Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Von den Hütern der Schlange
Von den Hütern der Schlange
Von den Hütern der Schlange
Ebook839 pages11 hours

Von den Hütern der Schlange

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

"Die Vergangenheit findet dich, egal wie gut du dich versteckst. Und manchmal hat sie Zähne und Klauen.“

Lynn hat den Schatz ihres Vaters gefunden: Neun Rubine, versteckt unter dem Baum ihrer Ahnen.
Ihr Geheimnis nimmt sie mit nach Jütland, wo sie bei Eiriks Familie endlich das Zuhause findet, nach dem sie sich so lange gesehnt hat. Aber sie kommt nicht zur Ruhe, denn die Steine tragen einen Fluch in sich, der Lynn in seinen Bann zieht. Sie verstrickt sich in einem Netz aus Lügen und Schuldgefühlen und erkennt dabei nicht, welches Unheil sich über ihr und Eirik zusammenbraut.
Denn auch Lynns Vater Ríann hatte ein Geheimnis. Zwanzig Jahre lag es zusammen mit den Rubinen in der Erde Skotias begraben, beinahe vergessen.
Doch nun wird es für Lynn zur tödlichen Gefahr.

Die Grenzen-Saga von Rebekka Mand in drei Bänden:

Band 1: Von den Grenzen der Erde
Band 2: Von den Hütern der Schlange
Band 3: Von den Herrschern der See
LanguageDeutsch
PublisherXinXii
Release dateOct 22, 2017
ISBN9783961428397
Von den Hütern der Schlange

Read more from Rebekka Mand

Related to Von den Hütern der Schlange

Related ebooks

Historical Fiction For You

View More

Related articles

Related categories

Reviews for Von den Hütern der Schlange

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Von den Hütern der Schlange - Rebekka Mand

    Rebekka Mand

    Historischer Roman

    Qindie steht für qualitativ hochwertige Indie-Publikationen. Achten Sie also künftig auf das Qindie-Siegel! Für weitere Informationen, News und Veranstaltungen besuchen Sie unsere Website www.qindie.de

    Copyright © 2015 by Rebekka Mand

    Alle Rechte vorbehalten.

    Inhalte dürfen nicht ohne Zustimmung der Autorin weiterverbreitet werden.

    Korrektorat: Astrid Vollenbruch

    Cover/Illustrationen: Petra Rudolf (www.dracoliche.de)

    Impressum:

    Rebekka Mand, Römerring 26, 50171 Kerpen

    autorin@rebekkamand.de

    ISBN: 978-3-96142-839-7

    Verlag GD Publishing Ltd. & Co KG, Berlin

    E-Book Distribution: XinXii

    www.xinxii.com

    Für meine Familie.

    Ihr seid mein Zuhause.

    Inhaltsverzeichnis

    Vorwort

    Auftakt

    Teil I

    Gefährliche Geheimnisse

    Tod des Königs

    Heimkehr des verlorenen Sohnes

    Falsche Erwartungen

    Desmond

    Grima träumt wieder

    Begegnung mit einer Sklavin

    ðing

    Vergeltung

    Ein Treffen mit Folgen

    Teil II

    Blutstränen

    Kenne deinen Feind

    Eine schlaflose Nacht

    Bekenntnisse

    Beichte

    Verlobung

    Bens Dämonen

    Odhrans Geheimnis

    Erpressung

    Ríanns Versprechen

    Unheil

    Entscheidung

    Teil III

    Aufbruch

    Auf der Flucht

    Des Esels Stolz

    Der Gauklerkönig

    Vor dem Aufbruch

    Morgen

    Ein Neuanfang

    Untergetaucht

    Unterwegs mit den Gauklern

    Der große Sturm

    Im Exil

    Teil IV

    Ríanns Vermächtnis

    Brema

    Treffen mit der Vergangenheit

    Zähne und Klauen

    Adalbert von Brema

    Tauschhandel

    Ein guter Anfang

    Rachepläne

    Revanche

    Teil V

    Wolfstöter

    Verloren

    Wolfsnacht

    Entscheidung

    Ein Ausweg, vielleicht

    Inari

    Nach Hause

    Befreit

    Glossar

    Nachwort

    Zusammenfassung »Von den Grenzen der Erde«

    Vorwort

    Liebe Leserinnen und Leser,

    ich freue mich, dass Sie sich entschieden haben, Ihre wertvolle und gewiss knappe Lesezeit mit meinem Buch zu verbringen.

    Vielleicht haben Sie »Von den Grenzen der Erde«, den ersten Teil dieser dreiteiligen Reihe bereits gelesen und sind nun gespannt, wie es weitergeht. Vielleicht haben Sie sich aber auch für den Kauf dieses Buches entschieden, ohne den Vorgänger gelesen zu haben.

    In diesem Fall lassen Sie mich eine kleine Warnung aussprechen:

    Falls Sie noch vorhaben, »Von den Grenzen der Erde« zu lesen, sollten Sie das Buch an dieser Stelle ganz schnell wieder zuklappen und mit dem Lesen des ersten Teils beginnen, da Vieles in dem vorliegenden Buch darauf aufbaut.  

    Falls Sie dennoch weiterlesen möchten oder die Lektüre des ersten Teils schon etwas länger her ist und Sie Ihr Gedächtnis auffrischen wollen, finden Sie am Ende des Buches eine Zusammenfassung der bisherigen Ereignisse, um Ihnen den Einstieg zu erleichtern.

    So oder so wünsche ich Ihnen viel Vergnügen, und wenn Ihnen die Lektüre gefallen hat, freue ich mich, wenn Sie mich weiterempfehlen und/oder eine Rezension hinterlassen.

    Sie wollen mir Ihr Feedback persönlich mitteilen? Gern! Schreiben Sie eine E-Mail an autorin@rebekkamand.de.

    Viel Spaß beim Lesen,

    Ihre Rebekka Mand

    Da sprach Gott, der Herr, zur Schlange:

    Weil Du das getan hast, seist du verflucht.

    Das Buch Genesis 3,14

    ~~~

    Auftakt

    Lynn sah es vor sich, das Feenreich; jedes Mal, wenn sie Niamhs Stimme lauschte. Leise, mit diesem tiefen, rauchigen Kratzen darin.

    Wenn Niamh eine Geschichte erzählte, nahm sie Lynn auf den Schoß, und Lynn bettete den Kopf in der weichen Senke zwischen Arm und Brust ihrer Amme.

    Viele Menschen versammelten sich an den Winterabenden um das wärmende Feuer in der Königshalle. Mägde und Knechte, Krieger und fahrende Händler, Vater und manchmal auch Mutter - aber für Lynn gab es nur Niamhs Stimme und die Feen und sonst nichts.

    Wenn sie sich später - nachdem die hungrigen Feuer der Lochlannach alles und jeden gefressen hatten - zurückerinnerte, so dachte sie an diese Momente, wenn Niamh ihre Stimme erhob und die Düfte von Gebratenem und Torfrauch durch die Halle zogen. Aber an die Geschichten selbst erinnerte sie sich nicht.

    Genau wie Niamh blieben sie unter den Trümmern ihrer Kindheit begraben.

    ~~~

    Teil I

    Gefährliche Geheimnisse

    (802/822 n.Chr.)

    Tod des Königs

    Skotia, 802 n. Chr.

    Die Stunden zerrannen wie die Kerze. Unermüdlich und stetig fraß sich das Feuer durch den Docht, lief das Wachs in feinen Bächen den Stumpf hinab und sammelte sich auf dem darunterstehenden Teller. Nicht mehr lange, und das Feuer würde ersterben und nichts zurücklassen als einen Klumpen kalten Wachses.

    »Es geht bald zu Ende«, sagte Odhran.

    Ríann lenkte seinen müden Blick weg von der Kerze und hin zu dem Sterbenden, dessen Flamme ebenfalls mit jeder Stunde schwächer wurde.

    Der Prior faltete die Hände des alten Mannes auf dessen Brust übereinander und hielt sie einen Moment lang fest. Dabei murmelte er ein Gebet und bekreuzigte sich. Erst als er seine Hand von der des Königs nahm, sah Ríann, dass er einen Rosenkranz hineingelegt hatte. Des Königs Hände krümmten sich wie Klauen darum. Das Rasseln seines Atems bereitete Ríann beinahe körperliche Schmerzen.

    Jemand räusperte sich. Da erst bemerkte er, dass die Mönche am Fußende des Bettes ihn erwartungsvoll ansahen. In der Nähe der Tür scharrten sich weitere Menschen zusammen. Sie kamen und gingen wie an einem Feiertag. Nahmen Erfrischungen in der Halle, tauschten Neuigkeiten und Intrigen, soffen, fraßen und warteten auf den Tod des Königs. Günstlinge, die - in der Sterbekammer zum Schweigen verdammt - wie die Geier auf eine Gelegenheit warteten, ein paar letzte Worte des Königs zu erhaschen, um diese dann wie Brocken eines köstlichen Mahls den draußen Wartenden zuzuwerfen.

    Ríann ballte die Hände zu Fäusten. »Ihr da, Brüder!« Er wies mit dem Kinn auf die Mönche. »Singt weiter. Erweist eurem König die Ehre. Bruder Desmond?«

    Er richtete seinen Blick auf den Mönch, der sich aus der kleinen Gruppe schälte. Goldbraune, weiche Locken fielen beinahe verwegen in das blutjunge Gesicht und kringelten sich um seine Ohren. Desmond sah so müde aus, wie er selbst sich fühlte. Aber es tat gut, einen Freund um sich zu wissen, unter all den Krähen.

