Herkunft dieses Kurznamens ist noch nicht geklärt. Sein
Status als «König von Babylon» hatte neben dem unzweifelhaften
Ruhm auch noch einen anderen Grund: Assyrien wollte das Nachbar-
und Bruderland nicht dadurch erniedrigen, daß man es – wie andere
neu hinzugewonnene Gebiete – in das reorganisierte und erweiterte
System der Reichsprovinzen aufgenommen hätte. Das babylonische
Königtum des Assyrers war im übrigen nicht so sehr das Ergebnis
eines gezielten Handstreichs als die Folge der – traditionellen – Unei­
nigkeit des großräumigen Babylonien. So zählt Tiglatpileser in seinen
Inschriften namentlich 36 Aramäerstämme als seine Untertanen auf.
Die schon unter Vorgängern begonnenen Umsiedlungen ganzer
Volksgruppen (vgl. oben Kapitel 41) eskalierten unter Tiglatpileser III.
Die quer durch das Reich, z. T. über mehr als 1000 km, erfolgenden
Deportationen waren nur möglich nach eindeutigen Siegen und einer
entsprechenden Demoralisierung der lokalen Bevölkerung, vielleicht
aber auch im Zusammenhang mit erzwungener (oder gar erkaufter?)
Kooperation lokaler Autoritäten. Da sich der Zug Deportierter nur im
Schrittempo bewegte und für solche Märsche folglich kaum eine
längere Tagesstrecke als 15–20km veranschlagt werden kann, dürfte
eine Umsiedlung z. B. von der Levanteküste ins Zagrosgebiet (ca.
700–800 km Luftlinie) wenigstens 50 Tage gedauert haben – die not-
wendigen Ruhetage nicht einbezogen. Junge Männer wurden oft in
die assyrische Armee eingegliedert (von vielen vermutlich als Aben­
teuer und als Weg zu Vermögen – Beuteanteil! – willkommen gehei­
ßen); Spezialisten wie Handwerker und Ärzte waren begehrt; der
Arbeitseinsatz der Deportierten – welcher Art auch immer – war
selbstverständliche Voraussetzung, so daß beim Zusammenstellen der
Deportiertenzüge eine entsprechende Selektion erfolgte, und diese
dürfte wiederum kaum ohne die – verräterische – Mithilfe Einheimi-
scher möglich gewesen sein.
In den 200 Jahren von Assurnasirpal II. bis zu Sanherib (883–681)
belaufen sich die Zahlen der Deportierten auf wenigstens 1320000 See­
204 VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen

len, wenn wir den Angaben der Königsinschriften vertrauen wollen.


Aber selbst halbiert bliebe die Zahl weit über einer halben Million. Es
ist nicht zu bezweifeln, daß sich infolgedessen die Bevölkerungs- und
Sprachlandschaft des Vorderen Orients stark verändert haben muß.
Wurden am Ausgangsort der Deportation empfindliche Lücken in die
heimische Bevölkerungsstruktur gerissen, so war der – ja doch bewußt
angestrebte – Effekt am Zielort ebenso folgenreich: Homogene Bevöl­
kerungsstrukturen wurden aufgesprengt; Festungen wurden mit De­
portierten besetzt; es wurden neue Interessenkonflikte geschaffen, die
aus unterschiedlichen Sitten und Religionen resultierten; es wurde wo-
möglich eine «Fremdenfeindlichkeit» gezüchtet, die von einer antiassy­
rischen Haltung ablenkte; schließlich konnten aber auch verödete
Landstriche neu besiedelt und einer fruchtbringenden Wirtschaft zuge­
führt werden.
Was die sprachliche Vielfalt des Reiches betrifft, so hat sich davon
möglicherweise ein Widerhall gefunden im biblischen Bericht von der
Sprachenverwirrung beim Turmbau zu Babel (Gen. 11: 7–9). In der
Praxis steuerten allerdings sowohl Assyrien als auch das benachbarte
Babylonien auf eine Zweisprachigkeit zu: Akkadisch und Aramäisch.
Der Gebrauch beider Sprachen ist auch ins Bild übertragen worden.
Wir finden öfter zwei Schreiber nebeneinanderstehend dargestellt,
von denen der eine mit dem Griffel auf einer Ton- oder Wachstafel
Keilschrift notiert, der andere aramäische Schrift auf eine Pergament-
rolle schreibt. Schrift und Sprache waren unlöslich miteinander ver­
bunden, so daß sich die traditionelle, im System zwar elegante, aber
unpraktische und schwer erlernbare Keilschrift noch jahrhunderte­
lang neben den schlichten 22 Buchstaben der aramäischen Schrift (sie
ist ein Ableger der phönizischen Schrift) gehalten hat.
Seit Beginn des I. Jahrtausends v. Chr. und besonders seit der Zeit von
Salmanassar III. bis zu Tiglatpileser III. mehren sich in den Quellen die
Namen historisch überlieferter assyrischer wie auch nichtassyrischer
Personen (Herrscher, Statthalter, Heerführer, Eponymen, sonstiger Be-
amter, Priester, Gelehrter und vieler anderer) in einem solchen Maße,
daß 1998 eine «Prosopography of the Neo-Assyrian Empire» ins Leben
gerufen worden ist, die bis dato (2003) für die Anfangsbuchstaben A bis
S nicht weniger als ca. 5000 Namen zusammengestellt hat, samt zuge-
hörigen detaillierten Informationen. Eine allgemeine Geschichte Meso­
potamiens kann, wie es sich leicht versteht, einer solchen Datenmenge
Assyrien von Salmanassar III. bis zu Tiglatpileser III. 205

9 Keilschrift und Aramäisch schreibende Schreiber,

Wandmalerei aus Til Barsip, Höhe 140 cm.

Heute Eski Şark Müzesi, Istanbul.

206 VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen

nur höchst unvollkommen gerecht werden. Dabei ist nach wie vor zu
bedauern, daß die Namen der für die Geistesgeschichte bedeutenden
Personen, Erfinder, Dichter, Neuerer der Stilistik, bildender Künstler,
vollkommen in der Anonymität verharren.
Es ist schwer, besondere Akzente zu setzen, wenn man die Regie­
rung Tiglatpilesers III. resümieren will. Zu viele subjektive Gesichts-
punkte spielen darin eine Rolle. Der speziell an der Geschichte «Irans»
Interessierte nimmt ein immer tieferes Eindringen Assyriens in die
geographisch disparate Welt von Gebirgen, Hochebenen und Salz­
wüsten wahr. Die unter Salmanassar III. erstmals erwähnten Meder
sind vom Horizont Assyriens nicht mehr wegzudenken; sie bleiben
ein nie gebeugtes, stets drohendes Element bis zum Fall des assyri-
schen Reiches im Jahre 612 v. Chr., an dem das bis dahin geeinigte Me-
dien einen entscheidenden Anteil hatte.
Urarṭ u im transkaukasischen Bereich konnte man auf Distanz hal-
ten, aber als Gegner doch keineswegs ausschalten, wie die Urarṭ äer-
Kämpfe Sargons II. zeigen (s. Kapitel 45).
Babylonien, mit dem Assyrien nie «ins Lot» gekommen ist bei –
oder gerade trotz – allen kulturellen und religiösen Gemeinsamkeiten,
wurde von Tiglatpileser in einer fast freundlich-herablassenden Weise
vereinnahmt. Doch ist sein «Ergreifen der Hände Marduks» beim Neu­
jahrsfest keineswegs Signal für kommenden dauerhaften Frieden. Ba­
byloniens großes inneres Problem, das auch Assyrien nicht zu lösen
vermochte, blieb die Rivalität aramäischer und chaldäischer Fürsten­
tümer mit ständig wechselnden Koalitionsinteressen – ein aus längst
vergangenen Jahrhunderten ererbter Zustand politischer Instabilität.
Im Westen ist Qu᾿e (das klassische Kilikien und in groben Zügen
dem hethiterzeitlichen Kizzuwatna entsprechend) noch tributpflich-
tig, was es schon unter Salmanassar III. war. Erst Tiglatpilesers Nach­
folger Salmanassar V. machte es zu einer regelrechten assyrischen
Provinz. Mit dem Erwerb von Qu᾿e (wie dem nördlich davon gelege­
nen Tabal) erweiterte sich der Horizont immer mehr nach Westen bis
zur späteren Begegnung mit den Phrygern und Lydern und zum Kon-
takt mit den Ioniern.
Die schon erstmals bei Salmanassar III. anläßlich der Schlacht von
Qarqar genannten Araber treten unter Tiglatpileser III. sehr viel deut­
licher ins Bild. Samsê, eine Königin der Araber, wird besiegt, und die
reiche Beute enthält neben Gold und Edelsteinen auch 5000 Beutel
Sargon 207

Gewürze (die aus Südarabien oder Somalia stammen mußten). Unter


den – angeblich – unterworfenen Stämmen befindet sich auch Tēmā,
heute die Oase Taimā ca. 350 km nordwestlich von Medina, damals
eine der Hauptstationen der berühmten Weihrauchstraße. An eine
tatsächliche Unterwerfung der Wüstenaraber war freilich angesichts
ihrer unberechenbaren Mobilität zweifellos nicht zu denken. Man war
in der Praxis sogar auf sie angewiesen als Karawanenführer und Be­
gleiter des Heeres auf längeren Wüstenmärschen (unter anderem, um
Kamele für den Transport des Trinkwassers zu erlangen), und solche
Dienste wollten erkauft werden.
Wenn wir oben von subjektiver Betrachtungsweise gesprochen ha­
ben, so darf man trotz längst eintretender «globaler» Geschichtsbe-
trachtung noch immer behaupten, daß diejenigen Teile von Tiglatpile­
sers Berichterstattung uns besonders nahe liegen, die die Welt des
«Heiligen Landes» berühren: die Auseinandersetzung Assyriens (und
später Babyloniens) mit Israel und Juda und deren weiterem Umfeld.
Schon Salmanassar III. hatte anläßlich der Schlacht von Qarqar (Jahr
6) unter den Gegnern auch Ahab von Israel (mit der Hauptstadt Sa-
maria) genannt. Menahem von Israel soll sich laut 2. Könige 15:19 ge­
gen «1000 Talent Silber» von Phul (= Pūlu, Tiglatpileser III.) freige­
kauft haben, um seine Unabhängigkeit zu wahren. Hier lassen sich
assyrische Listen tributzahlender Fürsten von 738 v. Chr. vergleichen,
unter denen sich ein «Minihhimu von Samaria» befindet. Ahaz von
˘˘
Juda seinerseits rief Tiglatpileser um Hilfe gegen Menahem an, und
der assyrische König übergab den Thron dem von ihm favorisierten
Hosea. Nach Tiglatpilesers Tod lehnte sich Hosea gegen den Nachfol­
ger Salmanassar V. auf, der daraufhin Samaria drei Jahre lang belager­
te. Die – hier nicht näher nachzuzeichnenden – Verhältnisse in Syrien
und Palästina sind durchaus würdig, in all ihren Komplikationen mit
denen von Babylonien verglichen zu werden.

45. Sargon

Sargon (Šarru-kēn) II. (721–705) war Träger eines altehrwürdigen


Namens (vgl. Kapitel 18 zu Sargon von Akkade). Über 1000 Jahre vor
ihm hatte schon einmal ein Herrscher von Assur Sargon (I.) geheißen.
So wenig wir zwar im einzelnen über einen möglichen Wechsel vom
208 VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen

Geburts- zu einem Thronnamen unterrichtet sind, im Falle Sar­


gons II. drängt es sich doch auf, an eine «programmatische» Wieder-
aufnahme des ruhmreichen Namens zu denken. Dabei ist nicht klar,
wie Sargon – und ob überhaupt – in verwandtschaftlicher Beziehung
zu seinen Vorgängern stand; denn er gibt – wie fast immer auch Tig­
latpileser III. – in seinen Inschriften keinen Vatersnamen an. So ist zu
Recht erwogen worden, daß er den Thron usurpiert habe, nachdem es
gegen Ende der kurzen Regierung des Vorgängers Salmanassar V.
(726–722) zu Unruhen gekommen war.
Wenn Sargons Regierung zwar in mancher Hinsicht einen Neuan­
fang darstellte, so konnte er doch auf die von Tiglatpileser III. und
dessen Vorgängern errichteten Strukturen zurückgreifen: ein wohlor-
ganisiertes Provinzsystem; eine durch Jahr für Jahr erfolgende Tribut-
und Beutezüge erprobte riesige Kriegsmaschinerie mit einem bedeu­
tenden Anteil der Kavallerie (der Einsatz des Streitwagens hatte fast
nur noch zeremoniellen Charakter); finanzieller Rückhalt in der Form
sorgsam gehorteter und verwalteter Tribut- und Beuteeingänge; ein
hervorragend ausgebildetes Korrespondenz- und Nachrichtenwesen
(s. unten).
Wir werden aus Sargons Regierung nur einige Höhepunkte her­
ausgreifen und dabei mit den siebzehn Jahren seiner Herrschaft mehr
oder weniger frei schalten.
Sargons «Achter Feldzug» im Jahre 714 (unter diesem Namen ist er
berühmt geworden) überragt die neuassyrischen Routinefeldzugsbe­
richte in einem solchen Maße, daß er es wert ist, in die großen Denk-
mäler der Weltliteratur aufgenommen zu werden. Der Hergang der
Erzählung ist in die Form eines «Gottesbriefes» gekleidet, d. h. formal
eines Briefes mit den großen Göttern als Adressaten, zur Rechtferti­
gung des voller Erfolg gelungenen Unternehmens. Diese Briefeigen-
heit betrifft allerdings nur die Einleitung. Danach folgt der Sache nach
die Beschreibung einer militärischen Aktion im Bergland, gestalte-
risch jedoch als ein literarisches Juwel: im Stil, in der außerordentlich
gesuchten Wortwahl (so manches nur einmal bezeugte akkadische
Wort – hapax legomenon – entstammt dem «Achten Feldzug»), aber
ebenso in der Wahl der beschriebenen Gegenstände.

Die politischen Voraussetzungen waren folgende: Der Konflikt zwi­


schen Assyrien und Urarṭ u war noch keineswegs beendet, obwohl –
Sargon 209

10 Zerstörung und Plünderung der Stadt Hamanu in Elam.


Von einem Kalksteinrelief aus Ninive,˘ Höhe 91 cm.

Heute British Museum, London.

zu Assurs scheinbarem Vorteil – die Urarṭ äer in wachsendem Maße


eine Bedrohung durch die vom Norden herandrängenden Kimmerier
zu gewärtigen hatten. Unter Rusa I. (assyrisch Ursā, ca. 730–714/713),
dem Sohn des von Tiglatpileser III. besiegten Sardur II., war Urarṭ u
wieder erstarkt. Rusa bedrohte von Osten her das Assyrien zwar
untertane, aber zum Abfall neigende Tabal. Ein von Rusa abhängiger
König Urzana, wiewohl nominell Assyrien tributpflichtig, war Herr-
scher in Muṣ aṣ ir, der Stadt des großen Haldi-Heiligtums (s. Kapi-
˘
tel 43).
210 VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen

Zu Sargons Motiven für seine Expedition gehörten – neben der tra-


ditionellen Eintreibung von Tribut und der Erlangung von Beute –
nicht zuletzt der Schutz der von ihm favorisierten Mannäer und ein
Strafgericht über Urzana.
Sargon, d. h. sein Schreiber, notiert mit einer bei den Vorgängern
noch nicht in solchem Maß gekannten Genauigkeit die Route des Un­
ternehmens. Die Landschaftsschilderungen übertreffen bei weitem
die aus älteren Inschriften bekannten Klischees. Auch nennt er regio-
nal typische Bergkräuter, deren Duftausstrahlungen niemandem ent-
gehen konnten. Der Bericht enthält an die 200 geographische Namen
(Länder, Städte, Völkerschaften, Berge, Flüsse), und da nicht wenige
von ihnen genauer lokalisiert werden können, läßt sich auch die Feld­
zugsroute ziemlich genau rekonstruieren.
Der König nimmt den Durchzug durch die urämische Provinz
Zaranda zum Anlaß, einen – geradezu «ethnologisch» interessanten –
Exkurs über die dort und in ganz Urarṭ u praktizierte Pferdezucht ein-
zuflechten. Höhepunkt des Gottesbriefes ist die – kampflose – Ein­
nahme und Plünderung von Muṣ aṣ ir. Die Statue des urarṭ äischen
Hauptgottes Haldi wird nebst anderen Götterbildern abtransportiert;
˘
die Familie des geflüchteten Urzana wird deportiert, und es folgt dann
eine realienkundlich unschätzbare, sehr detaillierte Liste des Beutegu­
tes. Insgesamt 55 Zeilen, d. h. gut 13 % des Briefes überhaupt, werden
von dieser Beuteliste eingenommen. Die Plünderung ist auch im Bild
sehr anschaulich wiedergegeben im Wandschmuck von Sargons Palast
in Dūr-Šarrukēn (Sargonsburg).
Der Briefbericht endet mit einem Augenzwinkern des genialen
Schreibers und Verfassers: nur 1 Wagenführer, 2 Reiter und 3 Fußsol-
daten hätten bei der Kampagne ihr Leben verloren: Wer’s glaubt, be­
zahlt ’nen Schekel!
Auch Sargon ist dem Ehrgeiz verfallen, sich eine neue Hauptstadt zu
erbauen und dabei – das versteht sich – alles bis dahin Gewesene in den
Schatten zu stellen. Dūr-Šarrukēn (heute Horsābād) war anders als As­
˘
sur, Kalhu und Ninive nicht am Tigris gelegen, sondern 16 km nördlich
˘
von Ninive zwischen dem Tigrisnebenfluß Hosr und dem Muṣ ri-Ge­
˘
birge (heute Ǧabal Maqlūb), in einer kühleren Gegend. Die Gründung
war zweifellos auch dem Wunsche entsprungen, dort der sengenden
Sommerhitze zu entgehen. Das Gelände wurde ordnungsgemäß erwor-
ben, und es wurde in zehnjähriger Planungs- und Bauzeit eine völlig im
Sargon 211

voraus durchgeplante, gleichsam «am Reißbrett» entworfene Stadt ge­


schaffen, fast quadratisch im Umfang, 1635 × 1760 m mit acht Toren
und 156 vorspringenden Mauertürmen. Der Palast selbst stand auf
einer 15 m hohen Terrasse. Es ist schwer nachzuberechnen, welchen
Einsatz an Arbeitskräften und welche Summe von Arbeitsstunden die
einem ägyptischen Pyramidenbau in nichts nachstehenden Stein- und
Erdbewegungen erfordert haben. Die Wandinschriften und Bildreliefs
des Palastes von Horsābād stellen eine der wichtigsten Quellen für die
˘
Kenntnis von Sargons Regierung dar. Auch eine Zikkurrat und die Hei­
ligtümer der großen Götter waren einbezogen. Dūr-Šarrukēn überlebte
freilich als Residenz nicht den Herrscher, der schon 705, nur ein Jahr
nach der Einweihung, starb.
Briefe, Verwaltungsurkunden und Privatverträge sowie Gerichts-
urkunden sind zwar auch schon in beträchtlicher Zahl aus der mittel­
assyrischen und früh-neuassyrischen Periode bekannt (vgl. Kapitel 37
zu den Briefen aus Dūr-Katlimmu); aber erst mit Sargon II. beginnt
ein regelrechter «embarras de richesse» königlicher Korrespondenz.
Das freilich ist nicht etwa einer Inflation kanzleimäßiger Schreibwut
zuzuschreiben, sondern einzig und allein den Fundumständen und
-zufällen, denen der Historiker Mesopotamiens immer wieder aus-
geliefert ist. S. Parpola hat im Wege einer Hochrechnung versucht,
von dem uns bekannten neuassyrischen Briefcorpus auf die Zahl aller
aller Wahrscheinlichkeit nach überhaupt geschriebenen Briefe und
Antwortschreiben zu schließen. Rechnet man in den königlichen
Kanzleien mit nur zehn Briefen täglich (die von dort ausgingen oder
hereinkamen), so sind es über 3600 im Jahr und wenigstens 61200
während der 17 Jahre von Sargons Regierungszeit. Die Zahl mag
indessen ganz wesentlich höher sein. Unter Asarhaddon und Assurba-
nipal kommen dann noch die Hunderte von «Anfragen an den Son­
nengott» hinzu, die die Politik nicht unmaßgeblich mitbestimmten
(s. Kapitel 46). Die neuassyrischen Briefe, mit deren Publikation (oder
Wiederveröffentlichung) ein vorbildlich organisiertes Projekt in Hel-
sinki befaßt ist, reichen von kleinen, für sich genommen unschein­
baren, in der Masse aber doch interessanten Anweisungen oder Mit­
teilungen über Gegenstände des Alltags (z. B. Lieferung einzelner
Ausrüstungsgegenstände) bis hin zu Briefen von hoher politischer –
oder auch religiöser – Brisanz.
Diese Korrespondenz des Königs und seiner Provinzstatthalter so­
212 VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen

wie anderer Beamter lief über ein dichtgespanntes Netz von Botenwe­
gen und Relaisstationen (in je ca. 30 km Abstand) – dies nicht nur eine
Vorwegnahme des neuzeitlichen Postsystems, sondern auch schon ein
«später» Nachhall des Botensystems im Reich der III. Dynastie von
Ur (vgl. Kapitel 22).
Die Sprache der neuassyrischen Briefe (wie auch der Kontrakte) ist,
ganz im Gegensatz zum oft weitläufigen Stil der Königsinschriften,
von einer Knappheit und dabei doch scharfen Prägnanz, die uns an
den extrem konzisen Briefstil eines Cicero erinnert.
Was den babylonischen Nachbarn – besser die babylonischen
Nachbarn – betrifft, so ist es Sargon II. ebensowenig wie seinen Vor­
gängern gelungen, den politischen Dschungel endgültig zu durchfor­
sten. In Marduk-apla-iddina II. (dem biblischen Merodachbaladan, s.
2. Kön. 20:12 = Jes. 39:1) aus dem Chaldäerstamm Bãt Jakãn erwuchs
Sargon ein klug taktierender, aus assyrischer Sicht übel intrigieren-
der Widersacher. Tiglatpileser III. hatte Marduk-apla-iddina II. noch
als tributzahlenden «König des Meerlandes» (d. h. als Herrscher über
den äußersten, teilweise von Schilflagunen bedeckten Süden Babylo­
niens) bezeichnet. 721–710 nahm Marduk-apla-iddina den Thron von
Babylon ein, und er bemühte sich, eine antiassyrische Koalition von
altangestammten Babyloniern, Aramäern und Chaldäern unter Ein­
beziehung des nunmehr befreundeten Nachbarn Elam zusammenzu­
führen. In einer Schlacht bei Dēr im Osttigrisland verfehlte Sargon
den erstrebten Sieg, und er mußte vor dem Elamer Ummanigaš (=
Human-nikaš) abziehen. Erst 710 konnte Sargon Marduk-apla-iddi-
˘
na II. vertreiben. Die wenigen Jahre bis zu seinem Tode 705 war wie­
der ein Assyrer König von Babylon.
Marduk-apla-iddina II. nennt die Assyrer in seinen Inschriften
archaisierend-herablassend «Subaräer», d. h. Leute von Subartu (das
war einst ein vager Begriff für das Gebiet am und östlich vom mittleren
Tigris) – nicht unähnlich dem assyrischen Brauch, noch Jahrhunderte
nach der Herrschaft der Kassiten in Babylonien von «Karduniaš» zu
sprechen. Sargon hat in Babylon und in Uruk Bauinschriften in sume-
rischer Sprache hinterlassen – sichtlich ein Bemühen, tief in die dort
heimische uralte Tradition einzudringen.
Neues im Westen bietet bei Sargon II. die erste sichere Erwähnung
von Griechen (zur Frage der Ahhijawa s. Kapitel 36): Sargon will Jam­
˘˘
nāja (wohl Jaunāja zu lesen), also Ionier, «wie ein Fischer im Meer»
Sargon 213

gefangen haben; es handelt sich um Versuche, griechischer Seeräuber


Herr zu werden, die die Küste Südkleinasiens heimsuchten. Sargon
hat Mitā von Mušku in die Flucht geschlagen; dahinter verbirgt sich
Midas (II.) von Phrygien, dem die assyrische Nachbarschaft in Kili-
kien (Qu᾿e) und Tabal nicht behagen konnte.
Ganz im Süden, in Palästina und in den zahlreichen bedeutenden
Handelsstädten der levantinischen Küste, trat ebensowenig wie in
Babylonien endgültige Ruhe ein. Aufstände, Gegenzüge, Stadtbela­
gerungen blieben die Regel. Indes verdichten sich die Berührungen
mit Ägypten. Waren es in der mittelbabylonisch-hethitischen Peri­
ode Treffen im nördlichen Syrien gewesen (s. Kapitel 36 zur Schlacht
von Qadeš) oder aber die Fernkontakte der Amarna-Korrespondenz
(s. Kapitel 35), so stoßen Assyrer jetzt unmittelbar mit Ägypten an
dessen Grenze, dem berühmten «Bach von Ägypten» (am wahr­
scheinlichsten dem Wādi al-῾Arãš), zusammen, und unter den auf
Sargon II. folgenden Herrschern rückte Assyrien ins Delta und sogar
noch weiter südlich nach Ägypten ein. Unter Sargon kam der ägyp­
tische General Rē῾ê dem Hanūnu von Gaza zu Hilfe; doch er wurde
zurückgewiesen.
Es wird nun auch Ägypten in seinem Nord-Süd-Verlauf genauer
differenziert: Muṣ ur oder Miṣ ir bezeichnet im weiteren Sinne Ägyp-
ten insgesamt, im engeren Sinne Unterägypten (noch heute heißt
Ägypten auf arabisch Miṣ r); Uriṣ ṣ u ist Oberägypten, und Meluhha ist
˘˘
Nubien – mit einer für uns heute interessanten Namensübertragung
von Meluhha = Indusgebiet. Für die Assyrer, deren geographischen
˘˘
Vorstellungen unsere Landkarte nicht zugrunde liegen konnte, war es
ganz sicher keine Übertragung. Meluhha war und blieb das fernste
˘˘
Land.
Sargon II. ist auf seinem letzten Feldzug im Antitaurus ums
Leben gekommen. Sein Leichnam konnte nicht einmal nach Assy­
rien überführt werden. Er hatte aber, als er 705 v. Chr. starb, sein
Haus wohl bestellt. Der Kronprinz Sanherib war unangefochtener
Nachfolger.
214 VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen

