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Harninkontinenz - Kontinenzförderung

Rita Willener
Pflegeexpertin MScN

Klinik für Urologie, Inselspital Bern, 2011


Übersicht zum Referat Harninkontinenz

• Epidemiologie
• Definition
• Risikofaktoren
• Auswirkungen und Folgen
• Funktion der Blase
• Ursachen für Harninkontinenz im Alter
• Verschiedene Formen der Harninkontinenz
• Beratung bei Inkontinenz

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Harninkontinenz –
ein weltweites Gesundheitsproblem
• Anzahl Betroffene unklar
• Schätzungen:
– Schweiz: ca. 400„000 Menschen
– Deutschland: ca. 10 Mio Menschen
(Schätzung beruht auf Verkaufszahlen zu Inkontinenzprodukten)
– Weltweit: 250 Mio Menschen
– Ca. 27% der Frauen, ca. 13% der Männer
– Anteil Frauen: 75 %, Anteil Männer: 25 %

• Steigende Lebenserwartung Zunahme Inkontinenz

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Kosten durch Harninkontinenz
Zahlen aus Deutschland:
• 400 – 750 € / Betroffene / Jahr für Inkontinenzschutz
• Bis 750 Mia € / Jahr gesamt bei 10 Mio Betroffene
• Kosten zu pflegerischen & medizinischne Hilfsangebote
unzureichend untersucht.

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Definition von Harninkontinenz

“Jeglicher unfreiwillige Harnverlust”


(2002, Subcommittee of the International Continence Society)

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Risikofaktoren für Harninkontinenz 1
• Geschlechter spezifische Risikofaktoren
– Schwangerschaft und Geburt
– Prostatahyperplasie, Prostata Operationen

• Geschlechter unabhängige Risikofaktoren


– Fortgeschrittenes Alter
– Menopause
– Übergewicht
– Harnwegsinfekte
– Obstipation
– Chronischer Husten

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Risikofaktoren für Harninkontinenz 2
• Chronische Krankheiten
– Schlaganfall
– Diabetes
– Multiple Sklerose
– Parkinson
– Demenz
– Prostatahyperplasie
– Prostatakarzinom - Prostatektomie

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Risikofaktoren für Harninkontinenz 3
• Medikamente:
– Psychopharmaka
– Diuretika
– Opiate
– Anticholinergika
– Antidepressiva
– Antihistaminika
– Neuroleptika

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Harninkontinenz – Auswirkungen auf Betroffene

psychische soziale

physische sexuelle
Einschränkung
der
Lebensqualität

häusliche berufliche

Die Blase bestimmt das Leben!


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Harninkontinenz - Auswirkungen auf Umfeld

Auswirkungen auf Angehörige


• Psychisch überlastet, erschöpft,
• Furcht vor falscher Betreuung
• Frustration
• Depression
• Schuldgefühle

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Harninkontinenz - Auswirkungen auf Umfeld

Auswirkungen auf Pflegende


• Schuldgefühle
• Angst, Frustration
• Ekel, Überforderung
• Mitleid

Auswirkungen auf Mitbewohner im Heim


• Ablehnung
• Empfinden von unhygienisch, unsauber

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Harninkontinenz - weitere Auswirkungen

Auswirkungen auf Gesellschaft


• Vorurteile
• Ausgrenzung als Aussenseiter
• Belastung der Krankenversicherung

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Folgen von Harninkontinenz

Psychologische und soziale Komplikationen:

• Depressionen
• Angstzustände
• Verlegenheitsgefühle
• Geringes Selbstwertgefühl
• Soziale Isolation
• Einweisung in Pflegeheim

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Scham - Tabuthema

Schicksal Scham-Erleben

Reduzierte
Demütigung
Lebensqualität

Scham-Angst

Angst vor
Stigmatisierung

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Strategien der Betroffenen

• Nicht darüber sprechen:


– Sprachlosigkeit – das Thema nicht benennen

• Verniedlichen:
– „ich habe ein kleines Problem“

• Lustig machen:
– „Ich bin nicht ganz dicht“

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Strategien der Betroffenen
• Stetige Wachsamkeit
• Vorbeugend auf Toilette gehen
• Weniger trinken
• Pflegeleichte Wäsche tragen
• Wäsche und Vorlagen häufig wechseln
• Wäsche im Verborgenen trocknen
• Einschränken der sozialen Aktivitäten
• Planen der Aktivitäten unter Einbezug von Toiletten
Standorten

