In frohen und in müden Zeiten: Gereimtes und Erzähltes - Ein Lesebuch
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About this ebook
Doch ist kaum im Fokus, dass Wildermuth Christin war und ihre Texte viele christliche Werte vermittelten. Das Buch, zusammengestellt von den Wildermuth-Experten Jonathan und UIlrike Schilling, bietet zum zweihundertsten Jahrestag nun einen neuen Blick auf die christliche Autorin. Ein liebevoll gestaltetes Lesebuch mit ausgewählte Texten.
Ottilie Wildermuth
Ottilie Wildermuth (1817-1877) war eine der meistgelesenen deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts. Von zeitgenössischen Literaturkritikern wurden ihre Erzählungen aus dem schwäbischen Leben und ihre erbaulichen Schriften hoch geschätzt.
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Book preview
In frohen und in müden Zeiten - Ottilie Wildermuth
Der SCM Verlag ist eine Gesellschaft der Stiftung Christliche Medien,
einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung
christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.
ISBN 978-3-7751-7370-4 (E-Book)
ISBN 978-3-7751-5768-1 (lieferbare Buchausgabe)
Datenkonvertierung E-Book:
CPI books GmbH, Leck
© der deutschen Ausgabe 2017
SCM-Verlag GmbH & Co. KG • Max-Eyth-Straße 41
71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-haenssler.de
E-Mail: info@scm-haenssler.de
Umschlaggestaltung: Kathrin Spiegelberg,
Weil im Schönbuch
Titelbild: Sr. Regine Mohr
Bilder im Innenteil: Diakonissenmutterhaus Aidlingen
Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach
Inhalt
Über die Autoren
Zum Geleit
Ottilie Wildermuth: Eine vergessene christliche Bestsellerautorin
Mission der Zufriedenheit
Die drei Schwestern oder Der Herr behütet die Einfältigen
Gaben von oben
Berufung
Die Frau des Missionars
Mein Vater ist am Steuer
Klärchens Genesung
Gottvertrauen
»Frommes, stilles, treues Festhalten an Gott«
Sonntag
Der erste Ehezwist
Wiegenlied aus stürmischer Zeit
Der Kinder Gebet
Zum Abschied
Editorische Anmerkungen
Anmerkungen
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Über die Autoren
AutorenOTTILIE WILDERMUTH (1817–1877) war eine der meistgelesenen deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts. Von zeitgenössischen Literaturkritikern wurden ihre Erzählungen und ihre erbaulichen Schriften hoch geschätzt.
JONATHAN SCHILLING (Hrsg.), geboren 1993, forscht seit mehreren Jahren über Leben und Werk von Ottilie Wildermuth. Er studiert Geschichte und Musikwissenschaft in Marburg.
DR. ULRIKE SCHILLING (Hrsg.), geboren 1961, ist Musikwissenschaftlerin und Germanistin. Sie arbeitet als freischaffende Lektorin, ist verheiratet und hat fünf erwachsene Söhne.
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Nicola Vollkommer
ZUM GELEIT
Der Ottilie-Wildermuth-Kindergarten in Marbach am Neckar, das Wildermuth-Gymnasium in Tübingen: Zwei Spuren, die eine der einflussreichsten christlichen Frauen des 19. Jahrhunderts hinterlassen hat, deren Wirkung jedoch schon zu ihren Lebzeiten weit über die Grenzen Württembergs hinausreichte.
Ottilie Wildermuth: Bis ins 20. Jahrhundert hinein schmückten ihre Werke die Bücherregale bürgerlicher und adliger Häuser Deutschlands, und darüber hinaus, übersetzt in über ein Dutzend Sprachen, auch in der ganzen Welt. Den 200. Geburtstag Wildermuths hat das Mutter-Sohn-Gespann Ulrike und Jonathan Schilling zum Anlass genommen, eine neue Generation von Lesern mit dieser bemerkenswerten Schriftstellerin bekannt zu machen. Dabei haben sie vor allem einen Aspekt ihres Wirkens in den Vordergrund gerückt, der in den späteren Jahren ihrer Beliebtheit als Autorin größtenteils in Vergessenheit geriet: den tiefen christlichen Glauben und die Liebe zur Bibel, die ihr Denken und Schreiben von Grund auf prägten.