46. Sanherib und Asarhaddon

Sin-ahhē-erãba (704–681) war längst vor der Entzifferung der Keil-


˘˘
schrift unter seinem biblisch-hebräischen Namen Sanherib (oder
Sennacherib, so vorzugsweise englisch) bekannt als der assyrische Kö-
nig, der Jerusalem unter Hiskia von Juda belagerte, aber von seinem
Vorhaben ablassen mußte, weil der Engel des Herrn über Nacht
185 000 Mann erwürgte (2. Chron. 32:20–22; vgl. 2. Kön. 18:13–20
und Jes. 36:1–37:37). Seinen Widerhall fand dieses Geschehen bei He­
rodot II 141: Sanacharibos, «König der Araber und der Assyrer»,
mußte den Versuch, Ägypten zu erobern, aufgeben, weil über Nacht
Tausende von Ratten in das Heerlager eindrangen und alles Leder zer­
nagten. Eine plötzliche Epidemie unter den Belagerern sei – so wird
seit langem vermutet – der Kern dieses Sagenguts. E. Frahm hat den
Nachhall des faszinierenden Sanherib bis in unser 20. Jahrhundert
weiterverfolgt. Die Belagerung Jerusalems war freilich nur eine Epi-
sode in Sanheribs Regierung: Sie spiegelt aber die von den Vorgän­
gern ererbten Schwierigkeiten, Palästina und die Levante mit den be­
deutenden Phönizierstädten, u. a. Tyros und Sidon, in ein für das
Reich gesichertes Abhängigkeitsverhältnis zu überführen.
Sanherib war unter seinem Vorgänger Sargon II. Kronprinz im
besten Sinne des Wortes gewesen – eindeutig und ohne intervenie-
rende Palast- und Haremsintrigen legitim. Sargon hatte ihm die
Aufsicht über den Informationsdienst an der wichtigen nördlich­
nordwestlich urarṭ äischen Front übertragen, aber ihn auch mit Auf-
gaben in Babylonien betraut. Dem Erbteil Babylonien Herr zu wer-
den, war nicht weniger problematisch als diese Aufgaben. Es war der
babylonischen Mentalität, die nicht minder als die assyrische stark
historisch orientiert war, schlechterdings nicht aufzuprägen, als Un­
tertan Assyriens zu leben – in welcher Form auch immer: tribut-
pflichtig, aufgeteilt in Provinzen, unter einem in Babylon residie­
renden fremden König – und habe er selbst auch (wie seinerzeit
Tiglatpileser III.) einen eigenen, «babylonischen» Namen angenom­
men. Der wohl gegen 745 v. Chr. geborene Sanherib setzte in Baby-
lon einen seiner Söhne ein, Aššur-nādin-šumi; der wurde aber 694
bei einem Aufruhr überwältigt, nach Elam verschleppt und dort
wahrscheinlich umgebracht – was Sanherib nur verbittern und in
Sanherib und Asarhaddon 215

seiner Haltung verhärten konnte. Es mag ja dem einfachen, auf


friedlichen Erwerb des Lebensunterhaltes erpichten Bewohner herz­
lich gleichgültig gewesen sein, unter wes Regiment er erschwing­
liche Steuern zahlte, aber eben nicht den ehrgeizigen Stadtoberhäup­
tern oder Stammesfürsten – Aramäern, Chaldäern oder womöglich
auch schon Arabern (es wird darüber gestritten, wer die bei Sanherib
genannten «Urbi» waren: Kollektivbezeichnung *῾Urbu, abgeleitet
von ῾Arabū «Araber», oder aber jemand gänzlich anderer?). Wenn es
um die Front gegen Assyrien ging, waren auch die elamischen Nach-
barn als Bundesgenossen willkommen.
Sanherib hat 699 v. Chr., auf seinem sechsten Feldzug, eine tech-
nisch-logistische Meisterleistung inszeniert: Er ließ in Ninive und in
Til Barsip am Oberen Euphrat unter der Aufsicht syrischer Spezia-
listen seetüchtige Schiffe bauen; er bemannte sie mit – hochseeerfah-
renen – phönizischen Seeleuten, und er ließ die Flotte stromabwärts
reisen, dann im Süden aber auch teilweise über Land zum Persischen
Golf transportieren, um sie im Kampf gegen Elam einzusetzen.
691 kam es zu einer Schlacht bei Halulê (wahrscheinlich beim heu-
˘
tigen Sāmarrā), über deren Ausgang wie so oft keine Klarheit besteht,
weil der – mit voller Selbstverständlichkeit – vorgetragenen Sieges-
meldung des assyrischen Berichts kaum zu trauen ist.
Sanherib entschloß sich nach langem Versuchen, Gelingen, Schei-
tern und Resignieren – aber wohl auch noch tief beeindruckt durch
die Entfernung und Ermordung (?) seines Sohnes – 689 zu einem
Vernichtungsschlag gegen Babylon: Belagerung, Erstürmung, restlose
Zerstörung der Stadt sowie die in solchen Fällen übliche Verschlep-
pung der Kultbilder, voran Marduks. Das Vernichtungswerk sei, wenn
man Sanherib und auch – aus der Rückschau – seinem Sohn Asarhad-
don glaubt, so weit gegangen, daß der Euphrat über die eingeebnete
Ruine geleitet worden wäre (eine bei dem extrem geringen Gefälle des
Flusses und der folglich bei Deichdurchstichen leichten Manipulier­
barkeit des Laufes nicht undenkbare Maßnahme). Es hätte der Schutt
der Stadt flußabwärts noch das Meer erreicht.
Das ist in der Kriegsberichtsrhetorik neu (wie auch manch andere
Stilwendung bei Sanherib), und es war auf furchterregende Weise be-
eindruckend. Wieweit hat es aber der Wahrheit entsprochen? In der
Tat fehlen datierte Urkunden nach 691 einige Jahre lang in Babylon.
Doch hätte denn eine dermaßen dem Erdboden gleichgemachte Stadt
216 VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen

unter Sanheribs Nachfolger Asarhaddon so schnell wiederaufgebaut


werden können? Wie dem aber auch sei, das Echo in Assyrien auf die
Aktion war gespalten, und es sollte ganz entscheidend die Politik des
Nachfolgers Asarhaddon bestimmen. Zeitweilig aber verlieh die Zer­
störung Babylons dem assyrischen Nationalismus starken Auftrieb.
Im altehrwürdigen Lehrgedicht von der Erschaffung der Welt durch
den Sieg Marduks über die älteren göttlichen Mächte, im «Enūma
eliš» «Als oben», ist in einigen uns überlieferten Manuskripten der
Name Marduk schlichtweg durch den von Assur ersetzt.
Sanherib hat das architektonische Monumentalwerk seines Vaters,
Dūr-Šarrukēn, sich selbst überlassen und beschlossen, nunmehr Nini­
ve zur Hauptstadt des Reiches auszubauen – nochmals alles Vorher­
gehende überbietend. Wir kennen die Motive für seinen Entschluß
nicht. War etwa «Sargonsburg» durch das ungewöhnliche und viel­
leicht negativ ominös geltende Ende des Namengebers kontaminiert?
Oder ist letzten Endes doch wieder die traditionelle Baumanie des
Herrschers im Spiel? Sanherib errichtete in Ninive u. a. den soge­
nannten Südwestpalast, der mit Wandreliefs und alle seine Vorgänger
an Größe überbietenden Torhütergenien nicht weniger üppig ausge­
stattet war als der Palast in Dūr-Šarrukēn. Wir sehen im Bilde, wie die
riesigen, doppelmannshohen steinernen Mischwesen (menschenköp-
fige Stiere, noch am Steinbruch aus dem anfangs leicht zu bearbeiten-
den Kalkstein gehauen) von Arbeiterkohorten mit Hilfe von wenig-
stens faustdicken Seilen und von Balken-Hebevorrichtungen Elle für
Elle einen Abhang hinaufgezogen werden.
Den Bewohnern eines Landes voller Hitze und Dürre während lan­
ger Sommermonate war die Faszination durch Grün, bunte Blumen­
pracht, Blüten- und Kräuterduft eingeboren (wir erinnern uns an Sar­
gons Achten Feldzug mit der Erwähnung von Gebirgskräutern – s.
Kapitel 45). Sanherib hat einer bei ihm vielleicht besonders stark aus­
geprägten Vorliebe zum ersten Male sehr ausführlich dadurch Aus­
druck verliehen, daß er beschreibt, wie er um den neuen Palast herum
Gärten mit allen möglichen heimischen und exotischen Pflanzen an-
legen ließ. Solche Anlagen konnten aber nicht allein aus Zisternen
oder mit mühsam vom Tigris hochbefördertem Wasser bewässert wer-
den. Sanherib zapfte am Tigris-Nebenfluß Gomel Wasser ab, leitete es
in einem Kanal hinüber zum Fluß Hosr und überquerte dabei eine
˘
Senke, ein römisches Aquädukt vorwegnehmend.
Sanherib und Asarhaddon 217

11 Transport eines für den Palast Sanheribs in Ninive bestimmten

Stierkolosses. Alabasterplatte, Höhe ca. 225 cm.

Heute British Museum, London.

Sanherib hat im ganzen weniger Energie als seine Vorgänger in Feld-


züge nach Norden, Nordosten und Nordwesten investiert, wenn auch
Urarṭ u stets wachsam beobachtet wurde. Auf dem fünften Feldzug
(697 oder 696) wurde eine Stadt Ukku im Grenzgebiet von Urarṭ u
zerstört und geplündert. Vorher hatte Sanherib auf einer der in den
assyrischen Königsinschriften so lebhaft beschriebenen «hochalpinen
Klettertour(en)» (E. Frahm) Städte am Berge Nipur eingenommen,
einem Zweitausender (dem heutigen Cudi Daği östlich von Cizre am
Oberen Tigris), und in Felsnischen Reliefs anbringen lassen. Ein die
vielen Erzählklischees belebendes persönliches Detail ist die Notiz,
daß der König, wo immer möglich, niedersaß, um kaltes Wasser aus
dem Schlauch zu trinken. Urarṭ u war – vorübergehend – durch die
Kimmeriergefahr abgelenkt, und derzeit ging von ihm keine akute
Bedrohung aus.
Sanherib gehört in die Galerie jener Könige der Weltgeschichte, die
218 VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen

einem Mord zum Opfer gefallen sind. Der Mörder war sein zweiter
Sohn Urdu-Mullissi. Das Motiv dürfte die mangelnde Bereitschaft des
Vaters gewesen sein, ihn als Nachfolger zu bestimmen, nachdem der
älteste, Aššur-nādin-šumi, nicht mehr am Leben war. Unter Sanheribs
Frauen – und jeder assyrische Herrscher war wohl polygam – befand
sich Naqia, die Mutter Asarhaddons, die Sanherib noch lange überlebt
hat; ihr Name war aramäisch, «die Reine», und so wird sie oft auch as-
syrisch Zakūtu, «die Reine», benannt. Sie war eine höchst energische
einflußreiche Frau, und es ist denkbar (wie vermutet worden ist), daß
in einem Zusammenfluß zweier bedeutender Frauengestalten, Sam­
muramât, der Frau Šamšã-Adads V. (s. Kapitel 44), und Naqia, das anti-
ke Sagenbild der Semiramis entstanden ist. Gewiß hat Naqia nach
dem gewaltsamen Tod Sanheribs mit aller ihr zur Verfügung stehen­
den Macht die Nachfolge ihres Sohnes betrieben.
Für den dritten «Sargoniden», Aššur-ahu-iddina (680–669), hat
˘
sich bei uns abermals die alttestamentliche Namensform durchge-
setzt: Asarhaddon (englisch Esarhaddon). Er gehört auf seine Weise
ebenfalls zu den faszinierenden Gestalten unter den assyrischen Kö-
nigen, weil man bei ihm – wohl nicht zu Unrecht – eine problemati-
sche charakterliche Veranlagung sieht, die vielleicht krankheitsbe-
dingt oder doch -gefördert war. Man hat gelegentlich und wohl
überspitzt einen starken Kontrast sehen wollen zwischen dem bis
zur Brutalität energischen, dabei aber auch an vielem «Technischen»
interessierten Vater Sanherib (der indes auch, wenn wir ihn in den
Texten seiner Schreiber gespiegelt sehen, «Literatur im Leib» gehabt
haben muß) und einem eher abergläubisch-ängstlichen, sich stets
durch die Erforschung des Willens der Götter rückversichernden
Sohn.
Asarhaddon hat nur elf Jahre regiert und in diesem guten Jahrzehnt
ein erstaunlich umfangreiches Programm zustande gebracht oder
durch seine Militärführer zustande bringen lassen. Bevor er es ange-
hen konnte, mußte er jedoch zunächst vor seinen wegen der Nachfol-
geregelung aufgebrachten Brüdern und deren Anhang «untertau-
chen», um dann aber überraschend und triumphierend in Ninive
einzuziehen. Daß seine noch höchst aktive Mutter Naqia ihm dabei
den Weg ebnen half, ist in hohem Grade wahrscheinlich. Asarhaddon
hat seine eigene – ja nicht völlig legitim zustande gekommene – Kö­
nigsherrschaft ausführlich gerechtfertigt als das Ergebnis des Götter­
Sanherib und Asarhaddon 219

willens, der sich in verschiedenen Opferschauberichten und ebenso in


Vorzeichen am Sternenhimmel geäußert habe.
Er hat als Feldherr in alle vier Himmelsrichtungen ausgegriffen: im
Südosten nach Babylonien, östlich nach Medien, nördlich nach Urar­
ṭ u, westlich nach Kleinasien und Zypern, südwestlich nach Palästina
und erstmals auch nach Ägypten, südlich nach Arabien. Auf dem Hö-
hepunkt seiner Macht fügte er der traditionellen Titulatur «König des
Alls, König von Assyrien, Statthalter von Babylon(ien), König von
Sumer und Akkad» noch «König der Könige von Unter- und Ober­
ägypten sowie Kuš (Nubien)» hinzu, wobei er gelegentlich für Ägypten
und Kuš die älteren (auf unserem heutigen Landkartenbild räumlich
versetzten) Begriffe «Magan und Meluhha» gebrauchte (vgl. Kapi-
˘˘
tel 45 Ende). Damit war fast die ganze bekannte Welt erfaßt.
Als Hauptaufgabe erwählte sich Asarhaddon die «Wiedergutma-
chung» der von Sanherib in Babylonien und vor allem in Babylon
selbst angerichteten, verheerenden Schäden. Wenn wir uns die intel-
lektuellen Interessen der assyrischen Oberschicht zweigeteilt vorstel­
len – eine proassyrische Richtung (wir wollen nicht sagen: Partei), die
so weit gegangen war, im Schöpfungsepos «Enūma eliš» (s. oben) den
Namen Marduks durch Assur zu ersetzen; und eine probabylonische
Richtung –, dann müssen die Ereignisse in Babylonien auf die letztere
traumatisch gewirkt haben. Asarhaddon gehörte ganz ohne Zweifel
der probabylonischen Richtung an, was ihn als besonnenen und weit-
sichtigen Geist kennzeichnen würde. Asarhaddon erwähnt nun zwar
nirgends Sanheribs Urheberschaft an den Verwüstungen, er erfindet
vielmehr sogar schlechte Ratgeber und beruft sich im übrigen auf den
– stets bequem rechtfertigenden – Willen der Götter. Doch ging er zu
Werke, entwässerte versumpftes Land, leitete den Euphrat zurück in
sein ursprüngliches Bett, erbaute die Tempel neu (oder restaurierte sie
von Grund auf) und errichtete wieder die Zikkurrat E-temen-anki
«Haus, Grundlage von Himmel (und) Erde», deren unterste Stufe 90
Meter im Quadrat maß. Er führte die geraubten und nach Assur oder
Elam verschleppten Götterstatuen an ihre angestammten Kultstätten
zurück.
Um sein Tun zu rechtfertigen, machte Asarhaddon von einem uns
faszinierenden Zahlenspiel Gebrauch: Die Götter hätten den Wieder-
aufbau Babylons zwar zunächst 70 Jahre hinausgeschoben; aber dann
hätten sie «die Zahl umgedreht» und aus der 70 eine 11 werden lassen,
220 VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen

womit wir, wenn Babylon 689 zerstört worden war, auf das Jahr 678
kommen. Die Manipulation der Zahlen läßt sich nur im mesopota­
mischen Sexagesimalsystem verstehen: 70 = «60 + 10»; 11 = «10 +
1»; dabei ist mitzuverstehen, daß der senkrechte Keil als Zahl je nach
Position eine «Eins» oder eine «Sechzig» bezeichnen konnte.
Ein Feldzug gegen die «Meder, deren Stätte fern ist» (und die doch
70 Jahre später beim Untergang des assyrischen Reiches eine höchst
aktive Rolle spielten), führte bis an die große Salzwüste (das «Haus
des Salzes», heute Dašt-i Kavãr südostlich vom heutigen Teheran).
Über die Identität des ebenfalls wieder erwähnten «Lapislazuli-Ber-
ges» Bikni wird noch gestritten (war es, wie öfter vermutet, doch der
Demavend?). Beim Lapislazuli dürfte es sich allerdings um eine aus
vager Tradition ererbte Begriffsübertragung handeln; denn dieser
Stein wurde viel weiter östlich, im afghanischen Badahšān, gewonnen.
˘
Gewiß aber waren die Meder Zwischenhändler beim Fernhandel. Da
sich in der Beute, die Asarhaddon aus Medien mitführte, auch Kamele
befanden, sei darauf verwiesen, daß Keilschrifttexte immer strikt un­
terscheiden zwischen dem einhöckrigen arabischen Dromedar (gam-
malu) und dem zweihöckrigen baktrischen Trampeltier (ud(u)ru).
Nach wie vor nicht ins Reich integriert waren bis zu diesem Zeit­
punkt die Mannäer mit ihrer (noch nicht lokalisierten) Hauptstadt
Izirtu. Weitere Unsicherheitsfaktoren waren die indogermanischen
Kimmerier und Skythen.
Im Westen und Südwesten unterwarf Asarhaddon Hilakku «Kili-
˘
kien», die «boshaften Hethiter» (der Gebrauch historischer Namen –
wenn z. B. auch die Mannäer «widerspenstige Gutäer» genannt wer-
den – gehörte zum historiographisch-literarischen Stil). Mit den «Kö­
nigen im Meer» sind Herrscher auf Jadnana (Zypern) und in Jaman
gemeint (Jaman ist die assyrische Wiedergabe von Ionien, womit aber
wohl keine genauere geographische Vorstellung verbunden war). In
einer Liste zypriotischer Fürsten finden sich auch griechische Namen
wie Pilāgurā von Kitrusi (= Pylagoras von Chytros) oder Damasu von
Kurî (= Damas von Kurion).
Ba῾al, König von Tyros, der der Küste vorgelagerten Insel «im
Meer», hatte sich mit Taharqa von Kuš, damals Herrscher über ganz
Ägypten, verbündet. Nach einem Sieg schloß Asarhaddon mit Ba῾al
einen Vertrag nach der generationenalten Erfahrung, daß es bei einer
phönizischen Stadt tunlicher sei, ihr gegen Auflegung der Tribut­
Sanherib und Asarhaddon 221

pflicht die Unabhängigkeit zu belassen, statt sie zur Provinz zu degra-


dieren, was freilich später mit Sidon dennoch geschah.
Als erster Assyrerkönig hat Asarhaddon 671/70 ägyptischen Boden
betreten und die Hauptstadt Memphis an der Südspitze des Nildeltas
eingenommen. Er setzte Nikkû (Necho I.) als König ein. Der Besitz
von Teilen Ägyptens ist für Assyrien freilich problematisch geblieben,
auch wenn er zeitweilig mit immensen Beute- und Tributeingängen
verbunden gewesen sein muß.
Schließlich war in Asarhaddons Aktivitäten auch Arabien einbezo­
gen als ein von Jahrzehnt zu Jahrzehnt näher rückender Nachbar. Eine
Kampagne ins Innere Arabiens – genauer gesagt: nach Bāzu – führt
alle Schrecken des unheimlichen Wüstenlandes vor Augen: Dürre,
Durst und Skorpione, von denen es wie von Ameisen wimmelt. An­
läßlich einer Geschenksendung des Arabers Haza-El von Adummatu
berichtet Asarhaddon, daß er die verfallenen Kulte von fünf arabi­
schen Gottheiten erneuert habe. Unter ihnen ist auch die Göttin
Ruḍ ā᾿u (keilschriftlich Ru-ul-da-a-a-ú), die noch über 1000 Jahre spä­
¯
ter in klassisch-arabischen Quellen erscheint. Asarhaddon setzte eine
im Palast von Ninive aufgewachsene, also vollständig assyrisierte
Araberin Tabua als Königin ein. Die Rolle von Königinnen war in
Arabien bis zum Vorabend der Islamisierung prominent – man denke
nur an die «Königin von Saba» bei Salomo.
Neben diesen – auf ein Jahrzehnt verteilten – außenpolitischen Un­
ternehmungen betrieb Asarhaddon auch umfangreiche Baumaßnah-
men in Ninive und Kalhu. Bei der Anlage eines Parks mit Gewürz­
˘
pflanzen suchte er zweifellos, seinem Vater Sanherib nachzueifern.
Ein Quellenmaterial völlig neuer Art stellt sich uns unter Asarhad-
don und – in bescheidenerem Umfang – unter Assurbanipal dar; neu
ist es allerdings nur der Fundüberlieferung nach, doch gewiß nicht in
der Sache. Es handelt sich um die in ein strenges Formular gekleideten
Anfragen an den Sonnengott (als Orakelherrn) darüber, ob diese oder
jene Handlung erfolgen oder unterbleiben sollte, ob sie Erfolg ver­
spräche und vieles mehr. Auf Grund einer dann – manchmal in Eile –
angestellten Opferschau wurde als Antwort ein «Günstig», «Ungün-
stig» oder gelegentlich auch «Nicht zu entscheiden» erteilt. Antworten
in schriftlicher Form sind in viel geringerer Zahl erhalten als die An-
suchen, die sich bei Asarhaddon auf ca. 200 belaufen.
Diese Art von Anfragen gehört im Prinzip in den größeren Rahmen
222 VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen

des schon in der altbabylonischen Zeit hervorragend dokumentierten


Omenwesens (vgl. S. 110 f.). Opferschauer waren regelmäßig Teilneh­
mer an Feldzügen. Das plötzlich und geradezu massenhaft bezeugte
Auftreten der Anfragen unter Asarhaddon möchte man ungern nur
dem vielberufenen Fundzufall zuschreiben. War es wohl doch der Aus­
fluß einer besonderen Persönlichkeitsstruktur des Königs: ausgeprägte
Vorsicht, fast ängstliche Behutsamkeit und – daraus resultierend – wo­
möglich eine gewisse Klerushörigkeit? Oder sollen wir den Befund
deuten als eine Spielart perfektionierter Spionage? Eine Entscheidung
der Frage ist aus unserer zeitlichen Distanz fast unmöglich.
Hier sei eine – keinesfalls auf Vollständigkeit ausgehende – Typolo­
gie der Anfragen geboten, wobei auf die Namen von Personen und
Orten in der Regel verzichtet wird:
Wird eine Stadt oder Festung (erneut) eingenommen werden?
Wird der Feind bestimmte Städte, Länder angreifen? Wird sich ein
Nachbar mit den Assyrern verbünden? Sind Friedensangebote eines
Gegners aufrichtig gemeint? Werden Gesandte angegriffen, überfal­
len werden, oder werden sie heil zurückkehren? Auch abstrakt: Soll
der König ein schriftlich niedergelegtes Vorhaben durchführen, wird
es gelingen? Soll er bestimmte Personen ernennen, sollen sie ins kö-
nigliche Gefolge aufgenommen werden?
Medizinischer Rat wird erbeten: Welches Medikament ist ange-
bracht, welche Krankheit liegt vor, welche Genesungschancen beste­
hen?
Soll Asarhaddon dem durch Boten werbenden Skythenkönig Barta-
tua (griechisch Protothyes) eine Tochter zur Frau geben, und wird der
Skythe dann treu und friedlich ergeben sein? Besonders instruktiv ist
eine vorbeugende Anfrage bezüglich einer Erhebung gegen Asarhad­
don, weil hier im Detail die Möglichkeiten beschrieben werden, wer
als Urheber oder Anstifter in Betracht kommen könnte: Eunuchen
oder Bärtige, ältere oder jüngere Mitglieder des Königshauses, Statt-
halter, Offiziere, Türhüter, Köche und Bäcker(!), aber auch Leute ver-
schiedener Nationalitäten oder deren Anhang; wann, wo und bei wel-
chem Anlaß könnte eine Erhebung ausgelöst werden: tags, nachts, in
der Stadt, außerhalb; wenn der König auf dem Thron sitzt, im Wagen
fährt, in der Sänfte getragen wird oder zu Fuß geht; beim Essen, Trin-
ken, An- und Auskleiden, Waschen?
Füllen wir all die Anfragen mit den betreffenden Personen-, Städte-,
Sanherib und Asarhaddon 223

Länder- und Völkernamen aus, so erscheinen sie uns zusätzlich zu den


offiziellen – und stets suspekt-subjektiv formulierten – Königsin-
schriften und zu der königlichen Korrespondenz als ein sehr auf­
schlußreiches Informationsmaterial zur Innen- und Außenpolitik.
Unter Asarhaddon ist auch das Ritual der Einsetzung eines «Er-
satzkönigs» bezeugt. Wenn dem Land und seinem Herrscher Unheil
durch eine bevorstehende Mondfinsternis drohte, so konnte der Kö-
nig vorübergehend in die Rolle eines «Bauern» schlüpfen, und eine
andere – womöglich einfältige – Person wurde ersatzweise auf den
Thron gesetzt, um das Unheil auf sich zu ziehen. War die Gefahr
vorüber, ließ sich jener «Ersatzkönig» stillschweigend beseitigen.
Der König selbst wurde während einer solchen Gefahrenperiode
ganz formal im Brief als «Bauer» adressiert, erledigte aber anstehen-
de Fragen ganz in gewohnter Weise.
Einige Korrespondenz Asarhaddons mit Ärzten hat den Gesund-
heitszustand des Königs zum Gegenstand. Da er über quälende Leiden
klagt und auf Auskunft von deren Ursache dringt und da bei der emp­
fohlenen Medikamentenbehandlung (u. a. Salben neben rein magi-
schen Praktiken) des öfteren von der Haut des Königs und von Aus-
schlägen die Rede ist, hat S. Parpola erwogen, die Krankheit als Lupus
erythematosus disseminatus, «Scheibenrose», zu identifizieren, eine
Art unheilbarer Hauttuberkulose, die auch auf andere Organe über­
greifen kann. Lupus wirkt zwar auf dem Höhepunkt mit lepraähn-
lichen Entstellungen dermaßen abstoßend, daß man sich fragt, ob ein
so befallener Herrscher sein Amt mit allen – auch priesterlichen –
Funktionen noch hätte ausüben dürfen. Doch waren ja die meisten
Körperpartien ständig durch Kleidung und Bartwuchs überdeckt. Was
immer dies für eine Krankheit (Frauen wurden von Lupus sehr viel
häufiger befallen als Männer) gewesen sein mag, sie war vermutlich
Ursache dafür, daß Asarhaddon auf dem Wege nach Ägypten, wo er
eine Erhebung niederzuschlagen gedachte, starb. Man hat die Veran­
lagung Asarhaddons, von der öfter die Rede gewesen ist, mit seiner
Krankheit in Verbindung bringen wollen. Aber wenn Asarhaddon tat-
sächlich als ständig oder häufig kranker König regiert hat, waren ihm
seine Zähigkeit und das Fehlen jeglicher Resignation – soweit dies aus
den Quellen zu ersehen ist – hoch anzurechnen.
In diesen Komplex von Fragen und Spekulation gehört auch die
auffällige Tatsache, daß Asarhaddon schon nach einem knappen Re­
224 VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen

gierungsjahrzehnt eine Nachfolgeregelung vorbereitet hat. Er ließ


seinen Sohn Assurbanipal den Treueeid als künftigen König leisten.
Damit verstieß er wiederum gegen die Regel. Denn es gab einen älte-
ren Sohn, Šamaš-šumu-ukãn, und ihn bestimmte Asarhaddon zum
König von Babylon – eine nur allzu deutliche Zurücksetzung, aus der
letztlich ein Bruderkrieg erwachsen sollte. Von der Altkönigin Naqia
(Zakūtu), Asarhaddons Mutter, ist ein Vertrag erhalten, in welchem
sie Šamaš-šumu-ukãn, Šamaš-mētu-uballiṭ und «die übrigen Brüder
von ihm» zur Loyalität gegenüber ihrem «Lieblingsenkel» Assurba­
nipal verpflichtete, ein Zeichen ihrer immer noch ungeschmälerten
Machtstellung.

47. Assurbanipal

Aššur-bān-apli, Assurbanipal (668–630 (?)) konnte mit fast vierzig


Regierungsjahren seinem Reich mehr Zeit widmen als seine beiden
Vorgänger zusammen. Anstelle eines erneuten «tour d’horizon» der
Militär- und Außenpolitik, die nach wie vor Babylonien, Iran, Urarṭ u,
Kleinasien, die Levante, Arabien und Ägypten betraf und noch in den
Persischen Golf ausgriff, seien nur einige wenige Aspekte zur genaue­
ren Darstellung ausgewählt.
Šamaš-šumu-ukãn war dem Vermächtnis seines Vaters zufolge von
668 bis zu seinem gewaltsamen Tod 648 König von Babylon. Asar­
haddons – oder Naqia/Zakūtus – Wahl hätte nicht unglücklicher
ausfallen können. Denn zur traditionell antiassyrischen Haltung
Babyloniens gesellte sich nun auch noch wachsender Unmut
Šamaš-šumu-ukãns gegenüber dem allmächtigen Bruder in Assyrien,
beides im Verein mit dem stets koalitions- und konspirationsbereiten
Elam. So erwuchs Assyrien ein Gegner, dem nur mit – letzthin von
Machtlosigkeit zeugenden – Gewalthandlungen beizukommen war.
Das Neubabylonische Reich hatte schon jahrzehntelang seine Schatten
vorausgeworfen.
Liest man die aus Babylonien stammenden (leider undatierten) Kö-
nigsinschriften Assurbanipals und seines königlichen Bruders nur
flüchtig, bietet sich einem anfangs noch der Eindruck, als herrsche ei­
tel Frieden. Beide sprechen mit- und übereinander als talimu, was
«gleichgestellter Bruder», «Lieblingsbruder», vielleicht gar «Bruder­
Assurbanipal 225

12 Assurbanipals Siegesmahl in einer Weinlaube, aus Ninive.

Alabaster, Höhe 53 cm, Breite 140 cm.