    »Herr?«

    »Ich wünsche, dass mein Vater nun die Letzte Ölung erhält«, sagte Ríann, bemüht, das verräterische Zittern aus seiner Stimme fernzuhalten. »Schick die Leute hinaus. Alle sollen gehen.«

    Er wartete, bis Desmond und der Dienstbote die Aufgabe, die ihn an das Zusammentreiben einer Schafherde erinnerte, ausgeführt hatten und nur noch der leise Gesang der Mönche das Schlafgemach erfüllte.

    Der Prior sah zu ihm herüber. »Willst du dich nun verabschieden?«

    Ríann erhob sich von seinem Schemel in einer Ecke des Raumes und nickte steif. Desmonds besorgter Blick folgte ihm auf seinem Gang zum Bett.

    Ausdruckslos starrte der König zu den Dachbalken hoch. Nichts deutete daraufhin, dass sein Geist noch hier in diesem Raum war. Ríann zog den Schemel heran und setzte sich. »Ich bin’s Vater.«

    Er bekam keine Antwort. Sein Vater hatte ihn allein gelassen. Der einst so starke, kluge Mann war zu einem sabbernden Greis verkommen.

    Der Alte stöhnte, als habe er Schmerzen, dabei hatte Desmond ihm immer wieder kleine Mengen Mohnsaft eingeflößt. »Vater, ich wünschte, ich könnte etwas für dich tun.«

    Sag mir, was ich tun soll!

    Er ergriff seines Vaters Hand, die erschreckend dünn und kalt war. Lange saß er einfach nur da, lauschte den gequälten Atemzügen und wartete.

    Als seine Mutter gestorben war, hatten sie ihn, ein kleines Kind, mit der Amme fortgeschickt. Und als er zurückkam, hatte es ausgesehen, als schliefe sie. Nichts in ihrem Gesicht hatte auf die Qualen hingedeutet, die sie erlitten hatte. Und so hatte er sich sein ganzes Leben lang damit getröstet, dass sie einfach eingeschlafen sei. Es war seine erste Erinnerung. Und die einzige, die er von seiner Mutter hatte.

    »Herr?« Odhrans Stimme ließ ihn aufblicken. »Es ist Zeit.«

     Nur widerstrebend ließ Ríann die Hand seines Vaters los und verließ das Zimmer.  Mehr konnte er nicht tun. Er hatte für seinen Vater gebetet und er hatte um ihn geweint. In seinem letzten klaren Moment vor ein paar Tagen hatten sie gar ein paar Worte des Abschieds gewechselt. Es war mehr, als er erwarten konnte. Und doch nicht genug.

    Mit verkniffener Miene durchschritt er die Halle, ohne den fragenden Blicken der Günstlinge zu begegnen und konnte sich eines erleichterten Seufzers nicht erwehren, als er in die Kühle der Nacht hinaustrat.

    Die Dunkelheit überraschte ihn. Er hatte länger am Lager des Sterbenden gesessen, als ihm bewusst gewesen war. Der Himmel war sternenklar und die Luft geschwängert vom Fallobst in den Gärten. Noch war es warm genug, um bei Tage im Hemd hinauszugehen, aber bei Nacht biss einem der Frost in die Nase. Ríann ärgerte sich, dass er keinen Mantel mitgenommen hatte. Dennoch umrundete er das Langhaus und betrat den dahinterliegenden Garten. Hier war der süßliche Geruch der vergorenen Äpfel am stärksten. Ríann atmete ihn ein und dachte an Apfelwein. Sein Magen knurrte. Die letzte Mahlzeit am Morgen schien Tage zurückzuliegen. Er wandelte zwischen den Bäumen und Beeten umher, genoss die Ruhe und hatte es nicht eilig zurückzukehren. Er dachte an seines Vaters letzte Worte, bevor ihn die Umnachtung gänzlich umfangen hatte.

    Ruf den oenach zusammen, Junge, bevor ein Monat vergangen ist. Lass dir nicht zu viel Zeit damit. Mancher wird seine Stunde für gekommen halten ... Lass nicht zu, dass sie dir wegnehmen, was ich für dich errichtet habe ... und sag deinem Bruder ... sag Ciaran, es tut mir leid.

    Du wirst es ihm selber sagen, es ist noch nicht zu spät. Er wird kommen.

    Denk an meine Worte, Ríann, trau ihm nicht!

    Wem, Vater? Etwa Ciaran?

    Ciaran, mein Herz. Mein starker, guter Hitzkopf. Wie seine Mutter.

    Vater! Wem darf ich nicht trauen? Sag es mir!

    Ich wollte euch Jungen keinen Kummer machen. Ihr habt einander geliebt, das weiß ich. Sie hätte dir eine Mutter sein müssen. Das Miststück!

    Aber das war sie nicht, Vater. Gott weiß, dass es nicht deine Schuld war, was Eireann getan hat. Und Ciaran weiß es auch, tief in seinem Herzen ...

    Ihr seid beide von meinem Blut. Gemeinsam ... gemeinsam seid ihr unbesiegbar. Lasst nicht zu, dass man euch entzweit.

    Das werde ich nicht, Vater. Ich verspreche es dir.

    Sein Vater hatte noch eine Weile weiter vor sich hingebrabbelt. Zusammenhangsloses Zeug, Erinnerungen aus Ciarans und seiner Kindheit. Ríann war sich nicht einmal mehr sicher gewesen, dass er überhaupt wusste, mit wem er sprach. Es hätte jeder sein können. Und kein Wort mehr über den Verräter.

    Trau ihm nicht!

    Vermutlich würde er schon bald herausfinden, wer ihm wohlgesinnt war und wer nicht. Hoffentlich nicht zu spät.

    ~~~

    Desmond erwartete ihn auf dem Weg zur Halle und ging neben ihm her.

    »Wie geht es ihm?«, frage Ríann.

    Der Mönch schüttelte leicht den Kopf. »Er hat seine Ölung erhalten, ohne zu sich zu kommen.«

    »Danke, dass du hier bist.«

    »Das ist selbstverständlich«, sagte Desmond. »Wo sollte ich sonst sein?«

    Ríann biss sich auf die Lippe, bis es schmerzte. »Ich habe es nicht kommen sehen, Des! Bei Gott, wie konnte ich es nicht kommen sehen?«

    »Du hättest es nicht ändern können. Selbst wenn du hier gewesen wärst.«

    »Macht es das besser?«

    Kühn hielt Desmond ihn auf, indem er seinen Arm ergriff. »Gib dir nicht die Schuld. Du hättest es nicht verhindern können. Caellaigh ist sehr krank. Möglicherweise setzte die Krankheit schon vor Jahren ein, aber niemand hätte ahnen können …«

    »Du hast recht«, unterbrach Ríann ihn, mehr um ihn zu beruhigen als sich selbst. Sein Vater hatte schon vor Jahren begonnen, sich zu verändern. Hatte begonnen, Dinge zu vergessen, war grundlos zornig geworden. Aber Ríann konnte einfach nicht glauben, dass sein Zustand sich in so kurzer Zeit so sehr verschlechtert hatte. Vielleicht hatte jemand nachgeholfen. Vielleicht hatte sein Vater das gemeint, als er von dem Verräter sprach ...?

    Desmond hielt seinen Arm noch immer fest. Seine Hand rutschte nach unten, bis sie in Ríanns lag. »Wenn ich etwas tun kann, irgendwas?«

    Ríann entzog sich sanft der Berührung. »Danke. Aber da ist so vieles, um das ich mich kümmern muss.« Und doch wollte er sich am liebsten in einer Ecke zusammenrollen und die Welt aussperren.

    Desmond hielt seinen Blick fest. »Ich bin für dich da, wenn du mich brauchst.« Er steckte die Hände in die Taschen seine Kutte und schickte sich an, zurück zur Halle gehen.

    »Desmond, warte!«, sagte Ríann und wusste selbst nicht, warum. Aber die Vorstellung, ihn einfach gehen zu lassen, erschien ihm trostlos. Er schluckte.

    »Morgen, um Mitternacht.«

    Desmond lächelte schwach. »Ich werde da sein.« Dann ging er hinein und Ríann blieb alleine auf dem dunklen Hof zurück.

    Als er an den Ställen vorbei kam, bemerkte er ein gesatteltes Pferd, das davor stand. Er trat näher und sah Schweiß auf dem glänzenden Fell.

    »Wessen Pferd ist das?«, fragte er den Stallburschen, der mit einem Striegel und einem Bund frischem Heu aus dem Stall trat.

    »Das deines Bruders.«

    Ríann musste trotz allem grinsen. »Wo ist er? In der Halle?«

    »Niamh hat ihn in deine Kammer geschickt. Sie meint, damit er nach der anstrengenden Reise Ruhe vor den Aasgei- ... vor den Besuchern hat«, rettete er sich im letzten Moment und lief rot an.

    Im Laufschritt legte Ríann den kurzen Weg zurück. In der Halle wurde er sofort von den besagten Aasgeiern bestürmt. Mit dem Ausruf »Auf ein Wort!«, nahm ihn Fearghas O’Brádaigh zur Seite. Er war einer der reichsten und einflussreichsten Männer des Landes, zudem lagen seine Ländereien an der südlichen Grenzmark, und so blieb Ríann keine Wahl, als sich mit ihm am Feuer niederzulassen. Das Wiedersehen mit Ciaran musste warten. Prompt drückte Niamh, die gute Seele, ihm und seinem Gast je einen Becher Apfelwein in die Hand.

    »Ein guter Wein!« Fearghas hob anerkennend den Becher an sein bärtiges Gesicht, während seine grauen Augen Ríann über den Rand hinweg fixierten.

    »Ein Familienrezept«, sagte Ríann nicht ohne Stolz.

