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Jürgen Hartmann

Wozu politische Theorie?


Jürgen Hartmann

Wozu politische Theorie?


Eine kritische Einführung
für Studierende und Lehrende
der Politikwissenschaft

Westdeutscher Verlag
Alle Rechte vorbehalten
© Westdeutscher Verlag GmbH, OpladenlWiesbaden, 1997

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Gedruckt auf säurefreiem Papier


Umschlaggestaltung: Horst Dieter Bürkle, Darmstadt
Umschlagbild: Paul A. Weber, Literatenstreit; 1955. © VG Bild-Kunst, Bonn

ISBN-13: 978-3-531-13069-9 e-ISBN-13: 978-3-322-83288-7


001: 10.1007/978-3-322-83288-7
Einleitung 9

1. Was ist politische Theorie? Pegeleinstellung 21

2. Ideengeschichte als Traditionsgewerbe


der politischen Theorie 33

2.1. Historische Theorien zwischen Philosophie


und Geschichtsbetrachtung 33
2.2. Der Klassikerkanon: einige Beispiele 37

2.2.1. Aristoteles 38
2.2.2. Machiavelli 42
2.2.3. Hobbes 43
2.2.4. Locke 46
2.2.5. Rousseau 50
2.2.6. Kant 53
2.2.7. Burke 56
2.2.8. J. St. Mill 57
2.2.9. Hegel 59
2.2.10. Marx 62
2.2.11. Montesquieu, Madison, Tocqueville 66

2.3. Abschied von den Klassikern:


Einsteuerung in die szientistischen Theorien 70

2.3.1. Weber 70
2.3.2. Popper 75
2.3.3. Kuhn 78

2.4. Bilanz 80

5
3. Die empirische Wende der frühen
amerikanischen Politikwissenschaft 81

4. Politische Philosophie vor antiker Kulisse 92

4.1. Der aristotelische Royalismus


Straussens und Voegelins 92
4.2. Ideengeschichte als Wegemarkierung:
Good guys, bad guys 97
4.3. Hannah Arendts Wiederbelebung
des Republikdenkens 104

5. Das lange Trittbrett der modernen


politischen Philosophie 110

5.1. lohn Rawls als Deus ex machina der


politischen Philosophie 110
5.2. Robert Nozick als Staatsverächter 123
5.3. Gebildete Antworten. Liberalismus
mit aristotelischen Beigaben 127
5.4. Michael Walzer als Spielverderber.
Hinsehen statt Förmchenbacken 135
5.5. Standfestigkeit des Trittbretts
aufForstwegen: Bilanz 140

6
6. Politiktheoretische Beutesuche im
Hochgebirge der Abstraktion 147

6.1. Habermas 147


6.2. Luhmann 154

7. Der Behavioralismus - eine Attacke auf


die konventionelle Politikwissenschaft 163

7.1. Behavioralistisches
Wissenschaftsverständnis 163
7.2. Übungsplätze 170

7.2.1. Party government 170


7.2.2. Wahlen und Legislaturen 173
7.2.3. Politisches System 176
7.2.4. Internationale Politik 179

7.3. Demokratie als Aufhänger


behavioralistischer "Großtheorien" 181

8. Unverdünnte und verschnittene Rationalität


im Zentrum der post-behavioralistischen
Politiktheorie 191

8.1. Meuterei: Der Verlust des


behavioralistischen Konsenses 191
8.2. Nutzenrationale Ansätze: Theorieimporte 198

7
8.2.I. Public choice.
Die ökonomische Ratio 198
8.2.2. Rational choice.
Die ökonomiebereinigte Ratio 215
8.2.3. Bilanz 223

8.3. Die Kontextverhüllung rationalen HandeIns 225

8.3.I. Bounded rationality 225


8.3.2 Institutionen 227
8.3.3. Kultur 230
8.3.4. Bilanz 233

9. Politische Theorie: ein Konkursfall? 235

Literaturverzeichnis 238

Register 268

8
Einleitung

Die politische Theorie hat ihren festen Platz im Curriculum


der Politikwissenschaft, im Neuerscheinungsprogramm so-
zialwissenschaftlicher Verlage und last but not least im
Stellenplan der größeren politikwissenschaftlichen Institute.
Und doch, sucht man nach einer kurzen Beschreibung ihres
Gegenstandes, so gerät man leicht in Verlegenheit. Vielleicht
wird man erst einmal daran erinnert, daß es da noch eine
Geschichte der politischen Ideen gibt; die einschlägige Sek-
tion der DVPW schmückt sich mit dem theorieschwachen
Namen "politische Philosophie und Theoriegeschichte".
Oder man stößt womöglich darauf, daß einige Autoren, die
der politischen Theorie zugeordnet werden, ihr Tun inhalt-
lich gleichbedeutend als politische Philosophie etikettieren -
wobei dann oft gar nicht so diskret herüberkommt, daß es
sich hier zweifelsfrei um eine Adelsform der Auseinander-
setzung mit Politik handelt. Doch es macht wenig Sinn, po-
litische Theorie in ihrer Vieldeutigkeit im Beiwort
"Geschichte" auffangen oder sie durch die politische Phi-
losophie substituieren zu wollen. Gewisse Formen der wis-
senschaftlichen Auseinandersetzung mit Politik lassen sich
weder auf die historische Betrachtung noch aufs Philoso-
phieren ein, obgleich auch sie stark von der Beschreibung
und Erklärung empirischer Phänomene abstrahieren. Selbst
wenn man der akzeptierten Selbstbezeichnung "politische
Theorie" folgt, wird man nicht viel klüger: Auf der einen
Seite die Beschäftigung mit philosophischen Politiktheorien,
auf der anderen die den meisten Politikwissenschaftlem
wohlvertraute Beschäftigung mit Institutionen, Entscheidun-
gen und Konflikten der politischen Erfahrungswelt. Der Fa-
cettenreichtum der politischen Theorie erschließt sich dem

9
suchenden Leser freilich auch erst dann, wenn er eine Reihe
Bücher durchblättert, Einleitungen überflogen und Inhalts-
verzeichnisse konsultiert hat. Geradezu typisch für die Si-
tuation: Von Beyme legt nahezu gleichzeitig Bücher oder
Neuauflagen mit den Titeln "politische Theorie" und
"Theorie der Politik" (1991 a, 1992) vor, die sich jeweils mit
gänzlich verschiedenen Gegenständen, einmal mit sozialwis-
senschaftlichen und ein anderes Mal mit philosophischen
und wissenssoziologischen Theorien befassen. Druwe packt
beides wieder in einem Buch unter "Politische Theorie"
(1995) zusammen. Müller wirft die Frage nach dem "wozu?"
politischer Theorie auf, präsentiert seine Antworten aber,
ohne die verschiedenen Theorieverständnisse selbst zu pro-
blematisieren; allerdings gibt er den interessanten Hinweis,
daß internationale Fachstandards auf ein empirisches Theo-
rieverständnis deuten (1994, 213, 223). Lieber ediert ein
dickleibiges Werk über "politische Theorie" (1991), ohne
auch nur einmal zu sagen, was damit gemeint ist. Oder der
letzte Band einer ihresgleichen suchenden Handbuchreihe
vermerkt unter den politischen Theorien der Gegenwart die
Frankfurter Schule bzw. Habermas, eher einen Philosophen
als SozialwissenschaftIer (Fetscher/Münkler 1985 ff.), igno-
riert aber John Rawls als wohl bekanntesten politischen
Philosophen der Gegenwart. Politische Theorie, dieser Ein-
druck drängt sich auf, bedarf aus Betreibersicht keiner gros-
sen Erklärung.
Aber was macht das eigentlich aus? Politikwissenschaft
wird heute in der allgemeinen wie in der universitären Öf-
fentlichkeit als Sozialwissenschaft wahrgenommen, die fak-
ten- und beobachtungsorientiert arbeitet. Sie hat mit dem
Staat, mit organisierten Interessen und Konflikten, mit Art
und Ausmaß der Staatstätigkeit, mit kontroversen Auffas-
sungen über die Wünschbarkeit politischer Ziele, mit Krieg
und Frieden oder mit der weltwirtschaftlichen Dimension

10
gesellschaftlicher Wohlfahrt zu tun. Das Studium dieser
Themen geht durchaus nicht untheoretisch vonstatten. Es
handelt sich aber um sog. Bereichstheorien von mittlerer
Reichweite, die sich auf die Parteienforschung, die Bürokra-
tie- oder Policy-Forschung oder auf die zwischenstaatlichen
Beziehungen konzentrieren. Die Theoriengebäude der politi-
schen Philosophie sind eine andere Spezies. In dieser Diffe-
renz hat das Verständigungsproblem über politische Theorie
seinen Ursprung.
Nicht allzu selten geschieht es beim Umgang von Fach-
wissenschaftlern mit dem Begriff der politischen Theorie,
daß sie so intensiv aneinander vorbeireden, daß sich der
vielbemühte Dialog unter Taubstummen zu regen scheint. Es
steht jedem Theorieinteressierten anscheinend frei, Theorie
nach Gusto und Bekenntnis zu umschreiben. Immerhin eine
schwierige Sache für alle, die sich auf Theorie nicht spezia-
lisieren, sondern einfach wissen wollen, was darunter vor-
zustellen ist. Letztlich wird der Erkundungsversuch bei vie-
len so enden, daß sie Theorien im politikwissenschaftlichen
Hauptstrom nicht für Theorie ansehen, weil sie in empirische
Forschungen integriert sind. Und die philosophischen
"Großtheorien" mögen als fremde Sujets abgebucht werden,
die mit dem allgemeinen Erscheinungsbild der Politikwis-
senschaft nichts zu tun haben. Hochwahrscheinlich, daß sol-
che Rede gleich den Einwand provoziert, "Masse" sei nun
mal was anderes als "Klasse", politische Theorie eben an-
spruchsvoller als die Politikwissenschaft in den Niederungen
des Beobachtens, des historischen Argumentierens oder der
quantitativen Analyse. Doch ganz so belanglos lassen sich
Größenordnungen nicht abtun. Sie zeigen recht zuverlässig,
welche Erwartungen die überwältigende Mehrzahl der Poli-
tikwissenschaftler an ihr Fach hegen. Daran und nur daran
gemessen ist die politische Theorie im Fach peripher. Im
Ursprungsland der modernen Politikwissenschaft, in den

11
USA, wäre dieses Urteil über den Platz der politischen
Theorie vor 50 bis 60 Jahren noch schwer vorstellbar gewe-
sen. Offenbar sind die politische Theorie und die übrige Poli-
tikwissenschaft seither getrennte Wege gegangen. Das mag
an der Theorie liegen, an der übrigen Politikwissenschaft
oder an beiden. Für das Verständnis politischer Theorie
scheint es nicht unwichtig, diesen Punkt zu klären. Sie be-
darf nicht nur der definitorischen Eingrenzung, sondern auch
einer entstehungsgeschichtlichen Standortbestimmung als
Bestandteil einer wissenschaftlichen Disziplin.
Politikwissenschaft bietet das Bild eines Compositum
mixtum, das außer einer vagen Identifikation mit Konzepten
wie Macht, Legitimität und Interesse einer Ansammlung von
Schwerpunkten, Methoden und Begrifflichkeiten gleicht.
Das eingetragene Markenzeichen "politische Theorie" stiftet
vor diesem Hintergrund Verwirrung, weil es - ungewollt - so
verstanden werden kann, allein unter diesem Gütesiegel sei
im Fach Theorie anzutreffen. Hätte sich eine Sprachkonven-
tion gebildet, nicht von politischer Theorie, sondern von
politikwissenschaftlicher Theorie zu sprechen, wäre vieles
einfacher.
Die Hinführung auf das Thema erreicht an dieser Stelle
einen kritischen Punkt. Wem die scheinbare Beliebigkeit
politischer Theorie schon immer schwante, wird sich in sei-
ner Reserve bestätigt fühlen und fragen, warum dazu eigens
noch ein Buch gelesen werden soll. Der Autor hofft, in die-
sem Fall helfen zu können. Wer aber ohnehin davon über-
zeugt ist, das Tun der meisten Politikwissenschaftler teile die
Eigenschaften des Handwerks, irgendwie nützlich, zumin-
dest für die Legitimation von Studiengängen und Stellenplä-
nen, aber bei weitem nicht so erhaben wie die Auseinander-
setzung mit politischer Theorie, wird nicht gerade hier zur
besseren Einsicht finden.

12
Die fachliche Konvention, politische Philosophie nicht
aus der Politikwissenschaft auszuklammern, sondern als
politische Theorie gelten zu lassen, ist in einem Überblick
der politischen Theorie zu respektieren. Im folgenden soll
freilich von politischer Philosophie oder philosophischer
politischer Theorie die Rede sein, wo immer die sozialwis-
senschaftlichen Grenzen der Theorie überschritten werden.
Leider werden diese Begriffe allzu undifferenziert gebraucht
- ein Problem, wenn auch nicht das gravierendste Dilemma
der politischen Theorie.
Theorie hat den Ruf einer ernsten und schwierigen Sache
- die Krone jeder Disziplin! Dabei gründet sich dieser Nim-
bus in der Politikwissenschaft wohl kaum auf Erkenntnislei-
stungen der Theorie für das gesamte Fach. Wie die Soziolo-
gie ist die Politikwissenschaft eine Wirklichkeitswissen-
schaft. Die meisten Politikstudentinnen oder -studenten wie
auch die große Masse des Lehrpersonals kennen die politi-
sche Theorie aus flüchtigen Begegnungen im Studium oder
im Prüfungsgeschehen. Die Theorien, die in ihr Handwerk
einfließen, beziehen sich auf konkrete Forschungs- oder
Gegenstandsbereiche. Die "eigentliche" Theorie wird von
den professionellen Theoretikern anders verstanden: Meist
geht es um eine so hohe Auflösung politischer Probleme in
philosophische Dilemmata oder gar in algebraische Formeln,
daß es dem Absolventen selbst einer guten fachwissen-
schaftlichen Ausbildung schwerfällt, auch nur sprachlich
mitzuhalten. Woran liegt das?
Ganz eindeutig daran, daß die Theorieabteilung durch ih-
ren philosophischen Gestus auffällt! Sie geriert sich gern als
Mittlerin zwischen Philosophie und Fachwissenschaft. Die
Schwelle für philosophisch nicht vorgebildete Politikwissen-
schaftler, sich auf die fachfremde Argumentationsebene
einzulassen, dürfte recht hoch liegen. Leider erwächst aus
dem Inkommunikado zwischen politischer Theorie und

13
Politikwissenschaft allzu selten der Wunsch, einige Fragen
zu stellen, die bei einer nach eigenen Bekenntnis politikwis-
senschaftlichen Subdisziplin erlaubt sein müssen:

- Wie hält es die politische Theorie mit Politikmodellen, die


in ihrer Abstraktionshöhe zwar die Ereignis- und Ge-
schichtsbindung der übrigen politikwissenschaftlichen Ge-
genstandsbereiche weit hinter sich lassen, aber mit Philoso-
phie nichts im Sinn haben?

- Warum werden die philosophischen politischen Theorien


eigentlich so selten mit kritischen Kontrollfragen behelligt,
wie sie im Fach gang und gäbe sind? Welchen Erklärungs-
wert haben sie? Übersehen sie wichtige, beobachtungsge-
stützte Erkenntnisse?

Das Anliegen dieses Textes ist die Präsentation und Be-


wertung des scheinbar "gegenstandslosen" Gegenstandes der
politischen Theorie vom Standpunkt einer Politikwissen-
schaft, die sich in toto nicht als philosophisches Fach defi-
niert. Das heißt zunächst, daß die lockere Selbstbezeichnung
als politische Theorie, die das Reden und Schreiben vieler
Theorieprofessoren/Theorieprofessorinnen charakterisiert,
nicht ohne weiteres hingenommen werden soll. Der Theorie-
korpus teilt sich aber unübersehbar in einen politikwissen-
schaftlichen und in einen politikphilosophischen Sektor.
Bereits diese Unterscheidung verweist auf einen Theoriebe-
griff, den die meisten Politikwissenschaftlerlinnen mit einer
beobachtungswissenschaftlichen Orientierung nachvollzie-
hen können. Die Brücke zum fachlichen Mainstream kann
nur mit einem Theoriebild geschlagen werden, das den Be-
zug zur politischen Wirklichkeit wahrt (und bei der
Stoffauswahl eines Theorieüberblicks höchst selten Pate
steht; Ausnahme etwa: Gabriel 1978). Die Entscheidung für

14
dieses Theorieverständnis nimmt die korrespondierende Di-
stanz zu philosophieverliebten Theoretikern in Kauf, die vor
Politikwissenschaftlern mit fachfremdem Jargon glänzen und
bei Fachphilosophen um wohlwollendes Schulterklopfen
buhlen.
Die folgende Besichtigung der politischen Theorie läßt
sich auf den getragenen Ernst der fachwissenschaftlichen
Theoriebetreiber nicht ein. Auch im Teilgebiet der politi-
schen Theorie wird nur mit Wasser gekocht, Theorie ist nicht
minder kritikverletztlich als die Beschäftigung mit anderen
politikwissenschaftlichen Themen. Ein Überblick, der auf
die im übrigen Fach gebräuchlichen Urteilskonventionen
verzichtete, würde nur ein weiteres Buch in die Welt setzen,
das die Reverenz vor den vielfältigen Theorieverständnissen
bestätigt.
Die akademische politische Theorie ist ein Produkt des
letzten halben Jahrhunderts. Sie entstand als unvorhersehba-
res Nebenprodukt der behavioralistischen Revolte in der
amerikanischen Politikwissenschaft. Der Behavioralismus
erhielt seine Impulse aus vielen Ecken und Winkeln des po-
litischen und des Wissenschaftsbetriebs. Seine Generalpa-
role, die zunächst erhebliche Richtungsunterschiede in der
Anhängerschaft kaschierte, war die Abgrenzung vom For-
malismus und Normativismus der herkömmlichen Politik-
betrachtung. Daten, Methoden und Beobachtung waren die
Kernpunkte dieses Aufstands gegen die fachliche Tradition.
Theoretisch war der Behavioralismus uninteressiert, ja unbe-
darft. Der Behavioralismus übertrug das naturwissen-
schaftliche Kausalitätsdenken auf politische und gesell-
schaftliche Phänomene. Seine Ahistorizität und seine Ver-
nachlässigung nicht-quantifizierbarer politischer Tatsachen
bewirkten die Spaltung und Ausfaserung des ursprünglichen
Konsenses der Aufständischen. Ehemalige Behavioralisten
und empirische Postbehavioralisten bedienen sich heute ohne

15
Skrupel aus dem Theorienarsenal der Nachbarwissenschaf-
ten. Die Spannweite der Theorien, die so in der Politikwis-
senschaft heimisch wurden, reicht von der mathematischen
Spieltheorie über die Mikroökonomie bis hin zu anthropo-
logischen und soziologischen Theorien.
Diese Epoche der Disziplingeschichte ist für die Entwick-
lung der politischen Theorie deshalb so wichtig, weil der
Behavioralismus die Theorieproduktion im Fach auf das
philosophiefremde und beobachtungszugängliche Terrain der
politischen Systemforschung, der internationalen Politik und
der Policy-Studies heruntergeschleust hat. Politische Theorie
in ihrer dualistischen Ausprägung als spezielle sozialwis-
senschaftliche Theorie oder als Philosophie hat erst nach der
behavioralistischen Zäsur und erst in der Reaktion darauf zu
ihrer gegenwärtigen Erscheinungsform gefunden. Als bei-
spielhaft für den Umgang der empirischen Politiktheorie mit
Fragen, die auch die politische Philosophie bewegen, soll
hier der Komplex der Demokratietheorien kurz umrissen
werden.
Die politikwissenschaftlichen oder in die Politikwissen-
schaft hineinwirkenden Theorien, die sich auf eine Erfah-
rungskontrolle einlassen, kann man vor diesem Hintergrund
als postbehavioralistisch bezeichnen. Dazu ein kleines
Beispiel, das die Differenz zum Behavioralismus illustrieren
mag: Wf!r wollte leugnen, daß individuelles Vorteilsstreben
eine plausible, überaus wichtige Triebfeder politischer
Konflikte sei? Insoweit steckt in allen darauf basierenden,
von Politikwissenschaftlern oder von Ökonomen vorgetra-
genen Modellen das wirklichkeitsnahe Element einer Welt,
in der sich jeder leicht zurechtfindet. Daß nun aber wirklich
alles und jedes ohne Rücksicht auf Geschichte, soziales Ler-
nen, Kultur oder Institutionen rechenhaftem Vorteilskalkül
gehorchte, erscheint nach aller Lebenserfahrung einigermas-
sen fraglich. In den letzten Jahren greifen Institutionen- und

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Kulturtheorien die Erklärungslücken der vom strikt rationa-
len Handeln ausgehenden Modelle auf. Demgegenüber ist
die Philosophie, auch die politische, eine deduktive, per de-
finitionem unempirische Wissenschaft. Einwürfe aus der
Welt des Faktischen müssen sie nicht groß erschüttern.
Eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Varianten
der politischen Theorie darf auf den Abstecher in die politi-
sche Ideengeschichte nicht verzichten. Von der sozialwis-
senschaftlich verstandenen politischen Theorie ist diese zwar
weit entfernt. Aber sie ist eben auch keine philosophische
politische Theorie, weil sie den historischen und soziologi-
schen Kontext zur Erklärung politischer Ideen an sich her-
anläßt. Fraglos stehen historische philosophische Denker im
Mittelpunkt ihres Interesses. Doch sie betreibt auch die
inhaltliche Auseinandersetzung mit den Philosophien ver-
gangener Epochen. Ein Strang der ideengeschichtlichen
Tradition kehrt den überzeitlich geltenden philosophischen
Kern verschiedener Theorien hervor und nimmt den Kontext
nur als Illustration. Ein anderer Strang interpretiert Klassiker
vor dem Hintergrund der Probleme ihrer Zeit. Auf die kurze
Referierung einiger Klassiker kann dieses Buch nicht
verzichten, weil insbesondere die politische Philosophie, die
zunächst kritisch vorgestellt werden soll, an Denker der Ver-
gangenheit anknüpft oder diese als Ideenreservoirs für ei-
gene Konstrukte nutzt.
Die unter der Flagge der politischen Theorie segelnde
politische Philosophie läßt sich auch wieder in zwei Rich-
tungen unterscheiden. Beide wurden erst nach der empiri-
schen bzw. behavioralistischen Wandlung der politikwissen-
schaftlichen Disziplin flügge. Die Losung der älteren Rich-
tung ist die ultimative praktische Philosophie des Aristoteles
mit ihrer Lobpreisung des Bürgers als Glied einer deliberati-
ven Gemeinschaft und der politischen Ordnung als Leitsy-
stern tugendgemäßen politischen HandeIns. In den liberalen

17
Philosophien der Modeme hat diese traditionelle politische
Philosophie ihren Gegner gefunden. Daraus ergibt sich für
die politische Philosophie folgendes Bild:
Die traditionelle philosophische Politiktheorie hatte sich
angesichts der behavioralistischen Revolte in den 50er Jah-
ren für die Festungslösung entschieden. Die Zugbrücken sind
vierzig Jahre später noch eingezogen. Aber die Verteidiger
sind in die Jahre gekommen. Hinter allem philosophischen
Denken gilt in der Restbesatzung immer noch die Losung:
Alle Abkehr von "der" Philosophie, womit die aristotelische
gemeint ist, sei Teufelszeug, weil sie das moralische Urteil
preisgegeben habe. Die ideengeschichtlichen Ausgrabungs-
trupps, die mit allerlei Gerät versuchen, verflossene Jahr-
hunderte auf ihre Spuren im Denken diverser politischer
Denker hin freizulegen, werden mitleidig als seltsame Kauze
belächelt, die überhaupt nicht begriffen haben, worum es
eigentlich geht.
Doch ganz in der Nähe siedeln seit über 20 Jahren aka-
demische Philosophen einer anderen Generation. Sie arbei-
ten mit Hochdruck an einem auf Expansion angelegten
Hochbau mit Spezialbibliotheken für Kommunikations-,
Diskurs- und Systemtheorien. Zu ihnen besteht bestenfalls
Sichtkontakt. Dort wirken Künstler ihres Fachs, Virtuosen
stringenter Argumentationsketten und kühner Abstraktion,
die das Verlangen ignoranter SozialwissenschaftIer nach
Konkretion mit Verachtung strafen. Die modeme politische
Philosphie setzt mit der philosophischen Aufklärung durch
Kant an. Der amerikanische Philosoph Rawls hat Kants Idee
in jüngerer Zeit aufgegriffen und mit einer vertraglich kon-
struierten Sozialethik verbunden. Er hat damit eine rege De-
batte entfacht. Für Rawls' Widerlager in der politischen
Philosophie hat sich das Schlagwort des Kommunitarimus
eingebürgert. Die philosophische politische Theorie bleibt in
mancherlei Versionen vital, so vital, daß sie nicht davor zu-

18
rückscheut, sich auf Piraterie einzulassen, um ihren Expres-
sionsdrang nicht abermals - wie bei den historischen Theo-
retikern - im "crowding" um die immergleichen Autoren
aufs Spiel zu setzen. Deshalb sollen in diesem Buch mit Ha-
bermas und Luhmann exemplarisch zwei Theoretiker be-
rücksichtigt werden, die - ohne sich selbst der politischen
Theorie zuzurechnen - von einer ansehnlichen Theoretiker-
fraktion vereinnahmt worden sind (Kapitel 6). Außerhalb der
Betrachtung sollen historisch bedingte Gegenstandsbereiche
der politischen Theorie in bestimmten Ländern, wie z.B. die
Auseinandersetzung mit juristisch geprägten Staatstheorien
in Deutschland, bleiben. Wenn der Versuch, den Status der
politischen Theorie in der Politikwissenschaft zu beurteilen,
vom Erscheinungsbild des Fachs in Deutschlands ausgehen
wollte, wäre er aufgrund des dort vorherrschenden Ver-
ständnisses als Ideen- oder Theoriengeschichte ohnehin zum
Scheitern verurteilt. Die europäischen Fachvereinigungen
beheimaten überwiegend politiktheoretische Provinz. So
kraß wie nur in wenigen politikwissenschaftlichen Teilgebie-
ten dominiert die einschlägige amerikanische Debatte das
Themenspektrum .
Nach solchem Auftakt stellt sich die Frage, welche
Streusiedlungen der politischen Theorie in diesem Band
zuerst aufgesucht werden sollen. Chronologisch richtig wäre
es, nach einer Standortbeschreibung des Betrachters (Kapitel
1) zunächst die Geschichte politischer Ideen bzw. die Klas-
sikergalerie politischer Denker in Augenschein zu nehmen,
dann zur empirischen Theoriebildung im Sinne einer sozi-
alwissenschaftlich verstandenen Politikwissenschaft überzu-
gehen und schließlich den Bogen zur neueren politischen
Philosophie zu schlagen. Diese Form der Abhandlung würde
aber die Bezugnahme der philosophischen Politiktheoretiker
auf die antike und moderne Klassik des politischen Denkens
mit einer Zwischenerörterung der sozialwissenschaftlichen

19
Politiktheorie zerreißen. Lassen wir hier den philosophisch
ambitionierten Köpfen den - zumal in deutschen Gefilden
wohl erwarteten - Vortritt. Die Ideengeschichte (Kapitel 2),
die aristotelische (Kapitel 4) und die moderne politische
Philosophie (Kapitel 5) hängen vieWiltig zusammen. Allein
die empirische Wende in der Disziplingeschichte durchbricht
im folgenden diesen Darstellungsfluß (Kapitel 3), weil ohne
sie die Sonderentwicklung der politischen Philosophie im
Fach nicht recht verständlich würde. Soziologische, ökono-
mische und entscheidungslogische Politiktheorien (Kapitel 7,
8) stellen ganz andere Fragen. Es ist schier unmöglich, die
Fülle der auf Teilforschungen bezogenen Bereichstheorien in
der Politikwissenschaft in einem kurzen Überblick vorzustel-
len. Um einer Konvention Genüge zu tun, kurz noch fol-
gende Ortsbestimmung: Zur empirischen Seite hin be-
schränkt sich der Band auf stark abstrahierende Theorien
politischen HandeIns, auf "Handlungstheorien". Auf dieses
soziologische Etikett könnte beim Sujet der politischen
Theorie verzichtet werden. Unter den sozialwissenschaftli-
chen Politik-theorien besitzen ohnehin nur solche Relevanz
fur die übrige Politikwissenschaft, die sich mit den Motiven,
Zielen und Mitteln des politischen HandeIns beschäftigen
(siehe etwa von Beyme 1991 b). Der breite Strom der
Handlungstheorien bietet der Rational choice, dem Neo-In-
stitutionalismus und selbst kulturellen Politiktheorien be-
queme Durchfahrtmöglichkeiten. Für die Disziplin ist die
Scheidelinie zwischen Theorien des methodologischen In-
dividualismus und kon-textaufgeschlossenen Theorien weit-
aus wichtiger. Das Reden von Handlungstheorie macht über-
haupt nur Sinn, weil für gewöhnlich auch sozialphilosophi-
sche und wissenssoziologische Theorien unter dem ausla-
denden Dach dieses politikwissenschaftlichen Fachgebiets
diskutiert werden.

20
1. Was ist politische Theorie? - Pegeleinstellung

Wissenschaftliche Theorien verbinden Aussagen über empi-


risch belegte Gesetzmäßigkeiten und Regelhaftigkeiten. Die
Naturwissenschaften heben eher die Beweis- oder Widerle-
gungsstrategie der Messung oder des Experiments hervor,
die Soziologie daneben die qualifizierende Beobachtung, die
Politikwissenschaft das historische Argument. Entscheidend
für diesen in der Sozialwissenschaft mit Popper (1969,
Erstaufl. 1934) rezipierten Theoriebegriff ist die Bindung der
Gesetzmäßigkeitsbehauptung an Tatsachen, über die ver-
nünftige Menschen schwer streiten können. Man könnte hier
bereits einwenden, daß die soziale Wirklichkeit durchaus
umstritten sein kann, ohne daß die streitenden Parteien un-
vernünftig argumentieren. Gesellschaft ist konstruiert, vor-
gestellt, eine Sache biographischer Erfahrungen, von Soziali-
sation und Wertvorstellungen (BergeriLuckmann 1977).
Fakten und Wahrnehmungen sind Bausteine verschiedener
Wirklichkeiten. Definitionen und Beobachtungen ermögli-
chen die intersubjektive Verständigung über die soziale
Wirklichkeit. Politikwissenschaftliche Theorien haben im
empirischen Forschungszusammenhang ihren Platz. Sie bie-
ten Erklärungen für Ausschnitte der politischen Erfahrungs-
und Verhaltenswelt an. Auf sie ist der Begriff der Bereichs-
theorien - auch als Theorien mittlerer Reichweite bekannt -
gemünzt (Falter/Göhler 1986, 123 f.). Beispiele sind Partei-
entheorie, Verbändetheorie oder Bürokratietheorie, Theorien
des Wählerverhaltens oder des politischen Entscheidungssy-
stems. Bereichstheorien heben auf Ursachen- und Wirkungs-
verknüpfungen ab, die sich flir die Entzifferung einer vor-
dergründig hochkomplexen Realität eignen. Sie arbeiten
gern mit Modellen, d.h. vereinfachenden Bildern, die so

21
angelegt sind, daß sie verschiedene Ausprägungen emes
Phänomens in Raum und Zeit erfassen.
Wo von politischer Theorie als selbständiger politikwis-
senschaftlicher Aktivität die Rede ist, handelt es sich in der
Regel um Theorien, die einen anderen Zuschnitt aufweisen,
ohne den empirischen Bezug zwingend aufzugeben. Es gibt
beträchtliche Unterschiede in der Abstraktionshöhe politi-
scher Theorien. Wo eine Theorie auf allgemeine, allenthal-
ben anzutreffende Eigenschaften politischer Phänomene
abhebt, also weder nach Gegenständen noch Kontexten rela-
tiviert, trifft sie eine Aussage über originäre Motivlagen oder
Bestimmungsfaktoren politischen HandeIns. So unterstellt
die ökonomische Politiktheorie Menschen auch in der Politik
das Streben nach Maximieren eines ökonomischen Nutzens
bzw. die rigorose Verfolgung eines persönlichen Vorteils.
Diese Annahme wird dann folgerichtig bei der Untersuchung
aller Aspekte von Politik, bei Institutionen, Verhandlungs-
techniken und Lösungen für Probleme der unterschiedlich-
sten Art durchgehalten. Bleiben wir beim Beispiel: So ist der
Mensch nun einmal, ein unermüdlicher Kalkulator, ob nun
als Kunde im Technischen Kaufhaus, in der Wahlkabine
oder vor der Entscheidung, aus einer politischen Partei aus-
zutreten. Wir ersehen daraus, daß eine Theorie, die auf poli-
tische Komplexe angewandt wird, ein Menschenbild ein-
schließt. Und die im Menschenbild angelegte Norm fließt in
die wissenschaftliche Aussage über Ursache und Wirkung
ein. Politik läuft so und nicht anders ab, weil der Mensch so
bes~haffen ist. Erst diese Verbindung von Menschenbild und
Ursachenbehauptung ergibt eine politische Theorie.
Wissenschaftstheoretisch müßte die ökonomische Theorie
der Politik - frei nach Karl Popper - aufgegeben werden,
wenn ihr Mal um Mal nachgewiesen werden könnte, daß sie
immer nur einen kleinen Teilaspekt politischen HandeIns
trifft, wenn sie also die falsifikatorische Bewährungsprobe

22
nicht besteht. Bekanntermaßen hinterläßt sie als politische
Theorie tatsächlich mehr Erklärungsdefizite als Erklärungs-
leistungen. Bei ihren Anhängern erfreut sie sich trotzdem
ungebrochener Treue. Warum? Der Homo oeconomicus ist
ein analytischer Fixpunkt für die Betrachtung der Welt. Sei-
ne Wurzeln hat er in der Überzeugung, daß sich Menschen
richtig verhalten, wenn sie ständig Kosten- und Vorteilser-
wartungen durchspielen. Wissenschaftliche Hypothesen las-
sen sich revidieren, ein Vorurteil, eine Überzeugung, eine
Lebensphilosophie nicht so ohne weiteres. Welt- und Men-
schenbilder stecken selbstverständlich auch in Kultur-, Mi-
lieu- oder Klassentheorien, die al1erdings kleinere Reservate
für autonomes politisches Handeln vorsehen, weil dieses
eben stärker als außendeterminiert angesehen wird, mag es
sich um ein Kapitalverhältnis, die frühkindliche Erziehung
oder um andere Lebensumstände handeln. Für die Annähe-
rung an den schwierigen Begriff der politischen Theorie mag
dies vorerst genügen.
An Versuchen, sich auf eine Umschreibung von politi-
scher Theorie einzulassen, die auch von Vertretern des em-
pirisch orientierten politikwissenschaftlichen Mainstream
akzeptiert werden könnte, herrscht beredter Mangel. Das
dröhnende "sowohl-als-auch" der Beliebigkeit (exemplarisch
bei al1en kritischen Untertönen von Beyme 1991 a, 9, Fal-
ter/Göhler 1986, Narr 1971, 41 ff.) überlagert die wenigen
klaren, wohlüberlegten Festlegungen. Deren verdienen zwei
besondere Beachtung. George H. Sabine, Mentor der politi-
schen Ideengeschichte, charakterisierte im ersten Aufsatz des
neu gegründeten "Journal of Politics" eine politische Theorie
durch a) Faktenaussagen über die historische Situation, in
der sie entstanden ist, b) durch Kausalaussagen über das
wahrscheinliche Auftreten bestimmter Folgen bei Vorliegen
bestimmter Voraussetzungen und c) durch erstrebenswerte
oder für richtig gehaltene politische Zielzustände (1939, 5

23
f.). Gewiß, in den empirischen Bezug, in den Erklärungsan-
spruch und in den normativen Gehalt politischer Theorie
mag man eine frühe Vorwegnahme des sozialwissenschaftli-
chen Theorieverständnisses in der Politikwissenschaft hin-
eindeuten. Bei näherem Hinsehen blickt durch, daß man
damit einem Anachronismus aufsäße. Sabine meint mit poli-
tischer Theorie noch keine sozialwissenschaftlichen Theo-
riebilder. Er hat etwas ganz anderes im Sinn: die Werke der
ideengeschichtlichen Klassiker bzw. die historischen politi-
schen Theorien. Die analytische und die wertende Seite der
Theoriemünze lassen sich von Machiavelli bis Marx belegen.
Andrew Hacker, ein anderer bekannter Theoretiker alter
Schule, meint mit seiner Unterscheidung von politischer
Theorie und politischer Philosophie etwas ähnliches, wobei
er letzterer das Ressort normativer und präskriptiver Aussa-
gen zuweist, den Theoriebegriff aber weniger scharf einmal
für abstrakte Aussagen über die politische Wirklichkeit re-
serviert und ihn dann wieder für den Zusammenspann der
Faktenaussagen und Zielpostulate eines historischen Autors
der politischen Theorie verwendet (1961, 2 f.). Der Unter-
schied dieser Theorievorstellungen zu den heutigen politi-
schen Theorien liegt ebenso schlicht wie bedeutsam in der
von Sabine ausdrücklich hervorgehobenen Absicht der klas-
sischen Theoretiker, das Spannungsverhältnis zwischen den
beschriebenen, unzulänglichen Verhältnissen und den ge-
dachten, erwünschten Verhältnissen zu überwinden (Sabine
1939, 6 f., 10), und zwar entweder, wie bei fortschrittlichen
Denkern, durch Veränderungen zu einem anderen, besseren
Zustand hin, oder, wie beim einen oder anderen konservati-
ven Klassiker, durch die Rechtfertigung eines von Verände-
rungen bedrohten Status quo. Hacker lehnt es rundheraus ab,
den allein auf empirische Bewährung angelegten politikwis-
senschaftlichen Erklärungsmodellen TheorieHihigkeit zu-
zubilligen (Hacker 1961, 3 f.).

24
Die Klassiker waren parteilich, sie wollten Wirkung er-
zielen. Ob Sabine damit nun wirklich ein gemeinsames An-
liegen der Klassiker über die Jahrhunderte hinweg trifft, sei
dahingestellt. Eines aber zeigen schon diese Erläuterungen.
Sabine hat, genau wie die bis heute gepflogene "Theorie-
geschichte" etwa in der deutschen Politikwissenschaft, keine
politischen Theorien der Art vor Augen, wie sie in den letz-
ten fünfzig Jahren entstanden sind. Parteinahmen im Sinne
politischer Ideale oder Utopien werden wissenschaftlich
nicht mehr akzeptiert, ob man dies nun beklagt oder nicht.
Moderne politische Theorien sind durch Konvention in der
"scientific community" gehalten, auf Beweis-, Erklärungs-
oder Begründungskraft zu setzen. Erst vor gut 70 Jahren kam
es zur ersten flüchtigen Begegnung der Politikwissenschaft
mit sozialwissenschaftlichen Methoden. Die Rezeption so-
zialwissenschaftlicher Theorien ließ weit länger auf sich
warten.
Die Klassiker vergangener Jahrhunderte leisteten mit von
sprachrnächtigen Bildern durchwirkter Advokatur, treffen-
den Beobachtungen und empiriefernen Zuspitzungen Über-
zeugungsarbeit. Noch ein weiterer Unterschied trennt Sabi-
nes Theoriekonzept vom heute üblichen Verständnis: Die
bedeutenderen Klassiker des politischen Denkens schrieben
für die Gebildeten und Mächtigen in Gesellschaften, in de-
nen Politik noch ein Geschäft weniger Privilegierter war.
Rousseau mochte schon große Resonanz erzeugen, wenn er
in der Pariser Gesellschaft diskutiert wurde, ein Burke
mochte mit seinen Unterhausreden andere Whigs ihre Sym-
pathien für den revolutionären Antiroyalismus in Frankreich
überdenken lassen. Die Vorstellung, daß selbst ein gelernter
Politikwissenschaftler wie Herbert A. Simon, der sich auf die
goldenen Auen der Ökonomie verirrt und dort die höchsten
Weihen - den Nobelpreis - empfangen hat, nun Politikern
und Medienmogulen sein Denken über eine bessere Welt

25
andienen sollte, um das Jammertal der existierenden Gesell-
schaft zu überwinden, ist so absurd, daß sie nicht einmal
flüchtige Heiterkeit auslösen kann. Dies übrigens bei den
meisten schon deshalb, weil sie erst einmal eine Weile rät-
seln müßten, um den Namen überhaupt unterzubringen. Sa-
bine, damit mag der Punkt abgeschlossen sein, resümiert die
politische Theorie der vorszientistischen Epoche in der Poli-
tikwissenschaft.
Bernard Crick grenzt - wie Hacker - die politische Theo-
rie von der politischen Philosophie ab. Crick, seinerzeit ein
bekannter Kritiker der behavioralistischen Umwälzung in der
amerikanischen Politikwissenschaft (1959), hat gleichwohl
eine Standortbestimmung der politischen Theorie angeboten,
in der die Beobachtung der empirischen Politik schlechthin
zentralen Rang einnimmt. Sein Gegenbegriff der Political
opinion, der politischen Alltagsmeinung, kann hier vernach-
lässigt werden. Politische Theorie umschreibt er als den Ver-
such, politisches Handeln in allgemeinen Sätzen zu erklären,
wobei sie unbeschadet ihrer Reichweite und ihres Abstakti-
onsgrades den Faktor Geschichte berücksichtigen müsse
(Crick 1971,279 ff.). Das letzte ist ein massiver Vorbehalt
gegen kontextfreie Theorie; eine Eigenart der Theoriespra-
che setzt Geschichte mit Zeit- und Kulturbindung gleich.
Laut Crick stehen Erkenntisse über die Stabilität und den
Verfall politischer Ordnungen und die Antriebe politischen
HandeIns im Zentrum des Politikstudiums und der politi-
schen Theorie. Demgegenüber ziele die politische Philoso-
phie auf philosophische Erkenntnis (277). Es sei hinzuge-
fügt: worauf sonst? - Politische Theorie verdanke sich nicht
philosophischen Impulsen, sondern den Erklärungsbedürf-
nissen der politischen Wirklichkeit. Politische Philosophie
gehe allenfalls mit politischen Theorien um, und dabei sehe
sie nicht auf deren empirisches Substrat, sondern auf ihre
logische Vereinbarkeit mit anderen Theorien oder mit philo-

26
sophischen Begründungszusammenhängen (so auch Wolin
1960,5).
Crick sagt es nicht so deutlich, aber es heißt ihn kaum
verdrehen, wenn man bündig übersetzt: Politische Philoso-
phie ist ein Thema für sich, etwas ganz anderes als das, was
die Nachbarfelder der Politikbetrachtung wie Soziologie und
Geschichtswissenschaft mit dem Fach verbindet. Politische
Philosophie, so Crick, sei nicht Theorie, sondern Metatheorie
der Politik, Theorie der Theorien (282). Anders ausgedrückt:
Der politische Philosoph begründet die Idee einer guten oder
gerechten Ordnung, indem er sich mit verschiedenen Theori-
en oder auch Philosophien auseinandersetzt, sich an die eine
anlehnt, die andere prüft und verwirft oder Synthesen kon-
struiert. Das empirische Element, der Erklärungsvorschlag in
bezug auf reales Verhalten, kurz: das, was die politische
Theorie eigentümlich mit der Erforschung politischen Ver-
haltens und politischer Institutionen verbindet, erreicht die
politische Philosophie gar nicht erst (Sartori 1974). Umge-
kehrt kommt die so verstandene politische Theorie bisweilen
aber nicht umhin, die Frage zu stellen, wie die von ihr be-
trachteten Phänomene beschaffen sein sollten, wenn sie zum
Ergebnis kommt, daß die Dinge doch nicht immer so laufen,
wie sie angenommen hat. Hier führt auch Crick ein Stück
Normativität, ein Element politischer Philosophie in die po-
litische Theorie ein, und er schließt damit fur eine empirisch
gewordene Politikwissenschaft an den Sabineschen Kriteri-
enkatalog an (297). Aber er meint mit politischen Theorien
offenkundig nicht die "großen Theorien" als ambitionierte
Entwürfe fur die Perspektivgebung der politischen Wirklich-
keit, sondern politikwissenschaftliche Theorien, in denen das
normative Element eher kleingeschrieben wird, wenn es
denn überhaupt zum Zuge kommt. Die Einfuhrung dieses
Moments bezieht sich im Grunde genommen auf nichts an-
deres als auf die eingangs erwähnte Beobachtung, daß alle

27
sozialwissenschaftliche Theorie Beurteilungsmaßstäbe bein-
haltet, die in werthaften Menschen- und Gesellschaftsbildern
wurzeln. Wer sich mit dem Phänomen politischer Diskrimi-
nierung auseinandersetzt, wird schwerlich umhinkommen,
einen Pegel einzurichten, nach dem er bemißt, wo Diskrimi-
nierung beginnt, wo keine stattfindet oder wo sie sich in
Grauzonen verbirgt. Kurz: Crick beschreibt ein Theoriever-
ständnis, wie es in der empirischen Politikforschung inzwi-
schen gang und gäbe ist.
Wenn sich die akademische politische Theorie dieser
Definition anschlösse und für alles, was nicht darunter fiele,
die Bezeichnung politische Philosophie akzeptierte, könnte
man diese Vorbesichtigung der politischen Theorie mit Crick
abbrechen. Dem ist aber nicht so. Nach wie vor werden phi-
losophische politische Theorien unter dem nicht weiter qua-
lifizierten Begriff der politischen Theorie gehandelt. In den
USA betreibt ein nicht unbeträchtlicher Teil der akademi-
schen politischen Theoriezunft Theorie weder im älteren
Sinne Sabines noch gar in der Diktion Cricks. Die seit über
zwanzig Jahren erscheinende Fachzeitschrift "Political Theo-
ry" veröffentlicht überwiegend Artikel, die zur politischen
Philosophie gehören. Nur sind eben viele Autorinnen und
Autoren in Political science departments eingebunden. Viele
davon reichen Beiträge bei der sozialphilosophischen Zeit-
schrift "Ethics" ein, wie Brian Barry zu berichten weiß, der
beiden Redaktionen angehört hat (1981, 294). Darunter
schreiben noch etliche fur ein anderes bekanntes philosophi-
sches Journal wie "Philosophy & Public Affairs". Barry ur-
teilt unverblümt, die Vertreter der politikwissenschaftlichen
Abteilung fur politische Theorie gerierten sich als Trabanten
der Fachphilosophie. Auf alle Fälle tragen sie für den hier
interessierenden Zusammenhang erheblich zur Verwirrung
bei, was denn nun politische Theorie eigentlich bedeute.

28
Gunnell deutet die differenten Theorieverständnisse als
Ausfaserung und letztlich als Auflösung der politischen
Theorie in ihrer Eigenschaft als politikwissenschaftliche
Subdisziplin. Wie er im ersten Band einer künftig für jede
Dekade vorzulegenden Revue über den Stand der amerikani-
schen Politikwissenschaft feststellte, hatte die Sabinesche
politische Theorie, von ihm als PT bezeichnet, in der Aus-
einandersetzung mit den politischen Denkern der Vergan-
genheit noch eine klare Struktur: Jeder, der von politischer
Theorie sprach, mußte sich mit Politikwissenschaftlern in
anderen Branchen des Fachs nicht erst groß über sein Ar-
beitsfeld, seine Interessen und Methoden verständigen.
Heute habe sich diese Konvention über den Status der politi-
schen Theorie verflüchtigt. Nach wie vor sei die PT präsent.
Im übrigen bezeichne politische Theorie sehr unterschiedli-
che Betätigungen, darunter die auf empirische Bewährung
angelegte sozialwissenschaftliche Politikerklärung und die
politische Philosophie. Diese Theorien umschreibt Gunnell
mit all ihren divergierenden, ja widersprüchlichen Voraus-
setzungen und Erkenntnisinteressen als pt. Diese pt hätten
PT im ursprünglichen Sinne längst überwuchert (Gunnell
1983). Was liegt also näher, als auf der Suche nach dem
derzeitigen Ort der politischen Theorie im Fach die pt in
ihren markanteren Ausprägungen als Sozialwissenschaft
oder Philosophie und die PT als Traditionsbestand näher zu
besichtigen? Fassen wir also zusammen:

- Die älteren Theorien der Klassiker des politischen Denkens


sind Theorie (PI) nach den Sabineschen Kriterien. Sie ste-
hen im Mittelpunkt der fachlich in die Politikwissenschaft
integrierten politischen Ideengeschichte.

- Erst mit der "Versozialwissenschaftlichung" der Politik-


wissenschaft, insbesondere durch die behavioralistische Re-

29
volte, zerbrach dieser ältere Konsens über den Theoriebe-
griff. Es entstanden fortan politikwissenschaftliche Fach-
theorien (pt), die auf hohem Verallgemeinerungsniveau die
politische Wirklichkeit zu erklären beanspruchen. Anders
ausgedrückt: Es fand eine Verselbständigung der in den älte-
ren Theorien mit enthaltenen Beobachtungen und Erklärun-
gen zu spezifischen sozialwissenschaftlichen Theorien statt.

- Gleichzeitig löste sich die normative Komponente der älte-


ren politischen Theorien von der Wirklichkeitsbeobachtung
und driftete ins Fachgebiet der Philosophie, ohne jedoch das
Label der politischen Philosophie einheitlich zu akzeptieren.

Die mangelnde Differenzierung zwischen den Theorie-


verständnissen liegt an der Wurzel der Verwirrung, was nun
eigentlich politische Theorie sei. Dieser Zustand ist unbe-
friedigend, seine Dauerhaftigkeit aber mehr als wahrschein-
lich. Sofern man politische Theorie als Bestandteil der Poli-
tikwissenschaft versteht, muß die Frage erlaubt sein, welche
Version der politischen Theorie denn dem Fach nun am
nächsten steht. Die formelle Fachzuordnung von Repräsen-
tanten der politischen Theorie besagt über ihre inhaltliche
Orientierung so gut wie nichts. Die Bewertung der politi-
schen Theorie hängt entscheidend von der Art des Argu-
mentierens und Begründens und vom Ausmaß des Einlassens
auf beobachtungsgestützte Einwände ab: ob sich Theorie im
vorherrschenden Verständnis als Sozialwissenschaft begreift,
oder ob sie sich vielmehr als Disziplin sui generis versteht -
als eine Geistesgeschichte oder als Zweig der Philosophie
oder als Kombination aus beiden (siehe auch Held 1991, 13).
Fällt die Entscheidung zugunsten eines Fachs eigener Art,
dann sollte die Vieldeutigkeit, ja scheinbare Beliebigkeit des
Theorielabels flir die übrige Politikwissenschaft kein Thema
sell1. Außer einem Begriff, der konventionell nach wie vor

30
mit Politikwissenschaft in Verbindung gebracht würde, hätte
jene mit dieser nichts weiter zu tun. Das wäre etwa die Be-
findlichkeit der politischen Theorie in der weltweit größten,
für globale politikwissenschaftliche Trends unverändert
maßgeblichen amerikanischen Fachvereinigung. Betrachtet
man die politische Theorie indessen als Bestandteil der Poli-
tikwissenschaft, muß sich auch die politische Theorie an der
Elle sozial wissenschaftlicher Theorieerwartung messen las-
sen: Sie dürfte auch dort, wo sie mit Normen operiert, die
nachweisbare politische Wirklichkeit nicht aussperren.
Der Theoriebegriff zwingt zur Parteilichkeit. Doch die
Parteinahme wird zumeist umgangen, wie die vielsagenden
Definitionsverzichte selbst in Lehrbüchern zur politischen
Theorie anschaulich belegen. Freilich bleibt sie auch dort am
Ende nicht aus: Sie versteckt sich nur in Auslassungen und
Stoffentscheidungen. Hier soll nun kein dominantes Thema
im bunt gemischten Angebot der akademischen politischen
Theorie ausgegrenzt werden. Aber das Repertoire wird aus
dem Blickwinkel des oben mit Crick referierten Theoriebe-
griffs dargestellt, d.h. als abstrakt verdichtete Generalaussa-
gen über die politische Wirklichkeit. Dieser Zugriff pro-
grammiert das Unterfangen auf Tauglichkeitsurteile. Das
übliche unbestimmte Reden von politischer Theorie verfährt
nicht anders, nur daß es sich allzu oft zum Fach hin ver-
schließt und mit aristokratischem Gestus Themen und Pro-
bleme diskutiert, die aus der Philosophie geborgt sind und
die darin angelegte Flucht aus der Politikwissenschaft ver-
schleiern.
Die hier getroffene Parteinahme wirft einige Schwierig-
keiten auf, soweit es um die Zuordnung von Wissenschaft-
lern als Philosophen oder Politikwissenschaftlern geht. We-
nige der letzteren schreiben in philosophischen, viele Philo-
sophen aber in politikwissenschaftlichen Büchern und Jour-
nalen. Das Erscheinungsbild der politischen Theorie soll im

31
folgenden nur soweit nachgezeichnet werden, wie es sich aus
politikwissenschaftlich gewidmeten Periodika und aus den
ökonomischen oder philosophischen Veröffentlichungen
rekonstruieren läßt, die dort diskutiert werden. Dieser zweite
Typus von Bezugsliteratur bricht die angestrebte Eingren-
zung auf den politikwissenschaftlichen Veröffentlichungs-
rahmen auf. Leider geht es nicht anders. Zu wenige Politik-
wissenschaftler sind Urheber jener Theorien, die in der
Fachliteratur diskutiert werden.

32
2. Ideengeschichte als Traditionsgewerbe
der politischen Theorie

2.1. Historische Theorien zwischen Philosophie und


Geschichtsbetrachtung

Die Geschichte der politischen Ideen steht zwischen Ge-


schichtswissenschaft und politischer Philosophie, wird aber
trotzdem zur Politikwissenschaft gerechnet (von Beyme
1969). Als eigener Zweig der Politikbetrachtung hat sie ihre
Wurzeln in der Tradition der älteren, vorbehavioralistischen
Politikwissenschaft. Die Rezeption der Political science in
der frühen Bundesrepublik nahm das Studium klassischer
politischer Denker wie selbstverständlich in den Teilgebiets-
kanon auf (Mohr 1986). Die britische Politikwissenschaft
war traditionell stärker von der politischen Philosophie bzw.
vom Klassikerstudium geprägt als die amerikanische, später
sogar noch als in Deutschland öffnete sie sich fur die empiri-
sche Analyse der Politik. Vorher war sie eher Historiogra-
phie und Philosophie. In Deutschland hatte es eine solche
Nische zwischen den etablierten Fächern nicht gegeben.
Philosophie und Staatslehre hatten den Gegenstand der spä-
teren politischen Philosophie unter sich aufgeteilt. Und die
Schwergewichte der philosophischen Fakultäten, Philosophie
und Geschichtswissenschaft, wollten von einem fachlichen
Import nichts wissen, der zwar beide Fächer berührte, aber
doch nicht recht in ihr gewachsenes Profil paßte. So wurde
die Beschäftigung mit historischen politischen Theorien - PT
im Sinne Gunnells - eben zur Ideengeschichte in der Poli-
tikwissenschaft. Der Eindruck drängt sich auf, daß die Un-
terschiede in der Universitätslandschaft und im Selbstver-

33
ständnis der Fächer für die verschiedenen Wege der Ideenge-
schichte in Europa und den USA die beste Erklärung bieten.
Die Ideengeschichte ist das Zufallsprodukt der Gründungs-
und Entstehungsbedingungen der Politikwissenschaft außer-
halb der USA.
Die Statusungewißheit der Ideengeschichte zwischen Hi-
storiographie, Philologie und Philosophie hat sich bis heute
gehalten (Bärsch 1981, 331). Das macht sich nicht zuletzt in
den variierenden Selbstbezeichnungen bemerkbar. Im Ange-
bot stehen politische Ideengeschichte, Geschichte der politi-
schen Ideen und Theoriegeschichte. Abgesehen davon, daß
es einige Klassiker gibt, die seit Sabine und anderen zum
Kanon gehören, bricht spätestens mit der Wende zum 20.
Jahrhundert Uneinigkeit aus, welche Autoren in Politik und
Philosophie denn nun solchen Rang verdienen, um in den
chronologisch geordneten Übersichtsdarstellungen berück-
sichtigt werden zu müssen. Leichter und besser wird die
Lage der Ideengeschichte durch die ungenauen Ortsbezeich-
nungen auch nicht. Diese zeigen eigentlich nur, wie schwer
es diese Spezies Politikwissenschaft mit deren Mainstream
hat. Ganz unbefangen und nach nicht recht einsichtigen Kri-
terien ist einmal von politischer Theorie, ein anderes Mal
von politischer Philosophie als dem Gegenstand der Ideen-
geschichte die Rede.
An diesem Punkt kann eine erste Strukturierung ansetzen.
Da gibt es einmal die Tradition der politischen Philosophie
im kämpferischen, neo-aristotelischen Sinne, die auf die
Wiederkehr der immergleichen Fragen bei Klassikern ver-
schiedener Zeiten pocht. Ihr Stil ist werk- und textorientiert.
Es geht darum, einen Sinn herauszuschälen, eine Lehre, die
über die Zeiten hinweg trägt. Das alles geschieht seriös,
quellennah, gebildet. Die "Tradition" führt Regie (siehe auch
von Beyme 1984, 186 0. Mit gebotener Schuldigkeit wer-
den Marx oder vielleicht noch der eine oder andere sozial i-

34
stische Denker gewürdigt, im übrigen finden sich weitge-
hend die gleichen Klassiker in vertrauter Ein- oder Zwie-
tracht zwischen den Buchdeckeln vereinigt. Spätestens mit
Weber endet die Vorstellung (Maier/Rausch/Denzer
1986/1987). Nehmen wir ein jüngeres Werk dieser Richtung,
das sich ausnahmsweise auf das 20. Jahrhundert einläßt. In
der Einleitung ist von Krisen die Rede, von Ordnungswissen,
dessen die Zeit bedürfe, von Philosophie. Beachtenswert ist
die Bemerkung, Hannah Arendts Interpretation der Republik
in der amerikanischen Gründertradition zeige Perspektiven
für die Rekonstruktion der Polis in der Moderne auf. Das
Thema des Tugendverfalls klingt häufig an (Ballestrem/Ott-
mann 1990). Kern dieser Art Ideengeschichte ist und bleibt
die politische Philosophie (Bermbach 1984, 17 f.). Die Ge-
schichte ist hier lediglich didaktisches Beiwerk.
Anders steht es mit der von Fetscher betriebenen Ideen-
geschichte. Sie will Kontextgeschichte politischer Ideen sein
und die Verbindung historischer politischer Theorien mit den
Konflikten und Horizonten ihrer Zeit freilegen. Sie hat keine
Botschaft und programmiert den Kanon auch anders
(Fetscher/Münkler 1985 ff.). Die Denker der Veränderung
kommen stärker zu Wort, das außereuropäische Denken er-
hält großen Raum. Das alles ist spannende, exzellente Lektü-
re (wie auch das jüngste ideengeschichtliche Großwerk von
Lieber 1991).
Beide Herangehensweisen an Geschichte und politische
Ideen lassen sich noch genauer charakterisieren. Text und
Kontext sind lediglich Grobeinteilungen der Art, mit histori-
schen politischen Ideen umzugehen (Mohr 1995). Der Fach-
philosoph kann es sich mit guten Gründen leisten, aus einer
historischen Philosophie die brauchbare Essenz für die Ge-
genwartsphilosophie herauszufiltern und ihre logische
Struktur in Beiträge zur aktuellen Debatte einzubringen. Er
ist schließlich weder Historiker noch Politikwissenschaftler

35
und will beides wohl auch nicht sein. Der Ideengeschichtler
im Beritt der Politikwissenschaft sollte zögern, so zu verfah-
ren (Adams 1989). Noch einmal zur Erinnerung Sabines
Kriterien politischer Theorie: Faktenorientierung, Kausalität
und normative Wirkung.
Eine dritte Variante der Ideengeschichte hat sich an der
Universität Cambridge entwickelt: Ihr Anliegen ist die Inter-
pretation der Klassiker vor dem intellektuellen Hintergrund
ihrer Zeit. Welche Bedeutung hatten Hobbes' oder Machia-
vellis Begriffe in ihrer Zeit? Wie und wo muß man gegen-
über heutigen Bedeutungen relativieren? Welcher Metaphern
bediente man sich seinerzeit, um verstanden zu werden und
Wirkung zu erzielen? Fragen dieser und ähnlicher Art lassen
sich nur beantworten, wenn zur Interpretation geringere
Denker, Literaten oder Gelehrte einer Epoche herangezogen
werden. In einem programmatischen Aufsatz, einer Art
"Cambridge-Manifest" (Miller 1990, 424), hat Skinner die
Dilemmata der Ideengeschichte notiert (Skinner 1969): Viel-
fach werde der Eindruck suggeriert, alle Antworten auf die
Probleme der betreffenden Zeit ließen sich aus einem Autor
herauslesen. Womöglich hatte dieser Autor, der sich nicht
mehr befragen läßt, aber überhaupt keine so weitreichenden
Absichten. Gravierender noch: Ein Autor wird unhistorisch
nach dem Kenntnisstand der Gegenwart beurteilt. Man
macht sich gar nicht erst die Mühe, die zeitgenössische poli-
tische Situation und den Stand der seinerzeitigen Wissen-
schaft zu ermitteln, um zu eruieren, ob der Autor die unter-
stellten Fakten parat hatte und ob sie dem Kausalitätsdenken
der Zeit entsprechend arrangiert wurden. Da Geschichte stets
rückwärts geschrieben wird, also in wachsender Distanz zu
den Ereignissen, weiß der jüngere Berichterstatter mehr,
auch über die Vorgeschichte eines Klassikers, als dieser
selbst. Das kann dahin fuhren, daß das, was eine Idee in der
Zeit originell machte, weit in die Zeit davor zurückverlegt

36
wird. Dabei wird dann verkannt, daß ein Publikum in seiner
Zeit nicht historisch rekonstruiert, wann eine Idee irgend-
wann zaghaft gereift ist, sondern einem Werk Wirkung ver-
schafft, weil die Umstände es so wollen. Schließlich gebe es
noch die Manie, Autoren Kohärenz zu unterstellen. Jeder
Theoretiker der Vergangenheit biete reichlich Anschauung,
daß er eine Biographie besessen habe, dazulernte, neu- und
umformulierte oder ein Spätwerk produzierte, das mit frühe-
ren Werken brach. Im übrigen lehre die Erfahrung, daß sich
die Bedeutung der Sprache und die Sprachkonventionen
änderten. Skinners seinerzeit stark beachteter Aufsatz läuft
auf philologisch informierte Quellenkritik hinaus
(bekannteste Anwendungsfälle: Skinner 1978, Pocock 1985,
Dunn 1985).