Heute British Museum, London.

herz» bedeutet. Beide führen eine anspruchsvolle Herrschertitulatur.


Doch Assurbanipal vermerkt stets, er habe seinen talimu zum König
von Babylon eingesetzt – obwohl dies doch das Werk Asarhaddons ge-
wesen war. Solch hochfahrende Arroganz konnte nicht unbemerkt
hingenommen werden. Der Gang der Ereignisse bis zum Bruderkrieg
war folgender:
Elam (vgl. Kapitel 42) war für Mesopotamien, besonders auch für
Assyrien, ein in höchstem Maße unberechenbarer Faktor in der Poli­
tik: öfter Feind, nicht selten auch falscher Freund, kulturell eng ver-
wandt, sprachlich unzugänglich. Als eine im Prinzip immer bedroh-
liche Macht mußte Elam – wie zuvor Urarṭ u – in Schach gehalten
werden, ein Zustand, der nicht leicht dauerhaft aufrechtzuerhalten
war. Assyrische Expeditionen gegen Elam waren von wechselndem
Kriegsglück geprägt; doch oft konnten innerelamische Streitigkeiten
bis hin zu Herrschermorden den Assyrern auch nur dienlich sein. 653
wurde in einer Schlacht am Flusse Ulai – dem griechischen Eulaios,
vielleicht dem heutigen Karha entsprechend – der elamische König Te-
Umman getötet (die assyrischen Schreiber haben den vollständigen
elamischen Namen Tempti-Humban-Inšušinak bequem verkürzt).
Sein Haupt wurde, von einem Baum herabhängend, auf einem be-
rühmten Relief Assurbanipals verewigt, das den König mit seiner
Frau beim Mahl im Garten zeigt.
226 VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen

Das stets schwer zugängliche und nach wie vor mühsam zu unter-
werfende «Seeland» mit dem Aramäerstaat Gambulu wurde von As­
surbanipal wegen seiner Unterstützung für Urtak von Elam mit einer
Strafexpedition heimgesucht. Derlei für die babylonische Mentalität
zweifellos höchst unpopuläre Aktivitäten Assyriens – zumal sie immer
über den Kopf von Šamaš-šumu-ukãn hinweg geschahen – kulminier­
ten in dem Bestreben von Assurbanipals Bruder, sich von Assyrien frei
und selbständig zu machen. Eine allgemeine Revolte erhob sich 652,
von Elam wieder bereitwilligst unterstützt, erhielt aber auch arabische
Hilfe. Nach manchen Wechselfällen wurde Babylon 650–648 belagert,
ausgehungert und erobert, wobei Šamaš-šumu-ukãn ums Leben kam.
Die klassisch-antike Tradition hat in einer Vermengung von Assurbani-
pal und Šamaš-šumu-ukãn die Sage von dem in seinem Palast ver-
brannten König Sardanapalos entstehen lassen.
Assurbanipal hat nach dem Sieg über Babylon den Vernichtungs­
krieg auf Elam und seine Hauptstadt Susa ausgedehnt. Die Aktion en-
dete 639 mit der völligen Zerstörung Susas und einer unermeßlich er-
tragreichen Ausplünderung. Die metikulöse Beschreibung der Beute
und der entführten Kultstatuen erinnert uns in manchem an Sar­
gons II. Beuteliste von Muṣ aṣ ir (vgl. Kapitel45). Das Bemühen um
eine vollständige Auflösung des Gegners ging – Assurbanipals In-
schriften zufolge – so weit, daß Königsgräber freigelegt und die Ge­
beine nach Assyrien überführt wurden, so daß die «Totengeister
ruhelos irrten und aller Opferspenden beraubt waren».
Von Elams – vorübergehender – Ausschaltung als Machtfaktor
profitierten Meder und, wie neuerdings zu erfahren, auch Perser. Ein
Kuraš von Parsumaš – nicht sicher, ob Kyros I. von Persien – suchte
freundliche Beziehungen zu Assyrien und sandte Geschenke, die frei-
lich in den assyrischen Königsinschriften stets als «Tribut» bezeichnet
werden.
Wenn wir uns mit Kyros der klassisch-abendländischen Geschichte
annähern, so geschieht das noch mehr mit Gūgu von Luddu, hinter
welchem man unschwer Gyges, König von Lydien, entdeckt, dessen
Hauptstadt Sardeis war, das unfern Smyrna, dem heutigen Izmir, liegt.
Die Lyder gehörten – wie auch die Lykier – zu den Nachfolgenationen
der Hethiter und Luwier, wobei noch umstritten ist, ob man die lydi­
sche Sprache eher als Fortsetzerin des Hethitischen oder aber des Lu-
wischen ansehen soll. Der sagenumwobene Gyges mag am Rande des
Assurbanipal 227

riesigen Räderwerks der assyrischen Politik angesiedelt gewesen sein


– bedeutungslos war er mitnichten. Assurbanipal dichtet ihm einen
Traum an, in welchem der Gott Assur den Lyder auffordert, sich dem
Assyrerkönig zu unterwerfen. Tatsächlich kommt es auch zu Boten-
kontakten (zwischen 668 und 665 v. Chr.). Assyrischerseits hatte man
wohl nur vage Vorstellungen von der Lage Lydiens, da es als «ein Be­
zirk dort, wo man über das Meer setzt», beschrieben wird, womit – für
uns – die ionische Küste gemeint sein dürfte. Der Grund für Gyges’
Annäherungsversuch war die damals in Kleinasien allgegenwärtige
Furcht vor den Kimmeriern, die im Verlauf der zurückliegenden
60 Jahre (zu Sargon II. s. Kapitel 45) aus Südrußland und der Kaspi-
schen Senke ins transkaukasische Gebiet und westlich nach Anatolien
eingedrungen waren. Von den Kimmeriern waren auch die westlichen
Provinzen des Assyrerreiches, Tabal und Qu᾿e, bedroht. Assurbanipal
erwähnt einen Kimmererfürsten Tugdamme, den er mit dem histori­
schen – freilich in Kleinasien vollkommen deplazierten – Schimpfna-
men «Gutäer» belegt. Tugdammê entspricht sehr wahrscheinlich dem
Lygdamis griechischer Quellen.
Als Gyges – einigermaßen kurzsichtig – eine allgemeine Kimme­
riergefahr für sein Land gebannt sah, nahm er unter Aufkündigung
der assyrischen Beziehungen (und vielleicht auch wegen des nicht
überzeugenden Entgegenkommens von Assurbanipal) Kontakt mit
Ägypten auf und verbündete sich um 650 mit Psammetich I., dem Kö­
nig (664–610) der 26. Dynastie. Psammetich war Sohn des noch von
Asarhaddon eingesetzten Necho I.; in assyrischen Texten erscheint
Psammetich teils als Pišamilki, teils unter einem bewußt assyrisieren-
den Namen Nabû-šēzibanni. Er war 667 in Hathariba (= Athribis) im
˘ ˘
10. unterägyptischen Gau an der Deltaspitze installiert worden. Lydi-
sche Söldner hatten Anteil an der Beendigung des assyrischen Inter­
regnums in Ägypten, das im wesentlichen wohl nur – trotz anderslau­
tender hochtrabender assyrischer Äußerungen – Unterägypten
betroffen hatte. Ca. 650 fand Gyges den Tod, als der Kimmerier Tug-
dammê, der ein Stillhalteabkommen mit Assyrien abgeschlossen
hatte, Lydien überrannte.
Das assyrische Engagement am Nil, das gerade nur anderthalb
Jahrzehnte gewährt hat (671–656), steigerte den Zufluß von Tribut-
und Beutereichtum vorübergehend noch in ungeahnte Höhen: Edel-
metall, besonders hervorgehoben seien das Elektron (eine Gold-Sil­
228 VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen

ber-Legierung), Pferde, aber nicht zu vergessen der Import von Intel­


ligenz (z. B. in Gestalt von Ärzten); in diesem Zusammenhang zu
nennen sind auch Kuriosa wie diverse Affenarten. Assyrien versuchte
zwar, das eroberte, milde verwaltete Gebiet mit hörigen Beamten –
Assyrern wie auch Ägyptern – zu besetzen (Assurbanipal führt in
diesem Kontext eine Reihe von 20 Fürsten auf). Die Assyrisierung
wurde – wie längst andernorts erprobt, z. B. im Zagrosgebiet – durch
die Neubenennung von Städten intensiviert; aber es war ihr kein dau­
ernder Erfolg beschieden. Neben der unterägyptischen Hauptstadt
Memphis will Assurbanipal vorübergehend auch das oberägyptische
Theben (assyrisch Ni᾿u, beim heutigen Luxor) erreicht, eingenom-
men und geplündert haben.
Es mußte wohl als Hybris gelten zu glauben, Ägypten oder auch
nur der nördlichste Teil davon könnte längerfristig Teil des assyri­
schen Reichs werden, wenn auf der Wegstrecke dahin zum einen die
ewig unsicheren palästinensischen Gebiete zu durchqueren waren,
man zum andern von arabischer Karawanenhilfe abhängig war; und
wenn man schließlich verhindern wollte, daß Nachrichten durchsik-
kerten, wenn es am anderen Ende des Reiches – in Babylonien –
«brannte». Assyriens Rolle in Ägypten kann – allen hochtrabenden
Berichten zum Trotz – nur als Gastspiel betrachtet werden.
Seit 639 gibt es – nach heutigem Forschungsstand – keine sicher da­
tierbaren Quellen mehr für die Herrschaft Assurbanipals, die noch
gute zwölf Jahre andauerte. In Babylon war nach Assurbanipals Sieg
über seinen Bruder Šamaš-šumu-ukãn ein – in zeitgenössischen Ur­
kunden bisher nur spärlich bezeugter – Kandalānu an der Regierung
(647–627), dem nach einem kurzen, einjährigen – wieder assyrischen
– Interregnum der Chaldäer Nabopolassar folgte.
Assurbanipal ist der Nachwelt nicht hauptsächlich als Verwalter
und Verteidiger eines Riesenreiches im Bewußtsein geblieben, son­
dern als der Mäzen der neuassyrischen Reliefkunst, die er auf einen
bis dahin nicht gekannten Höhepunkt fördern ließ; sodann als der Be­
gründer einer «Bibliothek», die zweieinhalb Jahrtausende später wie-
der lesbar und weltberühmt gemacht wurde.
Die neuassyrische Flachbildkunst (aufrecht stehende Reliefs), aber
auch die Rundbildkunst (Statuen, Obelisken) ist neben den Schrift-
denkmälern eine hochgradig bedeutende und außerordentlich beleh­
rende Quelle. Sie bildet Tributbringer ab mit Rindern, Pferden, Kame­
Die «Bibliothek» Assurbanipals in Ninive 229

13 Sterbende Löwin. Reliefausschnitt aus Ninive.


Alabaster, Höhe 69 cm. Heute British Museum, London.

len, auch exotischen Tieren, Sackladungen; sie zeigt die Belagerung


und Eroberung ummauerter Städte (zum Teil mit angedeuteten Ber­
gen) unter Anwendung des Rammbocks, Pfeilbeschuß, Erklimmen
von Mauern durch assyrische Soldaten und Herabstürzen der Gegner
bis hin zu Plünderung und Schleifen der Befestigung – ja bis zum
Strafgericht (Schinden und Pfählen) und bis zum Abtransport der
Beute (z. B. der Sitzbilder fremder Götter). Gezeigt werden Züge von
Gefangenen oder Deportierten: bepackte Männer und Mütter mit
Kindern an der Hand; der Kampf zu Lande und zu Wasser, Transport
eines riesigen Stierkolosses (s. S. 217), «häusliche» Szenen im Feld-
lager. Aber auch die königliche Jagd kommt zu ihrem Recht: Von un-
vergleichlich packender Wirkung ist eine zu Tode getroffene und – an
den Hinterläufen gelähmte – niederstürzende Löwin.

48. Die «Bibliothek» Assurbanipals in Ninive

Diese «Bibliothek» ist noch immer – wie sehr sie auch in Darstellungen
des Alten Orients verherrlicht werden mag – ein für die Forschung
schwieriger Gegenstand, wenn wir versuchen, über einige Grundfra-
gen, die sich im Zusammenhang mit ihr stellen, Klarheit zu gewin-
nen: über ihre genaue Zusammensetzung, die Aufstellung (wie und
230 VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen

wo: auf Regalen geschichtet, in Körben oder Töpfen gesammelt, in


Kästen verwahrt?); war es überhaupt nur eine zentrale Sammlung,
oder waren es mehrere, verteilt auf verschiedene Örtlichkeiten?
Schwierig ist ferner die Abgrenzung gegen schon ältere, vor Assurba-
nipal vorhandene Bestände an literarischen Werken (z. B. eine Biblio-
thek Sanheribs im Südwestpalast von Ninive) – denn nur von solchen
soll hier die Rede sein, nicht von den zu allen Zeiten existierenden kö-
niglichen (und provinziellen) Kanzleiarchiven der Korrespondenz, des
Gerichtswesens und der Wirtschaftsverwaltung.
Unmittelbarer Anlaß für die Vermutung, man habe in Ninive eine
«Bibliothek» vor sich, waren die Funde, die die britischen Ausgräber –
sowie der von ihnen bevollmächtigte Mosuler Hormuzd Rassam – in
den fünfziger bis achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts antrafen und
«ausgruben»: Über 26000 Tontafeln und Fragmente, manchmal win-
zige Splitter, wurden fast ausnahmslos ins British Museum verbracht,
ohne daß man sie an Ort und Stelle registriert, geschweige denn die
individuelle Fundlage eines jeden Stücks «eingemessen» hätte. Eine
solche Forderung für das mittlere und endende 19. Jahrhundert zu
stellen, wäre allerdings auch schlichtweg anachronistisch! Die Funde
wurden erst in London registriert; Ankäufe aus irregulären Grabun­
gen kamen hinzu und trugen nicht zur Klärung der Fundlage bei. Ein
Katalog wurde begonnen, der noch heute nicht völlig abgeschlossen
ist. Es hat sich als Lieblingssport des Keilschriftforschers das «Joinen»
eingebürgert, das gelungene Zusammenpassen von zwei, drei oder
mehr disparaten Fragmenten zu einer vollständigen Tafel – oder doch
zu einem sehr viel größeren Fragment.
Der letzthin entscheidende Anstoß für die Annahme einer «Assur­
banipal-Bibliothek» war die Tatsache, daß eine sehr große Anzahl lite-
rarischer Tafeln einen «Kolophon» enthält mit dem Namen des Königs.
Ein Kolophon ist der Vermerk eines Dokumentenschreibers über die
Authentizität seines Schriftstücks, sei es nun von ihm selbst verfaßt
oder aber von einem älteren Exemplar abgeschrieben – die Pedanterie
der Kopisten ging dabei so weit, daß sie weggebrochene Stellen der
Vorlage grundsätzlich nicht ergänzten, sondern daß sie eine Notiz «re-
zenter Bruch» anbrachten. Die Kolophone von Ninive nennen mit gro­
ßer, hundertfach wiederkehrender Regelmäßigkeit den Namen Assur­
banipals (mit Titeln), meist in der Form «Palast Assurbanipals». Hier
also findet die posthume Ehre des Bibliotheksgründers ihre Wurzeln.
Die «Bibliothek» Assurbanipals in Ninive 231

Neben den Kolophonen gibt es weitere Anzeichen für ein wirklich


aktives Bemühen des Königs, das Wissen seiner Zeit zu sammeln und
bei sich im Palast zu vereinen. Assurbanipal ließ brieflich in Baby­
lonien (und zwar nach seinem Sieg über den Bruder Šamaš-šumu­
ukãn) nach Exemplaren bestimmter Texte und Textserien oder -gat­
tungen (z. B. Beschwörungen, lexikalischen Tafelserien) forschen; dies
geschah mit dem strikten Auftrag, die erwünschten Tafeln nach Nini-
ve bringen zu lassen – ein ins Geistige übertragenes Beutemachen.
Der aus einer wohl geistig hochstehenden Familie stammende As-
surbanipal war seinerseits gewiß kein «Analphabet». Er könnte in
manchen Keilschrift-Literaturgattungen sogar regelrecht beschlagen
gewesen sein. Unsere etwas zurückhaltende Formulierung entstammt
der Skepsis gegenüber dem Wahrheitsgehalt jeglicher offizieller alt­
orientalischer Äußerung. Denn wir wissen nicht, was sich real hinter
den immer wieder zitierten Worten verbarg, die uns nicht zuletzt von
Eitelkeit, Maßlosigkeit und Übertreibung zu künden scheinen: Assur­
banipal habe sich «die Weisheit des (Schreibergottes) Nabû, die ganze
Tafelschreiberkunst angeeignet, die Lehren aller Gelehrten erforscht»,
«er habe sich in der Eingeweideschau, im Multiplizieren, Dividieren,
im Sumerischen, Akkadischen, ja in den Inschriften ‹noch vor der
Flut› (was in die älteste noch zu erinnernde Vergangenheit zurück­
weisen sollte) ausgekannt». Der König konnte – das darf wohl ange-
nommen werden – viel mehr als nur lesen und schreiben; er mag als
Kronprinz eine für seine Zeit bedeutende «Allgemeinbildung» erlangt
haben; Sport und Handhabung von Waffen waren ihm gewiß ebenso
leicht zur Hand. Aber wieviel er von all dem tatsächlich parat hatte,
können wir nicht mehr erfahren.
Unsere Kenntnis der altorientalischen Literatur und Wissenschaft
wäre ohne die «Assurbanipal-Bibliothek» erheblich ärmer, und der
Versuch, eine Systematik der uns dort überlieferten Textgattungen
aufzustellen, käme dem Versuch einer Systematik der Keilschrift-Li­
teratur überhaupt nahe. Zwar ist in der neuassyrischen Zeit Literatur
auch andernorts vertreten, z. B. in Assur oder in Huzirãna nordwest-
˘
lich von Harrān (Sultan Tepe); doch erscheinen die von dort bekann-
˘
ten Bestände nur als ein schwacher Abglanz des in Ninive Erhaltenen.
Das Gilgameš-Epos in seiner klassischen, nach-altbabylonischen Ge-
stalt oder das – meist nicht ganz genau als «Epos» klassifizierte –
Lehrgedicht von der Weltschöpfung durch Marduk: hier nur zwei
232 VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen

Beispiele für Werke der Weltliteratur, die uns ohne Assurbanipal vor-
enthalten geblieben wären.
Die folgenden Ausführungen über verschiedene Literaturgattun-
gen sollen eher nur andeuten, und sie sind fern von einem auf Voll­
ständigkeit ausgehenden Überblick:
Die zahlreichen sumerisch-akkadischen Vokabularlisten im Verein
mit sogenannten Syllabaren (Listen von Wort- oder Silbenzeichen, in
denen die Lesung dadurch verdeutlicht wird, daß man die Zeichen in
variierende Schreibungen «aufbricht», z. B. ba = ba-a, bal – ba-al, igi =
i-gi) haben ganz wesentlich zur Entschlüsselung des vom semitischen
Sprachtypus grundverschiedenen Sumerisch beigetragen (vgl. auch
schon Kapitel 17). Eine fast unübersehbare Menge sonstiger «lexikali-
scher» Texte: Götternamen, Ortsnamen, Listen von Holz-, Metall-,
Ton-, Rohrgegenständen, von Steinen, Pflanzen, Textilien, Ledersa-
chen, aber auch von Berufen, Rängen und Funktionen und anderem
mehr, breitet – in fast schon enzyklopädisch zu nennender Weise – das
zeitgenössische Wissen aus. Die Listen sind in Kolumnen angeordnet:
sumerisch (gelegentlich mit Ausspracheglosse), akkadisch; jeder dieser
«Einträge» umfaßt eine Zeile. Die «Einträge» folgen uns nicht immer
leicht erkennbaren Assoziationsprinzipien; sie sind mal nach Sachgrup-
pen (also in einer Vorstufe der Kategorisierung), bald akrophonisch
(d. h. nach dem Klang am Wortanfang, also eine entfernte Vorstufe un-
serer Alphabetisierung), bald auch nach Zeichenformen (also rein äu-
ßerlich-optisch) organisiert.
Diese Listen, die wir in Assurbanipals «Bibliothek» auf einem voll-
endeten Höhepunkt antreffen, reichen im Prinzip weit in die Vergan-
genheit zurück, und sie waren auch in ihrer Zweisprachigkeit (sume-
risch-akkadisch) bereits in der altbabylonischen Zeit «angelegt».
Einsprachige (nur sumerische) «Vorläufer» reichen sogar hinauf bis
vor die Mitte des III. Jahrtausends v. Chr. (zu Ebla vgl. Kapitel 13).
Mindestens so häufig wie die Gattung der «Listenliteratur» ist die
Vorzeichenkunde (Omina) vertreten; auch sie hat ihren Ursprung
schon in der altbabylonischen Zeit. Neben der altüberkommenen Ein­
geweide-, in der Hauptsache der Leberschau, sind mehrere weitere
Arten überliefert: Ölomina (wie verhält sich ein Tropfen Öl, den man
in eine wassergefüllte Tasse schüttet?), Voraussagen aus Träumen,
Beobachtung des Vogelflugs sowie aller möglicher Erscheinungen der
Umwelt – so etwa das Verhalten von Tieren oder Pflanzen; Prophezei­
Die «Bibliothek» Assurbanipals in Ninive 233

ungen auf Grund von jemandes Gesichtszügen und anderen Körperei­


genschaften. Eine große Bedeutung kam schließlich der Astrologie zu,
die wir nicht immer scharf gegen die Astronomie (s. weiter unten) ab­
grenzen können.
In die Nähe der Omina gehören medizinische Texte, in denen in der
Hauptsache Krankheitssymptome beschrieben, Heilungschancen be-
stimmt und Anweisungen für medikamentöse wie auch magische Be­
handlung (Beschwörungen) gegeben werden. Nicht ohne Bedeutung
für die Vorhersage des Krankheitsverlaufs waren aber auch besondere
Beobachtungen, die der Arzt auf dem Wege zu seinem Patienten
machte.
Die Sternen- und Planetenläufe wurden verfolgt, Auf- und Unter­
gangsdaten, erste und letzte Sichtbarkeit eines Gestirns notiert. In der
Mathematik spielten sowohl praktische Aufgabentexte eine Rolle als
auch Multiplikations- und Reziprokentabellen (im Sexagesimalsy­
stem sind z. B. 3 und 20 Reziproken, weil 20 ein Drittel der Grundzahl
Sechzig ist).
Auf die Überlieferung von Mythen, Epen, Lehrgedichten, Streitge-
sprächen, Gebeten, Beschwörungen, Festritualen, aber auch literarischen
Parodien können wir nur stichwortartig eingehen. Besondere Erwäh-
nung verdient die «Interlinearbilingue». Hier wird ein aus älterer Zeit
überlieferter sumerischer Text von einer akkadischen Übersetzung be­
gleitet, die zeilenweise eingerückt ist. Der Autor des akkadischen Textes
hat, wie es öfter scheint, das sumerische Original nicht mehr in allen
Fällen klar verstanden oder es auch eigenwillig interpretiert, woraus sich
interessante überlieferungsgeschichtliche Fragen ergeben (s. a. S. 134).
Das Akkadische in den Texten der «Bibliothek» Assurbanipals ist im
wesentlichen reines Babylonisch und nicht das in Ninive heimische As­
syrisch. Dieser Befund hat seine Parallele in den assyrischen Königs­
inschriften, wo allerdings den Schreibern immer wieder «Ausrutscher»
in ihre angestammte Sprache unterliefen (sogenannte Assyriasmen).
Das literarische Babylonisch ist eine standardisierte Sprache, deren
Grundlage zwar noch das klassisch-literarische Altbabylonisch ist, die
aber viele Neuerungen des Mittelbabylonischen mitvollzogen hat. Von
der neubabylonischen Korrespondenz- und Umgangssprache weicht
das sogenannte Standardbabylonisch erheblich ab.
Grundlage dieses extrem kurzen Überblicks sind nur Tontafeln,
weil nur sie als Schriftträger die Jahrtausende überdauert haben. Weit
234 VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen

verbreitet war daneben aber auch das Schreiben auf wachsbeschichte­


ten Holztafeln; denn das weiche Wachs war ein genauso dankbarer
Träger für die Keilschrift wie der weiche Ton. Ein Kolophon aus der
Assurbanipal-«Bibliothek» besagt ausdrücklich, der Text sei «nach
dem Wortlaut einer Wachstafel» geschrieben worden. Von solchen
Wachstafeln haben leider nur verschwindend kleine Reste überlebt.
Neben Ton und Wachs waren auch noch Pergament und Papyrus in
Gebrauch, jedoch nur für aramäische Schrift. Auch davon blieb nichts
erhalten, da sie als organische Materialien ebenso wie das Wachs sehr
viel mehr unter den Umwelteinflüssen während der Jahrtausende ge-
litten haben. Daher können wir auch nicht sagen, in welchem Men-
genverhältnis zueinander die verschiedenen Schriftträger eingesetzt
wurden.