Bei ihren Recherchen sind die Herausgeber auf eine Fülle von verborgenen Schätzen gestoßen, unter anderem auf bisher unveröffentlichte Briefe und Gedichte von Ottilie Wildermuth. Die Sprache dieser ausgewählten Texte haben sie so redigiert, dass auch ein moderner Leser sie leicht versteht, dass aber Wildermuths eigener, etwas altertümlicher Tonfall erhalten blieb. Die Inhalte bewegen mit ihrer Tiefgründigkeit, faszinieren mit ihrer Vielfalt. Dem Leser wird ein tiefer Blick in die Seele einer Frau gewährt, die in jungen Jahren schon eine außerordentliche Reife und Menschenkenntnis an den Tag legte. So schildert sie das Schicksal der drei verwaisten Pfarrerstöchter, die ihr Leben treu nach dem Motto »Der Herr behütet die Einfältigen« gestalten und deren kindliches Gottvertrauen gebührend belohnt wird. Ihre Geschichte »Der erste Ehezwist« greift mit Witz und Charme den Faden dort auf, wo die meisten romantischen Erzählungen aufhören – nach der Hochzeit.
Szenen direkt aus dem Alltag sind Wildermuths Spezialität. Zum Beispiel in den Hochs und Tiefs, die eine ganz normale Familie in der Geschichte »Klärchens Genesung« erlebt bis zum erlösenden Tag, an dem Klärchen wieder gesund wird und das »fromme, stille, treue Festhalten an Gott« zu einem guten Ende führt. Gleichzeitig scheut sich Wildermuth nicht, ihre junge Freundin Sophie in einer Reihe bewegender Briefe zu ermuntern, »die selige Erfahrung von Gottes unwandelbarer Liebe« auch in Zeiten der Trübsal zu erkennen.
Texte mit geistlichem Tiefgang, untermalt mit zeitgenössischen Details: Diese Kombination macht Wildermuths Gedankenwelt ergreifend und authentisch. Beschreibungen von Haushaltsutensilien, Möbeln, Pflanzen und Kleidungsstücken verleihen den Texten Farbe, Form und Klang. Die Seiten des Buches werden außerdem durch Bildmaterial aufgelockert, das die Welt, in der Wildermuth zu Hause war, noch mehr aufleben lässt. Das Ergebnis ist ein Werk, das auch für Leser jenseits der Grenzen von Wildermuths schwäbischer Heimat von großem Interesse und Gewinn sein wird.
Wer sich in diese Texte vertieft, darf eines erkennen: Ihr Inhalt ist aktueller denn je. Zeiten mögen sich ändern, aber Menschen jeder Generation haben die gleichen Nöte – Angst, Unzufriedenheit, Unsicherheit – und die gleichen Sehnsüchte nach Wärme, Geborgenheit, Gewissheit. Ottilie Wildermuths Geschichten sind kleine Predigten, verpackt in Dialoge und Gedankengänge, die aus unserem eigenen Leben sein könnten. Am Ende des Buches hätte man sie gerne als Freundin, Seelsorgerin, Lebensbegleiterin. Man hat ein Gefühl von Heimat. Man hat Lust, so zu beten und zu glauben, wie sie es getan hat.
In einer Zeit, in der der Ruf nach neuen, der Postmoderne angepassten Auslegungen der Bibel immer lauter wird, ermutigt dieses Buch den Leser, sich auf das Evangelium der geistlichen Väter und Mütter zurückzubesinnen. Auf einen Glauben, der es versteht, Gutes wie auch Schweres aus Gottes Hand zu nehmen und Lebensgewissheit in der Führung Gottes zu finden – in frohen und in müden Zeiten.