    »Was ist das für ein Gewürz?« Fearghas roch an dem Getränk und nahm dann einen kleinen Schluck, den er im Mund hin und her schwenkte, bevor er ihn genüsslich die Kehle hinunterrinnen ließ.

    »Zimt.« Ríann lehnte sich zurück, als er die anerkennende Miene des Anderen sah.

    »In der Tat«, sagte Fearghas gedehnt. Er hatte etwa das Alter seines Vaters, wirkte im Vergleich zu diesem jedoch gesund und unerschütterlich wie ein Baum. »Woher bezieht ihr ihn? Sicher von deinem Bruder, dem Seefahrer?«

    Ríann lächelte dünn. »Wir beziehen ihn von Händlern aus dem Norden.«

    Fearghas verschluckte sich beinahe an seinem Wein und machte große Augen. »Aus dem Norden? Ihr macht Geschäfte mit den Lochlannach

    »Sie sind die Einzigen, die sich so weit nach Osten vorwagen«, erklärte Ríann. »Und außerdem sind sie unserem Wein sehr zugetan.«

    Er trank einen Schluck. Fearghas betrachtete ihn aufmerksam, und - wie es ihm schien - mit einem Respekt, der vorher nicht da gewesen war.

    Seit Nordmänner vor rund zehn Jahren das Kloster von Lindisfarne geplündert hatten und nun die Küsten Britanniens und Skotias unsicher machten, galten die Nordvölker bei den meisten Skoten als gottlose Teufel. Dämonen, die ihre eigenen Kinder fraßen. Aber Caellaigh hatte sich nie davon beeindrucken lassen, was die meisten dachten, und dies auch seinen Söhnen mit auf den Weg gegeben.

    Seid mutig und stark, hatte er ihnen schon als Jungen gesagt. Und lasst euch von niemandem erzählen, was ihr könnt und was nicht.

    Bei dem Gedanken an seinen Vater befiel Ríann eine plötzliche, nie gekannte Einsamkeit. Krampfhaft umschloss er seinen Becher und zwang seine Gedanken zurück zu Fearghas. Der trank seinen Wein aus und stellte den Becher vor sich auf den Tisch. Mit einem Wink hieß Ríann der Magd, nachzuschenken.

    »Ich bin hier, um deinem Vater meine Treue zu versichern«, sagte Fearghas, nachdem Niamh gegangen war. »Er war - ist - ein guter Freund meiner Familie und ein großartiger Mann. Wusstest du, dass wir gemeinsame Vorfahren haben?«

    Ríann schüttelte den Kopf und hob überrascht die Augenbraue.

    »Doch, doch. Über viele Ecken zwar, aber dennoch. Was ich damit sagen will ...«, er beugte sich vertraulich vor, bevor er weitersprach, »du hast meine volle Unterstützung. Und die meiner Lehensmänner, wenn es zum Kampf um die Krone kommt.«

    Ríann beugte sich nun ebenfalls vor und sah dem Älteren in die eisgrauen Augen. »Wenn

    Fearghas neigte den Kopf. »Falls«, korrigierte er sich. »Im Süden ist die Stimmung ruhig. Niemand zweifelt daran, dass du deines Vaters Thron besteigen wirst.«

    Das waren gute Neuigkeiten. Die Grenze zur Provinz An Dún im Süden war immer seines Vaters wichtigstes Anliegen gewesen, da der dortige König es seit Jahren auf Aontroim wegen seiner guten Seewege abgesehen hatte. Aber solange ein starker und loyaler Fearghas ein Auge auf rí Brian und seine Machenschaften hatte, brauchte er sich deshalb vorläufig keine Sorgen zu machen. Und was den Westen betraf - Caellaigh hatte auch hier Vorkehrungen getroffen, um die Grenze nach Dhoire zu sichern. Das war der Grund für Ríanns Abwesenheit gewesen, als die heimtückische Krankheit den  Verstand seines Vaters befiel.

    Ríann legte seine Hand auf Fearghas Arm. »Ich danke dir, mein Freund. Und ich weiß deine Loyalität zu schätzen.«

    Fearghas beugte sich noch weiter vor und senkte seine Stimme zu einem Flüstern. »Um deine Grenzen sorge dich nicht. Konzentriere dich lieber auf das, was um dich herum vorgeht.«

    Ríann runzelte die Stirn. »Wie ist das gemeint?«

    Fearghas zuckte unbehaglich mit den Schultern. »Man hört so dies und das, wenn man sich in deiner Halle rumtreibt. Der Name St. Gallus fiel hier und da. Und dieser Prior ... man soll Menschen nicht nach ihrer äußeren Erscheinung beurteilen, das hat meine alte Großmutter immer gesagt, aber dieser Kerl! Wenn ich ihn sehe, dann zweifle ich daran, dass er ein Mann Gottes ist.«

    Ríann wusste genau, was Fearghas meinte. Die grobe Kutte war das einzige Zugeständnis des Priors an die Bescheidenheit, für welche die Mönche des Klosters St. Gallus bekannt waren. Mehr als alles andere erinnerte er Ríann an eine Krähe. Ein Aasvogel, überall dort anzutreffen, wo Krankheit und Schwäche zu finden waren. Lauernd, die Augen schwarz und bodenlos und voll gieriger Erwartung. Die Haare auf seinen Unterarmen stellten sich auf. Dennoch tat er die Warnung mit einem unverbindlichen Lächeln ab. »Ich habe ein Auge darauf, Fearghas, aber ich glaube nicht, dass der Prior mir gefährlich werden kann.«

    Ríann unterhielt sich noch ein wenig mit ihm, bis der Höflichkeit Genüge getan war, und verabschiedete sich dann mit der Ausrede, sich zurückziehen zu wollen, um für die Seele des Königs zu beten. In Wahrheit hatte er bereits so viel dafür gebetet, dass kein Zweifel daran bestehen konnte, dass der Allmächtige sein Flehen gehört hatte.

    ~~~

     Er fand Ciaran in der Küche, tief über einen Teller mit Braten und in dunkler Soße getränktem Brot gebeugt. Die Mägde umschwirrten und verwöhnten ihn, als sei er dieser Tage der einzige Gast im Haus. Ciaran hatte diese Wirkung auf Frauen, und er wusste sie für sich zu nutzen. Als Ríann näher trat, sah er auf. »Bruder!«

    Sie umarmten sich herzlich und klopften sich gegenseitig auf den Rücken. »Ich bin sofort gekommen, als mich die Nachricht erreichte.«

    Sie setzten sich. »Wie geht es unserem Vater?«, wollte Ciaran wissen. Sein sonst so fröhliches Gesicht wirkte ernst.

    Die Köchin brachte Ríann einen Teller mit Essen und einen Becher Wein, als hätte sie das Knurren seines Magens gehört. Dankbar nickte er ihr zu. »Es geht ihm schlecht. Er hat Schmerzen. Aber gleichzeitig scheint er ganz weit weg zu sein. Er spricht nicht und erkennt niemanden.« Ríann rieb sich über die brennenden Augen. »Ich war nur drei Wochen fort. Als ich ging, schien er gesund zu sein. Vielleicht etwas dünner als sonst. Möglicherweise auch ein wenig verwirrt. Ich dachte, es läge am Alter.« Kopfschüttelnd brach er ab und trank einen tiefen Schluck. »Es wird nicht mehr lange dauern, sagt Odhran. Falls du ihn sehen willst.«

    Ciaran betrachtete das vor ihm stehende Essen und trommelte mit den Fingern auf den Tisch. »Ich bin deinetwegen hier, nicht seinetwegen«, sagte er schließlich.

    Der alte Groll verfolgte Ciaran also bis ans Totenbett ihres Vaters. »Er sprach mit viel Liebe von dir in den vergangenen Tagen. Tatsächlich galten seine letzten klaren Gedanken dir und deiner Mutter. Vergib ihm, das ist der beste Rat, den ich dir geben kann.«

    »Der große Bruder spricht und erteilt weise Ratschläge.« Ciaran verzog den Mund zu einem spöttischen Grinsen und hob seinen Becher.

    Ríann lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Du kannst nicht ewig wütend auf ihn sein, weil deine Mutter ihn verlassen hat.«

    »Er hat sie fortgeschickt. Und mich gleich mit. Und ich bin nicht wütend. Nicht mehr. Er ist mir einfach gleichgültig.« Ciaran sah ihn an. »Aber du bist es nicht. Du bist mein Bruder, egal, was für ein Mensch unser Vater ist.«

    Ríann wollte ihm gerne sagen, was für ein Mensch er war. Ein großmütiger, gerechter und weiser Mann, der alles für die Seinen tat. Er wollte ihm sagen, dass es Caellaigh das Herz gebrochen hatte, als Ciarans Mutter Eireann fortging und den kleinen Sohn mitnahm.

    Sein Vater hatte nie darüber gesprochen, was zwischen ihnen geschehen war, aber jedermann wusste Bescheid. Eireann war ihm untreu gewesen und er hatte sie verstoßen. Dass Ciaran jedoch nicht sein Sohn, sondern der ihres Liebhabers sei, wie Eireann behauptete, um ihn mitnehmen zu können, hatte er dennoch nie geglaubt. Und wenn man sich Ciaran ansah, konnte auch kein Zweifel an seiner Abstammung bestehen, und die Gerüchte kochten schnell herunter. Caellaigh hatte immer zu seinen beiden Söhnen gestanden und beide gleich behandelt, aber Eireann hatte es dennoch geschafft, einen Keil zwischen Vater und Sohn zu treiben.

    Als Ciaran acht Jahre alt war, hatte Eireann ihn zurück an den Hof seines Vaters geschickt, damit er eine Ausbildung erhielt. Offenbar war sie am Ende doch zu der Erkenntnis gelangt, dass sie mit ihrem eigenen Groll nicht Ciarans Zukunft verbauen durfte. Aber die Kluft zwischen Vater und Sohn hatte sich nie geschlossen.