49. Der Sturz Assyriens

Um 639 v. Chr. verebben mit einem Mal unsere Nachrichten über das
große Neuassyrische Reich; so wenigstens mutet es im Vergleich zu
der davor brandenden Informationsflut an. In Babylon hat von 647 bis
627 – nach der Niederwerfung der Rebellion Šamaš-šumu-ukãns –
ein König Kandalānu geherrscht. Urkunden aus Babylon und Uruk
sind schon seit 647 nach ihm datiert, während hingegen Nippur in sei-
nen Urkunden bis 631 noch immer Assurbanipal als datumsbestim-
menden Herrscher führt. Es ist also wohl abermals nicht zu einer ein­
deutigen Machtverteilung gekommen. Von Kandalānu und über die
politische Geschichte Babyloniens unter seiner Herrschaft wissen wir
bisher fast nichts – von seiner Präsenz in den Urkundendaten abgese­
hen. Weder sind von ihm bisher Bau- oder Weihinschriften («Königs-
inschriften») bekannt geworden, noch erwähnt Assurbanipal selbst in
seinen Inschriften eine Einsetzung Kandalānus. Man hat gelegentlich
aus diesem auffälligen Befund geschlossen, Kandalānu sei nur der ba­
bylonische Thronname von Assurbanipal selbst gewesen. Das ist aber
unwahrscheinlich, weil man mit dieser Hypothese zumindest nicht
plausibel erklären könnte, weshalb Urkunden in Babylonien teils nach
dem einen, teils nach dem anderen Namen datiert worden sein sollen.
Der Historiker wird – wie so oft – sich noch gedulden und auf weitere
Funde warten müssen.
Der Sturz Assyriens 235

Zur Unsicherheit, wie die allgemeine damalige politische Situation


in Babylonien zu beurteilen sei, trägt ferner bei, daß weder das Todes­
jahr Assurbanipals (630 oder erst 627 v.Chr.?) noch die Regierungs-
zeiten seiner Nachfolger genau festgelegt werden können: Aššur-etel-
ilāni (630–627 oder 627–?), Sin-šumu-lãšir (nur einige Monate 627?)
und Sin-šarru-iškun (627(?)–612 v. Chr.). Wie dem aber auch sei –
nach Assurbanipals und Kandalānus Tod brachen in Babylonien er-
neut Unruhen aus. Die assyrische Armee versuchte einzugreifen,
mußte sich aber zurückziehen.
625 kam Nabopolassar an die Macht, der Vater Nebukadnezars II.
und der Begründer des letzten einheimisch-mesopotamischen Reiches
im alten Vorderen Orient. Nippur und Uruk, traditionell auf Unab­
hängigkeit bedacht, waren noch bis 617 v. Chr. zwischen Babylonien
und Assyrien umkämpft; aber von 616 an drängte Babylonien die As-
syrer in die Grenzen ihres Kernlandes zurück.
612 nahm Nabopolassar im Verein mit dem Meder Kyaxares Nini­
ve nach dreimonatiger Belagerung ein. Über das Schicksal Sin-šarru-
iškuns ist nichts bekannt; die griechisch überlieferte Sage will wissen,
«Sarakos» (der kein anderer als eben Sin-šarru-iškun gewesen sein
kann) habe sich nach dem Abfall seines Heerführers «Bupalassaros»
(Nabopolassar) in seinem Palast verbrannt. Ein letzter neuassyrischer
König, Aššur-uballiṭ II., ließ sich in Harrān krönen und hielt sich dort
˘
bis 609.
Die letztlich entscheidende Ursache – falls es nicht überhaupt eine
Vielzahl von Ursachen gab, die zum Niedergang und Sturz des Assy­
rerreiches führten – konnten jedenfalls nicht allein die plötzlichen mi-
litärischen Erfolge der Babylonier sein. Assyrien hatte sich vielmehr
jahrhundertelang ausgedehnt, einen riesigen militärgestützten Pro­
vinzapparat aufgebaut und war damit für seinen extrem aufwendigen
Staatshaushalt in immer höherem Maße auf Tributeingänge angewie­
sen. Jeglicher Rückschlag, jedes Schrumpfen mußte unter diesen Be-
dingungen eine Gefahr in sich bergen. (Wir sehen heute aus nicht un­
ähnlichen Gründen riesige Finanzimperien urplötzlich vor dem Ruin
stehen.) Assyrien hatte das unendlich reiche Ägypten nicht halten
können, was nicht zuletzt den ständig notwendigen Nachschub an
«kuschitischen» Pferden für das Heer zum Erliegen brachte. In einer
seit langem auf dem Silberstandard basierenden Wirtschaft war zu-
dem die sichere Verfügungsmacht über die Silberminen im Osten
236 VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen

Kleinasiens unabdingbar. Die Levante war nie zur Ruhe gekommen,


noch waren es die zahlreichen Gebirgsprovinzen.
Die über Generationen praktizierten Bevölkerungsdeportationen
konnten unmöglich einen Schmelztiegeleffekt haben und womöglich
ein gemein-assyrisches «Nationalgefühl» erzeugen. Das gleiche gilt
auch für die im Heer zusammengewürfelten Ethnien. Dort waren
zwar die Berittenen im wesentlichen nur Assyrer; aber die assyri-
schen Könige haben immer wieder betont, daß sie Kriegsgefangene
(woher auch immer) ihrem eigenen Heer eingegliedert hätten. Als
weiterer destabilisierender Faktor können die mächtige Ämter inne­
habenden assyrischen Familien (um den Ausdruck «Adel» zu vermei­
den) gewirkt haben, die eher ihre eigenen Interessen verfolgten statt
die des Reiches. Schließlich wissen wir nichts über die Fähigkeiten der
letzten vier neuassyrischen Könige, die sich bis 609 nur noch zwei
Jahrzehnte geteilt haben.
Letzten Endes darf aber doch auch das Verhältnis zwischen Assy­
rien und Babylonien nicht vernachlässigt werden, wenn wir die Grün­
de für den Niedergang des Reiches erwägen. Kein Assyrerkönig hat je
in Babylonien mit glücklicher Hand gewirkt und die seitens der Assy­
rer in der Sprache, im Geiste und in der Religion neidlos anerkannte
Verwandtschaft auch auf das Politische übertragen wollen – aber wir
riskieren mit solchen Gedanken wieder einmal eine anachronistische
Betrachtungsweise. Denn für die Assyrer waren die Euphratstraße
und der Zugang zum Persischen Golf kaum entbehrlich, weil sie As-
syrien unschätzbare Handelsvorteile sicherten.
Die Schändung Babylons durch Sanherib muß noch folgenden Ge­
nerationen als traumatisches Ereignis im Gedächtnis geblieben sein.
Und hat nicht auch Assurbanipals hochtrabende Art, im nördlichen
Ninive eine Metropole sumerischer und akkadischer Gelehrsamkeit
zu schaffen, in Babylonien böses Blut erzeugt? Man ließ sich nicht
gern – ungefragt – geistige Schätze entführen.
Assurbanipals Ninive ist jedenfalls verfallen und vergangen. Als
Xenophon zweihundert Jahre später (400 v. Chr.) mit seinen Zehntau­
send an den Überresten dieser Stadt vorbeizog und er Einheimische
nach dem Namen fragte, wurde ihm nur bedeutet, «das seien Rui­
nen», aramäisch mašpelā, was unser griechischer Autor als einen
Ortsnamen, Mespila, mißverstanden hat.
Nabopolassar, Nebukadnezar II. und Nabonid 237

IX.

Die Weltmacht Babylon.

Ihr Fall und der Aufstieg der Achämeniden

in Mesopotamien

50. Nabopolassar, Nebukadnezar II. und Nabonid

Die Dynastie, die Nabopolassar (s. Kapitel 49) begründet hat, ist oft als
«die chaldäische» bezeichnet worden, und zwar wegen ihrer entspre­
chenden Benennung im Alten Testament und durch griechische Au-
toren; dort werden Chaldaia und Babylonia vollkommen synonym
gebraucht. Die vermeintlichen «Chaldäer»-Könige bezeichnen sich
selbst in ihren Inschriften aber nie als Abkömmlinge der nicht-akka-
dischen, chaldäischen Bevölkerung oder insbesondere eines ihrer be­
rühmten Stämme und Fürstenhäuser (wie z. B. Bãt-Ammukāni, Bãt-
Dakkūri, Bãt Jakãn). Letztlich kann die Frage aber nicht entschieden
werden, weil über die Herkunft von Nabû-apla-uṣ ur (625–605) nichts
bekannt ist; er galt als «Sohn eines Niemand».
Nabopolassar kann zwar nach der Einnahme und Zerstörung von
Ninive 612 v. Chr. unmöglich über den assyrischen Kernbereich verfügt
haben, in dem ein militärisch-politisches Vakuum geherrscht haben
dürfte. Aber wie sich die assyrische Verwaltungsstruktur aufgelöst hat
und wieweit die dörflich-landwirtschaftlichen Domänen noch weiter
im Jahrzehntenlauf produziert haben, ist wenig bekannt. Nabopolassars
Aktivitäten richteten sich – offenbar ungehindert – gegen das durch
Harrān verkörperte Rest-Assyrien unter Assur-uballiṭ II. (611–609).
˘
Dieser letzte assyrische König hatte, wie auch schon manche seiner
Vorgänger, Verbindungen zu Ägypten aufgenommen, das verständ-
licherweise den Niedergang und Zusammenbruch Assurs als Einladung
zu erneutem eigenen Engagement in Asien willkommen geheißen hat
– unter Psammetich (664–610) und Necho II. (610–595). Die ägypti­
sche Präsenz führte zu strategischen Wechselfällen beim Versuch Na-
bopolassars, euphrataufwärts bis Kimuhu vorzudringen. Inzwischen
˘
238 IX. Die Weltmacht Babylon und der Aufstieg der Achämeniden

war schon Nabopolassars Sohn Nebukadnezar (II.) – Kronprinz seit 620


– im Felde aktiv. Er schlug die Ägypter 605 bei Karkemiš am Oberen
Euphrat (knapp 100 km westlich von Harrān) und verfolgte sie bis Ha-
˘
math. Nebukadnezar unterbrach den Feldzug, als die Nachricht vom
Tod seines Vaters ihn nach Babylon zurückrief, wo er als Nachfolger
gekrönt wurde.
Nabû-kudurri-uṣ ur II. (604–562, Nebukadnezar in der Bibel; das
englische Nebukadrezzar ist der babylonischen Namensform noch et-
was näher) hat etwa so lange regiert wie Assurbanipal in Assyrien.
Aber im Vergleich mit der Menge und gattungsmäßigen Vielfalt der
Quellen, die uns für viele neuassyrische Herrscher zur Verfügung
stehen, ist der Ertrag an historischen Primärquellen bei Nebukadne-
zar II. eher einseitig zu nennen. In den «Königsinschriften» überwie­
gen die Berichte über die immense Bautätigkeit des Königs: Zikkurra­
te, Tempel, Paläste, Befestigungsmauern, errichtet unter anderem in
Babylon, Borsippa, Sippar, Uruk, Larsa und Ur – mit oft sehr ins Detail
gehenden Angaben über die Bau- und Schmuckmaterialien und deren
Herkunft (von Magan bis zum Libanon). Die neu eingesetzten regel-
mäßigen Götteropfer werden geradezu «küchenzettelartig» liebevoll
beschrieben. Auch die Erweiterung der Stadt Babylon wird rühmlich
hervorgehoben. Es läßt sich kaum ein größerer Kontrast denken als
der zwischen dem überschießenden martialischen Ingrimm neuassy-
rischer Kampagnenberichte und dem – bei allem offen gezeigten Stolz
– letztlich friedfertig-frommen Geist, den Nebukadnezars Inschrif-
tencorpus atmet. Fast wie ein Fremdkörper mutet ein Satz an, der lau­
tet: «In erhabenem Vertrauen auf sie (= Marduk und Nabû) habe ich
ferne Länder, entlegene Gebirge vom Oberen Meer (= Mittelmeer) bis
zum Unteren Meer (= Persischer Golf), schwierige Wege, verschlosse­
ne Pfade, wo der Schritt beschwert, der Tritt verwehrt ist, mühselige
Straßen, durstreiche Strecken die Kreuz und die Quer durchzogen,
habe die Unbotmäßigen getötet, die Feinde gefangen, habe das Land
recht geleitet, das Volk üppig gedeihen lassen ...» Dieser Satz würde
uns erstaunt aufhorchen lassen, wäre es nicht gar zu sehr «Literatur»,
was wir da lesen.
Babylon hatte von Ninive ein Riesenreich geerbt – freilich mit allen
logistischen Problemen. Verglichen mit Assur, Kalhu oder Ninive lag
˘
die Hauptstadt Babylon innerhalb dieses Machtgebildes fast an der
Peripherie; aber sie lag an der Euphratstraße, die gegenüber dem Ti­
Nabopolassar, Nebukadnezar II. und Nabonid 239

gris viel leichter schiffbar war. Die Levante allerdings war von Baby-
lon aus ebenso schwer im Griff zu halten, wie es vordem vom assyri-
schen Kernland aus möglich gewesen war. Hatti, d. h. Nordsyrien, und
˘
das östliche Anatolien lagen fernab vom neuen Machtzentrum. Un­
klar ist für uns, wo die Grenze zur neuen medischen Einflußsphäre
gezogen war.
Daß es unter babylonischer Herrschaft ebenso wie bei den Assy-
rern fast jährlich einen Feldzug gegeben hat, erfahren wir nur aus der
späteren Historiographie, den «Chroniken», aber nicht von Nebukad-
nezar II. selbst. Nur zu indirekten Aufschlüssen über die politische
Situation führt ein leider nur als Torso erhaltenes sechsseitiges Ton­
prisma aus Babylon (aus dem Jahr 598 v. Chr.?). Auf ihm erscheinen
neben hohen Beamten Babyloniens unter anderem auch der Provinz-
statthalter von Mazamua (nordöstlich von Arrapha) und die Könige
von Tyros, Gaza, Sidon, Arwad und Ašdod. Alle diese Städte liegen am
Mittelmeer; daß sie hier nicht etwa in nord-südlicher oder süd-nörd­
licher Reihung aufgezählt sind, läßt Zweifel an der geographischen
Vorstellung des babylonischen Schreibers aufkommen. Der Zweck
dieses wichtigen, aber vielleicht voreilig als «Hofkalender» bezeichne-
ten Fragments ist unklar. Möglicherweise mußten die genannten
Notablen bei einem Bauvorhaben als «aktiv» Mitarbeitende, Ziegel­
tragende, Mauerstreichende präsent – oder doch immerhin würdig
vertreten – sein. Wie dem auch sei, Nebukadnezar II. macht uns glau-
ben, daß ihm die Mittelmeeranrainer im ersten Jahrzehnt seiner Re-
gierung Untertan waren.
Man mag daran zweifeln, wenn doch das im Landesinneren gelege­
ne Jerusalem damals Ziel der Belagerung, Einnahme, schwerer Plün­
derung war und wenn die Elite der Bevölkerung 597 und wieder
586 v. Chr. deportiert wurde (2. Kön. 24:10 bis 25:21) – in die längst
vor der Entzifferung der Keilschrift bekannte «babylonische Gefan-
genschaft». Babylon hat also die bis zum Exzeß erprobte assyrische
Politik der Bevölkerungsverpflanzung wieder aufgegriffen. Unsere
Quellengrundlage ist allerdings keineswegs in beiden Fällen keil-
schriftlich; für die zweite Eroberung Jerusalems können wir uns nur
auf die biblischen Berichte stützen. Daß aber zumindest eine große
Deportation historisch ist, zeigt das in den folgenden Jahrzehnten
häufige Vorkommen hebräischer Personennamen in Urkunden aus
Babylonien. Die Namensträger erscheinen als «gut situiert» und nicht
240 IX. Die Weltmacht Babylon und der Aufstieg der Achämeniden

als Angehörige einer ausgebeuteten Klasse. Der biblische Reflex der


Massenverschleppung ist der einzige seiner Art. Die ungezählten vor-
hergehenden Fälle kennen wir nur aus den nüchternen Zahlenanga­
ben der assyrischen Königsinschriften und von den Reliefdarstellun­
gen. Alle innewohnenden Tragödien, alles verzweifelte Heimweh ist
dem Weltgedächtnis auf immer verloren.
Im ganzen ist wenig bekannt, in welcher Weise und in welchem
Ausmaß Babylon in den eroberten Gebieten die Verwaltungsstruktu-
ren Assyriens übernommen – oder auch geändert, erneuert – hat.
Falls – wie es den Quellen nach den Anschein hat – viele große Städte
des assyrischen Kernlandes aus den Ruinen nicht wiedererstanden
sind wie z. B. Ninive, erübrigt sich die Frage. Es ist aber auch sehr we-
nig über die Verwaltung in Babylonien selbst bekannt, was um so be­
dauerlicher ist, als die Verwaltung ja stets das Rückgrat jeglicher
Macht war. Jenes unschätzbare Quellenensemble, das uns über die po-
litische und militärische Geschichte des assyrischen Reiches bis in vie-
le Einzelheiten informiert – Briefe, Orakelanfragen, Abrechnungen
der zentralen Verwaltung, aufschlußreiche Königsinschriften –, fehlt
bei Nebukadnezar II. bisher fast völlig. Dagegen sind wichtige Zeug­
nisse für die Sozial-, Wirtschafts- und Rechtsgeschichte des 6. Jahr-
hunderts v. Chr. in Babylonien die Urkunden des überwiegend priva-
ten Sektors mit ihrer altererbten breitgefächerten Palette von
Einzeltypen: Darlehen, Kaufverträge, Miete, Pacht, Familienverhält-
nisse (Erbschaft) und anderes mehr. Verträge, auf Grund derer ein
einzelner oder eine Gemeinschaft von einem Tempel Land pachtete
oder sogar ausgedehnte Ländereien zum Zweck der Weiter- oder
Unterverpachtung («Generalpacht») übernahm, spiegeln einen wich­
tigen Aspekt der Landbewirtschaftung (Anbau von Getreide, Kultivie­
rung von Dattelpalmen) wider.
Daß Tribut einging, wie es als selbstverständlich anzunehmen ist,
erfährt man eher beiläufig anläßlich der Aufzählung von Arbeitern
(oder Arbeit Vermittelnder), die Nebukadnezar für seine Bauprojekte
aufbot. Babylonien selbst war im übrigen, sobald nur friedliche Zu-
stände den Ackerbau, die Dattelpalmenwirtschaft, die Viehzucht, die
Textil- und Lederindustrie oder die Schilfrohrverarbeitung unbehin­
dert ausüben ließen, seit Jahrtausenden immens reich, ein höchst akti­
ver Exporteur und Außenhandelspartner. Wir wissen zwar nicht, wie
Nebukadnezar II. seine fast ins Unermeßliche gehenden Bauvorhaben
Nabopolassar, Nebukadnezar II. und Nabonid 241

finanzierte; aber Babylonien hatte sich unter seiner Regierung wohl


noch nicht in einem solchen Maße finanziell engagiert und von Tribu-
ten abhängig gemacht wie das assyrische Reich am Ende seines Beste-
hens (vgl. Kapitel 49).
Wenn dem Neubabylonischen Reich Gefahren drohten, so kamen
sie weniger aus dem Westen (Kleinasien) oder aus Ägypten, das zwar
seit gut einem Jahrtausend auf die Beherrschung Palästinas und
Nordsyriens erpicht gewesen war, das aber vernünftigerweise nie An­
sprüche auf Assyrien oder Babylonien selbst angemeldet hatte. Und
auch das Babylonien benachbarte Elam war seit der Zerstörung Susas
durch Assurbanipal 630 v. Chr. noch nicht wieder als ernst zu neh-
mender Gegner entstanden. Die Bedrohung kam vielmehr von den
ehemaligen Bundesgenossen aus Iran.
In den zurückliegenden beiden Jahrhunderten waren acht neuassy­
rische Könige (von Salmanassar III., 858–824, bis zu Assurbanipal,
668–630/627) mit Medern in Berührung gekommen, und zwar in
überwiegend kriegerischem Zusammenhang. Dabei läßt sich der ge-
naue geographische Rahmen der militärischen Ereignisse fast nie be-
stimmen, da die Kenntnisse der assyrischen Schreiber um so ver­
schwommener gewesen sein dürften, je weiter sich das Geschehen im
Osten des iranischen Bereiches vollzog, der – verglichen mit Mesopo­
tamien – weitaus größer war. Bis heute ist beispielsweise unklar, als
welchen Berg wir den Bikni identifizieren sollen (vgl. S. 220).
Vormals waren auch die Meder in den Sog assyrischer Deporta­
tionsstrategie geraten, infolge derer – angeblich – Fremde aus Hatti
˘
und aus dem judäischen Samaria nach Medien verschleppt worden
waren, ohne daß wir Näheres über das Ziel der Deportation wissen.
Doch vermochten sich medische Streitkräfte gegen Assyrien zu be-
haupten, indem sie auf ein von Assyrien nur schwer einschätzbares
Reservepotential an Kriegern zurückgriffen. Sie erstarkten in der Zeit
Assurbanipals, bis schließlich medische Truppen einen entscheiden­
den Anteil am Sturz Assyriens für sich verbuchen konnten.
Die neuassyrischen, aber auch neubabylonischen Quellen verwen­
den, wenn sie von Medern sprechen, öfter den altererbten Ausdruck
ummān-manda «Truppe der ‹wen-kennt-man?›», eine Bezeichnung
für Leute von «irgendwo da». Es ist dies eines der vielen Beispiele für
die bei den Schreibern höchst beliebten Schreib- und Wortspiele – in
unserem Fall eine Lautassoziation von manda und Madāja «Meder».
242 IX. Die Weltmacht Babylon und der Aufstieg der Achämeniden

Die indogermanischen (genauer: indoarischen) Meder machten nur


einen Teil der Völkerkarte des weiteren Irans aus, einer Karte, die wir
bis um die Mitte des I. Jahrtausends v. Chr. nur unzulänglich ausfüllen
können, wenn wir einmal von Elam absehen. Im Nordwesten wohnten
in einem nicht genauer abzuzirkelnden Gebiet die Mannäer. Mangels
auswertbarer Zeugnisse lassen sie sich von ihrer Sprache her noch nicht
identifizieren. Waren sie mit den Urarṭ äern verwandt, mit denen sie
enge Kontakte hatten (vgl. S. 220)? Zu Assyrien standen die Mannäer
in einem feindlichen und oft tributär abhängigen Verhältnis. Quellen
des Neubabylonischen Reiches erwähnen sie nicht mehr.
Den Medern nahe verwandt waren die Perser, deren Name mit dem
der heutigen Landschaft Fārs am Nordostufer des Persischen Golfs
verbunden ist. Ein Kuraš hat eine Gesandtschaft zu Assurbanipal de­
legiert, als dieser Elam niedergeworfen hatte. Ob dies Kyros I. war, der
Sohn des Teispes (Čaišpiš) und Enkel des Dynastiengründers Achai­
menes (Hahāmaniš), ist noch unbewiesen. Während uns das Altpersi-
˘
sche durch die Inschriften der späteren Achämenidenkönige vorzüg-
lich bekannt geworden ist, stehen uns als Zeugnisse für die Sprache
der Meder nur wenige Personennamen zur Verfügung.
Nebukadnezar II. hat auf der West-Ost-Strecke von Sippar am
Euphrat bis nach Opis am Tigris, d. h. quer durch den «Flaschenhals»,
einen riesigen Wall errichten lassen. Xenophon spricht von einer «Me­
dermauer». Doch ist der Zweck der Anlage nicht gesichert. Falls sie,
was immerhin sehr wahrscheinlich ist, defensiven Zwecken diente, so
ist doch nicht klar, ob man bei ihrer Errichtung bereits einen be­
stimmten Gegner im Auge hatte oder nur allgemein die eigene Ver-
teidigungsmacht demonstrieren wollte. Die Meder sind im übrigen
bei inneriranischen Machtkämpfen den Persern gewichen, und nur
die letzteren erlangten allergrößte Bedeutung für die Zukunft ganz
Mesopotamiens.
Nach Herodot (I 74:3; 77:2; 188:1) hätten zwei babylonische Könige
mit dem Namen Labynetos geherrscht. Hinter dem zweiten läßt sich
unschwer Nabû-na᾿id (Nabonid, s. unten) vermuten – fast nur der an­
lautende Konsonant des Namens ist geändert. Mit dem ersten dage-
gen scheint Nebukadnezar II. gemeint zu sein; denn sowohl die ihm
zugeschriebene Rolle als Vermittler im Streit zwischen dem Lyder Aly­
attes und dem Meder Kyaxares als auch die Sonnenfinsternis vom
28. V. 585 v. Chr. (die Thales von Milet vorausberechnet hatte) lassen
Nabopolassar, Nebukadnezar II. und Nabonid 243

sich chronologisch sehr gut mit der Regierungszeit Nebukadnezars


vereinbaren. Wenn der Nachricht bei Herodot überhaupt ein histori­
scher Kern zugrunde liegt, dann hätte Nebukadnezar II. sich bemüht,
in das politische Geschehen Kleinasiens einzugreifen – in diesem Zu­
sammenhang mag man sich, wenn auch unter anderen Vorzeichen, an
die Gyges-Episode bei Assurbanipal erinnern (s. Kapitel 47).
Mehr als 30 Jahre der Regierungszeit Nebukadnezars (594–562)
sind bisher weder durch historische Primärquellen noch auch durch
die Historiographie (Chroniken) erhellt. Wenn alarmierende Nach-
richten fehlen, könnte man zwar an eine pax babyloniaca denken;
aber das könnte auch ein gewaltiger Trugschluß sein.
Lassen wir drei Nachfolger Nebukadnezars II. (561–556) unbeach-
tet, so treffen wir auf den letzten eigenständig-mesopotamischen
Herrscher: Nabû-na᾿id (Nabonid, 555–539). Vielleicht könnte man
meinen, die «Geschichte» habe das babylonische Königtum mit der
Gestalt eines religiös-eigenwilligen, schwer durchschaubaren, bizar-
ren und dazu gelehrten Monarchen verabschieden wollen. Tatsächlich
ist Babylonien eben an diesem König gescheitert. Dabei ist es – fast
ein Wunder – zu einem Übergang von den «Chaldäern» zu den Achä-
meniden gekommen, der sich weitgehend ohne erbitterten Kampf, he­
roische Belagerung, ohne die Schrecken verwüstender Eroberung,
ohne Raub, Mord, Plünderung und Kultbilddeportation vollzog.
Vieles an Nabonid ist in der Tat ungewöhnlich und für uns auch
noch immer ungeklärt. Er muß bei Herrschaftsantritt, wohl nach einem
Staatsstreich gegen seinen Vorgänger Lā-abāš-Marduk, 555 v. Chr. schon
betagt gewesen sein, wenn wir zugrunde legen, daß seine aramäische
Mutter Adda-guppi᾿ nach eigener Aussage im Jahr 20 Assurbanipals
geboren war, also 649/648, und daß Nabonid König wurde, als seine
Mutter bereits 95 Jahre alt war. Er wäre 555 v. Chr. weit über 50 und viel
eher schon um die 60 Jahre alt gewesen – ein ganz ungewöhnlich später
Regierungsantritt. Adda-guppi᾿s autobiographische Inschrift auf einer
Stele aus Harrān liest sich mit ihren vielen Zeitbezügen (Erwähnungen
˘
von Königen und deren Regierungsjahren) wie ein Lehrbuch der Chro­
nologie. Nach Semiramis (s. Kapitel 44) und Naqia (s. Kapitel 46) war
Adda-guppi᾿ eine weitere bedeutende – und vermutlich auch in hohem
Maße einflußreiche – Frau in den Herrscherfamilien des 9. bis 6. Jahr­
hunderts v. Chr. Adda-guppi᾿ starb im Alter von 102 Jahren, nachdem
sie ihre Ururenkel hatte heranwachsen sehen.
244 IX. Die Weltmacht Babylon und der Aufstieg der Achämeniden

Nabonids Vater Nabû-balāṭ su-iqbi war «Fürst» und «Statthalter»;


doch wissen wir nicht, wo, und es ist von ihm auch sonst nichts Nähe-
res bekannt. Nabonids stark ausgeprägte Verbindung mit der Stadt
Harrān und deren Mondgott mag mit der Herkunft seiner Mutter zu­
˘
sammenhängen, die aus Harrān stammte.
˘
Nabonids Inschriften sind ganz wie die von Nebukadnezar II. so
gut wie ausschließlich der Beschreibung einer intensiven Bautätig­
keit gewidmet; doch ist darin die in aller Frömmigkeit formulierte
Annäherung an die Gottheiten der jeweiligen Heiligtümer noch
stärker ausgeprägt. Vor allem wird der durch die Opferschau erkun­
dete göttliche Bauauftrag ausdrücklich betont, und Nabonid läßt un-
mißverständlich durchblicken, daß er selbst Experte in der ungeheu­
er vielfältigen und komplizierten Opferschauliteratur war. Noch
mehr aber fällt eine fast «archäologisch» zu nennende, ausgeprägte
Neigung auf, bei der Erneuerung eines Heiligtums die ursprüng­
lichen Gründungsurkunden (in ihrer gemauerten «Gründungskap­
sel») aufzufinden – gegebenenfalls durch gezielte Suche –, damit die
restaurierte Stätte allen Segen des ursprünglichen Bauherrn und
seiner Gottheiten finden möge. Auf diese Weise ist zu erfahren, daß
Nabonid Gründungsdokumente aus der altakkadischen Zeit (Na­
rām-Suen), der Ur III-Zeit (Ur-Namma und Šulgi) oder von dem
Kassitenherrscher Burna-Buriaš zutage förderte und, wie er als
selbstverständlich voraussetzt, lesen konnte.
Wenn sich Nabonid zunächst zwar, wie zu erwarten, um die Kulte
verschiedener Städte Babyloniens sorgte, einschließlich der Hauptstadt,
so ist doch unübersehbar ausgeprägt seine Bevorzugung des Mondgot­
tes in Harrān, dessen Kult, wie er uns sagt, seit der Eroberung und Ver­
˘
wüstung der Stadt durch Nabopolassar (610 v. Chr.) 54 Jahre lang danie­
dergelegen hatte. Aber nicht minder interessiert war Nabonid an der
Mondgott-Kultstadt Ur, wo er seine Tochter als Priesterin einsetzen
ließ; auch hier finden wir wieder einen «archäologischen» Rückblick:
Nabonid erwähnt als Vorgängerin seiner Tochter die Priesterin En-ane­
du, die Tochter des Kudurmabuk und die Schwester von Rãm-Sin, Kö­
nig von Larsa und Ur vor über 1200 Jahren.
Es dürfte sehr bald nach Nabonids Regierungsantritt zu Unmut
und Unruhe wegen seiner Religionspolitik, der Bevorzugung und
Überhöhung des Mondgottes gekommen sein. Nabonid formuliert es
so, daß sich alle gegen diesen Gott verfehlt hätten, so daß er sich als
Nabopolassar, Nebukadnezar II. und Nabonid 245

