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Arabellion: Der Aufbruch der arabischen Welt
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Ebook167 pages1 hour

Arabellion: Der Aufbruch der arabischen Welt

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Der Aufstand der arabischen Massen Anfang des Jahres 2011 kam unerwartet. Die Protestbewegung erfasste Tunesien, Ägypten, Libyen, Jemen, Syrien und weitere arabische Staaten. Die Berichte, Reportagen und Analysen aus der F.A.Z. und der F.A.S. in diesem eBook erklären die Entstehung der heutigen arabischen Staaten und spiegeln die Ereignisse der wichtigsten Schauplätze des Arabischen Frühlings wider. Fotos und Landkarten illustrieren die Beiträge, auf weitergehende Informationen verweisen Internet-Links und Literaturhinweise.Der Herausgeber: Wolfgang Günter Lerch trat im Mai 1978 in die Nahrichtenredaktion der F.A.Z. ein, wo er bis zum Jahr 2012 wirkte. Inhalt seiner zahlreichen Veröffentlichungen sind vor allem die politischen und sozialen Ereignisse im Nahen Osten und in Nordafrika.
LanguageDeutsch
Release dateJul 25, 2012
ISBN9783898431637
Arabellion: Der Aufbruch der arabischen Welt

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    Arabellion - Frankfurter Allgemeine Archiv

    978-3-89843-163-7

    Vorwort

    Ein Aufstand, den niemand kommen sah

    Die Arabellion kam unerwartet, niemand hatte den Aufstand der arabischen Massen auf der Agenda. Die Autokraten Arabiens, so schien es, herrschten ewig, gleichsam Naturgesetzen folgend; dies schien auch der politischen Stabilität dieser unruhigen Region zu dienen, in der Islamisten und Dschihadisten immer wieder Terroranschläge verübten. So sah das auch der Westen, allen voran die Amerikaner: Sollten doch lieber Diktatoren dort herrschen als die islamischen Eiferer.

    Doch Mohammed Bouazizi strafte diese Kalküle Lügen: Als sich der junge Tunesier am 17. Dezember 2010 in der Stadt Sidi Bouzid aus Protest gegen staatliche Schikanen anzündete, konnte niemand ahnen, dass dies auch der Zünder für einen Umbruch sein würde, der bis heute fortdauert und die gesamte nahöstliche und nordafrikanische Region in Aufruhr versetzte – mit unterschiedlicher Intensität allerdings. Auf den Sturz des tunesischen Präsidenten Zine al Abidine Ben Ali folgte der des Ägypters Husni Mubarak. Eines regelrechten Krieges mit Beteiligung der Nato bedurfte es, um Oberst Gaddafi vom libyschen Thron zu stoßen. Auch der jemenitische Präsident Ali Abdullah Salih musste die Macht abgeben, und in diesen Tagen hat sich der Syrer Baschar al Assad eines bewaffneten Aufstands zu erwehren, dessen Ausgang ungewiss ist. Aus einer Protestbewegung vornehmlich der Jugend, die um Ausbildungs- und Arbeitsplätze bangte, die nach Menschenwürde verlangte, sind in Libyen, im Jemen und in Syrien Gewaltorgien mit vielen tausend Toten geworden. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um das Ende dessen, was man die »orientalische Despotie« genannt hat. Insgesamt ist keines der 22 arabischen Länder von der Unruhe verschont geblieben, was zeigt, dass hier ein welthistorischer Wandel im Gange ist. Einige Staaten, wie Marokko, Jordanien, Saudi-Arabien, Kuweit oder Oman, reagierten mit mehr oder minder großen Zugeständnissen oder mit Geld auf die Herausforderung. Im kleinen Golf-Königreich Bahrein wurde der Aufstand vornehmlich der Schiiten einstweilen blutig niedergeschlagen.

    Wo die Despoten schon gestürzt sind, ist eine schwierige Neuordnung im Gange. Säkulare Kräfte werden durch religiöse Elemente herausgefordert, die durch das Ende der Unterdrückung aus der Illegalität auftauchen konnten. Nun prallen beide, wie in Tunesien und Ägypten, aufeinander. Gewachsene demokratische Strukturen fehlen und müssen erst erarbeitet werden. Und wie bei anderen Revolutionen auch, vermag niemand anzugeben, wie die Reise weitergehen und wo sie einmal enden wird.

    Die hier versammelten Berichte, Reportagen und Analysen aus der F.A.Z. und der F.A.S. spiegeln die Ereignisse der wichtigsten Schauplätze der Arabellion wider. Sie währt nun schon länger als eineinhalb Jahre und wird voraussichtlich auch noch viele Jahre andauern.

    Wolfgang Günter Lerch, Nordafrika- und Nahost-Redakteur im Politik-Ressort der F.A.Z., im Juli 2012

    I.