2.2. Der Klassikerkanon: einige Beispiele

Ein Kurzporträt der Ideengeschichte kann auf die Vorstel-


lung einiger Klassiker schlecht verzichten. Freilich sollen im
folgenden allein solche Urheber von PT im Sinne Gunnells
kurz referiert werden, auf die Exponenten dieses Zweigs der
Theoriebetrachtung häufig zurückkommen. Die Annotierung
beschränkt sich auf gängige Werke, die Interessierten den
raschen Zugriff auf vertiefende Literatur bieten. Hier soll nur
angedeutet werden, welche Klassiker und Themen den Tenor
der Ideengeschichte bestimmen. Anstelle eines Fazits leitet
die Skizze einiger auch unter philosophisch desinteressierten
Politikwissenschaftlern wohlgelittener Exponenten der mo-
dernen Wissenschaftstheorie zum nächsten Kapitel über.
Darunter gehört Popper als ein Denker, der sich auch an
einer politischen Theorie versucht, schon nicht mehr zum
ideengeschichtlichen Kanon. Seine Message verdankt ihre
Resonanz einem Wissenschaftsverständnis, das für klassi-

37
sche wie für moderne philosophische Theorien nicht viel
übrig hat.

2.2.1. Aristoteles

Beginnen wir mit Aristoteles (384-322 v. Chr.), dem ge-


meinhin die Urheberschaft des ersten großen politikphiloso-
phischen Entwurfs zugebilligt wird. Es ließe sich darüber
streiten, ob nicht Platon (427-347 v. Chr.) der Vortritt zu
lassen wäre. Platons früher Entwurf eines Idealstaates, der
von einer Philosophenaristokratie gelenkt, von Kriegern
geschützt und von Handwerkern ernährt wird, setzt sich in-
des nicht mit praktischen Problemen der Politik auseinander
(1961). Aristoteles' Denken ist vor dem Hintergrund der
griechischen Polis (Mehrzahl: Poleis) zu betrachten, klein-
räumiger Stadtstaaten. Die Polis war ein "Klassenstaat":
Politische Ämter übten allein aristokratische oder oligarchi-
sche Minderheiten aus. Ein überschaubarer Kreis von Fami-
lien übernahm das Regieren und die Rechtsprechung und
war zur Teilhabe an Gesetzgebung und Ämterwahl berech-
tigt. Bereits die Kaufleute und Handwerker hatten zwar
Pflichten, z.B. den Waffendienst, aber im Vergleich zu den
Vollbürgern mindere Rechte. Das ökonomische Unterfutter
der Poleis bildeten Rechtlose, Sklaven, ohne die keine Polis
hätte bestehen können. Die Herrschenden lebten in latenter
Furcht vor der Sklavenbevölkerung. Die Verfassung der
Polis changierte von Ort zu Ort nach unterschiedlichen inne-
ren und äußeren Bedingungen.
Für Aristoteles ist die Politik eine Handlungswissenschaft
(vgl. zum folgenden Aristoteles' politisches Hauptwerk,
1981). Politik soll die Menschen zum richtigen Handeln in
der Gemeinschaft mit anderen anleiten. Der einzelne wird
hier noch nicht als ein auf Selbstbestimmung angelegtes
Wesen gesehen. Er ist des Lebens in der Gemeinschaft be-

38
dürftig, und zwar nicht in einer beliebigen, sondern in der
guten, wohlgeordneten Polis. Die Kultur der griechischen
Antike war ganzheitlich und darin nicht viel anders als etwa
die ganzheitlichen Kulturen Asiens oder der arabischen
WeIt, in der die Identität des einzelnen mit einer Lebens-
oder Berufsgruppe oder einer Religionsgemeinschaft ver-
schmilzt. Diese Parallelen würden die gestrengen Aristoteli-
ker dieser Tage weit von sich weisen, aber sie zeigen an, daß
sich das Zoon politicon des Aristoteles gut auf traditions-
verwurzelte Gesellschaften reimt, die zwischen privater und
öffentlicher Sphäre nicht groß trennen, wie es ftir die moder-
ne Säkularkultur der westlichen Gesellschaften typisch ist.
Vom Kontext zurück zum Werk des politiktheoretischen
Erzvaters: Weil die Bürgerqualität nun einmal mit der Ge-
meinschaftsbezogenheit gleichzusetzen ist, erftillt sich das
Leben des Polis-Bürgers in der nahtlosen Verfugung von
Einzelschicksal und Bürgerkollektiv. Das von Aristoteles
immer wieder berufene "gute Leben" ist also keine hedoni-
stische Fettlebe. Gut ist das Leben, wenn es zum Nutzen und
Frommen aller ausschlägt, die sich in derselben Gemein-
schaft befinden (Charpa 1991,91 ff.). Der Empiriker Aristo-
teles bringt sich dann freilich mit der Beobachtung ins Spiel,
daß es immer Menschen gibt, die den eigenen Vorteil vor
den Gemeinschaftsbelangen ansiedeln. Lippenbekenntnisse,
Korruptheit oder Opportunismus scheinen der Spezies
Mensch irgendwie eigentümlich. Aristoteles zieht daraus
eine Schlußfolgerung, die erklären mag, warum der originäre
Aristoteles im Unterschied zu seinen zahlreichen mediävalen
und zeitgenössischen Epigonen in der politischen Philoso-
phie so gut wie keine schlechten Noten erhält: Die zahlrei-
chen Charakterschwächen sind zwar nicht aus der Welt zu
schaffen, aber sie lassen sich erfolgreich konterkarieren,
wenn die politischen Institutionen so beschaffen sind, daß
die Bürger dazu angehalten werden, sich von der Tugend,

39
d.h. ihren guten Antrieben, nicht aber von Leidenschaften
wie Bereicherung, Machtstreben oder Rache leiten zu lassen.
Institutionen können Menschen also zum Besseren hin anlei-
ten, oder sie leisten im schlechteren Falle ihren negativen
Eigenschaften Vorschub. Allemal sind Menschen prinzipiell
tugendfähig, d.h. dazu begabt, in Gemeinschaftsbelangen
zwischen gut und schlecht zu unterscheiden und zu wählen.
Aristoteles postuliert, daß die Verfassung der Polis den
Charakter ihrer Bürger und die dort anzutreffenden konkre-
ten politischen Probleme berücksichtigen müsse. Eine gehö-
rige Portion Skepsis ob der menschlichen Natur schwingt in
der Auffassung mit, daß sich die Poleis in einem Kreislauf
befinden, in dem gute Verfassungen schlechteren weichen,
aber auch schlechtere Verfassungen zum Besseren hin ver-
ändert werden können. Jeder guten Staatsform in aufsteigen-
der Reihe entspricht in der Verfallslinie eine schlechte. De-
mokratie, Aristokratie und Monarchie bezeichnen gute, Pö-
belherrschaft, Oligarchie und Despotie schlechte Herr-
schaftsformen. Auf gleicher Stufe unterscheiden sich die
Poleis nicht groß in der Anzahl der Herrschenden, aber ent-
scheidend in der moralischen Qualität ihrer Bürger. Die
denkbar beste aller Welten wäre eine gemischte Verfassung,
die Elemente aller guten Formen kombiniert: die Politie.
Alle Voll bürger beschließen die Gesetze, aber nur die Ari-
stokraten besetzen die Ämter und sprechen Recht, während
ein Monarch herrscht. Mit dieser Idee rief Aristoteles noch
in folgenden Jahrhunderten verschiedene Protagonisten der
"gemischten Verfassung" auf den Plan, darunter als bekann-
teste Montesquieu und die Autoren der Federalist Papers.
Bei schlechten Bürgern werden freilich auch die besten Ver-
fassungen kein gutes Gemeinwesen hinzaubern können.
Aber sie können die schlimmsten Auswüchse verhindern.
Der entscheidende Punkt für das Erkennen einer guten Poli-
tik und den Willen, ihr zu folgen, ist das vernünftige Ge-

40
spräch unter den Bürgern: die Beratung. Nur die Deliberation
enthüllt unterschiedliche Standpunkte, sie wägt ihr Für und
Wider ab und bahnt eine Verständigung an.
Der historische Aristoteles hat allerlei über sich ergehen
lassen müssen. Seine Epigonen haben im 20. Jahrhundert die
Politen, also eine parasitäre Herrenschicht, kurzerhand in die
Universalbürger des demokratischen Zeitalters verwandelt,
indem sie das Sklavenproblem in Fußnoten oder Randbe-
merkungen wegdrücken (z.B. Weber-Schäfer 1968, 60, 62,
Arendt 1994, 31 f.). Und der Polit gewinnt in der unhistori-
schen Betrachtung der bekennenden Aristoteliker die Kontu-
ren eines modernen Bildungsbürgers, der viel Zeit, Lektüre
und Nachdenken auf die Pflege seiner politischen Urteilsfä-
higkeit verwendet (so Crick 1966, 18 f.). Dem historischen
Aristoteles konnte es nach Lage der Dinge nur um eine Poli-
tiklehre für die "haves", für die Artikulationsfähigen gehen.
Wie in halbwegs intakten älteren Sklavengesellschaften üb-
lich, war der Sachmittelcharakter des humanen Haushaltszu-
behörs überhaupt nicht anstößig. Sklaven gehörten wie Frau-
en und Kinder zum "Oikos", zum Haushalt, einem niederen
und von der Polis abgekoppelten Existenzbereich
(Sternberger integriert das "oikos-" und "Sklavenproblem"
seltenerweise in die Interpretation der gemischten Verfas-
sung: 1978, 87 ff.). Dessen ungeachtet schlagen Aristoteles'
Tugendbegriff und seine Reflexion über den Zusammenhang
von Sitten, Bürgerbewußtsein und Institutionen Themen an,
die gewisse Entsprechungen in den modernen Begrifflichkei-
ten des politischen Systems, der politischen Kultur und des
politischen Wandels finden.
WirkungsgeschichtIich wurde Aristoteles vor allem als
Politikethiker rezipiert. Das frühe christliche Mittelalter tat
Aristoteles als Heiden in Acht und Bann. Nur dank der Ge-
bildeten der arabischen Welt blieben seine Schriften für das
spätmittelalterliche Europa bewahrt. Aristoteles wurde zum

41
Steinbruch fur christliche Staatsideen. Namentlich die Idee
des guten Lebens wurde in die Legitimation einer christli-
chen Ordnung mit feststehenden Werten umgedeutet. Die
Elemente der Tugend und des ordnungsstiftenden und ge-
meinschaftsfördernden Arrangements der Verfassung halten
heute eine bekennende Gemeinde von Aristotelikern zu-
sammen, die Aristoteles zum ultimativen Maßstab fur politi-
sche Ideen und Institutionen erhebt und danach nichts mehr
gelten läßt, was von ihrer Lesart dieses Klassikers abweicht.

2.2.2. Machiavelli

Streifen wir hier nur Machiavelli (1467-1527), der als erster


Klassiker mit der aristotelischen und christlichen Politiklehre
brach. Er beschreibt einfach, wie im politischen Getriebe der
italienischen Stadtstaaten List, Mord und Intrige das Tages-
geschäft beherrschten - nicht der gelehrte Diskurs oder die
Reflexion über gemeinschaftsförderndes Handeln, statt des-
sen Macht und der für ihre Sicherung oder Usurpation erfor-
derliche Instrumentenkoffer. Menschen mit nicht allzu heh-
ren Absichten erscheinen so als die eigentlichen Motoren der
Politik. Dazu paßt, daß Machiavelli über das Kalkül mit un-
veränderlichen Gegebenheiten sowie über das Erkennen
politischer Chancen doziert. Der Renaissance-Intellektuelle
fuhrt unter lauter Begleitmusik erstmals den einzelnen als
Faktor der Politik vor. Ähnlich wie sich zu dieser Zeit die
Kunst und die Wissenschaft allmählich von christlichen Mo-
tiven und den Denkverboten der Kirche emanzipieren, so
entschlackt Machiavelli die politische Betrachtung von den
Dogmen des Mittelalters. Wohlmeinende wollen Machiavelli
für die aristotelische Tradition retten, indem sie dem Mantel-
und-Degen-Szenario des "Principe" (1963, Erstaufl. 1532)
die "Discorsi" (1977, Erstaufl.1532) gegenüberstellen, in

42
denen der Vielgeschmähte in den Rechts-und Verfassungs-
systemen der Antike kramt - allerdings mit der edlen Ab-
sicht, mit der Wiederbelebung der Amts- und Republikidee
und in willkürbeschränkenden Gesetzen und Bräuchen Al-
ternativen zu den Kleinstaatendespoten seiner Zeit aufzuzei-
gen (Schmitt 1986). Andere dreschen wie weiland das Heili-
ge Offizium oder Friedericus Rex auf den Florentiner
Schreiber ein, der mit der literarischen Zurschaustellung der
politischen Betriebsmittel seiner Zeit späteren Epochen den
Bazillus der Machtgier als Selbstzweck eingepflanzt habe
(Strauss 1958, Sternberger 1978, 159 ff.). Wieder andere
kümmern sich nicht groß um die Interpretationsgefechte der
Normativisten verschiedener Herkunft und arbeiten das
Werk als Ausdruck eines Epochenwandels heraus, der im
Milieu der oberitalienischen Kleinstaaterei zur gleichen Zeit
durchgreifende Wandlungen in Handel, Produktion und
Kriegshandwerk verzeichnete (Münkler 1982), die sämtlich
den einen Nenner besaßen: Abschied von der geistigen und
gesellschaftlichen Tretmühle des Mittelalters!

2.2.3. Hobbes

Hobbes' (1588-1679) Werk steht im Banne des Kausalitäts-


denkens, das er von der zeitgenössischen Naturwissenschaft
auf gesellschaftliche Phänomene überträgt. Staat und Politik
sind Menschenwerk; sie resultieren aus Wirkungsketten,
deren Auslöser Motive sind, die wiederum in der Beschaf-
fenheit des Menschen liegen.
Menschen sind nach Hobbes nicht viel anders als Tiere.
Zwar mit Vernunft begabt, kennen sie doch keine Moral.
Hobbes fingiert in seinem Hauptwerk (1992, Erstaufl. 1651)
einen ursprünglichen Naturzustand, um damit die Zwecke
jeglicher Herrschaft zu verdeutlichen. Sein archimedischer
Punkt ist die singuläre Ausgabe der Gattung Mensch: der

43
einzelne, der in grauer Vorzeit einmal über Wiesen und
Wälder streifte und sich mit dem begnügte, was die Natur
ihm bot. Was er braucht, fällt ihm in dieser Epoche noch zu,
oder er verschafft es sich mit List und Geschick. Doch all-
mählich wird sein Leben kompliziert. Die Reproduktion
seiner selbst gelingt so gut, daß er in Sichtweite immer öfter
auf andere trifft, die der gleichen Lebensweise frönen. Nach
und nach stehen sich die vielen Einzelgänger im Wege. In
moderner Diktion entbrennt ein Kampf um begrenzte Res-
sourcen. Mit der Konkurrenz aus der eigenen Gattung wird
dabei nicht anders verfahren als mit Raubtieren, d.h. den
einzigen Lebewesen, die isolierte Menschen in den verflos-
senen Zeiten schwacher Bevölkerung zu furchten hatten. Sie
werden beiseite geräumt, sei es durch überlegene Kraft oder
mit allerlei Tricks. Aber die anderen erweisen sich als ge-
fährlichere Gegner denn Wölfe oder Raubkatzen. Sie verfü-
gen über die gleichen Gaben und Schwächen. Jeder Tief-
schlaf wird zum Lebensrisiko, weil er dem Schwächling von
nebenan seine Chance zum erfolgreichen Totschlag ver-
schafft.
Der Naturzustand wirtschaftet ab. Ruhe- und Sicherheits-
bedürfnisse werden zu mächtig, als daß sie die Freiheit der
ursprünglichen Lebensweise aufzuwiegen vermöchten. Die
Menschen verabschieden sich aus der Vereinzelung und
entscheiden sich fur eine drastische Versicherungslösung -
den Staat. In einem Herrschafts- und Unterwerfungsvertrag
übertragen sie ihre mit Angst und Unsicherheit teuer bezahl-
te bisherige Handlungsfreiheit unwiderruflich auf einen
Dritten, den Souverän oder den Staat. Dieser Vertragsakt ist
als Versprechen eines jeden jedem anderen gegenüber aus-
gestaltet, künftig nach den Gesetzen und sonstigen Maßga-
ben des Souveräns zu leben. Dieser ist durch den Vertrag
selbst nicht gebunden. Der Vertrag hat einen einzigen
Zweck: Sicherheit für Leib und Leben jedes Vertragschlie-

44
ßenden herzustellen! Zu diesem Behufe darf der Souverän
alle Maßnahmen treffen und Strafen verhängen. Nur eines ist
durch den Vertrag nicht gedeckt: Todesstrafe oder Todesge-
fahr im Militärdienst. Lebensgefahr setzt die Gehorsams-
pflicht für den einzelnen außer Kraft. Gewiß hat der Souve-
rän, der ja keine Vertragspartei ist, das Recht, Mörder oder
Deserteure mit dem Tode zu bestrafen. Doch ebenso sicher
haben die Betroffenen das Recht, sich zu entziehen, wenn
sich die Chance bietet. Für Staat oder Herrscher letztlich eine
Erfolgsfrage! Wenn der Souverän selbst nicht mehr den Er-
folg seiner Anordnungen gewährleisten kann, stehen ihm
große Probleme ins Haus, die Hobbes nur vage andeutet,
wenn er darauf hinweist, der kluge Herrscher möge sparsam
mit Befehlen und Gesetzen umgehen. Um die Religion als
Quelle politischen Zwistes auszuschalten, soll der Herrscher
bestimmen, was die Menschen öffentlich bekennen müssen.
Welchem Glauben sie privat huldigen, ist allein ihre Sache.
Die Religion ist hier blankes Derivat des Vertragszwecks;
indem sie dem Herrscher anheimgestellt wird, dient sie dem
öffentlichen Frieden und gehorcht sie den originären Interes-
sen der Untertanen.
An Hobbes scheiden sich die Geister wie an keinem ande-
ren Klassiker. Hören wir zunächst die aristotelischen Fun-
damentalisten: Eine größere Untat konnte geistesgeschicht-
lich überhaupt nicht geschehen, als dem Menschen die Mo-
ralität abzusprechen und dafür eine rechtspositivistische
Ersatzkonstruktion zu suchen. Hobbes, so der implizite Vor-
wurf, habe mit seinem Nihilismus den Totalitarismen des 20.
Jahrhundert den Weg bereitet, indem er den einzelnen auf
sein Sicherheitsbedürfnis und den Staat auf die blanke Ord-
nungsapparatur reduziert habe (Strauss 1965, Opitz 1968, 78,
80). Das ist starker Tobak. Aber auch Hobbes' konträre
Deutungen bedienen sich kräftig aus dem historischen Wis-
sen späterer Zeiten. Der umstrittene Engländer habe mit dem

45
Rekurs auf die Vertragskonstruktion das liberale Denken
eingeläutet, sein Modell habe den sich entfaltenden HandeIs-
kapital ism us im England des 17. Jahrhunderts legitim ieren
wollen (MacPherson 1973). Dessen Geschäfte hätten durch
Bürgerkriegs- und Religionskämpfe, die den Meister selbst
ins französische Exil getrieben hätten, schweren Schaden
genommen. Der naturrechtliche Gehorsamsvorbehalt gegen
selbstgefahrdende Befehle signalisiere schemenhaft Bürger-
rechte und legitimen Widerstand gegen ungerechte Herrscher
(Mayer-Tasch 1976). Die eine Auslegung ist so zweifelhaft
wie die andere, weil beide Hobbes mit dem Vorteil der hi-
storischen Retrospektive interpretieren (Münkler 1993). Daß
es Vereinbarkeiten zwischen den liberalen und kapitalisti-
schen Deutungen und dem Geist der Epoche in England gibt,
ist aber nicht von der Hand zu weisen (Shapiro 1986,73 ff.).

2.2.4. Locke

Locke, der wenig später als Hobbes lebte (1632-1704), er-


weitert den staatsbegründenden Kontrakt um das Eigentums-
element. Am Anfang der Lockeschen Herleitung des Staates
steht die Ablehnung der These eines herrscherfrommen eng-
lischen Philosophen, Robert Filmer, der das Herrscherrecht
patriarchalisch aus dem Alten Testament begründet. Das
Vertragsdenken wendet sich bei Locke genauso wie bei
Hobbes' gegen göttliche Legitimation. Das paßte jetzt aller-
dings zur eben vollendeten, für die britische Verfassungs-
entwicklung epochalen "Glorious Revolution" (1688), die
den Vertragscharakter des zeitgenössischen englischen Herr-
schaftssystems soeben eindrucksvoll unterstrichen hatte.
Auch Locke geht in seinem politischen Hauptwerk (1989,
Erstauf. 1690) von einem vorstaatlichen Zustand aus. Dabei
billigt er den Menschen allerdings ein Stück mehr Eignung
zur Geselligkeit zu als sein Vordenker Hobbes. Die Men-

46
schen bearbeiten den Boden und "vermischen" ihre Arbeit
auf diese Weise mit dem Boden. Daraus entsteht Eigentum.
Allein die Unterstellung, Boden könne zum Ausschluß ande-
rer in Gebrauch genommen werden, zeigt, daß Locke bereits
den vorstaatlichen Menschen die Fähigkeit zu vernünftigen
Übereinkünften zutraut. Sie leben in einem Zustand natürli-
cher Freiheit, der durch Konventionen über das Recht auf
Eigentum und Selbsterhaltung gesellschaftliche Qualität
gewinnt. Wer diese Konventionen verletzt, wer tötet oder
stiehlt, verwirkt diese Freiheit. Die Geschädigten mögen auf
Rache verzichten und Frevler als mobiles Eigentum, als
Sklaven, in Besitz nehmen. Lockes Menschen sind ungleich.
Geschick und physische Ausstattung sind ungleich verteilt.
Schließlich sind auch frühere Generationen im Vorteil, die
noch die Chance der freien Landnahme hatten. Spätere Ge-
nerationen können auf diesem Wege kein Eigentum mehr
erwerben.
Der tüchtige Bauer wird bessere Ernten einfahren als der
weniger strebsame oder vom Schicksal gebeutelte Nachbar.
Aber was nützt das Anhäufen von Feldfrüchten, wenn selbst
eine große Sippschaft mit gesundem Appetit noch davon
übrig läßt? Wenn das Gottesgeschenk der Naturgaben ver-
dirbt, so ist das Sünde. Locke hilft aus dieser moralischen
Falle für den Tüchtigen mit einem genialen Kniff heraus und
macht legitimatorisch für den gesellschaftlichen Fortschritt
die Bahn frei: Er behauptet, irgendwann einmal seien die
Menschen, was Rebus sic stantibus nur die Gewiefteren mit
ihren überfüllten Scheuern sein konnten, auf die Idee ge-
kommen, den vom Verderb bedrohten Lohn der agrarischen
Plackerei gegen beständige und unverderbliche Güter wie
Gold und Silber einzutauschen (die nicht unter das biblische
Sündenregister fallen). So erfindet Lockes Gesellschafts-
mensch das Geld, die kapitalistische Erfolgsstory nimmt
ihren Anfang. Das geht immer noch ohne Staat, aber nicht

47
mehr allzu lange. Denn der Markt, der sich jetzt entfaltet,
schafft einerseits große Geldvermögen, während andererseits
viele gerade so zurechtkommen und noch mehr in bitterer
Armut leben. Mißgunst, Diebstahl und Betrug greifen um
sich. Die Reichen werden ihrer Güter bald nicht mehr froh.
Abermals droht Stagnation, weil der Diebe zu viele sind und
der Reichen zu wenige, als daß diese ihr Hab und Gut mit
eigenen Mitteln zu schützen vermöchten. Und wieder rettet
der erfinderische Locke die Situation, indem jetzt endlich
mit dem Staat ein neuer Spieler auf der Gesellschaftsbühne
erscheint.
Der Staat erwächst aus der Einsicht namentlich der Rei-
chen, daß nur eine Assekuranzlösung weiterhilft. Sie verein-
baren in einem Herrschaftsvertrag, einen Souverän einzuset-
zen, der mit Gerichten, Polizei und Armee, also mit einem
effektiven Staatsapparat, Freiheit und Eigentum seiner Un-
tertanen schützt und Verstöße gegen die einschlägigen Ge-
setze ahndet. Sowohl die Vertragschließenden als auch - im
Unterschied zu Hobbes - der Souverän sind Vertragsparteien.
Die Eigentümer überlassen dem Staat einen Teil ihres Ver-
mögens als Steuerleistung, damit Soldaten, Richter und Be-
amte bezahlt werden können. Sie bestimmen selbst, wieviele
Steuern und wie lange sie erhoben werden dürfen. Und sie
geben auch ihre Freiheit nicht an der Staatspforte ab, sondern
dulden lediglich gewisse Freiheitsschranken, die sich aus
dem Staatszweck, letztlich also dem Schutz ihrer eigenen
Interessen, ergeben. Und auch über diese Einschränkungen
befinden sie mittels ihrer Vertreter in der Legislative selbst.
Ein Herrscher, der das Leben und Eigentum seiner Unterta-
nen mißachtet, verwirkt das Recht auf Gehorsam. Dann ist
auch Widerstand legitim - mit dem Ziel, den Herrscher zu
stürzen.
Der Staat ist in der Lockesehen Vertragstheorie nichts
anderes als nur die letzte Konsequenz aus der Natur des

48
Menschen: Wie seinerzeit das Geld die Lösung für die dro-
hende Dämpfung persönlicher Findigkeit und Schaffenskraft
brachte, so greift später der Staat ein, damit es auch lohnt,
selbst in einer Welt der Neider und Diebe reich zu werden
oder es zu bleiben. Locke interessieren allein die Leistungs-
träger, die anderen bleiben stumm in der Kulisse. Trotzdem
sind die Komparsen für das gebotene Stück eminent wichtig
- erinnern sie doch daran, daß es keine gesellschaftlichen
Fortschritte, letztlich auch keinen Staat gäbe, wenn nun alle
von vornherein mit den gleichen Fähigkeiten ausgestattet
gewesen wären (Euchner 1969). Lockes Welt ist lichter als
die des Hobbes. Was wunder? Mit seiner Philosophie reiste
er auf der historischen Siegerstraße. England hatte sich zu
Lockes Schaffenszeit vom Bürgerkrieg auskuriert, es befand
sich auf dem Weg zur maritimen Handelsrnacht; eine Allianz
aus Kaufleuten und kommerziell engagierten Kleinadligen
schickte sich an, über das Parlament die Geschicke des Lan-
des zu bestimmen.
Kritiker werfen Locke vor, daß er sein Vertragsmodell ri-
goros vom Standpunkt des Individuums her entwickle und
das ökonomische Interesse zum archimedischen Punkt aller
gesellschaftlichen Evolution erkläre (Opitz 1968, 144 f,
Strauss 1959, 40 ff.). Der Staat als Service-Agentur für die
Wohlhabenden! Die liberale Interpretation verweist auf die
Beschränkungen, die dem Staat um der Freiheit willen - auch
zum angstfreien Genießen - auferlegt werden (MacPherson
1973). Auf diese Interpretationswege soll hier nicht näher
eingegangen werden. Doch es drängt sich die Frage auf, ob
nicht Hobbes ungeachtet seines Desinteresses an Einzelhei-
ten der Staatlichkeit doch die größere analytische Tiefe be-
sitzt, weil er ein Staatsgründungsmotiv herausarbeitet, das
alle Unterschiede zwischen arm und reich überbrückt: die
Furcht vor gewaltsamem Tod durch den Nächsten, die Re-
gel- und Straflosigkeit des Bellum omnia contra omnes.

49
2.2.5. Rousseau

Der primitive, kein Eigentum und keinen Staat kennende


Mensch ist von Natur aus, d.h. instinktgeleitet",gut". So
lautet der Ausgangspunkt Rousseaus (1712-1778). Aber mit
der Gesellschaftsbildung, der sich der ursprüngliche Mensch
nicht verschließen kann, weil gemeinsame Abwehr gegen die
Unbilden der Natur vonnöten ist, beginnt der moralische
Verfall. Der nunmehr durch Menschenwerk veränderte Le-
bensraum verliert den natürlichen Charakter eines Ortes, der
allen gemeinsam gehört. Er zersplittert sich in Parzellen, die
einzelne fLir die exklusive Nutzung beanspruchen. Rousseau
hält die Erfindung des Eigentums fLir den Sündenfall in der
Menschheitsentwicklung schlechthin. Eigentumsinteressen
wecken in den Menschen die niedrigsten Instinkte. Als Wur-
zel aller Ungleichheit stehen sie der Selbstfindung des Men-
schen nach dem Verlust der ursprünglichen Freiheit ent-
scheidend im Wege. Die in Rousseaus Hauptwerk ausgear-
beitete Vertrags lehre (1958, Erstaufl. 1762) folgt in puncto
Naturzustand und Herrschaftsbegründung im wesentlichen
den Gedanken von Hobbes und Locke. Das Interesse an Si-
cherheit, Ordnung und Eigentum ruft den Staat auf den Plan.
Aber Rousseau gibt sich mit der Errichtung des Staates als
Etappe der Menschheitsentwicklung nicht zufrieden. Der
Allerweltsstaat, wie ihn die Geschichte und die zeitgenössi-
sche "Gegenwart" kennen, interessiert ihn nicht. Vielmehr
will er den Staat als Instrument, um die seit grauer Vorzeit
verlorene natürliche Freiheit und Gleichheit wiederzugewin-
nen. Dazu ist freilich eine andere Staatsqualität vonnöten als
das mit Staatsinsignien versehene Lockesche Wach- und
Schließunternehmen. Rousseau liftet den Staat zur morali-
schen Anstalt. Zwei Seelen ringen in der Brust des Men-
schen: Zum einen auf materielle oder sonstige Vorteile ge-

50
richteten Begehrlichkeiten, Haß- und Neidgefühle, zum an-
deren die edle Gabe, im Mitmenschen sich selbst zu erken-
nen. Letzteres meint grenzenlose Liebe zu seinesgleichen,
oder anders: Unterschiede nach Besitz und Stand kümmern
nicht weiter. Nun taugt die karge Notanstalt des Staates zwar
gegen das Überhandnehmen von Mord und Totschlag und
die Selbstbedienung der Armen bei den Reichen dieser Welt,
aber nicht für so hohe Ziele wie die moralische Wiederge-
burt der Menschen nach Jahrtausenden der zivilisatorischen
Verlotterung. Ein anderer Vertrag, der eigentliche Gesell-
schaftsvertrag muß her, der den Bürgern eines besseren
Staates allerdings einiges mehr abverlangt als blanken Ge-
horsam gegenüber der Ordnungsmacht.
Dieser ideale Staat wird als Gegenbild zu den zeitgenös-
sischen Flächenstaaten entworfen, soweit sie dem exzentri-
schen Multitalent Rousseau aus Reiseberichten und aus dem
Salongeplaudere der Schickeria des bourbonischen Frank-
reich bekannt waren. In der Ausdehnung darf dieser Staat
nicht zu groß geraten, damit sich die Bürger nicht aus den
Augen verlieren. Große Vermögensunterschiede müssen
vermieden werden. Zudem darf sich der Staat nicht mit der
öden Nachtwächterei zufrieden geben. Er soll in therapeuti-
scher Absicht das Leben seiner Bewohner umfassend regle-
mentieren dürfen. Wie das alles vonstatten gehen soll, weiß
Rousseau auch nicht so genau. Seine Liebe zu Theaterstük-
ken hilft weiter. Wie ein Deus ex machina tritt eine mora-
lisch-politische Autorität, ein Verfassungsgeber, auf die
Bühne, sobald in der Gesellschaft der Wunsch übermächtig
wird, im Staat ein besseres Leben zu suchen. Dieser
"Legislateur" besichtigt Land und Leute und produziert ei-
nen Vertragsentwurf, der zur Grundlage eines entsprechen-
den Staates wird. Im Gründungsvertrag verspricht jeder je-
dem anderen, die Vertragskonditionen einzuhalten. Wem sie
nicht passen, der soll das künftige Staatsgebiet verlassen.

51
Wer nachträglich kalte Füße bekommt und aussteigen will,
wird der Staatsabteilung für letales Strafen überantwortet.
Der Legislateur hat mit der Entwurfsarbeit seinen Job erle-
digt und retiriert aus der Geschichte.
Kern der Staatsgründung ist die Erhebung aller Bürger in
den Stand des Gesetzgebers. Regierung, Verwaltung und
Gerichte werden zu Auftragsangelegenheiten deklariert und
sind in den Einzelheiten nicht so wichtig. Soweit die institu-
tionellen Voraussetzungen für das gesellschaftliche Meliora-
tionsprojekt qua Politik! Jetzt kommt es nur noch darauf an,
daß die Bürger auch vorurteils- und interessenfrei beraten.
Folgen sie den allerbesten Motiven, so erkennen und reali-
sieren sie das Gemeinwohl, die Volonte generale. Gelingt es
ihnen aber nicht, den alten Adam abzuschütteln, drücken ihre
Argumente und die Abstimmungsergebnisse nichts anderes
als die Volonte de tous aus. Deren Resultat mag schon sein,
was die meisten oder gar alle wollen. Der Wille aller bleibt
aber eine Sache des Auszählens, nicht des moralischen Ur-
teils. Indes will Rousseau nichts dem Zufall überlassen:
Durch Unterweisung in der Zivilreligion - eine Art politische
Erziehung - sollen die Bürger darin geübt werden, das kleine
Glück im Privaten hintanzustellen, wenn es um Gemein-
schaftsbelange geht. Überschaubarkeit, also Kleindimensio-
nierung im Sinne von Fläche und Bürgerzahl, und mäßiges,
aber möglichst gleich verteiltes Eigentum umreißen weitere
notwendige Voraussetzungen eines erfolgreichen Staatsex-
periments.
An sich sollte man für diesen Staatsentwurf den Beifall
der Aristoteliker erwarten. Endlich mal einer, der Moral
wieder mit großem "M" buchstabiert und wider den Indivi-
dualismus in der Art der englischen Vertragstheoretiker
schreibt. In der Tat fällt die Kritik recht differenziert, teil-
weise gar milde aus. Rousseaus Diagnose einer epochalen
Moralkrise sei schon richtig, doch seine Therapie, die artifi-

52
zielle Rekonstruktion des Guten, sei falsch (Strauss 1977,
264 ff.). Ein anderer Strang der Kritik stellt Rousseau in eine
Reihe mit Hobbes und wirft ihm unterschwellig geistige
Planierungsarbeit für die Totalstaaten des 20. Jahrhunderts
vor, wobei als mildernder Umstand anklingt, daß Rousseau
selbst nicht recht daran glaube, daß sich Menschen aus freien
Stücken auf solcherlei Staat einließen und deshalb behörd-
lich untermauerter psychologischer Bearbeitung - einer vom
Staat dekretierten, für alle Verbindlichen "religion civile" -
bedürften (Maier 1987, 99 f.). Die Verteidigerfront baut
Rousseau zum Protagonisten des Sozialstaates und einer
ausgleichenden Vermögensbildungspolitik aus (Mayer-
Tasch 1976, Fetscher 1981). Bürgerberatung und Gesetzge-
bung werden als Anweisung zum direktdemokratischen
Drehbuch gedeutet. Man bemerkt, daß auch auf Rousseau
historische Traumata und Politikmodelle des 20. Jahrhundert
projiziert werden.

2.2.6. Kant

Der Königsberger Philosoph (1724-1804) knüpft in seinen


politischen Schriften an die angelsächsischen Vertrags lehren
und an das gesellschaftliche Moralitätsprojekt Rousseaus an.
Aber sein Angelpunkt ist ein anderer, und dieser fasziniert
die akademische politische Philosophie bis zum heutigen
Tage. Der Mensch ist einerseits ein naturhaftes Wesen mit
Gefühlen und Motiven wie Haß, Liebe, Habgier oder Mit-
leid. Er ist aber auch mit Vernunft begabt, und diese befähigt
ihn, moralisch zu handeln, d.h. seine Freiheit nach einer ge-
rechten, für sich selbst ebenso wie für andere gültigen Ma-
xime zu gebrauchen. Moralische Prinzipien beschränken
nicht etwa, sie regulieren die Freiheit der einzelnen. Ihre
Findung legt Kant in das Vermögen jedes einzelnen. Nun
zum Staat: Auch Kant nimmt einen fiktiven Naturzustand zu

53
Hilfe, um die Notwendigkeit des Staates zu begründen (vgl.
vor allem Kant 1968 a, b). Dessen Aufgabe ist der Schutz
des Eigentums, das wie bei Locke mit der Bearbeitung des
Bodens seinen Anfang nimmt. Der Staat ist aber mehr als ein
bloßes Sicherheitsunternehmen. Er kann unter Umständen
die Vernunft der in ihm lebenden Menschen zur Entfaltung
bringen. Der Mensch ist dazu fähig, seinesgleichen zu töten,
zu malträtieren und zu berauben. Finden die Menschen aber
zur Vernunft, so verliert der Staat seinen Charakter als
Zwangsveranstaltung, die Menschen vor ihresgleichen
schützt. Kraft Gebrauchs seiner Vernunft kann der einzelne
zur Einsicht gelangen, daß die Suche nach dem persönlichen
Vorteil ohne Rücksicht auf andere nicht als Prinzip des Zu-
sammenlebens taugt. Wohlverstandene Freiheit bedeutet die
Pflicht zum vernünftigen Gebrauch derselben; das heißt auch
dem anderen die gleichen Rechte zuzubilligen, die man
selbst beansprucht. Die Freiheit des anderen setzt die Para-
meter der eigenen Handlungs- und Glaubensfreiheit. Den
eigenen Interessen ist am besten gedient, wenn man ver-
nunftgemäß die Interessen des anderen respektiert. Unter
dieser Voraussetzung können sich die ungleichen Begabun-
gen und Fähigkeiten der Menschen entfalten, ohne Unfrieden
zu stiften. Vollständig kann das nicht gelingen, weil ver-
nunftgemäßes Handeln nur ein Richtwert, eine regulative
Idee, sein kann; Leidenschaft und falsch verstandene Interes-
sen werden im Zusammenleben stets gegenwärtig sein.
Selbst die regulative Idee der Vernunftmoral wird von unter-
schiedlichen Seiten her immer nur in Annäherungen erreicht.
Deshalb braucht es den Staat, und zwar den von Bürgern
konstituierten Rechtsstaat, um eine Rechte- und Pflich-
tenordnung als verbindlich zu bestimmen und auch durchzu-
setzen (vgl. zum folgenden, auch mit Quellennachweisen
Baruzzi 1987, Fetscher 1986 und Schwan 1991,242-251).

54
Ein solcher Rechtsstaat, der sich im Spektrum eines ver-
nunftgeleiteten Bürgerhandelns ansiedelt, erkennt allen ohne
Ausnahme den Bürgerstatus zu und bindet den Staatswillen
bei der Präzisierung des allgemeinen Rechtsprinzips fur die
politischen Tagesbedürfnisse - Gesetzgebung - an die Wil-
lensakte seiner Bürger. Zu diesem Zweck empfiehlt Kant
eine Repräsentativverfassung, die um ein von den Bürgern
gewähltes Repräsentativorgan herum organisiert ist. Ein
Staat, der diese Qualität nicht erreicht, wird weniger von der
Vernunft seiner Bürger als vom Ordnungsauftrag des Souve-
räns bestimmt, der die Untertanen vor sich selbst schützt und
dabei - Hobbes läßt grüßen - nach Gusto verfahren kann.
Freilich bleibt auch die Republik ein staatliches, d.h. mit
Sanktionsgewalt ausgestattetes Unternehmen. Doch wenn
die Staaten ftir sich freiheitliche Ordnungen verkörpern,
braucht es auch keinen Weltstaat, um Kriege zu verhindern
(Gerhardt 1995). Wie könnten Republiken im Außenver-
hältnis andere Grundsätze vertreten als solche, die sie im
Inneren überhaupt konstituieren?
Die Originalität der Kantschen Politikvorstellung ist die
Entwicklungsoffenheit eines Staates, der als Notordnung auf
den Plan tritt, weil die Menschen fur die Selbstbestimmung
noch nicht reif sind. Die Erfahrung des Lebens im - geordne-
ten - Staat kann dazu beitragen, die Einsicht in die Vernunft
einer durch die Freiheit des anderen umgrenzten Freiheit zu
fördern. Anders als bei Rousseau bedarf es keines Legisla-
teurs, keiner Zivilreligion, keines Partizipationsprogramms,
um die Vernunftmoral zu etablieren. Die approximative Be-
freiung aus der Unmündigkeit des interessegeleiteten Ego
zur autonomen Persönlichkeit vollzieht sich in jedem einzel-
nen; der Staat selbst kann dazu allenfalls günstige Voraus-
setzungen herstellen.

55
2.2.7. Burke

Am Zeichentisch entworfene Pläne zur Umgestaltung der


Gesellschaft lehnt Burke (1729-1797) rundweg ab. Was an
Nachrichten aus dem revolutionären Frankreich über den
Kanal gelangte, wurde schließlich zum Anlaß für sein Trak-
tat, das vor den Risiken philosophisch erdachter Handlungs-
vorgaben warnt (Burke 1987, Erstaufl. 1790). An Rousseau
und dem Pariser Revolutionstrupp, der sich auf ihn berief,
kritisiert er zwei Voraussetzungen als grundlegend falsch:
die Auffassung von der Gleichheit der Menschen und den
Eingriff in die Eigentumsverhältnisse. Menschen sind nun
einmal verschieden, und daran wird sich nichts ändern. Im-
mer werden einige tüchtiger sein oder einfach vom glückli-
chen Zufall begünstigt und bald über die anderen herausra-
gen. Es ist vergeblich, daran durch Gleichmacherei etwas
ändern zu wollen. Über kurz oder lang wird es neue Reiche
oder eine neue Adelsklasse geben. Die Unterschiede zwi-
schen den Menschen und gesellschaftliche Hierarchien sind
gottgewollt. Der Versuch, daran etwas zu ändern, wird nur
Unglück heraufbeschwören, namentlich mit der Zerstörung
überlieferter Institutionen. Diese sind deshalb so wichtig,
weil sie das Verhältnis zwischen den Herrschenden und den
Untertanen in einem langen, organischen Prozeß allmähli-
cher Verbesserungen und Anpassungen berechenbar gestaltet
haben. Der Herrscher weiß, wie weit er den Gehorsam seiner
Untertanen strapazieren darf, ohne Widerspruch zu produzie-
ren. Die Aristokratie betreibt die Regierungsgeschäfte seit
vielen Generationer.. und wird den Herrscher entsprechend
beraten. Die Untertanen gewinnen aus den Konventionen,
die von den Herrschenden als Schranken akzeptiert werden,
konkrete Freiheiten, auf die sie bauen können. Zwar verän-
dert sich die Welt, auch in Staat und Politik kann nicht alles
so bleiben, wie es immer war. Doch soll die Anpassung an

56
den Wandel der Zeiten schrittweise vonstatten gehen. Eine
kluge Politik wird bewährte Institutionen und Praktiken bei-
behalten und nur soweit aufgeben oder ergänzen, wie erfor-
derlich, um das Gesamtgefüge zu erhalten. Ganz falsch wäre
das starre Festhalten am Überlieferten. Dann droht die Ge-
fahr, daß sich der letztlich doch unabwendbare Wandel un-
kontrolliert Bahn bricht. Genauso verfehlt wäre die hektische
Reaktion, die mehr preisgibt als nötig und Zweifel an der
Stabilität der überlieferten Ordnung wecken könnte. Eine
gute, schützenswerte Gesellschaft bricht die Brücke zur Ver-
gangenheit nicht ab. Die Frage nach der guten oder schlech-
ten Politik beantwortet sich nicht durchs Philosophieren,
sondern durch Respekt vor der Tradition und reformerisches
Augenmaß. Die besten Garantien dafür bieten die freie poli-
tische Debatte, die Balance zwischen Herrscher und Parla-
ment, der Wechsel der Parteien in der Regierung und last but
not least das Eigentum, das den Wert des Bewahrens verkör-
pert und eine Verantwortung heranbildet, die auch im Staat
Früchte trägt.
Burke hat verständlicherweise auf den Beifall für solche
Gedanken nicht warten müssen. Die Neo-Aristoteliker rech-
nen ihm seinen Sinn für Institutionen hoch an, auch seine
Ablehnung rationalistischer Politikentwürfe (so z.B. Ballest-
rem 1987, 134, Henningsen 1970). Die Liberalen mögen sich
an seiner Lobpreisung von Rang und Stand stoßen, auch
ihnen bietet der Wert der Freiheit einiges (Krockow 1986).

2.2.8. J. St. Mill

Mill (1806-1873) ist ein Kind des 19. Jahrhunderts und kennt
die Probleme sozialer Ungleichheit und Klassenpolitik, die
mit der stürmischen Industrialisierung in Großbritannien
einhergingen. Gleichzeitig ist er ein Fortschrittsoptimist.
Seine Zielprojektion ist utilitaristisch, d.h. von den Lehren

57
seines Landsmannes Bentham geprägt. Die Gesellschaft muß
das Glück der größten Zahl im Auge behalten. Bei Mill hält
sich diese Maxime als das Postulat, die Politik müsse so
handeln, daß es keinem in der Gesellschaft schlechter gehen
darf. Diese Forderung ist nicht auf materielle Güter be-
schränkt. Ihr Fixpunkt ist die Autonomie des einzelnen. Nur
der im Denken und Handeln unabhängige, aufgeklärte und
von keinerlei Konformitätsdruck beeinflußbare Bürger kann
sich vernünftig artikulieren, Argumente anderer aufnehmen
und sich von den besseren Vernunftgründen überzeugen
lassen. Freiheit realisiert sich im Dialog mit anderen darüber,
was der Staat zum Nutzen der Gesellschaft tun soll. Die
Mehrheit, die letztlich entscheidet, hat nichts Beängstigen-
des, soweit sie als Ergebnis einer freien, vernünftigen Debat-
te zustande kommt. Gefahr droht, wenn viele aus Bequem-
lichkeit, Furcht oder um des lieben Friedens willen das eige-
ne Urteil scheuen (1974, Erstaufl. 1859).
Mill ist nicht so naiv, Vermögensunterschiede herunter-
zuspielen, wo es um die Chancen der Freiheit geht. Er will
den Boden in Abständen als Vermögensgrundlage neu vertei-
len, damit niemand zu lange die Vorteile genießt, die nicht
aus eigener Arbeit hervorgegangen, sondern aus Erbschaft
zugefallen sind. Der Staat soll in der Arbeiterklasse Vermö-
gensbildung betreiben. Eigentum fördert das verantwortliche
Urteil über eigentumsrelevante Eingriffe des Staates (1968,
Erstaufl. 1881). Die Diskriminierung von Frauen und Arbei-
tern, auch und gerade beim Wahlrecht, muß beendet werden.
Das Parlament soll ein Spiegel der Gesellschaft sein. Schon
deshalb ist eine Art Verhältniswahlsystem angeraten. Ge-
setzgebung ist eine technische Angelegenheit, Beamte und
Experten sollen sich darum kümmern. Doch das Parlament
soll das politische Für und Wider entsprechender Vorschläge
diskutieren und dann entscheiden (1971, Erstaufl. 1861).
Mill öffnet das liberale Denken für die soziale Frage. Das

58
Eigentum ist lediglich eine Dimension der Freiheit. Chan-
cengleichheit und Persönlichkeitsentfaltung treten hinzu und
erweitern den Freiheitshorizont hin zu Demokratie und Ver-
teilungsgerechtigkeit (vgl. den Tenor der Bewertungen bei
Rausch 1967, Bartsch 1982, Bermbach 1986).

2.2.9. Hegel

Die Ideengeschichte notiert unter den Konstrukteuren großer


politiktheoretischer Entwürfe mit Hegel und Marx zwei
Klassiker, die in verschiedener Weise die großen politischen
und ökonomischen Umwälzungen des 19. Jahrhundert verar-
beiten. Beginnen wir mit Hegel (1770-1831), der die Ge-
schichte in die politische Philosophie hineinholt. Hegel über-
setzt Phänomene der historischen Wirklichkeit in Ideen, die
ihren "Geist" ausdrücken. So gibt es im "Weltgeist" die Idee
Gottes oder des Schicksals, ferner den "Geist" des Staates,
denjenigen bestimmter Gruppen oder Stände und auch den
Geist verschiedener Völker. Die Vernunft, der "absolute
Geist", befähigt dazu, "Geist" oder Ideen in der erlebten
Welt überhaupt zu erkennen und sie auf den Begriff zu brin-
gen. Als hochabstrakte Auflösung einer gemeinten Erschei-
nung in der wirklichen Welt läßt sich ein Begriff leicht durch
seinen Gegenbegriff charakterisieren. Ideen - Thesen - pro-
duzieren ideelle Gegenbilder - Antithesen - und in der ana-
lytischen Zusammenschau beider entsteht eine Idee höherer
Ordnung, die Begriff und Gegenbegriff gleichzeitig erfaßt,
also beide aufnimmt. Diese Synthese erzeugt als neue These
wieder den Gegenbegriff der Antithese. Hegel wendet dieses
dialektische Prinzip auf die Realität an, wie sie ihm in ihren
vermeintlichen philosophischen Spiegelungen gegenübertritt.
So folgt in der Geschichte auf die These der hellenischen
Kultur mit ihren Kleinstaaten und ihrem Verfassungsplura-
lismus die Antithese Roms mit imperialem Herrschaftsan-

59
spruch und einer universalistischen Rechtskultur. Die Syn-
these bildet die germanische Kultur mit den Nationalstaaten
und der Vorstellung gesellschaftlicher Repräsentation in
konstitutionellen politischen Ordnungen. Der Weltgeist lenkt
diesen Geschichtsverlauf, indem er "große Männer" zu Ge-
burtshelfern einer neuen Epoche bestimmt. Ein Alexander,
Caesar oder Bonaparte denkt, er folgte eigenen Plänen, wenn
er die Verhältnisse seiner Zeit umkrempelt. Doch diese Pro-
jekte sind nur eine "List der Geschichte", um den Schluß-
punkt unter eine überlebte Epoche zu setzen und ein neues
Kapitel zu eröffnen (Hege I 1970, Bd. 12, Erstaufl. 1832 ff.).
Kurioserweise erschöpft sich die dialektische Entfaltung der
Historie aber im modernen Staat, zu dem wohl alles vergan-
gene Geschehen hin lenken sollte. Da es in der Welt vernünf-
tig zugeht, wie das dialektische Prinzip in den realen Abläu-
fen zeigt, die sonst ja gar nicht der menschlichen Vernunft
erkennbar wären, manifestiert sich im Staat die vollendete
Vernunft. Das preußische Staatsministerium hörte diese Bot-
schaft seines Professors Hegel allzu gern, wie sich denken
läßt. Doch sehen wir uns diesen Staat etwas genauer an, be-
vor wir uns hier von Hegel mit dem Eindruck verabschieden,
hier vertrete der Wissenschaftskarrierist den blanken Oppor-
tunismus vor der Obrigkeit.
Der Verfassungsstaat der Neuzeit existiert in einer Wech-
selbeziehung zur Gesellschaft. Diese weist die typischen
Erwerbsstände der Bauern, der Kaufleute und der Beamten
auf. Indem Landwirte den Boden bewirtschaften, Handwer-
ker und Kaufleute ihren Gewinnvorteil suchen und Beamte
für ihren Sold Dienst am Ganzen leisten, leben sie alle nach
der Idee eines speziellen, nicht unbedingt bewußten oder
gewollten Beitrags zum Staat. Der einzelne verfolgt sein
Interesse, und er bringt sich damit in die vernünftige Ord-
nung des Staates ein. Bauern bilden den bewahrenden Stand,
sie verkörpern die Idee der Kontinuität, Bodenständigkeit

60
und Verläßlichkeit. Die gewerblichen Berufe mehren den
Wohlstand des Ganzen, mit ihren Steuerleistungen finanzie-
ren sie die Staatsverwaltung. Beamte sorgen als allgemeiner
Stand dafur, daß sich der Herrscherwillen, also die Staats-
räson durchsetzt, wozu auch das Gedeihen von Ackerbau,
Handel und Wandel gehören. Durch Korporationen, Vereine,
Parteien oder erwerbsständische Organisationen wirken die
Stände an den Staatsgeschäften mit (Hegel 1970, Bd. 7,
Erstaufl. 1832 ff.). Man sieht also: dieser Staat läßt sich ohne
weiteres mit den liberalen Verfassungs ideen seiner Zeit ver-
einbaren (Avineri 1976). Ganz abgesehen davon ist die re-
gimepolitische Etikettierung nicht der springende Punkt ftir
Hegels Wirken in der politischen Theorie. Es mag als Fazit
genügen, daß Hegel ein gewaltiges Reifizierungsunterfangen
aufzieht. Begriffe werden fur die Realität genommen und
Probleme über Begriffe definiert und auch gelöst. Das be-
deutet unter anderem die Individualisierung von Institutio-
nen und Kollektiven, aus denen als Bewegungsmoment eine
singuläre Idee herausdestilliert wird. Hegels Rede von
"Geist", "Weltgeist" oder "Volksgeistern" läßt den Zeitge-
nossen des späteren 20. Jahrhunderts aufhorchen. Klingt hier
nicht Sendungsbewußtsein im Sinne der "Vorsehung" oder
das Hantieren mit nationalen Stereotypen an? In diese Rich-
tung geht die Kritik an Hegel (vgl. dazu Fetscher 1986, 225
f., Waszek 1986). Genau besehen trifft sie aber nicht, schon
deshalb nicht, weil sie anachronistische, rückwärts interpre-
tierende Aufrechnung seitens später Geborener bedeutet, die
moderne Assoziationen in weit davor liegende Epochen
transportieren (Rausch 1987, 179 f.).
Kommen wir noch einmal auf den Reifizierungsvorwurf
zurück. Ist Reifizierung denn so typisch fur Hegel? Verfah-
ren nicht Hobbes und Rousseau ganz ähnlich, wenn sie hi-
storisch völlig unbewiesene Naturzustands- und Vertrags-
konstruktionen in die Welt setzen und daraus die Staaten und

61
die Politik ihrer Zeit legitimieren oder kritisieren? Gewiß,
darin sind sie eben alle Philosophen! Der Unterschied bei
Hegel erscheint vor diesem Hintergrund historisch bedingt.
Zu Hegels Zeit betraten die modernen Staats- und Sprachna-
tionen die Weltbühne. Adel, Fabrikanten und Arbeiter wur-
den nicht mehr als einzelne, sondern als Klassen von Men-
schen mit gleichen Interessen wahrgenommen. Die älteren
Vertragstheoretiker dachten noch von den einzelnen her, die
sich noch am leichtesten in Reiche und Habenichtse unter-
scheiden lassen. Objektiv mochte es schon im 17. und 18.
Jahrhundert Nationen und Klassen geben, in die Köpfe und
Schriften der zeitgenössischen Philosophen waren sie jeden-
falls noch nicht vorgedrungen. Das hatte sich zu Hegels Zeit
geändert.

2.2.10. Marx

Marx (1818-1883) ist Hegel in vieler Hinsicht gefolgt. Er


reifiziert nur eben andere Phänomene und lenkt sein politi-
sches Denken auf ein anderes Ziel als den Nachweis der
Vernünftigkeit des modernen Staates. Ihm geht es um die
Emanzipation der Menschen in Gestalt einer historisch für
die Siegerrolle prädestinierten Arbeiterklasse, die es der-
maleinst ermöglichen soll, daß sich jeder ganz nach seinen -
wechselnden - Bedürfnissen frei entfalten kann. Die Utopie
einer kommunistischen Gesellschaftsordnung, in der es keine
Zwänge mehr geben wird, sondern alles durch vernünftige,
freiwillige Kooperation geregelt wird, läßt sich allerdings
nur verwirklichen, wenn zuvor die letzten Reste von Staat-
lichkeit beseitigt werden. Der Staat wird mit Repressivität
gleichgesetzt. Seine Funktion ist die Sicherung der Klassen-
herrschaft. Anders ausgedrückt, setzt der Staat die Produkti-
onsverhältnisse durch, d.h. die Rechts- und Eigentumsver-
hältnisse, mit denen eine Klasse eine andere beherrscht und

62
ausbeutet. Das Verhältnis der Klassen zueinander befindet
sich im historischen Wandel und verändert sich im Sinne
einer Fortschrittsdialektik.
Die Produktivkräfte und die Produktionsverhältnisse bil-
den eine charakteristische Produktionsweise. Die Produktiv-
kräfte verkörpern das dynamische, nach vorn drängende
historische Moment. Gemeint sind damit Faktoren wie
Technik, Wissenschaft und ökonomisch nutzbare Ressour-
cen. Sie werden aber erst durch Klassen zur Entfaltung ge-
bracht. Eine überlebte Produktionsweise, d.h. die unzurei-
chende Nutzung der Produktivkräfte und eine unzeitgemäße
Klassenherrschaft, sind dem Untergang geweiht. Eine neue,
dem Stand der Produktivkräfte entsprechende Klasse muß
sie ablösen. Dies geschieht gewaltsam durch eine Revoluti-
on. Die antike Sklavenhaltergesellschaft wird von der mit-
telalterlichen Feudalherrschaft und diese wieder vom Kapi-
talismus des bürgerlichen Zeitalters überwunden. Die Arbei-
terklasse schickt sich an, dem Kapitalismus den Garaus zu
machen. Mit dem Kommunismus, der dem befreiten Prole-
tariat gemäßen Gesellschaftsform, kommt die Geschichte
jedoch zur Ruhe. Die Klassenwidersprüche finden ihr Ende,
der Staat wird nicht mehr gebraucht, weil Ausbeutung und
Unterdrückung aus der Geschichte verschwinden (vgl. aus
der unübersehbaren Fülle von Marx-Literatur für die Quel-
len: Marx-Engels 1976; zur Sekundärliteratur exemplarisch
Fetscher 1985, Kolakowski 1981). Die Anleihen bei der He-
gelschen Geschichtsdialektik sind offensichtlich, aber Marx
nimmt sie nur als Ausgangspunkt, um eine umfassende So-
zialtheorie zu entwickeln, die im Zusammen spann von Klas-
sen- und Staatsanalyse reale Kontliktlagen seiner Zeit trifft.
Paktierte der Staat in früheren Zeiten mit einer Klasse von
Feudalherren, um die bedrohlichen Ansprüche des aufstei-
genden kapitalistischen Bürgertums abzuwehren, so gerät er
nach der Überwindung des Feudalsystems zur Waffe der

63
Kapitalisten in der Auseinandersetzung mit dem Proletariat.
Dessen Sieg über das kapitalistische Ausbeutungssystem
wird den Eintritt ins Reich der Freiheit bedeuten. Das Zu-
sammenleben der Menschen braucht dann keinen Staat mehr.
Hier bricht sich der philosophische Impetus der Fortschritts-
ideen des 19. Jahrhunderts Bahn.
Definitorische Bestimmungen beherrschen trotz allem
nicht nur den Begriffsapparat, sondern auch die Analyse der
Wirklichkeit. Solange das Proletariat existiert und leidet,
ohne die rote Fahne der Revolution zu hissen, bleibt es für
den dialektischen Fortschritt hin zum Kommunismus noch
einigermaßen schlapp, wie der grimme Rauschebart aus dem
Londoner Exil immer wieder deftig beklagte. Dafür gab er
dem Proletariat die schlechte Note der "Klasse an sich".
Sobald jedoch rußgeschwärzte Schmiede und Kohlenhauer,
Tischlergesellen und stämmige Lohnkutscher hinter den
Aufklärern von der kommunistischen Partei die Fäuste
schwingen, sich mit pickelhaubigen Gendarmen rangeln oder
gar dem preußischen Landrat die Scheiben einwerfen, hat der
Funke des Klassenbewußtseins endlich gezündet. Das Prole-
tariat hat sich zur "Klasse für sich" gemausert und schickt
sich an, in einem revolutionären Kraftakt die letzten Hin-
dernisse vor der Ausfahrt aus dem Reich der Notwendigkei-
ten beiseite zu räumen.
Was in Theorie und Praxis dann kommt, ist in alIen Ein-
zelheiten bekannt. Der Staat ist nicht, wie Marxens Bruder
im Geiste, Engels (1820-1898), so plastisch behauptet hatte,
neben dem Holzpflug im präsozialistischen Museum ausge-
stellt (Engels 1976, Erstaufl. 1884, 296), sondern bis dato
höchst vital. Ausrangiert wurde allein sein sozialistisches
Fabrikat, die "Diktatur des Proletariats", ein Marxsch/En-
gelsscher Terminus, der in der Einsicht geprägt wurde, daß
nach der sozialistischen Revolution für eine gewisse Zeit
noch protostaatliche Strukturen benötigt würden, um Auf-

64
räum arbeiten zu leisten, d.h. die letzten Überbleibsel des
Kapitalismus historisch zu entsorgen. Mit Lenin (1870-
1924), dem das deterministische Wirken der revolutionstrei-
benden Widersprüche im Industriekapitalismus zu lange
dauerte, änderten sich Zeitpunkt und Schauplatz der revolu-
tionären Initialzündung. Die Revolution wurde zur mach-
und manipulierbaren Sache politischer Aktivisten und damit
in die Tagespolitik vorgezogen, und sie wurde zunächst fur
die kapitalistisch kaum entwickelten maroden Großreiche
Eurasiens und Asiens prognostiziert, fur Rußland und China
(Fetscher 1970). Vor diesem Hintergrund feierte die Staats-
idee triste Urständ. Ein sich nur in Teilen der Welt behaup-
tender Sozialismus - nach des Genossen Stalin einprägsamer
Wendung: Sozialismus in einem Lande - mußte als Vorstufe
zum Eintritt in die kommunistische Ära die Revolution
schützen, solange sich ringsum der Kapitalismus noch be-
haupten konnte. Wo die kapitalistische Musik unverändert
laut spielte, kamen Marxisten freilich oft zu der ganz ande-
ren Schlußfolgerung, das Endzeitbrimborium fahrenzulassen
und sich auf das sozialdemokratische Mitspielen in einem
demokratisch zu läuternden bürgerlichen Staat einzulassen,
um wenigstens greifbare sozialpolitische Verbesserungen rur
das Proletariat mit seinem schwachen Revolutionswillen zu
erreichen. So lautete das Programm der "Revisionisten", das
in der Geschichte der Sozialdemokratie mit dem Namen
Eduard Bernsteins (1850-1932) verbunden ist (vgl. etwa
Grebing 1977). Im einen wie im anderen Falle zeigen diese
Anschlußtheorien rur den politischen Tagesbedarf das Di-
lemma der Marxschen Theorie in ihrer Eigenschaft als Dreh-
buch ftir politisches Handeln.
Dieses kurze Abschweifen zu Marx soll zeigen, daß auch
die wirkungsmächtigste politische Idee des 19. und 20. Jahr-
hunderts im Ursprung und in der Argumentation ein philoso-
phisches Anliegen ist, das freilich zentrale Erfahrungen und

65
Anschauungen seiner Zeit reflektiert. Die Ideengeschichte
geht vor diesem Hintergrund der Frage nach, ob dieser Kon-
text in die Theorie eingeflossen ist, wie er durch die Rezep-
tion der zeitgenössischen Wissenschaft gebrochen wurde und
ob die Wirkungs geschichte der Marxschen Theorie einfach
eine Botschaft einkapselte, deren Zeit gekommen schien.