    Ríann beugte sich vor und sah seinem Bruder ins Gesicht. »Verzeih. Es steht mir nicht zu, dir Vorwürfe zu machen. Ich bin froh, dass du hier bist.«

    Ciaran nickte und deutete auf Ríanns Teller. »Du solltest etwas essen. Du siehst furchtbar aus.«

    »Ich danke dir für deine Offenheit«, sagte Ríann und nahm das Messer zur Hand. Während sie aßen, erzählte Ríann von seiner Reise. »Ich war in Doire, um der Königstochter den Hof zu machen.«

    »Und? Hattest du Erfolg?«

    Ríann grinste. »Wie man es nimmt. Wenn du meinst, ob ich ein Eheweib habe, bevor das Jahr vorüber ist, dann ja.«

    Vorausgesetzt, er saß bis dahin auf seines Vaters Thron. Wenn jemand anderes als er den Thron Aontroims bestieg, würde König Ronan von Doire den Vertrag sofort für nichtig erklären lassen.

    »Das wird auch Zeit! Und, wie ist sie so?«

    Ríann zuckte mit den Schultern und stocherte in seinem Essen herum. Der Gedanke an seine zukünftige Frau erfüllte ihn mit Unbehagen, aber dafür konnte das Mädchen nichts. »Sie ist sehr hübsch. Eine Schönheit, um genau zu sein. Rotes Haar, hochgewachsen, blaue Augen. Sie wirkt etwas … schüchtern.«

    Kühl wäre das richtige Wort gewesen, aber vielleicht tat er ihr unrecht. »Ihr Name ist Morag.«

    »Glückwunsch. Klingt nach einer guten Wahl. König Ronan ist ein mächtiger Mann. Gemeinsam könnt ihr ein starkes Bündnis eingehen.«

    »Du sprichst, als wäre Vater bereits tot und ich der König.«

    »Wird es denn nicht so sein?«

    Ríann schwieg lange. »Vermutlich«, räumte er schließlich ein. »Vater hat alles dafür getan, dass der oenach mich zum König wählt. Und ich ebenso.« Und seine geplante Hochzeit mit Morag würde seine Position nur stärken.

    Es ist ein guter Plan, redete er sich zu.

    Aber warum fühlte es sich dann an, als hätte er Steine verschluckt?

    »Wie geht es deiner Familie?«, fragte er, um das Thema zu wechseln.

    »Alle wohlauf. Mein Sohn Brian wird in diesem Herbst zwei. Und Caitlin ist wieder schwanger.«

    »Freut mich für euch. Und dein Geschäft?«

    Ciaran hatte sich von dem Silber, dass er vor drei Jahren von seiner Mutter geerbt hatte, ein Schiff gebaut und betrieb nun einen regen Küstenhandel. Viele, die ihre Waren nicht selbst verschiffen wollten - zumal in einer Zeit, in der Nordmänner plündernd über die Meere zogen - zahlten ihm ein Vermögen dafür, ihre Waren von einer Küste zur nächsten zu verschiffen. Ciarans Erscheinung gab Ríann im Grunde die Antwort auf seine Frage. Er trug feinen Zwirn, Schmuck zierte seine Finger und seinen Hals.

    Ciaran grinste zufrieden. »Ich kann nicht klagen. Alles entwickelt sich prächtig.«

    Sie prosteten sich zu und tranken. »Also, wie geht es weiter, wenn Vater …«

    »Ich werde den oenach zusammenrufen. Die freien Männer werden sich versammeln und darüber entscheiden, wer Vaters Platz als rí tuath einnehmen soll. Bis dahin werde ich sein Platzhalter sein.«

    »Hm«, machte Ciaran und trank wieder. »Gibt es weitere Anwärter?«

    »Wir werden sehen. Noch wagt es keiner, Anspruch auf den Thron zu erheben, aber das wird sich ändern, wenn der König tot ist. Du siehst ja, was hier los ist.«

    Ciaran musterte ihn zweifelnd und schüttelte dann den Kopf. »Bin froh, nicht in deiner Haut zu stecken, Bruder.«

    »Tatsächlich?«

    Der durch und durch verwirrte Blick, den Ciaran ihm schenkte, ließ Ríann schmunzeln - und aufatmen.

    Dann endlich verstand Ciaran. »Du glaubst, dass ich ...?«

    »Nun, du bist hier, nicht wahr?« Ríann breitete entschuldigend die Arme aus.

    »Nicht in zehn Jahren!« Ciaran knallte den Becher auf den Tisch. »Nichtmal für Silber und alle Schätze des Landes! Nichtmal, wenn du mir zum Dank die Feenkönigin nackt auf den Bauch binden würdest!«

    »Ist ja gut, schon gut. Ich habe verstanden!« Ríann lachte und hob abwehrend die Hände.

    Die Tür zur Küche flog auf. Herein trat Desmond. Ríann sprang auf und stieß seinen Becher um. Der Wein plätscherte leise auf den Fußboden und versickerte darin. Auch Ciaran erhob sich.

    »Er ist tot«, sagte Ríann. Es war keine Frage. Er las die Antwort in Desmonds Augen. Es traf ihn härter als er geglaubt hatte. Seine Knie zitterten so stark, dass er sich wieder setzen musste. Ciaran schwieg.

    »Er ist friedlich eingeschlafen«, sagte Desmond. »Seine Seele ist nun bei Gott.«

    »Danke, Bruder Desmond«, sagte Ríann, ohne ihn anzusehen. Schwach winkte er ihn fort. »Geh jetzt. Sprich ein Gebet und leg dich dann schlafen. Du hast genug getan. Ciaran und ich übernehmen die Totenwache.«

    Ríann sah aus den Augenwinkeln, wie sein Bruder sich versteifte, aber das war ihm egal. Caellaigh war auch sein Vater gewesen. Und er würde ihm die letzte Ehre erweisen, ob er wollte oder nicht. Nachdem Desmond gegangen war, stand Ríann auf und straffte sich. »Komm, Bruder. Wir haben eine lange Nacht vor uns.«

    ~~~

    Heimkehr des verlorenen Sohnes

    Jütland, Sommer 822 n.Chr.

    Eirik saß vorgebeugt auf einer Decke, dem Feuer zugewandt, und wog sein Schwert in den Händen. Er betrachtete den glänzenden Stahl, dem es gänzlich an den charakteristischen Macken und Kratzern fehlte, die seinen Gebrauch bezeugten. Das sanfte Schlagen der Wellen gegen das Ufer des Limfjords wurde begleitet vom Knistern und Knacken des Feuers und dem leisen Schnarchen der Männer rings herum. Es war tiefe Nacht, der Mond hatte seine Reise über den Himmel bereits zu zwei Dritteln beendet.

    »Ein schönes Schwert«, flüsterte Ben Feuernase, der mit Eirik Wache hielt. »Wie wirst du es nennen?«

    »Weiß noch nicht. Mir fällt schon was ein«, brummte Eirik.

    Ein Schmied aus Haithabu hatte ihm die Klinge geschmiedet. Eirik hatte viel dafür bezahlt und das ärgerte ihn. Er selbst hätte die Esse anheizen und den Stahl darin schmieden sollen. Die Kraft seiner Arme hätte ihn bis zur Vollendung formen, und die Schnitzereien am Griff des Schwertes ausführen müssen. Dann wüsste er jetzt seinen Namen. Aber dafür war keine Zeit gewesen vor ihrem Aufbruch zur víking, und so hatte er eines gekauft. Und wofür?

    »Blank und rein wie eine Jungfrau.« Er schüttelte missmutig den Kopf. »Wie nennt ihr Christen noch dieses Weib, die Mutter des angenagelten Bengels?«

    »Maria«, antwortete Ben ohne den üblichen Tadel.

    »Maria, genau. Vielleicht nenne ich es Maria, denn es ist wie ein Weib. Schön, teuer und zu nichts zu gebrauchen.« Er griff nach seinem Schlauch und trank einen Schluck schales Wasser. Das Bier war ihnen vor zwei Tagen ausgegangen.

    »Du willst dein Schwert nach der Heiligen Jungfrau benennen? Das Schwert, mit dem du Christen überfällst und tötest?«

    Nun kam der Frömmler also doch noch durch.

    »Bei Ódin, ich wäre froh, hätte dieses Schwert einen Christen wenigstens von weitem gesehen.«

    Ben schnaubte. Ob vor Belustigung oder Empörung konnte Eirik nicht sagen. Überhaupt verstand er nur wenig von dem, was in dem einstmaligen Mönch vorging. Er liebte die See und das Leben von der Hand in den Mund, das sie oft über viele Monde hinweg führten. Er beteiligte sich nicht an den Kämpfen, aber er verurteilte die nicht, die es taten. Er nannte einen Heiden seinen besten Freund und ertrug dessen Spötteleien klaglos, ohne jemals zu versuchen, ihn zu bekehren. Und obwohl Ben Feuernase seinem Gott den Rücken zugewandt hatte, hielt er sich dennoch streng an dessen seltsame Gebräuche, versank oft für Stunden im Gebet oder fastete tagelang - die Götter wussten, wie er das aushielt. Ganz zu schweigen von seiner Enthaltsamkeit.

    »Was erwartet uns morgen?«, fragte Feuernase.

    Eirik steckte das namenlose Schwert zurück in die Scheide und wärmte seine Hände am Feuer. »Mich? Die Schelte meiner Mutter, eine warme Mahlzeit, ein warmes Bett und - so die Götter mit mir sind und sie mich nicht verlassen hat - mein Weib darin. Dich? Dasselbe vermutlich. Außer dem Weib.« Er grinste, aber Feuernase erwiderte es nicht.

