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Der Kulturgeist: und andere Dämonen
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Ebook135 pages1 hour

Der Kulturgeist: und andere Dämonen

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About this ebook

Norman Liebold wagt einmal mehr einen Ausflug in die Zwischenwelt: Anderwelt bricht drei Mal mitten in Bonn in das, was wir so gerne “Realität” nennen, und das auf ausgesprochen erotische Weise - drei phantastische Liebesgeschichten, mal amüsant, mal philosophisch, mal auf gruselige Weise schlüpfrig.
LanguageDeutsch
Release dateMar 23, 2012
ISBN9783937330471
Der Kulturgeist: und andere Dämonen
Author

Norman Liebold

Norman Liebold, 1976 in Eilenburg (Sachsen) als Sohn eines Majors geboren, kam kurz vor der Wende ins Rheinland. Er studierte Literatur, Philosophie und Sprachwissenschaften in Bonn und veröffentlicht seine Erzählungen und Romane seit der Schulzeit. In zwei politischen Ideologien aufgewachsen, ist sein Blick geschärft für Systemlügen. Mit geschliffenem Wort, spitzer Zunge und viel Humor demontiert er ihre Masken. Ob Kriminalroman, sozialkritische Novelle oder Fantastik – der Mensch steht bei ihm stets im Mittelpunkt. Der Autor lebt und arbeitet im Siebengebirge mit Lebensgefährtin und Katze, schreibt seine Bücher ganz altmodisch mit Füllfeder und liest sie deutschlandweit mit viel Gefühl vor. Neben dem Schreiben zeichnet er und spielt Flöten, Klarinette und Saxophon.

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    Der Kulturgeist - Norman Liebold

    Norman Liebold

    Der Kulturgeist

    und andere Dämonen

    mit Zeichnungen von Katharina Theine und dem Autor

    AMATOR VERITAS

    Digitale Version der überarbeiteten authorsierten Fassung 2011

    (Ersterscheinung 2008)

    Amator Veritas Buch Nr. XL

    Illustrationen von Katharina Theine und Norman Liebold.

    Copyright © 2011

    Norman Liebold und Amator Veritas Verlag, Hennef.

    Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen und elektronische Medien, sowie der Übersetzung auch einzelner Teile.

    ISBN-13 (Print): 978-3-937330-26-6

    ISBN-13 (eBook): 978-3-937330-47-1

    www.norman-liebold.com

    www.amator-veritas.de

    Carpe Noctem

    Für Martin Leichtfuß zum Dreißigsten.

    Die Kunst der melancholischen Einsamkeit besteht nicht darin, sich an irgendeinen einsamen Ort zu verkriechen, ins Leere zu starren und möglichst schmerzhaften Erinnerungen und Gedanken nachzuhängen. Wie in einem Gemälde Dunkles durch Helle erst recht zu Geltung kommt und fahle Blässe durch Farbenpracht, so tritt die eigene Einsamkeit am bemerkenswertesten unter der Geselligkeit anderer hervor und die eigene Tristesse neben ausgelassener Freude.

    Minosch liebte es, zu fortgeschrittener Stunde durch die Gassen der still daliegenden Stadt zu trotten und sich als Ausgestoßener zwischen den Häusern hindurch zu drücken. Er stellte sich vor, wie hinter diesem oder jenem Fenster ein Paar lag. Zärtlich aneinander geschmiegt unter warmer Decke, seine Nase im Duft ihres Haares, seine Wange zwischen ihre zierlichen Schultern gebettet. Das Gefühl einer vertrauensvoll sich schmiegenden Wölbung in der Hand, das sanfte Atmen einer Brust, eines Bauches. Schmerzliche Erinnerungen engten ihm den Hals, bis jeder Atemzug schwer fiel und die Welt ringsum von nächtlich Einsam in bodenlos Verzweifelt wegzukippen begann, alles sich auflöste, bangende Fragen nach der Zukunft im Nichts zerfaserten und jeder Halt sich an den Grundfesten auflöste wie faulendes Fleisch.