2.2.11. Montesquieu, Madison und Tocqueville

Die oben besprochenen Denker waren in der einen oder an-


deren Weise der Idee gesellschaftlicher und politischer Inno-
vation aufgeschlossen, mochte es sich um einen effektiven
absolutistischen Staat, den britischen Konstitutionalismus,
den bürgerlichen Staat des 19. Jahrhunderts oder die Eman-
zipation der Arbeiterklasse handeln. Eine andere Denkrich-
tung blieb aristotelischem Gedankengut verhaftet. Betrachten
wir zunächst Montesquieu (1689-1755), dem es wie den
übrigen bekannten Denkern seiner Zeit um die Freiheit geht.
Sein Werk läßt sich nicht vom Hintergrund des absolutisti-
schen Regimes der Bourbonen trennen, das althergebrachte
Verwaltungs- und Selbstverwaltungsprivilegien des französi-
schen Adels beseitigt hatte und die überkommene ständische
Repräsentation der Gesellschaft bis zum vollständigen Ver-
fall vernachlässigte. Montesquieus Thema sind die Herr-
schaftsformen und ihre Implikationen für die Freiheit. Die
Freiheit wird hier mit dem Recht von Standesgleichen in-
einsgesetzt, ihre Angelegenheiten gemeinsam zu beraten und
korporativ an den gesamtstaatlichen Gesetzen mitzuwirken.
Die Despotie, d.h. die gesetzlose, nicht kalkulierbare
Willkürherrschaft bezeichnet einen Herrschaftszustand, den
es um jeden Preis zu verhindern gilt. Immer noch übel, aber
doch um einiges weniger schlimm sind die Oligarchie, die
Herrschaft der Habsüchtigen, und die Herrschaft des Pöbels.
Alle drei sind indes der Anarchie vorzuziehen; selbst die

66
Despotie verkörpert noch ein Stückchen "Notstaat", ohne
den es im Zusammenleben der Menschen nun einmal nicht
geht. Die Demokratie, die Aristokratie und die Monarchie
bilden in gut aristotelischer Manier die Gegenstücke zu den
schlechten Herrschaftsformen. Der Unterschied zwischen
beiden liegt darin, daß erstere die zur Herrschaft aller, weni-
ger oder des einen passende Herrscher- und Bürgertugenden
aufweisen, daß diese bei letzteren jedoch fehlen. Heute wür-
de man von politischer Kultur sprechen. Moralen sind nicht
manipulierbar. Sie wurzeln in Kultur und historischer Über-
lieferung, die beim Verstehen eines gegebenen Herrschafts-
systems bedacht werden müssen. Es gilt sie ins Kalkül zu
ziehen, wenn es darum geht, eine Verfassung zu ersinnen,
die das Abgleiten eines tugendschwachen Gemeinwesens in
die Despotie verhindert. Macht ist zwischen verschiedenen
Institutionen zu teilen, über deren Machtanteile die von ih-
nen Repräsentierten wieder eifersüchtig wachen und so die
Übermacht eines Staatsorgans verhindern (Montesquieu
1992, Erstaufl. 1748). Im günstigen Falle gewinnen die Insti-
tutionen solchen Eigenwert, daß sie zum Anker für die Her-
ausbildung politischer Bürgertugenden werden.
Anders argumentiert James Madison (1757-1804) im be-
rühmten Federalist Paper No. 10, das man als Gründungsphi-
losophie der amerikanischen Republik ansehen mag. Nicht
ausgeschlossen, daß es gute menschliche Eigenschaften gibt.
Wenn es um Geld oder geldwerte Vorteile, um Macht oder
Ansehen geht, ist vermutlich jeder sich selbst der nächste.
Nicht genug damit, ist noch damit zu rechnen, daß sich die
Egoismen in Gestalt von Koalitionen, Parteien oder Zusam-
menschlüssen miteinander verbinden. Deshalb ist die Mehr-
heitsherrschaft eine gefährliche Sache. Es braucht nicht viel
Phantasie, sich auszumalen, wie sich die Habenichtse gegen
die Reichen zusammenrotten, um sie im Namen der Mehr-
heit auszunehmen. Die von billigen Leidenschaften be-

67
herrschte Mehrheit mag auch Denk- oder Glaubensverbote
aussprechen. Ohne dem Volk politische Beteiligungsrechte
streitig zu machen, läßt sich in einer klug konzipierten Re-
publik die Volksbeteiligung in den negativen Wirkungen auf
die Verteilungsordnung doch immerhin soweit neutralisie-
ren, daß sie keinen unübersehbaren Schaden anrichtet. Durch
Segmentierung des Staates in autonome Gliedstaaten und
ferner eine horizontale Gewaltenteilung zwischen Judikative,
Legislative und Exekutive sowie schließlich durch zwei-
kammerige Legislativkörperschaften mit unterschiedlichen
Wahlmodalitäten und versetzten Wahlperioden kann die
Mehrheit zu technisch so unterschiedlichen und heterogenen
Ausdrucksformen gezwungen werden, daß es höchst un-
wahrscheinlich wird, daß eine um ein singuläres Interesse
organisierte Mehrheit alle Staatsebenen und Staatsorgane
gleichzeitig kontrollieren kann. Handlungsfähige Mehrheiten
im ganzen Staat werden damit auf den Weg einer Koalition
zwischen unterschiedlichen Interessen und Gruppen verwie-
sen. Dabei sind Mäßigung und Kompromiß Trumpf. Und
diese bedeuten wiederum eine Prämie auf Politiker, die sich
von vornherein dem Status quo oder allenfalls anpassenden
Innovationen desselben verptlichtet fühlen. Sie haben also
Eigenschaften - Tugenden - auszubilden, die ein Zusam-
menwirken der so vielfältig geteilten Machtfragmente ver-
langen (Hamilton/Madison/Jay 1994, Erstautl. 1788). Ohne
diese Eigenschaften passiert vermutlich gar nichts, bleibt
also alles wie gehabt.
Man sieht also, daß Madison die Verfassung einsetzt, um
Eigentumsinteressen zu schützen und Staatseingriffe in Frei-
heit und Eigentum der Bürger zu komplizieren. Das Tugen-
dargument wird dahinter nur noch recht mittelbar sichtbar.
Madisons Verfassungsdenken liegt in der Zieldimension eher
bei Locke als bei Montesquieu, der als Lieferant verfas-
sungstechnischer Kniffe für die Machtbegrenzung Pate steht.

68
Der Blick in die Frühgeschichte der amerikanischen Repu-
blik bestätigt diese liberale Leseart der Checks-and-
Balances-Theorie. Madisons Gegenspieler Jefferson versuch-
te, genau das zu erreichen, was die Verfassungskonstruktion
verhindern sollte - die Farmerrepublik gegen Bankiers und
Kaufleute, Schuldner gegen Gläubiger. Der Erfolg blieb ihm
freilich versagt.
Zu guter Letzt sei Tocqueville (1805-1859) vermerkt, der
sich in seinem berühmten Buch über Amerika (1976,
Erstaufl. 1835/40) voller Bewunderung über die Freiheit
äußert, in der die Amerikaner lebten. Er führt diese Freiheit
indes nicht allein oder in erster Linie auf die Institutionen
zurück, sondern auf den Geist einer Pioniergesellschaft, in
der jeder sein eigener Herr sein wolle. Hier klingt das aristo-
telische Tugendmotiv an. Eben dieser Geist fehle im alten
Europa, das politische Eruptionen erlebe, wenn die Knecht-
schaft zu hart drücke, aber die Unterdrücker erste Anzeichen
von Schwäche erkennen ließen. Richtungslosigkeit und neue
Formen der Unterdrückung sind, wie im Fall der Französi-
schen Revolution, die Folge, wenn ein reformunfähiges altes
Regime von der Wucht der Massenerhebung beiseite gefegt
wird, weil die Menschen auf Freiheit nicht eingestellt sind.
Bei aller positiven Bewertung macht Tocqueville bei den
Amerikanern den Keim einer Knechtschaft aus, der sie sich
indes freiwillig unterwerfen. Sie huldigen dem Mammon,
messen daran Trefflichkeit und sozialen Erfolg und zeichnen
sich überhaupt durch eine Gleichheit der Einstellungen und
Lebensweisen aus, die es dem Nonkonformisten schwer
macht. Die amerikanische Demokratie nivelliert Ansprüche
und Maßstäbe. Nichts für den hierarchiebewußten Aristokra-
ten Tocqueville mit seiner klassischen Bildung, der es ge-
wohnt ist, ob seiner intellektuellen Statur geschätzt oder
gehaßt zu werden! Die liebevolle Schilderung der amerikani-
schen Gründerväter und ihres Werkes verrät, daß ihm eine

69
Republik besser gefiele, in der Geistiges höhere Reputation
genießen würde.

2.3. Abschied von den Klassikern: Einsteuerung in die


szientistischen Theorien

2.3.1. Max Weber

Weber (1864-1920) gehört vielfach zum Kanon der Klassi-


kerstudien, obgleich er bereits keine großen politiktheoreti-
schen Entwürfe mehr geschmiedet hat. Sein Wirken fällt in
die Epoche einer Ausdifferenzierung der Wissenschaften in
Ökonomie, Soziologie und Geschichte. Allerdings schlägt er
als einer der letzten Universalgelehrten noch Brücken über
die Fächer. Für die Ideengeschichte bietet er vor allem als
Denker über die treibende Kraft verschiedener Epochen und
Gesellschaftsformen Stoff. Wo Marx und seine Epigonen die
Klasse als Subjekt historischer Bewegungen in den Mittel-
punkt stellen und sich damit auf Ökonomie und wissen-
schaftlich-technischen Fortschritt kaprizieren, verweist We-
ber auf Kultur und Religion als Schlüssel zum Verständnis
von Gesellschaft und Politik. Seine Hauptthemen sind Kapi-
talismus und instrumentelle Rationalität in einer bürokrati-
sierten Welt.
In einem berühmten Essay über die drei Typen legitimer
Herrschaft arbeitet Weber eine charismatische, eine traditio-
nale und eine bürokratisch-legale Herrschaftsfundierung
heraus. Die charismatische Herrschaft, für die er exempla-
risch Prophetengestalten wie Moses oder Mohammed an-
fUhrt, wird als legitim geglaubt, weil die Ausstrahlung eines
politisch-geistigen Führers die Menschen in seinen Bann
schlägt. Demgegenüber setzt die traditionale Herrschaft auf
die Beibehaltung und Fortführung des Gewohnten. Herr-

70
schaft nimmt in diesem Fall gewisse, durch Brauchtum
sanktionierte Rechte in Anspruch, akzeptiert aber auch über-
lieferte Schranken. Beispielhaft ist die mittelalterliche Feu-
dalherrschaft. Die bürokratisch-legale Herrschaft ist das
Signum der Moderne. Das Herrschen, Regieren oder Verwal-
ten richtet sich nach schriftlichen Regeln, es gehorcht mit
präzise beauftragten Stellvertretern einem obersten Legali-
tätsspender, mag es sich um einen Monarchen, einen Präsi-
denten oder eine parlamentarische Versammlung handeln
(Weber 1968, Erstersch. 1922). Arbeitsteiligkeit in Gesetz-
gebung und Verwaltung ist nur Ausdruck jener zweckgerich-
teten Rationalität, die die ganze Gesellschaft durchdringt.
Auch Parteien, Verbände, Vereine unterwerfen sich der kal-
ten Anstaltsrationalität, die in einer unübersichtlichen Welt
Berechenbarkeit und Effizienz ermöglicht. Diese Welt funk-
tioniert, sie inspiriert aber nicht. Zum al in der Politik droht
die Gefahr, daß Beamte und Funktionäre dem Charisma und
der unkonventionellen Persönlichkeit das Wasser abgraben
(vgl. zum folgenden anstelle von Einzelangaben aus der
uferlosen Weber-Literatur: Käsler 1995).
Weber hält also charismatische Eigenschaften und unbü-
rokratisches Verhalten für historisch keinesfalls überholt. Sie
sind deshalb wichtig, damit sich Politik nicht in grauen Rou-
tinehandlungen erschöpft. Er deutet damit auf ein Bedürfnis
der Gesellschaft nach Richtungsweisung und Identifikation
(vgl. Zängle 1989) hin. Die blassen amerikanischen Präsi-
dentschaftsgestalten seiner Zeit, die mediokren Reichskanz-
ler der Nach-Bismarck-Ära und die Parteiapparate verschie-
denster Bauart von der fein verdrahteten deutschen Sozial-
demokratie bis hin zu den kruden amerikanischen Parteima-
schinen bieten Beispiele für den Politikertypus des bürokra-
tischen Zeitalters. Andererseits demonstrieren ein Bismarck
oder ein Gladstone, daß auch noch in Webers Zeit die mar-
kante Führerfigur imstande ist, die Apparate für eine phan-

71
tasievolle, Unterstützung generierende Politik in Dienst zu
nehmen (Weber 1972 (Erstaufl. 1922): 825 ff., 837 ff.).
Weber schlägt ein Thema an, das zu seiner Zeit viele So-
ziologen und Staats lehrer, namentlich in Deutschland, gefes-
selt hat. Erinnert sei an Robert Michels' (1876-1936) These
von der Oligarchie als unentrinnbarem Schicksal aller De-
mokratieversuche (Michels 1970 (Erstaufl. 1911 », oder an
Smends (1882-1975) Idee einer die Gesellschaft erfassenden
politischen Integration, mit der er die Staats betrachtung über
die trockene Normenhantiererei hinauszuführen trachtet
(Smend 1955). Die Weimarer Verfassung, an der Weber
mitgewirkt hatte, sah im Reichspräsidenten als gewähltem
Monarchen eine "balancing power" zum parteien- und büro-
kratiebeherrschten Parlaments- und Ministerialbetrieb.
Webers Religionsforschungen ergänzen dieses Bild. Der
protestantische Geist des modernen Kapitalismus, das Er-
kennen von Auserwähltheit in asketisch erarbeitetem Reich-
tum, prämiiert nicht den Wirtschaftsabenteurer, der durch
hohes Spiel oder glücklichen Zufall zu Vermögen kommt
(1963, 163 ff.). Weber schweben keine "großen Männer"
vom Zuschnitt eines Louis oder Napoleon Bonaparte, schon
gar keine unreifen gekrönten Häupter wie der hemmungslos
schwadronierende zweite Preußenwilhelm vor. Aber es sind
keine Dutzendgestalten, die Firmenimperien errichten oder
als Politiker Respekt und Anerkennung gewinnen. Webers
Unbehagen an politischen Gesinnungsethiken, sein Bestehen
auf dem verantwortungsethischen Kalkül mit den Folgen
politischen Handeins verweisen bei aller politischen Leiden-
schaft auf Augenmaß und Vernunft. Wie sich aber die Spe-
kulanten oder die Gesinnungstäter aus der Politik heraushal-
ten lassen, der Verantwortungsethiker aber durch institutio-
nelle Anreize heranerziehen läßt, bleibt offen. Offenkundig
obsiegt hier Webers Skepsis, ob sich Menschen gegen die
übermächtigen Kräfte ihrer Zeit stellen könnten (Hennis

72
1987). Seine Hoffnung, mehr ist es nicht, ruht auf den libera-
len Ständen, die nicht "von" der Politik leben müssen, son-
dern es sich leisten können, mit einer bürgerlichen Existenz
im Hintergrund "für" sie zu leben. (Weber 1958 (Erstersch.
1919), 545 ff.). An sich recht dürftig, wenn man bedenkt,
wie stark und mächtig Weber ausholt, um die beherrschen-
den Tendenzen einer Epoche zu zeichnen!
Akademische Professionalität führt Webers Griffel, nicht
Weltverbesserung oder Zukunftsvision. Seine Ausführungen
zur Politik geraten voluntaristischer als sein übriges Werk.
Das mag auch daran liegen, daß ihm bei aller Weitläufigkeit
doch die unmittelbare Erfahrung des Lebens in einer libera-
len parlamentarischen oder präsidialen Demokratie fehlt.
Weber ist allenfalls Vernunftdemokrat, soweit ihn Parlamen-
tarismus und Wahlen als plausible und effiziente Regie-
rungs- und Legitimationsmechanismen überzeugen. Seine
"Lebenswelt" im wilhelmischen Deutschland und das Di-
lemma der Politik im autoritär getönten deutschen Konstitu-
tionalismus mag er gut treffen, aber das seinerzeitige
Deutschland war wohl nicht der geeignete Ort, um eine
Theorie zu entwickeln, die den Wert der Demokratie als
politische Lebensform thematisiert (Mommsen 1959). Aus
welchen Gründen auch immer: Viele ideengeschichtliche
Editionen schließen mit Weber allmählich die Galerie der
großen Namen.
Weber hat als Wissenschaftstheoretiker in der Sozial- und
Politikwissenschaft mindestens ebenso tiefe Spuren hinter-
lassen wie mit seinen Reflexionen über die politische Be-
findlichkeit seiner Epoche. Deshalb einige Sätze zum Wis-
senschaftsverständnis, die zur nachfolgenden Referierung
Poppers überleiten, mit dem das Denken über Politik in die
Fahrwasser methodengebundener Professionalität gelangt:
Webers "verstehende Soziologie" fordert den Wissenschaft-
ler auf, in sozialen Erscheinungen das Wesentliche heraus-

73
zuarbeiten (Weber 1968 (Erstersch. 1913), 427 ff.). Dabei
mag er den Gegenstand nach politischer Präferenz und Gusto
auswählen. Für den Erkenntnisprozeß zählt allein die vorur-
teilsfreie Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Tatsa-
chen und dazu die deutliche Benennung des Interesses, das
zur Beschäftigung mit dem betreffenden Gegenstand moti-
viert. Da sich Weber mit kulturell und historisch bestimm-
ten, umfassenden Phänomenen befaßt, ist sein Vorgehen auf
das Interpretieren gesellschaftlicher Fakten angelegt. Inso-
weit markiert Weber in der frühen Soziologie die Gegenpo-
sition zur Sozialwissenschaft Durkheims, die bereits auf die
Beweisflihrung mit Daten setzt und darin ein Kredo des spä-
teren Behavioralismus vorwegnimmt (Durkheim 1984,
Erstaufl. 1895). Weber will aber nicht die freie Interpretation
des Publizisten oder die quellengestützte Detailschilderung
des Historikers. Das charakteristische Stilmittel seiner Ge-
seIlschaftsanalyse ist der Idealtypus: die Umschreibung des
Gegenstandes unter Fortlassung all jener Details und Varia-
tionen, die der unübersehbaren Vielzahl von Realtypen eigen
sind, so daß das Gemeinsame oder Verbindende zutage tre-
ten kann. So lassen sich denn Kulturen, Epochen, Organisa-
tionen und Wirtschaftsweisen auf einen anschaulichen und
dennoch abstrahierenden Begriff bringen. Bis heute lehnen
sich Typisierungen in der Politikwissenschaft an diese Vor-
gehensweise an. Zweckrationales Handeln, so Weber, bietet
den besten Einstieg in die Regelhaftigkeiten und Gleich-
mäßigkeiten im Handeln gesellschaftlicher Kollektive. Des-
halb kommt es darauf an, bei einem zu untersuchenden Pro-
blem diese Zwecke zu eruieren. Historische und ökonomi-
sche Zusammenhänge tragen maßgeblich dazu bei, ihnen auf
die Spur zu kommen. Wo Weber indes zur Politik vorstößt,
zur Entscheidungsbedürftigkeit kollidierender materieller
Interessen oder immaterieller Werte, nimmt er zwar deren
Pluralität und die damit einhergehenden Konflikte zur

74
Kenntnis. Aber er bleibt die Erklärung schuldig. Am Ende ist
nicht viel mehr als das erwähnte Plädoyer für die Verantwor-
tungsethik zu resümieren. Verständlich in Anbetracht seiner
Zeit, dringt er zum Bürger oder Untertanen als Quelle politi-
schen Streits wie auch politischer Handlungsfähigkeit nicht
vor. Auch die Frage, warum und wie Verantwortung in die
Köpfe der Politiker vordringen soll, bleibt offen. Später
sollten die politische Philosophie und die politikwissen-
schaftliche Theoriebildung diese Frage aufnehmen.

2.3.2. Popper

Betrachten wir mit Popper (1902-1994) noch einen Philoso-


phen, der wie kein anderer das Selbstverständnis der moder-
nen Wissenschaft auf den Punkt gebracht hat. Poppers Werk
berührt nur am Rande die Sozialwissenschaft, aber es scheut
keine dezidierten Aussagen zur Politik. Popper geht es als
Wissenschaftler wie als politischem Denker um den Nach-
weis, daß jegliche Zukunftsprojektion, die mit geschichtli-
chen Kräften oder anthropologischen Gegebenheiten argu-
mentiert - etwa dem Weltgeist bei Hegel, dem Klassenwider-
spruch bei Marx oder der Gemeinschaftsbedürftigkeit des
Menschen bei den antiken Klassikern - Utopien und uner-
füllbaren Hoffnungen Vorschub leistet und immer wieder
dazu anstiftet, Menschen und Gesellschaften zum eigenen
Glück, auch gegen ihr Widerstreben, nach einem bestimmten
Bilde zu formen. So hätten der Sozialismus oder der Fa-
schismus sämtlich ihre Wurzeln in pseudowissenschaftlichen
Prophetien, die per definitionem empirisch weder beweisfä-
hig noch kritisierbar seien. Jede dieser Strömungen habe auf
ihre Weise Unglück über die Menschheit gebracht (vgl. da-
zu, auch im folgenden, Popper 1980, Erstaufl. 1944).
Eine verantwortlich handelnde Politik soll nicht anders
agieren als die Wissenschaft - ein Markt von Ideen, Plänen,

75
Anregungen, Zweifeln. Exemplarisch für den Wissen-
schaftsprozeß ist die Naturwissenschaft. Am Beispiel der
experimentellen Vorgehensweise entwickelt Popper als ent-
scheidendes Kriterium wissenschaftlicher Erkenntnis die
Forderung, daß vorläufige Ergebnisse, die anscheinend die
Richtigkeit einer These bestätigen, von verschiedenen Seiten
her immer und immer wieder in Frage gestellt werden müs-
sen. Poppers Generallosung ist der Fallibilismus, der unab-
lässige Versuch, Thesen, Überzeugungen oder Theorien zu
falsifizieren. Hat eine Behauptung alle Hürden der Infrage-
stellung genommen, darf sie als wahr gelten - aber nur so
lange, bis es gelingt, später vielleicht doch einmal ihre Feh-
lerhaftigkeit nachzuweisen. Die Gewißheiten der Welt, in
der wir leben, sind nicht endgültig - wir müssen jederzeit
damit rechnen, daß wir ohne sie leben müssen. Was der fal-
sifikatorische Fehlversuch in Physik oder Biologie, das ist
für die Sozialwissenschaft mit ihren Gegenstandsbesonder-
heiten die Erfahrung und Beobachtung. Die Vorläufigkeit
von Wahrheiten gilt um nichts weniger für die Welt der po-
litischen Überzeugungen und des politischen HandeIns. Nur
eines ist sicher: Niemand ist im Besitz letzter Wahrheiten,
der Zweifel eines jeden ist legitim, in der Wissenschaft wie
in der Politik. Meinungsfreiheit und Wissenschaftsfreiheit
bilden darum Eckpunkte der bei Popper mit Demokratie
gleichzusetzenden "offenen Gesellschaft". Stillstand ist als
politische Maxime ebenso falsch wie die radikale Vision
einer schöneren und besseren Welt. Der Common sense
lehrt, daß es stets Ungerechtigkeiten und Mißstände geben
wird, die von den Menschen nicht toleriert werden und poli-
tische Antworten verlangen. Verantwortliche Politik heißt
Reform: Veränderung mit dem Ziel, Probleme zu lösen, wo-
bei es der politischen Auseinandersetzung obliegt, Probleme
zu definieren, sie auf die Tagesordnung zu setzen und wo-
möglich irgendwann daraus zu streichen. Dazu gehören auch

76
Wahlen und die Chance des vom Wähler bewirkten Wech-
sels der Regierung in der Demokratie. Gesamtlösungen ste-
hen im Widerspruch zum Reformgedanken, weil sie die Na-
tur eines Problems verkennen: Probleme wird es immer ge-
ben, Utopien suggerieren bloß die Möglichkeit eines Lebens
ohne Probleme.
Poppers Reformbekenntnis hat noch eine weitere Impli-
kation: Politik ist Piecemeal technology, sie vollzieht sich in
kleinen Schritten, die im Mißerfolgsfall revidiert werden
können, um andere Lösungen auszuprobieren (Popper 1965,
Erstaufl. 1934). Eine revolutionäre Politik kann auf halbem
Wege schon nicht mehr zurück, wie Popper mit den natio-
nalsozialistischen und stalinistischen Totalitarismen argu-
mentiert. Sie hat bereits mehr Probleme in die Welt gesetzt
als gelöst und verfängt sich allzu leicht im Versuch, dennoch
die utopische Zielmarke zu erreichen. Wie der Wissenschaft-
ler im Falsifikationsbetrieb, so muß die Politik kontinuierlich
ihre Ziele, Instrumente und Ergebnisse in Frage stellen. Und
dabei soll sie, ohne die Verantwortung aus der Hand zu ge-
ben, wo es sich anbietet, wissenschaftliche Erkenntnis und
Kritik ins Kalkül ziehen. Auch deshalb ist eine freie Wissen-
schaft so wichtig für die Gesellschaft. Popper präzisiert mit
diesen Forderungen das Problem der politischen Verantwor-
tungsethik. Mit Weber teilte Poppers "Kritischer Rationalis-
mus" freilich die offene Frage, unter welchen institutionellen
und kulturellen Voraussetzungen denn solche Verantwortung
reifen kann und warum es in der Welt eben allzu oft nicht
rational zugeht, ja warum von verschiedenen politischen
Überzeugungen her verantwortliche Reformpolitik rekla-
miert wird. Diese Frage wird heute empirisch wie philoso-
phisch selbstredend unterschiedlich beantwortet, je nachdem,
welchem Theoriebild die Wissenschaft folgt. Wie sie in der
neueren Politikwissenschaft behandelt wird, ist das Thema
der folgenden Kapitel. Doch sei abschließend nicht ver-

77
schwiegen, daß die politikwissenschaftliche und politikwis-
senschaftsverwandte Theorienbildung mit Poppers Politik-
und Wissenschaftsverständnis gut zurechtkommt.

2.3.3 Kuhn

Mit Kuhn (1922-1995) stellt ein Wissenschaftsphilosoph der


Funktionsfahigkeit der fallibilistischen Erkenntniskontrolle
eine allenfalls langfristige Wirkungsprognose. Hat sich erst
einmal eine Annahme über globale Ursachenzusammenhän-
ge - eine Art Theorienstil. der einer ganzen Familie von
Theorien eigen ist - durchgesetzt, dann werden ganze Gene-
rationen von Wissenschaftlern damit hantieren und auf ihrer
Grundlage speziellere Forschungen betreiben, ohne diese
Voraussetzung noch weiter in Frage zu stellen. Ein einst
originelles, vorläufig wohl tragfähiges Theoriebild wird
kaum bemerkt "orthodox", es wird zum Inbegriff "normaler
Wissenschaft" oder, wie Kuhn es nennt, zum "Paradigma".
Das Paradigma entsteht danach also nicht aus der Bewäh-
rung von Theorien im Forschungsprozeß. Es bildet sich in
einem sozialen Prozeß, zu dem die Wissenschaftsorganisati-
on, Karrieremaßgaben, Gewohnheiten und Bequemlichkeit
beitragen; es fußt auf einer Konvention (Kuhn 1976,
Erstaufl. 1962).
Kuhn arbeitet durchweg mit Theorienbildern der Natur-
wissenschaft, die sich nicht auf die Sozialwissenschaften
übertragen lassen. Akzeptiert man den Begriff des Paradig-
mas, so sind etwa Soziologie, Geschichts- oder Politikwis-
senschaft durch eine Vielzahl von Paradigmen charakteri-
siert. Dessen ungeachtet stecken in dieser Vorstellung vom
Paradigma Vorgänge, die offensichtlich auch in der Politik-
wissenschaft stattfinden: Theorien haben ihre Konjunkturen,
ja Moden. An ihrem Anfang steht eine originelle These oder
em heuristisches Modell, das bei näherem Hinsehen eine

78
Reihe von politischen Phänomenen plausibel erklärt. Nach
einer gewissen Zeit werden sie unretlektiert übernommen
und weitergeführt, weil die Stichwortgeber im Wissen-
schaftsbetrieb sie zum Standard deklarieren oder der wissen-
schaftliche Nachwuchs vorauseilend die jüngsten literari-
schen Erkenntnisfrüchte professoralen Personals vor Peers
und Studierenden zum "dernier cri" der Fachdiskussion ver-
edelt. So ganz rational, wie Popper vermeint, geht es in der
Wissenschaft nicht zu, in der Politik, wie uns der Common
sense lehrt, sowieso nicht.
Kuhn und Popper bilden Spannungspunkte im modemen
Wissenschaftsverständnis, die andere Wissenschaftstheoreti-
ker angeregt haben, ihre Gedanken weiterzuspinnen. So fol-
gert Feyerabend provokant, wenn Wissenschaft schon als
Übereinkunft und soziales Ereignis enttarnt sei, dann gebüh-
re landläufigen Theorien mit all ihren forschungsleitenden
Implikationen auch nicht der Respekt eines durch Leistung
belegten Zugangs zu Problemen: Seine Parole des "anything
goes" fordert dazu auf, jedwede Theorie, so unkonventionell
sie auch sein möge, als gleichwertig mit jeder anderen anzu-
sehen, ja der Konventionsverstoß führe durch das Ausleuch-
ten der toten Winkel eines kanonisierten Wissenschafsbe-
triebs womöglich zur besseren Erkenntnis (Feyerabend 1986,
Erstautl. 1976). Lakatos andererseits möchte Paradigmen als
"Forschungsprogramme" verstanden wissen. Sie mögen sich
als solche wohl erschöpfen, aber nicht durch die Zäsur einer
Ablösung. Mag ein Forschungsprogramm im Theoriekern
auch erstarren, so läuft es doch so lange weiter, wie es auf
neue, noch nicht erprobte Gegenstände anwendbar bleibt und
zu bisher nicht gehabten Erkenntnissen fuhrt (Lakatos 1982).
Den Zustand eines paradigmatischen Pluralismus, der so-
wohl erstarrte als auch vitale und sich ankündigende Para-
digmen nebeneinander kennt - in den Sozialwissenschaften

79
allemal eine "Normallage" - erfaßt dieser Gedanke recht
plastisch. Grundlegend bei allen drei Theoretikern:
Die Idee des Paradigmas verweist auf die Biographien der
Wissenschaftler, die in ihrer Tätigkeit definieren, was Stand
der Wissenschaft ist. Die Betrachtung der politischen Theo-
rie darf deshalb auf den Blick zur Fachgeschichte nicht ver-
zichten.

2.4. Bilanz

Die philosophische und historische Auseinandersetzung mit


Ideen und klassischen Denkern gab es schon, bevor sich eine
modern verstandene, sozialwissenschaftliche Politikwissen-
schaft herausbildete. Sie ist in der philosophischen Variante
so alt wie die Philosophie selbst und hat aus der Textanalyse
und der Geschichtswissenschaft mehr Impulse erhalten als
aus der Sozialwissenschaft. Entwicklungen im engeren Fach
haben sie nicht erreicht - und sie konnten es angesichts der
unterschiedlichen Gegenstände und Herangehensweisen
auch nicht. Der Kontrast zu den wissenschaftstheoretischen
Autoren, deren Grundideen sich im empirischen Mainstream
der Politikwissenschaft erkennen lassen, macht dies deutlich.

80
3. Hintergrund der Theoriedebatte:
Die empirische Wende der frühen
amerikanischen Politikwissenschaft

In ihrer Gründungsphase hatte die amerikanische Politikwis-


senschaft noch empirieferne Interessen. Es ging um Staats-
und Völkerrecht, Rechtsvergleich und das Studium der
Klassiker politischer Ideen. Darin drückte sich zum einen die
Sozialwissenschaftsferne des späteren 19. Jahrhundert aus,
zum anderen die Prägung der modernen amerikanischen
Universität durch das deutsche Vorbild. Die herkömmlichen
amerikanischen Universitäten hatten ein scholastisches Cur-
riculum. Inhalte waren kanonisiert, Professoren bedienten
bei Bedarf auch in anderen Fachdisziplinen, Forschung gab
es kaum. Erst nach dem Sezessionskrieg bewirkten der
Morrill Act - obligatorische Landschenkungen an Hochschu-
len bei Aufnahme neuer Staaten in die Union - und Stiftun-
gen der Industriemagnaten des "gilded age" eine allmähliche
Reform der Universität. Viele Professoren, die jetzt dort tätig
wurden, hatten in Deutschland studiert und waren vom Se-
minarbetrieb mit seinen Freiheiten bei der Erarbeitung von
Themen und seinen offenen Diskussionen beeindruckt. Er
nahm sich vorteilhaft gegen den verschulten, auch auf äußere
Disziplin abstellenden Lehrbetrieb aus, den sie von ihren
immer noch recht stark theologischen Inhalten verpflichteten
Colleges her kannten. Diese Erfahrung fand in der Gründung
von Graduiertenkollegs ihren Niederschlag, die auf selb-
ständiges Forschen und Debattieren der Ergebnisse abstell-
ten. In allen auf diese Weise reorganisierten Fächern stellte
sich ein signifikanter Anstieg der Promotionen ein (dazu und
im folgenden die disziplinhistorischen Darstellungen von
SomitiTanenhaus 1967, Ricci 1984, Seidelman 1985).

81
Nachdem es zunächst nur vereinzelte Politikprofessuren
gegeben hatte, wurde 1880 an der Columbia University die
erste Fakultät für Politikwissenschaft eingerichtet. Noch gut
ein Vierteljahrhundert behielt das Fach - mit allerdings rapi-
de abnehmender Tendenz - eine deutsche Prägung. Staatsleh-
re und Geschichtsbetrachtung sowie - in alter College-
Tradition - die antiken und modernen Klassiker des politi-
schen Denkens okkupierten die Studienpläne. Die schwer-
fällige, abstrakte Begrifflichkeit und die Deduktionsneigung
der teutonischen Staatsliteratur paßten indes schlecht in die
vom Pragmatismus und Empirismus durchtränkte intellek-
tuelle Kultur der Vereinigten Staaten. Die frühe amerikani-
sche Sozialwissenschaft war auf soziale Änderung aus. In
der Art der abolitionistischen Bewegung, die sich am Übel
der Sklavenwirtschaft in den Südstaaten gebildet hatte,
drängte es Historiker, Ökonomen, Soziologen und eben Po-
litikwissenschaftler, mit praktischen Vorschlägen Mißstände
wie Kinderverwahrlosung, Konzentration wirtschaftlicher
Macht bei den industriellen Gründergestalten, inkompetente
Verwaltungen und korrupte politische Usancen zu bekämp-
fen. Das Progressive movement mit seinen Stoßrichtungen
gegen Amateurverwaltungen, Patronage, korrupte Parteien
und wirtschaftliche Monopole, das um die Jahrhundertwende
eine Vielzahl von Reformen im politischen Betrieb anstieß,
deckte sich weitgehend mit der Reformgesinnung in der
akademischen Welt. Dieses Motiv spielte bei Gründung der
American Social Science Association (ASSA) 1886 eine
Rolle. Die ASSA verlor jedoch schon bald an Bedeutung.
Grund war die rasche Differenzierung der frühen Sozialwis-
senschaft (HaskeIl 1977).
Erst in der Verbindung mit den aus der amerikanischen
Gesellschaft erwachsenden Problemen und Reformdebatten
schärfte die frühe Politikwissenschaft ihr Profil. Während
die germanophilen Politikwissenschaftler in ihrer Columbia-

82
Hochburg so gut wie keine Spuren in der Frühgeschichte des
Fachs hinterließen, machten sich anglophile Politikwissen-
schaftler an den Konkurrenzuniversitäten Harvard und Prin-
ceton einen Namen, so etwa Charles E. Beard (1974,
Erstaufl. 1913) mit seiner Entmystifizierung der amerikani-
schen Verfassung, die er auf ein Konstrukt von Eigentümer-
und Gläubigerinteressen zuspitzte - ein ungeheuerlicher
Bruch mit der hagiograph ischen Darstellungstradition der
Gründerväter der USA. Woodrow Wilson trat in zahlreichen
Schriften für die Reform der amerikanischen Verwaltung
nach kontinentaleuropäischem Modell ein. Er versprach sich
davon ein Ersticken der alltäglichen kleinen und großen Kor-
ruption, namentlich in Kommunen und Staaten. Vor allem
forderte er die Umgestaltung der amerikanischen Institutio-
nen in Richtung auf die politische Führungsrolle des Präsi-
denten und die Mehrheitsbeschaffungsfunktion des Kongres-
ses (Wilson 1956, Erstaufl. 1884). Wilson bewunderte den
Westminster-Parlamentarismus, wie ihn Bagehot (1963
(Erstaufl. 1867)) in seinem klassischen Werk exemplarisch
beschrieben hat. Parteien fanden generell großes Interesse -
als Reformobjekte wie als Vehikel weiterreichender politi-
scher Reform. Bryce (1888) und Lowell (1896) bem ühten
sich im Vergleich von Kabinetts-und Präsidialregimen und
von disziplinierten und weniger disziplinierten Parteien zu
Einsichten zu finden, die das Verständnis der amerikani-
schen Situation erleichterten. In die Prominentengalerie der
Epoche gehört ferner Arthur Bentley, dem eine politikwis-
senschaftliche Karriere verwehrt blieb, der aber eines der
wichtigsten Werke der frühen Politikwissenschaft verfaßte:
eine gruppentheoretisch fundierte Analyse der amerikani-
schen Politik, die in der Begriffstrinität von Handeln-
Gruppe-Interesse bereits eine Art empirisch gestützte Theo-
rie der Politik überhaupt enthielt (1908).

83
Die Gründung der American Political Science Associati-
on (APSA) im Jahre 1903 stand unter dem Motto, die Poli-
tikwissenschaft solle Fakten sammeln, um politische Vor-
gänge besser zu verstehen. Hinter dieser Aufforderung lauer-
te noch nicht die Datenfixierung, die man ihr in späteren
Jahrzehnten zugeschrieben hätte. Gemeint waren Fakten als
brauchbare Beobachtungen, um der informellen Dimension
der Politik auf die Spur zu kommen. Diese galt als die Es-
senz politikwissenschaftlicher Erkenntnis, sie versprach in
dieser Zeit Reputation: Welche verborgenen, doch bei nähe-
rem Hinsehen erkennbaren Mechanismen, Motive und Ver-
haltensweisen wirken in der Politik? Welche Möglichkeiten
bieten sich, hat man sie erst erkannt, um sie zu instrumenta-
lisieren, zu steuern? Bereits nach dieser kursorischen Revue
kann festgestellt werden, daß es hier schon darum geht, An-
triebe ausfindig zu machen, die Ketten politischer Handlun-
gen auslösen, gleichzeitig aber Optionen zu entdecken, wie
man solches Handeln auch anders konditionieren kann.
Wenn überhaupt, kann man darin allenfalls schemenhaft ein
theoretisches Interesse im Sinne der Gunnellschen pt erken-
nen. Die Politikwissenschaft war in dieser Gründungsphase
allein, wie man es heute ausdrücken würde, empirisch inter-
essiert. Sie wollte vernünftig erklären, wie es in der Politik
zugeht. Die akademische politische Theorie lief in dieser
Zeit bereits als Traditionsposten in den politikwissenschaft-
lichen Abteilungen der Universitäten mit.
Eine neue Generation von Politikwissenschaftlern be-
stimmte in den 20er Jahren den Tenor. Ihr Zentrum war die
Universität Chicago, die seinerzeit eine führende Rolle in der
empirischen Sozialwissenschaft der USA innehatte. Große
Beachtung fand etwa die behavioristische Psychologie John
B. Watsons mit ihrem Anspruch, in einem Stimulus-
response-Modell Verhalten als Resultat äußerer Impulse zu
erklären (vgl. die Kurzcharakterisierung des Behaviorismus

84
bei: Bergius 1972, 81 ff.). Treibende Kraft hinter der Wende
der amerikanischen Politikwissenschaft zur Kommunikation
mit den sozialwissenschaftlichen Nachbardisziplinen war
Charles E. Merriam. Dieser hatte eine zeitweise erfolgreiche
Karriere in der Chicagoer Kommunalpolitik hinter sich, be-
vor er seit 1923 Disziplingeschichte machte. Merriam hatte
noch eine traditionelle Ausbildung im Studium von Klassi-
kern und Institutionen, geriet indes immer stärker ins Fahr-
wasser des Pragmatismus; vernünftige Wirklichkeitsurteile
verlangten nach Fakten (Karl 1974). Der Mittlere Westen
war zu dieser Zeit das Zentrum der amerikanischen Indu-
strie, Chicago die heimliche Hauptstadt der USA. Soziale
Verwerfungen im Gefolge der Landflucht, Integrationspro-
bleme der massiven europäischen Einwanderung - Multi-
Kulti noch ohne Schockfarben -, organisierte Kriminalität
und Wirtschaftsmagnaten, die mit der einen Hand, mit der
sie gleichzeitig die Gewerkschaften unterdrückten, indu-
strielle Privatimperien schufen, während sie mit der anderen
wissenschaftliche Stiftungen gründeten und Universitäten
förderten. In diesem Ambiente stellten sich dem politischen
Kopf eine Reihe von Fragen, auf die Soziologie und Psycho-
logie bessere Antworten versprachen als das Denken in
förmlichen Organisationen und in den Ideen vergangener
Zeiten (Berndtson 1987, 91). Die Datenverftigbarkeit war
durch verbesserte Statistik und Methoden der kontrollierten
Beobachtung, die in den Nachbardisziplinen die Bewäh-
rungsprobe längst bestanden hatten, immens gewachsen.
Hier reifte nun die Vorstellung des Politikwissenschaftlers
und Ex-Politikers Merriam, komme man durch datengestütz-
te Beweise erst einmal zur Kenntnis der Ursachen für politi-
sches Verhalten, so müsse es auch möglich sein, sie für poli-
tische Veränderungen zu nutzen (Leiserson 1975, 177 f.).
Namentlich das Irrationale in der Politik lasse sich auf diese
Weise womöglich enträtseln. Die Psychologie mache auf die

85
Mechanismen aufmerksam, durch die sich die politische
Wirklichkeit den Menschen mitteile, in denen Urteile heran-
reiften und Entscheidungen getroffen würden (dazu etwa
Merriams Spätwerk, 1945). Was Wunder, daß Merriam von
keiner Disziplin mehr fasziniert war als von der Psychologie
(Merriam 1921)? Merriam wurde 1923 Chairman des Politi-
cal science department in Chicago, im selben Jahr schrieb er
den Forschungsbericht der APSA, in dem er euphorisch die
neuen Möglichkeiten der Regierungsforschung beschrieb
(Merriam 1923). Die Gründung eines Social Science Rese-
arch Council (SSRC), der private Fördermitte1 poolen und
Forschungsschwerpunkte setzen sollte, ging maßgeblich auf
seine Initiative zurück. Als der Behavioralismus als metho-
denfixierte Datenanalyse nach dem Krieg das Gesicht der
amerikanischen Politikwissenschaft veränderte, schlug die
große Stunde des SSRC. In der Ära Merriam wuchsen in
Chicago Wissenschaftler wie Truman, Key, Easton und AI-
mond heran, die nach dem Zweiten Weltkrieg überragende
Bedeutung erlangen sollten.
Merriams Schüler Harold D. LassweIl hat die Idee einer
neuen Politikwissenschaft wohl am stärksten ausgefeilt und
akademisiert. Er war kein Politiker, besaß jedoch eine klare
Vorstellung, was die Politikwissenschaft dazu beitragen sol-
le, um das in der Welt existierende Irrationale fur die Politik
berechenbar zu machen. Man bedenke hier, daß er - wie
Merriam auch - seit den 30er Jahren die Anschauung des
Nationalsozialismus, die imperialistische Politik Deutsch-
lands, Japans und Italiens, die Verfolgung der europäischen
Juden und die Emigration bedeutender europäischer Wissen-
schaftler vor Augen hatte. Dieser moralische Impetus blieb
in der von LassweIl angestoßenen behavioralistischen For-
schung überaus wichtig - ein Grund, weshalb LassweIl in
den 50er Jahren zu Politikwissenschaftlern auf Distanz ging,
die Daten und Methoden fetischisierten. Dessen ungeachtet

86
hat er durch seine szientistischen Botschaften gewirkt, insbe-
sondere durch seine Aufforderung, Daten, Daten und noch-
mals Daten zu akquirieren und sie für die Bildung beweis-
kräftiger Theorien einzusetzen. Der Politikwissenschaftler
dürfe historische Informationen nicht ignorieren. Aber sie
gehörten in die Sparte der Urteilsbildung, ob sich die Politik
in Richtung auf gewollte Ziele bewege (LassweIl 1963). Die
wissenschaftliche Aufgabe bestehe darin, in der Zusammen-
arbeit mit anderen Disziplinen die Prämissen politischen
Handeins herauszufinden, ihre Folgen zu eruieren und so zu
Einsichten zu gelangen, was getan werden müsse, um eine
gewünschte Politik realisierbar anzulegen (LassweIl 1958,
Erstaufl. 1936). LassweIl lenkt - wie bereits ansatzweise
Merriam - die Politikwissenschaft ins Fahrwassser der
Handlungstheorie, die sie bis heute nicht verlassen hat. Sein
Bekenntnis zu einer Politik der Reform floß darin ein. Das
Postulat einer besseren Politik ist der Kern der Lasswell-
schen Vorstellung von den Policy sciences (Lasswell/Lerner
1951). LassweIl wendet sich indirekt an die verantwortlichen
Eliten, die aufgefordert werden, unter wissenschaftlicher
Beratung einen Kurs zu steuern, der die Bürger vor den Fol-
gen einer falschen Politik bewahrt. In diesem Punkt setzt
LassweIl einen anderen Akzent als Merriam, der stets den
politischen Bildungsauftrag der Wissenschaft hervorgekehrt
hatte, um die Vernunft in die Politik zu holen (Gunnell 1983,
10). Diesem ging es um Bürger, die wissen, wie Politik
funktioniert, und die merken, wo sie im Dienste unlauterer
Ziele stehen. Merriam war eben noch unter dem Eindruck
des Progressive Movement in die Politikwissenschaft ge-
langt. Ohne werthafte politische Prämisse stand die Verwis-
senschaftlichung der Politikbetrachtung in Gefahr, sich in
den Bahnen einer allein am politischen Gegenstand haften-
den empirischen Sozialforschung zu verlieren. In Teilen der

87
Politikwissenschaft ist das denn auch eingetreten. Dazu spä-
ter.
Die allmähliche Öffnung der Politikwissenschaft für die
Kulturwissenschaften markierte ihre beginnende Sensibili-
sierung für Erklärungen aus dem sozio-politischen Kontext.
Die Welt außerhalb der USA machte sich in den 30er Jahren
unüberhörbar bemerkbar, so die japanische Expansion in
China, die martialischen Gesten Deutschlands in der euro-
päischen Politik und die rätselhaften Vorgänge in Deutsch-
land selbst, das viele amerikanische Sozialwissenschaftier
gut kannten, ja wo sie zum Teil studiert hatten. Zum al der
asiatische Krieg zwang die amerikanische Politik zur Aus-
einandersetzung mit Gesellschaften, die selbst den wenigen
Pol itikwissenschaftlern verschlossen blieben, die sich mit
der Welt außerhalb Nordamerikas befaßten. Der Krieg rückte
nun als weitere politikwissenschaftliche Nachbardisziplin die
Sozialanthropologie ins Gesichtsfeld: eine Wissenschaft, die
das Studium und - aus westlicher Perspektive - den Ver-
gleich fremder Gesellschaften betrieb. Die Anthropologie
arbeitete im Unterschied zur bisherigen Politikwissenschaft
nicht mit formalen Institutionen, die es in ihrem Gegen-
standsbereich einfacher, zivilisatorisch kaum berührter Völ-
ker nicht gab. Sie erforschte systematisch Geschichte, Tradi-
tion und soziale Praktiken. Die Anthropologie war und ist
konventionell an kleinen, ganzheitlichen Kulturen interes-
siert. Ihr Ansatz wurde für die Politikwissenschaft dennoch
hochinteressant. Borislaw Malinowski hatte die Anthropo-
logie in den 20er Jahren mit funktionalistischen Kategorien
vertraut gemacht. Ideographische Beobachtungen, die sich
ganz auf das Besondere fremder Kulturen konzentrieren,
wichen der Frage, ob sich scheinbar exotische Eigenarten
nicht plausibel aus den kulturspezifischen Ausprägungen
universell anzutreffender gesellschaftlicher Funktionen ver-
stehen ließen, d.h. aus Vorgängen, die prinzipiell in allen

88
Gesellschaften anzutreffen sind (Ge liner 1988). Die Poli-
tikwissenschaftler im Wirkungskreis Chicagos rezipierten
die bekanntesten amerikanischen Vertreter der Anthropolo-
gie: Kluckhohn (1951, Erstaufl.) hatte die ganzheitliche,
kontextbewußte Betrachtung selbst partikularer Kulturaspek-
te betont, Benedict (1957, Erstaufl. 1934) mit der sozialen
Konstruiertheit anderer Kulturen und ihrer Reproduktion
durch Lernprozesse argumentiert und ebenso nüchtern wie
überzeugend die ideologischen Wurzeln der Gewohnheit
freigelegt, Kulturen nach rassischen Merkmalen zu hierar-
chisieren. Mead (1973, Erstauf. 1934) hatte schließlich den
Begriff der Persönlichkeit mit Ansätzen der Individual- und
Sozialpsychologie verbunden, aber die Unzulänglichkeit des
Watsonschen Reiz-Reaktions-Schemas verworfen, weil es
Verhalten nicht als sozial, d.h. durch Interaktion verursacht
erkenne.
Dieser Hintergrund wurde in einem von Loewenstein zu-
sammengefaßten Bericht des Panel on Comparative Politics
der APSA deutlich (Loewenstein 1944). Dort wurde der bis-
herige zwischengesellschaftliche Politikvergleich schlicht als
Anachronismus taxiert. Ökonomie, Statistik, Psychologie
und Anthropologie müßten zu Rate gezogen werden, um die
Komparatistik neu zu orientieren, und zwar auf den Ver-
gleich von Kulturmustern. Es klang im Panel Report, soweit
von Kultur die Rede war, noch keineswegs die zeitgenössi-
sche Kontroverse zwischen einer statistisch-nomothetischen
Politikwissenschaft, und einer verstehenden Politikwissen-
schaft an. Es ging vorerst noch darum, auch diese Sparte der
Politikwissenschaft für den Zugang der Nachbarwissenschaf-
ten zu öffnen.
Diese Rückschau auf die originäre moderne Politikwis-
senschaft zwischen den beiden Weltkriegen und im letzten,
weltverändernden internationalen Großkrieg nähert sich dem
Ende. Die wissenschaftshistorischen und politischen Verän-

89
derungen und ihre Gründe sind erwähnt, einige wichtige, in
der Politikwissenschaft fast vergessene Wegbereiter der
Disziplin skizziert. Bei alledem bleibt ein unerklärter Rest.
Reichen die Beobachtung von Trends und der Blick über die
fachlichen Zäune aus, um eine paradigmatische Wende in
einem Fach zu bewirken? Hat nicht der Aufstieg sozialwis-
senschaftlicher Denkweisen in der Politikbetrachtung mit
politischen Konjunkturen und sich wandelnden Problem-
haushalten zu tun? Vielleicht banal, aber flir den europäi-
schen Betrachter nicht ganz selbstverständlich: Der Krieg
erwies sich flir die Wende zum Empirischen im Fach als
ausschlaggebend. Zur Erinnerung: Der moderne amerikani-
sche Staat, nach 60 Jahren abermals heiß umstritten, hat zwei
Väter - die Weltwirtschaftskrise und den Krieg. Zur Bera-
tung der amerikanischen Kriegsftihrung gelangten Politik-
wissenschaftler in zahlreiche Ämter und Dienststellen. Ihr
Rat schien neben dem von Ökonomen, Soziologen und Psy-
chologen aber wenig gefragt. Diese hatten anscheinend ähn-
liches zu bieten wie die zahlreichen Naturwissenschaftler im
Regierungsdienst: Datenwissen, Methoden, Theorien - kurz:
ein Know-how, das als etablierter fachlicher Standard prä-
sentiert werden konnte. Sie waren auch nicht verlegen,
scheinbar präzise Antworten und Prognosen zu liefern, wann
immer sie gefragt waren - und ob sie am Ende nun stimmten
oder nicht. Die Bürokratie braucht Daten und handhabbare
Formeln, Politiker brauchen nachvollziehbare, auf Expertise
gestützte Empfehlungen. Die Politikwissenschaft konnte hier
noch nicht mithalten. Für eine Wissenschaftlergeneration,
die im ersten Karrierestadium steckte, damals ein Anreiz, ihr
Fach so aufzuwerten, daß es den Anschluß an die Reputation
der erfolgreicheren Nachbardisziplinen finden konnte!
Jetzt aber zur Frage nach dem Status der politischen
Theorie in dieser Epoche. Das primäre empirische Interesse
an Politik war und blieb die Triebkraft der Fachentwicklung.

90
Die politische Theorie wurde auf traditionelle Art weiterhin
so betrieben, als - ideengeschichtliches - Klassikerstudium,
wie sie der akademische Alltag in der Politikwissenschaft
schon immer gekannt hatte. Hier und dort regte sich bereits
der Vorschlag, den Theoriebegriff mit der neuen Interdiszi-
plinarität und Faktenorientierung der Politikwissenschaft
zusammenzuspannen. Noch aber schien die herkömmliche,
historisch-philosophische politische Theorie, wenn auch
immer weiter an die Peripherie wandernd, als unbestrittener
Teil des Ganzen. Lange sollte es dabei nicht bleiben.

91
4. Politische Philosophie vor antiker Kulisse

4.1. Der aristotelische Royalismus Straussens und


Voegelins

Politische Theorie bezeichnete in der amerikanischen Poli-


tikwissenschaft der Vorkriegszeit zumeist die Auseinander-
setzung mit den großen Denkern der Vergangenheit
(beispielhaft ftir das Genre: Dunning 1922). Besondere Au-
torität erlangte Sabine, der die Klassiker im Ablauf einer
Geschichte der politischen Theorie abhandelte. Auf Sabine,
einen liberalen Wissenschaftler, geht die Tradition zurück,
politische Ideen so darzustellen, als hätten die Jahrhunderte
und ihre Theoretiker dialogisch aufeinander aufgebaut. Er
schreibt Theoriegeschichte zugleich als Geschichte der
Staatsentwürfe. Dabei erscheint die Geschichte von der An-
tike bis zur Gegenwart als die langsame Entfaltung der
Werte der modernen Demokratie, wobei die Verirrungen
keineswegs verschwiegen werden (Sabine 1973, Erstaufl.
1937). Die politischen Ideen stehen also in einer Tradition,
in die man die segensreich wirkende Kraft des Fortschritts
und der Liberalität hineindeuten kann. Die empirisch inter-
essierte Politikwissenschaftlergeneration hatte kein Interesse
an solchem Tun, auch wenn sie es zumeist noch selbst im
Curriculum kennengelernt hatte. Sie respektierte es als altvä-
terliche, ja vielleicht sogar liebenswürdige Gelehrtenexistenz
(so etwa Truman 1965, 873, oder Eckstein als Berichterstat-
ter einer Konferenz zur politischen Theorie: 1956,479 ff.).
Die Aufforderung, nicht nur die Theorie sollte auf die Empi-
riker, sondern diese auch auf die Theoretiker damaligen Zu-
schnitts zukommen, mochte den Theorie-Traditionalisten auf

92
der Verliererstraße wIe em Hohn vorkommen (Pennock
1951 ).
Diese Art Beschäftigung mit politischer Theorie erhielt
als einziger Zweig der amerikanischen Politikwissenschaft
durch das Wirken emigrierter deutscher Wissenschaftler
vorübergehend anderen Charakter. Namentlich Leo Strauss
und Eric Voegelin brachten Rigidität und Schärfe in die
traditionelle, pädagogisch-liberale Theorieschilderung. Als
Emigranten standen sie unter dem Eindruck der Barbarei, die
in Deutschland 1933 regierungsamtlich begonnen hatte und.
sukzessive verschärft wurde. Beide waren Produkte der deut-
schen Universität, und zwar ihrer traditionellen Beletage, der
Philosophie. Den amerikanischen Kollegen von der Political
science glaubten sie sich haushoch überlegen. Beide hingen
zudem der aristotelischen Philosophie an. Diese dürren Fak-
ten sollen genügen, um anzudeuten, warum Philosophie und
Politik bei bei den zusammenliefen. Dem Marxismus und der
Linken in jedweder Variante abhold, waren sie selbst im
Zenit des McCarthyismus hochgeachtete Gelehrte. Ihre wis-
senschaftliche Stunde schlug mit dem Angriff der Empiriker
auf die traditionelle Politikwissenschaft, eröffnet von einer
Frontalattacke der Chicago-Politikwissenschaft auf die
Überholtheit der politischen Theorie. Während Sabine und
andere, die sie in erster Linie hätte treffen müssen, darauf
nicht weiter reagierten, schlugen Strauss und Voegelin - man
verzeihe - im schönsten Empörungspathos des deutschen
Hochschulparadiesvogels zurück. Ihre örtlichen Erfolge wa-
ren beachtlich: Die Chicagoer Hochburg des frühen politik-
wissenschaftlichen Empirismus wurde nach einiger Zeit
dank einer entsprechenden Berufungspolitik "gestürmt". In
diesen Vorgängen wurde ein Verständnis von politischer
Theorie in die Welt gesetzt, das sich noch heute findet. Nur
deshalb ist darauf einzugehen.