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Inkontinenz bei Menschen in Alters- und Pflegeheimen
Anteil Inkontinenter steigt in Abhängigkeit vom Alter und
vom Pflegegrad auf 80% bis 90%

Resultate einer Studie in 45 Pflegeheimen (2003, D)


• 3„500 Teilnehmer
• Ergebnisse:
– 70% Inkontinent
– 26% nur harninkontinent
– 44% harn- und stuhlinkontinent
– 74% Frauen, 60% Männern
– Durchschnittsalter der Frauen 84 der Männer 73
– 40% völlig und 12% überwiegend von der Pflege abhängig
– 21%völlig unabhängig von Pflege
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Blasenfunktion

Oberer Harntrakt Unterer Harnstrakt

• Nieren • Blase
• Harnleiter • Harnröhre

• Harnblase
– Dehnbares Hohlmuskelorgan (Musculus detrusor vesicae)
– 2 zentrale Funktionen: Urin speichern, Urin entleeren
– Liegt im kleinen Becken, hinter Symphyse direkt auf
Beckenboden, ausserhalb Peritoneum
– Fassungsvermögen: 300-600ml

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Miktionsvorgang

Blasenmuskel
= Detrusor
Urin-Austreiber

Bild: Hayder et al., 2008

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Ursachen für Harninkontinenz im Alter
• Funktionsstörung der Blase:
Detrusorhyperaktivität bei der Hälfte der älteren Betroffenen

• Funktionsstörung des Sphinkters:


2. häufigste Ursache bei Frauen

• Blasenauslass –Obstruktion (gutartige Prostatahyperplasie)


2. häufigste Ursache bei Männern

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Formen von Harninkontinenz
1. Speicherstörungen
2. Entleerungsstörungen
3. Inkontinenz auf Grund funktioneller Veränderungen

• Symptome:
– Subjektiv: Betroffene berichten über Beschwerden
– Objektiv: nachweisbarer unfreiwilliger Harnverlust

– Es ist wichtig, die Symptome genau zu erfassen


– Beobachten, zuhören

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Inkontinenz auf Grund funktioneller Veränderungen 1
Funktionelle Inkontinenz: (NANDA, 2003)
“Unfähigkeit eines normalerweise kontinenten Menschen,
die Toilette rechtzeitig zu erreichen”

• Ursachen:
– Probleme in der Mobilität z.B. nach Hüft TP
– Unfähigkeit, Kleider auszuziehen z.B. durch Arthrose /
Hüftprotektoren
– Physiologische Veränderung:
Veränderte Wahrnehmung der vollen Blase
unvermittelt Drang

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Inkontinenz auf Grund funktioneller Veränderungen 2
• Ursachen:
– Eingeschränkte Kognition:
• Körpersignale interpretierern
• Toilette finden
• Ablauf der Miktion erinnern

– Zeichen:
• Unruhe
• Nesteln an Kleidung
• Kleider ausziehen

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Inkontinenz auf Grund funktioneller Veränderungen 3
• Ursachen:
– Umgebungsfaktoren:
• Neue Umgebung, Orientierungsschwierigkeiten
• Unzureichende Orientierungshilfen
• Zu langer Weg auf Toilette
• Zu enge Toilettenräume

– Haltung und Einstellung des Betriebes / des Pflegepersonals


– Stellenwert der Kontinenzförderung
• Analytisches Vorgehen
• Kompensatorisches Vorgehen

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Drang-Inkontinenz (Speicherstörung)
“Urinverlust bei imperativem, nicht
unterdrückbarem Harndrang”

Ursache: Detrusorüberaktivität
• Neurogen:
• Paraplegie, Hemiplegie
• nicht neurogen
• Harnwegsinfektionen
• Medikamente
• Obstipation
• Östrogenmangel (Alter!)

