Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Sonnenaufgang in deinen Armen
Sonnenaufgang in deinen Armen
Sonnenaufgang in deinen Armen
Ebook262 pages3 hours

Sonnenaufgang in deinen Armen

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Luisa lernt in der Firma, in der sie arbeitet, Ingeborg kennen und fühlt sich sofort zu ihr hingezogen. Sie verlässt den Mann, mit dem sie seit sechs Jahren zusammenlebt, und versucht sich Ingeborg vorsichtig zu nähern. Ingeborg jedoch lehnt dies stets schroff ab. Als das Chorsingen sie beide ins Schweizerische Bergell verschlägt - gemeinsames Hotelzimmer mit Doppelbett - schlägt Luisas Stunde: Kann sie Ingeborgs Zuneigung gewinnen?
LanguageDeutsch
Publisherédition eles
Release dateApr 29, 2013
ISBN9783956090424
Sonnenaufgang in deinen Armen

Read more from Victoria Pearl

Related to Sonnenaufgang in deinen Armen

Related ebooks

Lesbian Fiction For You

View More

Related articles

Related categories

Reviews for Sonnenaufgang in deinen Armen

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Sonnenaufgang in deinen Armen - Victoria Pearl

    Victoria Pearl

    SONNENAUFGANG IN DEINEN ARMEN

    Roman

    Originalausgabe:

    © 2006

    ePUB-Edition:

    © 2013

    édition el!es

    www.elles.de

    info@elles.de

    Alle Rechte vorbehalten.

    ISBN 978-3-95609-042-4

    Prolog

    Sie wanderte durch die nächtlichen Straßen der Großstadt wie eine einsame Wölfin. Sie war nicht auf der Jagd, doch sie hatte eine Spur, der sie folgte. Sie suchte nach ihrem Rudel, nach denjenigen, die zu ihr gehörten, zu denen sie gehörte.

    Sie war noch nicht sehr lange auf dieser Spur, denn die Fährte kannte sie erst, seit sie in einem Buch darauf gestoßen war. Ein Zufall, dachte sie, doch ihre Überraschung hielt sich in Grenzen.

    Das Buch hatte sie auf Gedanken gebracht, die ihr nicht gefielen. Sie ahnte, dass sie sich auf Neuland begeben musste, um der Fährte zu folgen. Sie wehrte sich dagegen, doch je mehr Zeit verging, um so unruhiger wurde sie.

    Die Spur, die sie zu ignorieren versuchte, hatte sie vor kurzem in einen Buchladen geführt, den sie nie zuvor betreten hatte. Sie fühlte sich unwohl, doch sie ließ sich nichts davon anmerken, als sie zwischen den Regalen umherging.

    Wurde sie beobachtet? Fiel sie auf? Merkten die anderen, dass sie hier neu war?

    Ihre Beute hatte sie drei Nächte lang beschäftigt. Sie las ohne Pause, kehrte nur für die Stunden, die sie als Mensch zur Arbeit gehen musste, aus dieser neuen, unbekannten und doch irgendwie unheimlich vertrauten Welt auf. Sie erkannte in den Texten Seiten ihres Wesens, die sie seit Jahren zu vergessen versuchte.

    Dann wuchs die Unruhe wieder. Vor allem am Wochenende ließ sie sie nicht los. Sie musste auf die Straße, sie musste der Spur, die immer deutlicher wurde, folgen. Vielleicht könnte sie ausweichen? Möglicherweise genügte es, wieder in den Buchladen zu gehen, sich neues Material zu holen und so der Versuchung zu widerstehen?

    Sie hätte es nicht tun sollen, sagte sie sich. Sie hätte wegbleiben müssen!

    Aber jetzt war es zu spät. Sie sah die Aufschrift mit der Adresse des Lokals deutlich vor ihrem inneren Auge. Der Straßenname, unauffällig auf dem Flugblatt in der Buchhandlung, hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt.

    Sie erkannte das Café sofort. Unauffällig, ganz gewöhnlich stand es da, doch für sie bedeutete es einen großen, entscheidenden Schritt auf ihrer Suche.