93
Die sozialwissenschaftliche Politikwissenschaft ist für
Strauss und Voegelin nur der konsequente vorläufige End-
punkt in der Verfallsgeschichte des politischen Denkens. Sie
treffen sich darin, daß sie Zeugen einer Zeitkrise sind, eines
epochalen Tiefpunktes. Wie stets in Krisen, wenn also eine
Ordnung zusammenbreche und die Grundprobleme des Poli-
tischen sichtbar würden, so sei es auch heute wieder
(Gunnell 1988). Die Rechtschaffenen sehen den Abgrund,
die Leichtfertigen, die abermals am Ruder sitzen, kümmern
sich nicht um die Warnrufe. Voegelin, der insofern an den
Philosophen Husserl anschließt, unterscheidet Politik zwi-
schen Politike episteme und Doxai. Erstere ist eine originäre
Morallehre, begründet von Platon und Aristoteles. Moral ist
etwas Gottgegebenes, deshalb wahr. Wahrheit erschließt sich
nach Husserl in der Erkenntnis von der Einheit der Welt und
von dem in ihr waltenden Unterschied zwischen dem Guten
und dem Bösen. Alle Wissenschaft, die diesen Kern nicht
trifft, bleibt an der Oberfläche, sie haftet an dem, was gese-
hen werden kann, sie relativiert, stellt Vermutungen an, be-
schreibt. Kurz: Sie öffnet sich für Antworten, die dem Inter-
esse Vortritt vor der Erkenntnis lassen, d.h. der Fähigkeit,
zur Wahrheit vorzustoßen, weiß als weiß und schwarz als
schwarz zu erkennen. Sie bleibt in Doxai stecken - im engen
Käfig kleiner Sonderwelten (Husserl 1954, Erstaufl. 1936),
in bloßen Meinungen und Aussagen ohne Wahrheitsbezug
(Voegelin 1959, 13 ff.). Die Abkehr von der Episteme geht
laut Voegelin mit Versuchen einher, Ersatzgötter zu konstru-
ieren - Gnosis (225 f.). Deren Anhänger fanden in den Zi-
viltheologien moderner Weltanschauungen aber keinen dau-
erhaften moralischen Halt. Was heute als Wissenschaft aus-
gegeben werde, Wertfreiheit, mathematische Beweisführung
und Anlehnung an die Naturwissenschaft, zeige nur, wie
weit sich die Politikvorstellung von der praktischen Philoso-
phie, von der eigentlichen Politik, entfernt habe. Die positi-

94
vistische Wissenschaft und die faktische, gottlose Politik
seien zwei Seiten derselben Medaille. Sie hätten die westli-
chen Demokratien ausgehöhlt, die Russen an die Eibe ge-
bracht und China den Kommunisten ausgeliefert (237). Voe-
gel ins Kollege Halloway versuchte sich auf derselben Kla-
viatur. Die Menschen opferten dem Fortschrittsgott
(HalloweIl 1950, 620). Eine Gesellschaft, die ihrer Prinzipi-
en unsicher werde, müsse sich auf ihr Ende einstellen. Und
dann die enthüllende Bemerkung, es zählten in der Politik
allein die Ideen: so hätten Marx' Gedanken die Russische
Revolution zu verantworten (624). Die politische Philoso-
phie sei deshalb aufgefordert, in dieser Zeit der Krise ihre
Stimme zu erheben.
Nicht viel anders, doch subtiler Strauss. Nicht Gottver-
lust, aber Tugendverlust ist seine Klage. Die originäre, un-
verfälschte Tugendlehre Platons und Aristoteles', die eigent-
liche politische Philosophie, beziehe sich auf Wahrheiten,
die dem menschlichen Geist zugänglich seien, ohne daß Gott
bemüht werden müsse (Strauss 1959, 13). Wahrheit und
Anleitung zur richtigen Lebensflihrung erschlössen sich bei
den antiken Klassikern. Es bedürfe dazu keines Wissens über
die Zeit oder die Lebensumstände in der giechischen Polis.
Leider habe sich das politische, ergo moralische Denken im
Laufe der Zeit von dieser Wurzel getrennt. Artifizielle Er-
satzmoralen hätten die reine politische Philosophie überwu-
chert. Den ersten Sündenfall markiere Machiavelli, flir
Strauss, Voegelin und ihre Epigonen Dämon des politischen
Denkens schlechthin, der die gute politische Ordnung dem
schieren Machterwerb geopfert habe. Doch weil seine Bot-
schaft bei aller Restmoralität unter den Menschen zu radikal,
zu furchtbar gewesen sei, habe es raffinierterer Begründun-
gen bedurft, warum es in der Politik im Kern eigentlich um
Macht, nicht um das Streben nach einer unabhängig von Zeit
und Raum geltenden Gerechtigkeit gehe. Dieses Denken

95
begleite das Zeitalter der Moderne. Hobbes leite aus der
Vertragskonstruktion und dem vorausgehenden Naturzustand
die Herrschaft des positiven Rechts her, eines Rechts aller-
dings, das ausschließlich vom Herrscher bestimmt werde und
jeglicher moralischen Grundlage entbehre. Aber selbst Hob-
bes sei den Zeitgenossen noch zu radikal erschienen. Eine
Theorie habe hergemußt, in der die Menschen plastischer die
eigenen Interessen erkennen konnten. Sie sei von Locke
erdacht worden, der den Menschen mit liberalen Institutio-
nen und ersten Ansätzen des Self-government die Illusion
gegeben habe, sie seien Herren ihres Geschicks (Strauss
1959, 40 ff.). Und so wandert Strauss weiter durch die Ge-
schichte, erteilt Noten und erklärt die nächste Innovation im
politischen Denken aus der Abnutzung der vorläufig letzten
großen politischen Theorie, die da meinte, die der Mensch-
heit schon längst geschenkte Wegweisung durch die aristo-
telische Philosophie mißachten zu dürfen.
Im Grundsatz stimmen Strauss und Voegelin überein. Die
Einsicht der griechischen Klassiker in das Wesen des Men-
schen, das Leben in der politischen Gemeinschaft ob seines
intrinsischen Wertes anzustreben, sei, wie man dieser Tage
zu sagen beliebt, ultimativ. Was für Voegelin die Gnosis als
Scharlatanerie, ist für Strauss der Historismus: der nicht
enden wollende Versuch, Herrschaft und Politik mit histori-
schen Argumenten erklären und legitimieren zu wollen.
(Dazu recht erhellend der Voegelianer Germino, der beide
gar zu Führern einer wissenschaftlichen Widerstandsbewe-
gung hochstilisiert: 1963,456 ff., bes. 459.) Das Hobbessche
Vertragsdenken, die HegeIsche Philosophie, Marx, John
Stuart Mill und Max Weber - sie alle haben den gleichen
tragischen Fehler begangen. Historismus ist hier nicht als
Geschichtsschreibung zu verstehen, sondern als Etikett für
jegliche Art des politischen Denkens, das den Sinn und
Zweck von Politik mit Zweckmäßigkeit, Herleitungen und

96
Gesetzmäßigkeiten erklärt, aber nicht aus der Philosophie
der Alten (Strauss 1959, 24 ff). Warum waren diese denn so
einzigartig und wegweisend? Strauss gibt darauf die verblüf-
fende Antwort: Weil sie die ersten waren, die über Politik
philosophiert hätten (27). An dieser Stelle sei kurz eingefügt,
daß Strauss bei allem aristotelischen Fundamentalismus
doch ein Stück amerikanische Theoriedarstellung über-
nimmt: Sabines Vorstellung von großen politischen Den-
kern, die sich mit Vordenker!l aus vergangenen Jahrhunder-
ten auseinandersetzten. Doch zurück zu den Lichtgestalten
der griechischen Klassik. Platon wie Aristoteles - denen üb-
rigens auch Sabine den ersten Zug im politischen Denken der
Menschheit zubilligt - seien dem Phänomen Politik in einer
nie wieder erreichten Klarheit und Einfachheit begegnet,
weil es - noch - keinerlei präexistente politische Philosophie
gegeben habe, keine Schöpfer konkurrierender Denkweisen
über Politik, daher auch keinen Kanon, mit dem sie sich
hätten auseinandersetzen müssen, insbesondere keine Litera-
tur, die sie in die Bahnen von Vorgedachtem hätte zwingen
können.

4.2. Ideengeschichte als Wegemarkierung:


Good guys, bad guys

Noch einmal zurück zu Strauss: Die aristotelische politische


Theorie ist seit dem Ende des Mittelalters aus dem Denken
verschwunden, eine Geschichte des unaufhörlichen Nieder-
gangs. Und doch meint Strauss, die bloße Tatsache, daß die
Menschheit immer wieder Denker hervorgebracht hätte, die
etwas Besseres an die Stelle einer erschöpften historischen
Idee setzen wollten, zeige eindrucksvoll, daß Menschen un-
verändert die Frage nach der Politik, nach einer guten politi-
schen Ordnung stellten. Das Thema bleibe gleich, nur die

97
Antworten fielen seit mehr als zweitausend Jahren falsch aus
(Strauss 1977, Erstaufl. 1956, 25 0. Was ist da zu tun?
Strauss entdeckt in der Ideengeschichte ein pädagogisches
Instrument, um das politische Denken auf den richtigen Weg
zurückzubringen. Nicht, daß er von der Geschichte des poli-
tischen Denkens viel hielte. Ganz im Gegenteil: Für das
Wissen um den Kern der Politik, Bürgertugend und politi-
sche Ordnung, braucht es kein historisches Wissen - es ist
auch nicht vonnöten, um einen Denker zu verstehen, ob es
sich nun um die rechtgeleiteten Klassiker oder die Kronzeu-
gen der Moderne handelt. Auf den Text komme es an, dessen
Botschaft sich erst voll erschließe, wenn er vom Kontext
befreit, auf seine moralische Substanz oder eben deren Feh-
len freigeschäIt werde. Die historische Betrachtung sei aber
nützlich. Sie zeige, wie vergeblich, ja gefährlich das Unter-
fangen geraten müsse, eine gute, gerechte Ordnung ohne das
Wissen der Alten zu bauen (Tarrow/Pangle 1987, 920 ff.).
Die Geschichte erscheint als ein Hilfsmittel, um die falschen
Prämissen solchen Tuns und seine Folgen zu illustrieren. Im
Unterschied zum geradezu reaktionär auftretenden Voegelin
kann sich Strauss immerhin mit der liberalen Demokratie
anfreunden, die ihm als Emigranten Schutz geboten hat.
Aber philosophisch kann er dem Liberalismus nichts abge-
winnen, vor allem wegen seiner formalistischen und proze-
duralistischen Politikauffassung.
Strauss und Voegelin wissen wohl, daß sie mit ihrem
Wettern gegen die Moderne in Wissenschaft und Politik auf
verlorenem Posten kämpfen. Die Züge in Richtung Libera-
lismus und Relativismus sind längst abgefahren, voll bis auf
den letzten Stehplatz. Aber dies alles hat sich in der histori-
schen Welt der Manipulierbarkeiten und falschen Wahrhei-
ten abgespielt. Auf dem Felde der eigentlichen Wahrheit, der
Philosophie, sei die Sache längst noch nicht entschieden
(Gunnell 1978, 132 ff.). Die aristotelischen Fundamentalphi-

98
losophen bauen dann eine Marionettenbühne, auf der ge-
spielt wird, wie der Kampf ausginge, wenn Ideen pur, d.h.
als moralische Urteile, gegeneinander anträten. Wer gewinnt,
ist nach dem ersten Zeigen der Spielfiguren bereits entschie-
den. Aber das Publikum bleibt auf den Plätzen. Am Ende der
Vorstellung geht es nach Hause oder zur Arbeit, wo es wei-
terhin den falschen Götzen opfert, zum Beispiel Popper lesen
statt Platon, oder über Wählerwanderungen sinnieren, statt
sich mit den Vorzügen der gemischten Verfassung auseinan-
derzusetzen oder sich in die sokratischen Dialoge zu versen-
ken. Politische Philosophie solcher Art errichtet eine
Scheinwelt, in der der Philosoph noch etwas gilt. Er übt die
vornehmste aller Tätigkeiten in der Politik aus, er hat den
Part des Denkens, der Staatsmann den des Handeins. Man ist
geneigt hinzuzufügen: Weil der Philosoph eine so treffliche
Gestalt ist, sollte es auch am gebotenen Respekt nicht fehlen,
und die Politik wird dann schon sorgsam registrieren, was
diese moralische Instanz von sich gibt. Doch ach, die Ver-
hältnisse, sie sind nicht so!
Wozu diese Einlassungen? Sie ließen sich kaum vertre-
ten, wenn sie nicht einen Punkt erfaßten, der für das Ver-
ständnis der Theorie in der modernen Politikwissenschaft
wichtig ist. Nach Sabine wurde Strauss bald die bekannteste
Gestalt in der amerikanischen politischen Theorie, und dieser
hatte keine Scheu, den aufkommenden Behavioralismus, d.h.
die empirische, messende Politikwissenschaft mit brisanten
Vorwürfen in Acht und Bann zu tun. Das Studium der Ideen-
geschichte, wie es Sabine betrieben hatte, hat sich heute
weitgehend in die History Departments der amerikanischen
Universitäten zurückgezogen. In der Politikwissenschaft
blieben Theoretiker, die politische Philosophie betrieben -
ein empiriefernes Unterfangen. Die politische Theorie - diese
Traditionsflagge wurde beibehalten - rückte näher an die
Fachphilosophie heran. Vielfach rissen die Verbindungen zur

99
Politikwissenschaft gänzlich ab. Das alles wiederholte sich
subtiler, historisch verständiger und auch ohne die Schärfen
der amerikanischen Szenerie in der deutschen Politikwissen-
schaft. Hennis (1963, 19, 119 ff.) und Maier (1986, 18, 24)
intonieren beispielsweise das gleiche Generalthema und
lassen keine Zweifel an ihrer Distanz zur sozialwissen-
schaftIich verstandenen Politikwissenschaft, der sie zwar die
Existenz nicht streitig machen, die sie aber lieber in einem
soziologischen Heimathafen ankern ließen. Etwas später als
in den USA, vielleicht auch nicht so vollständig, setzte auch
hierzulande eine relative Verselbständigung der politischen
Theorie in einem fachlichen Umfeld ein, das von einem sich
empirisch verstehenden poIitikwissenschaftlichen Main-
stream beherrscht wurde. Eines freilich lief anders: Die eu-
ropäische Politikwissenschaft hat die historische Beschäfti-
gung mit philosophischen politischen Ideen nicht abgesto-
ßen. Sie räumt ihr unter dem ausladenden Dach der breit
verstandenen, weil unklar definierten politischen Theorie
einen festen Platz ein.
Deshalb erscheint es nur angemessen, auf die beschriebe-
ne Tradition der politischen Theorie näher einzugehen. Mit
StrausslVoegelin behält sie den Ansatz der praktischen Phi-
losophie bei, nicht selten ist neben politischer Philosophie
bewußt von der "älteren Lehre" von der Politik die Rede.
Namentlich Aristoteles mit seiner Staatsformensystematik
bleibt Fixpunkt der Argumentation. Aristoteles kennt wie die
gesamte Antike noch keine private Moral. Verfassung und
Bürgertugend greifen wie paßgenaue Formen und Inhalte
ineinander. Schlechte Form verdirbt den guten Inhalt und
umgekehrt. Grundlegend für die gute politische Ordnung ist
die Unterscheidungsfähigkeit zwischen gut und schlecht.
Modern ausgedrückt: Werturteile sind Ausgangspunkte der
politischen Praxis wie der Reflexion über die Praxis. Für das
Gute und für das Schlechte gibt es ein feststehendes Kriteri-

100
um. Gut sind eine Verfassung und eine Handlungsmaxime,
die den Bürger zur aktiven, empathischen Teilhabe an Ge-
meinschaftsbelangen, d.h. an der vernünftigen Beratung mit
seinesgleichen, einlädt und motiviert. Die Art der Verfas-
sung kann einiges dazu beitragen, aber auch davon ablenken.
In dieser aristotelischen Grundauffassung wurzelt die kate-
gorische Verurteilung des individuenzentrierten liberalen
politischen und Verfassungsdenkens der Moderne, das die
Nützlichkeit der Politik an die Stelle der intrinsisch wertvol-
len politischen Beratung und Bürgertätigkeit setze. Einige
prominente Namen aus dem ideengeschichtlichen Delin-
quentenverzeichnis wurden bereits genannt.
Der anti-empirische Komplex dieser Variante von politi-
scher Theorie manifestiert sich in galligen Angriffen auf
Max Webers Postulat der Wertfreiheit. Weber im Wissen-
schaftsbetrieb sozusagen als Äquivalent zu einem Hobbes
oder Machiavelli im politischen Denken, als Steigbügelhalter
jener Legionen von Statistik- und Rational-choice-vernarrten
Politikwissenschaftlern, die auf dem vermutlich ungeeigne-
ten Felde der Sozialwissenschaften Newton und andere Paten
der Naturwissenschaft nachstellen - die Politik auf eine spe-
zielle Sozialforschungstechnik verkürzen! Popper erfreut
sich in diesen Kreisen ähnlich großer Beliebtheit. Daß solche
Kritik Weber nicht treffen kann, muß hier nicht groß ausge-
fuhrt werden. Was Weber mit Wertfreiheit meinte, war, wie
Schütt-Wetschky (1990,24 f.) es ausdrückt, das Postulat der
Wertklarheit. Die Untersuchung des Problems, die Erhebung
der Fakten und die faktenverträgliche Erklärung sollen, wo
sich dies schon nicht vermeiden läßt, unter Klarlegung des
inneren Kompasses vonstatten gehen, der den Wissenschaft-
ler leitet. Die Kritik der Aristoteliker gilt also nicht so sehr
Webers vorgeblichem Werterelativismus, sondern dem So-
zialwissenschaftler Weber, der da meint, empirische Beob-
achtungen und Erklärungen bildeten die Seele der wissen-

101
schaftlichen Auseinandersetzung mit Politik und Gesell-
schaft. Das möge für die Soziologie, so Hennis, ja in Ord-
nung sein. Für die Politikwissenschaft sei indes die politi-
sche Unterscheidungsfähigkeit der zentrale Punkt (1963,19).
Bei so vielen Feinden stellt sich die Frage, wo denn nach
der griechischen Antike noch brauchbare Zeugen für die
Vitalität des aristotelischen Erbes in der jüngeren Vergan-
genheit und Gegenwart zutage treten. Einige Vertreter dieser
Art von politischer Philosophie lassen - durchaus mit Em-
phase - auch Vertreter späterer Epochen gelten. Wen, das ist
im wesentlichen vom Urteil Hannah Arendts beeintlußt, die
in gewisser Weise Machiavelli rehabilitiert, vor allem jedoch
Montesquieu, Tocqueville und die Autoren der Federalist-
Papers als neuzeitliche Exponenten eines Politikbildes ent-
deckt, das um öffentliche Tugenden kreist (Gebhardt 1990;
1984, 177 ff.). Die Zahl dieser Gerechten ist klein. Zudem
schreiben Arendt und andere in ihrer Tradition Aristoteles
nicht in scholastischer Sturheit fort, sie entwickeln im Rah-
men der von ihm angeschlagenen Akkorde andere, neue
Akzente. Vor allem rekurrieren sie auf das römische Repu-
blikideal der Ämterordnung und sinnstiftenden Rechtsge-
meinschaft.
Nehmen wir Montesquieu: Sein Thema ist die Freiheit,
aber nicht die Freiheit Lockes, nicht das legitime Abstand-
halten des Staates von der individuellen Sphäre. Hier ist die
Freiheit des Volkes gemeint, nach Gesetzen zu leben, seine
Gesetze selbst zu machen und sich selbst zu verwalten, kurz:
seine politische Ordnung zu bestimmen. Die Bürger in der
Demokratie, so sie auf dem rechten Pfade wandeln, besitzen
die Eigenart der Tugend, d.h. der Einfachheit und Gleichheit.
Die Aristokratie charakterisiert die Mäßigung, d.h. die Fä-
higkeit, Leidenschaften zu zügeln, nachzudenken, verant-
wortlich mit Besitz und Untergebenen umzugehen. In der
Monarchie gibt es allein das Leitbild der Ehre. Ehrgeiz und

102
Streben nach Distinktion, an denen auch der Adel teilhat,
wirken der despotischen Gefahr entgegen. Der Demokratie
und der Aristokratie billigt Montesquieu das Attribut der
Republik zu - Ordnungen, in denen öffentliche Tugenden
regieren, in denen eine umfassende Bürgerschaft oder ein
exklusiver Kreis von Vollbürgern ihre Pflichten gern erfullen
und von ihren Rechten Gebrauch machen. Wo indes die Tu-
gend schwindet, die Verfassung aber bleibt - dort entsteht
Unheil: Pöbelherrschaft, Oligarchie, Despotie. Die letzte ist
das schlimmste Übel. Kommt in der Monarchie die Ehre
abhanden, so bleibt nur das Herrschen nach dem Prinzip
Furcht. Nicht die beste, aber nach allem Anschein im mo-
dernen Großstaat bestmögliche Form der Freiheit ist die
Republik der gemischten Verfassung, die Volks-, Adels- und
Alleinherrschaft und ihnen entsprechende Tugenden kombi-
niert (Montesquieu 1992, Erstautl. 1748). Die Wirkungsge-
schichte hat im wesentlichen das davon abgeleitete berühmte
Gewaltentei lungsschema rezipiert (Schwan 1991, 216 f.).
Die Verwandtschaft mit der Politie, der aristotelischen ge-
mischten Verfassung, mutet nicht allzu weit hergeholt an.
Republiken hält Montesquieu allein in kleinen Staaten rur
möglich, die sich aber als Staatenbünde zusammenschließen
könnten. Soweit diese Theorietradition also Montesquieu
hochleben läßt, geht sie immerhin ein Stück mit der Zeit,
dies auch darin, daß sie den fur seine Zeit scharfen soziolo-
gischen Beobachter, der die Sitten und Bräuche verschiede-
ner Völker auf ihre Herrschaftsform bezog, im ordnungsphi-
losophisch gedeuteten Klassiker keineswegs ignoriert (so
etwa Hereth 1995).
Wenden wir uns dem nächsten "good guy" der neo-
aristotelischen politischen Philosophie zu - Tocqueville.
Dieser interessiert hauptsächlich mit seinem klassischen
Werk über die amerikanische Demokratie (1976, Erstautl.
1835/40). Was kommt davon in der Bilanz richtiger, weil

103
moralisch passender Einsichten an? Zunächst das Freiheits-
thema, das dann aber gleich in doppelter Version: Freiheit
kann unglaublich plebejisch sein, wenn man betrachtet, wie
wenig die Amerikaner der Jacksonian era (1829-1837) mit
der Regierung zu tun haben wollten, wie mächtig sich die
Politik der vorherrschenden Volksmeinung anpaßte, wie
konformistisch ihre Meinungen anmuteten, wie prozeßhan-
selig die Amerikaner schon damals waren und wieviel ihnen
Geld und Reichtum bedeuteten. Über das amerikanische
"gouvernement des juges" verliert Tocqueville indes lobende
Worte. Ihre Ehren als Präzeptor, als mäßigender kluger
Kopf, der im Jurorensystem dennoch die Verbindung zum
Volk halten muß, eine Art Aristokrat in einer von Gleichheit
durchdrungenen Gesellschaft. Dann ist da noch Tocqueville
als Beobachter des New England town meeting, der kommu-
nalen Demokratie, und des föderativen Pluralismus. Hier, in
der Identifikation der Bürger mit Gemeinde und Staat, zeig-
ten sich Freiheit und Bürgersinn von der besten Seite - insbe-
sondere in der Kommune, wo alle mitsprächen, die meinten,
daß sie etwas zu sagen hätten. Ist das nicht die neue Polis,
die Kleinwelt der Staaten und Gemeinden - und darüber das
Commonwealth derselben, eben die Republik? Die face-to-
face-Republik im föderativen Verbundsystem als Lösung
(Hereth 1978, 43)?

4.3. Hannah Arendts Wiederbelebung des


Republikdenkens

Die amerikanische Demokratie - eine Konstruktion der


Trennungen und Verbindungen. Hier setzt Hannah Arendt
an, die als vorerst letzte große Gestalt des politischen Den-
kens das Republikthema anschlägt (vgl. zur Verbindung mit
Tocqueville: Jacobitti 1992). Die Republik ist ein ander Ding

104
als das Potpourri individueller Freiheiten, als ein Staat, des-
sen Angelpunkte die Ermöglichung und der Schutz der
Selbstentfaltung einzelner ohne Schädigung der Umstehen-
den bilden. Die herkömmliche liberale Demokratie hat nach
Arendt ihren Eigenwert, weil sie Pluralität und Individualität
in der Gesellschaft achtet. Ein unschätzbares Verdienst in
Anbetracht der Barberei ihrer Zeit. Doch für die moderne
Republik zu wenig.
Die Republik reimt sich auf Freiheit, doch auf Freiheit,
die sich im Rahmen intrinsisch befolgter öffentlicher Tugen-
den bewegt. Nicht das sich auslebende Ego steht am Anfang
der republikanischen Politik, sondern die Persönlichkeit, die
Genugtuung darin findet, das Richtige zu tun, und die damit
die Anerkennung der Mitbürger findet. Die Ermittlung des
Richtigen ist aber eine Sache des Gesprächs, der Verständi-
gung' der Auslotung verschiedener Standpunkte - um letzt-
lich qua Argument einen Nenner zu finden, den alle akzep-
tieren. Die Fähigkeit, konsensfähige und gleichwohl gerechte
Vorschläge zu plazieren, bezeichnet Arendt in bewußter
Abgrenzung von Max Weber als "Macht" - ein Machtver-
ständnis, das modern anmutet, weil es das Phänomen von der
Konnotation mit Erzwingung abrückt. Das Epitheton
"liberal" paßt zu dieser Art Republikanismus aber nicht. Die
öffentliche Moral hat Vorrang vor privaten Moralen, insbe-
sondere denen des Erwerbslebens, und sie schlägt damit eine
Brücke zu den Bürgeridealen der Antike. Die Essenz der
Republik ist die Beratung, das Widerspiel von Argumenten
und die Überzeugungskraft von Gründen. Das alles ist fern
von irgendwelchen apriorischen Gemeinwohlvorstellungen,
weil die deliberative Republik nicht über abstrakte Gerech-
tigkeit, sondern über das Auffinden des Gerechten in konkre-
ten Problemen und Situationen berät. Hier liegt der Grund,
warum Hannah Arendt seit geraumer Zeit wieder hochaktuell

105
ist und in der professionellen akademischen Theorie eifrig
rezipiert wird.
Daß die politische Ordnung Amerikas, die Arendt inspi-
riert hat, aber eben auch liberal gelesen werden konnte und
so praktiziert wurde, als Mechanismus zum privaten "pursuit
of happiness", ist nach ihrem Urteil tragisch. Dieses Faktum
wird in seinen nachteiligen Wirkungen aber durch die Resi-
duen kommunaler Demokratie, überlieferten Widerspruchs-
geist und Rechtsbewußtsein gedämpft. Die Gründung der
amerikanischen Republik ist Arendt zufolge unter den Prä-
missen allgemeinen Wohlstands vonstatten gegangen, wäh-
rend alle anderen historischen Republikversuche der Neuzeit
ins Fahrwasser der verständlichen Radikalität und materia-
listischen Hoffnungen der Armen gerieten, deren es in Euro-
pa ungleich mehr als in Amerika gegeben habe. Die europäi-
sche Armut habe schließlich im Auswanderungsmotiv auch
Amerika erreicht und dort neben dem wohlverstandenen
Freiheitsdenken das Wohlstandsstreben groß werden lassen
(Arendt 1994 a, Erstaufl. 1963, 176 ff.). Resignative Kritik
an der Moderne klingt an, wo Arendt die deliberationshem-
menden Effekte des Repräsentationssystems und des büro-
kratischen Staates beklagt, beides eher das Gegenteil dessen,
was geeignet wäre, republikanische Bürgertugenden zu för-
dern. Beides ist mit der Gefahr behaftet, die Bürger vonein-
ander zu entfremden, sie ganz dem Denken in Status, Macht
und Geld als untauglichem Ersatz für die politische Gemein-
schaft auszuliefern. Etliche, die dabei unter die Räder gera-
ten, werden den politischen Religionen totalitären Zuschnitts
in die Arme getrieben. Das Ökonomische und das Politische
vertragen sich nicht - schon Aristoteles hat Polis und Oikos
strikt auseinandergehalten. Die moderne Demokratie er-
scheint bei Arendt als Ausdruck einer Politik, die von mate-
riellen Bedürfnissen beherrscht wird (1994 a, 281, 284 f.).
Wohlfahrtspolitik gewinnt den Geschmack des Illegitimen,

106
das vom Eigentlichen, vom Handeln der Bürger in gemein-
samer Sache ablenkt - eine Minus-Republik mit politischen
Verbrauchern! Hier liegt Arendt, wie an anderer Stelle zu
zeigen sein wird, nicht weit von Habermas und seinen Epi-
gonen entfernt.
Recht bedacht, kommen bei solchen Argumenten Zweifel
an der Weisheit des allgemeinen Wahlrechts auf (Kateb
1983, 117 f.). Die Menschen leben unter den demokratischen
Verhältnissen ihrer Zeit als Konsumenten, als Wirtschafts-
subjekte, für ihren Job und ihre Karriere, und sie leben an-
einander vorbei. Das Oikos hat die Polis ausgehöhlt (Arendt
1994 b, Erstaufl. 1958). Wo Menschen einfach nur gut funk-
tionieren, als Beamte, Kaufleute oder Wissenschaftler, aber
das Recht gering achten, im vernünftigen Dialog mit anderen
öffentliche Tugenden zu praktizieren, hat man es mit einer
Massengesellschaft zu tun, in der isolierte einzelne einfach
nur persönliche Anerkennung und Sicherheit suchen. Dabei
habe die frühe amerikanische Republik bereits den richtigen
Weg gewiesen. Dort hätten sich politische Köpfe getroffen,
die nicht einfach die Sicherheit ihrer Rechte im Sinn hatten,
dort hätten sich Menschen im Wissen um bessere politische
Ordnungen in der Vergangenheit gegen die Fremdbestim-
mung aufgelehnt. Bürgertugend sei für sie ein konkretes
Leitmotiv gewesen. Sie hätten aber eben auch gewußt, daß es
in der Politik mit Leidenschaften zugeht, die es durch eine
klug eingerichtete politische Ordnung im Zaum zu halten
gilt.
Man kann hier abbrechen. Das sind historische Illustra-
tionen republikanischen Denkens, die weitreichend gegen-
teilig dokumentiert sind. Bezeichnend ist Arendts Vorwurf
an Beard (1974 (Erstaufl. 1913)), mit seiner ökonomischen
Interpretation der amerikanischen Verfassung die Großartig-
keit der amerikanischen Republikidee in den Schmutz zu
ziehen (Arendt 1994 a, 125 0. Das Abqualifizieren des eng-

107
lischen Klassikers Hobbes als Advokaten der Despotie, das
alle sonstige Hobbes-Interpretation ignoriert, hat sich als
Tageslosung dieser Art Theorie bis heute gehalten. Hobbes
verdankt diese Rolle wohl auch seiner These von der natürli-
chen Asozialität der Menschen und seiner wirkungsmächti-
gen Verabschiedung vom aristotelischen Menschenbild.
Alles dies paßt in eine Argumentation, die die Werte der
Alten, der ganz Alten auch ftir die Gegenwart reklamiert.
Wie man sich dazu stellt, ist Bekenntnissache (beispielhaft
für den Tenor der apologetischen Arendt-Rezeption: Breier
1992).
Weil mit den besagten Klassikern eigentlich alles we-
sentliche schon gesagt worden ist, reicht es denn auch ftir
das Treiben der so verstandenen politischen Theorie aus,
dem geschätzten Publikum mit aristokratischem Gestus die
alten Texte auszulegen. Was danach kommt, fällt ohnehin
dahinter zurück. Wozu sich also damit beschäftigen, außer
vielleicht, um exemplarisch daran zu erinnern, daß es den
Pfad des philosophischen Tugenddenkens schnöde ignoriert?
Die Folgen für den sozialen Prozeß, in dem politische Theo-
rie wie alle Wissenschaft stattfindet: Gleichgesinnte bleiben
unter sich! Demokratie als reale Befindlichkeit politischer
Ordnungen ist generell nicht das Thema dieser sich gern als
Philosophen schmückenden Theoretiker, die das neuzeitliche
Denken kritisieren - sie ist eher ein Anknüpfungspunkt ftir
die Aufrechnung der Defizite, welche die liberale Demokra-
tie aufweist. Ein elitäres Politkverständnis - etwa für Gebil-
dete, Privilegierte, nichts ftir Menschen, die ihr kleines oder
großes Glück im Privaten suchen! Diese mögen vielleicht
wissen, daß die eine oder andere Art der Politik einen Ein-
fluß auf ihr Los haben mag, und sie unterstützen darum ent-
sprechende politische Richtungen am Wahltag, aber sie stel-
len Politik nicht in den Lebensmittelpunkt. Resümee: Tu-
gend, Republik und gemischte Verfassung mögen als Kenn-

108
worte vermerkt werden, welche Art von politischer Theorie
bzw. politischer Philosophie es ist, die damit hantiert - rück-
wärts gewandte Politiklehre, die mit der Modeme und der
Faktizität des Gelderwerbs in der industriellen/post-
industriellen Gesellschaft beträchtliche, vermutlich ästhe-
tisch bedingte Schwierigkeiten hat.

109
5. Das lange Trittbrett der modernen
politischen Philosophie

5.1. John Rawls als Deus ex machina der


politischen Philosophie

Seit gut 25 Jahren erlebt die politische Philosophie eine Re-


naissance. Es handelt sich um Fachphilosophie, die von der
politikwissenschaftlichen Abteilung für politische Theorie
eifrig aufgenommen wird (vgl. dazu den Überblick von
Kymlicka 1995). Die Modernisierung der politischen Philo-
sophie begann mit einer Initialzündung. John Rawls veröf-
fentl ichte nach etl ichen kleineren Vorpublikationen 1971
seine Theorie der Gerechtigkeit. Darin geht es um die Be-
gründung eines demokratischen und sozialpolitisch aufge-
schlossenen Staates. Die neuzeitliche Philosophie hatte sich
wenig um den Staat moderner Prägung, geschweige denn um
den Sozialstaat des 20. Jahrhunderts gekümmert. Bei Hegel
war der Staat Träger einer historischen Mission - eine Idee,
die, ob verdient oder nicht, durch die Geschichte des 20.
Jahrhunderts diskreditiert war. Die marxistische Philosophie
konnte mit dem Staat nichts anfangen, weil er den Ruf einer
gesellschaftlichen Zwangsjacke genoß. Die Vernunftleistung
des Individuums von Kantschem Zuschnitt konnte im Zeital-
ter der Soziologie, der breiten gesellschaftlichen Partizipati-
on an der Politik und des staatlichen Bemühens um den Spa-
gat zwischen freiheitlichen und gleichen Lebensverhältnis-
sen auch nicht mehr überzeugen. Locke hatte seine Gloriole
durch die Erfahrung von Massenarbeitslosigkeit, Weltwirt-
schaftskrisen und die Überlebtheit politischer Legitimation
durch privates Vermögen eingebüßt. Hobbes wiederum war

110
durch die Wissenschaft vom Ruch einer frühen Wegberei-
tung ftir den Totalitarismus des 20. Jahrhunderts befreit wor-
den. Die philosophische Reflexion der modernen Politik war
an der Zeit; sie hinkte bereits beträchtlich hinter der empi-
risch orientierten Gesellschaftswissenschaft her. Rawls in
seiner Kombination von Argumentationssträngen der neu-
zeitlichen Philosophie mit zeitgenössischen politischen
Themen - Gleichheit, Markt, Demokratie - traf ein Ausein-
andersetzungsbedürfnis, das "in der Zeit" lag. Nicht anders
verhielt es sich mit den Autoren, die ihm antworteten, sei es,
daß sie beipflichteten oder widersprachen. Die stürmische
Aufnahme der Rawlsschen Philosophie ist schon als solche
ftir die Politikwissenschaft interessant (Barry 1980, 284 f.).
Nach den unerfreulichen Kontroversen um die empirische
Wende der Politikwissenschaft, durch welche die konserva-
tive politische Philosophie der Strauss/V oegelinschen Tradi-
tion ins Abseits geraten war, bot sich nun endlich die Chan-
ce, mit einem noch lebenden Philosophen zu kommunizie-
ren, der sich ganz offen mit Problemen auseinanderzusetzen
schien, die, wenn auch philosophisch verfremdet, engen Be-
zug zur politischen Agenda der Gegenwart hatten. Der glei-
che Grund sicherte anderen zeitgenössischen Philosophen
wie Walzer oder Habermas Beachtung (Skinner 1985). Ohne
das intrinsische Interesse an der modernen politischen Philo-
sophie in Frage zu stellen, darf bei alledem das Karrierefeld
der Universität als Motivgebung nicht vergessen werden
(Rae 1981). Die neue politische Philosophie bietet ein breites
Betätigungsspektrum ftir Publikationen und Diskussionen, in
dem nicht schon Generationen von Vorgängern vorgearbeitet
haben (Kateb 1984, 138). Rawls wie die auch im folgenden
besichtigten Autoren sollen nun nicht immanent, d.h. philo-
sophisch diskutiert werden. Das wäre vor dem Hintergrund
der Entscheidung ftir ein wirklichkeitswissenschaftliches
Theoriebild in diesem Band einfach illegitim. Aber die zur

111
Unkenntlichkeit mit der Philosophie verschmolzene wissen-
schaftliche Abteilung der politischen Theorie dockt ohne
große fachliche Skrupel an die politische Fachphilosophie
an. Deshalb sollen die philosophischen Bezugsautoren hier
gleich von vornherein nach dem Theoriebild bewertet wer-
den, für das sich diese Erörterung (Kapitel I) entschieden
hat: Eine Kritik, die sich keinesfalls gegen Fachphilosophen
richtet, sondern allein jene treffen kann, die als fachlich de-
klarierte Politikwissenschaftler die philosophische Dis-
kussion ohne größere Transformationsschritte als Fachge-
schäft ausgeben.
Rawls' Problem erwächst aus klassischen philosophi-
schen Fragestellungen und läßt sich wie folgt umreißen: Die
aristotelische Ethik eines gemeinschaftsbezogenen Tugend-
handelns ist eine Sache von philosophiehistorischem Interes-
se geworden. Mit der Aufklärung hat das Individuum die
philosophische Bühne betreten, das Denken kann dahinter
nicht mehr zurück. Die grundlegende Ethik der Moderne hat
Kant formuliert. Der einzelne sei ein zwar interessiertes, auf
seinen Vorteil bedachtes, zugleich aber ein mit Vernunft
begabtes Wesen, das zur vorurteilsfreien Betrachtung seiner
selbst und seiner Mitmenschen gelangen könne. Diese Ver-
nunft befähige dazu, gedanklich aus der von Interessen und
physischen Bedürfnissen bestimmten Existenz herauszutre-
ten und vorurteilsfrei sich selbst zu betrachten. So werde
nicht nur die eigene Bestimmung zur Freiheit erkannt, son-
dern auch die der Mitmenschen. Die Freiheit der anderen
könne auf diese Weise als Bedingung der eigenen Freiheit
eingesehen werden. Die so verstandene Freiheit bilde die
Voraussetzung einer friedlichen weltbürgerlichen Republik.
Dem Autor ist bewußt, daß die Kantsche Ethik damit nicht
annähernd skizziert ist. Darauf kommt es in diesem Zusam-
menhang aber auch gar nicht an. Hier geht es allein um den
Punkt, daß Kant Ethik als Vernunftmoral versteht, die das

112
Individuum voraussetzungsfrei aus seinem Denken heraus
entwickelt. Diese Auffassung hält Rawls in der Philosophie
des 20. Jahrhunderts nicht mehr für vertretbar. Ethik entstehe
in den Sozialbeziehungen, sie setze Kommunikation voraus.
Man bemerkt, daß die Philosophie hier soziologisches Den-
ken aufnimmt. Als sozial konstruierte Moral bedarf die poli-
tische Ethik nach Rawls einer gesellschaftlichen Überein-
kunft. Von dieser Prämisse aus knüpft er an die Vertragsleh-
ren in der politischen Theorie an.
Die bedeutendste Vertragslehre geht auf Thomas Hobbes
zurück. Sie teilt mit allen übrigen den Gedanken der Herr-
schafts be gründung durch die Vereinbarung von Menschen,
die erkennen, daß sie ohne übergeordnete Autorität, ohne
Staat, außerstande sind, in Frieden und Sicherheit miteinan-
der zu leben. Der Vertrag, mit dem sie den Staat einsetzen,
räumt dem Herrscher die Gewalt über die Vertragschließen-
den ein. Grundfigur der Vertragstheorien ist die Vorstellung
natürlicher Rechte der Vertragsparteien, die bis zu einem
bestimmten Punkt abtretungsfähig sind, im übrigen jedoch
nicht. Erstere dienen als Grundlage der Staatsbildung, letzte-
re ziehen der Reichweite des Staates Grenzen.
Rawls spannt nun die Vertrags lehre mit Kants Idee einer
vernunftbegründeten Ethik zusammen. Es handelt sich hier,
wie bei allen Vertragstheorien, um eine gedankliche Opera-
tion, die Normen aus vernünftigen Als-ob-Annahmen dedu-
ziert, nicht um den Anspruch, historische Vorgänge zu schil-
dern. Als drittes Element manifestiert sich in der Rawlsschen
Philosophie die Vorstellung, daß in der modemen Ethik der
Markt als Existenzgrundlage der Gesellschaften berücksich-
tigt werden müsse. Markt bedeutet inzidente Ungleichvertei-
lung von Ressourcen und damit von Chancen zur Realisie-
rung von Lebensplänen. An diesem Punkt berührt Rawls die
Tradition des politischen Denkens um den englischen Utili-
tarismus und John Stuart Mil!.

113
Rawls denkt die Menschen eines Staates in einen vor-
staatlichen Zustand zurück (zum folgenden Rawls 1979,
Erstaufl. 1971). Ihre Biographien lassen sie bei dieser Ope-
ration hinter sich. Hinter einem Schleier des Nichtwissens
verschwinden in dieser "original position" alle Unterschiede,
namentlich Unterschiede in bezug auf Macht und Reichtum.
Die imaginäre Verfassungskonferenz hinter dem statusab-
sorbierenden Tüllvorhang tritt dann in die Beratung ein, nach
welchen Grundsätzen sie ihr künftiges Zusammenleben ge-
stalten will. Dabei lassen sich zwei Verhandlungsrunden
voneinander unterscheiden. In der ersten Runde geht es dar-
um, den Umfang der Persönlichkeitsrechte zu bemessen. Da
nun keiner weiß, wie er dastehen wird, nachdem der Schleier
in der "original position" gelüftet ist, muß jeder vernünfti-
gerweise davon ausgehen, daß er zu denen gehören kann, die
gesicherter Persönlichkeitsrechte ganz besonders bedürften.
Also wird er dafür eintreten, seinen Freiheitsraum optimal
auszugestalten, d.h. auch die Situation des neben ihm Sit-
zenden antizipieren, der ja womöglich statt seiner nach dem
Fall des Schleiers die schlechteren Karten erhalten mag und
somit ein Interesse daran hätte, durch speziell auf seine Be-
dürfnisse angelegte Freiheiten die der Bessergestellten ein-
zuengen. Die erste Runde geht konsequent damit zu Ende,
daß die Beratenden übereinstimmen, sich nach dem Gleich-
heitsprinzip gegenseitig eben jene Freiheits- und Gleich-
heitsrechte zuzubilligen, die man als Ergebnis der Entwick-
lung des demokratischen Verfassungsstaates kennt - Freiheit,
bürgerliche Rechtsgleichheit, gleiche Chance des Zugangs zu
politischen Ämtern.
In der zweiten Runde werden Verteilungsfragen erörtert.
Hier wird die Beratung schwieriger. Die Garantie der Per-
sönlichkeitsrechte exekutiert der Staat. Der Markt ist jedoch
eine im Prinzip staatsfreie Angelegenheit. Soweit in der
"original position" Verteilungsfragen besprochen werden,

114
wird klar, daß Rawls den Markt maßvoll politisch konditio-
nieren will. Die Grenze zwischen Markt und Staat sowie
privat und öffentlich produzierten Gütern und Leistungen
bleibt verschiebbar. Von den Marktideologen seiner Zeit,
den Hayeks und Friedmans, grenzt sich Rawls ab. Hier liegt
der Grund, warum viele Beobachter Rawls fur die Keyne-
sianische bzw. sozialdemokratische Wirtschaftspolitik in
Anspruch nehmen. Die philosophische Diskussion heftete
Rawls deshalb auch ein "liberales" Etikett an. Liberal heißt
in der politischen Sprache Europas nichts anderes als
"sozialdemokratisch", entsprechend der überlieferten US-
amerikanischen Richtungsweisung, die diese Vokabel aus
historischen Gründen vermeidet. Das Millsche Schaden-
sprinzip - keinem soll es schlechter gehen - wäre die utilita-
ristische Antwort auf das Verteilungsdilemma. Rawls verän-
dert es in das Beratungsergebnis des von ihm so genannten
Differenzprinzips: Umverteilung läßt sich nur dann rechtfer-
tigen, wenn sie die Situation des am schlechtesten Gestellten
verbessert. Also ein Plädoyer ftir moderate Umverteilung!
Das Postulat des gleichen Zugang zu politischen Ämtern hält
Vermögensunterschiede aus der politischen Verteilungsord-
nung heraus. (Die berüchtigte Lebenserfahrung allerdings
reizt zum spontanen Einspruch.)
Die Persönlichkeitsrechte und die Verteilungsregel stehen
nicht auf gleicher Stufe. Mißachtungen der Verteilungsregel
kosten weniger Gerechtigkeit als Verletzungen der Persön-
lichkeitsrechte. Rawls spricht in diesem Zusammenhang von
einer lexikalischen Ordnung der Gerechtigkeitsprinzipien.
Nach Abschluß der Verfassungsberatungen hebt sich der
Schleier und die Deliberanten erkennen sich als Ungleiche.
Nur sind sie jetzt als Bürger in ihrer Rechtsgleichheit ge-
schützt. Wenn sie es auch schon vor ihrem Einstieg in die
hypothetische Zeitmaschine waren, wissen sie jetzt wenig-
stens, warum: Weil sie es kraft ihrer Vernunft so wollen.

115
Verteilungsfragen indes spalten die Bürger. Innerhalb der
Gerechtigkeitsmaxime zweiter Ordnung muß fortan qua
Mehrheitsbeschluß entschieden werden. Die Gerechtig-
keitsprinzipien als solche verlangen Änderungen mit großen,
verfassungsändernden Quoren. Was Rawls hier wie sonst an
staatstheoretischen Konsequenzen aus seinem - im folgenden
mit Rawls I kodierten - Entwurf gewinnt, entspricht dem
üblichen Bild der konstitutionellen Demokratie. In einer
späteren Revision seines Entwurfs hat Rawls zum Erstaunen
der philosophischen Fachwelt die Demokratie bereits in die
"original position" hineingeholt. Diese naturalistische Wen-
de von Rawls - hier abgekürzt als Rawls II - ergänzt das Bild
des Menschen in der "original position" um ein moralisches
Bewußtsein, das die Beratenden von vornherein mit der Op-
tion für die Demokratie ausstattet (zum folgenden Rawls
1994). Die Gerechtigkeitsmaximen werden damit auf Demo-
kratien eingeschränkt. Rawls' Philosophie verliert den ur-
sprünglich universalistischen Charakter. Gravierender noch,
sie wandelt sich zur politischen Theorie, indem sie nicht
mehr ausschließlich mit der Ratio der vertragschließenden
Parteien, sondern mit realen Verhaltensdispositionen wirbt,
d.h. ein politisches Argument einführt, das vorher noch als
Ergebnis der nicht-wissenden Deliberanten gehandelt wurde
(so vorwurfsvoll etwa Kersting 1993, 218 ff., Galston 1982,
513). Diese wissen bei Rawls II doch einiges mehr, als sie
bei Rawls I noch wissen dürfen.
Knüpfen wir bei der Bewertung von Rawls als philoso-
phischem Politiktheoretiker getrost an dieser Stelle an.
Rawls' großer Plan ist Gerechtigkeit durch Verfahren - pro-
zedurale Fairneß bei der Findung gerechter Maximen für
politisches Handeln. Wie die philosophischen Kritiker zu
beanstanden nicht müde werden, ist der heikle Punkt dabei
die "original position". Vergleichen wir sie einmal mit dem
Hobbeschen Naturzustand, der ja nicht minder fiktiv ist.

116
Hobbes bietet ein politisches Motiv, das die Menschen ver-
anlaßt, einen Herrschaftsvertrag zu schließen: die unerträg-
lich gewordenen Lebensumstände ständiger, akuter Bedro-
hung für Leib und Leben. Locke fügt noch das Motiv der
Eigentumsgefahrdung bei ungleicher Vermögensverteilung
und ins Kraut schießendem Sozialneid hinzu. Der Vertrag
hat bei beiden eine faßbare Funktion, einen Nutzen für die
Vertragsparteien: Das vorzeigbare positive Recht des Staa-
tes, der Life, Liberty und Property schützt! Mehr brauchen
die Vertragsparteien nicht zu wissen, soviel aber allemal.
Der Vertrag ist eine Vertrauensinvestition in die positiven
Effekte des Staates. Selbst die Grenzen der Staatsgewalt
gründen sich auf nachvollziehbare Motive. Nach den Kriteri-
en empirisch informierter politischer Theorie würde man
zwar die faktische Ausgangslage der Staatswerdung bei
Hobbes oder Locke heute anders beurteilen. Dieser Punkt ist
für den theoretischen Gehalt ihrer Entwürfe unwichtig (man
denke an Sabines Theoriekriterien). Aber die Kausalitätsan-
nahme der älteren Vertragstheoretiker, der Konnex zwischen
Vertragserwartung und Staatsleistung, überzeugt, auch im
ganz allgemeinen Sinne prognostisch. Wenn beides nicht
ineinander aufgeht, stehen dem Staat Legitimitätsprobleme
ins Haus.
Wie steht es dagegen mit der "original position"? Der
Vorhang fallt, die Menschen schreiten hindurch und unter-
halten sich über Gerechtigkeit. Doch was veranlaßt sie dazu?
Menschenrechtsverletzungen, moralische Empörung, him-
melschreiende Verteilungsungerechtigkeit? Die politische
Prima causa hinter dem Durchschreiten des vorübergehend
gleichmachenden Vorhangs vor dem Beratungssaal sucht
man vergebens. Zeigt nicht die Alltagserfahrung, daß die
Ungerechtigkeit eines Zustandes eine subjektive, allemal
jedoch eine höchst relative Sache ist: Die einen empören
sich, die anderen zucken mit den Achseln (Jennings 1991,

117
189)? Warum sollten sie da einhellige Vorstellungen über
gerechte Verfahren besitzen? Kaschiert nicht Rawls' Ge-
rechtigkeitsordnung eine Reihe von Ungerechtigkeiten, die
sich in manifesten, aber nicht weiter bemerkten oder groß
thematisierten Dominanzverhältnissen verbergen, so etwa
dem Konflikt zwischen Beruf und Kindererziehung, den
gemeinhin allein Frauen austragen (Flax 1993, 333 ff.)? Ei-
nige Autorinnen wenden ein, ungerecht verteilte Lebens-
chancen von Frauen und Männern nisteten vor allem in einer
nicht weiter thematisierten, von der Männerrolle bestimmten
Grenzziehung zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten.
Gerechtigkeitsdefizite fLir Frauen könnten indes nur behoben
werden, wenn auch die Rollenverteilung zwischen Staat und
Familie stärker fLir die öffentliche bzw. politische Regulie-
rung geöffnet würde (Okin 1991).
Fragende werden nicht klüger, wenn sie Rawls 11 mit dem
auf die Demokratie angelegten Menschen zu Hilfe nehmen.
Wenn also nach Passieren des Vorhangs doch ein Wissen
über Demokratie und das Bekenntnis zu dieser bleiben, sind
diese Menschen dann nicht schon als Demokraten auf be-
stimmte Gerechtigkeitsnormen programmiert? Was sollen
sie eigentlich noch beraten, außer einigen Verteilungspro-
blemen, die Rawls selbst ja auf den Rang sekundärer Ge-
rechtigkeit verweist? Die kapitalistische Wirtschaftsordnung
jedenfalls ist als solche der Entscheidung wohl entzogen.
Warum eigentlich? Resultat des individualistischen Men-
schenbildes oder nicht artikulierte politische Einschätzung,
es gebe sowieso keine durchsetzbare Alternative? Rawls'
Anliegen ist, so wird an diesen offenen Fragen deutlich,
philosophisch, nicht politisch. Das ist auch in Ordnung, er ist
ja schließlich Philosoph. Es geht ihm um die Begründung
einer zeitgemäßen Ethik, d.h. einer Philosophie, die den
Staat, die historischen Persönlichkeitsrechte, die wirtschaft-
lichen Grundlagen der Existenz und den Verfassungsstaat

118
einbezieht. Rawls II ändert politikwissenschaftlich gesehen
daran nicht allzu viel. Er nimmt den in der Debatte um
Rawls I wiederkehrenden Vorwurf des Ethno- oder Sozio-
zentrismus einfach als Gelegenheit, seine Theorie zur demo-
kratischen Staatsphilosophie hin zu erweitern.
Vielleicht findet sich eine Brücke zur politischen Theorie
in Rawls' Kennzeichnung des Menschen in der "original
position". Lassen wir einmal den Menschen bei Rawls II
beiseite, der ja schon eine ganze Menge weiß, zum Beispiel,
was Demokratie bedeutet. Die Menschen bei Rawls I wissen
aber schon immerhin einiges über Logik, Philosophie und
vermutlich Geschichte und Ökonomie, sonst könnten sie
kaum zum Gleichheits- und Differenzprinzip finden (Shapiro
1986, 210). Bauen wir in Rawls' Zeitmaschine einmal einen
Defekt ein und lassen wir die Deliberanten beim Rücktrans-
port aus der "original position" notgedrungen im 16. Jahr-
hundert aussteigen. Ihre Marktprinzipien würden ihnen nicht
viel nützen, und bei aller Schlagetöterei zwischen oberita-
lienischen Condottieri und mitteldeutschen Bauernkriegern
würden sie einsehen, daß sie bei Hobbes besser beraten ge-
wesen wären. Am geballten Anforderungsprofil für das ver-
nünftige Verhandeln in der "original position" würde ver-
mutlich schon mancher Stipendiat der Studienstiftung des
Deutschen Volkes scheitern. Der Rawlssche Deliberant weiß
mehr, als die Zauberformel von der Löschung empirischen
Wissens suggeriert. Sonst wäre er nicht verhandlungsfähig
(vgl. Sandeis Kritik am "unencumbered self', 1993).
Und überhaupt: Gibt es keine anderen Gerechtigkeitskri-
terien als die staatsbürgerlichen Freiheits- und Gleichheits-
rechte und die Verteilung ökonomischer Ressourcen
(Esquith/Peterson 1988, 325)? Das Dilemma der Schwarzen
in den USA läßt sich großflächig damit umschreiben, daß sie
die amerikanische Unterschicht bilden. Aber ist die faktische
Dritte-Welt-Lebenssituation der meisten Afroamerikaner im

119
Ursprung wirklich ein Verteilungsproblem? Wirkt hier nicht
einfach Rassismus (siehe etwa Sniderman u.a. 1986)? Und
dessen Gehalt mag sich aus den folgenden, hypothetisch
kühnen, aber in den Folgen nachvollziehbaren Fragen er-
schließen: Wird der Wunsch einer wohlbehüteten jungen,
weißen Amerikanerin aus Suburbia, einen Schwarzen aus
dem Metropolen-Ghetto mit Ballonrnütze, beringten Ohr-
läppchen und buntem Outfit, das unvermeidliche Chewing
gum traktierend, zu heiraten, vom prospektiven Brautvater
mit freudigem Allotria begrüßt? Oder der Wunsch eines
Blankeneser Kaufmannssohnes, die Tochter eines Gemüse-
händlers im nicht weit entfernten Stadtteil Altona derselben
Freien und Hansestadt Hamburg zu freien, der den Ford-
Transit für den letzten Schrei automobilen Chics hält, Mus-
lim-Käppchen trägt, Frau und Töchter zum Tragen unan-
sehnlicher Kleidung verdonnert und den Koran für die Ulti-
ma ratio allgemeiner Bildung hält? Und hypothetisch leider
weniger kühn: Wie steht es mit den Hindus in Bombay, de-
nen es genauso schlecht geht wie den Muslimen zwei Stra-
ßen weiter, die aber die indischen Muslime und Pakistan fest
als Ursache ihrer miserablen Lage behaupten und ihren tri-
sten Alltag immer mal wieder durch ein Progrom gegen die
Anhänger des Propheten auflockern? Wie mit den Green-
peacern, die sich im Südpazifik mit französischen Mari-
nesoldaten anlegen, beide Bürger der großen EU, wo es um
das Auftreten eines im Weltrnaßstab mäßig großen, ökono-
misch mäßig erfolgreichen Staates geht, der seinen Welt-
machtstatus partout durch nukleare Waffenexperimente
nachweisen will? Welche Gerechtigkeitsgrundsätze sollen
hier gelten?
Diese rhetorischen Fragen sind mit Absicht dem reich-
haltigen Konflikt- und Ungerechtigkeitsrepertoire des ausge-
henden 20. Jahrhunderts allein in den Demokratien entnom-
men. Man darf unterstellen, daß sie einem Zeitung lesenden

120
Rawls nicht verborgen geblieben sind. Rawls mag gute
Gründe haben, darauf nicht einzugehen. Schließlich ist er
kein Politikwissenschaftler. Diese indes, wenn auch aus-
schließlich in der Sparte politische Theorie, reklamieren
seine Philosophie als theoretisch relevant für ihr Fach. Des-
halb müssen weitere Fragen erlaubt sein, um Rawls als poli-
tischen Theoretiker abzuschätzen.
Kehren wir abermals zur "original position" zurück.
Rawls' Verfassungskonferenz - ob in der Version I oder der
Version 11, ist hier unwichtig - tritt zusammen, um eine ge-
rechte Ordnung zu finden. Aber wie kommt es dann, daß sie
just zu den Gerechtigkeitsmaximen gelangt, die Rawls for-
muliert? Wohl deshalb, weil sie auf Rawls' Kenntnisstand
und auf sozialen Pfaden zu ähnlichen Moralgrundsätzen
findet, wie sie ein Königsberger Philosoph vor mehr als 200
Jahren der Kraft individueller Vernunft zugetraut hat (siehe
auch Kersting 1994, 262). Wie sollte sie sonst zu einem
Grundrechtekatalog und Maßgaben für ökonomisches
Staatshandeln gelangen, die das Produkt einer langen histori-
schen Entwicklung sind, die Jahrhunderte gebraucht hat und
von heftigen politischen und sozialen Kämpfen begleitet
war? Die Menschen hinter dem Vorhang der prozeduralen
Unschuld wissen unglaublich viel für ahistorische Wesen,
nicht zuletzt müssen sie irgendwo von Rawls erfahren haben
(Neal 1994, 105 ff.). Sie haben alle Emotionen und biogra-
phischen Erinnerungen ausgeschaltet, verlassen sich ganz
aufs rationale Argumentieren. Rawls' Kritiker Sandei (1993,
29 f.) spricht diesem "ungebundenen Selbst" ohne Biogra-
phie und Geschichtsbewußtsein schlichtweg ab, einen Cha-
rakter zu besitzen. Es wäre ja immerhin denkbar, weil Rawls
die Ethik hier prozedural denkt, also die Vertragschließenden
keine präexistente Moral kennen, daß sich einige Deliberan-
ten in der Auffassung treffen, gerecht sei eine Ordnung, in
der die Stärkeren, die Weißen, die Gelben, die Muslime, die

121
erfolgreichen Unternehmer, die Proletarier - soweit noch
vorhanden - oder die Philosophen die Regeln bestimmen,
und zwar zum Ausschluß aller übrigen. Denkbar auch, daß
diese Unaufgeklärten oder Uneinsichtigen irgendwann ein-
mal, längst zurück im prallen Leben, mit aller Macht dafür
werben, dem liberalen Spuk ein Ende zu machen? Beispiele
bietet das 20. Jahrhundert im Übermaß. Was helfen Argu-
mente, wo es überhaupt keine Bereitschaft gibt, sie aufzu-
nehmen (Barry 1990)? Lebensnahe Konflikte über Gerech-
tigkeit sind bei Rawls nicht vorgesehen. Das erleichtert es
den Deliberanten in der "original position", die Zielmarke zu
erreichen: die gerechte politische Ordnung des John Rawls.
Woran liegt es nun, daß Rawls außer der staatsbürgerli-
chen und ökonomischen Gerechtigkeitsdimension keine
weiteren Gerechtigkeitsprobleme thematisiert? Indem er sich
auf die Gerechtigkeitsherausforderungen des Marktes ein-
läßt, schöpft er aus dem historischen Kontext des späteren
20. Jahrhunderts. Aber warum nur aus dem ökonomischen?
Vermutlich doch wohl deshalb, weil ihn die anderen nicht
interessieren, oder weil sie ihm nicht wichtig erscheinen,
oder weil er vielleicht meint, alle Gerechtigkeitsprobleme
seien letztlich in politischer Gleichheit und ökonomischer
Ungleichheit eingeschlossen, oder deshalb, weil gerade in
diesem Spannungsfeld etliche Philosophen vor ihm nachge-
dacht und bereits Antworten vorgeschlagen haben. Welche
Gründe ihn bewegen, ist unwichtig. Doch er hat offensicht-
lich eine Auswahlentscheidung aus dem Themenspektrum
der politischen Gegenwart getroffen, ebenso wie mit der
Zuspitzung seiner Fragestellung auf Demokratien. Die Ver-
zahnung der Rawlsschen Philosophie mit grundlegenden
Legitimationsproblemen der politischen Wirklichkeit hat ihr
große Beachtung verschafft. Deshalb muß sich Rawls Kritik
mit Argumenten aus dieser beobachtbaren Wirklichkeit ge-
fallen lassen.

122
Die Philosophie kennt einige Beispiele fur solche Kopf-
geburten politischer Ordnungen. Exemplarisch ist wohl He-
gel, der die Geschichte in einer Staatsform ihre Vollendung
finden läßt, in der die Beamten, die Staatsklasse, in der He-
gelsehen Philosophie geschult sind. Nach langer Unterbre-
chung tritt heute wieder ein Nomothet, ein Schöpfer politi-
scher OrdnungsvorIagen, auf den Plan (Kersting 1993, 19).
Rawls gelingt ein gigantisches intellektuelles Unterfangen
mit großer Faszinationskraft. Doch politisch überhebt er
sich, auch politiktheoretisch. Das wird deutlich, wenn man
ihn mit der Erforschung der politischen WeIt durch die So-
zialwissenschaft konfrontiert (ein Beispiel bietet Klosko
1993). Gemessen daran versagt Rawls als politischer Theo-
retiker in allen drei Punkten. Er ignoriert die politischen und
wissenschaftlichen Erfahrungstatbestände seiner Zeit, als
Philosophen interessieren ihn die empirischen Zusammen-
hänge nicht (Shapiro 1986, 220 0. Seine normative Kompo-
nente, der sozialpflichtige Verfassungsstaat, ist in Anbe-
tracht der demokratischen Realbefindlichkeiten eine recht
blasse Vision. Und selbst diese bergen Ungerechtigkeiten
einer Art und eines Ausmaßes, die Rawls nicht einmal the-
matisiert (Arbeitslosigkeit, Chancengleichheit der Ge-
schlechter, Zyklus von Armut, Kriminalität, Ausbildungs-
mängeln und desintegrierten Familien).