    Wie das heutige Arabien entstand

    Der Tragische

    »Lawrence von Arabien« ist eine der Schlüsselfiguren der nahöstlichen Konflikte

    Von Wolfgang Günter Lerch

    Im Jahre 1961 drehte der britische Regisseur David Lean »Lawrence von Arabien«. Er sei nicht sicher gewesen, sagte er später, ob dieser Film über den Führer des arabischen Aufstandes überhaupt Erfolg haben werde, denn es komme nicht eine einzige Frau darin vor – von einer Liebesgeschichte ganz zu schweigen. Eine reine Männerwelt wurde dem Kinobesucher dreieinhalb Stunden vorgeführt. Doch der Film wurde Kult, und zwar so sehr, dass man bisweilen glaubte, der echte, kleinwüchsige Thomas Edward Lawrence habe so ausgesehen wie der attraktive, hochgewachsene Peter O’Toole, der ihn verkörperte.

    Lawrence von Arabien war ein zerrissener, tragischer Held. Selbst in seiner englischen Heimat ist er inzwischen umstritten. Den hagiographischen Darstellungen nach dem Ersten Weltkrieg und nach seinem tragischen Unfalltod mit dem Motorrad 1935 folgten äußerst kritische Blicke auf seine Rolle im Nahen Osten. Heute hat sich das Urteil auf eine »mittlere« Linie eingependelt: Lawrence war zwar ein bedeutender Mann, doch charakterlich schwierig. Am wenigsten umstritten ist noch sein Rang als Schriftsteller. Seine »Sieben Säulen der Weisheit« sind, nach Winston Churchill, eines der größten Bücher der englischen Literatur im zwanzigsten Jahrhundert. Sein Autor aber – ein Schöpfer eigener Mythen, ein Phantast, ein Lügner gar, eine gefährliche Mischung aus Geist- und Tatmensch. Lawrence schuf eine Prosafassung der Odyssee, war beschlagen in antiker Philosophie und mittelalterlicher Architektur, konnte aber auch Schnellboote konstruieren.

    Die Araber sehen »El Orans« noch viel kritischer, was aus ihrer Sicht verständlich ist. Da fällt das Wort vom »Verräter«. Und von der großen »Verschwörung«, an der er Anteil hatte. Auch dass man Lawrences Rolle als Führer des Aufstandes maßlos überschätze, denn der eigentliche Führer sei Faisal gewesen, der älteste Sohn des haschemitischen Scherifen Hussein von Mekka. General Allenby allerdings, der es als britischer Oberbefehlshaber im Nahen Osten wissen musste, maß Lawrence militärisch eine mitentscheidende Rolle im Kriegsgeschehen zu.

    In Lawrence bündeln sich all die politischen Entwicklungen, die während des Ersten Weltkrieges und danach, als man in den Vororten von Paris Frieden machte, jene nahöstliche Neuordnung schufen, die wiederum neue Konflikte gebar – Konflikte, die bis heute ungelöst sind. In den Augen der Araber ist gerade Lawrence der leibhaftige Wortbruch. Die Engländer hatten das Osmanische Reich besiegt und bedienten sich nun an der Konkursmasse des zerfallenen Imperiums. Zwischen Palästina und dem Irak wurden Mandatsgebiete errichtet und, wie im Libanon, Eingriffe in vorhandene Strukturen vorgenommen. Das heutige Staatensystem der Region ist künstlich, mit Grenzen, die das britische Kolonialministerium meist willkürlich gezogen hat. Lawrence trug dazu bei. Geboren wurde er 1888 als Sohn von Sir Thomas Chapman, der seine Frau wegen der Kinderfrau Sarah Maden verließ, sich den Namen Lawrence zulegte und in »wilder Ehe« lebte. Thomas Edward, der noch vier Brüder hatte, wurde Historiker und Archäologe. Für seine Doktorarbeit über die Burgen der Kreuzfahrer wanderte er zu Fuß durch Palästina und Syrien, schon damals genau beobachtend. Vor Ausbruch des Krieges war er Assistent von Leonard Woolley bei den Ausgrabungen von Karkemish am Euphrat. Nicht nur nebenbei sammelte er Material über die Deutschen, die in der Nähe die Trasse der Bagdad-Bahn bauten. Archäologen waren nicht selten für die Sicherheitsdienste ihrer Länder tätig – auf deutscher Seite etwa Lawrences Widerpart, der Diplomat, Orientalist und Ausgräber des Tell Halaf in Syrien, Max von Oppenheim.