    Sie würde sich nur umschauen. Sie würde sich im Schatten aufhalten, sich am Rande bewegen und beobachten, niemand würde sie bemerken, denn sie konnte sich tarnen. Die Versuchung, wenigstens einmal von der Frucht, die sie sich selbst verboten hatte, zu kosten, war groß. Sie stand in der Ecke und fühlte, wie ihre Widerstandskraft schwächer wurde.

    Ja, das ist meine Welt, erkannte sie.

    Schnell verließ sie das Lokal. Noch war nichts passiert. Sie durfte nie wieder hierher zurückkehren, es war zu gefährlich. Ihr Leben sollte nicht noch einmal fast zerbrechen. Sie würde lieber einsam ihre Runden laufen, allein bleiben und sich vielleicht ab und zu einen Traum gestatten, doch niemals würde sie sich als eine von ihnen zu erkennen geben.

    1

    »Was meinst du, Beate, soll ich mit Norbert eine Komödie oder eher einen anspruchsvolleren Film anschauen?«

    Luisa studierte mit gerunzelter Stirn das Kinoprogramm und wartete auf den Kommentar ihrer Kollegin.

    »Dein Norbert und anspruchsvolle Filme?« fragte Beate abgelenkt.

    »Du hast recht, das kann nicht gut gehen. Aber die Auswahl ist nicht eben berauschend«, erklärte Luisa mit übertriebener Verzweiflung.

    Sie wippte auf ihrem Bürostuhl und versuchte Beates Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Es war ihr kein Erfolg beschieden, die Werbefotografin, die am Schreibtisch gegenüber mit der Maus ihres PCs hektisch hin und her fuhr, würdigte sie keines Blickes.

    »Beate!« rief Luisa zu laut.

    »Was ist? Kannst du mich nicht in Ruhe arbeiten lassen?«

    Luisa grinste. »Arbeiten nennst du das? Erzähl das jemand anderem. Du legst dir eine Patience!« Luisa wurde wieder ernst. »Bitte, Beate, ich brauche deine Hilfe. Du als erfahrene Ehefrau müsstest mir doch einen Rat geben können.«

    Mit Schmeicheleien erreichte man bei Beate fast soviel, als ob man ihr ein Stück Kuchen vor die Nase setzte. Beates Liebe zu Gebäck in allen Erscheinungsformen sah man ihr nur zu deutlich an. Zwar startete die Fotografin mindestens jedes Jahr zwei Diäten, doch niemals war ein Erfolg auszumachen.

    »Hansi mag mich so, wie ich bin«, erklärte sie dann, um sich ihr Scheitern nicht zu Herzen nehmen zu müssen.

    »Ja, Hansi und ich sind schon über zwanzig Jahren verheiratet, ich weiß also, wovon ich spreche, wenn ich dir sage, anspruchsvolle Filme sind nichts für den Durchschnittsmann«, holte Beate mit ernster Miene aus.

    »Oh, lass das Norbert bloß nicht hören«, unterbrach Luisa lachend, »er sieht sich ganz und gar nicht als Durchschnittsmann!«

    »Na klar, jeder ist ein Supermann, an dessen Seite alle Brad Pitts und Tom Cruises einpacken können!« schnaufte Beate.

    »Hansi meint ja auch, er sei zum Star geboren, nur habe ihn niemand entdeckt. Manchmal frage ich mich, wo mein Verstand war, als ich mich vor dem Traualtar ins Unglück stürzte.«

    Luisa kannte Beates Geschichten, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Werbeagentur Creativ Work kannten sie, denn Beate und Hansi führten eine offene Ehe im engeren Sinn: Jede und jeder durfte Einblick nehmen in ihren Alltag, wurde über Sorgen und Ängste ebenso ausführlich informiert wie über die Glücksmomente und Träume der beiden.

    »Am besten, du gehst mit deinem Liebsten in einen Actionfilm, dann ist er ruhig«, riet Beate nun ganz ernst.

    »Bitte, du weißt doch, wie sehr ich solche Streifen hasse! Ich liebe Romantik oder dann halt wirklich Filme, bei denen man denken muss«, entgegnete Luisa.

    »Ach, Schäfchen, den Sinn für Romantik hat der Schöpfer offenbar nur der weiblichen Hälfte der Menschheit mitgegeben«, seufzte Beate.