    »Du glaubst, sie werden mich dulden?«

    »Du hast dich nicht wie ich als geächteter vargr in der Ferne herumgetrieben. Wenn einer um seinen Schlafplatz fürchten muss, dann bin ich es.« Er sagte es im Scherz, ließ sich nichts anmerken. Der Göttervater allein wusste, wie sehr er sich vor der Zukunft fürchtete, und so sollte es auch bleiben.

    Zum ersten Mal, seit er sich noch in die Windeln geschissen hatte, war er so sehr auf die Hilfe seiner Sippe angewiesen. Er fühlte sich nackt und ausgeliefert. Vorbei die Zeiten des großen Eirik Karrsson, Söldner, Seefahrer, Waelkyrigenreiter. Willkommen daheim, jüngster Sohn, kleiner Bruder, Schande der Familie. In seiner Brust wurde es eng.

    Ben zuckte mit den Schultern. »Aber ich bin keiner von euch.«

    »Natürlich bist du das«, unterbrach Eirik ihn barsch. »Wie lange kennen wir uns?«

    »Seit einem Jahr«, antwortete Feuernase prompt.

    Eirik stutzte. Ein Jahr erst? Es kam ihm vor, als kenne er Ben Feuernase bereits sein ganzes Leben. »Wir sind Brüder auf See, Schwurbrüder. Sie vertrauen dir genauso wie ich«, sagte er bestimmt.

    Langsam schüttelte Ben den Kopf, nahm einen Zweig auf und stocherte damit in der Glut herum. »Zwischen jemandem auf See vertrauen und ihn in sein Haus lassen besteht ein gewaltiger Unterschied.«

    Eirik wusste nur zu gut, was er meinte, aber er tat den Einwand mit einem Schnauben ab. »Der Winter steht vor der Tür. Wo solltest du sonst hin? Sie werden dich nicht fortschicken, dafür sorge ich.« Wenn ich kann ...

    Er stand auf und streckte sich. Ein Blick in den Himmel verriet ihm, dass ihre Wache gleich vorüber war. Mit einem sanften Tritt beförderte er seinen Neffen Kjartan aus dem Land der Träume in die Wirklichkeit. »He, aufwachen, Schnarchnase! Du bist gleich dran.«

    Kjartan knurrte und zog sich einen Zipfel seines Schlafsacks über den Kopf.

    »Lass ihn«, sagte Ben. »Ich bleibe noch etwas auf. Kann eh nicht schlafen.«

    Eirik musterte ihn skeptisch. Ben hatte dunkle Ringe unter den Augen. »Morgen wird ein langer Tag. Nicht, dass du auf der Ruderbank einschläfst.«

    Lässig winkte Ben ab. Eirik zuckte mit den Schultern und suchte im Dunkeln seinen Lagerplatz. Er zog die Stiefel aus und stellte sie gleich neben sein Schwert, die Jungfrau Maria. Er schmunzelte über den Namen, entschloss sich dann aber, dennoch einen anderen auszusuchen. Wenn dieser Christengott so mächtig war, wie Ben behauptete, dann wollte Eirik ihn lieber nicht gegen sich aufbringen.

    Vielleicht sollte er dem Schwert einfach den Namen des ersten Mannes geben, den er damit als Erstes tötete? Das war nicht gerade einfallsreich, aber hatte der Name »Silbersucher« ihm jemals Glück gebracht? Oder Silber? Nein, dem Ersten würde die Ehre gebühren. Und nun Schluss mit der Grübelei.

    Eirik legte sich unter die Decke und beobachtete den mit Sternen übersäten Himmel. Nirgends waren die Nächte so klar wie im Norden. Und nirgends so kalt.

    ~~~

    Lynn erwachte mit laut klopfendem Herzen, wie schon so viele Nächte zuvor. Sie presste die Lippen zusammen und atmete durch die Nase, tief und langsam, bis die Panik verflog und nichts zurückblieb außer diesem dumpfen Gefühl von Furcht, das ihr Wachsein begleitete, auch noch lange, nachdem der Traum verblasst war. Um sie herum regte sich nichts, und doch konnte der Morgen nicht mehr fern sein. Die Luft roch anders, wenn der Tag sich anschlich, und die Stille hatte diesen speziellen Klang. Lynn liebte die Stunde zwischen Schlafen und Wachen, und doch wünschte sie, sie müsste nicht jeden Tag um diese Zeit beginnen. Mit trockener Kehle und dem Echo ihres Traums im Kopf.

    Leise schlug sie die Decke zurück und verließ auf nackten Füßen ihr Lager. Halbblind zog sie ihre lederne, weiche Hose und eine braune Tunika an, zwängte sich in ihre Stiefel und nahm nach kurzem Zögern auch noch die Fellweste vom Wandhaken neben ihrem Lager. Es war beinahe Herbst; die Tage noch warm, aber die Nächte bitterkalt. Zuletzt legte sie den Gürtel mit dem Jagdmesser an. Sie beugte sich über Finnas Lager und berührte ihre Schwägerin sacht an der Schulter. Finna murrte leise, regte sich aber nicht.

    »Finna?«, flüsterte Lynn. Sie wollte niemanden sonst wecken, sich nicht ihren Fragen stellen müssen. Warum so früh? Warum schon wieder? »Finna? Ich geh auf die Jagd.«

    Sie wartete Finnas bestätigendes Grunzen kaum ab. Ihr Bogen hing bei den anderen Waffen neben der Tür an einem Haken. Niemand betrat jemals mit einer Waffe das Haus, es sei denn, er hegte kriegerische Absichten. Sie griff nach Bogen und Köcher, hängte sich beides um, und trat mit einem erleichterten Seufzen ins Freie. Die kalte Luft drängte die Angst vor dem Traum schlagartig zurück in den hintersten Winkel ihres Verstandes, wo sie ruhen würde. Bis zum nächsten Mal.

    Lynn setzte ihre Füße auf den taufeuchten Holzsteg, der den skáli mit den anderen Häusern verband, und schickte Körper und Geist auf Wanderschaft. Sie folgte dem Pfad bergan zum Limfjord und blickte von oben auf das ruhige Gewässer, das sich wie eine Schlange bis zum Meer durch das Land wälzte.

    Lynn fröstelte und schlang sich die Weste enger um die Schultern. In ihrem Traum gab es diese Schlange. Sie legte sich um Lynns Hals, immer enger, bis sie kaum noch Luft bekam. Und ihre Augen waren rot.

    Sie lief weiter, immer weiter, als könne sie dem Traum dadurch entkommen, und mit jedem Schritt schien sie sich tatsächlich davon zu entfernen. Sie hatte gehofft, hier, weit weg vom Nordweg und noch weiter weg von Skotia und all ihren Erinnerungen Frieden zu finden, aber es schien ganz so, als wären die Geister der Vergangenheit ihr gefolgt.

    Der Schatten des Waldes empfing sie wie ein alter Freund. Sie hatte es immer geliebt, allein durch die Natur zu streunen. Ihre Mutter hatte sie oft dafür gescholten. Später, als Sklavin am Nordweg, war sie gemeinsam mit Ture oder Großmutter Hallgert losgezogen. Selten allein. Nie, ohne einen Vorwand zu benötigen.

    Nun brauchte sie keinen Vorwand mehr. Sie konnte kommen und gehen, wann und wohin sie wollte. Sie war zum ersten Mal frei. Trotzdem gaben der Bogen und das Messer ihr ein Gefühl von Rechtschaffenheit, auch wenn sie natürlich wusste, dass sie sich selbst belog. Es gab für sie nur einen Grund, morgens vor dem ersten Sonnenstrahl aufzustehen und hinaus in den Wald zu gehen. Nur einen. Und sie schämte sich abgrundtief dafür.

    Sie folgte dem Pfad zu dem verwitterten Ziegenstall. Inzwischen kannte sie ihn blind. Dies war ihr Ort, so wie es am Nordweg die Klippe am Fjord gewesen war, von der aus sie jeden Abend auf das Wasser geblickt hatte. Ihr Herz begann lauter zu schlagen, das Blut rauschte in ihren Ohren, als sie das schattige Innere des Stalls betrat. Das Strohdach war halb abgedeckt, die Holzbalken verwittert und die Lehmwände teils eingerissen. Es roch nach altem Stroh und Moder. Spinnweben tanzten im kaum vorhandenen Luftzug. Die Dunkelheit hier drinnen war fast noch perfekt. Lynn tastete sich an der Wand entlang in die hintere Ecke. Dort ging sie in die Knie und strich Stroh und verrottetes Laub zur Seite, bis sie die lockere Diele freigelegt hatte. Mit dem Messer stemmte sie das Holz in die Höhe. Eine Spinne huschte davon. Lynn zuckte erschrocken zusammen, dann griff sie in das Loch und zog den Beutel mit den Edelsteinen hervor. Jedes Mal, wenn sie herkam, fürchtete und wünschte sie zugleich, sie wären fort. Irgendjemand - ein verirrter Wanderer auf der Flucht vor einem Gewitter vielleicht - hätte sie gefunden und mitgenommen. Aber natürlich hatte sie das Versteck gut gewählt. Niemand außer ihr würde die Steine hier je finden.