Herrscher auf zehn Jahre aus Babylonien zurückzog und – was


schlimm war – zehn Jahre lang auch nicht als regierender König das
alljährliche Neujahrsfest zelebrieren und das Gedicht Enūma eliš über
die Verherrlichung Marduks verlesen lassen konnte. Ein längst er-
wachsener Sohn Nabonids, Bēl-šarra-uṣ ur – uns besser als Belsazar
aus der Bibel bekannt –, nahm während dieses Jahrzehnts die Regie­
rungsgeschäfte wahr.
Nabonid verbrachte sein «Exil» in Nordarabien, vornehmlich in der
Oasenstadt Tēmā; doch nennt er auch andere Stationen Arabiens. Die
Bevorzugung dieser reichsfernen Region ist noch unklar. Hatte er,
selbst zum Teil aramäischer Abstammung, womöglich auch noch an-
deren, nicht althergebracht akkadischen Bevölkerungsgruppen seine
Sympathie entgegengebracht? Er herrschte ja wie schon so viele sei-
ner Vorgänger über einen Vielvölkerstaat (Akkader, Chaldäer, Aramä-
er, Araber, Nachkommen der Hethiter in Nordsyrien, nicht zu verges­
sen die ungezählten Nachkommen Deportierter). Nabonid muß sich
jedenfalls in seinem arabischen Refugium vollkommen sicher gefühlt
haben, und die Verbindung zu seinem Sohn muß problemlos funktio­
niert haben.
Das «Reich» bestand indessen noch fest. Es erstreckte sich, wenn
immer Nabonid in seinen Inschriften darauf anspricht, «von der Gren­
ze Ägyptens bis zum Unteren Meer (= Persischer Golf)». Nabonid
titulierte sich «König von Akkad (ein Archaismus) und von Hatti».
˘
Mit Hatti war Syrien gemeint – wie immer man sich dessen Ausdeh-
˘
nung in der geographischen Anschauung der Mitte des 6. Jahr-
hunderts v. Chr. vorstellen mag. Nabonid hatte offenbar noch unge-
hindert freien Zugang (Handel, Tribut?) zu den Zederngebirgen am
Mittelmeer (Libanon, Amanus); denn er gibt vor, bei seinen Bauten
Zedernbalken, zwischen 1050 und 5000 oder gar 6000 Stück, verwen­
det zu haben.
Nabonid nennt im Zusammenhang mit der Zerstörung seines ge-
liebten Harrān (510 v. Chr.) die einst mit Nebukadnezar II. verbünde-
˘
ten Meder auch wieder Ummān-manda (s. oben); doch findet sich bei
ihm auch schon der Hinweis, daß Kyros (II.) die Meder aus ihrer
Hauptstadt Ekbatana vertrieben habe. Kyros hatte die Herrschaft über
ganz Iran angetreten. Babylonien war für ihn – vom Umfang her ge-
sehen – eher ein Annex Irans. Die geographischen Vorstellungen im
Vorderen Orient müssen während des 6. Jahrhunderts v. Chr. frühere
246 IX. Die Weltmacht Babylon und der Aufstieg der Achämeniden

«Modelle» weit übertroffen haben; doch hat kein Vorläufer eines Era­
tosthenes oder Strabon davon Nachrichten hinterlassen.
Kyros’ General Gobryas (Gubaru) ist bei seinem Vorrücken nach
Babylonien auf keinen nennenswerten Widerstand gestoßen. Babylo­
nien war durch die vom König selbst inszenierte Staatskrise, aber viel-
leicht auch durch eine zurückliegende Hungersnot demoralisiert. Go-
bryas nahm Babylon kampflos ein. Der greise Nabonid wurde in ein
neues, diesmal fern in Iran gelegenes Exil geführt.
Das Ende Babyloniens ist im alttestamentlichen Buch Daniel (Kapi-
tel 5) beschrieben mit dem Gelage des Königs Belsazar und der Schrift
an der Wand: mene mene teqel u pharsãn «es ist gezählt, es ist gezählt,
es ist gewogen, und sie (= die Länder) sind aufgeteilt». Auf Nabonids
Sohn Bēl-šarra-uṣ ur/Belsazar hat das Alte Testament also das Lei­
chenbegängnis des nicht nur von den Juden gefürchteten babyloni­
schen Reiches übertragen. Nur davon, daß «Belsazar in selbiger Nacht
von seinen Knechten umgebracht» worden wäre, weiß die keilschrift­
liche Überlieferung rein nichts.
Weltgeschichtlich, aus unserer heutigen Sicht, sehen wir das Ende
einer Epoche: Es gab fortan keine mesopotamische Königsherrschaft
mehr, die assyrisch oder babylonisch gewesen wäre – also ein End­
punkt nach einer Geschichte von über zwei Jahrtausenden. Der ge-
meine Mann in Mesopotamien mag davon kaum etwas bemerkt
haben. Der neue Herr war nun ein Perser. Der aber ließ fast alles
Vorgefundene bestehen – vorab die akkadische Sprache (samt dem
immer weiter gepflegten Sumerischen) und ihr altehrwürdiges «hei-
lig-keiliges Gedränge». Geprägt von einer vollkommen anderen
Mentalität, wollte Kyros II. die in Mesopotamien angetroffenen
Strukturen – und auch die Götterwelt – milde anerkennen und über­
nehmen. Babylonien war für ihn, wie wir bereits feststellten, eher
ein «Anhang». Aber seinen Blick hatte man ihn in Richtungen zu len-
ken gelehrt, die selbst über die Dimensionen des vergangenen Neu-
assyrischen und auch des Neubabylonischen Reiches weit hinaus­
reichten.
Die Perser 247

51. Die Perser

Es sollen hier nur in aller Kürze einige Aspekte der Achämeniden-


herrschaft in Babylonien beschrieben werden, und es darf nicht ein­
mal auszugsweise eine Geschichte des altpersischen Reiches erwartet
werden. Die Perserzeit währte in Mesopotamien zwei Jahrhunderte,
von 538 bis 331 v. Chr., und sah Gestalten wie Kyros II., Dareios I.
(521–486), Xerxes I. (485–465), Artaxerxes (464–424) und Dareios II.
(423–405).
Kyros II. (559–539 in Persien, 538–530 in Mesopotamien) war bis
550 v. Chr. noch ein Vasall des Meders Astyages (keilschriftlich
Ištumegu, 584–550) gewesen, hatte Astyages dann aber entthront
und verbannt, ohne damit allerdings spätere Thronansprüche ein für
allemal abgewehrt zu haben. In akkadischen Inschriften tituliert sich
Kyros zunächst als «König von Anšan». Anšan, schon im III. Jahrtau­
send v. Chr. bezeugt, war einerseits – aus der Sicht Babyloniens – eine
vage Bezeichnung für das Zagros-Gebirge; im engeren Sinne aber war
es ein Ort 50 km nordnordwestlich vom heutigen Šãrāz (Tall-i
Mālyān). In einer akkadischen Inschrift aus Babylon legitimiert sich
Kyros II. unter Berufung auf Marduk, der ihn ausersehen habe, die
Freveltaten des Vorgängers Nabonid aufzuheben und rückgängig zu
machen. Kyros übernimmt nun die herkömmliche Titulatur «König
des Alls, großer, mächtiger König, König von Babylon, König von
Sumer und Akkad, König der vier Weltufer», und er preist sich als
Bauherrn und Förderer des Landes – all dies bruchlos aus altange­
stammter Tradition übernommen.
Kyros hat zwar mit dem seit eh und je rebellischen und auf Eigen-
ständigkeit erpichten Sūhu am Mittleren Euphrat (zwischen Mari und
˘
Ānat, dem heutigen ῾Āna) gekämpft. Doch im ganzen erscheint er als
Friedensherrscher – soweit dies Mesopotamien betrifft. Sein ältester
Sohn und Nachfolger Kambyses (II.) war König von Babylon. Im Ur­
kundenwesen wurde nach den Regierungsjahren des Perserkönigs
datiert.
Bei Kämpfen mit Kroisos in Kleinasien eliminierte Kyros das Ly­
derreich, so daß sich sein Reich schließlich bis an die Grenze Ägyp-
tens, bis zur Ägäis und im Osten weit hinein nach Zentralasien jen-
seits des Jaxartes (Syrdarja) erstreckte.
248
IX. Die Weltmacht Babylon und der Aufstieg der Achämeniden

aus: Josef Wiesehöfer, Das antike Persien. Von 550 v. Chr. bis 650 n. Chr. (21998).
Die Perser 249

Für die Geschichte des Judentums ist höchst bedeutend ein Erlaß
aus dem Jahr 538 v. Chr.: Kyros gestattete den von Nebukadnezar II.
deportierten Juden die Rückkehr sowie den Wiederaufbau des Tem-
pels in Jerusalem. Wir wissen nicht, wessen Intervention der Erlaß zu
verdanken ist; aber bei der sehr liberalen Religionspolitik – und wohl
auch angesichts stabiler Verhältnisse in der Levante – ließ sich die
Entscheidung sicher bedenkenlos fällen. Wie hoch der Prozentsatz der
zum Teil schon assimilierten Exilbevölkerung war, der Babylonien
wieder verließ, ist nicht bekannt.
Dareios I. mußte zu Regierungsbeginn Aufstände niederschlagen –
ein beim altorientalischen Machtwechsel regelmäßig wiederkeh-
rendes Phänomen. In Babylonien konnten sich zweimal Thronprä­
tendenten, die sich beide Nebukadnezar («III.», «IV.») nannten,
jeweils nur wenige Monate halten. Dareios griff noch weit über Ky-
ros’ Gebietsgewinn hinaus. Sein Weltreich erstreckte sich in einer
bis dahin ungekannten Expansionsgewalt «von Libyen und Äthio-
pien bis nach Afganistan, von Thrakien und Makedonien bis in den
Pandschab» (M. W. Stolper).
Das Perserreich hatte drei Residenzen: Persepolis im persischen
Stammland (Fārs), Susa in Elam und Babylon. Ihnen entsprachen –
grosso modo – drei Sprachen: die den Persern eigene Muttersprache
Altpersisch; das weit über die nähere Umgebung von Susa hinaus ver-
breitete Elamisch (vgl. schon Kapitel 15 und 42); und die spätbabyloni-
sche Version des Akkadischen. Diese drei Sprachen erscheinen in den
Trilinguen der Perserkönige (von denen F. G. Grotefends erster Entzif-
ferungsansatz für die Keilschrift ausgegangen war). Hinzu kommt
aber als die wichtigste, einen Großteil des Achämenidenreiches als
lingua franca beherrschende Sprache das Aramäische. Schon im Neu­
assyrischen Reich, spätestens seit Tiglatpileser III., war das Aramäi­
sche neben dem Akkadischen die andere Sprache, und sie wurde als
solche auch von den Schreibern gehandhabt, wie wir es deutlich auf
den Reliefs sehen, wo nebeneinander Tafel- und Pergamentschreiber
stehen (s. a. S. 205). Äußerst praktisch im Gebrauch und leicht erlern­
bar mit seinem Konsonantenalphabet von nur 22 Zeichen, eignete sich
das Aramäische als die Verkehrssprache schlechthin in einem Riesen-
reich, in dem sicher zwei Dutzend Sprachen oder mehr heimisch wa­
ren, z. B. Ägyptisch, Akkadisch, Altsüdarabisch, Arabisch, Aramäisch
selbst, Elamisch, Griechisch, Hebräisch, Karisch, Lydisch, Lykisch, Man­
250 IX. Die Weltmacht Babylon und der Aufstieg der Achämeniden

näisch, Medisch, Nubisch, Persisch, Phönikisch, Phrygisch und andere


mehr. Wir sprechen heute vom «Reichsaramäischen», wenn wir uns
auf das perserzeitliche Aramäisch beziehen – und meinen dies im Ge-
gensatz zur Vorstufe, dem «Altaramäischen», und zu den nachfolgen­
den Dialekten und Sprachen: der Sprache des babylonischen Talmud,
dem Syrischen bis hin zu den noch heute gesprochenen «neuaramäi­
schen» Idiomen.
Für das Altpersische wurde unter den frühen Achämenidenkönigen
eine Schrift erfunden, die zwar formal der mesopotamischen Keil-
schrift nachempfunden war, die aber im System der aramäischen
Schrift näher stand. Es ist noch immer umstritten, auf welchen Herr­
scher die Erfindung zurückgeht (die ältesten Denkmäler stammen von
Dareios I.). Diese Schrift, die über nur 44 Zeichen verfügte, wurde nur
für hochoffizielle königliche Verlautbarungen in Persien selbst ver­
wendet. Für die tagtägliche Verwaltung bediente man sich in Persien
der mesopotamischen Keilschrift in ihrer elamischen Spielart und in
elamischer Sprache.
Das Aramäische hat dennoch auch in Persien weitergewirkt. Für
das «Mittelpersische» (Pahlavi) wurde ein dem Aramäischen ent­
lehntes Alphabet verwendet, und zwar in der Zeit vom 2. Jahrhundert
v. Chr. bis zum 7. Jahrhundert n. Chr. Es wurden sogar für bestimmte
häufige Wörter (z.B. šāh «König») die aramäischen Schreibungen
übernommen (also MLK = malkā), sogenannte Aramaogramme.
Es versteht sich, daß ein politisches Gebilde von den Ausmaßen des
Achämenidenreiches nicht durchorganisiert werden konnte ohne den
Rückgriff auf bereits vorgefundene Verwaltungsstrukturen (z. B. Pro­
vinzeinteilung = Satrapien, Palast-, Tempel-, aber auch private Buch­
haltung), die auf jahrhundertealter, bewährter Erfahrung beruhten.
So erklärt sich in Babylonien leicht, daß man auf der – an sich unge­
heuer komplizierten – Keilschrift beharrte. Eine plötzliche «Aramai-
sierung» wäre damals wohl ebenso undenkbar gewesen, wie es heute
eine «Romanisierung» der chinesischen Schrift wäre.
Wie stark die persische Verwaltung aber doch in das traditionelle
babylonische System eingegriffen haben mag, ist nicht leicht zu beur-
teilen. Es gibt zwar eine Reihe persischer Lehnwörter in akkadischem
Kontext, z.B. ahšadrapannu «Satrap», andēˇu «Musterung», bāru
˘
«Steuer», dātu «Verordnung», dātabara «Rechtskundiger(?)», gan­
zabāru «Schatzmeister», hamarakara «Buchhalter». Aber diese Aus­
˘
Die Perser 251

drücke kommen ziemlich selten vor, und sie haben keineswegs die
einheimisch-akkadische Terminologie abgelöst. Kulturgeschichtlich
interessant sind auch die Wörter kūrapānu «(lederne) Halsberge»
(beim Panzer) und kurangu «Reis» – letzterer ist allerdings nur ex­
trem selten bezeugt und läßt noch nicht den Siegeszug dieser Getrei-
deart durch den Vorderen Orient vorausahnen.
Eine schon unter den neubabylonischen Königen sich in Ansätzen
entwickelnde sozioökonomische Institution gewinnt in der Achäme-
nidenzeit klare Konturen: das kaufmännisch engagierte Familienun-
ternehmen, das in größtem Stil und in einem Wirkungsbereich von
bis zu 100 × 100 km Agrarverträge, Wahrnehmung von Feudallände-
reien (Pacht, Unterverpachtung), Darlehen und Pfandwesen betrieb
und daraus satten Gewinn bezog. Derlei Unternehmen sind öfter –
aber doch anachronistisch – als «Bankhäuser» bezeichnet worden.
Zwei berühmte Familiennamen sind hier Egibi (unter Nebukadne-
zar II. bis zu Dareios I.) und Murasü (seit Anfang des 5. Jahrhunderts
v. Chr., aber urkundlich massiv bezeugt zwischen 454–404).
Die Murašû-Archive aus Nippur enthalten Angaben über die Ver­
waltung von bis zu sechzig haṭ ru genannten Liegenschaften, die be-
˘
stimmten Personengruppen seitens der Krone zugewiesen waren. Die
Lehensinhaber waren oft nicht unmittelbar persönlich tätig («absen­
tee landlords»), sondern sie hatten ihre Rechte und Einnahmen ande­
ren gegen einen Gewinnanteil abgetreten. Sie selbst schuldeten der
Krone Steuern in Form von Geld oder Waren, und diese Abgaben
wurden von Steuereinnehmern eingezogen.
Das über 800 veröffentlichte Tontafeln umfassende Archiv der Fa-
milie Murašû ist ganz vorzüglich geeignet, die Zusammensetzung
der Bevölkerung Babyloniens im 5. Jahrhundert v. Chr. zu beurtei­
len: Von den ca. 2200 enthaltenen Personennamen sind nach der
Zählung von M. W. Stolper zwei Drittel babylonisch und ein Viertel
aramäisch. Die restlichen nur noch knapp 10 % der Namen sind –
soweit sprachlich identifizierbar – hebräisch oder phönizisch, ira­
nisch, anatolisch oder ägyptisch. Interessant ist, daß Personen mit
iranischen (davon teilweise altpersischen) Namen nur einen sehr
kleinen Anteil ausmachen. Dabei ist freilich – wie schon immer – bei
der Zuweisung einer Person über ihren Personennamen an ein be-
stimmtes Ethnikon stets Vorsicht geboten; denn es haben sowohl ba­
bylonische Eltern ihren Kindern persische Namen gegeben, wie um­
252 IX. Die Weltmacht Babylon und der Aufstieg der Achämeniden

gekehrt in Babylonien heimisch gewordene Perser babylonische


Namen angenommen haben.
Archive wie das der Familie Murašû bestanden nicht nur aus Tonta-
feln mit Keilschrift. Es gab zugleich aramäisch beschriftete Leder- und
Pergamenturkunden. Auf solche wird in den Tontafeln ausdrücklich
Bezug genommen; doch sind sie selbst – im Gegensatz zu den unver­
wüstlichen Tontafeln – nicht erhalten geblieben.
Der abendländischen Geschichte ist das Jahr 401 v. Chr. (Regierungs­
zeit Artaxerxes’ II. Memnon, 404–359) überliefert als das Datum einer
entscheidenden Schlacht bei einem Orte namens «Kunaxa»: Kyros der
Jüngere fiel dort als Kronprätendent im Kampf gegen seinen Bruder
Artaxerxes. Griechische Söldner, die «Zehntausend», zogen in einem
abenteuerlichen, von Xenophon beschriebenen «Hinaufmarsch» (Ana-
basis) zurück nach Kleinasien, wo sie das Meer («thalassa, thalassa»)
als die Heimat kündigende Retterin begrüßten. Die keilschriftliche
Überlieferung weiß allerdings nichts von «Kunaxa», das 360 oder aber
500 Stadien (also zwischen 64 und 88 km) von Babylon entfernt gewe-
sen sein soll. Der Tradition läßt sich aber immerhin doch entnehmen,
daß innerachämenidische Herrschaftsaspiranz auch auf babylonischem
Boden ausgefochten wurde.
Das geistige Leben Babyloniens, gesehen in der Produktion literari­
scher Keilschrifttafeln, setzt sich in den beiden perserzeitlichen Jahr­
hunderten unbehindert fort, wie es auch nicht anders sein konnte,
wenn der Oberherr keinerlei Interesse zeigte, dem formal Unterwor-
fenen eigenes geistiges Gut und religiöses Gebaren aufzudrängen. Die
Palette akkadischer, aber auch sumerischer Literatur bleibt weiterhin
reich vertreten, und so sollte es bis in die Seleukidenzeit bleiben; daß
besonders Uruk als Fundstätte hervorragt, ist wohl eher dem Gra-
bungszufall und nicht einer besonderen Führungsrolle zuzuschreiben,
die diese südbabylonische Stadt uralter Vergangenheit etwa behauptet
hätte.
Mythen und Epen (zumal noch immer das Gilgameš-Epos), Götter-
hymnen (akkadische, aber auch zweisprachig sumerisch-akkadische),
Beschwörungen, Omen- und Opferschautexte sind bezeugt. Es blüht
die Astronomie. Die wissenschaftliche Listenliteratur ist vertreten mit
der altererbten sumerisch-akkadischen Lexikographie, mit Götterlisten
oder Texten zur Pflanzenkunde. Gerade aus der «Spätzeit» sind uns be-
deutende Texte zum Ritual von Festen erhalten, und diese Texte er­
Die Perser 253

möglichen Rückschlüsse auf Jahrhunderte ältere Zustände. Mit der


stets wachsenden Entfernung – und Entfremdung – von der gelehrten
Vergangenheit wuchs auch das Bedürfnis, bestimmte Textgattungen zu
«kommentieren», d. h. in ihnen begegnende, dem Zeitgenossen nicht
mehr voll verständliche Ausdrücke durch umgangssprachlich vertrau­
tere Wörter zu erläutern.
Eine Fernwirkung irgendwelcher Art hatte die Achämenidenherr-
schaft in Babylonien wohl kaum. Es blieb, als das babylonische Akka­
disch als Umgangssprache endgültig ausgestorben war, eine Bevölke­
rung, die aramäisch oder arabisch sprach – oder beides zugleich –,
waren doch diese Sprachen nahe, wenn auch nicht bis hin zu einer un-
mittelbaren wechselseitigen Verständnismöglichkeit der Sprecher
verwandt. Wann denn nun wirklich der letzte akkadische Mutter-
sprachler verschwunden ist, läßt sich ebensowenig genau beantwor-
ten, wie wir über ein Jahrtausend zuvor festzustellen vermochten,
wann der letzte lebendige Sumerischsprecher begraben worden ist.
Vom Aramäischen und Arabischen hat sich im größten Teil Mesopo­
tamiens das Arabische ganz durchgesetzt. Es verblieben aramäische
«Sprachinseln» im Bereich des ehemaligen assyrischen Kernlandes,
und ebendort sind bis heute nahe Verwandte der Perser seßhaft, die
Kurden.
X.

Alexander der Große und

seine Nachfolger

52. Babylonien unter Alexander dem Großen,


den Seleukiden und Arsakiden (Parthern)

Es soll in einer «Geschichte Mesopotamiens» nicht mehr beschrieben


werden, wie Alexander in den Besitz von Babylonien gelangt ist; wie
das unerhörte achämenidische Machtcrescendo schließlich noch unter
dem Sohn Philipps von Makedonien – nach den Siegen bei Issos 333
und Gaugamela 331 v. Chr. sowie der Gründung von Alexandria in
Ägypten – ein Finale erlebt hat (330–323), das nicht mehr lange nach­
hallen sollte. In Babylonien bahnte sich griechischer Einfluß an. Die
Hellenisierung ist vielleicht weiter gegangen, als es uns die wenigen
überlieferten Nachrichten glauben machen, doch kann von einer
Langzeitwirkung keine Rede sein.
So wird auch in diesem Rahmen nicht mehr die politische Ge­
schichte Babyloniens unter den Seleukiden und den parthischen Arsa-
kiden beschrieben werden. Es seien im wesentlichen nur noch einige
für die Geistesgeschichte des Alten Orients interessante Tatsachen
aufgezeichnet.
Nach Alexanders Tod in Babylon (10. Juni 323 abends), der sogar in
einer Keilschrifturkunde vermerkt ist, begannen Kämpfe unter den
potentiellen Nachfolgern, die sogenannten Diadochenkämpfe (grie­
chisch diádochos «Nachfolger»), die bis 280 v. Chr. andauerten. Seleu­
kos I. Nikator (offiziell 305–281) datiert seine Herrschaft tatsächlich
schon von 312 v. Chr. an und beginnt damit eine «Seleukidenära»,
nach welcher man in Europa bis ins 7./8. Jahrhundert n. Chr. gerech­
net hat (vgl. S. 181). Die parthischen Arsakiden, so benannt nach Ar­
sakes I., setzten von 247 an eine eigene «Arsakidenära» in Kraft, die
sich aber auf Dauer neben der seleukidischen nicht halten konnte.
Berühmtester Arsakidenherrscher war Mithradates I. Philhellen (ca.
171–138), Begründer des Partherreichs als Großmacht.
Babylonien unter Alexander, den Seleukiden und Arsakiden 255