    Ob sie mit ihrem Hansi die Romantik vermisst? fragte sich Luisa. Aber sie war mit Norbert auch nicht besser dran. Wenn sie da an seine Hobbys dachte: Motorradfahren, Eishockey und Rugby! Natürlich würde sich Norbert nie aktiv ins Getümmel werfen, da könnten seine gepflegten Hände leiden, und die brauchte er als Architekt mit Ambitionen auf jeden Fall noch.

    »Vielleicht gibt’s ja einen Kompromiss?« überlegte Luisa laut. »Eine Komödie mit romantischem Touch, in der auch ein bisschen Action vorkommt?«

    »Du hast es begriffen, Schäfchen, jede Beziehung ist ein einziges Aneinanderreihen von Kompromissen«, bestätigte Beate.

    Luisa runzelte die Stirn und strich sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie wollte nur einen Filmtipp und bekam statt dessen einen Beziehungsratgeber.

    »Nenn mich nicht Schäfchen, das mag ich nicht! Und sag mir endlich, welchen Film wir heute anschauen sollen. Wenn ich keinen Vorschlag mache, landen wir wieder in einem Streifen wie ›Armageddon‹ oder ›Independence Day‹«, knurrte sie.

    »Also gut, dann lies mal vor«, lenkte Beate ein.

    Immer noch mürrisch begann Luisa das Kinoprogramm zu entschlüsseln. Es wurmte sie, wenn man sie Schäfchen nannte, denn es war ja nicht ihre Schuld, dass sie Schaefer hieß.

    »Stopp!« unterbrach Beate ihr monotones Gemurmel.

    »›Vier Hochzeiten und ein Todesfall‹? Das läuft wieder? Dieser Film ist doch uralt.«

    »Hm, ja, da steht, es sei eine Reprise«, las Luisa. »Hast du ihn gesehen?«

    Beate nickte begeistert. »Der wird dir gefallen«, versicherte sie ihrer Bürokollegin.

    »Aber Hochzeiten? Und gleich vier davon! Und was hat der Todesfall hier verloren?« wandte Luisa zweifelnd ein.

    Sie hielt nichts vom Heiraten und wollte Norbert nicht wieder auf die unsinnige Idee bringen, ihr noch einen Antrag zu machen. Beim letzten hatte sie sich noch herausreden können, doch der lag jetzt schon drei Jahre zurück.

    »Ja, es wird geheiratet und gestorben, aber es ist ein wirklich witziger und romantischer Film«, versicherte ihr Beate. »Und die Schauspieler! Hugh Grant und Andie MacDowell! Da muss man einfach schmelzen!«

    Mehr konnte Luisa nicht aus Beate herauskitzeln, denn in diesem Moment gab ihr PC ein leises Pling von sich und fesselte deren ganze Aufmerksamkeit.

    »Ich fass’ es nicht!« Beate raufte sich die Haare. »Ausgerechnet diesen Vamp setzt man uns vor die Nase!«

    Luisa, die keine Ahnung hatte, worüber Beate sich aufregte, startete ebenfalls ihren Computer. Auf dem Bildschirm wurde eine interne Nachricht angezeigt. Neugierig öffnete Luisa das Dokument.

    »Die Umbauarbeiten in der Management-Etage gehen in die entscheidende Phase«, las sie. »Die Zusammenlegung von Räumen bedingt den Umzug unserer allseits geschätzten Koordinatorin Ingeborg Wolf. Sie wird im Verlauf der nächsten Woche ihr neues Büro in der Kreativabteilung beziehen.«

    Anschließend folgten noch weitere Erklärungen, wie die obere Etage genau umgestaltet und erneuert werden sollte, doch die ignorierte Luisa, da sie nun wusste, was Beates Kreislauf in Wallung brachte.

    Ingeborg Wolf, die schon hier angestellt gewesen war, als Luisa als Werbetexterin in die Firma eintrat, verfügte über einen denkbar schlechten Ruf. Die Frauen schnitten sie und tauschten hinter ihrem Rücken Gerüchte über ihren ausschweifenden Lebenswandel aus. Bei den Betriebsfesten, die die Belegschaft einander eigentlich hätten näherbringen sollen, stand Ingeborg meist mit ihrem Begleiter irgendwo am Rande. Sie wurde ignoriert. Wenn sie Gesprächspartner fand, dann waren es Männer, die ohne ihre Frauen oder Freundinnen auf dem Fest weilten. Die weiblichen Wesen hätten ihre Männer wohl am liebsten an die Leine gelegt, um sie nicht der Gefahr auszusetzen, von Ingeborg gekapert zu werden.

