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> Ein Sondereinsatzkommando der Polizei überfällt den Kölner Josef Hoss,
> weil ein Nachbar behauptet, er horte Handgranaten. Der Mann wurde
> schwer verprügelt - jetzt ist er schwerbehindert und streitet mit dem
> Land Nordrhein-Westfalen.
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> Von Charlotte Frank
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> Gleich der erste Schlag war vernichtend: Als der Gummiknüppel mit
> Gewalt auf das Autofenster krachte und das Glas in tausend kleine
> Splitter bersten ließ, da ging weit mehr kaputt als eine Scheibe. Der
> Schlag zerstörte ein Leben.
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> Wie gelähmt saß Josef Hoss damals am Steuer seines Wagens, im
> Hinterhalt. Die Scherben flogen ihm um die Ohren, die Panik stieg in
> ihm auf. Er war wehrlos, als ihn die wohl zwölf Vermummten aus dem Bus
> rissen, wehrlos, als sie ihn traten und schlugen - selbst dann noch,
> als er gekrümmt auf dem Boden lag. "Ich rief nach der Polizei",
> erinnert sich der heute 56-Jährige. Aber die Polizei war ja längst da:
> Wie sich später herausstellte, waren seine Peiniger Beamte des
> Sondereinsatzkommandos (SEK) Köln.
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> Acht Jahre ist es her, dass sie Hoss auf Grund eines falschen
> Verdachts verprügelten, so brutal, dass er jetzt arbeitsunfähig ist,
> zu 80 Prozent schwerbehindert. Sein einst blühender
> Fliesenlegerbetrieb ruht, sein Haus ist verkauft, Hoss ein gebrochener
> Mann. "Acht Jahre Kampf", sagt er, "das hält kein Mensch aus."
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> Er meint damit nicht den täglichen Kampf mit seinem schmerzenden
> Körper. Sondern den gegen das Land Nordrhein-Westfalen, das er auf
> Schadenersatz und Schmerzensgeld verklagt hat. Bis heute aber hat Hoss
> keinen Cent bekommen, nicht mal eine Entschuldigung.
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> Die Muskulatur gelockert
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> Stattdessen stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen das
> SEK ein. Und als Hoss Anfang 2008 wenigstens im Zivilverfahren recht
> bekam, ging das Land auch noch in Berufung: 30.000 Euro Schmerzensgeld
> und die Einstandspflicht für alle materiellen Schäden - das sei nicht
> einzusehen.
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> Schließlich, heißt es in der Berufungsbegründung, sei der Zugriff
> "unter Anwendung der mildesten Mittel im Sinne des Grundsatzes der
> Verhältnismäßigkeit" angeordnet worden. Man habe mit den
> "Einsatzmehrzweckstöcken" nur die Muskulatur gelockert, nachdem Hoss
> passiven Widerstand geleistet habe, indem er sich die Hände nicht nach
> hinten führen lassen wollte. Hoss sagt, er wollte nur sein Gesicht vor
> den Schlägen schützen. Als letzte Chance bleibt ihm nur noch die
> Revisionsverhandlung am 14. August in Köln.
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> "Egal wie schlecht es mir an dem Tag geht, ich werde da sein", sagt
> er. Er will, dass sie ihm das ins Gesicht sagen: dass alles mit
> rechten Dingen zugegangen sei. Dass ihm kein Geld zusteht für die
> ruinierte Existenz. "Das ist absurd", ruft er, "ich habe doch nie
> etwas verbrochen."
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> Das merkten die SEK-Beamten auch - allerdings erst, nachdem sie Hoss
> zusammengeschlagen hatten. Ein Polizist aus Sankt Augustin bei Bonn,
> wo der Fliesenleger damals lebte, hatte ihn wegen Besitzes von
> Handgranaten und Handfeuerwaffen angezeigt - auch wenn er dies nicht
> selbst beobachtet, sondern nur von einem anonymen Dritten gehört
> hatte.
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> "Auf Basis von Gerüchten"
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> Obwohl ein zweiter Zeuge die Aussage verweigerte, wurde der Fall an
> die Staatsanwaltschaft Bonn weitergeleitet, die - offenbar ohne sich
> über die dünne Beweislage zu wundern - beim Amtsgericht Siegburg einen
> Durchsuchungsbefehl beantragte. "Und das nur auf Basis von Gerüchten."
> Hoss’ Anwalt Martin Reinboth von der Kanzlei Meinecke und Meinecke
> staunt darüber noch immer. "Da drängt sich doch der Eindruck auf, dass
> kein Zuständiger richtig nachgefragt hat, bis irgendwann das SEK
> ausgerückt ist."
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> Wobei das Kommando ursprünglich gar nicht sofort zuschlagen sollte: In
> einem internen Schreiben hatte die Kreispolizei Siegburg am 4.
> Dezember angeordnet, Hoss "bei Verlassen seiner Wohnung anzusprechen
> und im Folgenden Person, Fahrzeug und Wohnung zu durchsuchen". Beim
> Einsatz vier Tage später entschieden sich die SEK-Beamten dann aber
> statt für Worte vor der Tür für Schläge auf der Straße. Erst danach
> fuhren sie zu Hoss nach Hause und suchten nach Handgranaten. Aber sie
> fanden keine. Nur ein paar antike Gewehre, Sammlerstücke, für die Hoss
> wie vorgeschrieben eine Waffenbesitzkarte besaß.