5.2. Robert Nozick als Staatsverächter

Rawls Gerechtigkeitstheorie erntete heftige Kritik. Beson-


ders vehement widersprach der "libertäre" Philosoph No-
zick, dessen Antwort seinerzeit große Resonanz fand, weil er
das schwere Geschütz eines anti-etatistischen Gegenentwurfs
auffuhr. Die liberale, staatsabweisende Position der Wirt-
schaftstheorie hat in der politischen Philosophie nicht allzu

123
viele Freunde. Aus dem blanken Akquisitionsverhalten läßt
sich schwerlich Moralität gewinnen. Robert Nozick ist ein
Staatsverächter. Eigentum ist Freiheit. Eigentumsschmäle-
rung, sei es auch nur durch Steuern, ist Unfreiheit. Staat und
Freiheit vertragen sich nicht. Von daher operiert nach No-
zick die ganze Sozialphilosophie unter falschen Prämissen.
Locke, der den modernen Eigentumsbegriff in das politische
Denken hineingeholt hat, berührt nach Nozick die Lösung,
aber er trifft sie nicht. Zwischen den Naturzustand der un-
verbundenen Individuen und die Staatsgründung per Vertrag
schaltet Locke den gesellschaftlichen Zustand, eine Art Ge-
sellschaftsvertrag, in dem die Menschen den Gütertausch
vereinbaren und das Geld erfinden (dazu Euchner 1969,
1977). In diesen Zustand hakt sich Nozick ein, um seine
Vorstellung von einer quasi-staatlichen Ordnung zu entwik-
kein, die unterhalb der Staatsschwelle bleibt, also das Eigen-
tum nicht antastet. Nozick ist sich schon darüber im klaren,
daß der Staat seine Existenz primär der Schutzfunktion für
Leib und Leben verdankt. Doch muß es ein Staat sein, der
selbst als Minimal-, als Nachtwächterstaat Steuern braucht,
um damit seine Schutzleistung zu finanzieren? Nozicks
Problem ist bei allen Gleichklängen mit den neoliberalen
Marktadvokaten aus der Wirtschaftswissenschaft doch letzt-
lich ein ethisches. Wie es auch Locke postuliert, darf kein
anderer Mensch als Mittel für das Erreichen eines persönli-
chen Vorteils gebraucht werden. Es geht um die Autonomie
der Persönlichkeit auch in materieller Hinsicht. Die blanke
Existenz eines mit Erzwingungsmacht ausgestellten Staates
greift in die Freiheit der Person ein.
Nozick unterstellt, daß sich die Menschen im Lockeschen
Gesellschaftszustand in Schutzgemeinschaften organisiert
haben könnten, in Versicherungsgemeinschaften, die ur-
sprünglich auf Gegenseitigkeitshilfe bei Angriffen auf Leib
und Leben abhoben, deren Versicherte aber die Idee hätten

124
haben können, ein Sicherheitsunternehmen zu bezahlen, das
den Zweck der Assekuranz exekutiert (zum folgenden No-
zick 1974). Man muß unter dieser Annahme zunächst von
einer Pluralität solcher Schutzgemeinschaften ausgehen. Es
ist freilich absehbar, daß es früher oder später zu Auseinan-
dersetzungen kommen wird und die stärkste Firma das ge-
samte Versicherungsgeschäft an sich reißt. Das Problem
dieses Konzentrationsprozesses bleiben die "free rider", die
Unabhängigen, die es beharrlich ablehnen, sich der monopo-
listischen Schutzgemeinschaft anzuschließen. Diese sind
nicht an die Stillhaltebedingungen bzw. den Eigentums-
schutz der Versicherungsnehmer gebunden. Sie erweisen
sich als dauerhaftes Problem, weil sie die Versicherungsko-
sten in die Höhe treiben. Am Ende bleibt nichts anderes üb-
rig, als sie zu disziplinieren, d.h. sie dem Verpflichtungsge-
baren der Versicherten anzupassen, obgleich sie keine Bei-
träge zahlen. Die Freiheit der Free rider wird so zwar be-
schnitten, aber doch immerhin zum Vorteil eines kosten-
günstigen Schutzes der Versicherten in der erfolgreichen,
übrig bleibenden Schutzgemeinschaft. Dafür verdienen sie
freilich eine Entschädigung. Also Schutz gegen vertraglich
vereinbarte Bezahlung unter den Versicherten und gegen
Entschädigungszahlungen an die Nicht-Versicherten, die
aber als Störfaktoren für den ungetrübten Genuß des indivi-
duellen Vermögens ausgeschaltet werden. Der steuerfreie
Ultraminimalstaat steht! Fatalerweise hat er große Ähnlich-
keit mit einem minimalen Staat, weil er, Entschädigung hin,
Entschädigung her, auf Zwang durchaus nicht verzichtet.
Nur mit realitätsfremden Verrenkungen - Ausgleichsprämie
für den Verzicht auf Störung des Gesellschaftsfriedens, un-
klare Vorkehrungen gegen Betrugsfälle - läßt sich die Diffe-
renz zum rechtseinheitlichen und zwangsbewehrten Staat
retten.

125
Es fallt schwer, solche Gedanken nicht ins Reich der
blanken Spinnerei zu verbannen. Aber liest man quer zu
Nozick einige Schriften der Marktideologen dieser Tage -
exemplarisch ist Milton Friedman -, kommt nicht einmal
mehr ein Schmunzeln auf. Weder ist Locke richtig verstan-
den oder richtig wiedergegeben (vor allem im Zentral punkt
des Eigentumsbegriffs: Drury 1982, Shapiro 1986, 160 f.)
noch hat Nozick eine philosophische Gemeinde gefunden,
die an seiner Melodie Gefallen rande. Die Kriterien der poli-
tischen Theorie zu bemühen wäre müßig. Immerhin eines
lehrt der Autor: Was man nicht alles mit einem Klassiker
wie Locke, der auf dem Kenntnisstand seiner Zeit eine poli-
tische Theorie erdacht hat, machen kann. Als politischer
Theoretiker hat sich Locke einen Namen gemacht, weil er
ein konstitutionell eingehegtes Staatsdenken mitbegründete.
Er hatte Wirkung, weil er in den Vorstellungen der Zeitge-
nossen verstanden wurde. Kann man das von Nozick behaup-
ten, der mit Locke umgeht wie ein Collage-Künstler mit
einer zufallig in die Hände geratenen uralten Zeitung? Papier
ist geduldig, so heißt es, und verblichene Geistesgrößen kön-
nen nicht mehr widersprechen. Ragte nicht in Nozick ein
verabsolutierter Eigentumsgedanke und Anti-Etatismus in
die politische Philosophie, die beide nicht an der äußersten
politischen Peripherie siedeln, lohnte er die Referierung
kaum. Als Kontrast zum Denken im Zentrum der heutigen
Staatsphilosophie ist er nützlich. Die moderne politische
Philosophie stellt aber ganz andere Fragen.

5.3. Gebildete Antworten. Liberalismus mit


aristotelischen Beigaben

Rawls hat, wie bereits erwähnt, seinerzeit eine stürmische


Debatte ausgelöst, die bis heute andauert. Sein Entwurf ist

126
nach allen gängigen Kriterien liberal. Ausgangspunkt und
Ziel seiner Philosophie ist das Individuum, das sich mit an-
deren über politische Prozeduren verständigt, im übrigen
aber seine Interessen in einer Welt verfolgt, die von Geld
und Macht gesteuert ist. Empathie, Mitleid, Verzicht oder
Selbstaufopferung fehlen im liberalen Vokabular. Der Homo
oeconomicus könnte sich damit arrangieren. Selbst wenn
man in Rechnung stellt, daß Rawls solche Eigenschaften für
seinen Begründungszusammenhang nicht für wichtig hält,
wirkt seine gerechte Welt doch aseptisch und kalt - oder,
wie es in der Debatte darum oft auch heißt: dünn! Die
"kommunitaristischen" Kritiker, allesamt aus dem philoso-
phischen Lager, setzen dort an. Bei Rawls und Nozick haben
wir gesehen, daß sie sich, wie bei Sozialphilosophen generell
beliebt, in ihrer Argumentation bekannter Konstruktionen
der Klassiker bedienen, etwa Hobbes, Lockes und Kants. Die
Kritiker gehen nicht viel anders vor. Der Bezugspunkt einer
Variante kommunitaristischer Autoren, die hier zunächst
vorgestellt werden sollen, führt in mancherlei Hinsicht auf
den neuaristotelischen Theoriekomplex zurück (zur Kom-
munitarismus-Debatte: Reese-Schäfer 1994). Diese geben
zwar überwiegend den liberalen Standpunkt nicht auf, sie
bekennen sich also mehr oder weniger zur philosophischen
und politischen Moderne. Aber sie kombinieren diese mit
Gedanken, die dem liberalen Denken teils vorausliegen, ihm
teils auch widersprechen. Dabei handelt es sich aber keines-
falls um eine philosophische Differenz. Es geht vielmehr um
eine andere Deutung der Kräfte, die den Menschen prägen -
um den Konkretheitsgrad, mit dem historische Gesellschaf-
ten Fühlen und Denken der Menschen bestimmt haben.
Rawls wie Nozick sind kontextfreie Denker - kontextfrei
jedenfalls insoweit, als sie zwar einigermaßen verallge-
meinerbare "Systemkontexte" wie Markt, Freiheit oder De-
mokratie gelten lassen, aber Problem lagen wie nationale

127
Identität, historische Verteilungsideale oder ethnische und
rassische Vorurteile ausblenden. Die Kommunitaristen geben
Demokratie und Rechtsgleichheit als Eckwerte selbstver-
ständlich nicht auf. Sie eröffnen aber eine Kontroverse dar-
um, wieviel konkrete Verschiedenheit und Konflikte mit
anderer Lebensart konkrete, staatlich organisierte Gesell-
schaften vertragen, ohne überlieferte Konsensbestände aufs
Spiel zu setzen. Insoweit weist der Kommunitarismus auf die
praktischen Probleme zurück, in der die Verfassungsdenker
der Antike zu argumentieren pflegten.
Bürgertugend und politische Ordnung sind bei Aristote-
les, wie bereits in anderem Zusammenhang angesprochen,
unlösbar miteinander verbunden. Tugend ist eine öffentliche
Eigenschaft, sie charakterisiert das Verhältnis des Bürgers
zum Gemeinwesen (Salkever 1990). Tugend meint die Iden-
tifikation mit dem Staat, die Bereitschaft der Bürger, die von
ihnen erwartete Teilhabe an den politischen Ämtern gern
auszuüben und beim Rechtsprechen und Beraten der Gesetze
persönliche Erwägungen hintanzustellen, Leben und Ehre
zum Besten des Ganzen einzusetzen. Warum? Das antike
griechische Denken sieht das Leben in der Gemeinschaft als
höchsten sozialen Wert: das friedfertige, verständige Zu-
sammenleben mit anderen als Lebenserfüllung. Vorausset-
zung dafür ist eine Verfassung, die den Bürger motiviert,
sein Leben auf die Gemeinschaft auszurichten, z.B. Verant-
wortung zu übernehmen, ggf. auch auf persönliche Annehm-
lichkeiten zu verzichten. Verfassungen, die den raschen Er-
werb von Reichtum begünstigen oder mächtige Ämter vor-
sehen, die persönlichen Ruhm und Ehrgeiz begünstigen,
stellen die wenigen Bürger, die sich noch zu öffentlichen
Tugenden bekennen, ins Abseits. Die Aristoteliker im Banne
Hannah Arendts haben ihre Sprachregelungen. Demokratie
ist verpönt. Sie ziehen es vor, von der Republik zu sprechen,
womit eine politische Ordnung gemeint ist, die in den Bür-

128
gern öffentliche Tugenden zu wecken versteht. Die Kom-
munitarismustheorie schließt hier an.
Denkbar radikal argumentiert Alasdair McIntyre, Tugend
sei nun einmal an den historischen Kontext der Polis gebun-
den und mit der Modeme endgültig verloren gegangen
(McIntyre 1987). Der Abstieg habe bereits im Mittelalter mit
der Gleichsetzung von Tugend mit Moral und entsprechend
von Tugendlosigkeit mit Sünde begonnen. Schon in ihrer
institutionellen Gestalt drücke die modeme Politik mit ihren
Anspruchs- und Abwehrrechten des Staatsbürgers und der
Trennung von öffentlichem und privatem Sektor die Un-
möglichkeit der Tugendbildung aus. Nostalgisch zurück-
blickend beklagt er, das mache ja die Ausweglosigkeit der
Krise der Gegenwart aus. Hier und dort möge es auch heute
noch Nischen geben, in kleinen Gemeinschaften und in
Freundesgesprächen, in denen eine Erinnerung an die origi-
näre Polis-Tugend anklinge.
So sehr das alles an die Neo-Aristoteliker erinnert, gibt es
doch einen fundamentalen Unterschied. McIntyre läßt das
historische Argument in die Betrachtung hinein. Die Tugend
in dem von ihm gemeinten Sinne und die liberale Demokra-
tie passen nicht zusammen, und es ist unvorstellbar, daß
letztere in die fur erstere geeignete Form gebracht werden
könnte. Fraglos eine plausible, richtige historisch-politische
Beobachtung, wenn auch alles andere als eine Aussage von
nennenswertem theoretischem Gehalt. Die aristotelische
Fraktion in der Tradition Straussens, Voegelins oder Arendts
würde das nicht akzeptieren, schon wegen der tragenden
Kontextualisierung nicht.
Galston plädiert dagegen unbefangen fur einen "tugend-
geladenen" Liberalismus als Basis der gerechten politischen
Ordnung. In den Grundannahmen einer anzustrebenden libe-
ralen Demokratie unterscheidet er sich kaum von Rawls. Die
Verschiedenheit der Menschen muß sich artikulieren dürfen,

129
daher gleiche Rechte für alle. Der Staat ist außerstande, mehr
als nur einen Teil der menschlichen Hoffnungen und Erwar-
tungen einzulösen. Alles übrige muß oder kann bestenfalls
die Gesellschaft leisten, wobei der Staat allerdings einschrei-
ten muß, um extreme Armut zu verhindern (Galston 1980 b.
6270. Sein Vorwurf an die Gerechtigkeitstheorie, wobei er
offenbar Rawls im Auge hat: Gerechtigkeit werde als Zweck,
als Ergebnis einer Verständigung über Prozeduren erwartet.
Institutionen hätten bloß Mittelcharakter. In dieser Kritik
trifft er sich mit verwandten Einwänden gegen Rawls
(Galston 1980 a, 283). Rawls' Demokratie erscheine als
formaler Mechanismus, der qua Gerechtigkeitskonsens einer
vorausberechneten Bahn folge. Galston hält dagegen, daß
Politik schließlich von Menschen aus Fleisch und Blut ge-
macht wird, die durchaus nicht leidenschaftsfrei handeln,
wenn sie auch generell zweckorientiert agieren. Er führt also
ein Erfahrungsmoment ein, nicht anders als Aristoteles zu
seiner Zeit. Weil die Menschen, ob Politiker oder Bürger,
nun einmal so sind, kommt es darauf an, nicht so sehr auf
gerechte Ziele abzustellen als vielmehr auf die Institutionen,
die prozedurale Gerechtigkeit produzieren. Demokratie er-
langt so eine Rechtfertigung aus der Leistung ihrer Institu-
tionen, aus sozialem Frieden, aus einer gewissen Vertei-
lungsgerechtigkeit und aus der individuellen Entfaltung ihrer
Bürger. Und da bietet Demokratie zunächst den Vorteil, daß
sie einen breiten Pool von Bewerbern um politische Ämter
vorhält und durch das Prinzip der Macht auf Zeit eine gewis-
se Rückbindung der Regierenden an den Willen der Regier-
ten gewährleistet. Zudem verhindert die Konkurrenz zwi-
schen Markt und Staat in Wirtschaftsfragen, daß es ein fur
allemal zur Dominanz der einen oder anderen Struktur
kommt (Galston 1980 a, 278 0.
Das ist soweit alles gut und schön, geht aber nicht über
die politikwissenschaftliche Demokratietheorie hinaus. In

130
einem wichtigen Punkt jedoch setzt Galston einen anderen
Akzent: Nicht alle Bürger, aber doch die meisten von ihnen
müssen liberale Tugenden besitzen (Galston 1988, 1281).
Was hier wie ein Widerspruch klingt, denkt man an den ari-
stotelischen Tugendbegriff, das wird plausibel, wenn man
den historischen Polis-Hintergrund ausblendet (zum Tu-
gendbegriff Salkever 1974). Die liberale Tugend bezieht sich
auf den einzelnen selbst, in seiner Eigenschaft als Bürger
eines liberalen Staates. Sie hat nicht vor, die Differenz zwi-
schen Staat und Gesellschaft einzuebnen oder den Bürger als
Träger individueller Interessen aufzugeben, der mit Hilfe der
Politik seinen Vorteil zu wahren gedenkt. Aber jeder einzel-
ne wird eine Anstandsschranke beherzigen, die ihn selbst
dann, wenn das Gesetz nicht im Wege steht, zögern läßt,
seinen Vorteil zu Lasten eines anderen zu realisieren. Barm-
herzigkeit und Compassion dürfen dem liberalen Bürger
nicht fremd sein, er muß Brutalität in jeder Form verab-
scheuen (Galston 1980 b, 628). Vor allem und mindestens
muß er die liberale Zentraltugend beherzigen: Loyalität der
Verfassung und dem Gesetz gegenüber und das Zurückstel-
len kurzfristiger Wünsche hinter langfristige Interessen. Li-
berale Ordnungen sind um abstrakte Grundsätze herum or-
ganisiert, entsprechend diffus sind liberale Tugenden (vgl.
auch SandeI 1982). Die klassischen Polis-Tugenden zielen
demgegenüber auf spezifische Kollektive, konkrete Gemein-
schaften. Von den politischen Eliten werden besondere Tu-
genden verlangt. Dieser von Galston eingeführte Komplex
der Elitentugenden trägt der Arbeitsteiligkeit und Komplexi-
tät der Demokratie Rechnung. An die Webersehen dicken
Bretter erinnert das Postulat der Geduld, der Bereitschaft und
der Fähigkeit, in verschiedenen Koalitionen und unter konsti-
tutionellen Restriktionen zu handeln und sich last but not
least nicht kurzfristigen, schnellebigen Popularitätserwartun-
gen zu unterwerfen. Liberale Tugenden sind keine Sache des

131
Wo liens, jedenfalls nicht ausschließlich. Sie werden qua
Sozialisation und Erziehung erworben. Der Zerfall der kon-
ventionellen Familie ist deshalb ein Menetekel, ein gravie-
rendes Problem für die Vitalität einer demokratieadäquaten
Ethik (Galston 1988, 1282 ff.).
Galston läßt sich auf den historischen Kontext ein, um
Tugend und liberale Demokratie zusammenzubringen. So
eindrucksvoll sein Vorschlag des Tugendprogramms als
Gerechtigkeitsgenerator wirkt und so sehr man es spontan
befürworten mag, erschöpft es sich doch eigentlich im Po-
stulieren. Der liberale Staat ist auch nach Galstons Begrün-
dung ein Utilitätsprodukt. Für Politiker wie für engagierte
Bürger mögen seine Institutionen intrinsischen Wert gewin-
nen. Aber sie werden vermutlich allein deshalb akzeptiert
und geschätzt, weil sie funktionieren, also Entscheidungen
erleichtern oder ganz abnehmen, weil sie Komplexität redu-
zieren oder schlicht deshalb, weil man sich an sie gewöhnt
hat und die subjektive Erfahrung ihre Nützlichkeit nicht de-
mentiert. Man muß keine liberalen Tugenden hinzudenken,
um sich dennoch eine funktionable liberale und verfahrens-
gerechte Demokratie vorzustellen. Andererseits fällt es
schwer, sich die gute Polis bei Aristoteles oder die Vision
einer modernen Polis-Konzeption bei Hannah Arendt ohne
bestimmte Bürgertugenden vorzustellen, die mehr verlangen
als die Bestätigung einer Trennung staatlicher und gesell-
schaftlicher Sphären. Gemessen an den Verhältnissen und
am Erklärungsmodus seiner Zeit wird man Aristoteles den
Status eines Autors der politischen Theorie schwerlich vor-
enthalten können. Streiten kann man mit guten Gründen, ob
die Fortschreibung von Aristoteles in die so ganz andere
Gegenwart durch Strauss und Gesinnungsverwandte noch
den Rang politischer Theorie verdient. Die liberale Tugend
Galstons wirkt indes aufgesetzt. Nach den Kriterien der po-
litischen Theorie hat sie eine schwache Faktenbasis: Bei der

132
Mehrheit der Bürger in den Demokratien sind liberale Tu-
genden wohl eher die Ausnahme (Aktivbürger vielleicht
ausgenommen). Sonst bräuchte es keine Steuerfahndung,
keine Mietprozesse, gäbe es keinen Subventionsbetrug, kei-
nen Nachbesserungsbedarf für Gesetze wider die Bestech-
lichkeit von Politikern und Beamten, keine Berichte über
Kindesrnißhandlungen und wachsende Brutalität auf Schul-
höfen und in Klassenzimmern. Galstons Klage über den
Abstieg der Familie wirkt hilflos. Der politische Theoriege-
halt des Ganzen ist im Sinne des oben zugrunde gelegten
Theoriebegriffs gleich Null. Bei aller Kritik an Rawls'
"kaltem Liberalismus" bietet Galston nichts anderes als eine
Gegenvorstellung in politischer Ethik - ein philosophisches
Unterfangen.
Konsequenter bringt Benjamin Barber das aristotelische
Moment in die liberale Demokratie ein. Was heute realiter
als Demokratie zu beobachten sei, könne allenfalls als
"dünne Demokratie" gelten. Die Bürger gingen zur Wahl,
wögen inhaltliche und personelle Alternativen ab und wende-
ten sich dann dem privaten Tagesgeschäft zu. Die eigentliche
Politik werde in repräsentativen Körperschaften gemacht.
Das alles sei nur Ausdruck des liberalen Mißtrauens in die
Fähigkeit der Menschen, gedeihlich mit ihresgleichen zu
reden und zu kooperieren (Barber 1994, 8, 13 ff.). Man
könnte dazu polemisch anmerken: Der Liberalismus, wie er
der Alltagserfahrung entspricht, ist letztlich eben der legiti-
me Erbe der Lehren von der Unsozialität des von Hobbes
und Locke gedachten Menschen in einem vorstaatlichen
Ursprungszustand. Barber sieht die Bürger nach stellvertre-
tend beschlossenen Gerechtigkeitsmaximen verwaltet. Die-
ser Zustand könne nicht befriedigen. Kein Grund rechtfertige
die Annahme, daß die gewählten Politiker für ihre Auftrag-
geber, die Bürger, eine bessere Wahl zu treffen vermöchten
als diese selber. Die Demokratie solle sich auf das Bürger-

133
ideal der Antike zurückbesinnen (118): den Bürger als un-
mittelbaren Gesetzgeber, der nicht in der Vereinzelung über
die Dinge räsonnierte wie der liberale Bürger, sondern in der
dialogischen Beratung mit seinen Mitbürgern (122 ff.)! So,
wie in der lokal überschaubaren griechischen Polis, die Ari-
stoteles vor Augen stand, die Deliberation Kern der Politik
war, wichtiger als Abstimmungsergebnisse und Sieger oder
Verlierer, so bietet die modeme Kommunikationstechnik alle
Möglichkeiten, auch in der Großgesellschaft mit ihrer ex-
tensiven Zuerkennung des Bürgerstatus die klassische
Selbstregierung wiederzubeleben. Diese verlange freilich
andere Qualitäten als eine liberale Demokratie mit ihren
Vernunftmenschen, die selbst beim Einsatz für öffentliche
Belange Zeit- und Energiekosten und erhoffte Vorteile kal-
kulierten. Die essentielle, um das Gespräch kreisende "starke
Demokratie" unterdrücke den Affekt nicht, sie fördere ihn,
lenke ihn in die produktiven Bahnen leidenschaftlicher, aber
begründungsfähiger Argumente (154 f., 173 ff.).
Weiter muß Barber hier nicht referiert werden. Die An-
leihen bei Aristoteles sind ebenso offensichtlich wie der auch
bei Hannah Arendt anklingende nostalgische Bezug auf die
kommunale Selbstregierung amerikanischer Kleinstädte oder
auf aktuelle Erscheinungen nachbarschaftlicher Politik in
Vorstädten und Stadtteilen. Barbers Tugendprogramm über-
zeugt weit besser als die Elaborierung liberaler Tugenden.
Im Grunde genommen fordert er eine Art Kontrastprogramm
zur polyarchischen Erscheinungsform der historischen De-
mokratien. Rhetorisch und stilistisch schwingt vieles vom
Enthusiasmus für die direkte Demokratie mit, welcher aller-
dings Arendt, Strauss oder Voegelin vollständig fremd ist.
Das ist alles weit entfernt vom schweren, fundamentalisti-
schen Gestus der Anhänger der konservativen, neo-
aristotelischen politischen Philosophie.

134
Legen wir die Elle der politischen Theorie an, so kassie-
ren wir eine weitere Fehlanzeige. Gewiß, da ist die normati-
ve Aussage, eine plastische Vision von vitaler Demokratie,
und auch die Ausgangsbeobachtung - Demokratie als Ge-
schäft pluralistischer Eliten - mutet so falsch nicht an. Aber
die Rezeptur überzeugt nicht. Die Beobachtung direkter De-
mokratie in der Praxis, so weit diese auch von Barbers Ideal-
vorstellung entfernt sein mag, enthält keinerlei Anhaltspunk-
te, daß mehr Partizipation zur Initialzündung für ein neues,
deliberatives Bürgerbewußtsein werden könnte. Kleine Ein-
heiten sind vielleicht eine andere Sache. Von der sich auf
Aristoteles berufenden Begeisterung für kleine Gemeinschaf-
ten als Humus des Bürgersinns grenzt sich Barber jedoch ab.
Statt dessen plädiert er für die Aufteilung der Bürgerschaft in
nicht allzu große Gruppen, die als Basis der Willensbildung
dienen. Vor ihrer Beherrschung durch Mitbürger mit Füh-
rungs- und Darstellungstalent sollen sie Moderatoren bewah-
ren, die - selbst uninteressiert - jenen beistehen, denen es
schwerer fällt, sich zu artikulieren. Barber, so wird darin
deutlich, bietet eine weitere Exerzitie in politischer Philoso-
phie.

5.4. Michael Walzer als Spielverderber:


Hinsehen statt Förmchen backen

Michael Walzer ist neben Rawls in der gerechtigkeitstheore-


tischen Debatte der bestbekannte kommunitaristische Autor.
In vieler Hinsicht erscheint er als dessen Gegenspieler. Wo
Rawls Gerechtigkeit aus der Ratio der Vertragsparteien her-
leitet, hält Walzer wie die übrigen Kommunitaristen Legiti-
mation aus Geschichte und Kultur dagegen. Walzer ist zwar
Vernunftmoralist. Aber im Vergleich zu Rawls und den an-

135
deren hier erörterten Autoren gerät sein politisches Modell
historisch.
Nach Walzer gibt es keine abstrakte Moral oder Gerech-
tigkeit, sondern immer nur eine konkrete, "dicke" Moral, die
fest in die Hoch- und Alltagskultur der Gesellschaft verpackt
ist (Walzer 1994, 5). Rawls' Vernunftkraftstoff erscheint
ihm für die Tour zur Erkundung der Gerechtigkeit zu mager.
Die historische Moral ist immer schon da, bevor die
Fachabteilung für Gerechtigkeit in philosophischen Fach-
journalen ihre Empfehlungen veröffentlicht. Gerechtigkeit
nimmt sich für den Japaner anders aus als für den Franzosen,
für die nigerianischen Ibo anders als für die im selben Staat
siedelnden Haussa, für den Slumbewohner in Sao Paulo an-
ders als für den Sozialhilfeempfänger in der Plattenbautris-
tesse von Berlin-Marzahn oder Halle-Neustadt. Hier erweist
sich Walzer als sozialwissenschaftlich so offen wie kein
anderer bekannter Partizipant in den Debatten der modernen
politischen Philosophie. An dieser Stelle läßt sich auch
schon der erste Walzersche Schlüsselgedanke einbringen:
Gerechtigkeit als Kunst des Trennens. Beläßt man kulturel-
len Gemeinschaften, wenn sie unter dem Dach desselben
Staates leben, ihre Eigenheiten, vermeidet man jede Form
der kulturellen Hegemonie, dann sollte es schon gerechter
zugehen, als wenn das nicht geschähe (Walzer 1992 a, 38
ff.). Als Demokratieproblem haben Arend Lijphart (1968)
und Gerhard Lehmbruch (1967) vor längerer Zeit denselben
Punkt erörtert. Es heißt Walzers Leistung nicht mindern,
wenn festgestellt wird, daß Walzer diese "konkordanz-
demokratische" Literatur nicht einmal am Rande zitiert. Er
kennt sie höchstwahrscheinlich überhaupt nicht. Umgekehrt
zitieren Politikwissenschaftler der Sparte politische Theorie
Walzer recht ausgiebig.
Gerechtigkeitsprobleme stellen sich zwischen Gesell-
schaften ja eigentlich nur, wenn man die Elle einer universa-

136
listischen Moral anlegt. Dazu ist anzumerken, daß Walzer in
den spezifischen "dicken" Moralen konkreter Gesellschaften
die gemeinsame Schnittmenge einer "dünnen", universalisti-
schen Moral erkennt (Walzer 1994, 11 f.). Er unterstellt
damit ein Gerechtigkeitsminimum, das sich unabhängig von
Geschichte, Ort und Zeit manifestiert. Sein Kern ist die
Menschenwürde, letztlich also der Sinn der Rooseveltschen
Four Freedoms - Gedanken- und Redefreiheit, Religionsfrei-
heit, Freiheit von Mangel und Angst (Rede F.D. Roosevelts
im Januar 1941). Der empirische Gehalt und die Nähe dieser
Gedanken zur sozialwissenschaftlich betriebenen Politikwis-
senschaft sind beträchtlich.
Walzer beläßt es nicht bei dieser Reflexion über natio-
nalstaatliche oder innerstaatliche Kulturgemeinschaftsge-
rechtigkeit. Seine Kunst des Trennens wendet das Gerech-
tigkeitsthema auch an Stellen an, die keine politischen Ge-
meinschaftskonflikte kennen. Ein einfaches Gerechtig-
keitsprinzip für eine komplexe Gesellschaft wird von vorn-
herein als unmöglich behauptet. Gerechtigkeit folge in der
Politik anderen Prinzipien als im Wirtschaftsleben. In der
Politik müsse man auf Gleichheit vor Recht und Gesetz be-
stehen, in der Wirtschaft Leistung berücksichtigen, in der
Bildung Chancengleichheit bei gleicher Befähigung akzep-
tieren. Die voneinander getrennten Sphären stünden unter
verschiedenen Gerechtigkeitsmaximen (Walzer 1992 b). Ihre
Substanz sei ein Zusammengehörigkeitsempfinden, wie es in
Vereinen bzw. freiwilligen, überschaubaren Gruppen anzu-
treffen sein mag, und die Bereitschaft, Dinge von gemeinsa-
mem Belang selbst in die Hand zu nehmen. Walzer spricht
hier von der Zivilgesellschaft in Abgrenzung zur bürgerli-
chen Gesellschaft - bei ihm eine Bedeutungsdifferenz, die
sich im Englischen terminologisch schlecht ausdrücken läßt
(civil society). Demgegenüber schließt die herkömmliche
bürgerliche Gesellschaft eine Vielzahl gesellschaftlicher

137
Aktivitäten und Interessen ein, die eng auf den Staat bezogen
und mit diesem verquickt sind. Eine unter den gegebenen
Umständen optimale Gerechtigkeit läßt sich nur als die
Summe adäquater Moralen in den verschiedenen gesell-
schaftlichen Sphären denken. Walzer spricht hier von der
Kunst des Verbindens (Walzer 1992 a, 58 ff.).
Der Staat ist bei alledem sehr wichtig. Menschen denken
nun einmal im übergeordneten Kollektiv des Staates. Daran
muß nichts falsch sein. Der Staat hat eine positive Funktion.
Er sorgt fur übergreifende Identität, die Menschen offenbar
brauchen. Vom Staat wird Schutz erwartet, wo eine Identität
bedroht ist, und er kann die nicht unbedingt anmaßende
Selbstbewußtheit von Wir-Gefuhlen fördern, wo er Bürger-
belange nach außen vertritt (Walzer 1996, 86 ff.). Wer ge-
hört zum Staat, wer nicht? Wichtige Fragen, die Walzer
nicht gesinnungsethisch entschieden sehen möchte! Dafür
gibt es in der Philosophie bzw. in der politischen Theorie
berühmte Parallelen. Die eine findet sich bei Edmund Burke,
dem englischen Publizisten und Politiker des späten 18.
Jahrhunderts. Burke pries in einer Abrechnung mit der Fran-
zösischen Revolution die Vorzüge einer historisch gewach-
senen Herrschaft (Göhler/Klein 1991, 282 ff.). Die Ideenge-
schichte vermerkt Burke als Protagonisten der traditionsver-
hafteten oder konservativen Reform. Seine Zentralbotschaft:
Bewährte Institutionen nicht mehr als notwendig verändern,
historische Kontinuität als bester Nährboden für legitime, als
gerecht geglaubte Herrschaft! Den anderen Anknüpfungs-
punkt bietet Hegel mit seiner Lehre von den pathetisch-
nebulös mit Volksgeistern umschriebenen Kulturen. Denn
nichts anderes steckt hinter diesem Begriff aus der HegeI-
schen Geschichtsphilosophie als die von den Zeitgenossen
romantisch verklärten, noch völlig unnationalistisch verstan-
denen Eigenarten verschiedener Völker (dazu Göhler/Klein
1991, 303 ff.). An sich schon damals keine neue Erkenntnis.

138
Bereits Montesquieu hatte auf dem Wissensstand seiner Zeit
anschaulich die Sitten und Bräuche verschiedener Völker
und ihre vermuteten Auswirkungen auf die Politik beschrie-
ben. Wenn Walzer also die Gerechtigkeit in die Kulturen
selbst hineinlegt, steht er in großer politikphilosophischer
Tradition. Burke und Montesquieu werden übrigens ja nicht
von der Philosophie vereinnahmt, sie gelten als historische
Politiktheoretiker. Die Inanspruchnahme eines historischen
Kontextes für die Erklärung von Moral (Walzer 1996, 76 ff.)
geht über die politische Philosophie älterer und moderner
Provenienz hinaus. Ob und wie richtig auch immer, jeden-
falls scheint bei Walzer die Beobachtung das Argument zu
steuern, und dieses Argument benennt Ursachen - Kultur -
und Wirkung - Legitimität, Normen.
Und noch eines: Walzer läßt den Staat an sich heran, und
zwar nicht im ästhetischen Outfit einer mehr oder minder
deliberativen Veranstaltung, sondern in seinen ordnenden,
ausschließenden und auf Durchsetzung gerichteten Eigen-
schaften. Wie weiland Hobbes hält Walzer den Staat für die
Conditio sine qua non der Politik, das vorerst noch einzig
taugliche Konstrukt, durch das sich die Gesellschaft Identität
verschaffen kann, ohne dabei ihren Vorrang bei der Bestim-
mung der politischen Inhalte aufzugeben, die der Staat zu
repräsentieren und auch zu exekutieren hat (Bader 1995, 230
ff.).
Unter dem Aspekt politischer Theorie ist Walzer unter
den bisher erörterten Philosophen der interessanteste. Politi-
sche Fakten läßt er - wenn auch in Unkenntnis der politik-
wissenschaftlichen Forschung - näher an sich heran als jeder
andere der zuvor in diesem Kapitel erörterten Wissenschaft-
ler (Gill 1988, 34 ff., Hirschman 1994, 216, Mara 1990, 45).
Auch deutet er die Wirkungsverhältnisse zwischen politi-
scher Moral, Institutionen und Gesellschaft besser. Erstere
sind abgeleitet, letztere ist originär. Die philosophische Prä-

139
gung kommt zwar immer wieder zum Vorschein (Galston
1989, 122 f.). Aber als einziger in der Philosophenriege for-
muliert Walzer eine politische Theorie. Deren Ursprünge im
akademischen Betrieb sind ein Thema, auf das noch zurück-
zukommen sein wird. Das Publikum für eine effektvolle
politische Theorie hat sich seit den Tagen der Klassiker
massiv verändert.

5.5. Standfestigkeit des Trittbretts auf Forstwegen:


Bilanz

Für die politische Philosophie ist der Gegenstand Politik eine


Rechtfertigungsherausforderung. Die Liberalen sehen ge-
rechte Politik im Kern als Frage der Legitimation für Staats-
eingriffe in die persönliche Handlungsfreiheit. Die aristote-
lisch beeinflußten Kommunitaristen kaprizieren sich auf
Tugend- und Ordnungsprobleme. Die Kommunitaristen vom
Schlage Walzers kehren die Beweislast für Umfang und Art
der Politik um und stellen die ganz andere Frage, warum
denn die politische Moral partout, ob inhaltlich oder proze-
durai, über Gesellschaften und Kulturen hinweg die gleiche
sein müsse. Daraus kann zunächst gefolgert werden, daß es,
wie in der sozialwissenschaftlichen politischen Theorie,
mindestens zwei Richtungen gibt, eine kontextneutrale bzw.
universalistische und eine kontextsensitive politische Philo-
sophie. Wer Politikwissenschaft als ein sozialwissenschaftli-
ches Unternehmen ansieht, wird vermutlich spontan mit der
letztgenannten sympathisieren und oberflächlich eine Reihe
von Argumenten und Illustrationen wahrnehmen, die ihm
vertraut scheinen. Aber Vorsicht! Dient der Kontext der
Kolorierung von Schlußfolgerungen, die aus einer abstrakten
Prämisse deduziert werden? Oder deutet er auf Antworten,

140
wo es - noch - keine beobachtungsgestützte Antwort gibt?
Falls nicht, was macht die Überlegenheit einer kontextbezo-
genen politischen Philosophie vor einer anderen aus, die sich
für den Kontext überhaupt nicht interessiert und das Phäno-
men Politik mit universalistischen Maßstäben zu entschlüs-
seln sucht (Gunnell 1986, 178)? Wer fixiert die Maßstäbe,
nach denen die Überlegenheit der einen oder der anderen
Philosophie befunden werden kann? Vielleicht die Fachwelt,
wenn wir kühner- und unrealistischerweise einmal davon
ausgehen, die geistes- und sozialwissenschaftlichen Fachwel-
ten sprächen mit einer Zunge. Bleiben wir einmal bei dieser
nach allem Augenschein absurden Annahme, welches Fach
wäre dann zuständig?
Versuchen wir es zunächst mit der Politikwissenschaft
des Mainstream. Sie würde sich für überfragt erklären müs-
sen, weil keine der Theorien zureichende Meß- und Beob-
achtungspunkte, sei es für die quantifizierende, sei es für die
verstehende sozialwissenschaftliche Prüfung vorsieht. Ge-
dachte, vorgestellte Politik ist ein anderer Schuh als sozio-
logisch oder psychologisch nachweisbare politische Hand-
lungen. Also bleibt nur die politische Philosophie, die unbe-
schadet ihres Epitheton ornans "politisch" nichts anderes als
Philosophie ist. Hier spätestens strandet die kleine Fiktion
geschlossener Fachwelten. Denn so gewiß die in diesem
Kapitel geschilderten Theorien Philosophie darstellen, so
bekannt ist die Pluralität der philosophischen Schulen. Die
Aristotelesgläubigen tun pflichtschuldig Rawls und Walzer
in Acht und Bann, die Postkantianer die essentialistische
Position der Aristoteliker, und Walzer und seine Freunde
rechnen die Defizite der Kritiker auf.
In die Beobachtungswelt der Politikwissenschaft sind
Schranken eingezogen. Zuviele Gegenbeispiele und dubiose
Erklärungen verderben den Theorievorschlag. Die Gedan-
kenwelt der Politik, soweit von der Philosophie vereinnahmt,

141
stellt sich unter Begründungszwang, d.h. sie verlangt rationa-
le Argumente. Aber der jeweilige Ausgangspunkt kann ge-
wählt werden. Man kann sich eine Vielzahl von Auffassun-
gen über eine ethisch angemessene Politik vorstellen, diese
vernünftig darstellen und begründen. Auch dabei gibt es
Grenzen. Geraten Prämissen und Herleitungen zu unkonven-
tionell, entfernen sie sich allzu weit von dem, was selbst ein
zu kühnen Gedankenflügen bereites Publikum für machbar
hält, dann stürzt auch eine philosophische politische Theorie
ab. Das ist verdientermaßen Robert Nozick widerfahren, so
manchen Spätaristoteliker hat womöglich der Respekt vor
dem Hantieren mit klassischer Bildung davor bewahrt, ganz
davon abgesehen, daß seine oder ihre Begriffe - Bürger, Re-
publik, Tugend, Verfassung, Ordnung - in anderen Zusam-
menhängen mit neutraler oder positiver Konnotation in Um-
lauf sind.
Bleiben wir noch eine Weile bei den Eigenarten der phi-
losophischen politischen Theorie. Auch hier begegnet wieder
das Thema Demokratie, teils als Rechtfertigungs-, teils als
Renovierungsunternehmen oder als Verbesserungspro-
gramm. Das ist auch ganz konsequent, wenn man bedenkt,
daß ein geringeres Ziel schwerlich mit dem Ansinnen einer
zeitgemäßen politischen Ethik vereinbart werden kann. Da
wird stark von der Ratio, der Tugend, den Rechten gespro-
chen, von der sittlichen Qualität politischer Ordnungen und
ihnen adäquaten Bürgern, von Interessen, Verfahren und
Verteilungsregeln. Aber wo bleiben die Institutionen? Hier
sind jetzt nicht die Institutionen der politikwissenschaftli-
chen Theorie gemeint - die in den folgenden Kapiteln zum
Thema werden -, sondern die bodenständigen Institutionen,
in denen staatliche Politik gemacht wird. Für Klassiker des
politischen Denkens wie Locke, Montesquieu, die Autoren
der Federalist Papers, lohn St. Mill, ganz zu schweigen von
der modernen Demokratietheorie sind Gewaltenteilung, Re-

142
gierung, Parteien, Föderalismus, Wahlsystem u.ä.m. eminent
wichtige Themen. Diese Klassiker, zum Teil Philosophen,
wirkungsgeschichtlich aber Exponenten politischer Theorie,
wollten die Köpfe der Handelnden, der politisch Denkenden
erreichen. Etliche waren verkrachte Politiker, die immerhin
soviel vom Geschäft verstanden hatten, daß in der Politik
Akzeptanz bei Schöngeistern und Professoren nicht das
wichtigste ist, wenn es um Veränderung in den Köpfen geht.
Betrachtet man die Auswahl der oben betrachteten modemen
politischen Philosophen unter diesem Gesichtspunkt: weit-
gehend Fehlanzeige (Shapiro 1990, 38). Die Liberalen kom-
men aus dem Gehäuse der historisch erfolgreichen und be-
kannten Formeln des Verfassungs staates nicht heraus, die
Aristoteliker vergraben sich in ihrer Ratlosigkeit noch tiefer
in die Philologie, wo immer die Frage dräut, wie denn die
Kleinstadtpolitik der Polis auf großflächige, pluralistische
Industriestaaten übertragen werden soll. Für Kommunitari-
sten ist die Entdeckung der Gemeinschaft so überwältigend,
daß sie nicht viele Gedanken daran verschwenden, die Arti-
kulation kultureller Eigenheiten in sozialverträgliche Institu-
tionen zu leiten. Warum eigentlich diese Defizite? Die Frage
stellen heißt sie beantworten. Die politische Philosophie fußt
auf anspruchsvollen, kohärenten, einer Schulung bedürftigen
Kunst- und Argumentationsregeln. Sie erheischt Beachtung
und Überzeugungsfahigkeit - beim Fachpublikum! Machbar-
keitsaspekte sind kein philosophisches Thema. Das soll kein
Vorwurf sein. Der nach diesem Vorlauf unvermeidliche
Vorwurf kann sich allein gegen jene Politikwissenschaftler
in der Sparte politische Theorie richten, die es den Philoso-
phen gleichtun (Gunnell 1979, 209). Offensichtlich haben sie
die Verbindung zum Fach aufgegeben (siehe auch Galston
1993,33,40 ff.).
Noch eine letzte Rückschau auf die modeme politische
Philosophie. Diese ist auf konsensschaffende Begründungen,

143
Moralen und Prozeduren geradezu fixiert. Nun geht der
Standard-Politikwissenschaftler in den handwerklichbo-
denständigen Betriebsabteilungen bei der Besichtigung des
Schauplatzes Politik vermutlich stärker mit Konflikten und
Konfliktursachen um als mit Konsensphänomenen (Shapiro
1994, 133 f.). Die modeme Demokratietheorie als empirisch
offene Bereichstheorie wäre kaum in den Argumentations-
bestand der beobachtenden Politikwissenschaft eingeflossen,
wenn sie mindestens die halbe Miete, nämlich die Auseinan-
dersetzung mit den Quellen politischen Konflikts und den
Regularien der Konfliktbewältigung, schuldig geblieben
wäre. Das überlebensgroße Konsensthema ist philosophie-
typisch. Die Philosophie ist keine empirische Wissenschaft.
Argumente aus der Wirklichkeitsbeobachtung treffen sie
nicht, wohl aber der Nachweis einer logischen Inkonsistenz,
eines falsch verstandenen Klassikers, einer nicht hinreichend
durchgehaltenen Argumentationslinie. Zustimmung in nen-
nenswerten Teilen der Scientific community sichert einer
Philosophie die erwünschte Beachtung. Gedankliche Politik-
konstruktionen, die nicht in das Generieren politischen Kon-
senses einmünden, provozieren in der Philosophie vermut-
lich die Frage, wozu sie eigentlich gut sind. Begründungen
zielen auf Überzeugen, auf Konsens. Konflikte, Interessen-
unterschiede oder unvereinbare oder widersprüchliche
Handlung~maximen - wie sie den Alltag bestimmen - geben
allenfalls den Anstoß zum philosophischen Denken über
Politik. Ähnlich steht es mit der Dominanz des Staates. Die
meisten großen Entwürfe der neueren politischen Philoso-
phie gipfeln in einem guten, gerechten Staat, gedacht als
sittliche Ordnung, nicht als Institutionengebilde. Sobald man
Politik konfliktorisch versteht, kommt man um Parteien,
Interessengruppen oder Verhandlungs- und Schlichtungsme-
chanismen nicht herum. Bei einer philosophischen Theorie
ist diese Blindstelle verzeihlich. Eine politische Theorie, die

144
das gleiche Manko aufweist, erscheint aus politikwissen-
schaftlicher Sicht belanglos.
Die Hegemonie der Philosophie im Gebiet der akademi-
schen politischen Theorie bedarf der Erklärung. Seit der
Konfrontation zwischen der politischen Philosophie der
StraussNoegelin-Tradition mit der frühen empirischen So-
zialwissenschaft ist die politische Theorie aus der Politikwis-
senschaft ausgewandert. Den Theoriebildern, die sich im
empirischen Mainstream des Faches finden, fehlt die Ver-
bindung zu den alten oder neueren Klassikern des politischen
Denkens. Keine Frage, daß der überzogene szientistische
Enthusiasmus der frühen Empiriker aus der Chicago-Schule
seinerzeit ungerechte und kurzsichtige Urteile über den Wert
der historischen politischen Theorien produziert hat. Die
Gegenwehr der sich ganz auf die Klassik der politischen
Philosophie zurückziehenden Theoretikerfraktion erstarrte
im Immobilismus gleichbleibend intonierter Bürgertugend-
und Republikgesänge. Vor diesem Hintergrund läßt sich
verstehen, warum die Fachabteilung politische Theorie seit
Rawls dankbar die Chance ergriffen hat, nicht nur immer
wieder die alten Gestalten durchzunehmen, sondern sich in
eine Debatte einzuklinken, die von Philosophen angestoßen
und im wesentlichen auch in Bewegung gehalten wurde. Die
Philosophie als ein Fach mit einem Erkenntniskern und
etablierten Methoden hat es indes überhaupt nicht nötig, sich
auf den politikwissenschaftlichen Mainstream einzulassen,
der allein empirisch interessiert ist. Die akademische politi-
sche Theorie hat andererseits das Bemühen um Akzeptanz
im Zentrum der praktizierten Politikwissenschaft irgend-
wann einmal aufgegeben und sich an die Philosophie ange-
lagert (Gunnell 1986, 39 ff., Simons 1995, 686 ff.). Die Ju-
niorpartnerrolle der politischen Theorie im Verhältnis zur
Fachphilosophie bestimmt schon heute die Karrieremuster.
Die von Politikwissenschaftlern als politische Theorie aus-

145
gegebene Beschäftigung mit Philosophie hat ihren Ursprung
und ihren Zweck in der Universität - sie verschafft Jobs und
In-Group-Reputation (Shapiro 1989,68; Gunnell 1979,215).
Es schadet offenbar nicht, wenn Vertreter des Fachs politi-
sche Theorie streng genommen allein Kenntnisse in politi-
scher Philosophie anbieten, im übrigen aber oft ein eher lai-
enhaftes Verständnis der politischen Wirklichkeit erkennen
lassen (Gunnell 1990,37, 1986, 135). Ob solche Art politi-
sche Theorie im Fach gebraucht wird, ist eine offene Frage.
Die Philosophie braucht sie ganz gewiß nicht, und Main-
stream-Politikwissenschaftler werden kaum vergessen ha-
ben, warum sie seinerzeit nicht das Studium der Philosophie
gewählt haben. Vor diesem Hintergrund sollte die Bedeutung
einer politischen Ideengeschichte geschätzt werden, die ohne
eigene philosophische Ambitionen historische politische
Theorien lebendig hält und ihre Botschaften vor aktuellem
Hintergrund neu interpretiert (Ashcraft 1980, Ball 1995,
Bermbach 1984,253).
Die historischen politischen Theorien der Neuzeit lassen
sich politikwissenschaftlich übersetzen - sie kreisen im Ver-
ständnis Sabines um Ideen, die mit ihren Postulaten auf po-
litische Wirkung zielten. Darauf können weder die politik-
wissenschaftlichen Theorien noch erst recht die politischen
Philosophie dieser Tage hoffen. Ein Hobbes, ein Locke, ein
Burke oder ein Marx wurden von den politisch Gebildeten
ihrer Zeit verstanden. Versetzt man die moderne politische
Theorie verbotenerweise einmal in ihre Nachfolge, so wird
schlagartig deutlich, wie sehr sich die Situation verändert
hat. Welcher Politiker, ja welcher Wissenschaftler, ge-
schweige denn Liebhaber politischer Bücher mutet sich
schon die Lektüre philosophischer Fachzeitschriften zu, wer
versteht den Jargon des Kontrafaktischen, wer denkt bei
Tugend an etwas anderes als an ein verstaubtes Konfirman-
denideal?

146
6. Politiktheoretische Beutesuche im Hochgebirge
der Abstraktion

Mit den besten Gründen läßt sich darüber streiten, ob Ha-


bermas und Luhmann überhaupt in die politische Theorie
hineingehören. Sie werden hier allein deshalb berücksichtigt,
weil die akademische politische Theorie sie weithin wie
selbstverständlich zu den modernen Klassikern des politi-
schen Denkens zählt. Dabei spielt neben der Affinität zur
Fachphilosophie die Professionalisierung der politischen
Theorie mit all ihren Publikations- und Qualifikationszwän-
gen eine Rolle. Die Wahl fällt hier auf Habermas und Luh-
mann, weil beide in der politischen Theorie eifrig rezipiert
werden. Ohne je um ein Jota von ihrer erklärten Distanz zur
Politikwissenschaft abzuweichen, berühren sie in ihren gi-
gantischen Werken die Gegenstände Staat und Politik.

6.1. Habermas

Keiner der bisher erörterten Autoren ist so scharf von der


Politikwissenschaft abgerückt wie Habermas (1988, Bd. 1,
18). Unter den Sozialwissenschaften sei allein die Soziologie
theorierelevant, die sich mit den Problemen befasse, die Po-
litikwissenschaft und Ökonomie beiseite schöben (1988, Bd.
1, 19). Habermas muß als Sozialphilosoph gelten, tummelt
sich aber unbekümmert auf allen Feldern, die er seiner Pro-
blemerörterung ftir wert erachtet. Eines verbindet ihn als
"philosophe" mit den Themen der zuletzt referierten politi-
schen Philosophen: die Frage nach der Findung richtiger,
begründungsfähiger Normen. Sein Repertoire ist reichhaltig.

147
Das ist gewiß ein Anzeichen für Originalität und liegt auf der
gleichen Ebene wie die Schwierigkeit, ihn überhaupt als
politischen Denker einzuordnen. Es mag erlaubt sein, die
Verlegenheit einfach aus der Welt zu schaffen, indem fünf
wichtige Bezugstheorien kurz erwähnt werden.
Zunächst ist hier Parsons' funktionalistische Systemtheo-
rie anzuführen. Alle Gesellschaften weisen nach Parsons
gewisse, für ihr Überleben wichtige Grundfunktionen auf.
Diesen Funktionen sind jeweils Strukturen zugeordnet: als
rollendefinierte Institutionen, soziale Praktiken und formale
Organisationen. Ein Funktionsbereich dient der politischen
Führung, ein anderer der Produktion von Gütern und Lei-
stungen, ein weiterer der Erziehung und ein letzter der Re-
produktion gesellschaftlicher Normen, Bräuche und Erwar-
tungen in der Generationenfolge. Politik, Ökonomie und
Bildung besitzen in Macht, Geld und Wissen spezifische
Steuerungsmittel. Die Menschen im System bewegen sich
qua Bürger-, Konsumenten- oder Lernendeneigenschaft stets
in verschiedenen Institutionen. Für das Überleben des Sy-
stems ist es wichtig, daß keine Funktion langfristig defizitär
erfüllt oder durch zu großen Mitteleinsatz übersteuert wird
(Parsons 1951). Parsons' Denken ist hochabstrakt und empi-
risch kaum anwendbar. Aber es hat Soziologie und Politik-
wissenschaft - nicht zuletzt dank der kritischen Diskussion,
die es ausgelöst hat - stark beeinflußt. Bei Habermas hinter-
läßt Parsons Spuren vor allem in der Basisvorstellung eines
sich selbst regulierenden Systems, das gesellschaftliche Re-
produktionszwänge, Freiheitsgrade und kulturelle Entfal-
tungsmöglichkeiten kombiniert.
Der zweite, leicht erkennbare Anstoß kommt aus der
Frankfurter Schule mit ihrer Vorstellung vom aufgeklärten,
nicht-manipulierbaren, seine intellektuellen Fähigkeiten und
ästhetischen Begabungen entfaltenden Menschen, der sich
der Geltungswürdigkeit vorgefundener Verhältnisse erst

148
durch eine radikale Kritik vergewissert. Charakteristisch für
ihre "Kritische Theorie" ist die Abkehr der Gesellschaftskri-
tik vom Ökonom ismus der marxistischen Analyse. Hork-
heimers Interesse an der Psychoanalyse und Adornos Studien
zu Kunst und Musik treffen sich in der Auffassung, die
mentalen und ästhetischen Deformationen des Lebens in der
kapitalistischen Gesellschaft gelte es zu beseitigen, um die
Menschen zu emanzipieren. Die Aufklärung sei im instru-
mentellen Gebrauch der Vernunft - Naturbeherrschung -
stecken geblieben, der sich auch für irrationale Zwecke ein-
spannen lasse, am schlimmsten im Faschismus. Die in tech-
nischen Fertigkeiten verkümmerte Vernunft arbeite auch
subtileren Formen der Knechtschaft, etwa dem konformisti-
schen Konsumverhalten, in die Hände (HorkheimerlAdorno
1947). Wichtig für die Erkenntnis, die dem Vernunftpoten-
tial der Menschen entspricht, ist nun die radikale Kritik an
den Verhältnissen und Zwängen der vorhandenen Gesell-
schaft. Neues und Besseres kann nur von Menschen erwartet
werden, die sich frei von Gewinn- und Herrschaftsabsichten
austauschen, die allein dem Vernunftargument vertrauen -
die kommunikativ emanzipiert sind. Welche Lösungen, wel-
che Institutionen sie dabei finden werden, ist ungewiß. Die
kritische Theorie will hier nicht vorgreifen, weil jeder Vor-
schlag, jede Vermutung schon die notwendige vorausgehen-
de Kritik in bestimmte Bahnen lenken könnte. Und so hat
sich die Frankfurter Schule stets geweigert, Institutionen
vorzuschlagen, die dem ihr vorschwebenden emanzipierten
Menschen gemäß wären (vgl. die Übersichtsskizzen von
Honneth 1987; Türcke/Bolte 1994).
Drittens drückt Habermas auch die Rezeption der Sprach-
philosophie Wittgensteins aus: Unsere Sprache ist in ihrer
logischen Struktur, auch in ihrem Variantenreichtum ein
Abbild der Wirklichkeit. Erst durch Sprache teilt sich die
Welt der Vernunft mit. Was liegt bei diesem Gedanken nä-

149
her, als ihn auf die soziale Konstruktion der Welt zu übertra-
genund ihn zur vernünftigen Rekonstruktion der Gesell-
schaft durch das Gespräch zu erweitern (Wittgenstein 1984,
Erstaufl. 1921)?
Der vierte Impuls geht auf Karl-Otto Apel zurück. Apel
macht auf der Suche nach einer neuen Ethik den Vorschlag,
unter den Beteiligten Diskurse zu organisieren. Die Verant-
wortlichen sollen unter der Annahme einer Als-ob-Gleich-
heit miteinander beraten, wobei jedes vernünftige Argument
ohne Rücksicht auf den Status und die Macht des Diskutan-
ten soviel wiegt wie das des anderen. Als Diskursgewinn
bleibt allemal das Zuhören, das Zurkenntnisnehmen einer
Vielzahl von Gründen, das Abwägen der Argumente des
einen gegen die des anderen, das Entdecken von Gemein-
samkeiten, vielleicht auch ein Beratungsergebnis, das so
weich formuliert ist, daß es Auslegungsspielräume erlaubt,
die zwar keine Einigkeit, aber die Bereitschaft signalisieren,
im Gespräch zu bleiben (Apel 1990) - eine Praxis, die ge-
wisse Ähnlichkeit mit internationalen Konferenzen hat, auf
denen faktisch ungleiche, jedoch rechtsgleiche Akteure mit-
einander umgehen.
Schließlich muß fünftens ein Bürgerideal vermerkt wer-
den, das sogar Brücken zur Philosophie Hannah Arendts
schlägt und zentral auf die Öffentlichkeit als Ort der Selbst-
verständigung über gemeinsame Belange abhebt. Es handelt
sich um die Diskussion unter Menschen mit den verschie-
densten Lebenserfahrungen und in unterschiedlichen öko-
nomischen Verhältnissen, die als Freie zusammenkommen
und das gemeinsame Beraten mit anderen als Teil ihrer
Identität suchen - die Citoyens sind, aber keine Bourgeois,
die Staat und Politik vor allem als Service-Agenturen anse-
hen!
Habermas' Gesellschaftsbild unterscheidet zunächst
voneinander getrennt zu haltende Sphären, erstens das

150
"System" mit seinen Sparten der Ökonomie - Steuerungsmit-
tel Geld - und des Staates - Steuerungsmittel Macht - und
zweitens den diffusen Bereich der "Lebenswelt", in dem die
Menschen jenseits der Zwänge des Geldverdienens und des
Verwaltetseins ihre Glücksvorstellungen und Lebenspläne
entfalten, wo sie ästhetische Bedürfnisse entwickeln und wo
sich Religion, Tradition und Literatur entfalten. Habermas'
Problem ist die "Kolonialisierung" dieser Lebenswelt durch
Macht und Geld. Die Kritik im Kolonialisierungsvorwurf
verweist auf die Impulse der Kritischen Theorie. Die Le-
benswelt gilt es nun gegen die Übergriffe des Systems zu
verteidigen. Der Way of life, die Lebenswelt, soll vernünftig
von politischen und ökonomischen Zwängen abgegrenzt
werden. Dies bedeutet vor allem, daß moralische Fragen so
zu beantworten sind, daß sie das "System" auf Abstand hal-
ten. Als geeignete Verfahren erscheinen Diskurse von Freien
und Gleichen. Neuerdings arbeitet Habermas mit dem in
Mode gekommenen Begriff der Zivilgesellschaft. Dieser
vom herkömmlichen Begriff der bürgerlichen Gesellschaft
nicht sauber abzugrenzende Begriff wird indes unpräzise
gebraucht. Denn einerseits wird die Lebenswelt zur Zivilge-
sellschaft um etikettiert, andererseits konzediert Habermas,
daß eine Zivilgesellschaft, die als Ensemble von Vereinen,
Bürgergruppen und Initiativen verstanden wird, gegenüber
der verrnachteten Organisationswelt der Verbände und Par-
teien bestenfalls die Chance habe, kleine Reservate der Le-
benswelt dem Zangengriff von Geld und Macht zu entziehen
(Habermas 1994, S. 443 ff.; siehe auch Habermas' Kurzfas-
sung seines Denkens im erweiterten Vorwort einer wieder-
holten Neuauflage: Habermas 1990).
Die Theorie des kommunikativen HandeIns gilt als
Kernstück des Habermasschen Werkes (dazu Habermas
1988, vor allem Bd. 1). Habermas rekurriert dort auf Wis-
senssoziologie, Sprechakttheorien sowie auf Grundgedanken

151
der Diskursethik. Es soll eine Struktur, der theoretische Dis-
kurs, entwickelt werden, in dem Wahrheit gefunden werden
kann. Wahrheit wird nicht als fixe Größe verstanden. Sie
ergibt sich aus einem prozedural abgesicherten Diskussions-
prozeß und fangt über die biographische Prägung der Dis-
kursteilnehmer konstitutive Merkmale der Lebenswelt ein.
Hier lassen sich Berührungspunkte mit dem prozeduralen
Gerechtigkeitsideal von Rawls, aber auch mit dem kulturge-
meinschaftlichen Argument der Kommunitaristen erkennen.
(Ein typisches Merkmal von Habermas, daß er verschiedene
Debatten und Argumentationsstränge der politischen Philo-
sophie bzw. der Wissenssoziologie aufnimmt und in das
eigene, synthetisierende Ouevre integriert!) Kommunikatives
Wissen, das diesen Diskurs bestimmt, beinhaltet die Fähig-
keit zum rationalen Gespräch und die Bereitschaft, Argu-
mente des anderen aufzunehmen und rational gegen das ei-
gene Argument abzuwägen. Das Ergebnis des diskursiven
Prozesses ist offen. Der theoretische Diskurs ist nur soweit
eingeschränkt, als er lediglich rational begründbare Ansprü-
che zuläßt. Hier geht es um die Findung von Regularien, die
den vernünftigen Austausch über konkrete Probleme steuern.
Handfeste Probleme sind Gegenstand des praktischen
Diskurses. Instrumentelles Wissen charakterisiert diesen
praktischen Diskurs; es zielt auf Wirksamkeit. Es ist auf
Handeln gerichtet, nicht auf Wahrheit. Es beinhaltet - proze-
durale - Wahrheit aber in der Beachtung der im theoretischen
Diskurs konsentierten Regeln. Habermas interessiert allein
das kommunikative Wissen im theoretischen Diskurs, die
Handlungskomponente wird vernachlässigt. Dieser Diskurs
sieht außer einigen prozeduralen Vorschriften keine Unter-
schiede und Einschränkungen vor. Habermas versteht darun-
ter den Organisationsvorschlag für das Gespräch unter Men-
schen, die sich gebildet und rational auszutauschen verste-
hen. Wer an diesem Diskurs beteiligt und wie die Auswahl

152
bewerkstelligt wird und wo konkret die Grenze zwischen
systemisch und lebensweltlich bestimmten Biographien ver-
läuft, bleibt offen.
Der für eine politische Theorie nicht unwichtigen Fragen
nach Institutionen weicht Habermas aus (Greven 1994, 219-
237). Mit grandseigneurialer Geste deutet er auf Soziologie,
Psychologie und Politikforschung (Habermas 1986, 33), wo
von einem Autor der politischen Theorie Hinweise erwartet
würden, wie der Wahrheitsdiskurs nun in die praktischen
Diskurse hineingetragen wird und letztere überhaupt in ei-
nem doch nun einmal verrnachteten Markt- und Politikspiel
implementiert werden sollen (dazu äußerst lesenswert Reese-
Schäfers Kritik, 1991, 54 ff.). Die Figur des Diskurses, die-
ser Eindruck stellt sich ein, wird nicht weiter entwickelt als
bis zur ästhetischen Vollendung eines anspruchsvollen Ge-
sprächsplans. Dies läßt sich schwerlich als Vorwurf gegen
den Sozialphilosophen Habermas vorbringen, der ja keinen
Hehl aus seiner Distanz zur Politikwissenschaft macht.
Betrachten wir vor diesem Hintergrund kurz Habermas'
letztes größeres Werk, in dem die Diskurstheorie auf die
gesellschaftliche Sphäre des Rechts angewandt wird
(Habermas 1994). Recht bezieht sich ja zunächst auf ein
Phänomen nicht der Lebenswelt, sondern der Politik. Doch
wer hier bei Habermas politikwissenschaftliche Exkursionen
vermutet, wird rasch eines Besseren belehrt. Es geht um die
Auseinandersetzung mit just jenem Bereich von Recht und
Politik, in dem eben nicht kraft administrativer Setzung oder
Mehrheitsbeschluß Macht angewandt wird. Diese eigentliche
Politik, die soll eben von den Bürgern gemacht werden, aber
nicht als entgrenzte Politik, die nach Gutdünken neue Berei-
che politikfreier Gesellschaft unter den Pflug nimmt, son-
dern als eine Politik, die vielmehr die Legitimität auch sol-
cher Bürgerinteressen akzeptiert, die politikfern oder gar
gegen die Politik gerichtet sind (Habermas 1992). Justiz und

153
Recht interessieren Habermas offensichtlich allein deshalb,
weil der Rechtsprechungs- und Rechtsfortbildungsprozeß
zwischen Richtern und Rechtswissenschaftlern abläuft, die
bei ihren Urteilen aus rechtsstaatlicher Logik heraus unter
Begründungszwang stehen. Und die Rechtsprechung läßt
idealiter nur vernünftige Argumente zu. Recht, so statuiert
Habermas, verbindet sich in der Justiz mit kommunikativer
Macht. Für die Untersuchung aus der Perspektive der Kom-
munikationsphilosophie bietet sie sich deshalb geradezu an.
In diesem Sinne rekonstruiert Habermas diskurssprachlich
Rechtsstaatstheorien, wie sie in der Jurisprudenz üblich sind.
Die Impulse einer Rechtsstaatstheorie sind für die Bewer-
tung und Veränderung politischer Wirklichkeiten ohne Be-
lang. Im Grunde genommen belegt Habermas' Auseinander-
setzung mit dem Phänomen des Rechts, wie verschwindend
gering sein Interesse an empirischen Politikphänomenen ist
(Dryzek 1990, 42 ff.).
Es lohnt kaum, die Kriterien politischer Theorie zu be-
mühen. Habermas strickt an einer Metatheorie (Reese-
Schäfer 1991, 31). Auf beobachtbare Fakten läßt sich die
Kommunikations- und Lebensweltphilosophie so wenig ein
wie etliche andere Philosophien (dazu Narr 1994). Hier
kommt noch erschwerend hinzu, daß der Autor ganz beson-
deren Ehrgeiz an den Tag legt, niemanden an sich heranzu-
lassen, der nicht ein gerüttelt Maß von Spezialkenntnissen in
Sprachtheorie, Wissenssoziologie und eine gründliche Ein-
weisung in seine Begriffswelt mitbringt.