    War der Zustand kaum noch auszuhalten, pflegte er seine Schritte in die Innenstadt zu lenken - insCarpe Noctem vielleicht, oder ins Atlantis -, sich in einem Winkel an den Tisch zu setzen und ein oder zwei Stunden lang das eine oder andere Hochprozentige zu sich zu nehmen. Ringsum flackerten wild die Lichter. Jugendlich nach Leben gierend drängten sich Leiber. Gesichter wogten, neigten sich zu, lachten, blickten hungrig. Minosch hingegen, im Winkel, sah ihnen zu, mit melancholischem Gesichtsausdruck, die Zigarette ganz oben zwischen Mittel- und Zeigefinger eingeklemmt – manchmal vergaß er die Zigarette gern und weidete sich an dem Schmerz, wenn die Glut an seiner Haut leckte. In diesem Wogen von Gesichtern und Leibern, innerlich übervoll an schmerzlichen Gedanken, konnte er sich wirklich einsam fühlen, auf seinem Stuhl sitzend, den Sehnen seines Seins nachtastend bis zu jenem Punkt, wo sie sich zerfasernd in zielloser Beliebigkeit verloren.

    Begann der Alkohol zu wirken, verschob sich alles um ein Weniges. Vielleicht, so vermutete er, wurden seine Gedanken einfacher, vielleicht auch primitiver. Der eingängige Rhythmus der Musik pulsierte in der Magengrube, Licht und wogende Leiber stimmten ein seltsam mit Melancholie gemischtes Hochgefühl in ihm an. In solchen Momenten konnte er sich fast vorstellen, unter die Leiber tauchend ein paar hungrigen Augen mit hungrigem Blick zu begegnen, wie zufällig Hand an Haut entlang gleiten zu lassen, in charmant-witziger Weise Aufmerksamkeit zu fesseln, festzuhalten, schließlich näher zu rücken und - seiner Ideale abtrünnig - einfach schattenspringend mitzugehen.

    Dieser Moment war der richtige… zu gehen, um mit jenem seltsam gestimmten Hochgefühl von nicht negierten Möglichkeiten durch die nächtliche Stadt zu wanken und mit dem heller werdenden Horizont endlich einschlafen zu können.

    Diese Nacht hingegen war unruhig - drei Uhr, und noch schwirrten Stimmen trunken durch die Straßen. Masken schreckten Minoschs Einsamkeit, Mummenschanz grölte hinter Straßenbiegungen und ließen ihn andere Wege mit leise steigender Panik suchen.

    Weiberfastnacht in Bonn.

    Selbst auf dem verwachsenen Friedhof keuchte es schmatzend hinter Grabsteinen. Aber draußen war es leichter zu ertragen. Leichter als dasselbe Lachen, wenn es von der Straße herauf schallte, während er mit zersprungener Brust hinter dem Fenster hockte. Seine Melancholie jedoch konnte er nicht in den Straßen finden - stillevertreibend verscheuchten die maskierten Betrunkenen jede einsame Minute. Und Bilder zärtlicher Zweisamkeit zerbrechen, wenn eine sturzbetrunkene Frau sich geräuschvoll auf die Straße erbricht oder laut vom Ficken grölt.

    Er suchte leere Nebengassen und schlängelte sich durch Bonn bis zum Atlantis. Es sind die Gegensätze, die verdeutlichen, sagte er sich – in der Diskothek mochte die schlüpfrige Hemmungslosigkeit weniger aufdringlich an seinen Eingeweiden ziehen - sei es nun aus Ekel oder auch Neid.

    Als er die kurze Kellertreppe hinunter stieg, schlug ihm der Lärm entgegen: „Die Karawane zieht weiter...", von Dutzenden Stimmen gegrölt. Schon im Begriff auf dem Absatz umzukehren, siegte etwas, das am ehesten Trotz genannt werden konnte. Minosch verstand sich als Dulder: Es ging nicht an, dass dergleichen ihn verschreckte, einschüchterte und wie einen Sonderling durch einsame Gässchen zurück schleichen ließ. Eine Stunde, sagte er sich, wollte er bleiben - und drückte die Schwingtür auf.