Nicola Vollkommer
Reutlingen, im Oktober 2016
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Jonathan Schilling
OTTILIE WILDERMUTH
EINE VERGESSENE CHRISTLICHE BESTSELLERAUTORIN
Erste Annäherung:
Der Geistliche eines Zuchthauses hatte es einst mit einem außergewöhnlich trotzigen, verbitterten Verbrecher zu tun. Er suchte den Weg zu seinem Herzen zu finden, indem er ihn darauf aufmerksam machte, wie auch er gewiss neben allem Herben unverdient manches Gute und Freundliche erfahren, an dem er Gottes Vaterliebe hätte merken können. Nein, meinte der Unglückliche, er habe nur Übles, nur Hass und Bosheit von den Menschen erlebt, er möchte wissen, für was er Gott und den harten, grausamen Menschen zu danken habe! Der Geistliche drang weiter und ernstlicher in ihn, und plötzlich ging in dem verhärteten Gesicht ein Licht auf: Ja, das müsse er sagen, dass doch ein Mensch ihn gütig behandelt habe, ihm unverdient aufs Freundlichste begegnet sei mit Wort und Tat; es sei eine Frau in Tübingen gewesen, Frau Wildermuth habe sie geheißen. An diesem Punkt konnte der Seelsorger anknüpfen und allmählich Licht und neues Leben in die umdunkelte Seele bringen.¹
Zweite Annäherung:
Die besten Stunden, die ich in diesen Tagen gehabt habe, verdanke ich dem Lesen Ihres Buches. Ihnen ist die wunderbare Gabe verliehen, nicht etwa die Wirklichkeit zu vergolden – das können andere auch –, sondern das Gold der Wirklichkeit an den Tag zu legen; und wieder ist dies nicht bloß irdisches Gold, sondern das Gold, das an den Schwellen des Paradieses gefunden wird. Hinter Ihren Erzählungen liegt Eden. Solange Ihre Erzählungen noch gelesen werden, solange ist auch unser deutsches Volk nicht verloren. Der barmherzige Gott wolle Ihre Bücher in recht viele Häuser tragen!²
Der bedeutende Theologe und Literaturkritiker August Vilmar schrieb diese Zeilen im Jahr 1861 an Ottilie Wildermuth. »Solange Ihre Erzählungen noch gelesen werden …« Bereits fünfzig Jahre nach dem Tod der Schriftstellerin musste dieser Satz pessimistisch umformuliert werden: »Weil in unserem Volk weithin die Schlichtheit, Reinheit und Gottesfurcht verloren gegangen ist, die aus den Werken der Wildermuth zu uns sprechen, darum können viele diese Werke nicht mehr genießen.«³ Heute kennt man den Namen Ottilie Wildermuth kaum noch. Selbst in ihrer schwäbischen Heimat, wo einige Straßen und Schulen nach ihr benannt sind, ist sie fast nur noch älteren Menschen geläufig. Dabei kann man von Ottilie Wildermuth ohne zu übertreiben als der meistgelesenen christlichen Schriftstellerin Deutschlands sprechen. Mit Eugenie Marlitt und Marie Nathusius gehört sie zu den beliebtesten deutschen Autorinnen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ihre Werke wurden, in über zehn Sprachen übersetzt, auf der ganzen Welt gelesen. Die größten Dichter und Literaturkritiker schätzten ihre Werke, und Könige und Kaiserinnen lasen ihre Bücher genauso wie die bürgerliche Mittelschicht auf dem Land oder die Armen in den Großstädten der Industrialisierung. An Ottilie Wildermuth kam im 19. Jahrhundert niemand vorbei.
Als Ottilie Rooschüz wurde sie am 22. Februar 1817 in Rottenburg am Neckar geboren, wo ihr Vater als Jurist arbeitete. Die Eltern entstammten weitverzweigten Pfarrer- und Beamtengeschlechtern. Der Name Rooschüz geht auf einen kroatischen Ahnen zurück, der im Dreißigjährigen Krieg eine Vorfahrin von Ottilie zuerst entführt und dann geheiratet hatte. Ihre eigene Biografie verlief ohne große Sprünge oder Besonderheiten. In Marbach am Neckar, der Geburtsstadt Friedrich Schillers, wuchs sie behütet im Kreis ihrer drei jüngeren Brüder auf. Bereits in der Schule war sie als Geschichtenerfinderin und -erzählerin bekannt. Das Mädchen war so begabt im Lernen, dass es zwei Klassen überspringen konnte. Allerdings war der Unterricht in der Kleinstadt Marbach nur sehr beschränkt und endete, wie damals üblich, nach der Konfirmation. Um sich auf ein späteres Leben als Hausfrau und Mutter vorzubereiten, absolvierte Ottilie Rooschüz danach einen halbjährigen Kurs in Stuttgart, um verschiedene Haushalts- und andere Künste zu erlernen. Nach dieser Erfahrung in der Hauptstadt kehrte sie zu ihren Eltern zurück, schrieb für den Familienkreis ihre ersten Geschichten und lernte Englisch und Französisch, was damals für eine junge Frau unerhört war. Später konnte sie allerdings ihre ungewöhnlichen Sprachkenntnisse dazu nutzen, fremdsprachige Bücher und Geschichten für deutsche Leser zu übersetzen.
