Über das Seiende und das Wesen: Lateinisch und Deutsch
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Innerhalb des imposanten Gesamtwerks des Thomas von Aquin ist dieser kleine Traktat leicht zu übersehen - und dennoch ist De ente et essentia wahrscheinlich die meistgelesene Schrift des großen mittelalterlichen Theologen. Und dies zu Recht, bietet sie doch in äußerst prägnanter Form die metaphysischen Grundlagen, das Grundgerüst der aristotelischen Metaphysik, das uns das Werk des Thomas von Aquin zuallererst erschließt.
Während Thomas von Aquin von seinen Mitschülern belächelt wurde, erkannte sein Lehrer Albertus Magnus schon früh das Talent des ruhigen Schülers. Albert sollte recht behalten, Thomas von Aquin ist bis heute einer der bedeutendsten christlichen Denker des Mittelalters. In seiner kurzen, aber präzisen Schrift De ente et essentia setzt er sich mit der Metaphysik des Aristoteles auseinander, diskutiert deren Interpretation durch die arabischen Philosophen Avicenna und Averroes und bringt in einer beeindruckenden Synthese christliche und arabische Erkenntnisse über das Wesen und das Sein zusammen. Die vorliegende Übersetzung stammt von Edith Stein.
Thomas von Aquin
Thomas von Aquin kommt um 1225 in Roccasecca bei Aquino zur Welt. Gegen den Willen seiner adeligen Familie tritt er während des Studiums in Neapel dem Dominikanerorden bei. Weitere Studienjahre in Paris und Köln bei Albertus Magnus folgen. 1252 beginnt Thomas die eigene Lehrtätigkeit zunächst in Paris, später in Italien, schließlich in Rom mit verschiedenen Ämtern im Vatikan. In seinen Vorlesungen stellt er bedeutende Kommentare zu Aristoteles vor, die bis heute grundlegend für die christliche Glaubenslehre sind. Hatte Thomas bereits in dem Frühwerk Über Seiendes und Wesenheit die Grundzüge seines philosophischen Denkens – den Realunterschied zwischen „Sein“ und „Wesen“ -dargelegt, folgt mit der Summe der Theologie eine didaktisch-systematische Darlegung fast aller philosophisch-theologischen Lehrgebiete. Dieses Handbuch zur Ausbildung der Dominikaner soll das Ungleichgewicht zu ungunsten der Dogmatik beheben und sich nicht auf Moraltheologie und Beichtpastoral beschränken. Die Einbeziehung aristotelischer Lehren in die Philosophie und Theologie hat bereits zu Lebzeiten Thomas von Aquins heftigen Widerspruch zur Folge, mehrere Sätze werden als häretisch verurteilt. Dennoch setzt sich seine Lehre durch, 1323 wird er heiliggesprochen und im 16. Jahrhundert in den Rang eines Kirchenlehrers aufgenommen. Thomas von Aquin hinterläßt mehr als 80 Schriften und stirbt 1274 auf einer Reise zum Konzil in Lyon.
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Book preview
Über das Seiende und das Wesen - Thomas von Aquin
THOMAS VON AQUIN (ca. 1225–1274) trat gegen den Widerstand seiner Verwandtschaft in den Dominikanerorden ein. Vor allem in Paris und Neapel wurde er bald zum bedeutendsten Theologen und Philosophen. Ausgehend von Aristoteles schuf er eine neue Synthese von Philosophie und christlichem Glauben und wurde damit ein Wegbereiter neuzeitlichen Denkens.
Der Herausgeber
DR. BRUNO KERN, geboren 1958, studierte Theologie und Philosophie in Wien, Fribourg, München und Bonn; er lebt zurzeit in Mainz und arbeitet als selbstständiger Lektor und Übersetzer. Im marixverlag sind von ihm bereits erschienen: Die bedeutendsten Grabreden, Die großen Gebete der Menschheit, Marguerite Poretes Der Spiegel der einfachen Seelen, Karl Kraus’ Weltgericht u. a.
Die Übersetzerin
EDITH STEIN, 1891–1942, war als Philosophin Meisterschülerin Edmund Husserls, des Begründers der Phänomenologie. Eine Habilitation blieb ihr nur aufgrund ihres Geschlechts verwehrt. Nach Konversion zum Christentum trat die als Jüdin aufgewachsene Edith Stein in den Kölner Karmel ein, wo sie sich vor allem philosophischen und theologischen Studien widmete. 1942 wurde sie zusammen mit ihrer Schwester nach Auschwitz deportiert und ermordet.
Zum Buch
»Ihr nennt ihn den stummen Ochsen; ich sage euch,
dass dieser stumme Ochse einmal so laut brüllen
wird, dass sein Gebrüll die Welt erfüllt.«
ALBERTUS MAGNUS
Innerhalb des imposanten Gesamtwerks des Thomas von Aquin ist dieser kleine Traktat leicht zu übersehen – und dennoch ist De ente et essentia wahrscheinlich die meistgelesene Schrift des großen mittelalterlichen Theologen. Und dies zu Recht, bietet sie doch in äußerst prägnanter Form die metaphysischen Grundlagen, das Grundgerüst der aristotelischen Metaphysik, das uns das Werk des Thomas von Aquin zuallererst erschließt.