6.2. Luhmann

Während Habermas inzwischen auch unter den Vertretern


der akademischen politischen Theorie in den USA Freunde
gefunden hat, wird Niklas Luhmann hauptsächlich in der

154
deutschen Politikwissenschaft als theoriefähig angesehen
(wie etwa bei von Beyme, 1991 a, und FetscherlMünkler,
1987). Das hat womöglich den schlichten Grund, daß Luh-
mann von Habermas als diskussionswürdiger Kontrahent
geadelt worden ist. Auch Luhmann hat nie Ansprüche in
Richtung Politikwissenschaft geltend gemacht. Mit Haber-
mas verbindet ihn im übrigen der Tummelplatz der hohen
Abstraktion und ein tiefgreifendes wechselseitiges Unver-
ständnis.
Luhmann wird üblicherweise der Soziologie zugerechnet,
und er ist ein theoretischer Denker, wie Habermas. Kern-
stück seines Werkes ist die Systemtheorie. Die Strukturen
des sozialen Systems interessieren Luhmann nicht. Ihm geht
es allein um die Funktionen, die das soziale System charak-
terisieren. Die Funktion hat indes einen anderen Sinn als bei
Parsons. Sie unterscheidet sich auch vom Funktionsver-
ständnis des soziologisch nicht minder prominenten Merton,
der von den tatsächlichen Wirkungen sozialer Strukturen, ob
beabsichtigt oder nicht, auf ihre Funktionen schließt. Merton
lädt zur empirischen Forschungsarbeit ein (Merton 1968).
Luhmann ist dieser empirische Bezug fremd. Er konstruiert
Metatheorie. Für Luhmann ist die charakteristische Eigen-
schaft des sozialen Systems - als Abstraktum - nicht die
Strukturbezogenheit von Funktionen, sondern vielmehr de-
ren - modellhaft verstandene - Umweltbezogenheit. Das
System wird als Antwort auf Umweltherausforderungen
begriffen. Die Differenz zwischen System und Umwelt ist
bei Parsons die bei aller Abstraktion noch erkennbare Aus-
einandersetzung mit der Natur, die den menschlichen Be-
dürfnissen erst dann dienstbar gemacht werden kann, wenn
sie durch Arbeit eingebracht wird, um die Menschen zu klei-
den, zu nähren oder in anderer Weise zur Erfüllung ihrer
Bedürfnisse beizutragen. Die Umwelt erhält bei Luhmann
dagegen den Status einer Art Erkenntnisprinzip. Systeme

155
entstehen, weil sie es überhaupt ermöglichen, sich in einer
komplexen Umwelt zu bewegen.
Die erste und wichtigste Prämisse der Luhmannschen
Theorie ist die Differenz von System und Umwelt (dazu
Luhmann 1987). Diese binäre Unterscheidung zieht sich
vielfach variiert durch sein kaum noch überschaubares Werk.
Luhmann interessiert nicht das System als Einheit, wie ei-
gentlich noch alle politischen oder soziologischen Klassiker
Gesellschaften oder Sinnsysteme als Einheit begriffen haben.
Für ihn zählt allein die Differenz. Differenz deutet aber
gleichzeitig auf eine Einheit hin Die HegeIsche Dialektik
kommt dabei spontan in Erinnerung. System und Umwelt
bilden dadurch, daß sie eine grundlegende Differenz beinhal-
ten, eine Einheit. Luhmann geht es um Unterscheidungen.
Der Unterscheidung geht indes die Beobachtung voraus.
Systeme beobachten, um Unterscheidungen treffen zu kön-
nen. Und die Unterscheidung läuft darauf hinaus, Informa-
tionen aus dem Beobachtungsprozeß dahin zu bewerten, ob
sie für das System wichtig sind. System relevante Informa-
tionen werden für die Problem bearbeitung genutzt. Systeme
haben den Zweck, die ungeheuer komplexe, menschlichem
Erkennen nicht zugängliche Umwelt überschaubar und
handhabbar zu machen: Das System verringert Komplexität.
Es nimmt nur jene Aspekte der Umwelt überhaupt zur
Kenntnis und vereinfacht sie dazu noch so stark, daß es ziel-
gerichtet auf die Umwelt reagieren kann. Dazu reagiert es
nach einem binären Code, indem es entscheidet, "das inter-
essiert mich, das interessiert mich nicht" oder "das definiere
ich als relevant, das ist für mich kein Problem". So sucht
sich das System lediglich jene Ausschnitte der komplexen
Umwelt aus, mit denen es fertig werden kann. Hier lassen
sich gedankliche Parallelen zur neueren Institutionentheorie
(s.u., 8.3.) erkennen.

156
Erweisen sich jene Umweltausschnitte, die das System als
fur sich relevant ausgesucht hat, bereits als dermaßen
schwierig, daß auf dem Wege einfacher Unterscheidungen
eine Überforderung droht, weil das System zu komplex ge-
wählt hat, so bietet sich als Ausweg die Ausdifferenzierung
des Systems in Subsysteme an, die dem übergreifenden Sy-
stem einen Teil seiner Problembearbeitung abnehmen. Im
Verhältnis zu den ausdifferenzierten funktionellen Subsy-
stemen ist das System - jetzt als Bezugssystem - eine Um-
welt, genau wie die originäre Umwelt im Verhältnis zum
System. Beobachtung und Unterscheidung können sich nur
durch Mitteilungen artikulieren. Von daher bauen jedes Sy-
stem und jegliche Systemdifferenzierung auf Kommunikati-
on auf.
Die zweite Stufe der Luhmannschen System theorie rückt
die Frage in den Vordergrund, wie Systeme entstehen, wie
sie sich fortentwickeln und wie sie ihre Identität gegenüber
anderen Systemen oder der Umwelt wahren. In Anlehnung
an die biologische Forschung bedient sich Luhmann des
Kunstwortes der Autopoiesis, der Selbstherstellung. Gemeint
ist der Selbstbezug von Systemen, wo und wann immer sie
versuchen, ihren Ort zu bestimmen oder sich mit der Umwelt
auseinanderzusetzen. Dahinter steht die Vorstellung, daß
Systeme, die ja überhaupt qua Ausblendung ganzer Dimen-
sionen einer komplexen Umwelt überhaupt zustande kom-
men, ganz sinnvoll sich selbst beschreiben können. Systeme
bilden sozusagen ihren eigenen Bezugspunkt. Ausgehend
von dieser Selbstreferenz, die Referenz zur Umwelt mit ein-
schließt, bauen sich Systeme selbst um, wenn sie in der
Auseinandersetzung mit der Umwelt an den Punkt gelangen,
wo sie durch den angenommenen Umweltausschnitt immer
noch mit soviel hereinströmender Komplexität konfrontiert
werden, daß sie unter Differenzierungsdruck geraten. So

157
entstehen denn soziale Subsysteme durch Konstruktion, sie
werden von oben nach unten gebaut.
Bei aller Abstraktheit der Konstruktion kann Luhmann
nicht leichthin der Vorwurf gemacht werden, daß er unsozio-
logisch an der Realität vorbeikonstruiere, wenn er auch kon-
sequent auf Beispiele verzichtet. Luhmann geht es nicht um
Modelle der Wirklichkeit. Er modelliert vielmehr Theorie,
d.h. er bietet Vorschläge für Theorien, die auf hohem Ab-
straktionsniveau eine Verständigung über eine bodennah
erfahrene Welt anstreben (s. auch Willke 1995, Barben
1996). Was Luhmann mit autopoietischen Systemen meint,
wird vielleicht verständlicher, wenn man den von ihm ge-
prägten Begriff der mitlaufenden Selbstreferenz einbringt.
Indem Systeme ihre Aufgaben versehen, bewältigen sie nicht
nur eine Umweltherausforderung, sie stellen sich damit
gleichzeitig selbst her; sie bestätigen sich und passen sich an.
Das soziale Gesamtsystem gliedert sich in verschiedene
Systeme, z.B. für Politik, Wirtschaft oder Unterhaltung
(zum folgenden Luhmann 1981). Jedes dieser Systeme be-
sitzt ein spezifisches Medium, in dem es kommuniziert, d.h.
eine Sprache, die nur dort und in keinem anderen System
verstanden wird. Diese Sprache ermöglicht die Selbststeue-
rung des Systems, sie befahigt es, sich in geeigneter Weise
mit seiner konstitutiven Umwelt auseinanderzusetzen und
seine vielfaltig ausdifferenzierten Subsysteme entsprechend
zu justieren. Das politische System hat die Aufgabe der
Selbstbeschreibung des sozialen Systems. Es definiert ver-
bindlich, wo die Grenze zwischen politisch und gesellschaft-
lich organisierter Umweltauseinandersetzung im sozialen
System verläuft. Charakteristisch für den politisch-
administrativen Bereich ist das Medium Macht. Im wirt-
schaftlichen Bereich ist Geld das ausschlaggebende Medium.
Die Selbstbeschreibung des politischen Systems kann so
ausfallen, daß es in den Bereich Wirtschaft übergreift. Es

158
versucht dann mit dem Mittel Macht - staatlicher Erzwin-
gungsmacht - Dinge zu regeln, die an sich dem Geld vorbe-
halten bleiben sollten. Daraus entwickelt Luhmann eine Kri-
tik des Wohlfahrtsstaates, der mit der staatlichen Zuteilung
geldwerter Leistungen fremdes Territorium erobert. Systeme
kommunizieren eben nicht miteinander. Sie verständigen
sich allein intern. Die Umweltrezeptoren des Systems Wirt-
schaft sind ganz auf Geld und Gewinn ausgerichtet. Deshalb
entspricht es der Logik des Wirtschaftens, den Kapitalfaktor
kompromißlos auszureizen; Arbeitskosten sind zu minimie-
ren, sie dienen der Alimentation von Trittbrettfahrern des
Kapitalvermögens, sobald Gewerkschaften auf den Plan
treten und mit dem Rückhalt ihrer kollektiven Verweige-
rungsmacht Arbeitszeit verknappen und die geleistete Arbeit
verteuern. Die mobile Kapitalseite kann aber ihrerseits durch
arbeitsparende Maschinen und das Ausweichen auf billigere
Arbeitsmärkte Arbeit verknappen. Im System Wirtschaft
zieht Macht in Konkurrenz mit dem Geld den kürzeren. So
konstruiert Luhmann separate Systemwelten, die keine ge-
meinsame Sprache besitzen. Das politische System wird
damit auf sich selbst zurückgeworfen. Eine politische Steue-
rung des wirtschaftlichen Systems ist schlecht möglich. Das
gleiche gilt für jedes andere System, z.B. Bildung, Wissen-
schaft, Kunst oder Unterhaltung.
Bleiben wir bei der Perspektive des politischen Systems.
Mag auch die politische Steuerung anderer Systeme ver-
wehrt sein, so ist doch immerhin eine Minderung der Diffe-
renz zwischen dem politischen und einem anderen System
denkbar. Politik kann mittels durchlässigerer Grenzen in
Nachbarsysteme eindringen. Die resultierende Vermischung
klarer Systemcodes macht die Ergebnisse dieser Differenz-
minderung indes unkalkulierbar. Die Politik "stört", sie
"steuert" aber nicht. Auch Differenzminderungen verspre-
chen keine Lösungen. Systeme rekonstruieren sich unabläs-

159
sig in der Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt, und so
bleibt eigentlich nur die Chance, auf Systeme durch Ereig-
nisse in ihrer Umwelt einzuwirken (vgl. Luhmann 1989, und
Scharpfs Replik, 1989). Anders ausgedrückt: Das politische
System darf sich auch dort, wo es Außenwirkung erzielen
kann, nur mit sich selbst, d.h. mit Macht und Recht beschäf-
tigen. Die Frage, ob dies für das Generieren politischer Le-
gitimität genügt, scheint Luhmann nicht zu interessieren.
Eine andere Zentralfrage aller politischen und politikwissen-
schaftlichen Theorie, das Spannungsverhältnis von Markt
und Staat, klammert er begrifflich schlicht aus. Die Politik
kann im günstigen Fall die Bedingungen in der Umwelt an-
derer Systeme verändern, auf die ein adressiertes System mit
seinem Code irgendwie reagieren muß. Ihre Möglichkeiten
sind damit erschöpft.
Das politische System differenziert sich in die Bereiche
Politik, Verwaltung und Publikum. Politik als legitimatori-
scher Betrieb meint Wahlen und Parteien. Der Bereich Ver-
waltung hat die Aufgabe, Vorlagen oder Vorschläge zu for-
mulieren, die von den Repräsentanten des legitimatorischen
Systems ausgewählt werden. Vor der Anrichtung größerer
Flächenschäden wird der Bereich Politik nur dadurch be-
wahrt, daß er zwischen den in der Verwaltung entwickelten
Optionen entscheiden muß. Dem Rechtssystem fällt die
Funktion der Selbstbeobachtung des politischen Systems zu.
Richter haben dafür zu sorgen, daß die Politik ihre System-
grenzen respektiert. Letztlich kommt der Justiz die Aufgabe
zu, die Politik zu bremsen. All das wirkt wie sozialtheore-
tisch verbrämter Westentaschenliberalismus. Adressat der
Parteien und der politischen Öffentlichkeit - Medien - ist in
Luhmanns Diktion das Publikum (Volk, Wähler). Das Sy-
stemmanagement, so läßt diese nicht eben schmeichelhafte
Bezeichnung erkennen, ist eine zu wichtige Sache, um sie
den Uninformierten zu überlassen, die ihre Bedürfnisse doch

160
hauptsächlich in der Wirtschaft und der Unterhaltung su-
chen. Die Empfehlung binärer Codes für das politische Sy-
stem lehnt Luhmann ab. Ja- oder Nein-Antworten reichen
wohl für die Generierung von Konsens und Mehrheiten nicht
aus. Sie könnten polarisieren und den sozialen Frieden stö-
ren. Dieser Bruch mit einem tragenden Prinzip der Luh-
mannschen Systemwelt wirkt wie ein Einknicken vor der
nicht sonderlich phantasieträchtigen Vermutung, daß Politik,
die in der Art eines Lichtschalters gehandhabt würde, denn
doch eine zu gefährliche Sache scheint, um sie auch nur in
die theoretische Reflexion hineinzulassen. Das spricht für
Luhmann als Soziologen. Von den stromlinienförmigen Dif-
ferenzierungs- und Unterscheidungsprozessen der Sy-
stemtheorie bleibt hier aber nicht viel übrig. Luhmanns Po li-
tikbild ist dort, wo es den elektoralen und parlamentarischen
Legitimationsbezirk verläßt, stark verwaltungslastig und
partizipationsfremd. Politikwissenschaftlich reicht es über
das Gemeinwissen von innenpolitischen Prozessen kaum
hinaus.
Das heuristische Potential der Luhmannschen Sy-
stemtheorie ist trotz allem nicht unerheblich. Wenn auch die
Wirklichkeit allenfalls rar und auch dann nur schemenhaft
erkennbar wird, so kann man darin doch in abstrakter Form
Dilemmata und Situationen erkennen, die den Alltag der
Moderne bestimmen. Als politischer Theoretiker hat Luh-
mann bemerkenswerte Blindstellen. Das liegt an seiner mar-
kanten Schwierigkeit mit dem Phänomen faktischer politi-
scher und sozialer Macht. Antike Möbel wie materiale Ge-
rechtigkeit, Protest, Ambition, Komprorniß oder Fürsorge
passen nicht zum kühlen Innendekor des Luhmannschen
Gesellschaftsgebäudes, dessen verschiedene Trakte die Be-
wohner nur über Außentreppen betreten können. Mag es
Luhmann gelingen, Phänomene wie Tradition und Geschich-
te in seine Abstraktionen hineinzudefinieren - die Essenz der

161
Politik, die Quellen des Konflikts und die Möglichkeit des
Konsenses, verfehlt er.
Staat und Politik sind für Luhmann wie für Habermas
Themen, bei denen sich Unbehagen herausspüren läßt. Wel-
che Lehre läßt sich daraus ziehen? Zumindest für die politi-
sche Theorie wohl jene, daß diese "Politikferne" etliche
FachwissenschaftIer nicht stört, die beide mit Emphase in die
Politikwissenschaft hineinholen, indem sie diese zitieren,
kommentieren, diskutieren und ohne große Umschweife als
moderne politiktheoretische Klassiker kanonisieren. Das
Subsystem "politische Theorie", so möchte man in Luh-
manns Jargon einwerfen, hat offenbar Schwierigkeiten, die
Unterscheidung von Philosophie oder Sozialtheorie und
empirischer Mainstream-Politikwissenschaft zu leisten.

162
7. Der Behavioralismus - eine Attacke auf
die konventionelle Politikwissenschaft

7.1. Behavioralistisches Wissenschaftsverständnis

Die durch Merriam und LassweIl vorbereitete und eingeleite-


te politikwissenschaftliche Wende zur sozialwissenschaftli-
chen Disziplin brach sich im ersten Nachkriegsjahrzehnt
Bahn. Ende der 50er Jahre hatte der Behavioralismus, wie
diese Richtung bald genannt wurde, das Erscheinungsbild
der Politikwissenschaft revidiert. Noch einmal zur Erinne-
rung: Im Unterschied zum psychologischen Stimulus-
response-Modell, zum "Behaviorismus", der Verhalten als
Resultat äußerer Impulse auffaßte, holten Merriam und
LassweIl Faktoren wie die subjektiv unterschiedliche Wahr-
nehmung der Außenwelt, biographische oder milieuvermit-
telte Beurteilungsraster oder Handlungspräferenzen in die
Betrachtung hinein. Für den "Behavioralismus" ist die Ver-
arbeitung der sozialen Umwelt im Spannungsfeld individuel-
ler Präferenzen und gesellschaftlicher Handlungsgrenzen
interessant. Daß mit diesem Forschungsmotiv die Kommu-
nikationsbasis mit der politischen Philosophie schlicht fehlt,
muß nicht eigens erläutert werden.
Heute wird der Behavioralismus als eine Revolte gegen
die traditionelle Politikwissenschaft angesehen. Aber woge-
gen richtete sie sich? Und was wollte sie erreichen? Zu-
nächst sei bezugnehmend auf Falters grundlegende Untersu-
chung das breitgefächerte behavioralistische Programm um-
rissen, das kaum mehr bedeutete als eine Vielzahl von An-
liegen, die allein durch das Interesse an Theorie, strenger
Methodik und empirischer Beweisführung miteinander ver-

163
bunden waren. Falter nennt als Charakteristika des Beha-
vioralismus im einzelnen a) theoriegeleitete Forschung, b)
Suche nach Regelmäßigkeiten im politischen Handeln, c)
intersubjektive Überprüfbarkeit der Ergebnisse, d) Über-
nahme empirischer Sozialforschungstechniken in die Poli-
tikwissenschaft und deren Fortentwicklung, e) quantifizie-
rende Beweisführung (Statistik), f) induktive Theoriebil-
dung, g) Relativierung von Werturteilen im Forschungspro-
zeß, h) Grundlagenorientierung und i) Interdisziplinarität
(Falter 1982, 177 ff.). In einigen Punkten ist die Verwandt-
schaft mit der frühen Chicago-Schule (s. oben Kapitel 3)
offenkundig, so die Betonung des Individualverhaltens und
der Persönlichkeit, das Gespräch mit anderen Disziplinen
und der Umgang mit Daten. Neu erscheinen demgegenüber
die Aufwertung der Theorie, die Methodenforderung und die
an die Naturwissenschaften erinnernde Verknüpfung von
Induktivismus, Intersubjektivität und Annäherung an expe-
rimentelle Erkenntnisstrategien.
Zurück zur Frage nach dem Revoltencharakter des Beha-
vioralismus. In der Literatur wird bisweilen die Frontstellung
zu Politikwissenschaftlern angeführt, die traditionelle politi-
sche Theorie betrieben. In der Tat schossen vor allem kon-
servative, von der deutschen Universität sozialisierte Vertre-
ter der traditionellen politischen Theorie aus allen Rohren
gegen den vermeintlichen Werteverfall, der angeblich mit
der empirischen Politikforschung einherging. Im übersteiger-
ten antikommunistischen Klima des Kalten Krieges gelang
es den Voegelianern und Straussianern sogar, mit denunzia-
torischen Beschuldigungen die Kommunistenjäger in den
Kongreßausschüssen für unamerikanische Aktivitäten für
den Behavioralismus zu interessieren. Politische Re-
formthemen waren zu dieser Zeit für Sozial wissenschaftler
eine heikle Sache, Methoden und Datenanalysen aber unver-
fanglich (Seidelman 1985, 120; Easton 1985, 140). Trotz

164
allem hatte sich die überlieferte politische Theorie - in den
USA seinerzeit mehrheitlich noch von Ideengeschichtlern,
nicht von Fachphilosophen betrieben - bereits in den 40er
Jahren zu weit vom Mainstream des Fachs entfernt, als daß
sie ein echter Gegner hätte sein können, dessen man sich
durch Auflehnung hätte entledigen müssen. Es scheint eher
so, daß der facettenreiche Behavioralismus eine diffuse Re-
aktion gegen die Art überhaupt war, in der bis dahin Poli-
tikwissenschaft betrieben worden war (so einer der führen-
den Behavioralisten: Eulau 1963, 5, 32). Selbst die Wegbe-
reiter des Behavioralismus um Merriam waren davon nicht
ausgenommen. Auf sie war der Vorwurf des theorie losen
DatensammeIns, des "Hyperfaktualismus" gemünzt (Easton
1951, 54). Also keine Revolte wider die herkömmliche
Theorie, aber gegen das Fehlen einer für die empirische For-
schung adäquaten Theorie? Mithin ein Ausdruck des sich
wandelnden Theorieverständnisses in der Politikwissen-
schaft? Vieles spricht für diese Version, bei der sich dann
aber gleich die weitere Frage stellt, worauf dieses neue
Theoriebewußtsein zurückging und wofür es eintrat.
Die Antwort auf diese Frage mutet wie ein Remake der
Ablösung der staats- und institutionenzentrierten Politikwis-
senschaft der Jahrhundertwende durch die Chicago-Richtung
der 20er Jahre an. Eine neue Politikwissenschaftlergenerati-
on schickte sich an, Professuren zu besetzen, darunter etli-
che, für die Daten und empirische Methoden kein Neuland
mehr waren! Sie verglichen sich freilich mit den Kollegen
renommierter Nachbarfächer und stellten dem eigenen Fach
dabei ein schlechtes Zeugnis aus (Key 1958, 966). Die Na-
turwissenschaft operierte von jeher mit rigorosen Maßstäben
und brachte es zu empirisch gesicherten und gleichwohl
hochformalisierten, gesetzesförmigen Ergebnissen. Die So-
zialforschungsmethoden, hier vor allem die Interviewtech-
nik, waren inzwischen so weit ausgereift, daß prognostische

165
Aussagen selbst in der Politikwissenschaft in greifbare Nähe
rückten. Hier boten sich jetzt Chancen für Forschungen,
Publikationen und Reputationsgewinn. Bei alledem hatten
die "Hyperfaktualisten" gute Vorarbeit geleistet. Die Rele-
vanz der Datenanalyse und der Verständigung mit anderen
Fächern galten als gesichert. Schließlich muß in diesem Zu-
sammenhang das sozialwissenschaftliche Werk Poppers
vermerkt werden (Ricci 1984, 116, 120, 144). Seine ana-
chronistische Polemik gegen die philosophischen Klassiker
der politischen Theorie - als Wegbereiter des Totalitarismus
(Popper 1980, Erstaufl. 1944) - traf sich mit der verbreiteten
Aversion gegen die - nicht weniger unhistorisch argumentie-
renden - Hohepriester der illiberalen und anti-empirischen
politischen Philosophie. Poppers falsifikatorisches Trial-and-
Error-Modell des Erkenntnisprozesses mit seinem einheits-
wissenschaftlichen, die Naturwissenschaften integrierenden
Anspruch (Popper 1969, Erstaufl. 1934) ließ sich leicht fur
die Theorieaspiration methodisch ambitionierter Politikfor-
scher vereinnahmen. Wissenschaftliche Erkenntnis läßt sich
demzufolge nur dann gewinnen, wenn Aussagen unter glei-
chen oder ähnlichen Bedingungen immer wieder der Kon-
frontation mit empirischen Fällen standhalten. Poppers Be-
kenntnis zu politischer Reform qua Piecemeal technology -
verantwortungsbewußte, kleine, im Mißerfolgsfall jederzeit
revidierbare Schritte - ließ sich gut verwenden, um Vorwürfe
der Datenarbeit und Methodenpusselei um ihrer selbst willen
zu kontern.
Bei den wenigsten frühen Behavioralisten klingt sozial-
wissenschaftliches Denken in der Tradition Webers an, das
in dieser Zeit in der amerikanischen Soziologie zu voller
Blüte gelangte. Der Aufruf, neben den Möglichkeiten einer
methodenkundigeren Politikwissenschaft die Wertrationalität
der Politik nicht aus dem Auge zu verlieren und wissen-
schaftliche Erkenntnisse fur eine bessere Politik nach der

166
Maßgabe des Mehrheitswillens zu nutzen (Almond 1946,
286 ff., 293), verhallte ohne große Resonanz. Der Eigenwert
szientistischer Erkenntnisse nach dem Bild der exakten Wis-
senschaften kam im Selbstverständnis der neuen Generation
darin schon zu kurz. Als klar wurde, daß der Behavioralis-
mus weithin mit Methodologie und Datenanalyse identifi-
ziert wurde, trennte sich mit Almond denn auch ein früher
Behavioralist rigoros von dieser Richtung. Almond gilt als
der wohl bekannteste amerikanische Exponent einer verste-
hend-interpretierenden Analyse. Darauf wird später einzuge-
hen sein.
Easton traf als junger Wissenschaftler bei aller noch er-
kennbaren Merriam-Schule schon einen ganz anderen Ton.
Nach der pflichtschuldigen Reverenz an seinen Mentor, der
ja auch durch und durch Politiker war und zumindest den
Bildungswert der ideengeschichtlichen Klassiker schätzte,
leitete er eine bekannte Reflexion über den Stand der politi-
schen Theorie mit dem Vorwurf ein, das gegenwärtige poli-
tische Denken lebe parasitär von Ideen, deren neueste an die
hundert Jahre zurücklägen (ähnlich auch Cobban 1953). Eine
der empirischen Forschung adäquate politische Theorie stehe
noch aus. Der Blick auf Ökonomie und Soziologie zeige, daß
es lohne, der empirischen Forschung Richtung und Kohärenz
zu geben (Easton 1951). Erstere hätten einheitliche Annah-
men und Theoriebildungsprämissen entwickelt, die sie nahe
an die Physik (sic) heranrückten.
In einer voluminösen Abhandlung über die politische
Theorie im Zeitalter der modernen Wissenschaft hat Arnold
Brecht überaus wirkungsmächtig das Theoriebild der Beha-
viorialisten gezeichnet. Die ältere Theorie sei aus heutiger
Sicht nichts anderes als Spekulation (so auch Rapoport
1958). Werteaussagen als moralische Aussagen seien belie-
big (Brecht 1959, 480 ff.). Selbst wenn man in Rechnung
stellt, daß Brecht hier mit dem moralischen Imperialismus

167
eines Leo Strauss oder Eric Voegelin ins Gericht ging (s.
oben Kapitel 4), handelte es sich doch nicht um Polemik.
Brecht legitimiert die methodische Annäherung an die Na-
turwissenschaft, um aus Fakten zu allgemeinen, kausalen
Aussageverknüpfungen, sprich: Theorien, zu gelangen. Er
räumt ein, daß auch diese Art der Theoriebildung nicht vor-
aussetzungsfrei vonstatten gehe. Sie beherberge Common-
sense-Erkenntnisse über die Wirklichkeit, auf die sich letzt-
lich alle sozialwissenschaftlichen Experimente und Datener-
hebungen stützen müßten. Nicht jeder müsse den Common
sense akzeptieren. Doch die Alltagserfahrung biete eine Rei-
he von Anknüpfungspunkten fur wissenschaftliche Hypothe-
sen über die Realität. Einen Dogmatismus der szientistischen
Theorie verhinderten allein schon die Vielfalt der Methoden
und die Bezugnahmen auf unterschiedliche Aspekte einer
inkommensurablen Vernunft (Brecht 1959, 481 0. Die Poli-
tikanalyse müsse sich darüber klar werden, daß sie nicht
mehr als Teilaussagen leisten könne und daß die empirische
Reichweite entsprechender Theorien nicht allzu groß ausfal-
len dürfe. Brechts technizistischer Theoriebegriff hat Schule
gemacht. Nach bald vierzig Jahren werden ihn noch alle
unterschreiben können, die Theorie dort enden lassen, wo sie
die Grenzen der Quantifizierbarkeit überschreitet. Wem der
hoch- und spätbehavioralistische Fachjargon mehr behagt als
die noch recht traditionsverbundene Sprache Brechts, mag
sich an Deutschs konzisem Artikel über die Theorie in der
Politikwissenschaft erbauen (1971). In der Substanz bietet
dieser freilich nichts anderes.
Verweilen wir zur Abrundung des Themas noch kurz bei
einigen Protagonisten des Behavioralismus, um Positionen
auszuleuchten, die Leistungen und Defizite der von ihm an-
gestoßenen Forschung aufzeigen. Mit dem Behaviorismus
habe der Behavioralismus nichts gemeinsam. Ihm gehe es
um Einstellungen, Perzeptionen, psychische Verarbeitungen

168
der Realität. Der Behavioralismus zeichne sich durch sein
In-den-Mittelpunkt-stellen des Individuums als Untersu-
chungseinheit aus. Selbst in gesellschaftlichen Aggregaten
handelten immer nur einzelne (Eulau 1967, 35 f.). Die Per-
sönlichkeit tauge darum besser als Ausgangspunkt für das
Studium der Institutionen und Kulturen als die abstrakte,
vorgestellte Gruppe oder Klasse. Diese hätten ihren guten
Sinn als theoretische Kategorien. Doch Einzelverhalten folge
einer gewissen Rationalität, einer Ziel-Mittel-Kalkulation,
die vom Beobachter bei Kenntnis der Absichten des einzel-
nen und seiner Situation nachvollzogen werden könne (dazu
exemplarisch Kirkpatrick 1962, 15). Hier werden die ersten
Fundamente für die Brücke zur ökonomischen Rationalität
politischen Verhaltens gelegt, die im Fach heute eine so gro-
ße und problematische Rolle spielt. Die Behavioralisten der
50er und 60er Jahre standen aber noch zu stark im Banne der
Naturwissenschaften, der analytischen Statistik und der Psy-
chologie (Charlesworth 1967, 3), als daß sie solche Über-
gänge in die Ökonomie bereits gemeint oder gewollt hätten.
Wie anders soll man sich Eulaus Bemerkung erklären, die
Ablehnung des behavioralistischen Programms beruhe wohl
auf persönlicher Unfahigkeit, Mathematik oder Statistik zu
begreifen (Eulau 1967,44).
Der Fairneß halber darf nicht verschwiegen werden, daß
die zahlreichen Bestandsaufnahmen des Behavioralismus
notieren, es gebe da noch Forschungsperspektiven unter dem
breiten Dach der methodenbewußten Politikwissenschaft, die
ganze Systeme als empirische Untersuchungseinheiten
wählten, namentlich die Comparative politics und die Inter-
nationale Politik (Eulau 1969, 16 f.). Systemtheorie und
funktionalistische Theorien lassen sich wohl schwerlich als
individuenzentrierte Forschung qualifizieren. Die Sy-
stern theorie ist ein heuristisches Konstrukt, ein Interpretati-
onsangebot für Interaktions- und Wirkungszusammenhänge.

169
Sie argumentiert unter der stillschweigenden Prämisse, der
soziale Kontext wirke stärker auf das Individualverhalten, als
umgekehrt politisch handelnde Individuen ihre Umgebung
bestimmen könnten. Der Funktionalismus schließt typi-
scherweise von Wirkungen, d.h. manifesten Erscheinungen,
auf - verborgene - Ursachen (Stinchombe 1968). Er stellt mit
seinem unvermeidlichen Schuß interpretierender Beobach-
tung das übliche Kausalitätsdenken geradezu auf den Kopf.
Rückblickend weiß man heute, daß der Behavioralismus
einmal die gemeinsame Plattform zweier Richtungen poli-
tikwissenschaftlicher Forschung war. Die holistische Rich-
tung der Politikforschung, die sich mit großen, umfassenden
Einheiten bis hin zum politischen System befaßt, ist offen-
kundig besser geeignet, Kultur und Geschichte zu integrieren
als die individualistische Richtung, die neidvoll auf die na-
turwissenschaftlich inspirierte Variante der Psychologie
blickt. Diese Unterschiede bergen die Implosionskraft des
frühen Behavioralismus. Wo heute vom Behavioralismus die
Rede ist, denkt man schon gar nicht mehr an die ganzheitli-
che Analysevariante. Das Thema dieser Ausführungen sind
Politikwissenschaft und politische Theorie. Will man dem
theoretischen Gehalt des Behavioralismus nachgehen, der
nach seinem Anspruch ja Theorie fur die empirische Politik-
forschung verlangt, so bietet es sich an, einige dieser empiri-
schen Forschungsfelder kurz vorzustellen.

7.2. Übungsplätze

7.2.1. Party government

Den Orientierungswechsel der amerikanischen Politikwis-


senschaft beleuchtet schlaglichtartig eine Debatte, die noch
von den alten, reformorientierten und wertenden Fragestel-

170
lungen inspiriert war, unter dem Einfluß des Behavioralis-
mus allerdings ihre Richtung veränderte. Seit Woodrow
Wilson wurde in der amerikanischen Politikwissenschaft
immer wieder die Frage gestellt, warum das amerikanische
Regierungssystem so träge auf Reformwünsche reagiere und
der Präsident, obgleich volksgewählt, doch wenig effektive
Führerschaft ausüben könne. Der New Deal (seit 1933), der
sich in seiner zweiten Phase (seit 1937) an einer quer zu den
Parteigrenzen gebildeten konservativen Mehrheitskoalition
des Kongresses totlief, machte die Dringlichkeit dieses Un-
vermögens der präsidialen Führerrolle abermals deutlich.
Präsident Harry S. Trumans Schwierigkeiten mit dem Kon-
greß in der frühen Nachkriegszeit taten ein übriges, um die
Politikwissenschaft weiterhin mit diesem Problem zu be-
schäftigen. Ein Bericht des APSA-Ausschusses für politische
Parteien empfahl 1950, das Regierungssystem durch die
Reform der politischen Parteien dem Wähler besser verant-
wortlich zu machen (American Political Science Review
1950, Supplement). Dahinter stand die Vorstellung, die
amerikanischen Parteien nach europäischem, namentlich
britischem Vorbild umzugestalten. Nur so könnten Präsident
und Kongreßmehrheit auf eine gemeinsame politische Linie
gezwungen werden.
Aus heutiger Sicht mutet diese Auffassung von Political
engineering einigermaßen naiv an. Doch man urteile nicht
vorschnell. E. E. Schattschneider, dessen wissenschaftliches
Werk (1942) den Parteienbericht maßgeblich angeleitet hat-
te, war kein Nobody der amerikanischen Politikwissenschaft
seiner Zeit. Er hatte eine der großen stilbildenden Fallstudien
zu den amerikanischen Interessengruppen vorgelegt (1935).
Er war ein Progressiver, der die von ihm beschriebenen Zu-
stände, sei es den Lobbyismus im Kongreß, sei es den Zu-
stand der Parteien, für entschieden kritikwürdig befand. Der
Verbändepluralismus erschien ihm als schöner Schein, eine

171
Sache derer, die nichts daran schlecht finden, weil die gege-
bene Verteilung von Bildung und Macht die Schwachen und
Artikulationsunfähigen aussperrt (1960). Vor diesem Hinter-
grund kann man den Party report der APSA und seine Emp-
fehlungen als Radikalkritik am amerikanischen Regierungs-
system begreifen. Die darin implizit fur notwendig befunde-
ne, indes blockierte moderate sozialdemokratische Politik
setzte zunächst voraus, daß die Wähler überhaupt Alternati-
ven kennenlernten, die das politische Handeln bestimmten.
Kurz: Die Politikwissenschaft hatte demzufolge die Aufga-
be, institutionelle Hemmnisse fur eine reformorientierte Po-
litik aufzuzeigen und Remeduren anzubieten, die nicht aus
der Luft gegriffen waren, sondern auf die politische Praxis
anderer Demokratien zeigten. Viel Engagement also!
Die Aufnahme des Report in der Fachwelt war mehr als
frostig. Er paßte anscheinend nicht mehr in die Zeit. Beha-
vioralisten wie Turner (1951) und Ranney (1951,1962) wie-
sen auf die Gründe fur diffuse Abstimmungsbilder im Kon-
greß hin. Abgeordnete und Senatoren blickten auf ihre
Wahlkreisinteressen und entschieden im Kongreß nach Wie-
derwahlgesichtspunkten. Parteiloyalität sei dabei lediglich
ein Faktor unter vielen, oft nicht der wichtigste, schon gar
nicht der ausschlaggebende. Key hatte anhand empirischer
Forschungen über die konservativen Südstaaten seit länge-
rem gezeigt, daß sich selbst die so einheitlich rückständig
vorkommenden "Southern Politics" bei genauer historischer
und statistischer Betrachtung in der Einstellung zum Umfang
der Regierungstätigkeit und zur Rassenfrage von Staat zu
Staat unterschieden (Key 1949). Zudem erläuterte er die
regionalen und Klassenstrukturen der amerikanischen Politik
in verschiedenen Epochen der bereits mit brauchbaren Daten
belegten jüngeren US-amerikanischen Geschichte (Key
1955, 1959). Zur gleichen Zeit machte David B. Truman
(1951) mit einem disziplingeschichtlich epochalen Versuch

172
auf die Interessengruppen als Beweger der amerikanischen
Politik aufmerksam.
Herangehensweisen und Fragestellungen solcher Art zei-
gen, wie weit die Problemstellung und die Antwort der Auto-
ren des Parteienberichts schon vom behavioralistischen Zu-
griff entfernt waren. So schwer widerlegbar - weil gründlich
recherchiert - diese neue ren Forschungen waren, so trafen sie
doch eines nicht: den Soll-Ist-Vergleich, die Idee einer bes-
seren Politik. Statt dessen analytische Raffinesse ohne politi-
sches Engagement! Indiz für das Herauswachsen der poli-
tikwissenschaftlichen Beobachtung aus dem politischen Mo-
tiv! Immerhin: In der modernen Demokratie- und Staats-
theorie - beispielhaft sind Dahl (1975, 1989), LindbIom
(1980) oder Fraenkel (1973) - hat der kritische politische
Impuls überlebt. Dort finden sich ambitionierte bereichstheo-
retische Entwürfe, die mit der empirischen Forschung kom-
munizieren, aber nicht darauf verzichten, über die Voraus-
setzungen einer vorgestellten besseren politischen Wirklich-
keit nachzudenken. Ob derlei nun, wie in einem bekannten
amerikanischen Titel, die "Third tradition" der Politikwis-
senschaft - neben konservativem und fortschrittlichem Nor-
mativismus (Seidelman 1985) - oder - wie in der deutschen
Debatte - "Praxisorientierung" (Schütt-Wetschky 1990) ge-
nannt wird, ist weniger wichtig als der Umstand, daß es sich
auch hier um eine eher für kleines Publikum gedachte Lieb-
habervorstellung im modernen fachwissenschaftlichen
Theaterbetrieb handelt.

7.2.2. Wahlen und Legislaturen

Zum behavioralistischen Vorzeigeobjekt schlechthin wurde


die Erforschung des Wählerverhaltens. Lazarsfeld, Berelson
und Gaudet (1969, Erstaufl. 1944) hatten die Präsident-
schaftswahlen von 1940 im Erie County nach neuen Metho-

173
den analysiert, die Statistik, Interviewtechnik und Statusbe-
stimmung integrierten. Ihre Schlüsselvariable war der SES
(socio-economic status) - Religion, Erwerbsstatus, Alter,
Bildung, Stadt-land-Wohnort. Die rapide Entwicklung der
Sozial forschung führte zu immer raffinierteren Erhebungs-
techniken und Wählerverhaltenshypothesen. Bald überlager-
te CampbeIls, Converses, Millers und Stokes' psychologi-
sches Trichtermodell (1960) die Konzentration auf den SES.
Anhand repräsentativer Panels wurde behauptet, daß sich die
Wähler nach Parteipräferenz, Kandidatenpräferenz oder
Sachfragenpräferenz entschieden. Der ersten Studie dieser
Art über die Präsidentschaftswahl von 1956 folgten bis heute
regelmäßig weitere, die das Basiserklärungsmodell revidier-
ten und verfeinerten. In Ann Arbor entstand das Zentrum der
Wählerverhaltensforschung. David B. Truman hatte in den
50er Jahren damit begonnen, das Abstimmungsverhalten der
Kongreßmitglieder nach Herkunft, Alter, Position und Aus-
schußzugehörigkeit zu bestimmen (1959). Insbesondere die
erwartete Rationalität der Stimmabgabe im Blick auf die
Wiederwahlchance fand großes Interesse. Diese Forschun-
gen, die - wie die Wahlforschung - das Individuum und den
Abgeordneten/Senator in den Mittelpunkt rückten, wurden
durch interviewgestützte Untersuchungen formeller und in-
formeller Gremien begleitet und ergänzt, die Aufschluß über
Gruppendynamik und Entscheidungsverhalten im Kongreß
gaben. Selbst der Supreme Court gelangte ins Visier solcher
Studien. Die offenen, von keinerlei nennenswerter Partei-
oder Verbandsdisziplin beeinflußten Verfahren und Ausein-
andersetzungen der amerikanischen Politik eignen sich al-
lerdings einzigartig für das behavioralistische Programm, das
bei aller oft übertriebenen Methodenverliebtheit und Daten-
fetischisierung bemerkenswerte Ergebnisse produziert hat.
Forschungen solcher und ähnlicher Art kosten viel Geld.
Man mag mit dem Wissen, das sie hervorbringen, nicht un-

174
bedingt oder in erster Linie Geld verdienen. Aber der Nutzen
der Wahlforschung fur Amtsinhaber und Bewerber um poli-
tische Ämter bedarf keiner großen Erklärung. Und schließ-
lich verdienen an Kongreß- und Präsidentschaftswahlkämp-
fen einige große und viele kleine Meinungsforschungsinstitu-
te und Medienberatungsfirmen mit. Derartiges Know-how
zahlt sich aus. Der wissenschaftliche Anschub von Erkennt-
nissen über Entscheidungshilfen und elektorale Erpreßbar-
keiten in der legislatorischen Politik - Wahlkampffinanzie-
rung, Aufbauen von Gegenkandidaten - hat heute zu einer
hochprofessionellen, kommerziell betriebenen Dauerdurch-
leuchtung des amerikanischen Kongresses gefuhrt, die in
wöchentlichen Publikationen eine Berichterstattung pflegt,
die sich hinter politikwissenschaftlichen Fachanalysen nicht
verstecken muß. Ohne eine lange zurückliegende politikwis-
senschaftliche Grundlagenforschung wäre der Special-
interest-Betrieb in Washington mit über zehntausend Lob-
byisten, Myriaden von Political Action Committees
(Wahlkampffinanzierungsvereinen mit Affiliation zu Ver-
bänden, Firmen oder Bürgerinitiativen) und Spezialinforma-
tionsdiensten auf Abruf kaum vorstellbar.
Schließlich verdient auch die Policy-Forschung als vor-
läufig letztes und jüngstes Produkt des behavioralistischen
Programms Erwähnung. Die Idee, die Inhalte des Regie-
rungshandelns auf seine gewollten und unbeabsichtigten
Wirkungen zu untersuchen, geht auf LassweIl zurück. Als
Wachstumsbranche der Politikwissenschaft entfaltete sich
die Policy-Analyse aber erst im Gefolge des Great-society-
Programms des Präsidenten Johnson in den 60er Jahren. An
diesem seit dem Reformpräsidenten F.D. Roosevelt zweiten
und vorerst letzten großen Reformprogramm eines amerika-
nischen Präsidenten hatten viele Sozialwissenschaftier mit-
gewirkt. Es strandete jedoch trotz großen Engagements und
großer Finanzmittel und gab bei Bürokraten, Wissenschaft-

175
lern und Politikern Anlaß zur Frage, was falsch gelaufen war
und wie man künftig besser vorgehen müsse. Auch bei der
Policy-Forschung handelt es sich um ein interdisziplinäres
Gebiet par excellence (Dye 1972, 1976).
Wozu diese Auslassungen im Rahmen eines Buches, das
über politische Theorie im Rahmen der Fachentwicklung
aufklären will? Ganz einfach: Um daran zu erinnern, daß,
Behavioralismus hin, Behavioralismus her, Politikwissen-
schaft und Politikwissenschaftler in den USA weit stärker als
anderswo Bestandteile des politischen Systems, hochtraben-
der ausgedrückt: des Staates, waren und sind. Sie erzeugen
und parken abrutbare Fähigkeiten, die anders nur mit erheb-
lichen Lernschwierigkeiten und -kosten und mit den unver-
meidlichen Defiziten des Autodidakten zu erlangen wären.
Und dabei, so wirft ihnen Lowi vor, hätten sie sich mit ei-
nem auf Rechenhaftigkeit gepolten Themen- und Theorien-
spektrum der politischen Gunst der Herrschenden ausgelie-
fert, die mit solcher Art der - unkritischen - Politikwissen-
schaft gut leben könnten (Lowi 1993,49 f.).

7.2.3. Politisches System

Mit Easton und Almond gelangte der Systembegriff in die


Politikwissenschaft. Ging es Easton aber darum, mit einem
abstrakten Systemmodell gewisse Grundbeziehungen zwi-
schen dem mit "politischem System" umschriebenen Regie-
rungsapparat und der Gesellschaft zu erfassen (Easton 1953,
1965), wobei er sich stark an das Cash-flow-Modell der
Ökonomie anlehnte (Sorzano 1975), so hatte Almond haupt-
sächlich eine Bereichstheorie im Blick, ein heuristisches
Modell, das die Vergleichbarkeit verschiedener realer Staa-
ten erlaubt. Easton, der seinerzeit so radikal den Theorie-
mangel der empirisch gewordenen Politikwissenschaft be-
klagt hatte (1951), war anscheinend guter Hoffnung, selbst

176
eine Theorie der Art konstruiert zu haben, in die sich laufen-
de, datenverarbeitende Forschungen einpassen ließen
(Beardsley 1974), diesen aber gleichzeitig auch Perspektiven
für die Beschäftigung mit noch unerforschten Fragen vermit-
teln könnte. Er hat sich damit maßlos überschätzt. Gewiß hat
er den Rang eines der meistzitierten Politikwissenschaftler.
Doch sein Modell blieb zu abstrakt, um die empirische For-
schung erkennbar voranzubringen. Das weniger ambitionier-
te Modell Almonds wollte nichts anderes, als die Summe aus
den seit Kriegstagen in der APSA diskutierten Vorschläge
ziehen, wo die vergleichende Politikwissenschaft anknüpfen
müsse, um Gesellschaften zu analysieren, die sich anders als
die westlichen Demokratien und die modernen Diktaturen
nicht durch ihre Institutionen definieren lassen (Almond
1956, 1960, Almond/Powell 1966).
Noch vierzig Jahre später beeindruckt die Kontinuität, die
den ersten APSA-Report (Loewenstein 1944), weitere
APSA-Berichte (Macridis/Cox 1953, Almond/Cole/Macridis
1955), ferner Macridis' Pionierarbeit mit der Anwendung
funktionalistischer Begriffe für den Ländervergleich (1955)
und Almonds zahlreichen Arbeiten zum politischen System
verbindet. Die relative Kohärenz der Systemliteratur ist kein
Zufall. Die politikwissenschaftliche Erforschung der heute
immer noch so genannten Dritten Welt wurde in den 50er
und 60er Jahren massiv von Fördermitteln und Diskussionen
im SSRC unterstützt. Die "Entwicklungsländer" galten als
weit hinter den westlichen Industriegesellschaften zurück-
geblieben, aber doch immerhin so wandlungsfähig, wie sich
in der Vergangenheit die westlichen Gesellschaften selbst
erwiesen hatten. Erkannte man nur ihre Denkstrukturen, ihre
handlungsleitenden Codes, so mußte es möglich sein, Stra-
tegien zu entwickeln, Optionen aufzuzeigen, um ihnen zu
helfen, so zu werden wie die aufgeklärten, demokratischen
Gesellschaften des Westens. Von diesen heute etwas schlicht

177
anmutenden Prämissen, hinter denen freilich die Befreiung
Europas und Asiens im Zweiten Weltkrieg und der Glauben
an die Demokratie gesehen werden müssen, hat sich die Er-
forschung der politischen Systeme später gelöst. Der erwar-
tete Nutzen dieser Forschung ftir die amerikanische Politik
zur Zeit des Kalten Krieges soll nicht in Abrede gestellt wer-
den. Dennoch: Alles dies läßt breite Brücken oder minde-
stens weit entgegenkommende Gesten in Richtung auf die
Datenanalyse und die neue, technizistische Theoriesprache
einer Sozialwissenschaft erkennen, die gern Naturwissen-
schaft wäre. Unter dem Strich haben bei der empirischen
Wendung der Komparatistik aber eher Weber, Parsons und
Merton Pate gestanden als behavioralistische Stichwortgeber
aus der Mathematik, Biologie, Ökonomie oder Psychologie.
In einer Hinsicht treten die Komparatisten als die authen-
tischen Erben Merriams im Dialog der Politikwissenschaft
mit der Psychologie an. Almond adoptierte nicht nur Begrif-
fe der soziologischen und anthropologischen Analyse wie
Struktur und Funktion ftir die Komparatistik. Er spannte sie
in seinem Modell des politischen Systems mit dem Konzept
der politischen Kultur zusammen. Gemeint ist damit das
Ensemble der Einstellungen zu politischer Autorität, zum
Konflikt und zu Verteilungsfragen. In der klassischen Fünf-
Länder-Studie "Civic Culture" kommt der behavioralismus-
konkordante Zug der frühen Studien zur politischen Kultur
gut heraus (AImondlVerba 1963). Empirische Analyseein-
heit ist der einzelne. SampIes und Interviews ergründen seine
Einstellung und aggregieren sie mit der anderer in größere
theoretische Einheiten wie Nationen, Gemeinden oder tradi-
tionelle Gemeinschaften. Lucian W. Pye, bis heute einer der
originellsten Political-culture-Forscher, stellte seine ersten
Arbeiten noch unter die Metapher der Persönlichkeit (z.B.
Pye 1962). Später holte er Geschichte und Erziehungspro-
zesse in den politischen Kulturvergleich hinein (1985). In

\78
ihrer weiteren Entwicklung kam die Kulturforschung der
Regierungs- und Parteienforschung weit entgegen. Sie ver-
schmolz, wo sie nicht zur aggregatdatenanalytischen Finger-
übung degenerierte, mit dem Hauptstrom der politikwissen-
schaftlichen Komparatistik, die sich ihrerseits stärker für
Geschichte und Kultur sensibilisiert hatte (Pye 1991). Doch
all das geschah später, in einer disziplingeschichtlichen Epo-
che, als in der verbreiteten fachlichen Außenwahrnehmung
Behavioralismus, Quanifizierbarkeit und Schlußfolgerungen
auf der Grundlage instrumenteller Rationalität eins geworden
waren. Die wütenden Polemiken stilistisch meist eher cool
formulierender Anhänger szientistischer Methoden in der
vergleichenden Pol itikwissenschaft (Sartori 1991, Mayer
1989) belegen aufs schönste, daß die Komparatistik im gan-
zen einen anderen Weg eingeschlagen hat als das Studium
der amerikanischen Politik, das überwiegend im behaviora-
listischen Fahrwasser geblieben ist. Alle Vorschläge, das
Quasi-Experiment auf der Basis von knapp 200 Nationalstaa-
ten mit allen Brimborien von Variablen und Messungen zu
etablieren und sich um den Faktor Geschichte nicht zu
kümmern, demonstrieren nur die Absurdität einer schemati-
schen Übertragung des Rechenhaftigkeitsideals auf jeden
beliebigen Sektor politikwissenschaftlicher Forschung.

7.2.4. Internationale Politik

Die internationale Politik hatte die Politikwissenschaft vor


dem Zweiten Weltkrieg kaum interessiert. Was faktisch dar-
unter betrieben wurde, war kaum mehr als eine Art zeitnaher
Diplomatiegeschichte. Der Behavioralismus produzierte auf
diesem wohl kompliziertesten Feld der Politikanalyse eine
Vielzahl von Modellen. Auch Quantifizierungsversuche
blieben nicht aus. So wurde versucht, Wirtschafts- und Mili-
tärpotentiale oder geographische Faktoren in Formeln zu

179
gerinnen. An die Stelle des individuellen Akteurs in der
Wahl- oder Legislaturforschung trat hier der Kollektivakteur
des Staates. Der Staat handelt durch seine Regierung. Ent-
sprechend reduziert sich der Staat in der empirischen For-
schungsperspektive der Internationalen Politik gemeinhin
auf die Regierung. Charakteristisch für das behavioralisti-
sehe Herangehen an die Internationale Politik war nun, wie
auch in der Komparatistik, die Einfuhrung der psychologi-
schen Analysedimension. Nicht Macht, gemessen in militäri-
schen oder Wirtschaftspotentialen, war fortan der entschei-
dende Punkt in den internationalen Beziehungen - so sehr
Macht natürlich Beachtung fand. Maßgeblich für die beha-
vioralistische Perspektive ist politisches Handeln - in der
internationalen Politik die durchsetzbare Entscheidung!
Durchsetzbarkeit ist eine Machtfrage. Sie gründet sich auf
die Einschätzung der eigenen Machtpotentiale und auf die
anderer Staaten und last but not least auf Erfahrungen mit
früheren Entscheidungen. Perzeption und Lernverhalten flos-
sen durch den Behavioralismus in die Betrachtung zwi-
schenstaatlicher Beziehungen ein, wohlvertraute Bekannte
aus dem behavioralistischen Dialog mit der Psychologie
(Deutsch 1968). Freund- und Feindbilder gelangten so in die
Metaphernwelt dieser politikwissenschaftlichen Teildiszi-
plin.
Der außenpolitische Akteur steht zwischen den Anforde-
rungen der Innenpolitik und den Handlungszwängen der
internationalen Umgebung. Dem trug in den 60er Jahren eine
bekannte Studie Snyders, Brucks und Sapins (1967) Rech-
nung - die "domestic bases of foreign policy" rückten ins
Blickfeld! Außerdem setzte sich die Einsicht durch, daß Per-
zeptionen und innenpolitische Handlungsbedingungen nach
Problemfeldern - Sicherheitspolitik, Handelspolitik - variie-
ren und daß wirtschaftliche oder sicherheitspolitische Prima-
te gewissen Konjunkturen unterliegen (Rosenau 1967). Die

180
Rezeption des Systemmodells ging mit der Frage einher, wie
es sich denn auf die zwischenstaatlichen Beziehungen an-
wenden lasse, die sich ja durch das Fehlen einer zentralen,
rechtstiftenden Autorität auszeichnen: Anlaß für zahlreiche
Balance-of-power-Modelle, in denen nach Substituten für
innenpolitische Stabilität in den zwischenstaatlichen Bezie-
hungen gesucht wurde. Hier kann eigentlich schon abgebro-
chen werden. Das hochdifferenzierte Programm der gegen-
wärtigen Internationalen Politik verdankt dem Behavioralis-
mus entscheidende Anstöße. Jedenfalls hat es das nebulöse
Spekulieren der zeithistorischen Ereignisinterpretation in
Randbezirke verschoben, wo die Selbstbezeichnung als Poli-
tikwissenschaftler oder Historiker keine Rolle mehr spielt,
weil sie im fachlichen Programm beider Disziplinen nicht
recht ernstgenommen wird.