    Luisa verstand die Aufregung um die Koordinatorin nicht. Sie kannte sie zugegebenermaßen nicht besonders gut, hatte ihr bei flüchtigen Begegnungen gerade einmal zugewinkt, doch noch nie war sie zu dem Vergnügen des persönlichen Kontaktes gekommen. Vielleicht wirkte Ingeborg ja nur aus der Ferne sympathisch?

    »Ich weiß wirklich nicht, was du gegen diese Frau hast«, wandte sich Luisa an Beate. »Ist sie deinem Hansi je zu nahe getreten?«

    »Das möchte ich ihr nicht raten!« brauste Beate auf. »Sollte sie sich meinem Mann nähern, schlage ich ihr die Zähne ein!«

    »Du übertreibst«, lachte Luisa.

    »Oh nein, keineswegs. Du hast ja keine Ahnung, wie die Wolf wirklich ist. Was glaubst du, weshalb sie jedesmal mit einem anderen Typ zum Betriebsfest kommt? Die wechselt ihre Männer, als handle es sich um Schuhe!« Beate schob eine kleine Pause ein, um Atem zu schöpfen. »Du ahnst nicht, was los war, als sie mit dem Chef eine Affäre hatte. Und kaum hatte sie genug von ihm, kam der Sohn, der Juniorchef, an die Reihe. Ich sage dir, Schäfchen, dieser Frau traue ich alles zu«, schloss sie mit unheilschwangerer Stimme.

    »Ich finde sie nett«, widersprach Luisa, obwohl sie sich nicht sicher war. »Sie ist souverän und zielstrebig. Sie macht ihre Arbeit sehr gut, sie findet die besten Models, die tollsten Locations und sorgt dafür, dass der Zeitplan eingehalten wird.«

    Beate zuckte verächtlich mit den Schultern. »Niemand zweifelt daran, dass sie als Koordinatorin einsame Spitze ist«, gab sie zu, »doch als Mensch? Nein danke! Mit der will ich nichts zu tun haben!«

    »Kennst du sie denn? Hast du mit ihr je ein Gespräch geführt? Weißt du, was sie in ihrer Freizeit macht? Hat sie Familie?« bombardierte Luisa ihre Bürogenossin mit Fragen.

    Sie konnte Menschen mit Vorurteilen nicht ausstehen. Beate mochte zwar eine unterhaltsame Kollegin sein, doch dass sie so absolut negativ über jemanden herzog, wollte Luisa nicht auf sich beruhen lassen.

    »Wo denkst du hin? Um dieses Weib mach’ ich einen weiten, sehr weiten Bogen!« erklärte Beate mit Nachdruck.

    Es hatte keinen Zweck, mit ihr weiter darüber zu diskutieren, Beate ließ sich von ihrer Meinung nicht abbringen. Luisa würde sich ihr nicht anschließen, und bestimmt würde es ihr in Zukunft leichter fallen, direkt neben Ingeborg Wolfs Büro, das nur mit einer verglasten Wand von ihrem Raum getrennt war, zu arbeiten.

    »›Vier Hochzeiten und ein Todesfall‹?« Norbert blickte Luisa zweifelnd an. »Das klingt nicht eben nach einer vergnüglichen oder spannenden Geschichte.«

    Luisa ließ sich nicht beirren. Sie stand mit ihrem Dauerfreund an der Kinokasse und bezahlte die beiden Tickets. Wenn es ums Bezahlen ging, dann war Norbert viel weniger Macho, als Luisa es manchmal gern gehabt hätte.

    »Du hast gesagt, es sei mein Abend und meine Entscheidung«, wandte sich Luisa an Norbert. »Also lass bitte deine Kommentare, und schau dir den Film einfach an.«

    »Ja, ist schon gut«, lenkte Norbert ein. »Ich weiß, dass ich dich in letzter Zeit vernachlässigt habe. Aber mein Job ist halt intensiv. Wenn ich weiterkommen will, muss ich Überstunden schieben, das gehört dazu.«

    Als ob sie das nicht längst wüsste, dachte Luisa bitter. Sie war im Grunde froh, dass sie keine gemeinsame Wohnung hatten, denn so konnte sie sich wenigstens das Warten auf Norberts Heimkommen sparen.