Von griechischem Einfluß zeugt z. B. ein Theater in Babylon (der


Ausgrabungsbefund ist ganz eindeutig); doch wissen wir nichts über
Aufführungen. In Keilschrifttexten erscheinen nun öfter – aber im
ganzen doch eher beschränkt – griechische Personennamen in einer
keilschriftlichen Verfremdung, die aber immer noch die gemeinte
Form erkennen läßt: z. B. Pilipsu = Philippos, Atēnupilusu = Athenó-
philos, Timgiratē = Timokrates. Gelegentlich tragen Personen sowohl
einen akkadischen als auch einen griechischen Namen. Wenn aber
Athenóphilos als theophorer Name auch die Athene in sich birgt, so
ist doch zu betonen, daß ein Kult der großen griechischen Götter nir­
gends in Babylonien heimisch geworden ist.
Die literarische Produktion auf Keilschrifttafeln ging wie unter den
Achämeniden unvermindert fort. Es sind Texte bezeugt aus Babylon,
Borsippa, Dēr im Osttigrisland, Kiš, Kutha, Larsa, Nippur, Ur und
˘
Uruk, und sie vertreten nach wie vor sehr verschiedene Gattungen
(vgl. Kapitel 51 Ende). Bemerkenswert ist eine arsakidenzeitliche Ko­
pie des Gilgameš-Epos, Tafel X. Auch der Gang der «Geschichte» wird
weiterhin schriftlich festgehalten: in fünf leider jeweils nur sehr frag-
mentarisch erhaltenen Chroniken über die Seleukidenherrscher oder
in dem Fragment einer Königsliste, die in ihrer Aufzählung der Na­
men mindestens von Kandalānu (647–627, s. Kapitel 47) bis zu Seleu­
kos II. (245–226) reichte. Aus dem «hellenistischen» Uruk stammen
außerdem über 500 Rechtsurkunden, meist privater Art, die den Kauf
von Sklaven, Häusern, Pfründen, Teilung, Tausch, Klageverzicht und
anderes mehr betreffen. Summiert man aber überhaupt die Zahl der
«hellenistischen» Keilschriftdenkmäler, so ist mit J. Oelsner festzu­
stellen, daß von über 2000 Texten über die Hälfte astronomischen In­
halts ist. Da aber neben – formularerstarrten – Vertragsurkunden
auch noch – frei formulierte – Briefe erhalten geblieben sind, kann
man der Frage nicht ausweichen, wieweit das Akkadische noch als le­
bende Sprache verfügbar gewesen ist. War es ein auf wenige einstu-
dierte Wendungen beschränktes künstliches Vehikel, oder war diese
Sprache – wenigstens ihren Schreibern – noch in jeder Hinsicht zu
Gebote?
Wir können uns nicht vorstellen, daß ein Schreiber, der das
Gilgameš-Epos oder sonst ein Werk der altererbten Literatur ab­
schrieb – und damit auch neu schrieb –, sich nicht selbst fließend in
der von ihm geschriebenen Sprache hätte ausdrücken können. Aber
256 X. Alexander der Große und seine Nachfolger

die Frage, wann das Akkadische als eine gesprochene Sprache definitiv
ausgestorben ist, können wir gleichwohl nicht beantworten (vgl. Ka­
pitel 51 Ende).
Eine ganz und gar traditionell-mesopotamische Keilschrift-Text-
gattung, die bis 61 v. Chr. bezeugt ist, sind die «Tagebücher» (im Assy-
riologenjargon meist «Diaries»): Niederschriften täglicher Beobach-
tungen des nächtlichen Sternenhimmels, die man in Babylon machte.
Allerhand weitere Beobachtungsaspekte sind diesen Texten ange-
schlossen. Die Gattung dieser «Tagebücher» setzt ein – nach den uns
überlieferten Texten – bei Assurbanipal (651 v. Chr.); sie sind datiert
unter Nebukadnezar II. (567), Xerxes I. (463) und Artaxerxes I. (453),
um dann in einer von Jahr zu Jahr immer dichteren Datierung bis
nach 61 v. Chr. (Phraates I. aus der parthischen Dynastie der Arsaki­
den) zu erscheinen.
Der Stand der Sterne wurde mit gängig-greifbaren Mitteln gemes­
sen: «Finger», «Hand», «Elle» für Höhe und Abstände; zeitlich nach
der zeit-tropfenden Wasseruhr. So maß man Stand, Bahn, die erste
und letzte Sichtbarkeit des Mondes und der Planeten; die Zeitpunkte
von Tagundnachtgleiche und Winter- und Sommersonnenwende; ver­
suchte gar, Mond- und Sonnenfinsternis vorauszuberechnen. Die Pla-
neten sind in einer stereotypen Reihenfolge aufgenommen: Jupiter –
Venus – Merkur – Saturn – Mars. Bei den Fixsternen hat die Notie­
rung des Sirius ersten Rang. Die – womöglich täglichen – Einträge der
«Tagebücher» erwähnen auch Meteore und Kometen.
An die astronomischen Beobachtungen sind in den «Tagebüchern»
meteorologische angeschlossen: Alles, was vom gewohnten unbe-
wölkten Tages- oder Nachthimmel abwich, wurde aufgeschrieben –
Wolken (stehend, gehend), Nebel, Blitz, Donner, Hagel, Regenbogen.
Dann folgen – wohl weil sie in enger Beziehung zum Wettergebaren
standen – Preisnotierungen: Wieviel erhielt man für 1 Schekel Silber
an Gerste, Datteln (nach wie vor die Grundnahrungsmittel), Sesam,
Wolle und anderen lebensnotwendigen Waren? Dann wurde notiert,
wie hoch der Euphrat stand: mehrere Tage lang gleich oder im Pegel
schwankend (gemessen wurde in «Fingern» mit Bezug auf eine uns
nicht mehr bekannte Marke).
Die «Tagebücher» haben in ihre Maßangaben auch kurze Notizen
zu Tagesereignissen einbezogen: Kultbesonderheiten, Feuersbrunst in
einem Stadtviertel Babylons und anderes dieser Art. Dieser letzte für
Babylonien unter Alexander, den Seleukiden und Arsakiden 257

den Historiker am ehesten interessante Aspekt der «Tagebücher»-


Aufzeichnungen enttäuscht uns aber leider, weil die betreffenden
Tontafeln meist sehr schlecht erhalten sind.
Die «Tagebücher» sind in einem höchst verkürzten Schreibsystem
abgefaßt, das heute nur noch dem hochspezialisierten Forscher ver­
ständlich ist. So gut wie jeder Einzelausdruck (Substantiv, Adjektiv,
Verbum, die Namen von Himmelskörpern) ist in einer Kurz-Schrift
auf ein einziges Keilschriftzeichen reduziert. Das mußte die Textauf-
nahme durch den damaligen Schreiber enorm beschleunigen. Freilich
ist jede in größerem Umfang vollzogene Kürzung nur möglich, wenn
zuvor das vollständige Schreibsystem erlernt wurde. Wir dürfen folg-
lich noch immer das traditionelle babylonische Schulcurriculum vor­
aussetzen.
Eine nicht zu unterschätzende Wirkung auf eine – zeitweilige –
Hellenisierung Babyloniens muß die Gründung der Stadt Seleukeia
am Tigris 300 v. Chr. gehabt haben (ca. 30 km südlich vom heutigen
Baghdad). Seleukeia entwickelte sich bald zur größten Stadt Babylo-
niens und lief dem nur 60 km entfernten Babylon den Rang ab.
Der babylonische Hellenismus hat eine Textgattung hervorge-
bracht, in der sich die Bemühungen von Griechen oder griechisch
Erzogenen widerspiegeln, sich mit der sumerischen und akkadischen
Literatur auseinanderzusetzen – sei es nun, daß man auf die «Grie­
chen» zukommen wollte oder daß diese von sich aus auf altes Gut
zurückgreifen wollten. Man hat Sumerisch und Akkadisch mit grie-
chischen Buchstaben geschrieben (transliteriert), und zwar ebenfalls
auf Ton. Die eine Seite einer Tafel enthielt den ursprünglichen Keil­
schrifttext, die andere Seite dessen Übertragung in griechische
Schrift. Diese «Graeco-Babyloniaca», von denen wir leider nur
knapp zwanzig Exemplare und Fragmente besitzen, sind sicher nur
der schwache Abglanz einer umfangreicheren, auf Leder oder Papy-
rus geschriebenen Keilschriftliteratur in griechischer Schriftumset­
zung. Die weiche Oberfläche einer Ton- oder Wachstafel war ja viel
eher bereit, eingedrückte «Keile» aufzunehmen als eingeritzte Buch-
staben. Doch schon die wenigen auf uns gekommenen griechischen
Umschriften stehen unserer Art, Keilschrift zu lesen, verblüffend
nahe. Sie liefern also einen schönen Beweis dafür, daß die Assyriolo­
gen der vergangenen anderthalb Jahrhunderte mit ihren Lesungen
nicht auf dem Holzweg waren.
258 X. Alexander der Große und seine Nachfolger

Die Datierung der «Graeco-Babyloniaca» ist leider stark umstrit­


ten. Sie schwankt zwischen dem 2. Jahrhundert v. und dem 2. oder gar
3. Jahrhundert n. Chr. Griechische Paläographie (d. h. die Datierung
von Inschriften nach ihrer Zeichenform und nach der allgemeinen
Darbietungsart eines Textes) ist zwar im Prinzip sehr fein gegliedert.
Aber diese Paläographie orientiert sich an Inschriften auf Stein, Ton-
scherben oder Papyrus. Fremd ist ihr festzustellen, wie stark sich
Buchstaben beim Schreiben auf dem weniger gewohnten Ton verän­
dert haben mögen.
Nach unserem gegenwärtigen Befund (wir müssen darauf vorbe­
reitet sein, daß er sich durch unerwartete Neufunde verändert) hat
sich die Tätigkeit babylonischer Gelehrter von der Mitte des 1. Jahr-
hunderts v. Chr. an wohl immer stärker auf einen Bereich beschränkt,
die «Himmelskunde». Es ist daher sicher kein Zufall, daß auch die
jüngste datierbare Keilschrifttafel astronomisch ist. Sie stammt aus
dem Jahr 389 seleukidischer Ära = 75 n. Chr., als Vespasian römischer
Kaiser war.
Mit dem «letzten Keil» ist noch nicht das letzte Wort in einer – sol-
len wir sagen – vorislamischen Geschichte des Zweistromlandes ge-
sprochen. Doch sei der «letzte Keil» Anlaß, eine «Geschichte Mesopo-
tamiens» als Geschichte der Keilschriftkultur zu beenden.
Anhang
Zeittafel

Mitte XI. Jahrt. Mureybet am Mittleren Euphrat (s. Kap. 2)


VII. Jahrt. gebrannter Ton
VI. Jahrt. Tall Ḥ alaf-Kultur
V. Jahrt. Tall al-῾Obēd-Kultur
vorschriftliche Hochkultur in Mesopotamien und
Nachbarländern
IV. Jahrt. Uruk V
Uruk IV
älteste Schrift in Mesopotamien
ca. 3000 Ǧamdat Naṣ r
ca. 2700 Archaisches Ur
26. Jahrh. Suruppag (Fāra), Abu Ṣ alābãh
˘
ca. 2520 Ur-Nanše von Lagaš (s. auch das Stemma S.52)
ca. 2470 E-ana-tum von Lagaš
Mes-ane-pada von Ur
ca. 2430 En-metena von Lagaš
25./24. Jahrh. Inschriften aus Mari
ca. 2350 Iri-kagina von Lagaš
Lugal-zagesi von Uruk
24. Jahrh. Ebla
ca. 2350–2150 Dynastie von Awan in Elam
ca. 2340–2200 Dynastie von Akkade
Sargon (56 oder 55 Jahre)
Rãmuš (9 oder 15 Jahre)
Man-ištūšu (15 oder 7 Jahre)
Narām-Suen (56 oder 37 Jahre)
Šar-kali-šarrã (25 oder 24 Jahre)
22. Jahrh. Gutäer in Mesopotamien
ca. 2100 Gudea von Lagaš
ca. 2119–2113 Utu-hegal von Uruk
˘
ca. 2112–2004 III. Dynastie von Ur
Ur-Namma 2112–2095
Šulgi 2094–2047
Amar-Suena 2046–2038
Šū-Suen 2037–2029
Ibbi-Suen 2028–2004
ca. 2100–1900 Dynastie von Šimaški in Elam
ca. 2025–1763 Dynastie von Larsa
Gungunum 1932–1906
R ãm-Sin 1822–1763
262 Anhang

ca. 2017–1794 I. Dynastie von Isin


Išbi-Erra 2017–1985
Išme-Dagān 1953–1935
Lipit-Ištar 1934–1924
ca. 1900–1500 sukkalmah-Periode in Elam
˘
ca. 1894–1594 I. Dynastie von Babylon
Sumu-Abum 1894–1881
Hammurāpi 1792–1750
Samsu-iluna 1749–1712
Ammi-ṣ aduqa 1646–1626
Samsu-ditāna 1625–1595
19. Jahrh. Assyrische Handelskolonien in Kleinasien
ca. 17. Jahrh.–1157 Kassitendynastie in Babylonien
Kurigalzu I. und II. 14. Jahrh.
Burna-Buriaš II. 1359–1333
Meli-Šipak 1188–1174
17. Jahrh.–1205 Hethiterreich in Kleinasien (und Nordsyrien)
Muršili I. ca. 1600
Telipinu ca. 1500
Šuppiluliuma I. ca. 1370–1330
Vertrag zwischen Suppiluliuma I. und Sattiwaza von
Mittani ca. 1335
Muwatalli ca. 1295–1282
Urhi-Teššup 1282–1275
˘
Hattušili III. ca. 1275–1245
˘
1552–1306 XVIII. Dynastie in Ägypten
Amenophis III. 1403–1364
Amenophis IV. (Echnaton) 1364–1347
ca. 1450–1100 Mittelelamische Periode
ca. 1440–1340 Archive von Nuzi
ca. 1330–1180 Ugarit
1306–1187 XIX. Dynastie in Ägypten
Ramses II. 1290–1224
Schlacht bei Qadeš 1285
1353–1076 Assyrerreich im Aufbruch
Aššur-uballiṭ I. 1353–1318
Arik-dãn-ili 1307–1296
Adad-nārāri I. 1295–1264
Salmanassar I. 1263–1234
Tukulti-Ninurta I. 1233–1176
Tiglatpileser I. 1114–1076
1156–1025 II. Dynastie von Isin
Nebukadnezar I. 1124–1103
883–609 Assyrerreich: Höhepunkt und Verfall
Assurnasirpal II. 883–859
Šamši-Adad V 823–811
Sammuramât (Semiramis)
Zeittafel 263

Adad-nērāri III. 810–783


Tiglatpileser III. 744–727
Salmanassar V. 726–722
Sargon II. 721–705
Sanherib 704–681
Asarhaddon 680–669
Assurbanipal 668–630 (?)
Aššur-uballiṭ II. 611–609
721–627 Babylonien vor dem Großreich
Marduk-apla-iddina II. 721–710 und 703
(Sanherib 688–681)
(Asarhaddon 680–669)
Šamaš-šumu-ukãn 668–648
Kandalānu 647–627
625–539 Neubabylonisches Reich
Nabopolassar 625–605
Nebukadnezar II. 604–562
Nabonid 555–539
538–75 AD Achämeniden, Alexander der Große, Seleukiden
und Arsakiden (Parther) in Babylonien
Kyros II. 538–530
Dareios I. 521–486
Xerxes I. 485–465
Artaxerxes I. 464–424
Dareios II. 423–405
Alexander der Große 330–323
Seleukos I. Nikator 305–281
Beginn der Seleukidenära 312
Arsakes 250–248
Mithridates I. ca. 171–138
letzter Keilschrifttext 75 AD

Anmerkung zur Zeittafel:


Wenn die Regierungsdaten zweier aufeinanderfolgender mesopotamischer Könige
angegeben werden, dann stets nach dem Schema «1953–1935, 1934–1924». Das be­
deutet nicht, daß der Regierungswechsel immer mit dem Jahreswechsel zusammen­
fiel. Es ist nur die Regel, daß die Monate vom Antrittsjahr eines Herrschers jeweils
noch der Regierung des Vorgängers zugeschlagen werden. Anders in Ägypten, wo die
Datenfolgen z. B. «1403–1364, 1364–1347» lauten, d. h. dem Regierungswechsel inner­
halb eines bestimmten Jahres Rechnung tragen.
Anmerkungen

Abkürzungen:
CANE = (Hsg.) J. M. Sasson et al.: Civilizations of the Ancient Near East (4 Bde.,
1995)
RlA = (Hsg.) D. O. Edzard et al.: Reallexikon der Assyriologie und Vorderasiati-
schen Archäologie (Bd. 3 ff., 1957 ff.).

Sonderzeichen bei Eigennamen und altorientalischen Ausdrücken:


ā, â etc. = Langvokal. – č = tsch. – d = engl. th (this). – ǧ = dsch. – h = ach-Laut. – ḥ
¯ ˘
= arab. Variante des h. – š = sch. – ṣ = arab. oder akkad. Variante des s. – t = engl. th
¯
(thin). – ṭ = arab., akkad. oder urarṭ äische Variante des t.

Vorbemerkung:
In den kapitelweise angeordneten Anmerkungen sind wichtige bibliographische
Titel angegeben und fallweise knappe Erläuterungen enthalten. Viele der zitierten
Werke bieten genauer aufgeschlüsselte Einzelbibliographien für den, der einem aus­
gewählten Gegenstand näher nachgehen will.

I. Die Anfänge (S. 13–36)

1. Die geographischen und klimatischen Voraussetzungen (S.13–16)

2. Zur Vorgeschichte (S. 16–20):

Die zur Zeit (2003) ausführlichste Beschreibung von «The Ancient Near East
c. 3000–330 BC» (einschließlich Levante, Kleinasien, Iran und Ägypten) stammt von
Amélie Kuhn (2 Bde., 1995) mit 60 S. Bibliographie.
Als Einführung in die Archäologie, Geschichte und Landeskunde sehr empfeh-
lenswert Michael Roaf, Cultural Atlas of Mesopotamia and the Ancient Near East
(1990), deutsch Weltatlas der alten Kulturen. Mesopotamien. Geschichte, Kunst,
Lebensformen (1991).
cane (s. oben, Abkürzungen) enthält nahezu 300 Einzelbeiträge zu allen denkba-
ren Aspekten der altorientalischen Geschichte. Wir verweisen nur in Einzelfällen auf
dieses unschätzbare Kompendium zurück.
Die altorientalische Chronologie läßt sich vor dem 14. Jahrhundert v. Chr. noch nicht
in absolut sicheren Daten beschreiben. Der Unsicherheitsfaktor beträgt 10 bis 50 Jahre
bis hinauf nach 2000 v. Chr.; im III. Jahrtausend v. Chr. nähert er sich 100 bis 150 Jahren;
und davor mögen sich sogar Schätzungen nach Jahrhunderten als unsicher erweisen.
Unserer Darstellung ist die sogenannte Mittlere Chronologie zugrunde gelegt, die von
einem Regierungsdatum Hammurāpis von Babylon = 1792–1750 ausgeht, was willkür­
lich erscheinen mag. Da indes sehr häufig die Regierungsdaten der Herrscher von zwei
Anmerkungen 265

oder sogar drei aufeinanderfolgenden Jahrhunderten in sich genau feststehen, haben


wir es – z. B. bei den altbabylonischen Dynastien von Larsa, Isin und Babylon – mit
chronologischen «Blöcken» zu tun, die zwar in sich exakt, als ganze jedoch auf der Da­
tenskala verschiebbar sind. Wer also einen historischen Einzelabschnitt beschreibt,
kann sich auf eine in sich geschlossene «relative Chronologie» stützen.
Die Arbeit von Hermann Gasche et al., Dating the Fall of Babylon (1998), kann als
gute Einführung in die chronologischen Probleme dienen. Lösen konnten die Auto­
ren diese Probleme aber auch noch nicht vollkommen.
Die vorangehenden Bemerkungen zur Chronologie möge der Benutzer der Zeit-
tafel S. 261–263 beachten. Mehr ins einzelne gehende Zeittabellen bei Amelie Kuhrt
(s. oben). Nach wie vor am praktischsten zu benutzen sind die Tabellen bei John
A. Brinkman in A. Leo Oppenheim, «Ancient Mesopotamia» (1964), S. 335–347, so-
wie die «Cross-Civilizational Chronological Chart for the Ancient Near East», ebd.
S. 348–352.
Gute Information über die verschiedensten Stichwörter wie z. b. «Iran», «Iraq»,
«Kupfer», «Mureybet», «Obsidian» liefert das RlA (s. oben, Abkürzungen), das zwi­
schen 1957 und 2003 die Buchstaben G bis O abhandelt.

3. Der Beginn der sumerischen Hochkultur (S. 20–26):

Zum Beginn der Schrift: Adam Falkenstein, Archaische Texte aus Uruk (1936);
Robert K. Englund, «Texts from the Late Uruk Period», in: Pascal Attinger / Markus
Wäfler (Hsg.), Mesopotamien. Späturuk-Zeit und Frühdynastische Zeit (1998).
Schriftvorläufer («Tokens»): Denise Schmandt-Besserat, Before Writing
(1992).
3
Zum Rollsiegel: Anton Moortgat, Vorderasiatische Rollsiegel (1940, 1988);
Dominique Collon, First Impressions (1987); Holly Pittman, «Cylinder Seals and
Scarabs in the Ancient Near East», in: cane iii (1995) 1589–1604.
Zur Architektur: Ernst Heinrich, Schilf und Lehm. Ein Beitrag zur Baugeschichte
der Sumerer (1934); Michael Roaf, «Palaces and Temples in Ancient Mesopotamia»,
in: cane i (1995) 423–442.

4. Schrift, Sprachen und Schreiber um die Wende


vom IV. zum III. Jahrtausend v. Chr. (S. 26–36):

Zur Schrift: Margaret W. Green / Hans J. Nissen, Zeichenliste der archaischen


Texte aus Uruk (1987); Robert K. Englund / Hans J. Nissen, Die lexikalischen Listen
der archaischen Texte aus Uruk (1993); Dietz O. Edzard, «Keilschrift», in: RIA 5
(1976–1980) 544–568.
Zum Sumerischen: Dietz O. Edzard, Sumerian Grammar (2003).
Zum Akkadischen: Wolfram von Soden, Grundriß der Grammatik des Akkadi­
3
schen (1952, 1995); John Huehnergard, A Grammar of Akkadian (1997).
Semitische Sprachen: Gotthelf Bergsträsser, Introduction to the Semitic Langua­
ges (deutsch 1926, englische Übersetzung von Peter T. Daniels, 1983).
Ilse Wegner, Hurritisch: Eine Einführung (2000).
Zum Elamischen s. die Bibliographie zu Kapitel 15.
266 Anhang

Zu möglichen elamisch-dravidischen Zusammenhängen: D. W. McAlpin, Proto­


Elamo-Dravidian: The Evidence and its Implication (1981).
Zur «Uruk Expansion»: G. Algaze, The Uruk World System: the dynamics of ex­
pansion of early Mesopotamian civilization (1983); dazu Michael Roaf (wie bei Kapi-
tel 1–2), «Die urbane Explosion (4000–3000 v. Chr.)», 58–95.

II. Mesopotamien im III. Jahrtausend v. Chr. vorm Entstehen


des Reiches von Akkade (S. 37–75):

Zitat Fritz R. Kraus: «Journal of Cuneiform Studies 3» (1951) 1.


Zu John A. Brinkman, «Prelude ...» s. unten bei Kapitel 14.

5. Die Sumerische Königsliste (S. 38–42):

Edition und noch immer weitestgehend verbindlicher Text bei Thorkild Jacobsen,
The Sumerian King List (1939); vgl. auch Joachim Krecher, «Sumerische Literatur», in:
Wolfgang Röllig (Hsg.), Altorientalische Literaturen (1978), 100–150, besonders
S. 106 etc. «Geschichte des Einen Königtums»; Dietz O. Edzard, «Königslisten und
Chroniken. A», in: RlA 7 (1980–1983) 77–84; Claus Wilcke, «Die Sumerische Königs­
liste und erzählte Vergangenheit», in: Jürgen von Ungern-Sternberg / Hansjörg Rei­
nau (Hsg.), Vergangenheit in mündlicher Überlieferung (1988) 113–140.
Zu «Gilgameš und Akka» s. Dina Katz, Gilgamesh and Akka (1981).
Zum Sexagesimalsystem der Zahlen s. Jöran Friberg, «Mathematik», in: RlA 7
(1987–1990) 531–585, besonders S. 553–542; Marwin A.Powell, «Metrology and
Mathematics in Ancient Mesopotamia», in: cane iii (1995) 1941–1958.

6. Gamdat Nasr und Tall ῾Uqair (S. 43–45):

Zu den Keilschrifttexten aus den beiden Fundorten s. Englund 1998, wie bei Kapitel 3.

7. Ur (S. 45–48):

Königsgräber von Ur: Leonard Woolley et al., Ur Excavations II. The Royal Ceme-
tery (1934); Roaf 1991 (wie bei Kapitel 1–2) 92–95.
Zu den Städtesiegeln: Roger J. Matthews, Cities, Seals and Writing. Archaic Seal
Impressions from Jemdet Nasr and Ur (1993).
Zu «Mes-ane-pada» und «Mes-kalam-dug» s. RlA 8 (1993–1997) 73– 74, 81–82.

8. Šuruppag und Abu Ṣ alābãh (S. 48–51):


˘
Manfred Krebernik, «Die Texte aus Fāra und Tell Abu Ṣ alābãh», in: Pascal Attin-
˘
ger / Markus Wäfler (Hsg.), Mesopotamien, Späturuk-Zeit und Frühdynastische
Zeit (1998) 235–427.
Zu den Götterlisten: Wilfried G. Lambert, «Götterlisten», in: RlA 3 (1957–1971)
473–479; Manfred Krebernik, «Die Götterlisten aus Fāra», in: Zeitschrift für Assy­
riologie 76 (1986) 161–204.
Anmerkungen 267

9. Lagas (S. 51–60):

Josef Bauer, «Der vorsargonische Abschnitt der mesopotamischen Geschichte», in:


Pascal Attinger / Markus Wäfler (Hsg.), Mesopotamien, Späturuk-Zeit und Frühdy-
nastische Zeit (1998) 429–585.
Zum Inschriftencorpus des präsargonischen Lagaš: Horst Steible, Die altsumeri-
schen Bau- und Weihinschriften (2 Bde., 1982); dort I 120–145 zur Inschrift der
«Geierstele» des E-ana-tum; S. 288–324 zu den «Reformtexten» des Iri-kagina.

10. Lugal-zage-si (S. 60–61):

Aage Westenholz: «Lugalzagesi», in: RlA 7 (1987–1990) 155–157; Claus Wilcke,


in: Tsvi Abusch et al. (Hsg.), Festschrift William L. Moran (1990) 455–504.

11. Das Diyāla-Gebiet (S. 62–64):

Thorkild Jacobsen, The <Gimilsin> temple and the palace of the rulers at Tell As­
mar (1940).

12. Mari (S. 64):

Jeanne-Marie Aynard / Jean-Robert Küpper / Agnes Spycket, «Mari», in: RlA 7


(1987–1990) 382–418; Jean-Claude Margueron, «Mari: A Portrait in Art of a Meso­
potamian City-State», in: cane ii (1995) 885–900.
Seit 1982 widmet sich eine eigene Zeitschrift MARI (= Mari. Annales de Recher­
ches Interdisciplinaires) den philologischen und archäologischen Belangen des Fund-
orts.

13. Ebla (S. 65–68):

Luzio Milano, «Ebla. A third-Millennium City-State in Ancient Syria», in: cane


ii (1995) 1219–1230.
Zum Vertrag zwischen Ebla und Abär-sal s. Dietz O. Edzard, «Der Vertrag von
Ebla mit A-bar-Qa», in: Pelio Fronzaroli (Hsg.), Literature and Language at Ebla
(= Quaderni di Semitistica 18, 1992) 187–217.

14. Das Hābūr-Dreieck und das späte Assyrien (S. 68–69):


˘
Zu Tall Baidar s. Farouk Ismail, Walther Sallaberger et al., Administrative Docu­
ments from Tell Bey dar (1996).
Zu Assyrien allgemein Eva Cancik-Kirschbaum, Die Assyrer. Geschichte, Gesell-
schaft, Kultur (2003).

15. Elam und «Iran» (S. 69–72):

Elizabeth Carter / Matthew Stolper, Elam. Surveys of Political History and Ar­
chaeology (1984); Burchart Brentjes, «The History of Elam and Achaemenid Persia:
268 Anhang

An Overview», in: cane ii (1995) 1001–1021; Francois Vallat, «Susa and Susiana in
Second Millennium Iran», ibid. 1023–1033.
Gene B. Gragg, «Less-Understood Languages of Ancient Western Asia», in:
cane iv (1995) 2161–2179, besonders S. 2162 ff. und 2178 (Bibliographie).

16. Tilmun und der Persische Golf (S. 72–73):

Anschauliche Landkarte über die Beziehungen zwischen Babylonien, Golfregion


und Indusgebiet bei Michael Roaf (wie bei Kap. 1–2) 98.
Daniel Potts (Hsg.), Dilmun. New Studies in the Archaeology and Early History
of Bahrain (1983).
Wolfgang Heimpel, «Magan», in: RlA 7 (1987–1990) 195–199; ders., «Meluhha»,
˘˘
in: RlA 8 (1993–1997) 53–55.

17. Die Leistung der Keilschrift an der Schwelle zum Reich


von Akkade (S. 73–75):

Dietz O. Edzard, «Keilschrift», in: RlA 5 (1976–1980) 544–568.

III. Das Reich von Akkade (S. 76–95)

Zum Herrscherstemma (S. 77): Die angegebenen Regierungsdaten samt ihren Va­
rianten entstammen der Sumerischen Königsliste (s. bei Kap. 5).

18. Sargon (S. 77–83)

19. Rãmuš und seine Nachfolger (S. 83–92):

Zum Inschriftencorpus: Douglas R. Frayne, Sargonic and Gutian Periods (2334–2113


BC) = The Royal Inscriptions of Mesopotamia. Early Periods 2 (1993).
Sabina Franke, Königsinschriften und Königsideologie. Die Könige von Akkade
zwischen Tradition und Neuerung (1995).
Joan G. Westenholz, «Legends of the Kings of Akkade» (1997).
Piotr Steinkeller / Eva Strommenger, «Man-ištūšu», in: RlA 7 (1987–1990) 334–339.
Zur Tochter Sargons: Annette Zgoll, Der Rechtsfall der En-hedu-Ana im Lied
nin-me-šara (1997).
Zur Keilschrift-Historiographie: Albert K. Grayson, Assyrian and Babylonian
Chronicles (1970); Jean-J. Glassner, Chroniques mesopotamiennes (1993).

20. Das Ende von Akkade – Rückblick (S. 92–95):

Jean-J. Glassner, La chute d’Akkadé. L’événement et sa mémoire (1986).


Zu den Gutäern: William W. Hallo, «Gutium», in: RlA 3 (1957–1971) 708–720.
Anmerkungen 269

IV. Utu-hegal, Gudea, die III. Dynastie von Ur


und ihre unmittelbaren Nachfolger (S. 96–111)

21. Utu-hegal von Uruk, Gudea von Lagas und seine Dynastie (S. 97–98):
2 2
Utu-hegals Siegesinschrift: Douglas R. Frayne (wie bei Kap. 18–19) ^3~ 93–
Gudea: Dietz O. Edzard, Gudea and his Dynasty = The Royal Inscriptions of Me­
sopotamia. Early Periods 3/1 (1997).

22. Das Reich der III. Dynastie von Ur (S. 99–106):

Inschriftencorpus: Douglas R. Frayne, Ur III Period (2112–2004 BC) = The Royal


Inscriptions of Mesopotamia. Early Periods 3/2 (1997).
Jacob Klein, «Shulgi of Ur: King of a Neo-Sumerian Empire», in: cane ii (1995)
843–857.
Walther Sallaberger, Der kultische Kalender der Ur III-Zeit (2 Bde., 1993).
Zum Codex Ur-Namma: Claus Wilcke, «Der Kodex Urnamma (CU): Versuch
einer Rekonstruktion», in: Gedächtnisschrift Thorkild Jacobsen (2002) 291–
333.
Zum Maß- und Gewichtssystem: Marvin A. Powell, «Maße und Gewichte», in:
RlA 7 (1987–1990) 457–517.