    Das Atlantis war zum Bersten gefüllt. Minosch gelang es nur mit Mühe, sich in die Menge zu drängen und die Tür hinter sich zu schließen. Ein Kellner mit hoch über die Köpfe gehobenem Bierkasten mühte sich, hindurch zu kommen, um Gläser und Flaschen einzusammeln. Sicher war keiner der Tische auf der Empore frei: Sie waren nicht einmal zu sehen, bestenfalls zu ahnen als kreisrunde, gleichsam ausgestanzte, kopffreie Löcher in der Menge. Trotzdem hängte er sich an einen sich geschickt durch die Menge windenden Kellner, als er vorüber trieb und in die richtige Richtung steuerte. Er hatte richtig vermutet: Auch auf der Empore – ein erhabener, durch eine Balustrade abgegrenzter Bereich, auf dem Tische, Stühle und die eine oder andere Chaiselongue standen – drängte sich die Menge. Nur an einem einzigen Tisch war ein freier Stuhl. Ein seltsamer Anblick, denn die anderen Tische waren nicht einfach nur voll besetzt. Tische, Stühle und Menschen verbuken zu einem dichten Konglomerat, verklebt durch Schweiß, Körperwärme und Leiberdruck. Um diesen Tisch aber war ein halber Meter freier Raum. Hier saßen keine kostümierten Betrunkenen, die mit gellendem Lachen kleine Feigling-Fläschchen auf den Tisch knallten. Zwei Herren saßen hier. Jede andere Bezeichnung, fand Minosch, wäre unzutreffend. Sie trugen Anzüge, jede Falte saß am richtigen Platz. Auf dem Tisch neben sorgfältig manikürten Händen stand je ein Zylinder und ein Glas roten Weines, über den Lehnen der Stühle hingen die Mäntel. Sie mochten Mitte Dreißig sein, vielleicht etwas jünger, vielleicht etwas älter, das war nicht eben leicht zu sagen: Ihre Gesichter wirkten, obzwar durchgearbeitet und mit vielfältigen Spuren durchzogen, doch ausgesprochen frisch und unverbraucht. Sie unterhielten sich, ruhig, scheinbar ohne die Stimme zu heben trotz des ringsum tobenden Lärmes. Ihr Gespräch, ihren Gesten nach zu urteilen, drehten sich um den Gegenstand, der zwischen ihnen in der Mitte des Tisches lag: Ein Apfel, von durchschnittlicher Größe und Färbung, dessen einzige Besonderheit es war, wie der Nabel der Welt zwischen den beiden Herren zu liegen und ihre Aufmerksamkeit mehr zu fesseln als das Tohuwabohu rings umher.

    An einen Tisch für sich allein war nicht zu denken, der freie Stuhl bei den Herren mit dem Apfel war überhaupt die einzige Möglichkeit, das Alles hier sitzend zu ertragen. Mit vorsichtiger Demut trat Minosch heran.

    „Nein, Arnold, du verstehst mein Problem nicht wirklich", hörte er den Rechten der beiden sagen. Über einer scharf geschnittenen Nase stachen hellgraue Augen, ein kurz geschnittener Vollbart umrahmte das hagere, fast vogelartige Gesicht.

    „Ich verstehe sehr wohl, an welcher Stelle dein Problem liegt", entgegnete Arnold und nahm den Apfel in die Hand, um ihn wie Yoricks Schädel vor sich zu halten. „Du willst dich nicht entscheiden, mein lieber Joachim, das ist dein Problem." Er hob die Stimme, als sein Gegenüber etwas einwenden wollte. „Und es kommt letztlich ausschließlich darauf an, dass man sich entscheidet. Zum Beispiel für den - er sprach das Wort sehr deutlich aus - „Apfel. Wie eine Faust schlug er ihn vor sich auf den Tisch. „Nur darauf."

    Ehe der andere Herr etwas sagen konnte – und er hatte den Mund bereits geöffnet und Atem geholt – ließ sich ein „Entschuldigen Sie bitte, ist dieser Stuhl noch frei?" einschieben, fand Minosch und versuchte es. Er musste es laut schreiend wiederholen, denn der erste Versuch verlor sich im tobenden Lärm. Die Herren blickten ihn an. Ihre Augen waren –

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