    Die Verabredungen, die sie trafen, hielt er meistens ein. Wenn ihm etwas dazwischenkam, rief er an. Auf diese Weise fühlte sich Luisa meistens als Single, und das gefiel ihr besser, als sie ihren Freunden gegenüber zugeben würde.

    Hugh Grant mit seinem manchmal etwas vertrottelten Gesichtsausdruck war amüsant, Andie MacDowell als amerikanischer Männertraum umwerfend. Luisa gab Beate recht, dieser Film war sehenswert und unterhaltsam. Allerdings konnte sie sich bis zur Pause noch keinen Reim auf den im Titel erwähnten Todesfall machen, denn bis zu diesem Zeitpunkt wurde wacker geheiratet, und alle Gäste – es waren immer etwa die gleichen – schienen sich bester Gesundheit zu erfreuen.

    »Gehen wir nachher zu dir oder zu mir?« riss Norbert Luisa aus ihren Überlegungen.

    Diese Frage hatte sie vorausgesehen. Immerhin stand das Wochenende vor der Tür, da musste man als Paar schon ein bisschen mehr Zweisamkeit an den Tag legen als wochentags.

    »Zu dir«, entschied Luisa, dann könnte sie gehen, wenn sie wollte.

    Der Gong rief das Publikum in den Kinosaal zurück. Norbert ließ sich mit betont gelangweilter Miene in den Sessel fallen. Vielleicht hätte Luisa nicht auf einer romantischen Komödie bestehen sollen, sagte sie sich. Andererseits, wenn sie schon gefragt wurde – was selten genug vorkam –, musste sie sich doch für etwas entscheiden, was ihr gefiel.

    Wenn Luisa allerdings auch nur ansatzweise geahnt hätte, wer in diesem Film an einem Herzstillstand sterben würde, hätte sie mit Sicherheit einen anderen Streifen gewählt. Ausgerechnet die eine Hälfte eines schwulen Pärchens verschied auf einer schottischen Hochzeitsparty.

    Luisa fand die Trauerfeier sehr ergreifend, sie kämpfte gegen Tränen, doch sie wusste, dass Norbert neben ihr allmählich zu kochen begann. Der folgenden Diskussion über Homosexualität blickte Luisa mit gemischten Gefühlen entgegen.

    Wie erwartet legte Norbert los, kaum dass sie den Kinotempel hinter sich gelassen hatten. »Der Film war ja streckenweise amüsant, aber dass sie unbedingt noch Schwuchteln einbauen mussten, finde ich völlig daneben!«

    »Die Trauerfeier war doch schön. Könntest du dir passendere Worte vorstellen, um einen geliebten Menschen zu verabschieden, als die, die sein Freund gesprochen hat?« fragte Luisa.

    Sie führten diese Diskussion nicht zum ersten Mal. Meistens schwieg Luisa, denn sie wusste, dass es keinen Sinn hatte, bei Norbert um Toleranz zu werben. Alle, die nicht so waren, wie Norbert meinte, dass man zu sein hatte, verurteilte er. Als Einzelkind mit Hochschulabschluss, weit gereist, mit den richtigen Leuten auf Du und Du, glaubte er, die Weisheit mit der Muttermilch eingesogen zu haben.

    »Du kennst meine Meinung«, brauste Norbert wie erwartet auf. »Schwule sind nicht normal! Die müsste man alle in die geschlossene Abteilung der Psychiatrie stecken. Die ticken nicht richtig. Dass man ihnen in einem Film auch noch die Plattform bietet, ihre Krankheit bekanntzumachen, ist nicht nur verwerflich, falsch und unmoralisch, es ist im höchsten Maße gefährlich! Da glaubt man, eine Komödie zu sehen, und was ist es? Ein Werbefilm für Homos!«

    »Du bist unglaublich intolerant! Woher nimmst du das Recht, Menschen zu verurteilen? Wer bist du, dass du bestimmst, was moralisch ist oder nicht?« Luisa ignorierte Norberts beschwichtigendes Gemurmel. Sie musste endlich ihre Meinung loswerden. Manchmal beschlich sie das Gefühl, mit Norbert den falschen Partner gewählt zu haben.