23. Der Niedergang von Ur III: Isin als Nachfolgerin und


die Zersplitterung Babyloniens (S. 106–111):

Zur Königskorrespondenz: Piotr Michalowski, «Königsbriefe», in: RlA 6


(1980–1983) 51–59; Fabienne Huber, «La correspondance royale d’Ur, un corpus
apocryphe», in: Zeitschrift für Assyriologie und Vorderasiatische Archäologie 91
(2001) 161–206.
Piotr Michalowski, The Lamentation over the Destruction of Sumer and Ur
(1989).
Thorkild Jacobsen, «The Lament for Ur», in: The Harps that once ... (1987)
447–474.
Dietz O. Edzard, «Išbi-Erra», in: RlA 5 (1976–1980) 174–175.
Auch für die Könige Naplānum (Nablānum), Išme-Dagān, Lipit-Ištar sind die ent­
sprechenden Bände des RlA zu konsultieren.
Sumerische Literatur: Dietz O. Edzard, «Literatur», in: RlA 7 (1987–1990) 36–48;
dort 48–66 Wolfgang Röllig zur akkadischen Literatur.
Dietz O. Edzard, «Altbabylonische Literatur und Religion», in: Pascal Attin­
ger / Markus Wäfler (Hsg.), Annäherungen 4: Die altbabylonische Zeit (2004)
483–640.
Zu den Leberomina: Rosmarie Leiderer, Anatomie der Schafsleber im babyloni­
schen Leberorakel (1990); Ulla Jeyes, Old Babylonian Extispicy (1989).
270 Anhang

V. «Assyrien», Nordmesopotamien, Nordsyrien

am Anfang des II. Jahrtausends v. Chr. (S. 112–120)

24. Assur und «Assyrien» (S. 112–116):

Zu den altassyrischen «Handelskolonien»: Klaas R. Veenhof, «Kanesh: An Assyri-


an Colony in Anatolia», in: cane ii (1995) 859–871.
Paul Garelli, Les assyriens en Cappadoce (1983).

25. Mari und der nordmesopotamisch-nordsyrische Raum (S. 116–120):

Pierre Villard, «Shamshi-Adad and his Sons: The Rise and Fall of an Upper Meso-
potamian Empire», in: cane ii (1995) 873–883.
Zu den halbnomadischen Amurritern: Jean-R. Kupper, Les nomades en Mesopota-
mie au temps des rois de Mari (1957); Michael P. Streck, «Nomaden», in: RlA 9
(1998–2001) 591–595.
Vgl. auch schon die Anmerkungen zu Kap. 12.
Zu den Hurritern: Gernot Wilhelm, Grundzüge der Geschichte und Kultur der
Hurriter (1982).

VI. Babylonien im 19.–17. Jahrhundert: Politik, Recht,

Wirtschaft und soziale Verhältnisse, Literatur, Religion und Kult,

Ausblick (S. 121–140)

26. Politik (S. 121–122):

Dietz O. Edzard, Die <zweite Zwischenzeit) Babyloniens (1957).

27. Recht (S. 123–126):

Zum Codex Hammurāpi: Herbert P. H. Petschow, «Zur Systematik und Gesetzes-


technik im Codex Hammurabi», in: Zeitschrift für Assyriologie und Vorderasiati­
sche Archäologie 57 (1965) 146–172; Übersetzung des «Codex»: Rykle Borger, «Der
Codex Hammurāpi», in: Texte aus der Umwelt des Alten Testaments I, 1 (1982)
39–80 (mit Literaturangaben).
Die Sekundärliteratur zu den verschiedenen Aspekten der «Keilschriftrechte» ist
fast unübersehbar. Noch immer nützlich die verschiedenen Artikel «Gesetze» in RIA
3 (1957–1971) 243–297.
Zum Eid (und Meineid): Dietz O. Edzard, «Zum sumerischen Eid», in: Festschrift
Thorkild Jacobsen (1976) 63–98; s. auch die Sammelschrift Sophie Lafont (Hsg.),
«Jurer et maudire» (1996).
Fritz R. Kraus, Königliche Verfügungen in altbabylonischer Zeit (1984).
Anmerkungen 271

28. Wirtschaft und soziale Verhältnisse (S. 126–131):

Nicholas Postgate, «Royal Ideology and State Administration in Sumer and Ak­
kad», in: cane i (1995) 395–411.
Åke W. Sjöberg, «Götterreisen», in: RlA 3 (1957–1971) 480–483.
Märten Stol, «muskenum», in: RlA 8 (1993–1997) 492–493.
Für die (sumerische) Landwirtschaft ist eine eigene Zeitschrift begründet worden:
Bulletin on Sumerian Agriculture, 1 (1984) ff.

29. Literatur (S. 131–135):

Edzard 1987–1990 (s. schon oben bei Kap. 23).


Zu den lexikalischen Listen: Antoine Cavigneaux, «Lexikalische Listen», in: RIA 6
(1980–1983) 609–641.
Dietz O. Edzard, «Sumerisch-akkadische Listenwissenschaft und andere Aspekte
altmesopotamischer Rationalität», in: Karen Gloy (Hsg.), Rationalitätstypen (1999).
Jeremy Black, Reading Sumerian Poetry (1998).

30. Religion und Kult (S. 135–137):

Dietz O. Edzard 2004: s. schon oben bei Kap. 23.


Zum Pantheon: Walther Sallaberger, «Pantheon», in: RIA 10 (2004) 294–308.
Zum Opfer: Gary Beckman / Werner R. Mayer / Andreas Schachner / Walther
Sallaberger / Ursula Seidl, «Opfer», in: RlA 10 (2003 ff.) 93–113.
Zu den Tempelnamen: Andrew R. George, House most High. The Temples of An­
cient Mesopotamia (1993).

31. Ausblick (S. 137–140):

Rosl Pientka, Die spätaltbabylonische Zeit. Abiesuh bis Samsuditana (2 Bde.,


1998); O. G. Meder, Klimatoökologie und Siedlungsgang auf dem Hochland von Iran
in vor- und frühgeschichtlicher Zeit (1971).
John A. Brinkman, «Meerland», in: RIA 8 (1993–1997) 6–10.
Dietz O. Edzard, «Wann ist Sumerisch als gesprochene Sprache ausgestorben?»,
in: Jeremy Black / Gabor Zolyómi (Hsg.), Festschrift Mamoru Yoshikawa (2004).

VII. Die mittelbabylonische Zeit (S. 141–180)

Chronikvermerk betr. Muršili I.: Albert K. Grayson (wie bei Kap. 18–19) 156;
Gernot Wilhelm, «Muršili», in: RIA 8 (1993–1997) 434–435.

32. Babylonien und die Kassiten (S. 142–lyo):

John A. Brinkman, Materials and Studies for Kassite History (1976); ders., «Kassi­
ten», in: RIA 5 (1976–1980) 404–473.
Leonhard Sassmannshausen, Beiträge zur Verwaltung und Gesellschaft Babylo-
niens in der Kassitenzeit (2001).
272 Anhang

Ursula Seidl, Die babylonischen Kudurru-Reliefs. Symbole mesopotamischer


Gottheiten (1989).
John A. Brinkman / Ursula Seidl, «Kudurru», in: RIA 6 (1980–1983) 267–277.
Walter Sommerfeld, «The Kassites of Ancient Mesopotamia: Origins, Politics, and
Culture», in: cane ii (1995) 917–930.

33. Nuzi, Mittani und die Hurriter; die «indoarische» Komponente (S. 150–153):

Gernot Wilhelm / Diana Stein, «Nuzi», in: RlA 9 (1998–2001) 636–647.


Mainard P. Maidman, «Nuzi: Portait of an Ancient Mesopotamian Provincial
Town», in: cane ii (1995) 931–947.
Gernot Wilhelm / Diana Stein, «Mittani», in: RlA 8 (1993–1997) 286–299.
Wilhelm 1982 s. bei Kap. 25.
Zur seinerzeit ideologisch überhitzten Diskussion um «Indoarier» s. Manfred
Mayerhofer, Die Arier im Vorderen Orient – ein Mythos? (1974, erschienen 1975).
Auf die aufsehenerregenden Tontafelfunde aus dem Mittani-zeitlichen Qatna
südlich von Hamath (2002) konnte in diesem Band nicht mehr eingegangen werden.

34. Assur: «Aufbruch zu einem Reich» (S. 153–155):

Zu den Königsinschriften s. Albert K. Grayson, Assyrian Rulers of the Third and


Second Millennia BC to 1115 BC = Royal Inscriptions of Mesopotamia. Assyrian
Periods I (1987).

35. «Amarna» (S. 155–157):

William L. Moran, The Amarna Letters (1992).

36. Die Hethiter (S. 157–163):

Albrecht Goetze, Hethiter, Churriter und Assyrer (1938); ders., Kleinasien

2
( 1957).

Horst Klengel, Geschichte des hethitischen Reiches (1999).

J. G. Macqueen, «The History of Anatolia and of the Hittite Empire: an Over-


view», in: cane ii (1995) 1085–1105; Theo P. J. van den Hout, «Khattushili III, King
of the Hittites», in: cane ii (1995) 1107–1120.
Annelies Kammenhuber, «Hattier, Hattisch», in: RlA 4 (1972–1975) 159–160;
H. Craig Melchert, The Luwians (2003).
Hans M. Kümmel, «Kizzuwatna», in: RlA 5 (1976–1980) 627–631.
Susanne Heinholdt, Arzawa. Untersuchungen zu seiner Geschichte nach den
hethitischen Quellen (1977).
Zu den hethitischen Gesetzen: Einar von Schuler, «Hethitische Rechtsbücher», in:
Texte aus der Umwelt des Alten Testaments I, 1 (1982) 96–124.
Zur hethitischen Literatur: Einar von Schuler, «Literatur bei den Hethitern», in:
RlA 7 (1987–1990) 66–75.
Anmerkungen 273

37. Assyrien. Erster Höhepunkt (S. 163–173):

Zu den Königsinschriften: Albert K. Grayson, Assyrian Rulers of the Early First


Millennium I (1114–857 BC) = Royal Inscriptions of Mesopotamia, Assyrian Peri­
ods 2 (1991); s. auch Grayson 1982 bei Kap. 34.
Bustenai Oded, War, Peace, and Empire. Justifications of War in Assyrian Royal
Inscriptions (1992).
Mittelassyrische Gesetze: Rykle Borger, «Die mittelassyrischen Gesetze», in: Tex­
te aus der Umwelt des Alten Testaments I, 1 (1982) 80–92.
Hof- und Haremserlasse: Ernst Weidner, «Hof- und Harems-Erlasse assyrischer
Könige aus dem 2. Jahrtausend v. Chr.», in: Archiv für Orientforschung 17 (1956)
257–293.
Tukulti-Ninurta-Epos: Peter Machinist, The Epic of Tukulti-Ninurta I: A Study in
Middle Assyrian Literature (1978).
Zur Provinzeinteilung: Karen Radner, RlA 10/7–8 (2005) unter «P.».

38. Die Aramäer (S. 173–174):

Paul E. Dion, «Aramaean Tribes and Nations of First-Millennium Western Asia»,


in: cane ii (1995) 1281–1284.

39. Rückblick (S. 174–180):

Mentalitätengeschichte: Christian Meier s. unten Raulff 1987, 163–182.


Zu Alalah: Horst Klengel, «Mukis», in: RlA 8 (1993–1997) 360–370.
Zu Emar: Michael Heltzer, «Imar (Emar)», in: RlA 5 (1976–1980) 65–66.
Walter Sommerfeld / Annelies Kammenhuber / Dessa Rittig, «Marduk», in:
RlA 7 (1987–1990) 360–374.
Mentalitätengeschichte: Ulrich Raulff (Hsg.), Mentalitäten-Geschichte (1987).

VIII. Jahrhunderte großer Konstellationen: Assyrien, Babylonien,


die Golfregion, Elam, Urarṭ u, Kleinasien und der ‹Westen›,
Syrien-Palästina, Ägypten (S. 181–236)

40. Assyrien und ein zersplittertes Babylonien (S. 181–184):

John A. Brinkman, «Nebukadnezar I.», in: RIA 9 (1998–2001) 192–194.


Chaldäer: Dietz O. Edzard, «Kaldu (Chaldäer)», in: RlA 5 (1976–1980) 291–297.

41. Assurnasirpal II. – ein Sadist auf dem Thron? (S. 184–187):

Die Inschriften: Albert K. Grayson, «Assyrian Rulers of the Early First Millenni-
um BC» I, in: The Royal Inscriptions of Mesopotamia. Assyrian Periods 2 (1991)
189–395.
Mario Liverani, Studies on the Annals of Ashurnasirpal II 2: Topographical Ana-
lysis (1992).
274 Anhang

Bustenai Oded, Mass Deportations and Deportees in the Neo-Assyrian Empire


(1979).

42. Elam (S. 187–192):

Carter / Stolper 1984 s. bei Kap. 15.

43. Urartu (S. 192–195):

Mirjo Salvini, Geschichte und Kultur der Urartäer (1995) / mit ausführlicher Bi-
bliographie.
Zur Sprache der Urartäer: Igor M. Diakonoff / S. A. Starostin, Hurro-Urartian as
an Eastern Caucasian Language (1986).

44. Assyrien von Salmanassar III. bis zu Tiglatpileser III. (S. 195–207):

Zu den Königsinschriften Albert K. Grayson, «Assyrian Rulers of the Early First


Millennium BC II (858–745 BC)», in: Royal Inscriptions of Mesopotamia. Assyrian
Periods 3 (1996) 5–247.
Hayim Tadmor, The Inscriptions of Tiglath-Pileser III King of Assyria (1994).
Zu Semiramis: Jamie S. Novotny, «Sammu-rāmat (Sammu-râmat)», in: The Pro­
sopography of the Neo-Assyrian Empire III/i (2002) 1083–1084.

45. Sargon (S. 207–213):

Andreas Fuchs, Die Inschriften Sargons II. aus Khorsabad (1994).


A. Leo Oppenheim, «The City of Assur in 714 B. C», in: Journal of Near Eastern
Studies 19 (1960) 133–147 (zu Sargons 8. Feldzug).
Mirjo Salvini / Rainer M. Boehmer, «Musasir», in: RlA 8 (1993–1997)
444–450.
Hans-U. Onasch, Die assyrischen Eroberungen Ägyptens (2 Bde., 1994).
Florence Malbran-Labat, L’armée et l’organisation militaire d’après les lettres
Sargonides trouvées à Ninive (1982).
Simo Parpola, The Correspondence of Sargon II, Parti (1987); Giovanni B. Lan­
franchi / Simo Parpola, The Correspondence of Sargon II, Part II (1990); Andreas
Fuchs / Simo Parpola, The Correspondence of Sargon II, Part III (2001).

46. Sanherib und Asarhaddon (S. 214–224):

Eckart Frahm, Einleitung in die Sanherib-Inschriften (1997).


Rykle Borger, Die Inschriften Asarhaddons Königs von Assyrien (1956).
Zum Lapislazuli(-berg): Wolfgang Röllig / Georgina Herrmann / P. R. S. Moorey,
«Lapislazuli», in: RlA 8 (1980–1983) 488–492.
Ivan Starr, Queries to the Sudgod. Divination and Politics in Sargonid Assyria
(1990).
Zu Asarhaddons Krankheit: Simo Parpola, «Letters from Assyrian Scholars to the
Kings Esarhaddon and Assurbanipal II» (1983) 231–236.
Anmerkungen 275

47. Assurbanipal (S. 224–229):

Rykle Borger, Beiträge zum Inschriftenwerk Assurbanipals (1996).


Elnathan Weissen / Jill Ruby / Karen Radner, «Aššur-bāni apli», in: The Prosopo­
graphy of the Neo-Assyrian Empire I/1 (1998) 159–171.

48. Die «Bibliothek» Assurbanipals in Ninive (S. 229–234):


e
Klaas R. Veenhof (Hsg.), Cuneiform Archives and Libraries (30 Rencontre Assy­
riologique Internationale, Leiden 1983) (1986), vgl. besonders Simo Parpola, «The
Royal Archives of Ninive», ebd. 223–236.
Zu den lexikalischen Listen vgl. Cavigneaux 1980–1983 oben bei Kap. 29.

49. Der Sturz Assyriens (S. 234–236):

Zu Kandalānu vgl. John A. Brinkman, «Kandalānu», in: RlA 5 (1976–1980)


368–369.
Zu Nabopolassar vgl. John A. Brinkman, «Nabopolassar», in: RlA 9 (1998–2001)
12–16.

IX. Die Weltmacht Babylon. Ihr Fall und der Aufstieg


der Achämeniden in Mesopotamien (S. 237–253)

50. Nabopolassar, Nebukadnezar II. und Nabonid (S. 237–246):

Michael P. Streck / Rainer M. Czichon, «Nebukadnezar II.», in: RIA 9 (1998–


2001) 194–206.
Muhammad A. Dandamayev / Michael Roaf, «Nabonid», in: RIA 9 (1998–2001)
6–12; Hanspeter Schaudig, Die Inschriften Nabonid’s von Babylon und Kyros’ des
Großen (2001).
Zu den Medern und Medien vgl. Stuart C. Brown, «Medien (Media)», in: RlA 7
(1987–1990) 619–623; Rüdiger Schmitt, «Medisch», ebd. 617–618.
Zu hebräischen Personennamen in Babylonien vgl. Ran Zadok, The Jews in Baby-
lonia During the Chaldean and Achaemenian Periods According to the Babylonian
Sources (1979).

51. Die Perser (S. 247–253):

Zum Geschäftswesen: Matthew W. Stolper, «Murasu», in: RlA 8 (1993–1997)


427–429; Kathleen Abraham, Business and Politics under the Persian Empire. The
Financial Dealings of Marduk-nasir-apli of the House of Egibi (521–487 B.C.E.)
(2004).
Zur altpersischen Keilschrift: Dietz O. Edzard, «Keilschrift», § 11.2, «Die altpersi­
sche Keilschrift», in: RlA 5 (1976–1980) 563–565; Manfred Mayrhofer, Historische
Sprachforschung 102 (1989) 174–186.
Muhammad A. Dandamayev, Iranians in Achaemenid Babylonia (1992).
276 Anhang

X. Alexander der Große und seine Nachfolger (254–258)

52. Babylonien unter Alexander dem Großen, den Seleukiden und Arsakiden
(Parthern) (S. 254–258):

Joachim Oelsner, Materialien zur babylonischen Gesellschaft und Kultur in helle­


nistischer Zeit (1986).
Zu den «Graeco-Babyloniaca» und dem Ende der Keilschrift: Markham J. Geller,
«The Last Wedge», in: Zeitschrift für Assyriologie und Vorderasiatische Archäologie
87 (1997) 43–95.
Zu den «Tagebüchern»: Hermann Hunger/David Pingree/Abraham Sachs, Astro­
nomical Diaries and Related Texts from Babylonia (1988–2001).
Erwähnung verdient noch die seit längerem kontrovers geführte Diskussion über
die Frage, wie stark altorientalisches Geistesgut auf die Kultur der klassischen Anti­
ke eingewirkt hat oder wieweit Europa einen «Sonderweg» gegangen ist: Altorienta-
lischer Einfluß stärkstens hervorgehoben von Martin West, The East Face of Heli­
con, West Asiatic Elements in Greek Poetry and Myth (1997); Walter Burkert, Die
Griechen und der Orient (2003); Zurückhaltung bei Edzard 1999 (wie bei Kap. 29)
264–267; zum «Sonderweg» vgl. Christian Meier, Von Athen bis Auschwitz (2002)
64–100: «Athen und Rom: Der Beginn des europäischen Sonderwegs».
Vgl. zur Frage weiter noch: Martin L. West, «Ancient Near Eastern Myths in
Classical Greek Religious Thought», in: cane i (1995) 33–42; Amélie Kuhrt, «An­
cient Mesopotamia in Classical Greek and Hellenistic Thought», ebd. 55–65.
Register

Vorbemerkung: Nicht aufgenommen sind die allgegenwärtigen Begriffe Assyrien,


Assyrer, Babylonien, Babylonier, Akkader, Sumerer.
Antike Namen erscheinen in Kursivdruck, moderne Namen und Ausdrücke in
Normalsatz.

Abalgamaš 84 Akkadisch (Sprache) 31 f., 44, 64–66,


Abār-sal 67 69, 74 f., 81 f., 93 f., 97, 109, 120,
Abu Ṣ alābãh 48–51, 65, 68 143, 146 f., 151, 156, 159 f., 174, 180,
˘
Abirattaš 143 188 f., 204, 249, 255, 257
Achaimenes 242 Akkadogramm 180
Achämeniden 190, 195, 243, 247–253 Akšak 55, 62, 64, 82, 100
Adab 22, 84, 96, 122 Alalah 120, 175
˘
Adad-nārāri I. 165, 169 Alašia (= Zypern) 156
Adad-nērāri II. 182, 187 Aleppo (Halab) 66, 111, 117, 119, 141,
Adad-nērāri III. 200–202 161, 196
Adda-guppi᾿ 243 Alexander der Große 11, 254
Adummatu 221 Alexander Polyhistor 41
Ägäis 13, 160, 247 Alexandria 254
Ägypten, Ägypter 29, 105, 142, 144, Altaramäisch 250
146, 148, 150, 155–157, 161 f., 177, Altpersisch 242, 249 t.
197, 213 f., 219–221, 223, 227 f., 235, Altsüdarabisch 31, 249
237 f., 241, 245, 247, 254 Alyattes 242
Ägyptisch 27 (Hieroglyphen), 29, 156, Amanus 98, 196–198, 245
249, 251 (Personennamen) Amarna 145, 148, 150, 155–157, 213
Äthiopien 29, 31, 249 Amenophis III. 156, 160
Afghanistan 142, 188, 249 Amenophis IV. 145, 150, 155
afro-asiatische Sprachen 29, 31 Aminu 144
Agga 42, 47 Amme-barage-si 42
Ahab von Israel 196, 207 Ammi-ṣ aduqa 126, 178
Ahaz von Juda 207 Amurriter 91, 93, 104, 107, 109 f., 112,
Ahhijawa 160, 177, 213 117 f., 120, 139, 142, 164, 173 f., 183
˘˘
Ahlamū 172 Amurritisch 31, 110, 118, 120, 151,
˘
Ahūnu von B ãt-Ad ãni 196 156, 174
˘
Aja-dara-kalama 139 Amut-pi-El 111
Aja-kalam-dug 46 An 49
Aja-kurgal 52 Anabasis 11, 252
Aja-Iulim 38, 41 Ānat (῾Āna) 247
Akkade 37 f., 40, 42, 47, 61, 65, 68, Annalen (hethitisch) 162 f., (assyrisch)
76–95, 105–108, 116, 122, 189, 191, 196–198
207 Anšan 100, 107, 191, 247
278 Anhang

Araber 173, 206 f., 214 f., 221, 228, 245 Aššur-dān 170
Arabien 72, 219, 221, 245 Aššur-dān III. 201 f.
Arabisch 31, 174, 249, 253 Aššur-etel-ilāni 235
Arabisches Meer 13, 72 Aššur-nādin-ahhē 155
˘˘
Aramäer 164, 172–174, 179, 181–184, Aššur-nādin-šumi 214, 218
203, 206, 212, 215, 226, 245 Aššur-nārāri I. 155
Aramäisch (Schrift) 71, 204, 234, 250 Assurnasirpal I. 154
1 1
Aramäisch 71, 174, 190, 204, 249 f., Assurnasirpal II. 181–187, 95' 9^
253 203
Aramu 198 Aššur-nērāri V. 194, 201
Aratta 71 f., 189 Aššur-rē ša-iši 170
Arba᾿il 113, 164, 199 Aššur-uballiṭ I. 145, 150, 154–156,
Arbela 113, 165 164, 166
Arbilum 113, 164 Aššur-uballiṭ II. 164, 235, 237
Argišti I. 193, 201 Assyriasmen 150, 168, 233
Argišti II. 193 «Assyrer» (heutige) 174
Arik-d ãn-ili 155 Assyrische Königsliste 112, 118, 144 f.,
Armenien 32, 192 155, 164
Armenier 194 Astrologie 233
Arrapha 150, 239 Astronomie 233, 252, 255 f., 258
˘
Arrian 142 Astyages 247
Arsakes I. 254 Athene 255
Arsakiden 254, 256 Athribis (Hathariba) 227
˘ ˘
Arsakidenära 254 Aton 156
Arsen 20 Avesta 190
Artaxerxes 247, 256 Aman 187, 191
Artaxerxes II. Memnon 252 aw ãlum 130 f.
Aruna 152
Arwad 171, 239 Ba῾al 220
Arzawa 156, 160 Bāb-ili(m) (= Babylon) 121
Asarhaddon 154, 211, 214–225, 227 Babilla (= Babylon) 121
Ašdod 239 Babylon 10 f., 42, 108, 110 f., 116,
Askalon 156 118 f., 121 f., 136–138, 140–146, 149,
Ašnuna 62 154, 157, 161, 166, 169, 171, 175 f.,
Ašqaluna s. Askalon 178, 187, 190, 197, 203, 212,
Assur 10, 67, 69, 86, 112–119, 122, 214–216, 219 f., 224–226, 228, 234,
136 f., 142, 144, 147, 153–156, 164 f., 236, 238–240, 246f., 249, 252,
167 f., 169 f., 175, 177, 182, 186, 254, 257
196 f., 199, 207, 209, 219, 231, 237 f. «Bach von Ägypten» 213
Assur (Gott) 136 f., 155, 165 f., 182, Badahšān 13, 220
˘
198, 216, 219, 227 Badra 64, 102
Aššur-ahu-iddina 218, s. Asarhaddon Badtibira 22
˘
Aššur-bān-apli 224, s. Assurbanipal Baghdad 10, 43, 82, 147, 154, 257
Assurbanipal 154, 167, 194, 211, Baḥ rain 72 f., 100, 166
224–236, 238, 241–243, 256 Bal ãh 79, 119, 122, 172, 196
˘
Aššur-bē l-kala 181 f. Bara-namtara 58
Aššur-da᾿in-apli 199 Barsatatar 152
Register 279

Bartatua (Protothyes) 222 Damqi-ilišu 139


Basar 91 Dareios I. 247, 249–251
Baskisch 33 Dareios II. 247
Ba᾿u 57–59 Dašt-i Kav ãr 220
Bāzu 221 Demavend 220
Beda Venerabilis 181 Deportation 167, 186, 203 f., 236, 239,
Beirut (Berūtu) 156 241, 245
Bel-šarra-uṣ ur (= Belsazar) 245 f. Dē r 42, 56, 61, 63, 102, 108, 191, 212,
Belsazar 245 f. 255
Bē l-tarṣ i-ilumma 201 Dēr al-Zōr 91
Bē lu-bāni 145 Diadochen 254
Berbersprachen 29 «Diaries» 256 f.
Berossos 41, 203 Dilbat 122
Berūtu (= Beirut) 156 «Distanzangaben» 182
Biainili 192 Diyāla 82, 122, 197 f.
Biblisch-Aramäisch 174 Diyāla-Gebiet 62–64, 104, 117,
Bikni 220, 241 139
Bisuru 91 Diyarbakir 196
B ãt-Ad ãni 196, 198 Diz 69
B ãt-Amukkāni 197, 237 Donez-Platte 194
B ãt-Dakkūri 197, 237 Dravidasprachen 31
B ãt Jak ãn 212, 237 Dromedar 172, 181, 220
Borsippa 122, 238, 255 dub-sar 39
Bronze 15, 20, 114, 184 «Dunkles Zeitalter» 145, 147
Bupalassaros (= Nabopolassar) 235 Dūr-Jaggid-L ãm 165
Burna-Buriaš I. oder II. 147 Dūr-Katlimmu 165, 211
Burna-Buriaš I. 143 Dūr-Kurigalzu 171
Burna-Buriaš II. 143, 145, 150, 166, 183 Dūr-Šarru-kē n 195, 210 f., 216
Buruschaski 33
Byblos 13, 156, 161, 171, 197 E-ana-tum 42, 52, 54–56, 62, 64, 71,
98
Č āġir Bāzār 69 Ebla 49 f., 61, 64–69, 79, 92, 112, 147,
Čaišpiš 242 232
Chaldäer 153, 184, 197, 206, 212, 215, Echnaton 155
228, 237, 243, 245 é-gal «Palast» 43
Chalkolithikum 20 Egibi 251
Chytros (Kitrusi) 220 E-hursag-kalama 182
˘
Cizre 171, 196, 217 Eiszeit 14
Codex Hammurāpi 58, 94, 98–100, Ekallātum 116, 118 f.
121–125, 130, 139, 168, 191 Ekbatana 245
Codex Lipit-Ištar 99 f. Ekur 90, 96
Codex Ur-Namma 99 f., 125 Elam 27, 31, 41, 52, 55, 62, 69–72,
Cudi Dağ 217 78 f., 86, 94 f., 100, 104 f., 107, 109,
115, 117, 123, 131, 183, 187–192,
Dagān 79 212, 214 f., 219, 224–226, 241 f., 249
Damas (Damasu) 220 Elamisch 31, 33, 71, 151, 187–189,
Damaskus 31, 196–198, 201 f. 192, 249 f.
280 Anhang