    Beinahe zärtlich ließ sie die neun Rubine in ihre Hand gleiten. Sie fühlten sich warm und schwer an. Vertraut. Lynn setzte sich mit dem Rücken gegen die Stallwand und starrte auf ihre Hand, wartete darauf, dass die Sonnenstrahlen sie fand. Sie liebte diesen Moment, wenn das Licht sich in den Steinen brach und sie zum Glühen brachte. Mit dem Zeigefinger der anderen Hand strich sie darüber und fragte sich nicht zum ersten Mal, was ihr Vater damit bezweckt haben mochte, ihr dieses Vermächtnis zu hinterlassen. Diese Steine waren für Lynn unermesslich in ihrem Wert. Sie bedeuteten ihr alles und nichts. Sie könnte sie jetzt gleich in den Limfjord werfen und wäre doch nicht ärmer als zuvor. Aber warum sollte sie das tun? Die Steine waren das Einzige, was ihr von ihrem Vater geblieben war.

    Das Einzige, das wirklich mir gehört. Mir allein.

    Das Licht kroch über die Türschwelle, fand Lynns Füße und schließlich die Steine in ihrer gewölbten Hand. Lynn hielt den Atem ab. Wie tausend Sterne funkelten die Rubine, tanzte das Licht über ihr Gesicht. So wunderschön.

    Sie biss sich auf die Wange und ballte die Faust, erstickte den bunten Lichtertanz. Sie fühlte sich schuldig, weil sie es niemandem gesagt hatte. Weil sie es ihm nicht gesagt hatte. Was würde er von ihr halten, wenn er es wüsste?

    Aber er musste es ja nicht erfahren.

    Behutsam ließ sie die Steine zurück in den Beutel gleiten und verstaute diesen in seinem Versteck. Aber sie ging noch nicht gleich. Die Stille an diesem vergessenen Ort nahm sie gefangen. Hier fühlte sie sich ihrer Vergangenheit nah. Als würde nichts als eine Pergamentschicht sie von der Lynn trennen, die sie einst gewesen war. Ob die Steine das bewirkten? War dies das Geschenk, das ihr Vater ihr gemacht hatte?

    Irgendwann entschied sie, dass es Zeit war zu gehen. Zurück zum skáli, wo inzwischen alle wach wären. Wo die Kinder nach ihrem Brei verlangten, wo die Frauen schon in der Frühe vor Geschäftigkeit summten. Wo Grima - das Drachenweib, wie Eirik seine Mutter nannte - auf Lynns Heimkehr lauerte, um jeden ihrer Schritte zu kommentieren und bewerten. Das Mädchen aus Skotia, das Sklavenliebchen, schimpfte sie Lynn, wenn sie mit anderen über sie sprach. Als könnte Lynn sie nicht hören.

    Es störte sie nicht wirklich. Sie wusste ja selbst nicht, warum sie hier war. Ob dieser Ort - dieser Mann - ihr je mehr bedeuten würde als die schlichte Notwenigkeit eines Daches über dem Kopf. Vielleicht bekam sie schon bald Gelegenheit, es herauszufinden. Der Herbst war nah. Mit ihm kehrten die Männer von der víking heim. Und Eirik. Lynn wünschte sich ein Zuhause. Endlich einen Ort, an den sie gehörte. Und sie wünschte sich, dass der Hof am Limfjord dieser Ort werden würde. Aber sie wusste, dass sie diese Entscheidung nicht treffen würde, sondern er. Und deshalb vermied sie es, sich heimisch zu fühlen.

    Das Licht fiel zart durch das Blätterdach und tanzte über den laubbedeckten Boden, als Lynn den Stall verließ. Sie zog ihre Stiefel aus und schlich mit nackten Füßen über Moos und Blätter, ohne einen Laut zu verursachen. Den Bogen hielt sie locker in der rechten Hand. Sie wollte nicht heim. Sie hatte Lust zu jagen.

    Ein Knacken im Geäst ließ sie innehalten. Langsam sank sie in die Hocke, während ihre Hand einen Pfeil aus dem Köcher zog und anlegte. Aber es war nur eine Amsel, die auf dem Waldboden nach Futter suchte. Enttäuscht ließ Lynn den Bogen sinken. Ein erneutes Rascheln. Sie blickte auf. Als das Kaninchen aus dem Geäst hervorpreschte, war sie sofort auf den Beinen und hatte den Bogen gespannt. Im Zickzack flitzte es über die Lichtung. Lynn folgte ihm mit dem Pfeil, versuchte, die Fluchtroute vorauszuahnen und schoss ohne viel Hoffnung auf Erfolg. Umso mehr freute es sie, als der Pfeil im Hinterlauf des Tieres stecken blieb und es zur Strecke brachte. Sie lachte überrascht auf und rannte zu ihrer Beute hinüber. Das Kaninchen lebte noch. Seine Nüstern blähten sich in wilder Panik, und die Augen starrten weit aufgerissen dem sicheren Tod entgegen. Lynn löste ihr Jagdmesser aus der Scheide und schnitt dem Tier die Kehle durch. Dabei murmelte sie ein paar Dankesworte an die Jagdgöttin Skadi, so wie Ture es ihr gezeigt hatte.

    Der Jagderfolg so früh am Tag versetzte sie in Hochstimmung. Vielleicht gelang es ihr, noch mehr Kaninchen zu schießen. Das gäbe am Abend einen schönen Eintopf. Sie konnte ein paar Kräuter und Pilze pflücken und alles zusammen kochen, wenn Grima sie an ihr Heiligtum, das Herdfeuer, ließ.

    Sie spürte die Präsenz des Stalls in ihrem Rücken, als sie den Kadaver kopfüber an ihren Gürtel band und weiterging. Sie wusste, sie würde schon bald wieder herkommen. Es kostete sie all ihre Willenskraft, sich nicht ein letztes Mal umzudrehen.

    ~~~

    Eirik war am Morgen als einer der Ersten auf den Beinen, denn er hatte kaum schlafen können. Kein Lüftchen regte sich, was mit allgemeinem Gemurre kommentiert wurde.

    »Los, verstaut euer Zeug und dann auf die Ruderbänke«, bellte Runolf.

    Insgesamt waren sie eine kleine Flotte von drei Schiffen. Genug Männer, um nach Westen zu fahren und die reichen Klöster zu plündern. Stattdessen hatten sie sich nach Osten gewandt, waren mehr gelaufen als gerudert, hatten mehr gefeilscht als geplündert. Eirik hatte versucht, Runolf und die anderen Bootsführer umzustimmen.

    »Es ist nicht dein Schiff und nicht deine Entscheidung«, hatte Runolf ihn schroff zurechtgewiesen. »Du wirst dich dran gewöhnen müssen. Oder gehen.«

    Eirik schulterte seinen Seesack und trug ihn zur Fjordsdottir. Ein Pfiff genügte, und Kjartan erschien an der Reling. »Hier, fang!«

    Geschickt tat Kjartan, wie ihm geheißen und strahlte dann über Eiriks anerkennendes Nicken. Der Junge machte sich. Er war stark geworden in diesem Sommer. Vielleicht würde Eirik ihn eines Tages überzeugen können, sich vom Handel abzuwenden und mit ihm auf See zu fahren.

    Sie ließen die Boote zu Wasser. Ihr Lagerplatz befand sich am Eingang des Limfjords, den sie gestern im letzten Abendlicht nicht mehr zu befahren gewagt hatten. Eirik setzte sich hinter Ben an die Ruderbank. Auch eine von Runolfs Entscheidungen, an die er sich besser gewöhnen sollte, wenn es nach seinem Bruder ginge. Er spuckte in die Hände und griff nach dem Ruder. Kari schlug den Takt und langsam manövrierten sie das Handelsschiff aus der Bucht.

    Völlig egal, wie oft er auch schon auf See gefahren war; der Moment, wenn der Wind das Segel erfasste, und ihm die salzige Luft um die Nase wehte, fühlte sich jedes Mal an wie eine Heimkehr. Schlagartig hob sich seine Laune. »Bis zur nächsten Fahrt sind es nur acht Monde«, sagte er zu Feuernase, während sie ruderten. Der warf ihm einen kurzen Blick über die Schulter zu und grinste. »Acht Monde, Feuernase! Zwei davon verbringen wir auf dem Feld. Wir werden so viel Arbeit haben, dass wir nicht dazu kommen werden, die See zu vermissen.« Das hoffte er zumindest. »Und zwei weitere, nach der Schneeschmelze, verbringen wir mit den Vorbereitungen für die nächste víking im Sommer.«

    »Und was machen wir in der Zeit dazwischen?«, wollte Ben wissen.

    »Nun«, Eirik geriet ins Schwitzen, denn sie ruderten gegen die Strömung. »Ich kann nur für mich sprechen. Aber ich werde mich betrinken und mich an meinem Weib wärmen. Immer abwechselnd. Oder auch gleichzeitig.« Dieser Gedanke brachte ihn dazu, etwas schneller zu rudern. Es verblüffte ihn, wie sehr er Lynn vermisste. Dabei war ihr Abschied mehr als frostig gewesen, denn sie hatte es ihm verübelt, dass er sie mit seiner Familie alleine ließ, um gleich wieder auf See zu fahren. Eirik hoffte jedoch, dass der milde Sommer ihr Gemüt beruhigt hatte und ihre Sehnsucht den Groll überwog, wenn sie sich wiedersahen. Heute Abend schon!

    »He, bleib im Takt, Brüderchen!« Kari stieß ihn im Vorbeigehen an. Dann hockte er sich neben ihn und sagte sehr viel leiser: »Es tut mir leid, aber es gibt keine víking im nächsten Sommer.«

    Eirik spürte, wie das Blut aus seinem Kopf einen Sturzflug in den Magen machte. »Wann wurde das entschieden?«

    Kari zuckte mit den Schultern. Es sah beinahe verlegen aus. »Da gab es nichts zu entscheiden. So machen wir es schon immer seit Vater tot ist. Jeden zweiten Sommer fahren wir auf See, und im Jahr darauf bleiben wir zu Hause und kümmern uns um unsere restlichen Angelegenheiten.«

    Eirik sah, wie Ben sich vor ihm versteifte und den Kopf einzog. Kurzentschlossen machte Eirik Kari Platz auf der Ruderbank. »Hier, übernimm kurz für mich. Ich muss mit Runolf reden.«

    »Eirik«, warnte Kari, aber Eirik beachtete ihn nicht weiter. Vor sich sah er den breiten Rücken seines ältesten Bruders, der stur und stolz wie ein Fels dastand und auf den sich vor ihnen schlängelnden Fjord achtete.