    Luisa war noch längst nicht fertig. Sie sparte nicht mit Kraftausdrücken, die für Norbert nicht besonders schmeichelhaft waren. Während ihrer Tirade an die Adresse aller Ignoranten und selbstherrlichen Egozentriker stand ihr das Bild ihres ersten Freundes Armin vor Augen. Er hieß heute nicht mehr Armin, sondern Amanda, und schluckte täglich Hormone. Irgendwann würde er eine Sie sein . . .

    Natürlich kannte Norbert Armins Leidensgeschichte nicht. Seinen hämischen Kommentar wollte Luisa nicht hören. Für Luisa aber hatte sich seit Armins Entscheidung ziemlich viel verändert. Sie hatte in ihrem Ex-Freund eine neue Freundin gefunden und ein Schicksal kennengelernt, das sie selbst zu ertragen nie imstande gewesen wäre.

    »Lass uns nicht streiten«, bat Norbert.

    Dass Luisa sich derart in ein Thema hineinsteigerte, hatte er noch nie erlebt. Seine Luisa war angepasst, nett und biegsam. Sie widersprach nur sehr selten, und ihre Argumente konnte er mit einem Lächeln unter den Tisch kehren. Er wusste, wie er mit seiner Freundin umgehen musste. In Gedanken beschloss Norbert, Luisa morgen einen Blumenstrauß zu kaufen, um sie zu versöhnen.

    Inzwischen war das Paar vor Norberts Wohnhaus angelangt. Selbstredend logierte ein aufstrebender Architekt nicht in den Slums der Großstadt, sondern nannte eine Attikawohnung sein eigen.

    Die Fortsetzung des Abends unterschied sich nicht von anderen, unzähligen, die Luisa und Norbert gemeinsam verbracht hatten. Er informierte sich mittels Fernseher über die sportlichen Ereignisse, die er verpasst hatte, während Luisa sich eine beruhigende Dusche gönnte. Anschließend trafen sich die beiden im Schlafzimmer.

    Wie kann er nach einem Streit mit mir schlafen wollen? fragte sich Luisa. Sie hatte absolut keine Lust auf Sex, doch Norberts Avancen vermochte sie auch nicht abzuwehren.

    Während er sie streichelte, zumindest nannte er sein Drücken, Reiben und Pressen so, überlegte Luisa wieder, ob sie mit diesem Mann eine gute Wahl getroffen hatte. Im Moment, dachte sie, musste sie diese Frage mit Nein beantworten.

    Norbert hatte beschlossen, dass das Vorspiel zu Ende sei, nun kam der Hauptteil, der nicht wesentlich länger dauerte und in Luisa, wie üblich, kaum eine Reaktion auslöste. Das Nachspiel bestand aus einem Gähnen, einem Kuss, dem Satz: »Ich liebe dich!« und einem Tätscheln der Wange, das wahrscheinlich hätte zärtlich sein sollen. Dann drehte sich der erschöpfte Liebhaber um, und wenige Minuten später vernahm Luisa das gleichmäßige Schnarchen, das ihre Gedanken störte.

    2

    Endlich gehörte das Hämmern, Bohren und Rumpeln der Vergangenheit an. Beates kritischer Blick in Richtung des neu gestalteten Raumes sprach Bände.

    »Die wird mit viel Trara einfahren«, prophezeite sie.

    Luisa lächelte abwesend. Es interessierte sie nicht im geringsten, wie diese Ingeborg Wolf ihr Büro zu beziehen gedachte. Ihre Hirnwindungen waren im Moment damit beschäftigt, einen mitreißenden Slogan für eine Babyseife zu erfinden.

    An diesem Montag tauchte keine Koordinatorin auf. Auch der Dienstag ging ereignislos vorüber.

    »Wahrscheinlich muss sie sich von ihrem Wochenende erholen«, mutmaßte Beate bissig.

    »Wieso? War etwas Besonderes los?« fragte Luisa irritiert.

    Beate grinste

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1