Emar 66, 119, 175 Ǧabal Maqlūb 210


en 71 Ǧabal Sinǧār 13
EN (in Ebla) 67 Ǧamdat Naṣ r 43–45, 47 f., 73
En-ana-tum I. 52 Gambulu 226
En-ana-tum II. 52 Gāvur Dağ 98
En-ane-du 244 Gaugamela 254
En-entar-zi 52 Gaza 213, 239
En-gilsa 86 Ǧazãra 113
En-hedu-Ana 80 f. Geierstele 54 f.
˘
Eninnû 98 geme 59
Enki 22, 48 f., 55 Georgisch 33
Enlil 44, 49, 55, 60 f., 78 f., 84, 90 f., 93, «Gerechter Leidender» 179
96, 107, 127, 165 Gilgameš(-Epos) 42, 47, 50, 71, 109,
Enlil-nādin-ahi 183, 191 131 f., 135, 163, 171, 176, 189, 231,
˘
Enmebaragesi 41 f., 189 252, 255
Enmerkar 71 f., 132, 189 Gindibu 197
En-metena 52 f., 55 f., 75, 79 Girsu 22, 50–60, 71, 78, 81, 96–98,
ensi 98, 102, 107 f. 103, 122
En-suhkešda-ana 72 Gobryas (Gubaru) 246
˘
Enūma eliš 176, 216, 219, 231, 245 Götterliste 49 f.
Eponymen 119, 146, 186, 193 Gold 15
eren 59 Gomel 216
Eridu 19, 21 f., 38 f., 41, 49, 55, 122 Golf-Urstrom 14
Erišum I. 182 Golf von Aden 13
Eriwan s. Jerevan «Graeco-Babyloniaca» 257 f.
Erridupizir 93 Griechen 10f., 212 f., 252, 254 f., 257
Ešnunna 62 f., 82, 99, 108, 111, 122, Griechisch 31, 249
125, 145 F. G. Grotefend 249
E-temen-anki 219 Gu-aba 71, 97
Eulaios (Ulai) 225 Gubaru (Gobryas) 246
Euphrat 10, 14 f., 17, 34, 39 f., 45, 61 f., Gubla s. Byblos
65–70, 72, 79, 82, 91, 116, 119, 139, Gudea 88, 98, 105
147, 154 f., 161, 171 f., 175, 186, 188, gugal, gugallum 128
191, 196, 199 f., 215, 219, 236, 238, Gūgu (Gyges) 226 f.
242, 247, 256 Gulkišar 139
Gungunum 109
al-Fāra 48 C. Gulbenkian 15
Fārs 69, 187, 242, 249 Gunidu 52
Feudalismus 148 Gutäer, Gutium 90 f., 93, 96 f., 109,
«Flaschenhals» 10, 13 f., 39, 62, 82, 122, 141, 155, 164, 220, 227
147, 154, 174, 242 Gyges (Gūgu) 226 f., 243
«Fluch über Akkade» 90
Flußordal 137 Ḥ abūba Kabãra 34

Hābūr(-Gebiet, -dreieck) 15, 18, 62,

˘
Ǧabal ῾Abdu-l-῾Azãz 64, 68 f., 112, 116, 118 f., 150, 165,
Ǧabal Bišri 13, 95, 186 172, 175
Ǧabal Ḥ amrãn 13, 69, 112, 147, 172 Hadad-ezer von Damaskus 196 f.
Register 281

Hafa¯ ği 62 Hurrāmabād 192

˘ ˘
Haha¯ maniš 242 Hurriter 32, 104, 120, 122, 142,

˘
Ḥ alab (Aleppo) 119 150–153, 160 f., 164, 167
Halab s. Aleppo Hurritisch 33, 120, 142, 151, 153, 156,
˘
(Tall) Ḥ alaf s. Tall Ḥ . 160 f., 193, 199
Haldi 193, 210 Hursag-kalama 42
˘ ˘
Halulê 215 Hulteludiš-Inšušinak 183
˘
Hamanu 209 Huzirãna 231
˘ ˘
Hamath (Ḥ amā) 66, 196–198 Hūzistān 69 f., 79, 188
˘
Hammurāpi 108, 110 f., 116, 118 f.,
121 f., 126, 131, 136, 138 f., 145, 154, Ibbi-Suen 101, 106 f., 111, 116, 190 f.
178, s. a. Codex H. Idu (Ḥ ãt) 172
Hanigalbat 150, 155, 192 Il-aba 79
˘
Hāniqãn 197 Ilãma-Il 139
˘
Hanūnu 213 Ilion 160
Harrān 231, 235, 237 f., 243–245 ilkum 129
˘
Hasura (Hasor) 120 Ilušuma 145
˘
Hathariba (Athribis) 227 Imar s. Emar
˘
Hatti 156, 160, 239, 245, 196 f., 241 Inanna 49, 71 f., 80 f., 90, 132, 189
˘
Hattier 160
Indara, Indra 152
Hattusa 13, 114, 120, 152, 159–162,
Indischer Ozean 177, 188
˘
176 Indogermanen 153
Hattusili I. 161 f. «indoarische» Sprachreste 153
˘
hazannu 150 «indoarische» Termini 152
˘
Haza-El 198, 221 Indus(gebiet, -kultur) 13, 72, 98, 188,
Hebräer (Personennamen) 239, 251 213
Hebräisch 31, 174, 249 Interlinearbilinguen 134, 176
Hellenisierung 254 f., 257 Ionier 206, 213
Herodot 214, 242 f. Ionien 220
Hethiter 115, 141, 157–163, 197, 220, «Iran» 69–72
226, 245 Irbil 113
«Hethiter» (traditionell) 194 Irhulenu, Irhuleni von Hamath
˘ ˘
Hethitisch 151, 159 f., 180, 226 196 f.
Hieroglyphen (ägyptische) 27 Iri-kagina 52, 56–60, 75, 78, 86, 98 f.,
«Hieroglyphen-Hethitisch» 160 178
Hindukusch 13, 33 Išbi-Erra 106–109, 116, 191
Hišip-rasini 78 Isin 106–111, 122, 138, 140, 183
˘
Hiskia 214 Iškibal 139
Ḥ ãt (Idu) 15, 172 Išme-Dagān von Isin 109, 132
Ḥ ittãm 160 Išme-Dagān von Assyrien 118, 155
«Hof- und Haremserlasse» 169 Išnun(a) 62, 82
Hōr 149 Israel 196, 207
«Horizont» 18, 21 Issos 254
Horsābād 210 f. Ištar 77, 81, 90, 132
˘
Hosea 207 Ištaran 56, 64
Hosr 210, 216 Ištumegu (Astyages) 247
˘
Hubuškia 196, 198 t. ius talionis 125
˘
282 Anhang

Jadnana (Zypern) 220 Kassiten 122, 140–151, 155, 164, 167,


Jahdun-Lãm 118 182 f., 191, 212, 244
˘
Jahresnamen 91 f., 94, 101, 119, 138, Kaštiliaš IV. 165 f., 169
162 f. Katmuhu 171 f.
˘
Jaman (Ionien) 220 Kaukasien, Kaukasus 32, 120, 142,
Jamhad 111 159–193
˘
Jamnāja (= Jaunāja, Ionier) 213 Kayseri 114, 198
Jarãm-Lãm 111 Kazallu 84, 100
Jasmah-Adad 118 f. Keši 50, 55, 122
˘
Jaunāja (Ionier) 213 Kiengi 60
Jaxartes 247 Kilikien 206, 213
Jemen 31, 184 Kimmerier 217, 220, 227
Jenseitsvorstellungen 135 Kimuhu 237
˘
Jerevan 193 Kirkuk 15, 88, 113, 150, 152
Jericho 17 Kirta 152
Jerusalem (Ursalim) 156, 214, 239, Kiš 22, 39–46, 51, 55 f., 61–65, 68, 76,
249 78, 80–82, 84, 87, 94, 108, 121 f.,
Josephos 203 131, 154, 189, 255
Juda 120, 207, 214 kiššatum 76
Juden 249 Kitrusi (= Chytros) 220
Kızıl Irmak 160
Kadašman-Enlil I., II. 143 Kizzuwatna 160 f., 206
Kadašman-Harbe I., II. 143 Klagelied (literarisch) 132
˘
Kadašman-Turgu 143 Königshymnus 105, 109, 132
kalam 60 «König von Kiš» 42, 45, 55, 61 f., 76
Kalhu 186, 196, 201, 210, 221, 238 Kolophon 230
˘
Kalkstein 15 Kossaioi 142
Kambyses II. 247 Kreta 95, 177
Kamel 172, 179, 181, 184, 207, 220 Kroisos 247
kanaanäisch 174 kudurru 147 f., 179, 183, 191
Kanaanismen (im Akkadischen) 156 Kunaxa 252
Kandalānu 228, 234, 255 Kunstprosa 133
Kaniš 114 f., 117, 159 Kupfer 15, 20, 73, 114, 132
Kaptara (Kreta) 95, 177 Kuras (Kyros) 226, 242
Karaindas 143, 179 Kurden 165, 187, 253
Karduniaš 156, 165 f., 171, 197, 212 Kurî (= Kurion) 220
Karha 69, 187, 225 Kurigalzu I., II. 143, 148
˘
Karisch 249 Kurion (Kurî) 220
Karkemiš 66 f., 119, 194, 196–198, Kurruhanni 152
˘
238 Kuš (= Nubien) 219 f.
Kār-Tukulti-Ninurta 166, 169, 186 Kuschiter 235
kārum 114 f. Kutha 86, 127, 255
Kārūn 69, 71, 188 Kutir-Nahhunte 191
Kašiaru-Gebirge (= Tūr ῾Abdãn) 167, Kyaxares 235, 242
196 Kyros I. 226, 243
Kaspische Senke 13, 194 Kyros II. 245–247, 249
Kaspisches Meer 171, 177 Kyros der Jüngere 252
Register 283

Lā-abāš-Marduk 243 Malgium 122


Labynetos 242 maliktum (Ebla) 67
Lagaš 22, 37, 42, 50–60, 62, 64, 71 f., Manichäer 174
81, 86, 88, 97–99, 102, 105, 122 Man-ištūšu 77, 84–86
Lakkisch 142 Mannäer 194, 198, 210, 220, 242, 249
Langobarden 153 Marada 100
«Lapislazuli-Gebirge», «-berg» 13, 220 Mardin 68, 196
Larsa 22, 45, 49, 55, 60, 108–111, marijannu 153
121 f., 139 f., 145, 238, 244, 255 Marduk 136, 169, 175–177, 191,
Laspa (= Lesbos) 177 197–199, 203, 206, 215 f., 219, 231,
Lesbos (Laspa) 177 238, 245, 247
lexikalische Listen, Lexikographie 34 f., Marduk-apla-iddina II. 212
40, 49 f., 60, 65, 134, 136, 149, 163, Marduk-mudammiq 197
168, 232, 252 Marduk-zākir-šumi 197
Lezgisch 142 márya- 153
Libanon 171, 238, 245 Mari 40, 55, 64–66, 68 f., 79, 83, 102,
Libyen 29, 249 107, 111 f., 115–120, 122, 139, 155,
Lipit-Ištar 109, 178, s. a. Codex L. 165, 191, 247
«Listenliteratur» 134, 232 Maškan-šapir 122
literarische Terminologie 131 f. maškim 57
Literatursprache 133 mašpelā 236
lugal 39 Matiāte 197
LUGAL (in Ebla) 67 Mazamua 196–198, 239
Lugal-anda 52, 58 ME-barage-si 42, 50, s. a. Enmebara­
Lugal-Ane 80 gesi
Lugalbanda 50, 71 f., 132 Meder 198, 206, 220, 226, 235, 241 f.,
Lugal-kiniše-dudu 53, 61 245, 247
Lugal-zage-si 57, 60 f., 77–79, 93 «Medermauer» 242
Lullubäer, Lullubum 88, 155 Medien 69, 219
Lullumu s. Lullubäer Medisch 249
lupus erythematosus disseminatus «Meerland» 139 f., 149, 183
223 Megiddo 156
Luwier 144, 159, 226 Melišipak 143
Luxor 228 Meluhha 13, 72, 79, 98, 166, 219
˘˘
Luristan 142 Meluhha (= Nubien) 213
˘˘
Lyder 206, 226 f., 242, 247 Memphis 221
Lydien 226 «Mentalität» 177
Lydisch 249 Melam-kurkura 139
Lygdamis (= Tugdammê?) 227 Merodach-baladan s. Marduk-apla-id-
Lykier 226 dina II.
Lykisch 249 Mes-ane-pada 42, 45 f., 64
Mesilim 42, 56, 61, 63 f.
Madāja (Meder) 241 Mes-kalam-dug 45–47
Magan 13, 72 f., 79, 84, 98, 100, 219, Mespila 236
238 Meturan 63
Magidda s. Megiddo Midas (II.) 213
Makedonien 249, 254 Midyat 197
284 Anhang

Milet 160 Nanna 49, 80, 127


Millawanda 160 Naqia (Zakūtu) 218, 224, 243
Minäisch 31 Narām-Suen (von Akkade) 77, 86–91,
Minihhimu (= Menahem) 207 95, 101, 191, 244
˘˘
Minua 195 Našattija, Nāsatyā 152
mirãtum 116 Nazibugaš 143
Miṣ ir 213 Nazimurattaš 143
Mitā (Midas II.) 213 Nebukadnezar I. 176, 183, 191
Mithradates I. Philhellen 254 Nebukadnezar II. 153, 183 f., 235,
Mitra 152 237–245, 249, 251, 256
Mitrá 152 Nebukadnezar «III.», «IV.» 249
Mittani 120, 150–153, 155 f., 160 f., Necho I. 221, 227
167, 169, 175 Necho II. 237
Mittelassyrische Gesetze 99, 168 f., Neolithikum 17 t.
178 Nergal 86, 122
Mittelmeer (s. a. «Oberes Meer») 61, Neša 159
171, 196, 198, 238 Neuaramäisch 250
Mosul 113, 147 Nikkû (= Necho I.) 221
Mukiš 175 nin 49
Murašû 251 f. Ningirsu 55–57, 98
Muršili I. 161 Nin-hursanga 53, 55
˘
Muršili II. 141, 162 Ninive 69, 112 f., 122, 164, 167, 186,
Mureybet 17 199, 210, 215 t, 218, 221, 230 t, 233,
Muṣ aṣ ir 193, 198, 210, 226 235–238, 240
muškē num 130 Ninki 55
Muški 171, 201 Ninurta-apil-ekur 170
Muṣ ri-Gebirge 210 Ninurta 196
Muṣ ur 213 Nippur 22, 44 f., 48–51, 55, 60, 78, 84,
Muttakkil-Nuska 170 90–93, 96, 103, 106 f., 110, 122,
Muwatalli II. 162 127 f., 131, 136, 143, 146, 234 f., 251,
255
Nabada 64, 68 Nipur (Berg) 217
Nabi-Enlil 97 Nisaba 60
Nabonid 153, 237, 242–247 Ni᾿u (Theben) 228
Nabopolassar 153, 228, 235, 237 f., Nubien 213, 219
244 Nubisch 249
Nabû 201, 231, 238 nuwā᾿ū 159
Nabû-apla-uṣ ur (= Nabopolassar) 237 Nuzi 13, 150–153
Nabû-balāṭ su-iqbi 244
Nabû-kudurri-uṣ ur (= Nebukadnezar) (al-)῾Obēd 18, 21 f., 24, 73
183, 238 Oberer Zāb 113
Nabû-šē zibanni 227 «Oberes Meer» (= Mittelmeer) 61, 79,
Nairi-Länder 167, 171, 197 f. 84, 238
nam (sumerisches Nominalpräfix) «Oberes Meer von Amurru» (= Mit-
39 telmeer) 171
nam-lugal 38, 60 «Oberes Meer von Narii» (= Van-See)
Namri 197 f. 171
Register 285

Obsidian 17 «Protosumerisch» 30
Odysseus 72 Protothyes (Bartatua) 222
῾Omān 13 f., 31, 72 f., 84, 98, 100, 184 Provinzen 172 f.
Omenkunde (-literatur, -texte) 110, Psammetich I. 27, 237
133, 149, 163, 168, 232 f., 252 Pū-abi 46
Opis 62, 171, 242 Pul(u) 203
Orontes 6, 120, 162, 175 Purušhanda 95
˘
Puzriš-Dagān 103, 128
Pahlavi, Pehlevi 71, 190, 250 Puzur-Aššur I. 145
Palaer 159 Puzur-Inšušinak 190 f.
Palästina 29, 213 f., 219, 241 Puzur-Sin 155
Palmyra 119
Pandschab 188, 249 Qadeš (Schlacht) 162, 197, 213
Pantheon 49, 135 f. Qarqar (Schlacht) 196 f., 206 f.
Paqarahubuna 197 Qatanum 111
˘
Parahšum 79, 84 Qatar 72 f.
˘
Parattarna 152 Qu᾿e 197 f., 206, 213, 227
Parattena 175
Parsumaš 26 Ramses II. 161 f.
Parsu(a) 198 Rangstreitdichtung 132
Parther 254 H. Rassam 230
parzillu (Eisen) 179 Rē ῾ê 213
Patin 198 Reichsaramäisch 71, 190, 250
Pehlevi s. Pahlavi Rãm-Sin 111, 122, 139, 244
Persepolis 249 Rãm-Sin II. 139
Perser 71, 198, 226, 242, 246–253 Rãmuš 77, 83 f., 86 f.
Persis 69 Rollsiegel 18, 24 t.
Persisch, Altpersisch 249 rubā᾿um 67, 113
Persisch (pers. Lehnwörter im Akkadi- Ruḍ ā᾿u 221
¯
schen) 250 f. Rusa I.–III, 193
Persischer Golf 14, 29, 45, 48, 61, 64, Rusa I. 209
69, 71–73, 79, 82, 84, 100, 109, 122,
149, 154, 166, 171, 177, 188, 197, Saba 221
215, 224, 236, 238, 242, 245 Sabäisch 31
Phönizier 214 f., 220 Šagarakti-Šuriaš 143
Phönizisch 174, 249 šagina, šakkanakku 97, 102
Phönizisch (Personennamen) 251 s¯ h 250
ˇa
Phraates 256 Šahr-i Sohte 187
˘
Phryger 206, 213 Salmanassar I. 154, 165, 182, 192
Phrygisch 249 Salmanassar II. 181
Phul (s. Pul) 207 Salmanassar III. 154, 184 t., 195–199,
Pilāgurā (= Pylagoras) 220 204, 206 f., 241
Pišamilki 227 Salmanassar IV. 200–202
Plinius der Ältere 194 Salmanassar V. 144, 206–208
Priesterschaft 136 Salomo 221
Proto-Dravidisch 188 Samaria 202, 207, 215, 241
protoelamische Schrift 27 Samāwa 15
286 Anhang

Šamaš-mē tu-uballiṭ 224 Seleukos I. Nikator 254


Šamaš-šumu-ukãn 224, 226, 228, 231, Seleukos II. 255
234 Semiramis s. Sammuramât
Sammuramât (Semiramis) 200 f., 218, Semiten 31
243 Sevan-See 193 f.
Samsê 206 Sexagesimalsystem 41, 43, 233
Šamši-Adad I. 116, 118 f., 145, 155, Sidon 171, 186, 214, 221, 239
182 Šimaški 192
Šamši-Adad IV. 181 Silber 15
Šamši-Adad V. 199 f., 202, 218 Sin-ahhē -erãba s. Sanherib
˘˘
Samsi-Hadad s. Šamši-Adad I. Sin-muballiṭ 121
Šamši-ilu 200 Sin-šarru-iškun 235
Samsu-ditāna 121, 141, 144 f. Sin-šumu-lãˇir 235
Samsu-iluna 108, 122, 138, 140 f. Sippar 22, 49, 51, 61, 108, 115, 122 f.,
sanga 43, 59 166, 171, 238, 242
Sanherib 154, 203, 213–219, 221, 230, Šãrāz 247
236 Šitti-Marduk 183
Sanskrit 152 Skythen 194, 200, 222
Šara 55 Somalia 29, 207
Sarakos 235 Soqotra 31
Sardanapalos 226 «Sprachbund» (sumerisch-akkadisch)
Sardeis 226 94
Sarduri I.–IV. 193 Staatsverträge (hethitisch) 162
Sarduri I. 198 «Städtesiegel» 47
Sarduri II. 194, 209 Strabo 142
Sargon von Akkade 37 f., 40, 60 f., «Subaräer» 212
76–83, 86, 90, 93, 95, 138, 144, 183, Subartu 212
189, 207 Šubat-Enlil 119
Sargon II. (von Assyrien) 95, 154, Sudan 29
172, 193, 206–214, 227 Südarabien 207
Šar-kali-šarrã 77, 87 f., 91–93, 96, 104, Suen 55
191 Sūhu 186, 247
˘
šarrum 67 sukkalmah, sukkalmahhu 101 f., 192
˘ ˘˘
Šarru-kãn s. Sargon Sulaimānãya 88, 196
Sasa 58 Šulgi 97, 99, 101, 103–105, 108, 132,
Satrapien 250 244
Šaṭ ṭ al-῾Arab 14 Šulgi-egal 101
Šattiwaza 152 Šulgi-simtã 101
Šattuara 155 Šulmānu-ašarē d s. Salmanassar
Sauštatar 152 Šul-šagana 57
Schrift (Anfänge) 26 Sultan Tepe 231
Schulsatiren 132 Sumerische Königsliste 37–42, 44–48,
Sē duri s. Sarduri I. 52, 61 f., 64, 76 f., 83 f., 86, 92, 98 f.,
Seeland s. «Meerland» 101, 112, 127, 144, 189
Seleukeia 257 Sumerogramme 74, 180
Seleukiden 254 f. Sumu-abum 121, 145
Seleukiden-Ära 181, 254 Sumu-jamam 118
Register 287

Šuppiluliuma I. 152, 161 f. Tidanum 104


Šuppiluliuma II. 162 Tiglatpileser I. 154, 170–174, 181, 183,
Ṣ urri s. Tyros 187, 192, 195
Šuruppak 38, 48–51, 68 Tiglatpileser II. 154, 181 f.
Susa 24, 30 f., 41, 70, 94, 123, 131, Tiglatpileser III. 154, 194, 199,
187–191, 226, 241, 249 202–209, 212, 214, 249
Susiana 21, 30, 34, 69 f., 187 Tikrit 147
Šuttarna 152 Til Barsip 215
«Synchronistische Chronik» 182 Tilmun 72 f., 79, 100, 166
«Synchronistische Königsliste» 182 «tokens» 26–28, 34
Syrdarya 247 Toprakkale 209
Syrisch 250 Totengeist 19
tschadische Sprachen 29
Tabal 194, 197 f., 206, 213, 227 Tugdammê (= Lygdamis?) 227
Tabua 221 Tu(i)šratta 152
Tadmar, Tadrnir, Tadmur (Palmyra) Tukulti-Ninurta I. 154, 165–167,
119, 171 169 f., 175, 178 f., 192
«Tagebücher» 256 f. Tukulti-Ninurta II. 154, 187
Taharqa 220 Ṭ ūr ῾Abdãn (= Kašiaru-Gebirge) 167,
Taimā (Tē mâ) 207 196 f.
talãmu 224 f. Tūrān 13
Tall Baidar (Nabada) 64, 68 f. Turkomanisch 147
Tall Brāk 69 turtānu 200
Tall Ḥ addād 63 Turušpa, Tušpa 193, 195, 202, 209
Tall Ḥ alaf 18, 24, 69 Tušratta 150–153
Tall-i Mālyān (= Anšan) 191, 247 Tušpa s. Turušpa
Tall Leilān 41 Tuttul 79, 122
Tall Mardãh s. Ebla Tutub 62, 82
˘
Tall ῾Uqair 43–45, 48, 73 Tyros 156, 186, 214, 220, 239
(babylonischer) Talmud 250
Tarsis 197 ῾Ubaid s. ῾Obēd
tartānu 200 Ugarit 119, 156, 161 f.
Teheran 220 Ukku 217
Teispes 242 Ulai (Eulaios) 225
Telipinu 161 Ulamburiaš 143
Tē mâ (Taimā) 207, 245 Umma 22, 53–57, 60 f., 64, 78, 81, 97,
«Tempelstadt» 57 103
Tempti-Humban-Inšušinak (= assy­ ummān-manda 241, 245
risch Te-Umman) 225 «Unteres Meer» (= Persischer Golf)
Tepe Yaḥ yā 31 61, 84, 177, 238, 245
Terqa 118 Unterer Zāb 113
Te-Umman (= Tempti-Humban- ur 81
Inšušinak) 225 Ur 22, 38, 40–49, 55, 61, 64, 78–81,
Thales von Milet 242 92–94, 97, 99–109, 122, 127, 129,
Theben (Ni᾿ū) 156, 228 131, 138, 140, 187, 190, 192, 212,
Thrakien 249 238, 244, 255
Thylos (Tilmun) 72 Urarṭ u, Urarṭ äer 32, 167, 181,
288 Anhang

192–196, 198 f., 201 f., 206, 208–210, Van-See 171, 194 f., 202, 209
214, 217, 219, 224 f., 242 Váruna 152
Urbi (= Araber?) 215 vaticinium ex eventu 111
Urbilum 113, 164 Vergöttlichung (des Herrschers) 87
Urdu-Mullissi 218 «Verkaufsadoption» 151 f.
«Urias-Brief» 78 Vespasian 258
Uri 82
Uriṣ ṣ u 213 Wachstafeln 234
Ur-Lumma 56 Wādi al-῾Arãš 213
Urmia-See 193 f., 196 wardum 130
Ur-Namma 93, 96–102, 105, 178, 244 Waru᾿um 82
Ur-Nanše 37, 51 f., 55, 72 Waššukkanni 150, 155, 175
Ur-Ninazu 97 Weisheitsliteratur 132
Ursā s. Rusa I. 209 Wiluša 160
Ursalim (= Jerusalem) 156
«Ursemiten» 32 Xenophon 11, 236, 242, 252
Urtak 226 Xerxes I. 247, 256
Uruaṭ ri (= Urarṭ u) 167, 192
Uru-inimgina s. Iri-kagina (Kleiner = Unterer) Zāb 196
Uruk 14, 16, 20–24, 29, 31, 33 f., 37, Zabalam 84, 122
39–45, 47 f., 50, 53, 55, 6o f., 70–73, Zagros 187, 191, 203, 228, 247
77 f., 87, 93, 96 f., 102, 122, 131, 138, Zakūtu (= Naqia) 224
140, 179, 189, 212, 234 f., 238, 252, Zaranda 210
255 Zikkurrat 22, 137, 196, 211, 219,
Uru-kagina s. Iri-kagina 238
Urum (= Tall ῾Uqair?) 43 Zimri-Lãm 111, 118 f., 165
Uruwana 152 Zinn 20
Ur-Zababa 78, 81 Zi-usudra 48
Urzana 210 Zweisprachigkeit (sumerisch-akka-
Utw 49, 55, 87 disch) 134 f.
Utu-hegal 96 f., 99, 101 Zypern 146, 156, 219 f.
˘

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