Drang-Inkontinenz
Bild: Hayder et al., 2008

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Belastungs-Inkontinenz (Speicherstörung)
“Urinverlust bei körperlicher
Anstrengung ohne Harndrang”

• Ursache: Veränderung der anatomischen


Lage von Blase & Urethra
Erhöhter intraabdominaler Druck
Druckübertragung auf Blase
Blaseninnendruck übersteigt den
Verschlussdruck des Sphinkters
• Bei niesen, husten, lachen, heben von
Lasten

• Frau: Schwangerschaft, Geburt Belastungs-Inkontinenz


• Mann: Prostata-Operationen
Bild: Hayder et al., 2008

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Misch-Inkontinenz (Speicherstörung)

“Urinverlust bei
Einerseits imperativem
Harndrang
Andererseits körperlicher
Anstrengung”

Drang-Inkontinenz Belastungs-Inkontinenz

Bild: Hayder et al., 2008

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Inkontinenz bei chronischer Harnretention
(Entleerungsstörung)
“Urinverlust in Zusammenhang mit
Restharnbildung” (früher:Überlaufblase)

Ursachen:
Schwäche des Detrusors:
• Medikamente (zentral wirkende Analgetika,
Neuroleptika, Antidepressiva)
• Neurologische Erkrankungen
(MS, Polyneuropatie bei Diabetes)
Obstruktive Veränderungen

Symptome:
Initiales Warten, Nachträufeln, Pressen,
schwacher Harnstrahl, häufiges Wasser Chronische Harnretention
lassen, rez. Infekte, Restharn Bild: Hayder et al., 2008

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Symptome - Diagnostik
• Harninkontinenz beruht bei älteren Menschen selten auf
einer, sondern auf multifaktoriellen Usachen

Seriöse Abklärung zur Diagnosestellung


Kenntnisse der komplexen pathophysiologischen
Zusammenhänge

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Inkontinenz Beratung 1
Differenzierte Einschätzung – Anamnese
• Dauer des Problems, mögliche Ursachen
• Erscheinungsbild, Symptome der Inkontinenz
• Bereits erfolgte Therapien
• Aktuelle Medikamente
• Trinkverhalten
• Stuhlgewohnheiten
• Benutzte Hilfsmittel

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Inkontinenz Beratung 2
Differenzierte Einschätzung – Anamnese
• Risikofaktoren:
– krankheits- und altersbedingt
• Einflussfaktoren:
– Körperliche, kognitive, Umgebung
• Auswirkungen
– Psychosozial, Leidensdruck
• Erwartungen

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Inkontinenz Beratung 3
• Ausschluss HWI
• Körperliche Untersuchung
• Restharnbestimmung
• Miktionsprotokoll
• 24-Stunden-Vorlage-Gewichtstest
• Kontinenzprofil erstellen
• Massnahmen planen

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Inkontinenz Beratung 4
Kontinenzprofile Kontinenz

Unabhängig
Abhängig erreichte
erreichte Kontinenz
Unabhängig Kontinenz
kompensierte
Abhängig Inkontinenz
kompensierte
Inkontinenz
Nicht
kompensierte
Inkontinenz

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Kontakt:

rita.willener@pflegeberatung.ch

www.pflege-beratung.ch

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Literatur
• Abrams P., Cardozo L., Fall M. et al. (2002): The standardisation of terminology of lower urinary tract function: Report
from the Standardisation Subcommittee of the International Continence Society. Neurourol Urodyn
• Hayder D., Kuno E., Müller M. (2008): Kontinenz – Inkontinenz – Kontinenzförderung. Praxishandbuch für Pflegende.
Huber.
• Hunskaar, S., Burgio, K., Diokno, A., Herzog, A. R., Hjalmas, K., & Lapitan, M. C. (2003). Epidemiology and natural
history of urinary incontinence in women. Urology, 62(4, Suppl. 1), 16-23.
• Milsom, I. (2009). Lower urinary tract symptoms in women. Curr Opin Urol, 19(4), 337-341.
• Minassian, L. A., Drutz, H. P., & Al-Badr, A. (2003). Urinary Incontinence as a worldwide Problem. Inter-national
Journal of Gynecology & Obstetrics, 82, 327-338.
• Niederstadt Ch. & Gaber E. (2007): Harninkontinenz. Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Heft 39. Hrsg. Robert
Koch -Institut.
• Pointner J, Madersbacher H (1993) Harninkontinenz beim alten Menschen: Eine Analyse bei Bewohnern von Alten-
und Pflegeheimen in Innsbruck. Geriat Forsch 3(2): 67 bis 74
• www.inkontinex.ch: Zugriff am 13.10.2011
• WHO (1998) Statement: Epidemiologie und Ätiologie der Harninkontinenz im Alter. Urologe [B] 38 (Suppl 2): S3 to S9

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