7.3. Demokratie als Aufbänger


behavioralistischer "Großtheorien"

Das Herangehen des behavioralistischen Ansatzes an klassi-


sche Begriffe der politischen Theorie zeigt sich am ehesten
in der Demokratietheorie, bei der es sich zwar immer noch
um eine politikwissenschaftliche Bereichstheorie handelt,
aber doch um eine solche mit großer Reichweite. Warum
eigentlich die Affinität der Behavioralisten zu Demokratie-
theorien? Nach der Vorstellung des behavioralistischen Pro-
gramms liegt die Antwort auf der Hand: Demokratie ist ein
offenes System mit garantierten Freiheitsrechten, und es
basiert auf Partizipation, die sich in Wahlergebnissen, Or-
ganisationsmitgliedschaften, Protesten und Entscheidungs-
prozessen beobachten läßt. Als eine konfigurative Struktur
erlaubt die Demokratie die Integration verschiedener For-
schungsgebiete. Die empirische Demokratieforschung be-

181
kam nun mit der Erschließung sozialwissenschaftlicher
Techniken die Chance, eine Reihe von Theorien durchzute-
sten. Es bot sich die Gelegenheit, Begriffe wie Macht, Lobby
oder Eliten für die Messung und den Vergleich zu operatio-
nalisieren. Alte und nicht so alte Demokratiethesen wie Mi-
chels' "ehernes Gesetz der Oligarchie" oder Schumpeters
Behauptung vom Schlüsselwert der Eliten im demokrati-
schen Prozeß ließen sich jetzt überprüfen. Besonderer Be-
liebtheit erfreuten sich anHinglich die "community studies",
Analysen der kommunalen Demokratie, die im überschauba-
ren Kleinmaßstab eine Art Grundlagenforschung für Kon-
zepte wie Macht, Einfluß und Entscheidung betrieben. Mit-
tels Umfragen ließen sich Ämter und Personen in einem
Maclltgefüge positionieren.
Exemplarisch sollen hier die einschlägigen "Groß-
theorien" Lipsets, Dahls und Lijpharts umrissen und mit dem
Gegenbild des staatstheoretischen Neopluralismus konfron-
tiert werden. Lipset entwickelte das Konzept der "cross-cut-
ting cleavages": Am sichersten ist die Demokratie dort, wo
zwei Parteien mit einer beruflich, konfessionell und regional
heterogenen Wählerschaft das politische Geschehen beherr-
schen (Lipset 1962). Mit dem Verschleiß einer länger regie-
renden Partei steigen die Chancen, daß sich ein Teil der
Wähler bei nächster Gelegenheit für die Oppositionspartei
entscheidet und den Wechsel der Parteien in der Regierung
besorgt. Die Gefahr, daß eine Regierungspartei die Interes-
sen einer Klasse oder Gruppe in der Gesellschaft rigoros auf
Kosten einer anderen favorisiert, ist gering, da die Wähler-
schaft beider großen Parteien eine Vielzahl verschiedener
Interessen integriert. Zudem sind die Gruppen in ihrer politi-
schen Loyalität gespalten. Gruppen mit beruflichen Gemein-
samkeiten weisen unter Umständen eine heterogene Konfes-
sionszusammensetzung auf und sind über mehrere Landes-
teile verstreut. Die Umschreibung der vertrauten britischen

182
oder amerikanischen Demokratie mit dem charakteristischen
Zweiparteien- und Mehrheitswahlsystem ist in diesem Mo-
dell nicht zu übersehen. Gleichlaufende Cleavages tragen zur
Parteienzersplitterung bei, in der Regel gehen sie mit Ver-
hältniswahlsystemen einher. Wo Partei und Klassenzugehö-
rigkeit oder Parte ipräferenz und Konfession miteinander
konvergieren, besteht die Gefahr, daß die Partei als Agentin
eines eng abgezirkelten, homogenen Segments der Gesell-
schaft auftritt und sich gegen Kompromisse sperrt, die Es-
sentials ihrer Klientel berühren. Im Regelfall mag man sich
in fragilen Bündnissen zusammenraufen. Armut, Arbeitslo-
sigkeit und andere wirtschaftliche Krisensymptome ver-
schärfen indes allgemein die politische Auseinandersetzung.
Gerade vor diesem Hintergrund wirken die Cross-cutting
cleavages im Zweiparteiensystem mäßigend. Andererseits
mobilisieren sie in Vielparteiensystemen die Gegensätze
zwischen kumulierten gesellschaftlichen Spaltungslinien.
Lipset argumentiert mit einer Fülle von Beispielen anhand
der Variablen des Wählerverhaltens, der Sozialstruktur, des
Parteiensystems und der Kabinettstabilität. Seine Schlußfol-
gerung: Armut, Parteienzersplitterung und gleichlaufende
politische und gesellschaftliche Spaltungen bedrohen die
Demokratie. Mit Fällen wie Österreich und Deutschland in
der Zwischenkriegszeit, dem vorfaschistischen Italien und
den krisengeschüttelten III. und IV. Republiken Frankreichs
untermauert er seine These.
Lijphart meldet mit einer Untersuchung über seine nieder-
ländische Heimat Widerspruch an (Lijphart 1968). Dort sei
eine starke Überlappung von Konfession, Weltanschauung
und Parteibindung anzutreffen. Trotzdem habe sich die nie-
derländische Demokratie nie in Gefahr befunden. Lijphart
wendet ein, Lipsets Modell vernachlässige die Rolle der
Eliten. Zwar mauerten sich in den Niederlanden die calvi-
nistische, katholische und laizistische Bevölkerung in ihre

183
eigenen Vereine, Parteien und Interessengruppen ein, aber
ihre Repräsentanten in Regierung und Parlament hätten sich
auf den friedfertigen Umgang miteinander verständigt und
suchten von sich aus den Kompromiß. Verhältniswahl und
Koalitionsregierungen erwiesen sich für diese Demokratie-
variante als höchst funktional. Häufig wechselnde Koalitio-
nen zeigten nicht etwa die Krise, sondern vielmehr die Vi-
talität dieser Art von Demokratie an, sie drückten eher neue
Kompromisse aus als den Verfall der Verständigungskultur.
Lijphart belegt in späteren Schriften Elemente der
"consociational demokracy" in den Niederlanden, in Uru-
guay, in Kolumbien und in der Schweiz. Ganz ähnlich kon-
struiert Lehmbruch das Modell der Proporzdemokratie am
Beispiel der Schweiz und Österreichs (1967). Integriere hier
die Allparteienregierung eine föderativ gegliederte Gesell-
schaft mit sich überlagernden Konfessions- und Sprachgrup-
pen, so überlagerten dort eben die Große Koalition und die
Sozialpartnerschaft der Tarifparteien vorhandene weltan-
schauliche Subkulturen. Auch Lehmbruch hebt die Schlüs-
selrolle der Eliten hervor.
Dahls Demokratiekonzept (1971) zweifelt zunächst an
der Brauchbarkeit des Demokratiebegriffs. Fasse man De-
mokratie als Selbstbestimmung, dann seien alle vorhandenen
Demokratien unvollständig. Auch ökonomische Macht wirke
fremdbestimmend. Sie aber werde nach Eigentumsregeln
und Marktprinzip zugeteilt. Allein im Staat herrsche das
Mehrheitsprinzip und würden egalitäre Beteiligungsrechte
eingehalten. Dahl zieht es deshalb vor, nicht von Demokra-
tie, sondern von Polyarchie zu sprechen. Dieser Terminus
drückt die Herrschaft vieler aus, z.B. die Beteiligung von
Parteien, Gruppen, Verbänden und Arbeitsmarktorganisatio-
nen am politischen Prozeß. Polyarchie könne sich in einer
gewissen Bandbreite entfalten. Es gebe hoch und schwach
entwickelte Polyarchien. Unterhalb einer Minimalschwelle

184
könne indes auch von Polyarchie keine Rede mehr sein. In-
dikatoren für Polyarchie sind freie Wahlen, Mehrheitsprin-
zip, Oppositionsfreiheit, Pressefreiheit oder unabhängige
Gerichte. Weiter muß Dahl hier nicht referiert werden. Es
dürfte klar geworden sein, daß die Polyarchie wie Lipsets
und Lijpharts Demokratie als ein meßbares Konzept angelegt
ist. Ihr Vorteil ist das Erkennen polyarchischer Elemente in
Gesellschaften, die als Ganze nicht polyarchischen Maßstä-
ben genügen, aber durchaus Potentiale für die Entwicklung
dorthin besitzen. Die Transitionsforschung dieser Tage, die
nach typischen Verläufen und Voraussetzungen des Über-
gangs zur Demokratie in so verschiedenen Weltgegenden
wie Rußland, Osteuropa, Lateinamerika oder Asien fragt,
liegt auf der gleichen Ebene: Es geht um das Erkennen
nachweisbarer Regelhaftigkeiten in Demokratisierungspro-
zessen schlechthin, die sich in der Zeitdimension, in Daten
und Ereignisvariablen beschreiben lassen und somit einen
Zugang zur quantifizierenden Analyse eröffnen (vgl. etwa
O'Donnell, Schmitter, Whitehead 1986; Przeworski 1991).
Vertiefen wir diesen Punkt noch durch den Seitenblick
auf die Theorien verbandiich organisierter politischer Inter-
essen. Der Frühbehavioralist D.B. Truman (1951) schlug in
einem disziplinhistorisch noch heute wichtigen Werk das
Thema einer Gruppentheorie der Politik an. Verbände bilden
und regen sich stets dann und dort, wo Produzenteninteres-
sen oder moralische Anliegen nicht mehr auf dem Weg der
Selbstorganisation oder der staatsfernen Vereinbarung mit
anderen weiterkommen, sondern nur mehr durch Einfluß-
nahme auf politische Entscheidungen. An diesem Punkt er-
weitern sich gesellschaftliche zu politischen Interessen und
entstehen politische Interessengruppen. Andere Interessen,
sogenannte latente Interessen, die in der Klassen- oder Pro-
blemstruktur einer Gesellschaft schlummern, aber kaum je
den Sprung zur politisch wirkenden Gruppe schaffen kön-

185
nen, weil sie bei den Alten, Schwachen oder nicht recht Ar-
tikulations- und Beschwerdefahigen beheimatet sind, verlan-
gen einen Ausgleich in Gestalt direkter Repräsentation in
Parteien und parlamentarischen Körperschaften, die sich auf
eine elektorale Legitimation stützen. E. E. Schattschneider
(1960) hat diesen Gedanken als blauäugige Ausflucht aus
einem realen Demokratiedilemma kritisiert. Truman hat
denn auch eher die staatstheoretische Demokratiediskussion
als die empirische Verbändeforschung beflügelt. Das poten-
tielle Interessenspektrum der Gesellschaft läßt sich denkbar
schwer eingrenzen. Andererseits lassen sich rückblickend
Spuren der Trumanschen Idee einer asymmetrischen Organ i-
sationsfähigkeit der Gesellschaft für die Politik in Dahls
Polyarchiekonzept entdecken. Bezeichnend für den beha-
vioralistischen Bias solcher Theorie ist das weitere Schicksal
der engeren Verbändeforschung:
Heute beherrscht das Paradigma des Korporatismus die
Verbändetheorien oder Nachfolgetheorien wie die des Netz-
werks oder des Subgovernment. Korporativismus war ur-
sprünglich eine Selbstbezeichnung für faschistische und
krpyto-faschistische Regime in Lateineuropa und -amerika,
wo der Staat selbst Verbände für die Organisation von Kapi-
tal und Arbeit ins Leben rief, um beide nach seinen Vorstel-
lungen zu lenken (Schmitter 1974). Aber nicht so sehr diese
Anschauung des "Staatskorporatismus" beflügelte die Theo-
riebildung als vielmehr die andere Version des
"Gesellschaftskorporatismus". Die Theorie des "societal
corporatism" fußt auf der Beobachtung, daß sich zwar viele
gesellschaftliche Interessen organisieren, aber doch bei wei-
tem nicht alle mit dem gleichen nachweisbaren Erfolg
(Lehmbruch 1977/78). Für den Gesellschaftskorporatismus
geben drei Faktoren den Ausschlag: die strategische Bedeu-
tung eines Verbandes für die Legitimation der Regierung
und damit zusammenhängend die Präferenz des Staates für

186
die Beachtung einer bestimmten Art von Interessen und
schließlich die Repräsentativität einer Interessenorganisation
fur das von ihr beanspruchte Interessenfeld. Der Staat beach-
tet besonders die fur Beschäftigung und Einkommen maß-
geblichen Verbände der Arbeitgeber und Gewerkschaften; er
bevorzugt einzelne, mitgliederstarke Ansprechpartner und
läßt sich auf Kooperation und Kompensationsgeschäfte ein,
um die fehlende eigene Regelungskompetenz auf dem Ar-
beitsmarkt und bei der Preisentwicklung auf dem Vereinba-
rungswege auszugleichen. Die Verbände dämpfen und mo-
difizieren ihr Forderungsverhalten, soweit der Staat mit Zu-
sagen und Leistungen einspringt, um die Gruppenkonflikte
zu verhindern oder zu dämpfen; der Staat gewinnt sozialen
Frieden und günstige Wirtschaftsdaten, wenn er vom hoheit-
lichen Podest herabsteigt und sich auf ein Bargaining mit
Vertretern der Gesellschaft einläßt.
Korporatistische Strukturen solcher Art beherrschten in
der jüngsten Vergangenheit zwar weithin sichtbar die ma-
kroäkonomische Politik, sie lassen sich aber unschwer auch
auf dem Level der Sozial-, Umwelt- oder Industriepolitik
ausmachen. Nach der Mitte der 90er Jahre hat es den An-
schein, als hätte die beißende Realität des globalen Wettbe-
werbs das korporatistische Modell zertrümmert. Allerlei
spricht dafür, daß sein Beitrag zur Realitätserklärung die
Epoche und Schauplätze der sozialdemokratischen Ära kaum
überleben wird. Für den hier interessierenden Zusammen-
hang ist dieser Gedanke aber nicht wichtig. Dafur ist allein
die Beobachtung relevant, daß die Konzeption des
"Gesellschaftskorporatismus" zahlreiche Quantifizierungs-
potentiale aufweist: Anzahl der Verbände im gleichen Inter-
essensegment; Repräsentativität gemessen in Mitgliedern
und im Konsultationsgebaren des Regierungsapparats; insti-
tutionalisierte Formen der Zusammenarbeit und des Lei-
stungstauschs. Solche Daten bieten zahlreiche Möglichkei-

187
ten, Gesellschaften als hoch, durchschnittlich, schwach oder
überhaupt nicht korporatistisch zu klassifizieren. Messung
und qualitative Abschätzung gehen dabei Hand in Hand.
Historische und institutionelle Erklärungen spielen in der
Korporatismusforschung eine herausragende Rolle. Warum
kein Korporatismus in Frankreich oder den USA, aber war-
um seinerzeit in Skandinavien oder Österreich, und warum
ein recht heterogener Korporatismus - stark im Sektor Sozi-
alpolitik, schwach in der Arbeitsmarktpolitik - in Deutsch-
land?
Betrachten wir noch kurz die neopluralistische Demokra-
tietheorie. Ihr bedeutendster Vertreter ist Ernst Fraenkel,
dessen Werk die deutsche Staatstheorie und die amerikani-
sche Demokratietheorie verarbeitet. Werte- und Verfahrens-
konsens, Mehrheitsentscheidung und die legitime politische
Kontroverse bilden die Eckpunkte dieser Theorie. Es geht
darum, Mehrheitsherrschaft in legitime und illegitime Gel-
tungsbereiche des Mehrheitsprinzips aufzulösen. Nicht alles,
was nicht durch erhöhte Mehrheitsquoren geschützt ist, darf
dem Mehrheitswillen unterworfen werden. Mehrheitsent-
scheidungen gewinnen ihre Akzeptanz aus der Tatsache, daß
die Mehrheit gewisse Konventionen akzeptiert, die über die
konstitutionellen Vorgaben hinaus Rollen und Verfahrensab-
läufe fixieren (Konsultation, Respektierung informeller
Praktiken, Einbindung der Betroffenen, konsensuale Ent-
scheidungen in den Basisfragen des politischen Prozesses
wie Wahl- oder Parlamentsrecht). Fraenkel spricht vom
nicht-kontroversen Sektor der Politik, der Regierung und
Opposition als Institutionen bindet und insoweit den Partei-
enfaktor neutralisiert. Der kontroverse Sektor umschreibt ein
heterogenes Spektrum von Politikfeldern, auf denen die
Parteienstandpunkte und die organisierten Interessen aufein-
andertreffen und letztlich durch das Auszählen von Mehrheit
und Minderheit entschieden werden. Wie nun der kontrover-

188
se Sektor beschaffen ist, wie weit er sich im Verhältnis zum
nicht-kontroversen erstreckt, läßt sich nicht abstrakt bestim-
men - dies ist eine empirische Frage von Tradition und poli-
tischer Kultur. Demokratie und normative Gemeinwohlbe-
stimmung passen nicht zusammen. Das Gemeinwohl läßt
sich nur prozedural bestimmen, wenn überhaupt - als die
empirisch zu klärende Frage, ob die Partizipationsrechte der
Bürger gewahrt, der informelle Verhaltenskodex respektiert
und Verfassungsregeln eingehalten werden. Nur unter diesen
Voraussetzungen wird das Gemeinwohl mit dem Mehrheits-
beschluß identisch (Fraenkel 1964, 142 ff.).
Wo liegt der Unterschied zwischen dieser Demokratie-
theorie und den zuvor erörterten? Im empirischen Demokra-
tieverständnis gibt es keine Unterschiede, außer daß die
amerikanischen Demokratietheorien unter behavioralisti-
schem Einfluß erkennbarer auf die statistische Messung und
den Vergleich abheben. Die amerikanische Politikwissen-
schaft kennt keine staatstheoretische Tradition (Gunnell
1996), von der sich das junge Politikfach an deutschen Uni-
versitäten in den 50er und 60er Jahren allerdings erst lösen
und abgrenzen mußte. Die neopluralistische Demokratie-
theorie argumentiert gegen ein von Rousseau oder der deut-
schen Staatslehre entlehntes Gemeinwohldenken, das Indivi-
dual- und Gruppeninteressen als Privategoismen denunziert
und ein Gesamtinteresse behauptet, das unabhängig von
Mehrheiten, Interessen und Durchsetzbarkeiten existiere. Die
amerikanischen Demokratietheorien wollen hauptsächlich
Punkte einrichten, an denen sich Demokratie auch vermessen
läßt (vgl. dazu vertiefend Schmidt 1996).
Der Behavioralismus blieb bei aller theoretischen Ambi-
tioniertheit im wesentlichen ein empirisches Unterfangen
(man vergleiche dazu das Themenspektrum bekannter Sam-
melbände, die das behavioralistische Spektrum vorstellen:
Ranney 1962, Charlesworth 1967, oder den informativen

189
Bericht Merkls 1965). Für die Forschung erwies er sich als
ausgesprochen fruchtbar, weil er die Auseinandersetzung mit
den Nachbardisziplinen beschleunigte. Dies gilt besonders
fur die Komparatistik und das Studium der Internationalen
Politik, die im Grunde genommen beide erst mit dem Beha-
vioralismus ein eigenes Profil gewannen. Methodisch hin-
terließ der Behavioralismus seine Spuren vor allem in der
Innenpolitikanalyse. Dort, in der relativen Regelgebunden-
heit politischen Verhaltens, in national umgrenzten, recht
einheitlichen kulturellen Kontexten und zumeist konsolidier-
ten Machtverhältnissen - sprich: in Demokratien - ließ sich
am besten mit Sozialforschungsmethoden hantieren, die
brauchbare Daten beanspruchen und valide Ergebnisse be-
haupten. Der Behavioralismus in seiner Quantifizierungswut
und Passion fur quasi-naturwissenschaftliche Beweisstrate-
gien als Sozialwissenschaft fur die Schönwerterzone der
Demokratien? Die politikwissenschaftliche Profession war
am Ende der 60er Jahre nicht mehr bereit, ihm auch nur die-
sen einen Erfolg zuzubilligen.

190
8. Unverdünnte und verschnittene Rationalität
im Zentrum der postbehavioralistischen
Politikteorie

8.1. Meuterei: Der Verlust des behavioralistischen


Konsenses

In den 60er Jahren zeichnete sich die Erschöpfung des be-


havioralistischen Attributs als Generalnenner fur die mit der
erfahrbaren Politik befaßte Politikwissenschaft ab. Dies hatte
zum einen mit dem teilweise sektiererisch vorkommenden
Treiben der methodisch orientierten Datenverarbeiter zu tun,
die beharrlich ignorierten, daß der Gegenstand Politik nur
bedingt datenzentrierten Erklärungen zugänglich ist. Zum
anderen hing diese Entwicklung damit zusammen, daß sich
ein Teil der Politikwissenschaftler einfach vom Metho-
denimperialismus der Statistikgelehrten und Deduktions-
künstIer emanzipierte und darauf aufmerksam machte, daß
Sozialwissenschaft mit vernünftigem Urteilen zu tun habe.
Solche Urteile indes verlangten wirklichkeitsgebundene,
belegbare und gleichwohl originelle Interpretation, das Syn-
thetisieren meßbarer Beobachtungen in einer abstrakten
Formelsprache reiche dafur nicht aus (Wolin 1969, 1073).
Im Grunde genommen ein Streit, der die Sozialwissenschaft
seit Durkheim und Weber durchzieht! Bliebe man bei der
Feststellung, so könnte man sich mit einem Achselzucken
begnügen: Na und? Solche Zwei-Linien-Konstellationen sind
nicht eben ungewöhnlich: System und Akteur in der Sozio-
logie, Keynesianer und Monetaristen in der Ökonomie, Psy-
choanalyse versus naturwissenschaftliche Psychologie, er-

191
eignisgestaltende Staatsmänner versus Eigendynamik sozia-
ler Verhältnisse in der Geschichtswissenschaft.
Die urteilende Auseinandersetzung mit der politischen
Realität impliziert stets den Blickwinkel des Wünschbaren,
also eine vorgestellte bessere Realität, die sich dem kata-
stermäßigen Registrieren eines "mehr" oder "weniger" ent-
zieht. Glücklicherweise dämmerte den Nachfolgern der kriti-
schen, reformbeflissenen Tradition in der amerikanischen
Politikwissenschaft bald, daß man mit Methodenraffinesse
nicht allzu viel zur Erklärung einer erlebten Welt anfangen
kann, die man doch für recht verbesserungsbedürftig hält.
Was seinerzeit für Bentley, Beard, Wilson oder Schatt-
schneider der Anstoß ineffizienter Institutionen und das
Übergreifen des großen Geldes in die Politik war, das wurde
gegen Ende der 60er Jahre der methodenabsolutistische,
ungefragt von der Naturwissenschaft entliehene Wissen-
schaftlichkeitsstatus der Behavioralisten und last but not
least deren Unwillen oder ihre Unfahigkeit zur Parteinahme
oder Empörung. Schon lange her, aber disziplingeschichtlich
wichtig: Die 60er Jahre waren Zeugen der Bürgerrechtsbe-
wegung in den USA, des Vietnam-Krieges, der Ghetto-
Aufstände in gleichzeitig mehreren amerikanischen Metro-
polen, rebellierender Studenten und wachsender Zweifel an
der Lauterkeit der amerikanischen Ziele in der Weltpolitik.
Nach den ruhigen, selbstzufriedenen 50er Jahren Zweifel,
moralische Empörung, Enttäuschung.
Das Fach blieb davon nicht ausgenommen. Seit Anfang
der 50er Jahre hatten Behavioralisten alle Präsidenten der
APSA gestellt. 1969 gab es einen Unterschied. Hatten bis
dahin Politikwissenschaftler, die das Beobachten kultivierten
und dabei in unterschiedlichster Weise das Label des Beha-
vioralismus in Anspruch genommen hatten, keine Akzep-
tanzprobleme, so gingen später Vertreter des Fachs, die den
Apolitismus der reinen Quantifizierer beklagten, auf Distanz.

192
Die APSA spaltete sich 1969 vorübergehend, es gab einen
Gegenkandidaten zum vorgeschlagenen behavioralistischen
Nachfolger im Präsidentenamt. Die Kritiker hatten sich be-
reits 1967 in einem New Caucus for Political Science ge-
sammelt, dem die APSA in der Zeitschrift "Political Science
& Politics (PS)" ein eigenes Forum zubilligte, in dem seither
garstige Kontroversen ausgetragen werden. Bis heute blieb
die bevorzugte Zielscheibe der Kritiken in der PS die Frakti-
on der "self-styled behavioralists (SSBs)", wie Spiro (1971)
sie bezeichnet hat: die verbliebene starke Riege derer, die
das vielgestaltige Gegenstandsfeld der Politikwissenschaft in
Planquadrate einteilen, in die sie dann ganze Kolonnen von
Landschaftsgärtnern einrücken lassen, um die unterschiedli-
chen Topographien nach einer geometrischen Form der
Siedlungen, Wege und Bepflanzungen anzugleichen.
Eines der Hauptargumente gegen die SSBs brachte Dahl
bereits 1961 vor. Bei allen bleibenden Verdiensten des
"behavioralist mood" komme die Datenanalyse aus der blan-
ken Beschreibung nicht heraus. Auf die Gründe rur all die
Regelhaftigkeit, die sie mit großer Präzision ermittle, wisse
sie keine Antwort. Diese lägen wohl in der Geschichte und in
der Biographie aktueller Politik (Dahl 1961, 771 f.). Ähnlich
setzt Gunnells Kritik an. Eine Sozialwissenschaft, die sich
dem naturwissenschaftlichen Paradigma verpflichte, verfan-
ge sich in den Fallstricken des Deduktionismus. Sie rücke
mit einer Erklärungslogik, die Disziplinen mit perfektem
Wissen adäquat sei, dem Gegenstand einer Wissenschaft zu
Leibe, die sich eben durch unvollständiges Wissen auszeich-
ne. Vollständiges Wissen über Kausalzusammenhänge er-
laube das Deduzieren von Gegebenheiten mit bestimmten
Merkmalen auf andere mit denselben. Wo dieses Wissen
aber fehle, müsse der Kontext zu Hilfe genommen werden,
um Klarheit zu gewinnen, ob vordergründig ähnliche Situa-
tionen wirklich vergleichbar seien und ob geographische,

193
kulturelle oder historische Verschiebungen nicht doch andere
Erklärungen verlangten (Gunnell 1969, 1239). Lassen wir
zuletzt noch Almond zu Worte kommen, der in einem mit
Genco verfaßten Artikel der harten Restfraktion der SSBs ins
Stammbuch schreibt, sie habe nicht einmal die Forschungs-
logik der Physik begriffen. Bezugnehmend auf einen bekann-
ten Aufsatz von Popper (1973, 230 ff.) fuhrt er an, selbst die
Physik arbeite mit elastischen, verstehenden Theorien, wo
sie mit den präzisen, durch Messung und Experiment ge-
stützten Modellen nicht weiterkomme. Die politische Welt
aber sei nun einmal so beschaffen, daß auf sie am besten
elastische Erklärungen paßten. Hätte sich die Politikwissen-
schaft stärker auf die verstehende Argumentation eingelas-
sen, wäre die Reaktion auf eine stärker mathematisierende
Erklärungsweise anders ausgefallen und wären statistische
Beweisstrategien in der Politikwissenschaft auch allgemeiner
akzeptiert worden (Almond/Genco 1976/77).
Diese eine Spanne von 15 Jahren umfassenden Kritiken,
formuliert auf dem Höhepunkt des Behavioralismus, im
Zeitpunkt seines Abstiegs und in der postbehavioralistischen
Phase eines gegen die SSBs gerichteten Lagers, besagen auf
unterschiedliche Weise alle das gleiche: Eine Politikwissen-
schaft, die sich ganz auf die Methoden kapriziere, segele um
Längen am Erklärungsbedarf ihres Gegenstandes vorbei.
Gunnell und Almond/Genco argumentieren wissenschafts-
theoretisch - ein beliebter Stil der 60er und 70er Jahre. Tho-
mas S. Kuhns Paradigmenwechsel (1976, Erstaufl. 1962)
hatte das Spektrum der wissenschaftsanalytischen Sprachbil-
der erweitert und bereichert. Die exakten Wissenschaften
waren jetzt in ihren Erklärungsmodi als soziale Aktivitäten
entzaubert. "Normale" Wissenschaft bzw. Erklären als Sache
einer Übereinkunft unter Wissenschaftlern, die so lange
trägt, bis eine Generation daherkommt, die andere Erklärun-
gen ftir besser hält - Paradigmawechsel! Wir berühren hier

194
wieder den Punkt der Überzeugungen und Menschenbilder in
politischen Theorien. Paul Feyerabend (1983, Erstaufl. 1975)
sattelte mit seinem Plädoyer wider den Methodenzwang -
"anything goes" - noch drauf. Wenn Theorie schon so
menschlich, allzu menschlich erschien, dann gebührte dem,
was die meisten fur richtig hielten, auch kein herausragender
Respekt. Der Außenseiter konnte fortan am Ende richtiger
liegen.
Gunnells und Almond/Gencos Kritiken haben rück-
blickend nicht nur disziplingeschichtIichen Rang. Sie lassen
sich ohne weiteres auf die gegenwärtige Welle der ökonomi-
schen Politikerklärung übertragen, die in ähnlicher Weise
politische Probleme rigide über den Leisten des Nutzenkal-
küls vorteils bedachter Egos schlägt. Abermals ein Versuch,
das Renommee des eigenen Tuns durch Anlehnung an die
Methoden einer gesellschaftlich besser angesehenen und
politisch höher geschätzten Disziplin zu heben! Dazu sei die
Attacke Theodore Lowis, eines der seinerzeitigen Wortftih-
rer der Kritik am Hochbehavioralismus, gegen das gegen-
wärtige ökonomische Denken in der Politikwissenschaft
vermerkt: ein Angriff, der zumindest im besonders heftig
traktierten Herbert Simon, einem Kritiker der Übertragung
ökonomischer Modelle auf die Politik, den falschen traf
(Lowi 1992, Simon 1993). Die beiden Kontrahenten einigten
sich immerhin darauf, daß sie dem frühen, einfach nur em-
pirisch begeisterten Behavioralismus der Chicago-Schule
viel abgewinnen könnten, während sie dem methodologi-
sehen Individualismus der University of Michigan - Stich-
wort Umfragenzentrum Ann Arbor - ihre herzliche Abnei-
gung attestierten (Sirnon 1993, 49 f, Lowi 1993, 51). Auf
die Ökonomie wird wegen ihres theoretischen Anspruchs an
anderer Stelle näher einzugehen sein. Unter dem Theo-
rieaspekt ist Zur Kritik am Behavioralismus anzumerken, daß
sie stillschweigend davon ausgeht, daß eine verstehende,

195
kontextaufgeschlossene Politikwissenschaft gerade soviel
Theorie entwickeln möge, wie es ihren Bedürfnissen ent-
spreche. Dahl wie Almond sind aber keine untheoretischen
Köpfe. Ihr Ressort wie das der meisten übrigen Politikwis-
senschaftler ist das weite Feld der pt im Sinne Gunnells
(siehe auch Beardsley 1974).
Viel weiter holte in den 60er Jahren die Kritik an der
Status-quo-Prämisse der behavioralistischen Forschung aus
(z.B. Kariel 1969, Bay 1965): Fakten an sich sprechen nicht,
sie existieren nicht ohne ein sinngebendes Deutungssystem,
das Sinneswahrnehmungen oder subtilere Betrachtungen erst
zum Sprechen bringt. Auch die Behavioralisten kommen
nicht ohne es aus, wie Wolin einwendet. Doch anscheinend
machten sie sich die Deutungswelt der Politik zu eigen. Eine
Politikwissenschaft, die sich darauf beschränke, eine nicht
weiter problematisierte Gegenwart nur besser auszumessen,
müssen sich fragen lassen, wie sie mit Phänomenen wie der
Verwicklung der USA in Dritte-Welt-Kriege, mit unbe-
wohnbar gewordenen Städten und dem Rassenkrieg im eige-
nen Land zurechtkomme (Wolin 1969, 1063, 1081). Hinter-
grund dieser Frage war die Szenerie des Jahres 1968 mit in
diesem Ausmaß bisher unbekannten Gewaltausbrüchen in
den schwarzen Elendsvierteln der amerikanischen Metropo-
len und mit der Erkenntnis, daß die Bürgerrechtsbewegung
der 60er Jahre wie weiland Sisyphus eine begrenzte Gerech-
tigkeitsleckage beheben wollte, während doch anderswo
Gerechtigkeitsprobleme ganz anderer Art und Dimension
nach einem Ventil suchten. Wolin schließt an seine Kritik
die Aufforderung an, sich an den Klassikern des politischen
Denkens ein Beispiel zu nehmen und Theorien zu entwik-
keIn, die mit der Interpretation der so genannten Fakten eine
Perspektive aufzeigten, die über die blanke Erklärung des
Status quo hinausweise, also Möglichkeiten der Verbes se-

196
rung und Veränderung ausdrücklich in die Auseinanderset-
zung mit den Fakten aufnehme (Wolin 1969, 1077 0.
Dieser Einwand ist ebenso einfach wie bestechend.
Schließlich gehören auch Veränderungen in die historische
Bilanz, Kontrastprogramme zu anscheinend unerschütterli-
chen Werten und Institutionen. Um den Vorwurf noch weiter
zuzuspitzen: Die SSBs lehnten es ab, Deutungswelten zur
Kenntnis zu nehmen, die historisch und in der Gegenwart
nachweisbar sind, nur eben nicht auf der Siegerstraße reisen.
Wohlgemerkt: Wolins Aufsatz erschien anno 1969, und wer
könnte ihm heute - wie damals - widersprechen? Nehmen
wir nur das Beispiel Umweltbewußtsein, damals noch kein
prominentes politisches Thema. Wer wollte bestreiten, daß
selbst konservative und/oder wirtschaftsnahe Parteien in den
meisten Industrieländern - auch - in ökologischen Kategorien
denken und danach Entscheidungen treffen, ganz im Gegen-
satz zu einem Vierteljahrhundert vorher? Und ist nicht die
gesamte Politik der westlichen Welt - wenn auch bei weitem
nicht genügend - sensibler geworden für die Probleme der
Dritte-Welt-Nachbarn vor ihrer Haustür, wenn auch viel-
leicht nur deshalb, weil sie unmittelbar mit den Folgen einer
beispiellosen Armutsmigration konfrontiert sind? Der Be-
havioralismus der SSBs läuft solchen Beobachtungen allen-
falls messend und registrierend hinterher. Das ist sein großes
Manko. Die politische Wirklichkeit enthält Potentiale und
Entwicklungsmöglichkeiten, die ausreifen oder eben nicht,
wobei sich das "ob" und das "mehr oder weniger" auf die
aktuelle Verfaßtheit einer Gesellschaft, last but not least
auch auf Machtlagen zurückfuhren läßt. Die Statistik darf
man beim Eingehen auf solche Fragen getrost vergessen.
Phantasie, Urteilskraft und historische Hintergrundsensibili-
tät sind wichtiger. Im folgenden ist zu fragen, wie es die
empirisch aufgeschlossene, postbehavioralistische Theorie
damit hält.

197
8.2. Nutzenrationale Ansätze: Theorieimporte

8.2.1. Public choice. Die ökonomische Ratio

Nach dem Durchbruch des rigiden, quantifizierenden Empi-


rismus und der Entfaltung einer weicheren, verstehenden
Spielart empirischer Politikforschung kam keine politikwis-
senschaftliche Theorie mehr an gesicherten empirischen
Erkenntnisse vorbei (Little 1991, 73, 76). Die postbeha-
vioralistische Theorie weist überwiegend Bereichstheorien
aus. Diese sollen hier nicht weiter beachtet werden. Dazu
informieren Werke über politikwissenschaftliche Teilgebiete
weit besser und ausführlicher, als es hier möglich wäre.
Theorie der Variante pt soll hier nur soweit berücksichtigt
werden, wie sie die Bereichsgrenzen überschreitet.
Bleiben wir bei diesem Überblick der wichtigsten und
bekanntesten postbehavioralistischen Theorien vorerst bei
Spiros Unterscheidung zwischen SSBs und empirischen Po-
litikwissenschaftlern anderen Schlages. Die SSBs dürften
sich - nach der oben gebotenen Kurzvorstellung des Beha-
vioralismus dieser Tage - kaum für politische Theorien er-
wärmen, die auf Formalisierungen verzichten und sich gegen
Deduktionen und Mathematisierungen sperren. Ebenso
plausibel dürfte die weitere Vermutung sein, daß es sich bei
den Nicht-SSBs genau umgekehrt verhält. Nun soll hier nicht
der Eindruck vermittelt werden, als sei dies alles noch groß
nachzuweisen. Die Affinität der SSBs zu Theorien der Ra-
tional choice und der Public choice ist eine bekannte Tatsa-
che. Diese Theorien sollen im folgenden zuerst vorgestellt
werden. Die "weicheren", kontextbewußteren politischen
Theorien aus der Organisationspsychologie und der Kultur-

198
wissenschaft werden in einem zweiten Schritt in Augen-
schein genommen.
Seit den 60er Jahren spielt die ökonomische Theorie zu-
nehmend in die methodenorientierte Politikwissenschaft
hinein (vgl. dazu die Übersichtswerke von Barry, 1975, und
Lehner, 1981). Dieser Prozeß hatte mit der Politikwissen-
schaft anfänglich nichts zu tun. Er war das Ergebnis einer
sich beschleunigenden Abstraktionsspirale und Modellbil-
dungstätigkeit in der Volkswirtschaftslehre. Mit Paul A.
Samuelson hatte sich die stürmische Mathematisierung der
Ökonomie durchgesetzt, d.h. die Reduktion realwirtschaftli-
cher Prozesse auf die Verkettung gesetzesförmiger Erkennt-
nisse, aus denen unter Ceteris-paribus-Voraussetzungen ver-
schiedene Schlußfolgerungen gezogen werden konnten, so-
fern sich nur eine Variable veränderte (dazu Bell 1986, 54
ff.). Das alles war kein empiriefernes Treiben. Unter den
Voraussetzungen einer marktwirtschaftlichen Verfassung,
eines Waren- und Leistungsverkehrs zwischen verschiedenen
Märkten, eines staatlichen Vorrats wirtschaftlicher Ressour-
cen und zentral gesteuerter Kreditvorgaben leistet die Wirt-
schaftswissenschaft nicht nur recht gut die Erklärung histori-
scher ökonomischer Vorgänge, sie kann bis zu einem gewis-
sen Grade auch Prognosesicherheit ftir sich in Anspruch
nehmen. Aus der Sicht der ökonomischen Theorie wirken
allerdings politisch beeinflußte binnen- und weltwirtschaftli-
che Vorgänge störend. Sie lassen sich schlecht in voraussa-
gefähige Modelle einpassen. Die beliebteste Metapher ftir
diesen unkalkulierbaren politischen Faktor ist der Staat. Der
Markt wurde von der ökonomischen Theorie bis hinunter auf
das wirtschaftende Individuum kleingedacht, und dieses, ob
nun als Investor oder Konsument, wurde mit der Fähigkeit
ausgestattet, seine Präferenzen zu kennen und diese bei Nut-
zung der vom Markt reichlich angebotenen Informationen
entweder nach Abwägung von Nutzen und Kosten zu reali-

199
sieren oder sie bei unvorteilhafter Kostenlage zurückzustel-
len oder sie eben durch andere, besser optimierbare Präfe-
renzen zu substituieren. Vielleicht sollte hier eine Entschul-
digung beim Ökonomiekundigen eingeführt werden, der über
solche Trivialitäten bestenfalls den Kopf schütteln mag. Hier
soll allein das Urteil belegt werden, daß die vorzustellenden
Theorien der Public choice oder auf Neuhochdeutsch: die
"ökonomischen Theorien der Politik" ihre Wurzeln in der
Mikroökonomie haben, im Bild eines volkswirtschaftlichen
Ganzen, dessen Zentrum der einzelne bildet. Daher der Be-
griff des methodologischen Individualismus, der die akade-
mische Ökonomie in besonderem Maße charakterisiert. Nach
diesem Vorlauf zurück zur politischen Theorie:
Vor dem Hintergrund dieses methodologischen Indivi-
dualismus fragten zunächst und vor allem amerikanische
Ökonomen, ob es denn neben den Regeln des Marktes, der
dem grundlegenden Spiel von Angebot und Nachfrage ge-
horche, überhaupt eine Rechtfertigung fur das kontrastieren-
de Regelsystem des Staates geben könne, der qua Steuern die
Preise fur seine Existenz festsetze und auch eigenmächtig
das Leistungsprogramm bestimme, das damit bedient werde.
Solche Leistungen würden dem Markt ja entzogen, da der
Staat als Monopolanbieter auftrete. Hier kommt jetzt ein
weiteres Moment ins Spiel, die Bewertung von Markt und
Staat. Bis in die 70er Jahre war in der Wirtschaftswissen-
schaft das Paradigma des britischen Nationalökonomen
Keynes (1883-1946) dominant, das dem Staat eine positive
Rolle im Marktgeschehen zuweist. Es war indes von einer
sozialdemokratischen Politik okkupiert, die in der Nach-
kriegszeit von praktisch allen größeren Querschnitts- oder
Volksparteien, auch den christlichen Demokraten, gutgehei-
ßen wurde. Die positive Staatsbewertung blieb indes nie
unwidersprochen (dazu immer noch höchst informativ: Ward
1981). Nach mehr als zwei Jahrzehnten ist sie fachökono-

200
misch an die Peripherie gewandert. Mit Friedrich v. Hayek
ging ein prominenter Ökonom bereits in den 40er und 50er
Jahren zum Angriff über. Sein Motiv war freilich so wert-
haft-politisch wie das der Keynesianer, es trug nur das um-
gekehrte Vorzeichen:
Der Markt ist nach Hayek der unübertreffbare Regelme-
chanismus für Markt und Politik: Gewiß produzieren die
ungebändigten Marktkräfte und der auf die Beachtung der
allgemeinen Geschäftsbedingungen gepolte Staat Ungleich-
heit. Aber nichts daran ist unmoralisch. Wo findige Köpfe
einen Markt fur neue Produkte entdecken, entsteht neuer
Reichtum. Wo bekannte Produkte billiger hergestellt und
neuen Konsumentenschichten zugänglich werden, profitieren
auch andere. Der Staat würgt jedoch mit seinen Steuerforde-
rungen Investitionsanreize und Konsummöglichkeiten ab.
Wohlfahrtsstaatliche Umverteilung belohnt jene, die am
Markt nichts leisten. Eine Gesellschaft, die nach dem WUlen
der Politik das Gleichheitsideal bedient, verspielt den Lohn
der Freiheit - Innovation und Gewinn als Prämie auf Risiko
und Experimentierfreude (Hayek 1978, Erstaufl. 1960)! Das
sind Gedanken urliberaler Provenienz - allerdings aus einer
liberalen Haltung, die im Grunde genommen fur Demokratie
keine rechte Begründung findet, weil auf dem politischen
Markt eben alle nur eine Stimme haben. Die Kollision von
Markt und Demokratie läßt sich nur dann vermeiden, wenn
die legitime Reichweite des Staates auf Sicherheit, Ordnung
und die Einhaltung von Verträgen beschränkt bleibt. Milton
Friedman geht noch ein Stück weiter und überlegt, den Staat
vollends auf ein superbilliges und inzidenter lupenrein frei-
heitliches Minimalprogramm zu verkürzen. Da soll der Staat
zum Beispiel geldwerte Berechtigungsscheine fur Bildung
ausgeben und es Eltern oder Jugendlichen überlassen, diese
bei privaten Schulen eigener Wahl einzulösen. Dem Staat
kommt allein noch die Aufgabe zu, Eigentumsdelikte, Mord

201
und Totschlag zu ahnden und auf die Einhaltung der bürger-
lichen Rechtsgleichheit zu achten (Friedman 1971).
Bei solchen wirtschaftstheoretischen Paradigmen docken
die Public-choice-Theorien an. Sie gehen davon aus, daß
eine Leistung nur dann dem Markt, sprich: der individuellen
Wahlmöglichkeit - Freiheit -, entzogen und in ein Monopol
überfUhrt werden dürfe, wenn dem auch jeder Betroffene
zustimme. Die Leistung werde ja nicht allein aus dem Spiel
von Angebot und Nachfrage und aus der Wahlfreiheit her-
ausgenommen. Jeder und jede, auch die, die eigentlich eine
Marktlösung bevorzugt hätten, würden per Steuern und Ab-
gaben für die Bereitstellung dieser Leistung gezwungen. Im
Prinzip müsse daher jeder potentielle Konsument öffentli-
cher Güter - public goods - seine Einwilligung geben. Daß es
eine solche Zustimmung geben könne, wird keineswegs aus-
geschlossen. Entscheidend sei die Präferenzlage. Präferiere
jedes Individuum öffentliche statt privater Güter und Lei-
stungen, so sei an einschlägiger Staatstätigkeit nichts auszu-
setzen. Was aber, wenn eine Mehrheit dafUr, eine starke
Minderheit aber dagegen ist? An dieser Stelle driftet die
ökonomische Theorie vollends in die politische Theorie. Die
Frage läßt sich je nach politischem Modell unterschiedlich
beantworten.
Demokratietheoretiker wie Dahl (1967, Erstaufl. 1956)
oder Fraenkel (1973) würden entschieden dafür halten, daß
am Ende der Beratung und eines prozedural korrekten Ent-
scheidungsprozesses die Mehrheit entscheidet, ggf. nach
Verfassungslage auch die qualifizierte Mehrheit. Nur dies
kann die politikwissenschaftliche bzw. staatstheoretische
Antwort sein, sofern sie die Prämissen des historisch überlie-
ferten Demokratieverständnisses einschließt (Malkin/Wil-
davsky 1991). Konkordanzdemokratietheoretiker wie Liphart
(1968) oder Korporatismustheoretiker wie Lehmbruch
(1977 /78) würden mit Rücksicht auf bestimmte Praktiken

202
einer konkreten Gesellschaft daftir plädieren, entweder min-
destens die großen gesellschaftsrepräsentierenden Parteien
einzubinden, also einen Konsens weit jenseits marginaler
Mehrheiten zu suchen, oder wenigstens die repräsentativen
Arbeitsmarktorganisationen (Gewerkschaften, Unternehmer)
einzubinden. Mehrheitsentscheidung, große Koalition oder
Korporatismus sind freilich kontextinformierte politiktheo-
retische Antworten auf ein Dilemma, das die Anhänger der
Public choice wirtschaftstheoretisch aufzäumen. Die Public
choicers nehmen sie - wahrscheinlich - nicht zur Kenntnis
oder - noch wahrscheinlicher - interessieren sich nicht ein-
mal fur die wissenschaftliche Literatur, in der sie davon er-
fahren könnten. Schonend ausgedrückt: Die Theorie der
Public choice ist demokratieindifferent.
Ausgehend von Pareto-Optimum haben Buchanan und
Tullock (1962) in einer seinerzeit stark beachteten Studie die
Mehrheitsregel prinzipiell beanstandet. Sie übe eine Art
Diktatur über die Minderheit, im Extremfall über den oder
die einzige Widersprechende, wenn sie ihm oder ihr ein Ur-
teil über den Nutzen staatlicher Entscheidungen aufzwinge,
der von der Mehrheit getragen werde. Allerdings erschien
den Autoren diese Schlußfolgerung damals noch so imprak-
tikabel, daß sie sich mit Quoren unterhalb der Einstimmig-
keit zufrieden gaben - nicht ohne diese Konzession an das
Machbare zu bedauern! Bleiben wir bei Buchanan, der mit
verschiedenen Koautoren das immergleiche Thema intoniert
hat. Es hat ihm den von der schwedischen Bankenvereini-
gung gestifteten Nobelpreis fur Wirtschaftswissenschaft
eingetragen. In späteren Arbeiten wirft Buchanan die Verfas-
sungsfrage auf (1977):
Hat sich nun eine Mehrheit, eventuell sogar eine große
Mehrheit, dafur entschieden, bestimmte Produkte und Lei-
stungen nicht über den Markt zu beschaffen, dann gilt es zu
bedenken, daß die nachkommende Generation anders dar-

203
über denken mag. Der Gedanke ist interessant, aber politik-
wissenschaftlich alles andere als originell. Spätestens seit der
Debatte um die erste geschriebene Vollverfassung der Neu-
zeit - manifest in den Federalist Papers - wird die Möglich-
keit der Verfassungsänderung institutionell berücksichtigt.
Doch darum geht es Buchanan nicht. Sein Verfassungspro-
blem ist die Verteilungsordnung, und diese ist in den wenig-
sten staatsrechtlichen Verfassungsdokumenten vollständig
als ein Verfassungsthema definiert, das verfassungsändern-
der Quoren bedürfte. Buchanan fordert in regelmäßigen Ab-
ständen eine Neuverhandlung der Verfassung, womit nicht
Gewaltenteilung, Bürgerrechte oder die Staatsverwaltung
gemeint sind, sondern die Eigentumsordnung (zum folgen-
den Buchanan 1984, Erstaufl. 1975).
Die politisch-rechtliche Ordnung ist unter den Buchanan-
schen Prämissen ein öffentliches Gut. Funktioniert sie indes
nicht, wird sie zum öffentlichen Übel (public bad). Buchanan
definiert das Freiheitsthema mit der Setzung, daß wir in ei-
ner Gesellschaft von Freien, aber nicht von Gleichen leben
wollen. Gleichheit spiele nur soweit eine Rolle, als alle im
Blick auf öffentliche Güter gleich behandelt werden müßten.
Das schließe als neutrale Instanz den Staat ein, der über die
Rechtsgleichheit wache. Dessen ungeachtet dürfe der Staat
in einer freien Gesellschaft nicht über seinen individuellen
Nutzen für jeden einzelnen hinauswachsen. In einem hypo-
thetischen Verfassungsvertrag müsse festgelegt werden,
welche Güter nicht miteinander rivalisieren dürften bzw. als
öffentliche Güter vom Staat bereitgestellt würden. Selbst
wenn solche Güter der Verwaltung durch Private anvertraut
würden, blieben sie öffentliche Güter. Sinn des Verfassungs-
vertrages sei es, die Zustimmung aller dafür einzuholen, daß
der Staat die Wirtschaftsfreiheit der Individuen insoweit
einschränken dürfe.

204
Diesen Vertrag stellt sich Buchanan als ein Unterfangen
vor, in dem zunächst eine Einigung darüber erfolgt, wie die
Individualrechte in den Verfassungs beratungen ausgestaltet
werden sollen. So wird geregelt, auf welche Weise die ein-
zelnen in Entscheidungsprozesse über öffentliche Güter ein-
bezogen werden. In einer zweiten Vertragsstufe befinden die
einzelnen nach den festgelegten Regeln darüber, welche
Güter nach Menge und Kosten als öffentliche definiert wer-
den sollen. Idealiter soll auch hier einstimmig beschlossen
werden. Aus Gründen der institutionellen Effizienz läßt sich
Buchanan aber auf ein Quorum ein, das deutlich über der
einfachen Mehrheit, aber unterhalb der Einstimmigkeit liegt.
Das Mehrheitserfordernis ist ein Punkt von zentraler Bedeu-
tung. Hier spielt die Pareto-optimale Überlegung abermals
eine Rolle, daß als Ergebnis des Verfassungsvertrages keiner
schlechter gestellt werden soll als der andere - also kein Ab-
strich am Status-quo des Verteilungszustandes. Wenn alle
für die Einführung öffentlicher Güter sind, bleiben die ein-
zelnen immer noch Eigentümer der dafür gewidmeten Res-
sourcen. Sie haben diese nur in die Verfügung durch eine
Kollektiventscheidung gestellt. Im Grunde genommen be-
trachtet Buchanan einen Verfassungsvertrag unterhalb der
Einstimmigkeit als Enteignungsakt. Die Minderheit, die mit
der präferierten Einführung öffentlicher Güter nicht einver-
standen ist, muß gegen ihren Willen auf die Verfügung eines
Teils ihrer individuellen Ressourcen verzichten, mit dem
jetzt staatliche Leistungen bezahlt werden sollen.
Das so verstandene Mehrheitsproblem wächst sich in dem
Maße zu einem Legitimationsproblem des Staates aus, wie
die Anzahl der Vertragschließenden steigt. Überschreitet
diese eine kritische Größe, dann ist davon auszugehen, daß
auch die Verlierer der Verfassungsvereinbarung, die Min-
derheit, solche Ausmaße erreichen, daß ihr aggregiertes
Vermeidungs-, Täuschungs- und Ausweichverhalten den

205
Vertragszweck zu gefährden droht. Gelinge es nicht, alle
Bürger davon zu überzeugen, daß sie für die vor langer Zeit,
womöglich von den Vorfahren vereinbarten öffentlichen
Güter auch die anteilsmäßigen Kosten aufbringen müßten,
dann werde es in großem Umfang dazu kommen, daß Steu-
ern nicht bezahlt würden oder Bürger die Justiz bemühten,
um diese Belastungen mit allen rechtlichen Mitteln zu min-
dern. Die Folge davon wäre die unveränderte Bereitstellung
der einmal vereinbarten Güter, aber eine schrumpfende Res-
sourcenbasis für ihre Bezahlung. Buchanan unterstellt dabei,
daß keine Gesellschaft diesem Dilemma auf Dauer entrinnen
könne. Aus Praktikabilitätsgründen funktioniere zwar die
Einstimm igkeitsdemokratie nicht, aber alle Second-best-
Lösungen würden über kurz oder lang das beschriebene Di-
lemma zutage bringen. Nicht genug damit, daß die Rechts-
kultur auf diese Weise Schaden nehme. Wenn eine größere
Anzahl von Bürgern ihren Verpflichtungen nicht nachkom-
me und die Ahndung aus schieren Mengengründen nicht
funktioniere, wenn also die vorhandene Verteilungsordnung
nicht mehr geglaubt werde oder überzeuge, dann habe sich
der ursprüngliche Vertrag überlebt (s. auch Dryzek 1992).
Mit öffentlichen Gütern entstünden zugleich staatliche
Bürokratien, die faktisch als Eigentümer jener Ressourcen
agierten, die ihnen doch überhaupt nicht gehörten, weil sie
lediglich in die treuhänderische Verwaltung des Staates
übergeben wurden. Der Staat trete damit nicht mehr als aus-
führendes Organ des Vertrags auf. Er bilde zu den Public
goods gleichsam Eigentumsbeziehungen aus, die im ur-
sprünglichen Vertrag nicht vorgesehen waren. Die Bürokra-
tie - deren Chefverwaltern im Sinne von Niskanens (1971)
bekannter Studie der Drang zur Budgetmaximierung unter-
stellt wird - habe ein Interesse daran, einer Neuverhandlung
des Vertrags aus dem Wege zu gehen, die doch gerade des-
halb so wichtig und dringlich erscheine. Wenn die Bürger

206
rundheraus gefragt würden, werde ihr Votum vermutlich
gegen Steuern ausfallen. Öffentliche Güter, Steuern und
Staatsbürokratie - ein politisches Syndrom, das sich mit
Freiheit und Markt nicht verträgt!
Diese ökonomisch inspirierte politische Theorie hat un-
übersehbar ideologische Züge. Ein Grundprinzip wird statu-
iert: Die Freiheit des Individuums hat ihren Kern in der frei-
en Entscheidung über Kosten und Nutzen des gleichen Gutes
bei verschiedenen Anbietern. Der Staat garantiert das Recht,
sichert die Einhaltung der Verträge und organisiert die Lan-
desverteidigung. Gedankenfreiheit, Freiheit der politischen
Meinung, auch über den Markt als solchen, Freiheit in Anbe-
tracht kultureller und rassischer Unterschiede - dies alles
kommt nicht vor. Worin liegt nun die Faszination solcher
Theorie? - Sie hat stromlinienförmigen, deduktiven Charak-
ter, trifft klare, nachvollziehbare Aussagen über die mensch-
liche Natur - Nutzenmaximierung - und erlaubt, so man ihre
Voraussetzungen akzeptiert, Urteile über politische Zustän-
de. Akzeptiert man ihre Logik, also das Menschenbild, so
kann man ganze Schlußfolgerungsketten konstruieren, für
die sich Illustrationen in der ökonomischen, teilweise auch in
der politischen Realität - man denke nur an die Rentendebat-
te oder den "Rückbau" des Sozialstaates - finden lassen.
Warten wir noch, bevor wir uns auf eine kritische Bewertung
dieser Theorie der Public goods einlassen, die wir oben bei
Nozick (Kapitel 6) in philosophisch verfremdeter Form an-
getroffen haben, und betrachten wir einige verwandte Theo-
rien, die das nutzenmaximierende Individuum der Ökonomie
in die Politik transplantieren.
Anthony Downs ist der wohl bekannteste Vertreter der
ökonomischen Theorie der Politik. Leider wird dabei allzu
oft ignoriert, daß Downs nur die gleichen, aber stärker ver-
balisierenden Gedanken Joseph Schumpeters (1980, Erstautl.
1945) über eine realistische Demokratietheorie in die Spra-

207
che und die optische Darstellungsform der modemen Öko-
nomie übertragen hat. Schumpeter betrachtet die Parteien-
konkurrenz als maßgebliches Element der Demokratie. Eine
taugliche Demokratie brauche - optimal zwei - Parteien,
ferner mit den Parteien verbundene Eliten für Regierung und
Opposition, dann noch ein unparteiisches, effizientes Beam-
tentum und schließlich eben Wähler, die einer Partei den
Regierungsauftrag und einer anderen die Oppositionsrolle
zuwiesen. Wählerappelle und Wahlentscheidungen gehorch-
ten den Postulaten der kommerziellen Werbung - Überzeu-
gen und Überreden als die Seele auch des politischen Ge-
schäfts! Die Eliten müßten in erster Linie ihre Wählerklien-
tel bei der Stange halten und diese ggf. ausbauen. Im übrigen
besorgten Spezialisten die technische Seite des Regierens,
die Wähler blieben passiv, bis die Fristregularien zur näch-
sten politischen Kaufentscheidung drängten. Dieses pass i-
vistische Bürgerideal weist eine starke Verwandtschaft mit
dem Lipsetschen Modell der stabilen Demokratie auf.
Downs wie Lipset standen zu ihrer Zeit unter dem Eindruck
der eben überwundenen deutschen Diktatur und befürchteter
Bürgerkriegsszenarien in den turbulenten romanischen De-
mokratien der ersten Nachkriegszeit, und beide erklärten
diese politischen Anomien aus einer "ungesunden" Politisie-
rung der Bürger und der Öffentlichkeit. Vermeintliche politi-
sche Lehren aus der Geschichte führen hier in seltener
Übereinstimmung einen soziologischen und ökonomischen
Klassiker zusammen.
Downs übersetzte Schumpeter in rechenhafte Axiome.
Der größere Publikumserfolg der - zugestandenermaßen in
ein eigenes Oeuvre mündenden - Rezeption durch Downs ist
bezeichnend. Denn Downs trifft den Stil des heute dominie-
renden, modellorientierten Argumentierens. Der Wähler, so
Downs (zum folgenden Downs 1968, Erstaufl. 1957), sei ein
politischer Konsument, der auf der Basis seiner Präferenzen

208
das Parteienangebot prüfe und sich in seinen Optimierungs-
überlegungen für diejenige Partei entscheide, die seine Präfe-
renzen am besten bediene. Die Parteien ihrerseits versuchten,
alle Nachfrager des gleichen Produkts in ihrer Werbung -
den politischen Programmen - zu erreichen. Allzu starkes
Eingehen auf Rand- oder Wechselwähler - Grenzkosten -
liefe aber Gefahr, ein Teil der Treuekunden abspenstig zu
machen. Wähler und Parteien operierten unter Nullsummen-
prämissen. Was die eine Partei dazugewinne, verliere die
andere. Seien mehrere Parteien und eine breitere Streuung
der Wählerpräferenzen im Spiel, werde das Parteien- und
Wählerkalkül schwieriger. Der Wettbewerb erweitere sich
zum Mehrsummenspiel. Das Bild des rationalen Konsumen-
ten wird hier konsequent auf den politischen Markt übertra-
gen. Es erlaubt immerhin, eine Präferenz mit unterschiedli-
chen Inhalten zu füllen: ökonomischer Vorteil, Konfession,
kulturelle Identität, was auch immer. Von daher ist es nicht
erstaunlich, daß die Parteien- und Wählerverhaltensfor-
schung Downs seinerzeit mit Emphase begrüßt haben und
ihn heute noch als Klassiker hochleben lassen. Die Verbin-
dung zur Ökonomie wie zur quantifizierenden Politikwissen-
schaft wird durch das Rationalitätskalkül und den individua-
listischen Ansatz hergestellt.
William Riker bringt die Rationalität politischen Han-
delns in den Prozeß der Mehrheitsbildung ein (zum folgen-
den Riker, 1968). Kandidaten, die um Mehrheiten würben,
oder Parteien, die parlamentarische Mehrheiten bilden woll-
ten, handhabten Abstriche von ihren originären Präferenzen -
Programmen - wie ein Kapital, das es sparsam, wie eine
Investition, einzusetzen gelte, um von der eigentlichen Präfe-
renz soviel Substanz wie möglich zu bewahren. Alles, was
über die "minimum winning coalition" hinausgehe, seien
überzahlte Mehrheitskosten - das Kompromißprodukt werde,
gemessen an der Ausgangspräferenz, zu teuer. Die Abstriche

209
könnten sich womöglich bald darin bemerkbar machen, daß
die Mehrheit an den Stellen bröckele, wo über das Mehr-
heitsminimum hinausgreifende Konzessionen gemacht wür-
den. Riker hat ganze Heerscharen von Koalitionsforschern
beflügelt. Der Common sense würde ihn gleich mit der Be-
obachtung kontern, daß Politik, Gesetzgebungsmehrheiten
oder Koalitionsverhandlungen nicht in der Art einer innerbe-
trieblichen Kostenrechnung ablaufen. Koalitionen kommen
nicht allein durch Köpfezählen, sondern häufiger durch die
Bestandsaufnahme politischen Konsenses in bestimmten
Fragen oder durch politische Unverträglichkeiten zustande.
Ob die Koalition anschließend 50 % + x oder 50 % + y der
Grundmenge umfaßt, ist nicht der entscheidende Punkt.
Mancur Olson überträgt das Paradigma des nutzenmaxi-
mierenden Individuums auf Interessengruppen. Wer immer
motiviert sei, sich einem Verband anzuschließen, tue dies in
der Erwartung, damit ein ökonomisches Ziel zu erreichen,
d.h. eine Präferenz zu realisieren, die andernfalls außerhalb
der Reichweite bliebe (zum folgenden Olson 1985, Erstaufl.
1965). Olson bezeichnet Gruppen und Verbände als
"Verteilungskoalitionen". In kleinen Gruppen ließen sich
persönlicher Vorteil und Einsatz am besten überschauen und
kontrollieren. Dem gemeinsamen Zweck, der Erwirtschaf-
tung eines allen zugute kommenden Vorteils, würden sie
besser gerecht als große, mitgliederstarke Gruppen, in denen
das beitragszahlende Mitglied so gut wie keinen Einfluß auf
die Geschäftsführung ausübe. Diese Großgruppe - der Ver-
band - müsse sich hierarchisch organisieren und entferne
sich auch räumlich schon so weit von den Mitgliedern, daß
ihre Führer weitgehende Handlungsfreiheit erhielten. In sol-
chen Verbänden drohe die Gefahr, daß die einfachen Mit-
glieder ihren erwarteten Vorteil vermißten; sie könnten ihre
Mitgliedschaft aufgeben, um die Beitragskosten zu sparen.
Nicht-Mitglieder profitierten oft um nichts weniger von den

210
Erfolgen, die von der Verbandsfuhrung ftir die organisierten
Mitglieder einer Erwerbs- oder Berufsgruppe erkämpft wür-
den. Ein Trittbrettfahrerdilemma und eine Kostenfrage! Un-
ter diesen Auspizien halten nach Olson organisierte Groß-
gruppen nur dann zusammen, wenn sie den Mitgliedern ma-
terielle Vorteile gewährten, die mit dem eigentlichen Grup-
penzweck nichts mehr zu tun hätten. So oder so verursache
die Organisiertheit des Wirtschaftslebens volkswirtschaftli-
che Kosten und beeinträchtige sie das optimale Funktionie-
ren des Marktes (zum folgenden Olson 1991, Erstaufl. 1982).
Das Nachsehen habe der Investor oder Konsument, der ftir
ein Produkt in organisierten Industriezweigen mehr zahle, als
wenn es dort allein frei entscheidende Individuen und keine
kollektiven Akteure gäbe. Immerhin, so Olson, seien die
großen Gruppen volkswirtschaftlich weniger schädlich als
die kleineren. Könnten die Verbandsfuhrungen doch im-
merhin zu verantwortungsbewußtem Gebaren angehalten
werden, wobei die Triebfeder auch wieder Nutzenkalkül sei!
Politiker wollten Wahlen gewinnen, Verbandsfuhrer den zur
Verteilung anstehenden Kuchen mindestens so groß wie
gehabt - und beide wüßten, daß dazu Verteilungskämpfe,
Arbeitslosigkeit und Konjunkturschwäche schlecht paßten!
Sie handelten also im Eigeninteresse, wenn sie sich nicht zu
Sklaven ökonomischer Klientelforderungen machten. Groß-
gruppen erleichterten es ihnen, dieses Interesse zu verfolgen.
In kleinen Verteilungskoalitionen gebe es keine intakten
Hierarchien, der Basisdruck verhindere ökonomisch sinnvol-
les Nachgeben oder Kompromisse.
Es dürfte deutlich geworden sein, daß auch Olson dem
Bild des Homo oeconomicus anhängt. Er wechselt im Ver-
gleich zu den zuvor besprochenen Autoren aber die Perspek-
tive. Das Nutzenmaximieren einzelner kann sich nachteilig
ftir den Markt auswirken, wenn es mit kollektivem Handeln
einhergeht. Aber unter allen insoweit unerfreulichen Varian-

211
ten kollektiven HandeIns gibt es einige, die erträglich sind,
weil sie dem einzelnen praktisch die Möglichkeit nehmen,
seinen Vorteil überhaupt noch zu erkennen und zu verwal-
ten: die Großverbände. Nutzenorientiertes Verhalten, an sich
die Prämisse der ökonomischen Politiktheorie, schlägt ins
Negative um, sobald es Kollektivbildungen bewirkt. Denn
wozu dienen solche Kollektive? In der Marktwirtschaft ma-
chen sie nur Sinn in Tarifverhandlungen und Einflußnahmen
auf Regierungsentscheidungen. Damit sind die bei den
Hauptschurken in der wirtschaftsliberalen Dämonologie
benannt - Gewerkschaften und Staat. Erstere treten zwischen
den freien Kontrakt zwischen Arbeitgebern und Beschäftig-
ten, letzterer greift per Steuern in das persönliche Vermögen
ein. Der Kreis schließt sich. Olson landet beim gleichen
Thema wie Buchanan, doch mit bemerkenswerten Akzent-
verschiebungen. Er läßt sich auf Institutionen ein, auch wenn
er dabei letztlich am methodologischen Individualismus
haften bleibt. Und er operiert mit einem holistischen Argu-
ment - volkswirtschaftlichen Vor- und Nachteilen, die das
Denken, so muß man unterstellen, wenigstens von Politikern
und Verbandsfuhrern beeinflussen. Diese Perspektive hat
Olson in Teilen der empirischen Politikforschung große,
wenngleich keineswegs unkritische Aufnahme verschafft
(Schubert 1992).
Lassen wir zuletzt noch Hirschman zu Worte kommen,
der sich auf die Grenzen des ökonomischen Ansatzes bei der
Politikerklärung einläßt. Die ökonomischen Politiktheorien
faßten allein Policies und Konflikte ins Auge, die typischer-
weise in Marktgesellschaften auftreten und auf den Lö-
sungswegen des Kompromisses, des Verhandelns oder der
Kompensationslösung für das Nachgeben einer Seite gere-
gelt werden könnten - also "teilbare" Politik, in der es um
zurechenbare materielle Vor- oder Nachteile geht. Doch in
den letzten Jahren seien nicht-teilbare Konflikte immer stär-

212
ker hervorgetreten, so etwa das Streben von Sprach- oder
Kulturgruppen nach Anerkennung ihrer Besonderheiten oder
nach Sonderstatuten in bestehenden Nationalstaaten, so fer-
ner etwa die Infragestellung des staatlichen Regelungsan-
spruchs aus religiösen Motiven in Fragen wie der Abtreibung
oder der Einführung/Abschaffung des Religionsunterrichts
an öffentlichen Schulen oder der Beseitigung offener und
versteckter Diskriminierung gegen Frauen, Minderheiten
oder Angehörige anderer Rassen. Bargaining- oder Mudd-
ling-through-Modelle könnten hier nicht weiterhelfen, schon
gar nicht die Mehrheitsentscheidung oder die Zielmarke des
Minimalstaates (Hirschman 1994).
Auch die Vorstellung, im Rahmen der überkommenen
Interessen- und Organisationsstruktur des liberalen politi-
schen Systems ließen sich die grundlegenden Ereignisse in
der Politik erklären, erscheine zweifelhaft. Es gebe neben der
modellkonformen Reaktion des Widerspruchs gegen miß-
liebige Vorschläge und Entscheidungen prinzipiell noch die
Option des Abwanderns (Hirschman 1974). Mag es sich um
den Wähler handeln oder um das Mitglied einer auf Freiwil-
ligkeit basierenden Organisation, ja auch um den Bürger als
solchen: Stets gebe es die Möglichkeit, unliebsame Politik-
betroffenheit mit Widerspruch, also Protest, Rechtsklage,
Kritik, Gruppenbildung oder Parteienwechsel, oder aber
eben ganz anders mit Abwanderung zu quittieren, wobei der
politische Konsument dann einfach nicht mehr mitspiele,
Steuern hinterziehe oder andere Gesetze mißachte oder aus
dem Arbeitgeberverband austrete, um sich nicht mehr an das
Regelwerk eines Tarifvertrags halten zu müssen.
Bestimmte politische Handlungsmotive könne das öko-
nomische Denken gar nicht erfassen. Offenbar erwachse
politisches Engagement auch aus dem intrinsischen Wert der
Betätigung für öffentliche Zwecke. Der Einsatz und das
Handeln entfalteten dort einen eigenen Wert - unabhängig

213
von der Erfolgsaussicht im Sinne bestimmter Ziele. Wähler,
die von den Ergebnissen der Politik enttäuscht sind, mögen
sich fortan enthalten. Aber sie können ihre Stimme nicht
verkaufen. Und die aktiven Wähler haben jeweils nur eine
Stimme. Rabatte oder Aufschläge, mit denen Wähler, Partei-
en und Kandidaten für Mehrheiten werben könnten, sind
nicht zulässig. Der politische Markt ist eben keiner - oder ein
anderer als im Bild der Umgangssprache und der Fachöko-
nomie. Wo das Nutzenkalkül ab einem bestimmten Punkt
vom weiteren Einsatz von Zeit und Ressourcen für eine ab-
sehbar wenig aussichtsreiche Sache abraten würde, machen
die Engagierten weiter, weil sie eben nicht nur die potentiell
erreichbaren Stimmen kassieren, sondern auch eine bestimm-
te Politik wollen, für die es wichtig erscheint, daß sie als
Thema lebendig bleibt (Hirschman 1988).
Wie die hier skizzierten Theorien zeigen, kann die An-
wendung des ökonomischen Rationalitätsprinzips auf die
Politik recht plausibel eine Reihe von Erscheinungen erklä-
ren, die im Mittelpunkt der empirisch interessierten Politik-
wissenschaft stehen. Sie nehmen sich der Institutionen an,
politischer Loyalität und Problemen der Legitimitätsbeschaf-
fung. Bei alledem kommen sie auf das kritische Moment der
großen Zahl zu sprechen: Die face-to-face-Rationalität zwi-
schen Anbieter und Käufer läßt sich nicht ohne weiteres auf
Großkollektive übertragen. Sanktionsfurcht bei bewußtem
Fehlverhalten wird im großen statistischen Ganzen durch
geringe Entdeckungswahrscheinlichkeit gemindert. Die öko-
nomische Theorie der Politik thematisiert Dilemmata, die
letztlich auf Geschichte und Common sense verweisen. Sie
stellt psychologische und soziologische Prozesse ökonomie-
sprachlich dar und gibt damit auch der Politikwissenschaft
eine Reihe heuristisch wertvoller Anregungen.