    »Runolf!« Eirik stellte sich daneben, bemüht um einen gelassenen Tonfall. »Ich muss mit dir reden. Es geht um den nächsten Sommer.«

    Runolf wandte sich ihm zu. In seinem Blick lag eine stumme Warnung. »Was ist damit?«

    »Ich will auf See fahren.«

    Nein, verflucht, ich muss!, dachte er bei sich, und die Panik schnürte ihm beinahe die Kehle zu. »Ich brauche Silber, um mir ein neues Schiff zu bauen, das weißt du.«

    »Tut mir leid, es geht nicht. Es gibt zu viel zu tun. Ich habe Verantwortung …«

    »Dann lass mich fahren!«, fuhr Eirik ihm über den Mund. »Ich habe Männer. Sie werden kommen, wenn ich sie rufe. Ich brauche keinen einzigen deiner Schwurbrüder.«

    »Aber du brauchst mein Schiff.« Runolf verschränkte die Arme und zog eine Augenbraue hoch. Bei Ódin, dieser Bastard genoss es, ihn zu quälen.

    »So ist es. Und du sollst deinen Teil dafür bekommen. Ihr braucht keinen weiteren Mann auf den Feldern. Lass mich das tun, was ich am Besten kann.«

    Runolf schien darüber nachzudenken. Langsam kraulte er sich den Bart, während sein Blick über das Wasser glitt. Eirik spürte die neugierigen Blicke der anderen in seinem Rücken, spürte den Schweiß, der sein Hemd durchtränkte.

    »Wir reden später darüber«, sagte Runolf schließlich und Eirik ahnte, was das bedeutete.

    Mit einem knappen Nicken wandte er sich dennoch ab und kehrte zurück auf seinen Platz an der Ruderbank, während Runolf auf dem lýpting stehen blieb, mit erhobenem Kopf und ihm zugewandten Rücken.

    ~~~

    Den ganzen Tag ruderten sie mit nur kurzen Unterbrechungen. So nah am Ziel wollte keiner eine lange Rast machen, aber es kam auch kein Wind auf, der ihnen die Fahrt erleichterte. Auf den Ruderbänken wechselten sie sich ab, nur Eirik lehnte eine Pause ab. Er würde wahnsinnig werden, wenn er nichts zu tun hatte. Und er wusste nicht, was dann geschehen würde.

    Am späten Nachmittag, als die heimatliche Bucht in Sicht kam, brannten seine Schultern und schmerzte sein Kreuz wie das eines alten Mannes. Zumindest erinnerte es ihn daran, dass er kein junger Mann mehr war. Freudige Rufe schallten über das Deck, und selbst Eirik konnte sich der Vorfreude nicht entziehen, als er hinter dem Hügel die Rauchsäule des Herdfeuers aufsteigen sah. Er sehnte sich nach einer warmen Mahlzeit und einem kühlen Bier. Oder auch zwei.

    Alle drei Schiffe steuerten den langen Anleger des Karrshofs an. Eirik war als Erster im Wasser und fing das Tau, das Harald ihm zuwarf. Weitere taten es ihm nach und gemeinsam zogen sie die Fjordsdottir auf den Strand, wo sie wie ein betrunkener Seemann liegen blieb. Auf dem Hügel sah Eirik ein paar Kinder spielen und glaubte, Finnas Jüngsten - seinen Namensvetter - unter ihnen zu entdecken. Nun würde sich sehr bald herumsprechen, dass sie zu Hause waren. Und tatsächlich blickten die Kinder just in diesem Moment in seine Richtung. Eirik winkte mit beiden Händen, was mit einem fernen Quieken beantwortet wurde. Kurz darauf rannten die Kinder den Hügel zum Hof hinab. Zweifellos, um ihre Entdeckung kundzutun. Eirik suchte nach Ben Feuernase und fand ihn bei einem der Schiffe, wo er mit dem Abladen von Waren beschäftigt war. Eirik winkte ihn zu sich. Ben stellte den Stoffballen ab, den er gerade herausgehievt hatte, und klopfte sich den Staub aus dem Hemd. Eirik sah, welche Frage ihm auf der Zunge brannte.

    »Ich rede noch heute mit Runolf.« Er legte seinem Freund die Hand auf die Schulter. »Ich halte Wort, Ben. Du darfst bleiben. Runolf ist froh um jede helfende Hand.«

    Ben schien nicht überzeugt, aber er war klug genug, es dabei zu belassen.

    »Und da kommt auch schon der Empfang!«, rief Harald. Aus seiner Stimme klang die reinste Glücksseligkeit, denn Eiriks Schwester Finna war wie immer die Erste am Anleger, um ihren Liebsten zu begrüßen. Jauchzend warf sie sich Harald in die Arme und küsste ihn stürmisch, ungeachtet der anfeuernden Rufe der anderen Männer um sie herum. Dicht auf den Fersen folgten ihr Erri und der Rest der Brut, von der Eirik noch immer nicht wusste, wer zu wem gehörte. Und ständig kamen neue Kinder dazu, so dass es ihm hoffnungslos erschien, es überhaupt zu versuchen.

    Nach und nach trudelten auch die anderen ein. Seine Halbschwester Thorve, deren Mann auf See umgekommen war, und die nun wieder zu Hause lebte. Inga, mit einem plärrenden Säugling auf dem Arm, die ihren Mann Kari zärtlich an sich drückte. Und Freya, die als Runolfs Frau die Hoheit über den gesamten Haushalt führte. Zumindest dann, wenn Eiriks Mutter - gemeinhin bekannt als das Drachenweib - gerade nicht hinsah. Dann waren da noch ein paar Frauen von den Nachbarhöfen, die sich eingefunden hatten, um bei der Ernte zu helfen und ihre Männer in Empfang zu nehmen.

    »Endlich trägst du einen Bart wie ein Mann!«, tönte Grimas Stimme aus der Nähe.

    Eirik drehte sich zu seiner Mutter um und ließ sich umarmen. »Und du siehst frisch aus wie der junge Morgen, Mutter. Eine Augenweide!«

    Grima schlug ihm fest auf die Wange, aber dabei errötete sie wie ein Mädchen. »Schwachkopf! Jetzt lass mich nach deinen Brüdern sehen.«

    Eirik sah sich vergeblich nach Lynn um, wurde aber schnell abgelenkt, als Finna nun auch ihm um den Hals fiel. »Ich bin froh, dass du wieder da bist«, flüsterte sie, während sie ihm einen Kuss auf die Wange drückte.

    »Bestanden Zweifel daran?«

    Sie prustete bloß und rückte von ihm ab, um ihn näher in Augenschein zu nehmen. »Alles noch dran, wie ich sehe.« Dann klopfte sie ihm auf die Schulter und wandte sich dem Nächsten zu.

    »Finna, warte«, hielt er sie auf. »Warum ist Lynn nicht hier?«

    Finna winkte lässig ab. »Sie ist heute Morgen in aller Frühe zum Jagen in den Wald aufgebrochen.«

    »Allein?« Eirik runzelte die Stirn.

    »Sie kann auf sich aufpassen, glaub' mir. Und sie ist gut. Hat uns schon die eine oder andere Mahlzeit heimgebracht.«

    Eirik presste die Lippen zusammen. Ihm gefiel nicht, dass Lynn sich offenbar regelmäßig allein in den Wäldern herumtrieb. Aber was hatte er erwartet? Dass sie tagein, tagaus am Hof auf seine Heimkehr wartete?

    »Bis zum Abend wird sie zurück sein«, tröstete Finna ihn, und ging fort, um Kari in die Arme zu schließen.

    Eirik lud mit den anderen die Waren aus und half, die Fjordsdottir in die Werft zu ziehen, wo sie vor dem Winter den nötigsten Reparaturen unterzogen und dann für die nächsten zwei Jahre weggesperrt werden sollte. Was für eine Schande.

    Bedauernd sah er zu, wie Runolf und Kari das Tor verschlossen und den Riegel vorlegten. Im Vorbeigehen klopfte Kari ihm auf die Schulter. »Komm, Eirik, lass uns essen gehen«, sagte er.

    Doch Eirik schüttelte den Kopf. »Runolf. Können wir jetzt reden?«

    Runolf blieb stehen und straffte die Schultern. »Geh schon vor, es dauert nicht lange«, sagte er an Kari gewandt. Der zögerte und hob fragend die Augenbraue, aber als Eirik leicht den Kopf schüttelte, wandte er sich ab und schlenderte davon.