1841 wurde Ottilies jüngerer Bruder Eduard auf der Burgruine Reußenstein auf der Schwäbischen Alb tot aufgefunden. Aus einem Abschiedsbrief ging hervor, dass er sich das Leben genommen hatte, nachdem er eine Geisteskrankheit bei sich geahnt hatte. Dieser Tod war ein Wendepunkt im Leben von Ottilie, der sie auf lange Zeit prägte. In mehreren Gedichten verarbeitete sie den Verlust Eduards, mit dem sie besonders eng verbunden gewesen war. »Jugendlust und Jugendfreude habe ich mit dem Bruder zu Grabe gelegt«, erinnerte sie sich später.
Neben dem Tod des Bruders war es noch ein anderes Erlebnis, das Ottilie Rooschüz in ihrer Jugendzeit oft traurig stimmte: die unglückliche Liebe zu Karl Gerok, ihrem Cousin zweiten Grades, der später Oberhofprediger in Stuttgart und der bedeutendste geistliche Dichter seiner Zeit wurde. Sie war aber zu schüchtern, ihre Liebe zu gestehen, und so beachtete sie der um zwei Jahre ältere Vetter kaum. Trotzdem hatte sie die Hoffnung auf eine Beziehung mit Karl Gerok noch nicht ganz aufgegeben, als ihr der Realschullehrer David Wildermuth einen Heiratsantrag machte. Wildermuth war 1807 als Sohn armer Bauern geboren, hatte es dann durch harte Arbeit geschafft, studieren zu können, und wurde später für seine pädagogischen Verdienste mit dem Professorentitel ausgezeichnet. Es war keine überschwängliche Verliebtheit aufseiten der Braut, die zu dieser Ehe führte. Bevor sie in den Heiratsantrag einwilligte, fuhr sie noch einmal auf einen Besuch zu der Familie Gerok und verabschiedete sich innerlich von ihrer Liebe zu dem Cousin. Im Hause einer Freundin in Tübingen gab sie dann ihr Ja-Wort in der festen Überzeugung, dass Gott ihre noch junge und schwache Liebe zu David Wildermuth wachsen lassen würde.
Als Ottilie Wildermuth später Schriftstellerin war und sich schon von Berufs wegen häufig mit dem Thema Liebe befassen musste, flossen diese Erfahrungen auch in ihre Schriften ein. In den Romanen der Zeit – vor allem bei Eugenie Marlitt, Wildermuths wichtigster Konkurrentin im weltlichen Bereich – heirateten meistens arme Mädchen zu guter Letzt reiche Gutsbesitzer und fanden so ihr Glück. Ottilie Wildermuth warnte immer wieder in ihren Geschichten davor, nur aus materiellen Gründen zu heiraten. Man müsse einen Heiratskandidaten nicht leidenschaftlich lieben, denn eine solche Liebe vergehe meist nach einigen Jahren, aber man müsse überzeugt sein, dass man seinen Partner von Herzen liebgewinnen könne.
Im Laufe ihrer Ehe brachte Ottilie Wildermuth fünf Kinder zur Welt, von denen zwei kurz nach der Geburt starben. An den berühmten schwäbischen Dichter Justinus Kerner, der ihr ein väterlicher Freund war, schrieb sie 1856 über den Tod eines Sohnes, der nur wenige Stunden gelebt hatte:
Für andere ist es ja wenig, so ein Kindlein, aber vom Mutterherzen geht unendlich schwer, was sie selbst so schwer errungen. Die Zeit großer Stille und tiefer Einsamkeit hat mir gut getan, und ich habe die Friedensgedanken des Herrn über uns verstehen gelernt auch in dieser dunklen Schickung; ich lasse mein Kindlein nicht ohne heiße Tränen, aber ohne Klage in seiner Hand, es ist da wohl behütet.⁴
Doch auch mit drei Kindern hatte die junge Mutter genug zu tun, besonders, als sie begann, erste literarische Erzeugnisse zu veröffentlichen. Eigentlich war es ein Scherz, der