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> Ein Irrtum also. Der gesamte Einsatz entpuppte sich als unglückliche
> Kette von Fehlentscheidungen, die Hoss mit seiner Gesundheit bezahlen
> musste und mit seinem "alten Leben", wie er sagt.
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> Viel ist nicht übrig von diesem alten Leben, den Rest hat er
> zerschnitten und als Collage an die Küchenwand geklebt. Ein paar
> Schnipsel zeigen seine Kinder, Freunde, Hoss selbst als kräftigen
> Mann.
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> Ein Irrtum
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> Viel mehr Schnipsel aber zeigen Erinnerungen an verlorenen Besitz:
> seine Autos - "zwei Mercedes, ein BMW", den Briefkopf seiner Firma,
> sein altes Haus, das er nur "Luxusvilla" nennt. Einfach alles gab es
> da, sagt Hoss: zwei Kühlschränke, Schwimmbad, Videoüberwachung. Und
> eine Marmorbadewanne mit Schwanenhals-Wasserhahn, "vier Tonnen schwer,
> ein Kran musste sie ins Haus hieven". Selbst davon hat er Fotos, damit
> jeder sehen kann, was für ein Leben er einmal hatte, wie viel Geld,
> welche Statussymbole. Das ist ihm immer wichtig gewesen.
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> Und deshalb haben sie ihn beneidet im Dorf, meint Hoss, niemand habe
> ihm den Luxus gegönnt. Schon Jahre bevor er angeschwärzt wurde, führte
> er einen zähen Kleinkrieg mit seinem Nachbarn. Erst ging es nur um die
> Höhe der Thuja-Hecke, später stritten sie vor Gericht, am Ende drohten
> sie sich mit Fäusten, Kettensäge, Baseballschläger.
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> So viel Kampfgeist kann man sich kaum vorstellen, wenn man Hoss heute
> sieht: wie er selbst kurze Wege mit Krücken humpelt. Wie er stöhnt,
> wenn er aufsteht. Wie er geradezu besessen ist von diesem einzigen
> Thema: dem Unrecht, das ihm widerfahren ist, und dem Geld, das ihm
> deswegen zusteht. Er hat kein anderes Interesse mehr, spricht über
> nichts anderes, denkt an nichts anderes.
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> Als "Abwärtsspirale, bei der sich die Realität des Betroffenen nur
> noch um den Kampf ums Recht dreht", beschreibt das Wolfgang Grenz von
> der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Er hat dieses
> Phänomen schon bei vielen Opfern staatlicher Gewalt beobachtet, auch
> in Deutschland. "Fälle wie der von Herrn Hoss kommen öfter vor als man
> denkt", sagt er. Nur treffe es selten so etablierte Menschen, die sich
> wehren und denen man glaubt. "In Deutschland können sich viele nicht
> vorstellen, dass die Polizei so etwas tut", meint Grenz.
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> Bei Amnesty im Jahresbericht
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> Auch deshalb hat Amnesty 2005 den Fall Hoss in den Jahresbericht
> aufgenommen, bis heute verfolgt Grenz ihn kritisch. "Dass ein so
> labiler Mann jetzt noch durch die juristischen Instanzen gejagt wird,
> zeigt, dass die Beklagten die Tragweite ihrer Tat gar nicht
> verstehen", sagt er. Ein Vorwurf, zu dem sich die Sprecher im
> Düsseldorfer Innenministerium, bei der Kölner und der Siegburger
> Polizei allesamt nicht äußern wollen.
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> "Es geht eben um viel Geld", gibt Hoss’ Anwalt Martin Reinboth zu
> bedenken. Nach seiner Einschätzung müsste das Land Hoss neben dem
> Schmerzensgeld auch alle weiteren Schäden, insbesondere den
> Verdienstausfall von mehr als 30.000 Euro jährlich ersetzen - und zwar
> bald, denn sein Mandant sei auch finanziell am Ende.
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> Hoss und seine vierköpfige Familie leben inzwischen nur noch vom
> Kellnergehalt seiner Frau. Der Erlös aus dem Verkauf seiner Villa -
> 320.000 Euro statt der verlangten 750.000 - ist längst ausgegeben, für
> Prozesskosten, Arztrechnungen und den Umzug in ein neues, bescheidenes
> Haus in der Eifel.
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> "Es fehlt an allen Enden", sagt der 56-Jährige. Weil seine
> Fliesenleger-GmbH nur ruht und nicht offiziell geschlossen ist, stehen
> ihm als Geschäftsführer kaum Sozialleistungen zu. Immer wenn es wieder
> besonders eng wird, muss er alte Möbel zu Geld machen, seine Uhr,
> seine Teppiche.
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> Aber das reicht immer nur für das Nötigste. Solange Hoss nicht
> entschädigt ist, kann er vom Rest nur träumen. Er würde gerne wieder
> mit der Familie Urlaub machen oder seiner Frau Opernkarten schenken
> oder den Kindern eine Fahrt zum Nürburgring. Sich selbst würde er
> Tickets für einen Boxkampf kaufen, das hat er früher oft gemacht: live
> in der Arena sitzen, wenn zwei Gegner aufeinander losgehen.
> Gleichstarke Gegner.
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> URL: http://www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel/83/186494/
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