    Sobald sie allein waren, kam Eirik zur Sache. »Hast du über meinen Vorschlag nachgedacht?«

    Runolf verschränkte die Arme und lehnte sich lässig gegen das Tor des Bootshauses. »Ja. Und nein, ich werde dir die Fjordsdottir nicht geben.«

    Es war, als habe ihm jemand den Boden unter den Füßen entrissen. »Das kann nicht dein Ernst sein.«

    »Du hast zu viel Schaden angerichtet, Bruder.«

    Eirik schluckte trocken und zwang sich, ruhig zu sprechen. »Ich weiß, dass ich Fehler gemacht habe. Aber das war früher.«

    »Denkst du, ein guter Sommer reicht? Ich bin auf das Schiff angewiesen, genau wie du. Aber im Gegensatz zu dir habe ich eine ganze Sippe zu versorgen.«

    Da war sie also. Runolfs Rache für seine Lüge. Dafür, dass er Finna in Gefahr gebracht hatte. Vielleicht sogar für seinen etliche Jahre zurückliegenden Verrat auf dem ðing. Eirik rang um Fassung und versuchte es noch einmal mit Vernunft. »Es soll nicht zu eurem Nachteil sein. Denk nach! Wenn ich mit meinen Männern für dich auf Beutezug fahre und du gleichzeitig hier deinen Geschäften nachgehen kannst, wirst du das Doppelte an Gewinn ...«

    »Deine Männer!« Runolf lachte. »Eine Bande Verbrecher und Meuterer sind sie, allesamt.«

    Eirik ballte die Hände zu Fäusten. »Sie sind meine Schwurbrüder«, stieß er hervor. »Ich vertraue ihnen blind.«

    Runolf schnaubte. »Und deshalb haben sie dir in Haithabu dein Schiff gestohlen? Du kannst nicht mal auf dich selbst aufpassen, Eirik. Nicht in hundert Jahren überlasse ich dir die Verantwortung für mein Schiff. Und jetzt Schluss damit.«

    Das war zu viel. Eirik ballte die Faust und schlug sie seinem Bruder ins Gesicht. Er wusste, es war dumm. Genau, was Runolf von ihm erwartete. Und er wusste, es war zwecklos - aber bei Ódin, es tat so gut. Runolf sah den Schlag nicht kommen und ging zu Boden. Eirik rieb sich die schmerzenden Knöchel. Er zitterte vor Wut. Runolf sprang auf und griff an, aber Eirik war vorbereitet. Er stemmte sich gegen Runolf und grub seine Finger tief in die Muskeln seiner Oberarme. Runolf keuchte dicht an seinem Ohr: »Du dreckiger Hund!«

    Jemand packte Eirik von hinten und zog ihn von seinem Bruder fort. Es war Kari. »Seid ihr verrückt geworden?«

    Eirik befreite sich mit einem Ruck aus dem Griff und blieb kampfbereit auf Abstand. Runolf betastete die blutende Lippe und starrte Eirik an. »Bravo, Eirik. Gut gemacht.« Er spuckte aus und wandte sich ab, um zum Haus zu gehen.

    Eirik rieb sich das Gesicht, das vor Wut brannte. Zu spät fiel ihm ein, dass er Runolf noch um einen weiteren Gefallen bitten musste. »Verflucht! Runolf, warte!«

    Aber Runolf sah sich nicht einmal mehr um. Kari schüttelte den Kopf. »Das war ziemlich dumm, Eirik. Nichts anderes habe ich von dir erwartet.«

    Eirik funkelte ihn an und wischte sich mit dem Hemdsärmel über das Gesicht. »Du hältst zu ihm. Natürlich, wie immer. Eine eigene Meinung kann man vom Zweitgeborenen wohl nicht erwarten.«

    Gelassen verschränkte Kari die Arme vor der Brust. »Ich habe eine Meinung, aber ich bin klug genug, sie manchmal für mich zu behalten. Was willst du noch von ihm?«

    Eirik ließ die Schultern sinken und atmete tief ein. Müde schüttelte er den Kopf. »Es geht um Ben Feuernase. Ich habe es ihm versprochen.«

    Kari lächelte milde. Dann klopfte er ihm erneut auf die Schulter. »Das verschieb' lieber auf morgen. Bis dahin hat Runolf sich beruhigt. Können wir jetzt endlich reingehen? Ich sterbe vor Hunger.«

    Eirik winkte ab. Sein Blick wurde vom Waldrand angezogen. Dort irgendwo war Lynn auf der Jagd. Genauso fremd wie er. »Ich denke, ich sollte Runolf vorerst nicht unter die Augen treten.« Und außerdem sträubte sich alles in ihm dagegen, hinein zu den anderen hineinzugehen. Zu Grima, Finna, den vielen Kindern, den Männern, die er alle seit Wochen nicht mehr riechen konnte. Zu Ben, der sich bestimmt fragte, ob er schon mit Runolf gesprochen hatte ...

    »Ich gehe und suche Lynn«, entschied er, bevor er noch länger darüber nachdenken konnte.

    Kari lächelte wissend. »Wird das Beste sein. Du solltest dir wirklich angewöhnen, etwas leiser zu treten, wenn du vorhast, zu bleiben.«

    Eirik lächelte ebenfalls, aber es fühlte sich bitter an. Wer sagt, dass ich das will?

    ~~~

    Falsche Erwartungen

    Er lief eine ganze Weile ziellos umher, suchte nach ihrer Spur und stieß schließlich auf den Bach, der sich um diese Jahreszeit als mickriges Rinnsal durch sein Kiesbett schlängelte. Eirik schwitzte unter der Tunika, sein Haar klebte in seinem Nacken und er sank vor dem Bach in die Knie, um sich eine Handvoll kaltes Wasser ins Gesicht zu klatschen. Es war friedlich hier draußen. Nichts als das Plätschern des Wassers und der Gesang der Vögel war zu hören. Er schloss die Augen und lauschte einen Moment der Stille. Nach Wochen auf See lernte er diese Ruhe, dieses Alleinsein erst zu schätzen.

    Hinter ihm knackte etwas. Er öffnete die Augen und drehte unwillig den Kopf in die Richtung des Geräuschs. Lynn stand hinter ihm auf der Lichtung. Mit ihrer erdfarbenen Hose und der moosgrünen Tunika war sie fast unsichtbar vor dem Gebüsch. Lediglich ihr rotes Haar, das sie zu einem strengen Zopf geflochten hatte, stach hervor. Ein paar Strähnen hatten sich gelöst und kringelten sich störrisch in der feuchten Hitze des Nachmittags an ihrer Wange. An ihrem Gürtel hingen kopfüber drei Kaninchen. In der rechten Hand hielt sie den Jagdbogen. Große Augen blickten beinahe bestürzt zu ihm herüber. »Was machst du denn hier?«, fragte sie.

    Eirik trocknete sein Gesicht mit dem Ärmel und stand auf. »Ich freue mich auch, dich zu sehen«, entgegnete er spitz.

    Sie schüttelte erstaunt den Kopf. Ein unsicheres Grinsen breitete sich auf ihrem  Gesicht aus. »Ich hatte dich so bald nicht erwartet, das ist alles. Willkommen zu Hause.«

    Dann löste sie den Gürtel und legte die Kaninchen in den Schatten, bevor sie neben ihm in die Hocke ging und ihre Hände im Bach wusch. Er beobachtete sie dabei. Ihre vormals weiße Haut hatte einen gesunden Bronzeton angenommen. Sommersprossen bedeckten ihre Nase und die Wangen. Ihre Haare waren durch die Sonne etwas heller geworden. Außerdem schien es ihm, als habe sie etwas zugenommen. Die weicheren Konturen ihres Gesichts gefielen ihm. »Du hast dich verändert«, sagte er.

    Ihr Blick huschte über sein Gesicht und den Bart. »Du dich ebenfalls.« Sie war vor ihm auf der Hut. Ihre Anspannung war beinahe greifbar.

     Er wusste nicht, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte. Vor seiner Abreise waren sie sich nah gewesen, beinahe vertraut. Aber er hatte das aufkeimende Gefühl zerstört, als er ihr mitteilte, dass er mit seinen Brüdern auf die víking fahren würde. Sie hatte sich von ihm verraten gefühlt, hatte ihm vorgeworfen, wieder verschwinden zu wollen, hatte gedroht, ebenfalls zu gehen. Aber er war zurückgekommen. Und sie war noch hier. Was nun? Er kannte sich nicht aus mit derlei Dingen.

    »Ich musste fahren. Das weißt du«, sagte er nach einigem Zögern.

    Sie hob die Augenbraue, offenbar überrascht über seine Direktheit. Dann seufzte sie und fuhr fort, sich einen hartnäckigen Blutfleck vom Handballen zu rubbeln. »Ich weiß. Und ich bin nicht mehr wütend. Überhaupt - ich hatte kein Recht dazu. Es tut mir leid.«

    Nun war es an ihm, überrascht zu sein. »Doch, du hattest jedes Recht. Ich habe dich mit dem Drachenweib alleingelassen.«

    Lynn zuckte mit den Schultern, gab das Schrubben auf und sank zurück auf die Fersen. Sie umschlang mit beiden Armen ihre Beine und blickte mit gerunzelter Stirn auf den Fluss. »Mit Grima komme ich schon zurecht.«

    Aber er spürte, dass sie etwas zurückhielt. Sie wirkte bedrückt. Aber sie würde sich ihm, ihrem Mann, nicht anvertrauen. Er fragte sich zum hundertsten Mal, wie er in diese Lage hatte geraten können. Ein Eheweib, bei allen Göttern! Er hatte niemals heiraten wollen. Ein Weib brauchte ein Heim, einen Herd, eine Familie, um die sie sich kümmern konnte. Aber sein Zuhause war die See, sein einziger Besitz vor den Küste Skotias in Flammen aufgegangen. Keine Frau der Welt wollte einen Mann wie ihn länger als ein paar Nächte in ihrem Leben haben.

    Aber die Götter hatten ihm nun mal dieses seltsame Mädchen mit den großen Augen zugedacht, und er hatte lange genug gegen den Willen der Götter angekämpft, um zu wissen, dass es zwecklos war.

    »Erzähl mir davon«, forderte er sie auf, lehnte sich im Gras zurück und stützte sich auf den Ellbogen auf. Die Sonne schien durch das Blätterdach in sein Gesicht. Er

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1