214
8.2.2. Rational choice. Die ökonomiebereinigte Ratio

Die Rational-choice-Theorien sind vom Rationalitätspara-


digma der ökonomischen Theorie abhängig (Petracca 1991,
178), die Unterscheidung zwischen beiden ist oft unmöglich.
Generell löst sich die Rational-choice eher aus dem Kontext
der ökonomischen Beispiele und Metaphern. Damit stehen
Abstraktionen offen, die wirtschaftliche Analogien nicht
hergeben. Das Zentralthema der Rational choice ist die Frage
nach den Bedingungen und Möglichkeiten rationaler Koope-
ration unter Menschen, denen es die Umstände nicht erlau-
ben, den optimalen persönlichen Vorteil im Alleingang zu
suchen. Rational choice fußt, wie die geschwisterliche Public
choice, auf dem methodologischen Individualismus. Sie
operiert mit der Annahme zur Fähigkeit, unter verschiedenen
Handlungsmöglichkeiten jene auszuwählen, die mit dem
geringsten Aufwand zum Ziel führt. Nur kann sich diese
Präferenz jetzt auch auf moralische Fragen oder generell auf
nicht-quantifizierbare Bedürfnisse beziehen. Rationalität
wird zur reinen Zweck-Mittel-Umschreibung, wobei es sich
um Zwecke handeln kann, die vom Standpunkt der meisten
Menschen durchaus irrational erscheinen mögen
(Zimmerling 1994). Die instrumentelle Rationalität im Sinne
eines modellhaften Als-ob-Verhaltens darf nicht in Frage
gestellt werden; sie macht den gemeinsamen Kern aller Ra-
tional-choice-Theorien aus. Entscheidend ist, wie es Riker
drastisch formuliert, daß der Akteur weiß, was er will und
seine übrigen Wünsche entsprechend ordnet oder hintan-
stellt. In Beispielen, die beim Leser einen schalen Ge-
schmack hinterlassen, fuhrt er die Aufopferung amerikani-
scher Soldaten im Zweiten Weltkrieg für das Überleben ihrer
Kameraden - bei detaillierter Fallbeschreibung - auf den
möglichen Entschluß zurück, das eigene Überleben in der

215
Präferenzskala momentan geringer einzustufen als die Zu-
fallschance, vielleicht doch heil davon zu kommen. Im
schlimmsten Fall winkt die Gewißheit, als toter Held geehrt
zu werden (Riker 1995). Die Investition in einen guten Ruf,
um ein weiteres Beispiel zu geben, mag ein rationales Motiv
sein, die Chance auf leichten und sicheren Gewinn auszu-
schlagen (Vanberg 1988, 23). Diese Illustrationen zeigen,
daß sich die reine Rational choice zur unspezifischen AII-
zwecktheorie eignet, die sich auf beliebige Situationen an-
wenden und insoweit schwer angreifen läßt.
Ein herausragender, indes erklärungsbedürftiger Punkt
der Public- wie der Rational-choice-Theorie ist der Präfe-
renzbegriff. Für Stigler und Becker (1977) gibt es nichts
anderes als stabile, nicht weiter hinterfragbare "tastes". Dem
Ökonomen mag es genügen, damit zu operieren. Sein Ge-
genstand sind die Prozesse, in denen "tastes" ökonomische
Entscheidungen auslösen und diese wieder einen Markt
konstituieren. Für allgemeinere Theorien der rationalen
Wahl mutet das Geschmacksargument dürftig an. Lassen
sich politisches Engagement oder Passivität einfach mit Ge-
schmackslagen umschreiben, wie die Wahl zwischen einem
VW-Golf und einem Honda Civic? Einige Choice-
Theoretiker haben ein Einsehen. Vanberg und Buchanan
schlagen vor, nicht von Präferenz zu sprechen, sondern diese
in eine Interessenkomponente der Rational choice und eine
Verfassungskomponente der Human choice zu zerlegen. Die
Präferenz würde so zur persönlichen Nutzenfunktion bei
Akzeptanz vernünftiger Einschränkungen. Die "human
choice" wäre danach ganz rational im Hinblick auf die kon-
fliktfreie Koordinierung des Nebeneinanders zahlreicher
Interessen (Vanberg/Buchanan 1989). Das könne aus der
Sicht individueller Nutzenverfolgung bedeuten, daß eine
suboptimale Strategie gewählt werden müsse. Die Einigung
auf bestimmte Regeln beim Verfolgen persönlicher Interes-

216
sen komme indes allen und damit auch jedem einzelnen zu-
gute, weil sie Reibungen verringere, bestimmten Fairneß-
vorstellungen Rechnung trage und sozialen Frieden produ-
ziere. Das politische System als ein auf Interessen beruhen-
der Vertrag. Gut und schön! Die Autoren müßten nicht sich
selbst und sogar Habermas bemühen, um auf diese Weise
den Staat zu begründen. Dieses häßliche Wort wird übrigens
konsequent vermieden. Das alles findet sich bereits, wenn
auch nicht in der schweren Prosa szientistischen Stils, bei
den Altvorderen des Vertragsdenkens, bei Hobbes und Lok-
ke. Immerhin: Hier gelangen zwei Choice-Theoretiker zum
Anliegen der politischen Theorie und setzen sich sogar mit
der modernen politischen Philosophie auseinander.
Die Spieltheorien verdichten und verketten Rational-
choice-Annahmen in Modellen, die einerseits dem Postulat
logischer Konsistenz folgen, andererseits jedoch Wahlmög-
lichkeiten zwischen durchweg rationalen, verschiedenen
Handlungsoptionen aufdecken. Spieltheorien kreisen um die
Entscheidungsdilemmata von Spielern, die entdecken, daß
die kompromißlose Verfolgung ihrer individuellen Aus-
gangspräferenz keineswegs der vernünftige Weg ist, wenn
sie ihren Vorteil nur in Kooperation mit anderen realisieren
können.
Die Mathematiker von Neumann und Morgenstern (1944)
gelten als Väter der Spieltheorie. Ihr Anliegen war der
Nachweis einer Logik kooperativen Verhaltens in Gesell-
schaftsspielen. Luce und Raiffa (1957) haben ihr Werk fort-
geftihrt. Unter Spieltheoretikern gelten sie als Klassiker.
Bemerkenswert, daß sie in der Einleitung ihres Buches ver-
merken, die von ihnen durchgespielten Situationen rationa-
len Verhaltens sollten bitte nicht mit möglichem Sozialver-
halten analogisiert werden. Die Epigonen in der Sozialwis-
senschaft haben sich nicht darum gekümmert. Und so plagen
denn Hochschullehrer, bei deren Mathematisierungswut man

217
sich fragt, wie sie in die Politikwissenschaft geraten sind
(repräsentativen Abschreckungswert haben die Werke von
Druwe/Kunze 1994, 1996), Leser ihrer Schriften und - weit
folgenreicher -Studenten mit vielerlei Versionen des Priso-
ners' dilemma und ähnlichen Beispielen, vielleicht gutem
Denksport fur einschlägig Begabte, aber fernab der politi-
schen Alltagsbeobachtung. Die an sich schon kontextberei-
nigte Rational-choice-Theorie wird von den Spieltheoreti-
kern auf die Spitze getrieben. (Eine bemerkenswert konzise
Vorstellung der Spieltheorie leistet Bodemer 1978.)
Die Grundfigur des Nullsummenspiels variiert das Di-
lemma zweier in Einzelzellen einsitzender Untersuchungs-
häftlinge, die gemeinsam ein geringes Delikt begangen ha-
ben, aber eines Schwerverbrechens verdächtigt werden. Sie
können eine Verurteilung wegen dieses Delikts abwenden,
wenn sie durch Vorteilskalkül dahin gelangen, ein geringeres
Delikt zuzugeben. Einem Beschuldigten winkt Straffreiheit,
wenn er sich dem Staatsanwalt als Kronzeuge andient, dem
anderen aber die Höchststrafe. Zwei rigoros auf den eigenen
Vorteil bedachte Personen sind hier also gehalten, das Risiko
des alleinigen Verlierers zu minimieren, indem sie rational
die Vorteile des Vertrauens in den anderen durchkalkulieren.
Dieses Vertrauen hat seinen Preis. Der Verzicht auf die
Kronzeugenrolle kostet beide immerhin eine geringe Haft-
strafe oder was auch immer. Dieses Dilemma läßt sich alge-
braisch darstellen und in verschiedenen Varianten logisch
durchspielen. Das Prisoners' dilemma ist auf alle möglichen
Problem lagen angewandt worden. Seine grundlegende
Schwäche, weil Grundbedingung, ist die Haftanstalt als Aus-
gangspunkt. Politik basiert auf verbaler oder nonverbaler
Kommunikation. Dabei mag es zu Fehleinschätzungen
kommen. Steckt der Gefangenenstaat A in der Zelle des
Staatsanwaltsstaates B oder nimmt die Großgrundbesitzer-
klasse X im Vernehmungsraum Platz, um die Agrarrevoluz-

218
zer der Linkspartei Y zu verhören - was brauchen beide da
noch Geständnisse, wozu Gerichte? Hier regelt sich die Sa-
che doch wohl qua Siegerrecht oder Recht des Stärkeren.
Und wo die Zellenanalogie nicht paßt, im pluralistischen
Machtgerangel, da gibt es auch Kommunikation. Es mag
dort bisweilen sogar rational zugehen, aber es fehlen die
Schließer und Oberschließer an der mehr oder minder kurzen
Leine des Staatsanwalts.
Nehmen wir eine weitere beliebte Rational-choice-
Metapher in Augenschein: Es geht um die Vernunftgrenzen
des Eskalationsverhaltens. Wenn ein Akteur stillhält, um das
Verhalten seines Widerparts abzuwarten, dieser aber sein
Drohverhalten steigert, wird der Akteur nachziehen, um mit
einer Gegendrohung Schritt zu halten. Nach dem Muster
"Tit-for-tat" beim Wettrüsten zwischen zwei Staaten stellt
sich irgendwann die Frage, ob nicht jedes Nachholen oder
Vorauseilen bei waffentechnischen Neuerungen die Ressour-
cen überfordert, ohne einen Sicherheitsgewinn zu erwirt-
schaften. Daraus mag die Einsicht auch des Provokateurs
folgen, den Wettlauf einzustellen, weil dieser nicht zu ge-
winnen ist. Das Resultat wäre Rüstungskontrolle (Axelrod
1988).
Großer Beliebtheit erfreut sich das "chicken game". Zwei
Rivalen oder Kontrahenten setzen jeder aufs äußerste, um
die andere Partei durch frappantes Risikoverhalten zum
Einlenken zu bewegen. Basisvorstellung (a la James Dean):
Zwei Youngster rasen in Schrottautos aufeinander zu; wer
ausweicht, stigmatisiert sich als Angsthase. Allisons Mehre-
benenstudie über die kubanische Raketenkrise von 1962, auf
der ersten Ebene als Duell zwischen dem amerikanischen
und dem sowjetischen Entscheidungssystem angelegt
(Allison 1971), ziert die Basisliteraturangaben überzeugter
Rat-choicers nah und fern. Worum geht es? Hier wie dort
darum, den Gegner zum Rückzug zu veranlassen. Bei der

219
Automutprobe ist Kooperation zwischen den Beteiligten
mangels Zeit - es wird schnell gefahren - und Verständi-
gungsmöglichkeit - also auch kein Handy - nicht möglich.
Wo die Bedingungen anders liegen, mag ein quid pro quo
zwischen geordnetem Rückzug und Vermeidung der Sieger-
pose die Katastrophe abwenden. Übertragen auf die auto-
mobilen Prestigesüchtigen: lohn F. Kennedy und Nikita
Chruschtschow finden in der Kuba-Krise Zeit und Gelegen-
heit, das Voreinanderausweichen so lange hinzuzögern, daß
die Zuschauer auf der Weltbühne nicht auf ihren Nervenkit-
zel verzichten müssen.
Ein letztes Beispiel - "Battle of the Sexes": Wenn sie in
die Berge will und er an die See, bei Nicht-Einigung aber die
Trennung droht - was wird dann das Ergebnis des Kalküls
dieser beiden mathematisch hochbegabten sich Liebenden
sein: Statt Kampen oder St. Kathrein nun das Emsland, Hil-
desheim oder Wanne-Eickel? Wie man auch immer über die
Institution der Ehe oder artverwandte Arrangements denken
mag, stellt sich dem schlichten Gemüt hier die Frage, was
um alles in der Welt diese bei den außer der innigen Zunei-
gung zur Spieltheorie überhaupt zusammengebracht hat.
Natürlich gibt es auch Spiele mit einer Vielzahl von Beteilig-
ten, die entsprechend kompliziertere Entscheidungsprobleme
aufwerfen. Doch die nähere Vorstellung lohnt sich nicht. Ob
nun die Spieltheorie als Beispiel für Rational choice oder
andere Konstruktionen - mit Politikwissenschaft hat das so
gut wie nichts zu tun. Politik ist hier eben nur ein Anwen-
dungsfall für Entscheidungssimulationen. Und diese treffen
sich sämtlich darin, daß sie das Prisoners' dilemma variie-
ren: Durchweg sind emotions lose Spieler anzutreffen, die in
kommunikativ geschlossenen Räumen untergebracht sind.
Gitter und Mauern, wie im Prisoners' dilemma, auch dort,
wo das zur Kalkulation verkümmerte vermeintliche Sozia-
lereignis ins Freie verlegt wird. Die einzigen, die vielleicht

220
noch den Überblick behalten, sind hier diejenigen, die sich
das alles ausgedacht haben.
Eines der mit Rational choice verbundenen Probleme ist
die Analogisierung individuellen Nutzenstrebens mit dem
sozialer Kollektive. Spuren hat Rational choice im Fach
hauptsächlich in Theorien der Internationalen Politik hinter-
lassen. Die anarchische Komponente der internationalen
Beziehungen in Gestalt von Staaten, die um Machtvorteile
konkurrieren, trifft die politische Regelfremdheit der Spiel-
kombinationen rationaler Akteure vordergründig recht gut.
Allerdings rangieren die Theorien, die sich auf das Paradig-
ma einlassen, von realistischen und neo-realistischen - auf
Macht zentrierten - Modellen bis hin zu Modellen interna-
tionaler Regime, die das Kalkül der Staaten auf Kooperation
lenken. Regierungen als die herausragenden Akteure der
internationalen Politik dürften unter der Beratung gut aus-
gebildeter Diplomaten und dank professionalisierten politi-
schen Managements zu rational kalkulierendem Handeln
immerhin fähiger sein als das reichlich strapazierte beliebige
Einzelexemplar der Gattung Mensch, das unter den Rational-
choice-Annahmen in jeder Lebenslage konkrete Ziele be-
nennen und bei begrenzten Ressourcen und hohen Informati-
onskosten danach seinen Mitteleinsatz bemessen muß
(Axelrod 1976, s. auch Allison 1971). Regierungen sind
hierarchisch organisiert, Bürokratien treten stets in pluraler
Gestalt auf, sie verfolgen ihre spezifischen Eigeninteressen.
Die Erfahrung zeigt zudem, daß Regierungen und Staatsbü-
rokratien nicht im interesssenfreien Raum agieren, sondern
vielmehr eng mit der Gesellschaft verknüpft sind. Ein we-
sentlicher Teil der Außenbeziehungen entzieht sich in
marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaften ihrer Kon-
trolle. Ihre eventuell auf Wirtschaftsmacht berechneten
Handlungen werden durch die Standort- und Investitionsent-
scheidungen multinationaler Konzerne häufig verwässert.

221
Der Mikro-Makro-Sprung vom Individuum zum politischen
Kollektiv gerät in concreto leicht zum Salto mortale. Hart-
kernige Rational Choice ist außerstande, auf die Eigendy-
namik politischer Institutionen und historischer Erfahrungen
einzugehen. Für Entscheidungsspiele, ja selbst ftir Teilaspek-
te realer Situationen mag sie brauchbar sein.
Gewiß kann man Alltagskonflikte in die Rational-choice-
Konstruktionen hineindeuten (Dowding 1994, 112). Aber
stehen sie eigentlich im Mittelpunkt? Sie lassen sich
schlechterdings nicht ohne Kenntnis näherer Umstände ver-
nünftig erörtern. Bei der Spieltheorie hat man etwa den Ein-
druck irgendwelcher Tests für kopfgesteuerte Menschen, die
mindestens eine Zwischenprüfung in Mathematik locker
sollten schultern können. Wer nimmt das eigentlich ernst?
Wen interessiert das außerhalb des selbstreferentiellen Zir-
kels von Rational choicers, die seit einigen Jahren im
"Journal of Theoretical Politics" ihr eigenes Gemeindeblatt
besitzen? Zu dessen Respektabilität ist immerhin anzumer-
ken, daß es auch herbe Kritiker zu Wort kommen läßt. Las-
sen die Public choicers, die ja der Rational Choice nicht all-
zu fern stehen, noch immerhin eine gewisse Konkretheit
erkennen, indem sie immer mal wieder den Staat auf die
Scheiben ihrer Schießanlage drucken, geriert sich die Ratio-
nal choice als eine Art Grundlagenforschung. Verbalisierun-
gen machen sich ab einem gewissen Umfang als Übel ver-
dächtig. Eigentlich nur konsequent, wenn man bedenkt, daß
Sprache - da kulturell geprägt - ein Kontextprodukt bedeutet!
Wie die Formelsprache der Mathematiker ist Rational choice
allein dem intellektuellen Kontext des logischen Schließens
verhaftet (Wood/McLean 1995,704). Dabei kann vom poli-
tikwissenschaftlichen Standpunkt über die Mathematik oder
gegen die Mathematiker nichts gesagt werden. Aber die
Mathematik ist keine Sozialwissenschaft, wenn fur diese hier
und dort auch überaus nützlich! Problematisch, ja fragwürdig

222
sind indes jene Politikwissenschaftler, die mathematische
Neben- und Hilfsqualifikationen so hoch ansiedeln, weil sie
sich dadurch vermutlich aus der eigenen Herde herausheben,
daß sich die bohrende Frage steHt, ob "politisch" oder
"Politik" hier nicht einfach zum Präfix einer ganz anderen
Sache - z.B. der Karrierestrategie - geworden ist. Hier tobt
seit kurzem eine heftige Kontroverse um den Vorwurf, die
Rational-choice-Theorien kümmerten sich in ihrer Metho-
denverliebtheit überhaupt nicht mehr um die klassischen
Probleme und Fragestellungen der Politikwissenschaft
(Green/Shapiro 1994). Dem wird sowohl aus dem Zentrum
der Rational-choice-Anhänger als auch von einigen Kritikern
widersprochen, wobei letztere ein politikwissenschaftliches
Erklärungspotential nicht prinzipiell bestreiten; es werde nur
unzureichend genutzt (vgl. die Beiträge in Friedman 1996).
Das Spektrum des Pro und Kontra zeigt an, daß sich über
Rational choice kaum weniger engagiert streiten läßt als über
Themen der politischen Philosophie. Letztlich stehen Men-
schen- und Wissenschaftsbilder im Mittelpunkt - die Ratio-
nal choice charakterisiert den Menschen eben nur durch die
kalkulierende Ratio. Hier läge dann die Forschungsstrategie
einer sich mechanistisch verstehenden Sozialwissenschaft
nahe. Hat man es mit Ausgangsbildern zu tun, die Charakter-
oder Milienprägung in den Mittelpunkt stellen, dann greift
Rational choice ins Leere.

8.2.3. Bilanz

Die Kritik an Rational choice und Public choice hat einen


wissenschaftlichen und einen politischen Aspekt. Zunächst
verschließt die aus der Mikroökonomie kommende Metapher
jedes andere als das strikt rationale Deutungsmuster in der
auf den eigenen Vorteil berechneten Definition von Ratio-
nalität. Der methodologische Individualismus drückt den

223
Kontext - Religion, Kultur und Geschichte - ins Abseits
(Petracca 1991, 80). Daß die Marktmetapher bestimmte,
vielleicht sogar wichtige Aspekte politischen Verhaltens
trifft, dürfte unbestritten sein. Die Frage ist nur, ob der un-
erklärte Rest nicht zu groß bleibt, um den Ansatz flir eine
wirkliche brauchbare politische Theorie zu nehmen. Die
Vorstellung eines Selbst, das aufgrund biographischer Prä-
gung im Verhalten seine Umgebung mit ausdrückt, steht
dagegen (Monroe 1995). Die Marktmetapher, so Almond,
war in der Sozialwissenschaft nie so dominant wie heute
(Almond 1991,44 ff.). Erst in den 60er Jahren gewann sie
die Oberhand. Nach der Erklärung muß man nicht lange
suchen. Die Naturwissenschaft bot außer dem Experiment
für den SozialwissenschaftIer nicht das rechte. Die Ökono-
mie war schon etwas anderes. Sie hatte ein Kausalitätsmo-
dell, einfache Prinzipien und ein Feld sozialen Handeins, auf
dem sie nicht versagte, eben das ökonomische Handeln
(Calvert 1993, 197). Zudem war sie stark mathematisiert und
auf dieser Ebene für Behavioralisten und Rational-choice-
Liebhaber gesprächsfähig. Second best immer noch im Ver-
gleich zu den Naturwissenschaften, aber aus einem Guß und
mit logischer Struktur.
Hirschman hebt den heuristischen Charakter der Interes-
senmetapher heraus. Diese habe in der Renaissance einfach
dazu g~dient, gesellschaftliches Verhalten in einer komple-
xer werdenden Welt kalkulierbar zu machen. Interessen
konstituierten eine vorgestellte, mit alltäglichen Erlebnissen
und Beobachtungen kongruente, also eine entschlüsselbare
Welt (Hirschman 1987, 49, 51 ff.). Die Idee handlungslei-
tender Interessen sei im Laufe der Zeit flir die Welt selbst
genommen worden. Bester Beweis daflir sei das reaktionäre
Denken dieser Tage, das jede Infragestellung der Rationalität
des Marktes als Leugnung einer Naturgesetzmäßigkeit ver-
werfe. Das Kind werde so mit dem Bade ausgeschüttet

224
(Hirschman 1992, 91 f., 139). Natürlich greife unverändert
die ökonomische Interpretation der Welt. Doch sie treffe nur
einen wichtigen Aspekt. Daneben gebe es andere, politische
Handlungsmotive, die das ökonomische Denken nicht zu
erfassen vermöge (Hirschman 1988, siehe auch Steiner 1990,
47).

8.3. Die Kontextverhüllung rationalen Handeins

8.3.1. Bounded rationality

Einer der schärfsten Kritiker des Rational-choice-Denkens,


Herbert A. Simon, gilt zugleich - mit Recht - als einer der
ersten Apostel des BehavioraIismus. In einem Buch, das
noch keine zehn Jahre später als Klassiker gehandelt wurde,
entfaltete Simon eine Theorie des Organisationsverhaltens,
die in der expliziten Auseinandersetzung mit dem Bild des
Homo oeconomicus einen zentralen Einwand vorbrachte.
Die Ökonomie schweige über die Inhalte von Präferenzen.
Damit weiche sie der Frage aus, ob denn nun alle Werte, die
Individuen rational anstrebten, tatsächlich miteinander ver-
einbart werden könnten. Und sie irre darin, daß sie den Men-
schen voraussetze, der über alle möglichen Informationen
verfuge, um in einer Entscheidungssituation die optimale
Wahl zu treffen (Sirnon 1957, Erstaufl. 1947: xxiii ff.). Im
Vorwurf an die Freudsche Psychologie, sie bringe Verhalten
mit Affekten und Gefühlen zusammen und vernachlässige
die rationalen Aspekte des HandeIns, kommt der Behaviora-
list Simon zum Vorschein. Diese Auffassung lehnt er ab.
Menschliches Verhalten sei schon rational, laufe jedoch ganz
anders ab, als die ökonomische Theorie behaupte. Handeln
sei zielgerichtet (goal directed), doch es begnüge sich mit
weit weniger Informationen, als sie dem Homo oeconomicus

225
unterstellt würden. Der Einzelperson - als Satisficer - genüge
es, wenn sie ihre Ziele bis zu einem bestimmten Punkt errei-
che. Die Zieloptimierung hingegen erfordere hohe Informa-
tionskosten, ganz davon abgesehen, daß vollständige Infor-
miertheit sowieso nicht möglich sei (Sirnon 1957, 96 ff.;
1987, 26 f.). Handeln finde unter den Bedingungen be-
schränkter Rationalität - Bounded rationality - statt. Das
heißt: Durch die Orientierung an Präzedenzfällen, durch die
Suche nach Analogien mit früheren Entscheidungen, durch
Gewohnheit und bewährte Daumenregeln würden schwieri-
ge, mit vielen denkbaren Optionen befrachtete Entschei-
dungssituationen vereinfacht, oft so erfolgreich, daß sie
habituell, im Routineverfahren getroffen würden (Sirnon
1985, 1995).
Um das Bild zu runden und Simon und seinem Werk Ge-
rechtigkeit widerfahren zu lassen, muß ergänzt werden, daß
Simon durchaus den Standpunkt vertritt, mit Hilfe entspre-
chender Daten könne die Bounded rationality so weit er-
forscht werden, daß es möglich werde, für gewisse Situatio-
nen Handlungsempfehlungen im Blick auf gewollte Ergeb-
nisse auszusprechen (Sirnon 1985, 294; 1990, 33). Ob man
mit diesem typisch behavioralistischen Anspruch nun sympa-
thisiert oder nicht - Simon hat als erster Sozialwissenschaft-
Ier, den man nicht als Anti-Behavioralisten abbuchen kann,
den Kontext in die Analyse des Individualverhaltens hinein-
geholt. Er schlägt damit einen Akkord an, der das Thema der
nicht aus der Ökonomie geborgten postbehavioralistischen
politischen Theorie bildet. Simon, ein ausgebildeter Poli-
tikwissenschaftler, der allerdings mehr in der Ökonomie als
in der Sozialwissenschaft gewirkt hat, erhofft sich vom unab-
lässig kalkulierenden Homo oeconomicus überhaupt nichts.
Er fordert Wirtschafts- und Politikwissenschaftler auf, den
Dialog mit der Psychologie zu pflegen. Diese beschäftige
sich mit den Prozessen, die Menschen veranlaßten und be-

226
fähigten, die komplexe Welt in die ihnen geläufigen
Schnittmuster einzupassen und auf dieser Grundlage zu han-
deln.

8.3.2. Institutionen

Nachdem Simon für die Politikwissenschaft nahezu dreißig


Jahre lang untergetaucht war - seine Schriften haben ihm
bezeichnenderweise den Nobelpreis für Ökonomie eingetra-
gen -, entdeckte sie ihn Mitte der 80er Jahre neu. Das war
kein Zufall. Die politikwissenschaftliche Theorie bewegte
sich jetzt in ähnlichen Bahnen. Nach dem Grund muß man
nicht lange fragen. Das Public- oder Rational-choice-
Paradigma drohte in der nicht-philosophischen politischen
Theorie hegemonial zu werden. Dies stand in keinem ver-
nünftigen Verhältnis zum Treiben der empirischen Politik-
wissenschaft. Simon wiederholte in den 80er Jahren nur, was
er schon immer geschrieben hatte. Nur traf er jetzt auf eine
rezeptive Stimmung. Allerdings stellte er unverändert das
Individuum in den Mittelpunkt seiner Betrachtung und ver-
langte lediglich, psychologische und organisatorische Kon-
texte stärker zu beachten. Die postbehavioralistische politi-
sche Theorie knüpfte vor diesem Hintergrund zunächst bei
diesem Kontext an, an dem sie besonders der Aspekt der
Institutionen interessierte. Institutionen waren als analytische
Kategorie in der Theorie seit langer Zeit aus der Mode ge-
kommen. Sie erinnerten an formale Institutionen, die vom
anti-institutionalistischen Bias des Behavioralismus in seiner
Frühzeit ausgeblendet worden waren.
Der "new institutionalism" ist eine Chiffre für invariante
Verhaltensweisen, etwa für informelle Praktiken, Regeln,
Rollen, ja auch für physische Arrangements wie etwa Parla-
ments- oder Hauptstadtarchitektur. Institutionen im Sinne
solcher Regelwerke bringen Ordnung, Stabilität und Erwar-

227
tungsgewißheit in eine Welt, die chaotisch geraten müßte,
wenn es für administrative oder politische Rolleninhaber
keine Anhaltspunkte gäbe, was von ihnen erwartet wird, was
ihre Vorgänger an derselben Stelle gemacht hätten, welche
Mitteilungen unwichtig, welche davon mit Vorrang zu be-
achten sind (March/Olsen 1984, 743). Angemessenheit und
Identität fließen so als Verhaltensregeln ein und konkurrie-
ren mit Maßgaben wie politischem Nutzen oder Kosten, etwa
für die eigene Karriere. Nicht alles, was getan werden könn-
te, wird getan, weil man es einfach nicht tut, und falls doch,
weil es mißverstanden und mißbilligt würde. Der neue Insti-
tutionalismus findet Anschluß an den älteren, aussage-
kräftigeren Begriff der Konvention, der ähnliches ausdrückt,
wenn auch nicht in sozialwissenschaftlicher Terminologie,
oder an den demokratietheoretischen Begriff eines nicht-
kontroversen Sektors der Politik (Fraenkel 1976), d.h. eines
Konsensbereichs, der in wesentlichen Teilen nicht kodifi-
ziert, aber allgemein anerkannt ist.
Die Prioritätenfolge Simons kehrt sich bei March und 01-
sen um: In erster Linie gilt es die Institutionen zu betrachten,
dann weiß man schon das wichtigste über das Individualver-
halten politischer Akteure! Sie trauen der Institutionentheo-
rie sogar zu, bei entsprechender Informationsdichte den Ein-
fluß von Institutionen auf historische Prozesse nachzuweisen
(March/Olson 1989, 743). Hier klingt ein recht behaviorali-
stischer Optimismus durch. Diese politische Theorie, so
dürfte unschwer einleuchten, paßt weit besser zu dem, was
Politikwissenschaftler gemeinhin beschäftigt, Parlamenten,
politischen Bürokratien, Parteien, Verhandlungen, Policies
und internationalen Organisationen, um einige Themen her-
auszugreifen, als die Rational-choice-Theorien mit ihrem
Zentralbild der humanen Nutzenmaximierungsmaschine.
Douglas faßt den Institutionenbegriff weiter und wendet
ihn auf alle politischen Verhaltensweisen an, die einem ver-

228
einfachten Code für komplexe Standardsituationen folgen.
Institutionen als Bestandteile der individuellen Verhaltensre-
pertoires kapseln vergangene Erfahrungen ein und nehmen
sie als Leitfaden fur das Verhalten in Gegenwart und Zu-
kunft (Douglas 1987, 48, 63 0. In diesem Sinne sind im
folgenden Institutionen als Shorthand für den Komplex der
Simonschen "boundedness" zu verstehen (Douglas/Wil-
davsky 1982, 77). Übrigens folgt die ökonomische Institu-
tionentheorie demselben Gedanken. Einer ihrer führenden
Vertreter konstatiert denn auch, daß die Beurteilung indivi-
dueller Wahlentscheidungen auf der Basis institutionell be-
dingter "constraints" die Unterschiede zwischen den Wirt-
schafts- und den Sozialwissenschaften nivelliere (North
1990, 4 0. Institutionen vereinfachen Probleme, sie erleich-
tern Entscheidungen und entschärfen Konflikte zwischen
Interessen, die ohne die Verarbeitung in einem regelgebun-
denen und praktisch bewährten Ablauf unvermittelt aufein-
ander prallen würden. Auch Institutionen haben ihre Ge-
schichte, und diese wirkt in ihr alltägliches Funktionieren
hinein. Zwar folgen sie ihrem eigenen Programm, wie
Douglas es nennt: sie diagnostizieren eine bestimmte Situa-
tion und ziehen dann alle dort geeigneten und auf sie berech-
neten Register (Douglas 1987, 92). Das Problem der Institu-
tionentheorie ist aber die Frage, wie Institutionen denn mit
Herausforderungen umgehen, die in ihrem Programm nicht
vorgesehen sind. Nach Krasner liegt das Dilemma der Insti-
tutionen in der internationalen Politik so, daß frühere Über-
einkünfte der Beteiligten, mit Dingen in bestimmter Weise
umzugehen, die Spannweite künftiger Optionen beschneiden
(Krasner 1988, 71 f.). Institutionen behalten den Vorteil,
Berechenbarkeit, Stabilität und Ordnung zu erzeugen und
Konflikte handhabbar zu machen. Gleichzeitig wird es Inno-
vationen erschwert, sich durchzusetzen. Hier liegen die poli-
tischen Kosten der Institutionen.

229
Bei allen Vorteilen, die Institutionen bieten, beherbergen
sie ein Lernproblem. Menschen halten die Risiken, mit de-
nen sie in der Vergangenheit gelebt haben, gemeinhin auch
in der Zukunft für tragbar (Douglas/Wildavsky 1982, 69).
Die institutionelle Disposition auf Denken aus der Vergan-
genheit und auf einen unter Umständen seit vielen Genera-
tionen überlieferten Code transportiert Werte und Machtver-
teilungen, die im Laufe der Zeit ihre Legitimität verlieren.
Institutionalisiertes Verhalten kann so betrachtet auch Kon-
flikte heraufbeschwören. Für die Forschung stellt sich hier
die Frage, wie sich Institutionen ändern lassen, wie Simons
"bounded rationality" hier und dort aufgebrochen werden
kann, um Verhalten neu zu programmieren bzw. anders zu
institutionalisieren. Dem Wandel der Institutionen wird da-
bei der Konflikt zwischen überlebten Institutionen und sich
erst bildenden Institutionen vorausgehen müssen (Douglas
1987, 125 f.). Die Vorteile der Institution als Problemlö-
sungshilfe überzeugen dann nicht mehr. Statt dessen wird
ihre Beharrungsfähigkeit zum Problem. Der politische
Konfliktpegel steigt. Wo konträre Gerechtigkeitsideen auf-
einander prallen, nützen Institutionen nicht mehr viel. Ihr
Betriebsstoff ist die Übereinkunft.

8.3.3. Kultur

Wildavsky kommt in seiner Auseinandersetzung mit den


Institutionen auf die ökonomische Politiktheorie zurück.
Schlüssel begriff der Ökonomen ist die Präferenz. Wir haben
oben gesehen, daß Vanberg und Buchanan (1989) den Präfe-
renzbegriff aufgeben, um ihn in Interessen aufzulösen, die
als Wünsche oder Nutzenfunktionen verstanden werden.
Doch das Interesse bleibt dabei so unbestimmt wie zuvor die
Präferenz. Wie, so fragt Wildavsky, kommen denn nun Prä-
ferenzen oder Interessen zustande (Grendstad/Selle 1995)?

230
Wildavsky gibt die Antwort mit der Kultur. Dabei verwendet
er einen eigenwilligen Kulturbegriff, der sich am besten mit
Lebensweise oder "way of life" umschreiben läßt. Kulturen
sind wie Institutionen oder Präferenzen sozial konstruiert. Es
gibt sie, weil Menschen übereinkommen, nach bestimmten
Vorstellungen zu leben (Wildavsky 1987, 5, 8 f.). Durch die
Wahl des Freundes- oder Bekanntenkreises oder durch des-
sen Wechsel gelangen Menschen in Werte- und Erwartungs-
gemeinschaften, oder sie tauschen diese. Diese "Kulturen"
teilt Wildavsky als fanatischer Anhänger der Vierfelderta-
feldarsteIlung in fatalistische, individualistische, hierarchi-
sche oder egalitäre Kulturen ein, je nachdem, wie stark der
Gruppenzusammenhang gepflogen wird oder hierarchische
Rollenverteilungen respektiert werden (Wildavsky 1987, 6;
sehr viel ausführlicher Thompson/Ellis/Wildavsky 1990, 26
ff., siehe auch Jann 1986). Er bezieht sich dabei auf ein von
Douglas entwickeltes sozialanthropologisches Analyseraster,
die "grid-group analysis" (Douglas 1970, 54 ff.; 1982, 188
ff.). Das "grid" beschreibt die hierarchische Orientierung
einer Kultur (was muß ich tun?), die "group" hingegen die
Akzeptanz der Verhaltenserwartung anderer in derselben
Kultur (was darf ich tun?). Wildavskys Unterscheidung der
Kulturen läuft im Kern darauf hinaus, daß es individualisti-
sche Einzelgänger (Individualisten) gibt, die sich nicht in
Hierarchien einbinden und ein eigenes Urteil bilden; des
weiteren passive Menschen (Fatalisten), die sich an einem
Führer orientieren, aber keine Gruppenbindung entwickeln;
ferner wache Menschen, die meinen, daß hierarchische Un-
gleichheiten gerechtfertigt sind (Liberale); und schließlich
andere (Egalitaristen), die Hierarchien beseitigen und Un-
gleichheiten vermeiden wollen, sich aber bereitwillig in
Gruppenzusammenhänge einordnen. Die Rational-choice-
Annahmen irrten darin, daß sie Menschen allein die kompe-
titive Nutzenverfolgung unterstellten. Präferenzen oder In-

231
teressen seien in Kulturen eingebettet, diese Kulturen könn-
ten allerdings gewählt werden. Zwar komme diese Wahl
nicht der Entscheidung fur ein festgelegtes Interessenreper-
toire gleich, aber sie präjudiziere die Bandbreite möglicher
Interessen. Erst das Vorhandensein verschiedener Kulturen
strukturiere die Politik. Wären Lebensweisen beliebig wähl-
bar, wären zielgerichtetes politisches Handeln oder bewußte
Handlungsverzichte unmöglich. Machbar und nachweisbar
seien allein die besagten vier Kulturen bzw. Lebensweisen.
Jeder Way of life entwickle seine politischen Institutio-
nen, die den Anhängern bei einem Minimum an Information
signalisierten, wie sie ein Problem einschätzen müßten und
ob sie ein Interesse artikulieren sollten. Die Institutionen der
hierarchischen Kultur basierten auf einem pessimistischen
Menschenbild; sie sollten die Folgen unvermeidlichen
menschlichen Fehlverhaltens eindämmen. Egalitaristen hät-
ten generelle Schwierigkeiten mit Institutionen, da diese qua
Existenz gesellschaftliche Differenzen erzeugten (zugunsten
derer, die sich ihrer bedienten). Liberale schrieben den Ei-
genwert der Institutionen klein und ließen sie nur aus Utili-
tätskalkül heraus gelten. Fatalisten brauchten überhaupt kei-
ne Institutionen, da ihnen bereits die Existenz eines gesell-
schaftlichen "Oben" genüge, dem sie sich ohne großes Fra-
gen fugten. Die Institutionen der vier Lebensweisen fugen
sich in den Gesellschaften zu besonderen Regimen oder Al-
lianzen zusammen. Egalitäre und liberale Kulturen kombi-
nieren ein exzeptionalistisches Regime - geringe Staatlich-
keit bei gleichheitlichen Verhaltensnormen; hierarchische
und egalitäre Kulturen bilden sozialdemokratische Allianzen,
Hierarchie und Individualismus leisten totalitären Allianzen
Vorschub.
Die Frage, warum Kulturen überhaupt existieren, beant-
wortet Wildavsky mit dem Bild, das sich Menschen von sich
selbst machen: was sie sind, wie sie sein möchten, was ihre

232
Identität, ausmacht: Jeder stelle sich eine wünschbare Le-
bensart vor, die er jeder anderen vorziehe. Diese Selbstbilder
produzierten letztlich Interessen (Wildavsky 1994). In bezug
auf jede Lebensweise verhielten sich Menschen rational.
Diese Rationalität gehe aber wegen der unterschiedlichen
Lebensweisen mit Konflikten einher (Thompson/Ellis/Wil-
davsky 1990, 96, 216). Die Bandbreite und die Art der kul-
turspezifischen Interessen entschlüsselten sich allein aus der
historischen Betrachtung. Hier kommen Tradition oder Re-
ligion ins Spiel, kurz: Erfahrungen, die eine Gesellschaft in
vielen Einzelgedächtnissen speichert (Thompson/Ellis/Wil-
davsky 1990, 218). Diese Art der Kulturtheorie fängt auch
zwischengesellschaftliche Konfliktdimensionen ein. Zwi-
schen hierarchischen Gesellschaften wie Japan und indivi-
dualistischen wie den USA sind gravierende Mißverständ-
nisse unvermeidlich (Lane 1992). Ganz ähnlich lassen sich
der Individualismus im Kredo liberaler und der Egalitaris-
mus in den gewerkschaftsverbundenen sozialdemokratischen
Parteien nicht reibungsfrei zusammenspannen.

8.3.4. Bilanz

Das Augenmerk des methodologischen Individualismus ist


in der Institutionentheorie noch gut zu erkennen. Institutio-
nen und Ways of life werden durch das Individualverhalten
entschlüsselt. Aber Institutionen und Kultur verweisen auf
den sozialen Kontext. Dort findet anders als in den Ratio-
naIlPublic-choice-Theorien die Erklärung des Individualver-
haltens statt. Die "boundedness" rückt ins Zentrum der Er-
klärung. Das heißt aber nicht, daß diese Theorien nicht die
behavioralistischen Grundannahmen zweckrationalen Han-
delns teilten. Aber wie bereits Simon lehnen sie die ökono-
mische Nutzenrationalität ab. Spätestens die Einftihrung des
Kontextfaktors Geschichte kommt dem Platzverweis ftir das

233
das naturwissenschaftliche Theoriebild der SSBs gleich. Wer
wollte es bei den zahlreichen biographischen Verarbeitungen
historischer Erfahrung und der individuellen Varianz ent-
scheidungsentlastender Verhaltensreflexe noch glauben, daß
man mit nur genügend Daten, wie Simon noch glaubt, eini-
germaßen zuverlässig politisches Verhalten vorhersagen
könnte?
Fragen wir zu guter Letzt noch, wie es die postbehaviora-
listische Theorie mit den Kriterien politischer Theorie hält.
Sie trifft Aussagen über Fakten und argumentiert auf dem
Stand der sozialwissenschaftlichen Forschung. Dieser war
letztlich Anstoß zur Theoriebildung, weil sich die ökonomi-
sche Theorie der Politik offensichtlich an den Fakten stieß.
Die zuletzt betrachteten Theorien befassen sich mit Ursachen
und Zusammenhängen, die universelle Geltung in politi-
schen Phänomenen beanspruchen. Aber wo bleibt das nor-
mative Moment, die Idee einer besseren Politik? Hier fällt
die Antwort schwer - wenn man einmal davon absieht, daß
es sich um politikwissenschaftliche Theorien handelt, die
sich mit dem Erscheinungsbild der zeitgenössischen Demo-
kratien auseinandersetzen. Immerhin läßt sich für die breite
Geltung dieser Art Theorie anfuhren, daß Bounded rational i-
ty, Institutionen oder Kultur die Existenz oder die Erschütte-
rung unterdrückerischer Regime in den Erklärungsbereich
holen. Korruption hat durchaus ihre Regeln. Selbst in Dikta-
turen kann die Marktwirtschaft gedeihen. Wenn dort die
Erwartungen das gewohnte Ergebnis institutionenorientierten
Handeins allzu oft verfehlen, stehen Erschütterungen ins
Haus. Die Politik muß dann zwar bewährte, aber eingefahre-
ne Pfade verlassen, um Innovationsanstößen eine Chance zu
geben. Aber allzu viel sollte man daraus nicht machen. Es
handelt sich, was keinesfalls abwertend gemeint ist, um
Gunnells pt, die eigentlich besser erklären wollen. Also eher
politikwissenschaftliche als politische Theorien!

234
9. Politische Theorie: ein Konkursfall?

Wie die einen Autoren nüchtern, die anderen bedauernd


feststellen, hat die Politikwissenschaft keinen theoretischen
Mittelpunkt. Wie die Soziologie, die Geschichtswissenschaft
oder die Psychologie beschreibt man sie am besten mit ei-
nem Überblick der Probleme, mit denen sie sich beschäftigt.
Dazu gehören auch politische Theorien. Aber eine Politik-
wissenschaft ohne politische Theorie, wie sie in den letzten
Kapiteln skizziert wurde, wäre immer noch das gleiche Pro-
dukt. Eine Wirtschaftswissenschaft, die sich vom Homo
oeconomicus verabschiedete, könnte man sich schwerlich
vorstellen. Die Randlage der politischen Theorie konstatie-
ren heißt nicht behaupten, daß das Fach theorielos wäre.
Aber es hantiert überwiegend mit Theorien kurzer und mitt-
lerer Reichweite und übernimmt von Ökonomie und Sozio-
logie andere Theorien, die es gerade braucht, um einen be-
stimmten Zusammenhang zu verallgemeinern oder zu über-
prüfen. Dabei ist diese kleingeschriebene Theorie teilweise
absurd anmutend in die Fahrwasser ökonomischer oder em-
pirieferner Versionen des Rational-choice-Paradigmas gera-
ten, die in den Fragestellungen und Forschungsperspektiven
des Fachs insgesamt tiefe und bisweilen störende Spuren
hinterlassen. Aber den Public oder Rational choicers dürfte
es kaum gelingen, die politikwissenschaftliche Karawane
qua Theorieführerschaft vom breit ausgetretenen Weg der
beobachtenden Wirklichkeitskontrolle herunterzuftihren.
Bereichstheorien von der Demokratietheorie bis hin zu
Theorien der Internationalen Beziehungen machen den
Theoriepool der Politikwissenschaft aus, der damit so viel-
gestaltig erscheint wie das ganze Fach. Zum geringeren Teil
handelt es sich dabei um politische Theorien im Sinne der

235
drei Kriterien Sabines, die hier immer wieder bemüht wur-
den. Dies hat den einfachen Grund, daß es die Politikwissen-
schaft überwiegend nicht - mehr? - als ihre Aufgabe ansieht,
Entwürfe für eine bessere Politik bzw. Visionen einer intrin-
sisch besseren Staats- oder Weltordnung zu produzieren.
Diese entstehen, wenn sie denn tatsächlich politisch Fuß
fassen, in Gesellschaft und Politik als komprimierte Bot-
schaften, daß irgend etwas grundlegend falsch läuft und ei-
ner radikalen Veränderung bedarf, zum Beispiel der Umgang
des besser situierten Teils der Menschheit mit den natürli-
chen Lebensgrundlagen. In verflossenen Jahrhunderten hat-
ten politische Denker als Berufsintellektuelle ihren Anteil
daran. Aber die gesellschaftlichen Verhältnisse, die Politik,
die Wissenschaft und last but not least das Publikum von
Politik und Wissenschaft haben sich geändert. Man könnte
sich heute eine Politikwissenschaft ohne den nachhaltigen
Empirieschub des frühen, enthusiastischen Behavioralismus
nicht mehr vorstellen. Erinnert sei ferner fur einen kurzen
Moment an die Referierung einiger nicht-bereichsspezifi-
scher Theorien postbehavioralistischer Provenienz. Bei die-
sen handelt es sich offensichtlich immer noch um pt in der
Sprache Gunnells. Trotz aller Verdienste, Einsichten und
Anstöße, die sie vermitteln, gerieten aber weder die Sparte
Innenpolitik noch sonst irgendein empirisch orientierter
Zweig des Fachs in die Krise, wenn er auf diese Beiträge
verzichten müßte. Das spricht natürlich nicht gegen solche
Theorien, deutet aber darauf hin, daß diese Teildisziplinen
ein so reichhaltiges Reservoir an begrenzten Theorien besit-
zen, daß sie damit weiterkommen. Schon ob der schlechten
Kommunikation über die innerfachlichen Grenzen hinweg
vielleicht mißlich, mehr aber nicht! Für die großen politi-
schen Theorien dieser Tage gilt das um keinen Deut weniger
- eher mehr, weil sie als Produkt der philosophischen Fach-
diskussion einen anderen Sprach- und Problemzugriff reprä-

236
sentieren! Um so erstaunlicher, daß sich so wenige Politik-
wissenschaftler daran stoßen, daß politische Theorie als po-
litische Philosophie deduktiv, unempirisch und unsozialwis-
senschaftlich auftritt! Soweit hier nicht einfach Desinteresse
waltet, scheint das philosophische Sujet doch immer noch
anziehend, wenigstens aber doch schmückend, wenn man es
kennt und entsprechende Lesefrüchte in das eigene pro-
saische Treiben einflicht.
Politische Theorie ist heute fachlich weitgehend fremd-
bestimmt und insoweit mit der sozialwissenschaftlich ge-
stimmten Politikwissenschaft kommunikationsunfähig. Das
müßte nicht so sein. Die politische Theorie könnte sich Ver-
dienste um den Dialog zwischen sozialwissenschaftlicher
Politikwissenschaft und politischer Philosophie erwerben.
Andere politikwissenschaftliche Teilgebiete ragen ja auch in
die Nachbarwissenschaften hinein, so in die Ökonomie, Psy-
chologie und Soziologie, und sie registrieren, was dort ge-
schieht. Allerdings ist politische Theorie als politikwissen-
schaftliches Teilfach in ihrer Philosophieabhängigkeit wohl
etabliert. Deshalb die Frage: Wozu eine politische Theorie,
die sich der Philosophie ausgeliefert hat? Die gleiche Frage
stellte sich natürlich auch bei einer politischen Theorie, die
sich etwa der Ökonomie an den Hals würfe. Wäre es nicht
besser, die Firma würde unter dieser Traditionsbezeichnung
aus dem Handelsregister gestrichen und ein Teil ihrer Ge-
schäfte als "politikwissenschaftliche Theorien" von anderen
Unternehmen in der Branche weitergeführt?

237
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(APSA): 84 Bereichstheorie: 11, 20 f.,
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Association (ASSA): 235
82 Bernstein, E.: 65
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APSA: siehe auch Buchanan, J.: 203 ff., 212,
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171f., 177, 192 f. f., 146
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104 ff., 128 f., 132, Crick, B.: 26 ff., 31, 41
134, 150
Aristoteles: 17,38 ff., 94 Dahl, R.A.: 173, 182, 184
f.,97, 100, 102, 106, ff., 193, 196, 202
128, 130, 132, 134 f., Datenanalyse: 86, 164,
141 166f., 178, 193
Demokratie: 16,40,59,
Bagehot, W.: 83 65,67,69, 71 ff., 76 f.,
Barber, B.: 105, 133 ff. 92, 95, 98, 102 ff., 108,
Beard, C.E.: 83, 107, 192 111,116, 118 ff., 122,
Behavioralismus: 15 f., 127 ff., 142, 144, 172
74,86,99, 163 ff., 167 f., 177 f., 181 ff., 188
ff., 176, 179 ff., 189 f., ff., 201 f., 208, 234

268
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130, 142, 144, 181, 84,87,94,98, 141,
188 f., 207, 235 143, 145 f., 189, 193 f.,
Deutsch, K.W.: 19 f., 180 196,234,236
Diskurstheorie: 153
Disziplingeschichte: 16, Habermas, J.: 10, 19, 107,
20,85 111, 147ff., 162,217
Douglas, M.: 229,231 Hacker, A.: 24,26
Downs, A.: 207 ff. Handlungstheorien: 20
Durkheim, E.: 74 Hayek, F.A.: 115,201
Hegel, F.G.W.: 59 ff., 75,
Easton, D.: 86, 164 f., 96, 110, 123, 138, 156
167,176 Hennis, W.: 72, 100, 102
Eulau, H.: 165, 169, 191 Hirschman, A.O. 139,212
ff., 224 f.
Fallibilismus: 76 Historismus: 96
Federalist Papers: 40, 142, Hobbes, T.: 36,43,45 f.,
204 48 ff., 53, 55, 61, 96,
Feyerabend,P.K.: 79,195 101, 108, 110, 113,
Fraenkel, E.: 173, 188 f., 116f., 119, 127, 133,
202,228 139,146,217
Frankfurter Schule: 10, Homo oeconomicus: 23,
148 f. 127,211,225 f., 235
Friedman, M.: 115, 126, Horkheimer, M.: 149
201,223 Husserl, E.: 94
Funktionalismus: 170
Idealtypus: 74
Galston, W.: 116, 129 ff., Ideengeschichte: 17,20,
140, 143 23,29,33 ff., 59, 66,
Gemischte Verfassung: 70,97 f., 138, 146
40, 108 Individualismus: 20, 52,
Gewaltenteilung: 68, 103, 195,200,212,215,
142,204 223,232 f.
Gruppentheorie: 185

269
Institutionen: 9, 16,22, Lijphart,A.: 136, 182ff.
27,39 ff., 56 f., 61, 67, LindbIom, C.E.: 173
69,85,88,96,130, Lipset, S.E. 182 f., 185,
132, 138 f., 142 ff., 208
148 f., 153, 156, 165, Locke, J.: 46 ff., 54, 68,
169, 177, 188, 192, 96,102,110,117,120,
197,212,214,222, 124, 126 f., 133, 142,
227 ff. 146,217
Loewenstein, K.: 89, 177
Jefferson, T.: 69 Lowi, T.J.: 176,195
Luhmann, N.: 19, 147,
Kant, I.: 18,29,53 ff., 62, 154 ff.
71, 79, 81, 110, 112 f.,
127, 141, 161 Machiavelli, N.: 24,36,
Kapitalismus: 46, 63, 65, 42,95, 191 f.
70, 72 Madison, J.: 66 ff.
Key, V.O.: 86, 172 Maier, H.: 35, 53, 100
Klassenherrschaft: 62 f. March, J.G.: 228
Kommunismus: 63 f. Marx, K.: 24, 23, 59, 62
Kommunitarismus: 127 ff. f., 70, 75, 95 f., 146,
Korporatismus: 186 ff., 149
202 ff. McIntyre, A.: 129
Kritische Theorie: 149 Menschenbild: 118, 195,
Kritischer Rationalismus: 207,232
77 Merriam, C.E.: 163, 165,
Kuhn, T.S.: 78 f., 194 167, 178
Merton,R.K.: 155,178
LassweIl, H.: 86 f., 163, Michels, R.: 72, 182
175 Mill, J.S.: 36, 57 f., 96,
Lehmbruch, G.: 136, 184, 115, 142, 113
186,202 Montesquieu, C.: 40 66
Lenin, V.I.: 65 ff., 102 f., 139, 142
Liberalismus: 98, 126,
129, 133, 160

270
Naturzustand: 43 f., 50, Republik: 35, 55, 67 ff.,
53,61,96,116,124 102 ff., 107 f., 112,
Nozick, R.: 123 ff., 142, 128, 142, 145
207 Riker, W.H.: 209 f., 215 f.
Rousseau, J.J.: 25, 50 ff.,
Olsen, J.P.: 228,255 55 f., 61,189
Olson, M.: 210 ff.
Sabine, G.H.: 23 ff., 34,
Paradigma: 78, 80, 186, 36,92,93,97,99, 117,
193,200,210,221, 146,236
227,235 SandeI, M.: 119,121,131
Parsons, T.: 148 Schattschneider, E.E.:
Platon: 38, 94 f., 97, 99, 171, 186, 192
148, 155, 178 Schumpeter, J.: 182,207
politische Philosophie: 9, f.
13, 16 ff., 20, 26 ff., Self-styled behavioralists
35,53,59,75,92,95, (SSBs): 193
97,99, 126, 139 ff., Simon, H.E.: 25, 145,
143, 110 f., 237 195, 225 ff., 233 f.
Politisches System: 176 Smend, R.: 72
Polyarchie: 184 ff. Social Science Research
Popper, K.: 21 f., 37, 73, Council (SSRC): 86
75 ff., 99, 101, 166, Spieltheorie: 16, 217 f.,
194 220,222
PT: 29, 33, 37 SSBs, s. auch: Self-Styled
pt: 29,84, 196, 198,236 Behavioralists: 193 f.,
Pye, L.W.: 178 f. 197 f., 234
SSRC, s. auch: Social
Rawls,J.: 10,18, l1Off., Science Research
118f., 121 ff., 126f., Council: 177
129 f., 133, 135 f., 141, Stalin, 1.: 65
145, 152 Strauss, L.: 43, 45, 49, 53,
92ff., 111, 129, 132,
134, 145, 164, 168

271
Systemtheorie: 18, 148, Walzer, M.: 111, 135 ff.
155, 157, 161, 169 Watson, J.B.: 84, 89
Way oflife: 151,232
Tocqueville, Ade: 66, Weber, M.: 35,41, 70 ff.,
69, 102 ff. 77,96, 101, 105, 166,
Totalitarismus: 111, 166 178, 191
Truman, D.B.: 96, 92, 171 Wertfreiheit: 94, 101, 171
f., 174, 185 f, Wildavsky, A: 149 f., 230
Tullock, G.: 203 ff.
Typen legitimer Wilson, J.: 159, 192
Herrschaft: 70 Wittgenstein, L.L.: 137,
151
Vanberg, V.: 216
Verstehende Soziologie:
73
Vertragstheorie: 48, 113
Voegelin, E.: 92 ff., 98,
100, 111, 129, 134,
145, 168

272

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