    Nach Ausbruch des Krieges brauchte man den Arabisch sprechenden Lawrence in Kairo, im Arab Bureau. Allenbys Vorgänger General Murray schickte ihn auf die Arabische Halbinsel, wo er erkunden sollte, was es mit einem Aufstand haschemitischer Beduinen auf sich habe. So fand sich der feinsinnige Gelehrte – sein Vorgesetzter Ronald Storrs nannte ihn seinen »supergeistigen Gefährten« – bald in der Mitte der Aufständischen, die im Namen des Scherifen von Mekka die Herrschaft der Osmanen abschütteln wollten.

    Lawrence entwickelte, Jahrzehnte vor Mao, für seine Stammeskrieger eine Guerrilla-Taktik gegen die türkischen Truppen; vor allem jedoch sprengte er die Gleise der Hedschas-Bahn, auf deren Funktionieren die Türken angewiesen waren. Ein staunenswerter Todesritt mit etwa vier Dutzend Kamelreitern durch die Wüste Nefud brachte ihn bis nach Aqaba, das die Türken besetzt hielten. Da deren nicht schwenkbare Kanonen nach Süden gerichtet waren, blieben sie gegen die Angreifer aus dem Norden nutzlos. Die Aufständischen nahmen am 6. Juli 1917 Aqaba. Allenby in Kairo traute seinen Ohren nicht, als ihm Lawrence persönlich von der Eroberung erzählte. Seine rechte Flanke war gesichert.

    Allenby teilte Lawrence bei seinem Aufenthalt in Kairo mit, dass London und Paris das Sykes-Picot-Abkommen geschlossen hätten. Darin hatten England und Frankreich jene Gebiete schon unter sich aufgeteilt, die erst noch von den Türken befreit werden sollten. Im November dann sicherte Arthur Balfour den Zionisten zu, England werde sich nach einem Sieg für eine »jüdische Nationalheimstätte« in Palästina einsetzen. Bereits 1915 jedoch hatten die Briten dem Scherifen Hussein die Souveränität über alle arabischen Gebiete »mit Ausnahme Adens« versprochen, wenn sie sich am Kampf gegen die Türken beteiligten.

    Es ist unwahrscheinlich, dass ein dem britischen Geheimdienst schon vor dem Krieg verbundener Mann wie Lawrence von allen widersprüchlichen Abreden nicht schon früh gewusst haben sollte. Seinen Kriegern versprach er im Namen Großbritanniens weiterhin Freiheit und Unabhängigkeit. Ein Versprechen machte er allerdings wahr: Er zog am 1. Oktober 1918 mit seinen Beduinenkämpfern noch vor Allenby in Damaskus ein, der einst glanzvollen Hauptstadt des Arabischen Reiches unter den Omajjaden.

    Nach dem Sieg über die Türken gehörte Lawrence zur Delegation Faisals bei den Gesprächen, bei denen der Kuchen verteilt wurde. Doch Faisal war dort unerwünscht. Lawrence tat nun – wohl auch aus Scham über Londons doppelbödige Politik und sein eigenes Verhalten – sein Bestes, um den Arabern zu ihrem Recht zu verhelfen, doch scheiterte er. Auch im Kolonialministerium, wo ihn Churchill aufgenommen hatte, konnte er wenig bewirken. Zwar erhielten die Haschemiten den Irak und Transjordanien, jedoch unter englischer Ägide. Im Mandatsgebiet westlich des Jordans nahm die jüdische Einwanderung zu. Faisal wurde aus Syrien vertrieben, man gab ihm den Irak, wo er seit 1921 von Englands Gnaden herrschen durfte. Enttäuscht tauchte Lawrence unter falschen Namen, als einfacher Soldat in der Royal Air Force unter; er suchte Anonymität.

    Man hat lange darüber gerätselt, warum er dies tat. Wollte er sich für sein menschliches und politisches Versagen bestrafen, für den Wortbruch, als den er sein Handeln gegenüber den Arabern empfand? Oder waren es vor allem persönliche Gründe, die ihn zu diesem Schritt trieben, etwa die Sehnsucht nach einem mönchischen Dasein? Spielten selbstquälerische, masochistische Motive eine Rolle? In seinem zweiten Buch »The Mint« (»Unter dem Prägestock«) schilderte er die Stupidität des Soldatendaseins, an der er litt, die er aber auch haben wollte. Man hat ihn gelegentlich als den »vierten Karamasow« bezeichnet. T. E. Lawrence mochte ohne Zweifel die Araber und ihre Art zu leben, er teilte ihre Freuden und Leiden. Dennoch betrog er sie.

    Im Geist Arabi Paschas

    Nationalismus und Einheit der Nation sind die Leitvorstellungen Ägyptens. Der panarabische Nationalismus ist heute eine politische Leiche.

    Von Wolfgang Günter Lerch

    Die Bewahrung der nationalen Einheit Ägyptens ist

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