Während Thomas von Aquin von seinen Mitschülern belächelt wurde, erkannte sein Lehrer Albertus Magnus schon früh das Talent des ruhigen Schülers. Albert sollte recht behalten, Thomas von Aquin ist bis heute einer der bedeutendsten christlichen Denker des Mittelalters. In seiner kurzen, aber präzisen Schrift De ente et essentia setzt er sich mit der Metaphysik des Aristoteles auseinander, diskutiert deren Interpretation durch die arabischen Philosophen Avicenna und Averroes und bringt in einer beeindruckenden Synthese christliche und arabische Erkenntnisse über das Wesen und das Sein zusammen. Die vorliegende Übersetzung stammt von Edith Stein.
Thomas von Aquin
Über das Seiende und das Wesen
Thomas von Aquin
Über das Seiende
und das Wesen
Lateinisch und Deutsch
Deutsche Übersetzung von Edith Stein
Herausgegeben von Bruno Kern
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.
Es ist nicht gestattet, Abbildungen und Texte dieses Buches zu scannen, in PCs oder auf CDs zu speichern oder mit Computern zu verändern oder einzeln oder zusammen mit anderen Bildvorlagen zu manipulieren, es sei denn mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.
Alle Rechte vorbehalten
Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2014
Der Text basiert auf der Ausgabe marixverlag, Wiesbaden 2014
Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH
eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main
ISBN: 978-3-8438-0440-0
www.marixverlag.de
Dem lateinischen Text wurde folgende Ausgabe zugrunde gelegt: Thomas de Aquino, Sermo seu Tractatus „De ente et essentia". Ad undecim codicum manu scriptorum (saec. XIII et XIV) nec non editionis pianae fidem in usum scholarum. Ed. L. Baur (Opuscula et textus historiam ecclesiae eiusque vitam atque doctrinam illustrantia – Series scholastica 1), Monasterii ²1933.
Die Orthografie des mittelalterlichen Latein wurde der besseren Lesbarkeit halber dem klassischen Latein angepasst, ebenso wurde die Interpunktion heutigen Gepflogenheiten entsprechend geändert. Die Kapiteleinteilung orientiert sich an der heute allgemein akzeptierten.
Deutsche Übersetzung von Edith Stein, zugänglich im Intranet des Edith-Stein-Archivs, Köln. Orthografie und Interpunktion wurden den heute geltenden Regeln angepasst. Die Wiedergabe lateinischer Termini in Klammern wurde weggelassen.
INHALT
Ein »Opusculum« als Schlüssel zu
Thomas von Aquin
Prooemium
Einleitung
Capitulum primum
Erstes Kapitel
Capitulum secundum
Zweites Kapitel
Capitulum tertium
Drittes Kapitel
Capitulum quartum
Viertes Kapitel
Capitulum quintum
Fünftes Kapitel
Capitulum sextum
Sechstes Kapitel
Epilogus
Schlusswort
EIN »OPUSCULUM« ALS SCHLÜSSEL
ZU THOMAS VON AQUIN
Innerhalb des imposanten Gesamtwerks des Thomas von Aquin ist dieser kleine Traktat leicht zu übersehen – und dennoch ist De ente et essentia wahrscheinlich die meistgelesene Schrift des großen mittelalterlichen Theologen. Und dies zu Recht, bietet sie doch in äußerst prägnanter Form die metaphysischen Grundlagen, das Grundgerüst der aristotelischen Metaphysik, das uns das Werk des Thomas von Aquin allererst erschließt.
Das 13. Jahrhundert, das Zeitalter des Thomas von Aquin*, war in vieler Hinsicht eine Umbruchszeit. Zu den tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen jener Tage gehörte nicht nur die aufkommende Führungsrolle der Städte und des Geldwesens, sondern auch die Etablierung der Intelligenz als einer relativ eigenständigen gesellschaftlichen Kraft durch die Universitäten. Für die Laufbahn des Thomas waren zwei denkwürdige Begegnungen entscheidend: In Neapel kam der Student der »freien Künste« mit dem Bettelorden der »Predigerbrüder« (Dominikaner) in Kontakt. Der spanische Kanoniker Dominikus Guzmán (1170 / 71–1221) hatte als Reaktion auf die unerbittliche Verfolgung der Katharer durch die Kirche diese Ordensgemeinschaft gegründet, die – wie die zeitgleich entstandenen Franziskaner – ein evangeliumsgemäßes Leben ohne Besitz anstrebte. Der kirchlichen Verfolgung häretischer Bewegungen setzten die Dominikaner allerdings die intellektuelle Auseinandersetzung entgegen. Bewusst gingen sie an die jungen Universitäten jener Zeit, um ihren Beitrag zu einer denkerischen Durchdringung des christlichen Glaubens zu leisten. Gegen den heftigen Widerstand seiner Familie schloss sich Thomas dem »Ordo praedicatorum« an, wo er bald zum überragenden Theologen seiner Zeit aufsteigen sollte.
Die zweite denkwürdige Begegnung in Neapel war die mit dem großen antiken Philosophen Aristoteles (im Werk des Thomas stets als »Der Philosoph« tituliert). Erst über den Umweg arabischer Intellektueller wurde dem Abendland das Werk des Aristoteles neu erschlossen. Bislang war wenig mehr als die Logik bekannt gewesen. Insbesondere Averroes (Ibn Rushd, 1126 –1198), der eine Reihe von Kommentaren zu den aristotelischen Schriften verfasst hat (und von Thomas schlicht »Der Kommentator« genannt wird), und Avicenna (Ibn